Ändert ein Unfallversicherungsträger seine Beitragsregelungen dahingehend, dass tatsächliche Verhältnisse der Bemessung im aktuellen Jahr nicht berücksichtigt werden können, bedarf es zumindest einer Härten dämpfenden Übergangsregelung. Führt ihr Fehlen dazu, dass die Beitragsforderung gemessen an den tatsächlichen Verhältnissen im laufenden Jahr um mehr als das 30-fache überhöht ist, ist die zu Grunde liegende Satzungsregelung wegen Unverhältnismäßigkeit nichtig.
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Mai 2019 sowie der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert wird auf 66.585,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist der Beitrag zur Beklagten für das Jahr 2015.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft, in der die ursprünglich beitragspflichtige Gesellschaft (mit Wirkung zum 8. Juli 2022) durch Verschmelzung eingegangen ist. Unternehmensgegenstand der ursprünglichen Klägerin (B GmbH), deren Gesellschafter u.a. der frühere Landkreis B als Rechtsvorgänger des Landkreises A war, ist nach § 2 ihres Gesellschaftsvertrages (Satzung) vom 14. Februar 1991 die Konzipierung und Koordinierung von Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) für arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer sowie die Verwaltung und Verwertung von Sachanlagen, die im Rahmen der Realisierung von ABM und anderen geförderten Maßnahmen erworben wurden.
Mit Bescheid vom 29. Dezember 1997 überführte das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt die Rechtsvorgängerin der Klägerin (nachfolgend einheitlich Klägerin) mit Wirkung vom 1. Januar 1998 an in die Zuständigkeit der Beklagten.
Mit Vertrag vom 27. Juni 2001 verschmolz die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 2001 an mit der F GmbH W.. Entsprechend erweiterte sich ihr Unternehmensgegenstand laut § 2 des Gesellschaftsvertrages vom 10. April 2001 auf Fördergebiete der Forschung, Wissenschaft und Technologie.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2006 teilte die Beklagte der Klägerin ihre nach wie vor bestehende Zuständigkeit mit. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 1. Juni 2010 veranlagte sie die Klägerin zur Umlagegruppe KL2 (rechtlich selbständige Arbeitsförderungsgesellschaften, die überwiegend nach dem SGB II bzw. dem SGB III geförderte Personen beschäftigen).
Die Beklagte forderte jeweils weiterhin für die laufenden Kalenderjahre einen Vorschuss und setzte die Beiträge nachfolgend endgültig fest (z.B. für die Jahre 2011, 2012 und 2013 auf 107.476,01 €, 177.565,71 € bzw. 156.118,82 €).
Mit Beschluss vom 25. März 2013 löste sich die Klägerin zum 31. März 2013 auf; ihre Tätigkeit beendete sie zum 31. Dezember 2014 (seither B GmbH i.L.). Für 2014 sei – so ihr Schreiben vom 27. Februar 2014 – mit durchschnittlich 201 Vollzeitbeschäftigten zu rechnen.
Mit Vorschussbescheid vom 12. März 2014 setzte die Beklagte daraufhin für das Beitragsjahr 2014 auf der Grundlage von 201 Vollbeschäftigten einen Beitrag i.H.v. 91.716,30 € fest.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2014 informierte die Beklagte die Klägerin über die zum Januar 2015 geplante Satzungsänderung, wonach u.a. die bisherige Sonderregelung für die Umlagegruppe KL2 zur Vorschusserhebung im Beitragsjahr und Abrechnung der Beiträge im Folgejahr nach tatsächlicher Zahl der Versicherten nicht mehr vorgesehen sei.
Am 17. September 2014 teilte die Klägerin der Beklagten telefonisch mit, die letzten Maßnahmen liefen zum 31. Dezember 2014 aus. Derzeit seien bei ihr noch sechs Vollzeitbeschäftigte tätig; wie viele von diesen auch noch 2015 benötigt würden, sei noch unklar.
