L 5 AS 95/22

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 1322/21 WA
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 95/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Bei einer gemeinschaftlichen Vertretung von Streitgenossen durch einen Rechtsanwalt (hier: Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II) schuldet jeder der Auftraggeber die Gebühren und Auslagen, als wäre der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden.
2. Bei der jeweiligen Prüfung, ob die voraussichtlichen Prozesskosten vier Monatsraten übersteigen (§ 115 Abs. 4 ZPO), ist die Gebührenberechnung ohne Mehrvertretungsgebühr maßgeblich.
3. Wenn nur bei einem der Streitgenossen die Voraussetzungen für die beantragte Prozesskostenhilfe vorliegen, ist die Bewilligung für den anderen Streitgenossen bezüglich der Rechtsanwaltsgebühren auf die Mehrvertretungsbeträge beschränkt.

 

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird abgelehnt.

 

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ab dem 9. März 2013, beschränkt auf die Mehrvertretungsgebühr i.H.v. 158,51 €, bewilligt und Rechtsanwältin K. aus B. zur Vertretung in dem Verfahren beigeordnet.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Die nicht miteinander verheirateten Kläger hatten als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bezogen. Auf ihre Klage verurteilte das Sozialgericht den Beklagten, höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu bewilligen (S 14 AS 1322/21 WA). Dagegen hat der Beklagte Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Das Berufungsverfahren ist am 3. April 2023 durch angenommenes Teilanerkenntnis sowie Klagerücknahme im Übrigen erledigt worden.

 

Die Kläger haben bereits am 23. März 2022 Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt. Sie haben am 9. März 2023 die Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen übersendet.

 

Die Prozessbevollmächtigte der Kläger hat unter dem 12. Mai 2023 die Kostenberechnung für den Rechtsstreit vorgelegt. Danach betrage das Honorar insgesamt 710,67 €. Sie hat u.a. eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG i.H.v. 133,20 € zzgl. Umsatzsteuer (= 158,51 €) abgerechnet.

 

II.

 

Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine Prüfung der Erfolgsaussichten findet nicht statt, wenn - wie hier - der Beklagte in einem höheren Rechtszug das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 119 Abs. 1 S. 2 ZPO).

 

Dabei hat der Antragsteller gemäß § 115 ZPO für die Prozessführung sein Einkommen und Vermögen einzusetzen, soweit ihm dies nicht aufgrund der dort genannten Tatbestände unzumutbar ist.

 

1.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, weil er die Kosten der Prozessführung aus seinem Einkommen selbst aufbringen kann.

 

a.

 

Er verfügt über zwei Renten mit Zahlbeträgen von 500,61 €/Monat und 721,63 €/Monat (= 1.222,24 €/Monat).

 

b.

 

Davon sind abzusetzen der Pauschbetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) ZPO (= 551 €), ferner die Mietkosten gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO (= 162,50 €) sowie als besondere Belastung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 ZPO die Kfz-Versicherung (= 80,44 €). Es verbleibt ein einzusetzendes Einkommen von 428,30 €.

 

c.

 

Davon sind gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO Raten i.H.v. 214 €/Monat festzusetzen.

 

d.

 

Die Prozesskosten des Klägers übersteigen vier Monatsraten (= 856 €) nicht, weshalb die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausscheidet (§ 115 Abs. 4 PZO).

 

Die Kläger haben vor dem Sozialgericht jeweils höhere Leistungen nach dem SGB II und somit gesonderte Individualansprüche geltend gemacht. Die Bevollmächtigungen ihrer Rechtsanwältin erfolgten für das gerichtliche Verfahren als Streitgenossen (§ 74 SGG i.V.m. § 60 ZPO).

 

Bei einer gemeinschaftlichen Vertretung von Streitgenossen durch einen Rechtsanwalt schuldet jeder der Auftraggeber nur die Gebühren und Auslagen, als wäre der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden (§ 7 Abs. 2 S. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG]). Ausgehend von der Gebührenberechnung der Prozessbevollmächtigten kann diese also - ohne die Mehrvertretungsgebühr - ein Honorar i.H.v. 552,16 € von dem Kläger verlangen.

