L 2 AS 635/22 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 29 AS 1111/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 635/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Der Beklagte und Beschwerdegegner (im Folgenden: Beklagter) wendet sich gegen einen Berichtigungsbeschluss des Sozialgerichts (SG) H. in Bezug auf einen Kostentenor in einem Urteil.

 

Die Kläger und Beschwerdegegner (im Folgenden: Kläger) erhoben am 13. April 2018 Klage vor dem SG wegen höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; jetzt: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende) für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2017. Insbesondere stritten die Beteiligten darüber, ob neben dem Geschäftsführergehalt des Klägers zu 2. in Höhe von 500 € monatlich noch weitere 148,71 € als Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb (Gewinn der GmbH, deren Alleingesellschafter der Kläger zu 2. war) als Einkommen anzurechnen sind. Der Widerspruch der Kläger gegen die endgültige Bewilligung mit der Anrechnung der 148,71 € war erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 12. März 2018).

 

Mit Urteil vom 10. Mai 2022 gab das SG der Klage statt und verpflichtete den Beklagten, den Klägern für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2017 Leistungen ohne Anrechnung von Einkünften aus dem Gewerbebetrieb des Klägers zu 2. in Höhe von 148,71 € monatlich zu gewähren. Die Kostenentscheidung lautete: „Der Beklagte hat den Klägern die Kosten für das Klageverfahren zu erstatten.“ In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, dass die Klage begründet sei. Zur Kostenentscheidung hieß es: „Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG“

 

In Bezug auf das ihren Prozessbevollmächtigten am 11. Mai 2022 zugestellte Urteil haben diese für die Kläger am 9. September 2022 einen Antrag auf Urteilsberichtigung gestellt. Der Kostentenor sei zu berichtigen und den Klägern seien auch die Kosten für das Widerspruchsverfahren zu erstatten. Denn § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfasse alle durch den Rechtsstreit und das Vorverfahren entstehenden erstattungsfähigen Kosten. Dies beruhe auf dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung im Sozialrecht. Der Beklagte verweigere die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.

 

Die Kammervorsitzende hat die Beteiligten dazu angehört, dass beabsichtigt sei, die Kostenentscheidung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit von Amts wegen zu berichtigen. Die Formulierung „Kosten für das Klageverfahren“ sei versehentlich erfolgt. Nach Auffassung des Beklagten wurde keine Entscheidung zu den Widerspruchskosten getroffen. Selbst unter Berücksichtigung der Urteilsgründe handele es sich nicht um eine offensichtliche Unrichtigkeit, weil allein auf § 193 SGG verwiesen worden sei. Insofern handele es sich um einen Fall für eine Urteilsergänzung, wofür die Fristen jedoch bereits verstrichen seien.

 

Mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 hat die Vorsitzende der Kammer beschlossen, dass der Kostentenor berichtigt werde. Er laute nunmehr: „Der Beklagte hat den Klägern die Kosten zu erstatten“. Es handele sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit. Es liege ein Fehler im Ausdruck des Willens vor, der zu dem Erklärungswillen erkennbar im Widerspruch stehe. Es sei ein Fehler in der Erklärung. Nach § 193 SGG sei selbstverständlich, dass den vollständig obsiegenden Klägern auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten seien.

 

Gegen den dem Beklagten am 26. Oktober 2022 zugestellten Beschluss hat dieser am 23. November 2022 Beschwerde eingelegt. Der Fehler im Ausdruck des Gewollten bzw. das Auseinanderfallen von Gewolltem und Erklärtem müsse offenbar sein, also auf der Hand liegen und auch einem verständigen Außenstehenden ohne Weiteres aus der Entscheidung selbst oder aus den Vorgängen bei Erlass der Entscheidung klar erkennbar, eindeutig und augenfällig sein. Dass eine Kostenentscheidung unbrauchbar sei, rechtfertige auch bei offensichtlichen Rechtsfehlern keine weitergehende Korrekturmöglichkeit. Es bleibe unklar, ob der Widerspruch auf einem Fehler in der Erklärung oder auf einem Rechtsanwendungsfehler beruhe.

 

Die Kläger halten die Korrektur für zutreffend. Der ursprüngliche Kostentenor habe gegen den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung verstoßen.

 

Der Senat hat die Gerichtsakte des Klageverfahrens beigezogen.

 

II.

 

Die Beschwerde gegen die Urteilsberichtigung ist zulässig. Sie ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft. Der Beschwerdeausschluss in § 319 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) kommt nicht über die allgemeine Verweisung in § 202 Satz 1 SGG auch in der Sozialgerichtsbarkeit zur Anwendung, weil das SGG insoweit in den §§ 138, 172 eine eigenständige Regelung enthält (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 138 Rn. 5). Es kann dahinstehen, ob die Berufung in der Hauptsache der Zulassung bedarf, weil eine Beschwerde gegen einen Berichtigungsbeschluss auch in solchen Verfahren nicht ausgeschlossen ist. Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG).

 

Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht den Kostentenor wie geschehen berichtigt. Gem. § 138 Satz 1 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Der Begriff der Unrichtigkeit meint eine Abweichung des Erklärten vom Gewollten. Der Fehler betrifft einen Fehler im Ausdruck des Willens – also einen Artikulationsfehler, nicht erfasst werden Fehler in der Willensbildung (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 6. März 2012 – B 1 KR 43/11 B – juris Rn. 5). Die Urteilsformel ist in diesem Sinne unrichtig, wenn sie nicht der tatsächlichen Entscheidung entspricht, also bei einem Kollegialgericht dem Ergebnis der Beratung des Spruchkörpers. Die Unrichtigkeit ist offenbar, wenn sie sich aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder aus den Vorgängen bei seiner Verkündung ergibt (vgl. Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss vom 29. August 2001 – 5 AZB 32/00 – juris Rn. 15).

 

Hier liegt ein solcher offenbarer Fehler im Ausdruck des Willens vor. Das SG hat der Klage stattgegeben, und es liegen keine Umstände vor, die bei der Kostenentscheidung eine Differenzierung zwischen dem Widerspruchs- und dem Klageverfahren plausibel erscheinen ließen. Dies war auch für die Beteiligten erkennbar. Es deutet deshalb nichts darauf hin, dass die Willensbildung der Kammer die notwendig zu treffende Entscheidung über die Kosten des Vorverfahrens nicht umfasst hätten. Dieser Befund wird bestätigt durch die Ausführungen der Kammervorsitzenden und die schriftlichen Urteilsgründe. So hat diese in der Anhörung zur Berichtigung und im Änderungsbeschluss zum Ausdruck gebracht, dass die Formulierung „Kosten für das Klageverfahren“ nach dem Willen der Kammer keine Einschränkung der Kostenerstattung darstellen sollte und sowohl die Kosten des Widerspruchsverfahrens als auch des Klageverfahrens erfasst sein sollten. Dies habe aber die „versehentlich“ verwendete Formulierung nicht entsprechend abgebildet. Auch der pauschale Hinweis auf § 193 SGG ohne weitere Erläuterungen zeigt, dass keine Besonderheiten der Kostenentscheidung ausgedrückt werden sollten, sondern der Standardkostentenor bei einer stattgebenden Entscheidung gemeint war. Die versehentlich gewählte falsche Formulierung kann dann korrigiert werden.

 

Eine Kostenentscheidung ergeht im Beschwerdeverfahren nicht, weil es sich nicht um eine selbständige Streitsache handelt.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

gez. Dr. Harks                                    gez. Dr. Schmidt                                gez. Wulff

Rechtskraft
Aus
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