Unter dem 15. Januar 2015 meldete die Kläger der Beklagten für das Jahr 2014 sieben in Vollzeit tätige Versicherte (7 Vollbeschäftigungseinheiten), 324 in Teilzeit tätige Versicherte (27 Vollbeschäftigungseinheiten) sowie 1.094 zeitweilig tätige Versicherte (158,63 Vollbeschäftigungseinheiten), womit zusammen 192,63 Vollbeschäftigte resultierten. Im Jahr 2015 würden bei ihr maximal sechs Vollbeschäftigte tätig sein.
Mit Schreiben vom 23. Februar 2015 wies die Klägerin nochmals auf die Liquidation sowie die für 2015 voraussichtlich sechs Vollbeschäftigten hin und bat um entsprechende Beitragsanpassung für das Jahr 2015.
Mit Bescheid vom 11. März 2015 setzte die Beklagte den Beitrag für das Jahr 2015 auf Grundlage von § 24 Abs. 5 ihrer Satzung vom 9. Dezember 1997 in der zum 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Fassung der 9. Änderung vom 19. November 2014 ausgehend von 193 Vollbeschäftigten sowie der Umlagegruppe KL2 auf insgesamt 66.585,00 € fest. Diese Satzungsregelung lautet:
„Die Umlagegruppen KL1 bis KL3 werden nach der in Vollbeschäftigungseinheiten gemessenen Zahl der Versicherten veranlagt. Maßgeblich ist im Beitragsjahr die Zahl der Versicherten des Vorjahres (Sätze 1 und 2). Ist in der Umlagegruppe KL1, KL2 oder KL3 die in Vollbeschäftigungseinheiten gemessene Zahl der Versicherten in dem dem Beitragsjahr vorangegangenen Jahr (Bemessungsjahr) geringer als 80 vom Hundert der in dieser Umlagegruppe im Durchschnitt der dem Bemessungsjahr vorangegangenen 5 Jahre in Vollbeschäftigungseinheiten gemessenen Zahl der Versicherten und übersteigt der aus dem Anteil dieser Umlagegruppe am Gesamtbedarf resultierende Beitragssatz je vollbeschäftigtem Versicherten den Betrag von 1/7 der für das Beitragsjahr geltenden monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV), so wird in dieser Umlagegruppe der Beitragssatz je vollbeschäftigtem Versicherten der Höhe nach auf den Betrag von 1/7 der für das Beitragsjahr geltenden monatlichen Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) beschränkt" (Satz 6).
Die bis zum 31. Dezember 2014 geltende Satzung der Beklagten in der Fassung der 8. Änderung vom 23. November 2011 enthielt in § 24 Abs. 5b) Folgendes:
„Unternehmen, die auf Dauer überwiegend Personen im Rahmen von Arbeitsförderungsmaßnahmen nach den Sozialgesetzbüchern II oder III beschäftigen, werden durch Bescheid der Umlagegruppe KL2 [rechtlich selbständige Arbeitsförderungsgesellschaften] zugeordnet. Umlagemaßstab für die Umlagegruppe KL2 ist die Zahl der Versicherten im Beitragsjahr. Der Anteil des Umlagesolls der Umlage KL2 ist im Beitragsjahr durch Vorschüsse der zugeordneten Unternehmen aufzubringen. Die Höhe der Vorschüsse bemisst sich im Regelfall nach der Zahl der Versicherten des Vorjahres. Sofern sich die Zahl der Versicherten im Beitragsjahr um voraussichtlich mindestens 25 vom Hundert erhöhen oder vermindern wird, kann diese Zahl der Versicherten für die Berechnung der Höhe der Vorschüsse zugrunde gelegt werden, wenn dies beantragt wird. Die gezahlten Vorschüsse sind im Folgejahr auf der Grundlage der Zahl der Versicherten des Beitragsjahres abzurechnen.“
Zur Begründung ihres am 11. März 2015 gegen diesen Beitragsbescheid erhobenen Widerspruchs verwies die Klägerin nochmals auf die 2015 maximal tätigen sechs Vollbeschäftigten. Für die Beitragsfestsetzung sei § 25 der Satzung heranzuziehen, wonach in Liquidation befindliche Unternehmen nur nach den tatsächlich beschäftigen Arbeitnehmern zu veranlagen seien. Zugleich beantragte sie eine anteilige Niederschlagung bzw. einen anteiligen Erlass der Beitragsforderung.