 

2.

 

Die Klägerin hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe, weil sie die Kosten der Prozessführung aus ihrem Einkommen nicht selbst aufbringen kann.

 

a.

 

Sie verfügt über eine Rente mit einem Zahlbetrag von 731,51 €/Monat. Dazu kommt das Wohngeld i.H.v. 239 € (= 970,51 €/Monat).

 

b.

 

Davon sind abzusetzen der Pauschbetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) ZPO (=551 €) und ferner die angegebenen Mietkosten gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO (= 336 €). Es verbleibt ein einzusetzendes Einkommen von 83,51 €.

 

c.

 

Davon sind gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO Raten i.H.v. 41 €/Monat festzusetzen.

 

d.

 

Die Prozesskosten der Klägerin übersteigen vier Monatsraten (= 164 €), sodass gemäß § 115 Abs. 4 ZPO die Prozesskostenhilfe nicht ausgeschlossen ist.

 

Bei dieser Prüfung ist nicht die Mehrvertretungsgebühr maßgeblich, auf die die bewilligte Prozesskostenhilfe beschränkt worden ist. Vielmehr ist auf die Kosten abzustellen, die die Klägerin ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraussichtlich noch aufzubringen hätte (Bundesgerichtshof [BGH], Beschluss vom 3. Juni 2019, II ZR 22/19 [16]).

 

Ausgehend von der Gebührenberechnung der Prozessbevollmächtigten könnte diese - ohne die Mehrvertretungsgebühr - ein Honorar i.H.v. 552,16 € von der Klägerin verlangen (s.o.). Dieser Betrag liegt über den einzusetzenden vier Monatsraten.

 

e.

 

Die Prozesskostenhilfebewilligung war jedoch auf die Mehrvertretungsgebühr i.H.v. 158,51 € zu beschränken.

 

Wenn zwei Streitgenossen einen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit beauftragen, aber nur bei einem die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen, ist diese Bewilligung bezüglich der Rechtsanwaltsgebühren auf die Erhöhungsbeträge beschränkt. Diese können von den Vergütungsansprüchen nach dem RVG abweichen. Denn es bedarf keines Gleichlaufs von Prozesskostenhilfebewilligung und Vergütungsanspruch. Der Prozessbevollmächtigte erhält aufgrund seines Anspruchs gegen den finanziell leistungsfähigen Streitgenossen - den Kläger - die geschuldete Vergütung (ohne Mehrvertretungsgebühr). Die prozesskostenhilfeberechtigte Streitgenossin - die Klägerin - wird vor einer weiteren Inanspruchnahme geschützt, weil ihre Prozessbevollmächtigte an der Geltendmachung ihres Vergütungsanspruchs gemäß § 7 Abs. 2 S. 1 RVG gehindert ist (BGH, Beschluss vom 3. Juni 2019, II ZR 22/19 unter ausdrücklicher Bestätigung der früheren Rechtsprechung im Beschluss vom 1. März 1993, II ZR 179/91).

 

f.

 

Die Prozesskostenhilfe war ab dem Zeitpunkt der Vorlage der gemäß § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 9. März 2023 zu bewilligen.

 

3.a.

 

Die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten ist gemäß § 121 S. 2 ZPO erforderlich gewesen.

 

b.

 

Eine Beschränkung der Beiordnung auf die Bedingungen einer im Bezirk des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ansässigen Rechtsanwältin gemäß § 121 Abs. 3 ZPO war nicht vorzunehmen. Denn wegen deren Sitzes außerhalb von Sachsen-Anhalt können keine höheren Kosten entstehen. Dies könnte nur Reisekosten betreffen, die aber bis zum Abschluss des Verfahrens nicht angefallen sind. Außerdem gibt es im Land Sachsen-Anhalt Orte, die von Halle/Saale weiter entfernt sind als B.

 

4.

 

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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