S 14 KR 1047/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 1047/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 351/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 36/22 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung von Krankengeld über den 25. Juli 2017 hinaus.

Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin war seit 1. Februar 2017 bis 20. Juni 2018 arbeitsunfähig erkrankt. Unter dem 1. März 2017 erhielt die Klägerin von der Beklagten ein Informationsschreiben rund um das Krankengeld, insbesondere zur Notwendigkeit des lückenlosen Nachweises der Arbeitsunfähigkeit (AU). Zum 14. März 2017 beendete die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis. In der Folge erhielt die Klägerin Krankengeld von der Beklagten in Höhe von EUR 37,18 brutto kalendertäglich. Die Fortdauer der AU wurde zunächst bis 28. Juni 2017 lückenlos bescheinigt. Am 29. Juni 2017 ging bei der Beklagte eine Folgebescheinigung, ausgestellt am 28. Juni 2017, mit einer Fortdauer der AU voraussichtlich bis 25. Juli 2017 ein (Bl. 9 VA). Am 31. Juli 2017 ging bei der Beklagten eine Folgebescheinigung, ausgestellt am 28. Juli 2017, mit einer Fortdauer der AU voraussichtlich bis 24. August 2017 ein (Bl. 10 VA). Daneben existiert eine weitere Folgebescheinigung vom 28. Juni 2017 mit voraussichtlicher Dauer der AU bis 28. Juli 2017, die bei der Beklagten am 4. August 2017 einging (Bl. 11 VA).

Mit Bescheid vom 4. August 2017 lehnte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld über den 25. Juli 2017 hinaus ab, da die weitere AU erst am 28. Juli 2017 und damit nicht am nächsten Werktag festgestellt worden sei. Ab 26. Juli 2017 sei die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert gewesen. Ein nachgehender Krankengeldanspruch über § 19 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) scheide aus, da die Klägerin voraussichtlich länger als einen Monat AU sein werde. Hiergegen erhob die Klägerin am 4. August 2017 Widerspruch und führte aus, nach einem Anruf der Beklagtenmitarbeiterin Frau K. vom 1. August 2017 habe ihr Arzt Dr. C. die Krankmeldung korrigiert. Eine Lücke sei nicht vorhanden. Sie sei durchgängig AU. Der Fehler läge auf Seiten ihres Arztes. In einem Attest vom 7. August 2017 gab Dr. C. an, die Klägerin habe nach der Krankmeldung bis zum 26. Juli 2017 erst am 28. Juli 2017 einen Termin gehabt. Möglicherweise sei aufgrund der Urlaubszeiten ein Fehler in der Terminvergabe erfolgt. Hierdurch sei leider formal eine Lücke in den Bescheinigungen der AU entstanden. Es habe aber durchweg AU wegen eines mittelgradigen depressiven Syndroms bestanden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, da die weitere AU nicht spätestens am nächsten Werktag (26. Juli 2017) festgestellt worden sei. Eine nachträgliche Korrektur der AU-Bescheinigung vom 28. Juni 2017 könne nicht anerkannt werden, da es an der fristgerechten Feststellung der weiteren AU fehle, was der behandelnde Arzt in seinem Attest bestätigt habe. Unmittelbar im Anschluss an die Krankengeldzahlung sei die Versicherung als Familienversicherung fortgesetzt worden. Diese sei vorrangig und schließe einen Anspruch auf Krankengeld aus.

Am 11. Dezember 2017 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, dass es aufgrund der Folgebescheinigung vom 28. Juni 2017 bis 28. Juli 2017 keine Lücke in den bescheinigten Zeiträumen gebe. Am 28. Juni 2017 seien zwei Folgebescheinigungen ausgestellt worden und die falsche Bescheinigung sei zur Vorlage bei der Beklagten an die Klägerin ausgehändigt worden. Zudem sei durch fachärztliches Attest auch die durchgehende AU festgestellt worden. Die Klägerin ist der Ansicht, alles ihr Zumutbare unternommen zu haben, um ihre AU lückenlos ärztlich feststellen zu lassen. Sie habe alle an sie vergebenen Termine wahrgenommen. Etwaige Fehler des Vertragsarztes / seiner Mitarbeiter seien der Beklagten zuzurechnen. Sie sei schließlich auch nicht durch ein Merkblatt der Beklagten auf Meldepflichten bei AU hingewiesen worden.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld über den 25. Juli 2017 hinaus weiter zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf den Widerspruchsbescheid vom 7. November 2017. Sie ist der Ansicht, ein Ausnahmefall nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur lückenlosen Feststellung der AU liege nicht vor. Die AU sei ursprünglich bis 25. Juli 2017 bescheinigt worden. Am 26. Juli 2017 habe die Klägerin keinen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt aufgesucht, um die weitere AU feststellen zu lassen. Sie habe deswegen nicht alles in ihrer Macht Stehende und Zumutbare unternommen, um ihre Ansprüche zu wahren. So habe sie keinen anderen Arzt aufgesucht. Eine Fehlentscheidung eines Vertragsarztes liege nicht vor.