In § 25 der Satzung ist Folgendes geregelt:
„Die Unternehmer haben auf Anforderung Vorschüsse auf die Beiträge zu leisten (§§ 164 Abs. 1, 185 Abs. 1 SGB VII). Steht die Liquidation eines rechtlich selbständigen Unternehmens bevor, ist ein Beitragsvorschuss zu erheben, soweit der Beitrag für das laufende Geschäftsjahr noch nicht erhoben wurde.“
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die wegen der besonderen Erstattungsverfahren für Fördermaßnahmen nach dem SGB II bzw. dem SGB III bis Ende 2014 für die Umlagegruppe KL2 gültige Sonderregelung mit Vorschusszahlung im Beitragsjahr und Abrechnung nach der Zahl der Versicherten im Folgejahr sei entfallen. Nach der nunmehr gültigen Satzung sei für die Beitragsfestsetzung einheitlich die Zahl der Versicherten des Vorjahres maßgeblich. Der nach § 25 der Satzung für den Fall einer Liquidation vorgesehene Vorschuss finde (nur) Anwendung, soweit der Beitrag für das laufende Geschäftsjahr noch nicht erhoben worden sei.
Am 6. August 2015 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau Klage erhoben. Die Beitragsfestsetzung der Beklagten sei eine unbillige Härte und entsprechend § 242 Bürgerliches Gesetzbuch treuwidrig. Ihre Geschäftstätigkeit beschränke sich seit Beginn 2015 ausschließlich auf Vermögensverwaltung und -verwertung. Da sie ihre Tätigkeit als rechtlich selbständige Arbeitsförderungsgesellschaft damit vollständig eingestellt habe, sei sie der Umlagegruppe KL3 (rechtlich selbständige sonstige Unternehmen) zuzuordnen. Die Liquidation sei der Beklagten spätestens seit dem 17. September 2014 bekannt gewesen. Statt entsprechend § 25 ihrer Satzung (nur) einen Vorschuss zu erheben, habe die Beklagte den Beitrag (sogleich endgültig) festgesetzt und dabei fehlerhaft die Umlagegruppe KL2 mit 193 Beschäftigten herangezogen. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 seien bei ihr drei bzw. jeweils zwei Mitarbeiter beschäftigt gewesen. Ohne Anwendung von § 25 der Satzung liege ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Grundgesetz (GG) vor.
Die Beklagte hat wiederholt, § 25 der Satzung diene entsprechend den §§ 164 Abs. 1, 185 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) der Sicherung des Beitragsaufkommens und beziehe sich ausschließlich auf vom streitgegenständlichen Bescheid nicht betroffene Vorschüsse. Während der Liquidation würden nacheinander die Unternehmensfelder eingestellt und die Vermögenswerte aufgelöst; an der Art des sich in Abwicklung befindlichen Unternehmens ändere sich nichts. Für ein Abstellen auf lediglich sechs Mitarbeiter fehle die Rechtsgrundlage. Bei sechs Versicherten wäre für 2015 in der Umlagegruppe KL2 ein Beitrag von 2.070,00 € angefallen; in der Umlagegruppe KL3 hätte sich dieser insoweit auf 760,80 € belaufen.
Mit Urteil vom 7. Mai 2019 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Unstreitig sei die Beitragspflicht der Klägerin dem Grunde nach. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 SGB VII unterlägen die Beschäftigten der Klägerin als Personen in einer Maßnahme der Bundesagentur für Arbeit oder eines Trägers der Leistungen nach dem SGB II kraft Gesetzes der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung. Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII SGB VII seien beitragspflichtlg die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig seien oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stünden. Ihre Zuständigkeit für die Klägerin habe die Beklagte spätestens unter dem 17. Januar 2006 festgestellt.
Nach den §§ 151 Satz 2, 152, 153, 168 SGB VII werde die Beitragsberechnung in der Satzung insbesondere unter Berücksichtigung von Risikogruppen und eines angemessenen solidarischen Ausgleichs durch autonomes Recht festgelegt, wobei der Satzungsgeber über einen weiten Gestaltungsspielraum verfüge. Satzungsbestimmungen seien daher gerichtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar seien. Ob die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung getroffen worden sei, sei dagegen unerheblich (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15. Dezember 1982 – 2 RU 61/81 – juris; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18. Mai 1971 – 1 BvL 7/69, 1 BvL 8/69 – juris). Maßgebend sei nur, ob sachgerechte oder plausible Gründe für die getroffene Regelung existierten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Mai 1973 – 8/7 RU 43/71 – juris; Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. Juni 2018 – L 6 KR 15/17 – juris).
Die Beklagte sei bei ihrer Berechnung rechtmäßig von der Umlagegruppe KL2 ausgegangen, zu der nach § 24 Abs. 3 Satz 3 der Satzung die rechtlich selbständigen Arbeitsförderungsgesellschaften gehörten. Wenngleich die Klägerin sich in Liquidation befinde, bleibe sie aufgrund ihres in § 2 ihrer Satzung festgelegten Gegenstandes (Konzipierung und Koordinierung von Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsprogrammen für arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer) eine rechtlich selbständige Arbeitsförderungsgesellschaft. Zudem sei der Zuweisungsbescheid vom 1. Juni 2010 bestandskräftig. Die Beklagte habe den Beitrag auch zu Recht nicht zunächst als Vorschuss gefordert. Ein Vorgehen nach § 25 der Satzung sei dann nicht mehr zwingend, wenn – wie hier – bereits eine endgültige Regelung erfolgt sei. Die Beklagte habe sich auch rechtmäßig auf § 24 Abs. 5 der für das Jahr 2015 gültigen Satzung gestützt. Über die entsprechende Änderung habe sie die Klägerin mit Schreiben vom 17. Juli 2014 rechtzeitig informiert. Demnach seien für die Beitragsbemessung 193 Beschäftigte der Klägerin des Jahres 2014 zugrunde zu legen, obwohl im Beitragsjahr nur noch sechs Personen bei ihr tätig gewesen seien. Gemäß § 155 SGB VII könne die Satzung bestimmen, dass die Beiträge nicht nach Arbeitsentgelten, sondern der Zahl der Versicherten unter Berücksichtigung der Gefährdungsrisiken berechnet würden. Dass dabei nur oder außerhalb von Ausnahmefällen auf das Beitragsjahr abzustellen sei, gehe aus den Vorschriften des SGB VII nicht hervor. Letztlich liege auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 oder gegen Art. 14 GG vor. Denn die Minderung der Beschäftigtenzahl wirke sich bei der Klägerin ab dem Jahr 2016 aus.