Das Gericht hat die Beteiligten unter dem 9. Juni 2020 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz – SGG) angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Absatz 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Im Rahmen der nach § 105 Absatz 1 Satz 2 erforderlichen Anhörung haben die Beteiligten keine begründeten Einwände gegen eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid vorgebracht.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 4. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Weitergewährung von Krankengeld über den 25. Juli 2017 hinaus, weil die Arbeitsunfähigkeit nicht lückenlos festgestellt wurde.

Voraussetzung für einen Krankengeldanspruch gemäß § 44 SGB V ist das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses mit Krankengeldanspruch ist. Dabei muss dieses Versicherungsverhältnis zu dem Zeitpunkt bestehen, in dem der Krankengeldanspruch entsteht (st. Rspr., vgl. nur Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 31/14 R, juris). Gemäß § 190 Abs. 2 SGB V endet die Mitgliedschaft eines versicherungspflichtig Beschäftigten mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt endet. Der Anspruch auf Krankengeld nach Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses und des daran anknüpfenden Versicherungsstatus setzt das Vorliegen einer nahtlosen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung voraus. Nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an. Der Anspruch auf Krankengeld bleibt gemäß § 46 Satz 2 SGB V jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage. Um die Mitgliedschaft von versicherungspflichtig Beschäftigten in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten, genügt es dabei, dass sie mit Ablauf des nächsten Werktages nach dem zuvor bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit alle Voraussetzungen dafür erfüllen, dass ein Anspruch auf Krankengeld entsteht. Die durch die Beschäftigtenversicherung begründete Mitgliedschaft besteht dabei nur unter den Voraussetzungen des § 192 SGB V fort. Sie bleibt nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V u.a. erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht. § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V verweist damit wieder auf die Vorschriften über den Krankengeldanspruch, die ihrerseits voraussetzen, dass ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld vorliegt. Die Arbeitsunfähigkeit muss der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krankengeldes auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen fortbestand. Dies gilt auch bei ununterbrochenem Leistungsbezug, wenn wegen der Befristung der bisher attestierten Arbeitsunfähigkeit über die Weitergewährung des Krankengelds neu zu befinden ist. Der Versicherte muss die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich rechtzeitig vor Fristablauf ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, will er das Erlöschen von Krankengeldansprüchen verhindern (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2000, B 1 KR 11/99 R, SozR 3-2500 § 49 Nr. 4, BSGE 85, 271 – 278, Urteil vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R, SozR 4-2500 § 192 Nr. 7, BSGE 118, 52 – 63, beide auch juris, vgl. auch Hessisches Landessozialgericht – HLSG, Urteil vom 20. Dezember 2018, L 8 KR 65/18; Urteil vom 17. Januar 2019, L 8 KR 153/18; Beschluss vom 18. September 2017, L 8 KR 513/16; Beschluss vom 21. Januar 2019, L 8 KR 321/17).

Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist eine Obliegenheit des Versicherten; die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen ärztlichen Feststellung sind grundsätzlich von ihm zu tragen. Maßgebend für den Krankengeldbeginn ist dabei nicht der „wirkliche“ oder der „ärztlich attestierte“ Beginn der Arbeitsunfähigkeit, sondern der Tag der ärztlichen Feststellung. Es obliegt allein dem Versicherten, die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit herbeizuführen und ggf. fortgesetzt rechtzeitig feststellen zu lassen. Dies kann regelmäßig anlässlich der ärztlichen Behandlung und Diagnostik geschehen und stellt auch in den übrigen Fällen keine unzumutbaren Anforderungen an den Versicherten (BSG, Urteile vom 16. Dezember 2014, B 1 KR 37/14 R; vom 4. März 2014, B 1 KR 17/13 R; vom 10. Mai 2012, B 1 KR 20/11 R, jeweils in juris). Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweiser Krankengeldbewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs ist es in gleicher Weise wie bei der Beschäftigtenversicherung erforderlich und ausreichend, dass die Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf des Krankengeld-Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird. Das BSG führt in ständiger Rechtsprechung dazu aus, dass es dem Versicherten obliegt, zur Vermeidung einer Unterbrechung oder des Erlöschens von Krankengeldansprüchen und zum Erhalt eines durchgehenden, umfassenden Krankenversicherungsschutzes für eine Folgebescheinigung rechtzeitig vor Fristablauf Sorge zu tragen. Sinn und Zweck ist, beim Krankengeld Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten (vgl. zusammenfassend BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R, juris, Urteil vom 16. Dezember 2014 a.a.O., Urteil vom 10. Mai 2012 a.a.O., Urteil vom 8. Februar 2000 a.a.O.). Dies gilt selbst dann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit an einem Sonntag endet oder die Praxis des behandelnden Arztes am letzten Tag des ablaufenden Bewilligungsabschnittes geschlossen ist. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, entweder den behandelnden Arzt rechtzeitig vor der Praxisschließung erneut zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufzusuchen oder aber den hausärztlichen Notfalldienst in Anspruch zu nehmen (BSG, Urteil vom 4. März 2014 a.a.O., vgl. auch HLSG Urteil vom 20. Dezember 2018, L 8 KR 65/18; Urteil vom 17. Januar 2019, L 8 KR 153/18; Beschluss vom 18. September 2017, L 8 KR 513/16; Beschluss vom 21. Januar 2019, L 8 KR 321/17).

Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld ab dem 26. Juli 2017 scheitert daran, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert war, weil es an einer fortlaufend bescheinigten lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit fehlt. Eine den Anspruch auf Krankengeld umfassende Mitgliedschaft bestand nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufgrund der tatsächlichen Zahlung von Krankengeld durch die Beklagte bis zum 25. Juli 2017. Es war grundsätzlich die Pflicht der Klägerin, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig, spätestens am nächsten Werktag, dem 26. Juli 2017, ärztlich feststellen zu lassen, da Dr. C. am 28. Juni 2017 die AU bis 25. Juli 2017 bescheinigte (Bl. 9 VA). Dieser Pflicht ist die Klägerin nicht nachgekommen, da sie unstreitig erst am 28. Juli 2017 ihren Arzt aufsuchte.

Es liegt kein durch das Verhalten der Beklagten begründeter, von der Rechtsprechung des BSG anerkannter Ausnahmefall vor. Trotz der gebotenen grundsätzlich strikten Anwendung der gesetzlichen Regelungen hat die Rechtsprechung des BSG in engen Grenzen bestimmte Ausnahmen von den Vorgaben und Grundsätzen anerkannt. So sind dem Versicherten gleichwohl Krankengeldansprüche zuerkannt worden, wenn die ärztliche Feststellung (oder die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind (zusammenfassend BSG, Urteil vom 8.11.2005, B 1 KR 30/04 R). Derartiges hat das BSG bejaht bei Fristversäumnissen wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten, im Falle des verspäteten Zugangs der Arbeitsunfähigkeitsmeldung bei der Krankenkasse aufgrund von Organisationsmängeln, die diese selbst zu vertreten hat, für Fälle einer irrtümlichen Verneinung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten aufgrund ärztlicher Fehlbeurteilung sowie bei einem von der Krankenkasse rechtsfehlerhaft bewerteten Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nach Aufgabe des letzten Arbeitsplatzes. Als entscheidend für die Anerkennung solcher Ausnahmen hat es das BSG angesehen, dass der Versicherte die ihm vom Gesetz übertragene Obliegenheit, für eine zeitgerechte ärztliche Feststellung der geltend gemachten Arbeitsunfähigkeit Sorge zu tragen, erfüllt, wenn er alles in seiner Macht Stehende tut, um die ärztliche Feststellung zu erhalten: Er hat dazu den Arzt aufzusuchen und ihm seine Beschwerden vorzutragen. Unterbleibt die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung dann gleichwohl aus Gründen, die dem Verantwortungsbereich des Arztes zuzuordnen sind, darf sich das nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken, wenn er seinerseits alles in seiner Macht Stehende getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde. Hinzukommen muss anschließend, dass der Versicherte seine Rechte bei der Krankenkasse innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht. Unter diesen engen Voraussetzungen kann die Unrichtigkeit der ärztlichen Beurteilung auch durch die nachträgliche Einschätzung eines anderen ärztlichen Gutachters nachgewiesen werden und der Versicherte ausnahmsweise auch rückwirkend Krankengeld beanspruchen. Für diesen Ausnahmefall spricht vor allem, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Versicherten an der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auf das ihm Zumutbare beschränkt ist. Verneint der behandelnde Vertragsarzt die (medizinischen) Voraussetzungen für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit zu Unrecht, muss sich der Versicherte daher nicht so lange um (vertrags-)ärztliche Diagnostik bemühen, bis ihm (endlich) ein anderer Arzt die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Gegenteiliges würde nämlich zum einen das Vertrauen zu den in das Leistungssystem der Gesetzlichen Krankenversicherung einbezogenen Ärzten untergraben und zudem einem nicht erwünschten sog "Arzt-Hopping" Vorschub leisten. Demgemäß fällt die objektive medizinische Fehlbeurteilung eines an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R, Rn. 22 - 24, 34 juris, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 37/14, Rn. 26 – 28 juris, HLSG Urteil vom 20. Dezember 2018, L 8 KR 65/18, Urteil vom 14. März 2019, L 8 KR 455/17, Urteil vom 23. Mai 2017, L 8 KR 492/17).