Gegen das ihr am 1. Juli 2019 zugegangene Urteil hat die Klägerin am 1. August 2019 unter Wiederholung ihres Vorbringens beim LSG Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt. Die Beklagte habe sie spätestens nach Erhebung des Widerspruchs in die Umlagegruppe KL3 einordnen müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Mai 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 11. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Nach der bis Ende 2014 geltenden Satzungslage hätten Unternehmen der Umlagegruppe KL2 Vorschüsse zu entrichten gehabt, weil die als Umlagemaßstab festgelegte Zahl der Versicherten im Beitragsjahr verbindlich erst rückwirkend feststellbar gewesen sei. Im Folgejahr seien die Vorschüsse dann auf Grundlage der tatsächlichen Beschäftigtenzahl des Beitragsjahres abgerechnet worden. Um hohe Nachzahlungen oder Erstattungen zu vermeiden, habe für die Vorschussberechnung die Möglichkeit eines Antrags auf Berücksichtigung der Zahl der Versicherten im Beitragsjahr bestanden, sofern sich diese um voraussichtlich 25 vH erhöhe oder vermindere. Auch ein Vorschuss nach § 25 der Satzung habe in Höhe des zu erwartenden Beitrags erhoben werden müssen. Im Übrigen führe eine Zuordnung zur Umlagegruppe KL3 aufgrund der hohen Unfalllast von Arbeitsförderungsgesellschaften mit daraus folgenden Entschädigungen zu einer Beitragserhöhung für die dieser Gruppe angehörenden Unternehmen, ohne dass das in Liquidation befindliche Unternehmen selbst einen adäquaten Beitrag leiste.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Dass die Beklagte für seinen Erlass zuständig war, dieser auf formell wirksamer Rechtsgrundlage fußt und die Beitragsfestsetzung auch nicht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten.
Die Zuständigkeit der Beklagten für die Klägerin folgt aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 29. Dezember 1997. Die hierin festgestellte Zuständigkeit ist infolge Beteiligtenwechsels von ihrer Rechtsvorgängerin (Gemeinde-Unfallversicherungsverband Sachsen-Anhalt) auf die Beklagte übergegangen und blieb nach den §§ 218d) Abs. 2, 129 Abs. 1 Nr. 1a) SGB VII (in der ab dem 1. Januar 2005 gültigen Fassung des Gesetzes zur Verbesserung des unfallversicherungsrechtlichen Schutzes bürgerschaftlich Engagierter und weiterer Personen vom 9. Dezember 2004, BGBl. I, 3299) über den 31. Dezember 2004 hinaus bestehen.
Anhaltspunkte dafür, dass die von ihrer Vertreterversammlung am 19. November 2014 beschlossene und am 15. Januar 2015 durch das Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt genehmigte 9. Änderung der Satzung der Beklagten rechtswidrig zustande gekommen oder bekanntgemacht worden ist (siehe MBl. LSA vom 16. Februar 2015, S. 100), sind weder von der Klägerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Der Bescheid vom 11. März 2015 setzt die Beitragsforderung der Beklagten für das Umlagejahr 2015 gegenüber der Klägerin im Sinne der §§ 33 Abs. 1, 35 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auch konkret beziffert fest und führt unter Bezugnahme auf die benannten Grundlagen hinreichend bestimmt aus, wie sich diese im Einzelnen berechnet.
Die nach § 24 Abs. 1 SGB X grundsätzlich erforderliche Anhörung (siehe zur Entbehrlichkeit jedoch § 168 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) hat die Beklagte jedenfalls im Widerspruchsverfahren gemäß § 41 Abs. 2 und 1 Nr. 3 SGB X wirksam nachgeholt. Der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 ist auch zu entnehmen, dass der Widerspruchsausschuss der Beklagten das Vorbringen der Klägerin zur Kenntnis genommen, erwogen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat (vgl. zur wirksamen Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren BSG, Urteil vom 23. Januar 2018 – B 2 U 4/16 R – juris).
Die Beitragsfestsetzung ist jedoch materiell rechtswidrig.
Ermächtigungsgrundlage des Bescheides vom 11. März 2015 ist § 185 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 168 Abs. 1 SGB VII, wonach der Unfallversicherungsträger dem Beitragspflichtigen den von ihm zu zahlenden Beitrag schriftlich mitteilt. Materieller Anknüpfungspunkt der Schuldnerschaft der Klägerin sind die §§ 185 Abs. 1 Satz 1, 150 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 1 Nr. 14 b) SGB VII.
Zwar ist der Beitrag auf Grundlage der bereits nach dem Bescheid vom 1. Juni 2010 mit bindender Wirkung (§ 77 SGG) vorgegebenen Umlagegruppe KL2 unter Heranziehung der nach § 24 Abs. 5 Satz 2 in der ab dem Jahr 2015 gültigen Satzung der Beklagten für das Jahr 2015 maßgeblichen 193 Vollbeschäftigten rechnerisch zutreffend ermittelt. Die Beklagte konnte sich zur Beitragsfestsetzung aber deshalb nicht auf diese Satzungsbestimmung stützen, weil die Regelung hinsichtlich der Umlagegruppe KL 2 nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Ihre Anwendung verstößt vorliegend gegen das Übermaßverbot des Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG.
Zunächst ist entsprechend § 185 Abs. 4 Satz 1 SGB VII nicht zu beanstanden, dass als Berechnungsgrundlage an die Zahl der Versicherten angeknüpft wird. Es mag auch legitim sein, zwecks Vereinheitlichung der nach § 24 Abs. 3 der Satzung (ebenfalls) der Umlagegruppen KL1, 2 und 3 angehörenden rechtlich selbständigen medizinischen Pflege- und Betreuungseinrichtungen, Arbeitsförderungsgesellschaften und sonstigen Unternehmen auf die Anzahl der Versicherten im Vorjahr abzustellen. Ohne dass es abschließender Klärung bedarf, ob das Gesetz entsprechendes generell ausschließt, lässt sich den §§ 185 Abs. 1 Satz 1, 165 Abs. 1 und 2, 164 Abs. 1 SGB VII immerhin entnehmen, dass sich der Jahresbeitrag bzw. Vorschuss grundsätzlich nach den Daten des laufenden Jahres richtet. Soweit § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB VII für den Bereich der allgemeinen Unfallversicherung – im Gegensatz zu anderen Zweigen der Sozialversicherung – eine Beitragserhebung nach Ablauf des Jahres im Wege des Umlageverfahrens vorsieht (Prinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung), stellt auch dies keine Abweichung dar. Vielmehr verbleibt es insoweit ebenfalls bei der charakteristischen Verbindung zwischen Beitrag und Kalenderjahr. Denn gemäß § 152 Abs. 1 Satz 2 SGB VII muss die Umlage den Bedarf des abgelaufenen Kalenderjahres decken. M.a.W. fußt auch hier der Beitrag auf den Daten des jeweiligen Jahres; lediglich die Erhebung ist auf das Folgejahr verschoben. Entsprechend wird in § 24 Abs. 4a) der Satzung für die Umlagegruppe KL6 (Privathaushaltungen) als Beitragsmaßstab – nach wie vor – die Zahl der Versicherten im Beitragsjahr herangezogen. Wenn demgegenüber § 24 Abs. 5 Satz 2 auf die Zahl der Versicherten des Vorjahres abstellt, bedarf es danach zumindest für eine Übergangsphase als Korrektiv jedenfalls dann einer angemessenen Härtefallklausel, wenn sich eine Unverhältnismäßigkeit der Beitragsfestsetzung – wie hier – aufdrängt. Daran fehlt es vorliegend.
Übergangsregelungen enthält die Satzung nicht. Ihr § 25 Satz 2 hilft ebenso wenig weiter. Selbst wenn nämlich auf Grundlage der Schreiben der Klägerin vom 23. Februar 2015 in Verbindung mit ihren Mitteilungen vom 23. Januar 2015 und 17. September 2014 die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass eines Vorschussbescheides angenommen wird (ein Antrag gemäß § 24 Abs. 5 b) Satz 5 der Satzung in der bis zum 31. Dezember 2014 gültigen Fassung geht wegen ersatzlosen Entfalls dieser Regelung ins Leere), ändert sich nichts am Ergebnis. Denn Anknüpfungspunkt der Vorschlussberechnung wäre wiederum die in § 24 Abs. 5 Satz 2 der Satzung vorgegebene Zahl der Versicherten des Vorjahres.