Ein der Beklagten zurechenbares Fehlverhalten eines Arztes liegt hier nicht vor. Denn am 26. Juli 2017 hat keinerlei Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden. Die Klägerin hat unstreitig erst am 28. Juli 2017 ihren Arzt Dr. C. aufgesucht, obwohl sie durch die Beklagte mit Schreiben vom 1. März 2017 darauf hingewiesen worden war, dass sie ihre Arbeitsunfähigkeit lückenlos attestieren lassen muss. Der Einwand der Klägerin, von der Beklagten ein Informationsblatt nicht erhalten bzw. nicht informiert worden zu sein, greift nicht durch, da die Beklagte nicht verpflichtet war, die Klägerin auf ihre Obliegenheiten, nämlich die Notwendigkeit der rechtzeitigen, erneuten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung und die eventuell gravierenden Folgen hinzuweisen (BSG, Urteile vom 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R, Rn. 25 –juris, B 1 KR 25/14 R, Rn. 16 –juris). Die Klägerin hat damit am 26. Juli 2017 nicht alles in ihrer Macht Stehende und Zumutbare unternommen, um die Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig verlängern zu lassen. Wäre die Klägerin am 26. Juli 2017 zu (irgend-) einem Arzt gegangen und hätte dort ihre Beschwerden geschildert, wäre die Weigerung der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei tatsächlich vorliegender Arbeitsunfähigkeit dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen gewesen. So ein Fall ist vorliegend aber weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. 

Insbesondere führt die in der Verwaltungsakte auf Bl. 11/12 befindliche, am 28. Juni 2017 bis 28. Juli 2017 ausgestellte und am 4. August 2017 bei der Beklagten eingegangene AU-Bescheinigung zu keiner anderen Bewertung. Die Klägerin gab in ihrer Widerspruchsbegründung vom 4. August 2017 an, von der Beklagtenmitarbeiterin Frau K. am 1. August telefonisch auf die Lücke am 26. und 27. Juli 2017 hingewiesen worden zu sein. Ihr Arzt Dr. C. habe die Krankmeldung korrigiert. Die Klägerin habe diese dann am 3. August 2017 bei der Beklagten eingereicht und um Anerkennung der Korrektur gebten. Ihr behandelnder Arzt Dr. C. bestätigte zeitnah unter dem 7. August 2017, die Klägerin habe nach der Krankmeldung bis zum 26. Juli 2017 erst am 28. Juli 2017 einen Termin gehabt. Möglicherweise sei aufgrund der Urlaubszeiten ein Fehler in der Terminvergabe erfolgt. Hierdurch sei leider formal eine Lücke in den Bescheinigungen der AU entstanden. Es habe aber durchweg AU wegen eines mittelgradigen depressiven Syndroms bestanden. Durch diese Angaben der Klägerin und ihres behandelnden Arztes ist es vom Ablauf her nachvollziehbar (vgl. Eingangstempel) und glaubhaft zu einer Lücke zwischen den Bescheinigungen vom 28. Juni 2017 und 28. Juli 2017 gekommen. Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, ob die Klägerin tatsächlich AU war. Der neuerliche Vortrag im Klageverfahren, am 28. Juni 2017 seien zwei AU-Bescheinigungen ausgestellt und die falsche Bescheinigung sei an die Klägerin überreicht worden, vermag dagegen nicht zu überzeugen. Dr. C. vermochte unter dem 9. Februar 2018 den Hergang nicht mehr zu rekonstruieren, was zu Lasten der Klägerin geht. Er hielt es lediglich für möglich, dass der Klägerin die falsche Krankmeldung mitgegeben worden sei. An diesem Hergang hat das Gericht erhebliche Zweifel, da ein derartiges Versehen – unterstellt es hat sich so zugetragen - unmittelbar im Juli oder August 2017 (nach dem Telefonat mit der Beklagten) hätte auffallen und ausgeräumt werden können.

Ein nachgehender Krankengeldanspruch vom 26. Juli 2017 bis 25. August 2017 gemäß §§ 19 Abs. 2 Satz 1, 44 SGB V besteht nicht, weil die durchgeführte Familienversicherung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB V Vorrang hat, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
Saved