Auch § 24 Abs. 5 Satz 6 der Satzung scheidet als Härtefallregelung aus. Denn dieser stellt lediglich auf ein Absinken der Zahl der Versicherten im Bemessungsjahr um weniger als 80 vH der in der Umlagegruppe im Durchschnitt der diesem vorangegangenen fünf Jahre ab, erfasst von vornherein aber keine Veränderungen im laufenden Beitragsjahr.
Wenngleich eine Liquidation, bei der die laufenden Geschäfte der Gesellschaft zu beenden, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, ihre Forderungen einzuziehen, ihr Vermögen in Geld umzusetzen und ihre Gläubiger zu befriedigen sind (siehe § 70 Satz 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung bzw. § 149 Satz 1 Handelsgesetzbuch), keine gesetzliche Unternehmensänderung bewirkt, wusste die Beklagte jedoch bereits am 17. September 2014, dass bei der Klägerin auch damals nur noch sechs Vollzeitbeschäftigte tätig waren. Trotzdem wählte sie alternativlos eine Konstruktion, deren Folge für die Klägerin vorhersehbar eine übergangslose Belastung i.H.v. 66.585,00 € ist, wohingegen ihr Beitrag für das Jahr 2015 auf Grundlage der bis zum 31. Dezember 2014 gültigen Satzungslage in der Umlagegruppe KL2 bei sechs Versicherten entsprechend der Berechnung der Beklagten vom 8. Februar 2019 bei 2.070,00 € läge. Eine derartige Erhöhung um mehr als das 32fache (66.585,00 € : 2.070,00 €) sprengt jede Relation und ist daher unangemessen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt z.B. BSG, Urteil vom 26. November 2019 – B 2 U 29/17 R – juris, Rn. 31; laut LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 9. Mai 2003 – L 5 U 76/02 – juris, Rn. 44, Abweichung um 30 % äußerste Grenze einer Verhältnismäßigkeit). Sie ist umso bedenklicher, als infolge der Satzungsänderung derselbe Anknüpfungspunkt im Ergebnis zweimal zum Tragen kommt. Denn die Beitragsfestsetzungen der Jahre 2014 und 2015 fußen beide auf den Vollbeschäftigten der Klägerin im Jahr 2014 (einmal vorläufig 201 für 2014 und einmal endgültig 193 für 2015).
Angesichts der Höhe der Beitragsforderung ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Nichtanwendung der nichtigen Satzungsvorschrift für die Beklagte zu unkalkulierbaren Haushaltsrisiken führt oder hierdurch gar ihre Zahlungsunfähigkeit droht (vgl. zu diesem Aspekt z.B. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 2 U 11/13 R – juris, Rn. 28, m.w.N.).
Der Verstoß des § 24 Abs. 5 Satz 2 der Satzung gegen das Übermaßverbot bewirkt keine Gesamtnichtigkeit der Satzung. Die Vorschrift ist hinsichtlich der hier betroffenen Umlagegruppe KL 2 rechtlich abtrennbar und steht somit nicht in derart enger Beziehung zu anderen Satzungsregelungen, dass diese zwangsläufig erfasst und bedeutungslos werden (vgl. näher hierzu BSG, Urteil vom 13. Dezember 2011 – B 1 KR 7/11 R – juris, Rn. 23 ff.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die entscheidungserhebliche Rechtslage ist geklärt und die Entscheidung beruht auf tatsächlicher Einzelfallbewertung, ohne dass der Senat von einem der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG bezeichneten Gerichte abweicht. Angesichts der vor über acht Jahren in Kraft getretenen Satzung ist auch kein Anhalt für eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG (mehr) ersichtlich.
Die Entscheidung zum Gegenstandswert hat ihre Grundlage in § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. den §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 40 und 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz und entspricht der Höhe der streitigen Beitragsforderung.