L 1 BA 35/18

Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 R 1217/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 BA 35/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Gästeführer üben eine selbstständige Tätigkeit aus, wenn unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls neben den vertraglichen Vereinbarungen die tatsächlichen Verhältnisse dafür sprechen.

2. Wichtiges Indiz ist, ob der Gästeführer bei der jeweiligen Führung Möglichkeiten zu nennenswerten eigenen Entscheidungen oder zu eigener Entfaltung hat. Prägendes Merkmal ist auch, ob er im Fall seiner Verhinderung für selbst gewählten Ersatz sorgen kann.

3. Zu prüfen ist zudem, ob das Honorar der Führung angepasst war und dabei die Schwierigkeit und den Umfang der Leistungserbringung berücksichtigte.

 

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Juni 2015 wird abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit der Bescheid vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2011 vollständig aufgehoben und die Beklagte verurteilt worden ist, den Bescheid vom 10. Mai 2007 auch hinsichtlich der Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung für die Beigeladenen zu 22. und 24. nebst hierauf entfallenen Säumniszuschlägen zurückzunehmen.

 

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

 

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.444,82 € festgesetzt.

 

 

Tatbestand:

 

Streitig ist im Zugunstenverfahren die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung i.H.v. 6.444,82 € einschließlich Säumniszuschlägen i.H.v. 670,- €.

 

Gegenstand der Klägerin ist die Entwicklung und Umsetzung eines tourismusbezogenen Stadtmarketingkonzepts von M.. Dazu gehören insbesondere der Aufbau und die Weiterentwicklung touristischer Angebote und Dienstleistungen.

 

Die Klägerin schloss mit den Beigeladenen zu 8. bis 11., 13. bis 19., 21. bis 24. sowie den Rechtsvorgängern der Beigeladenen zu 12. und 20. in den Jahren 2000 bis 2001 jeweils eine gleichlautende Vereinbarung auf unbestimmte Zeit. Diese enthielt u.a. folgende Regelungen:

 

§ 1 Vereinbarungsgegenstand

 

(1) Die Firma M beauftragt den Gästeführer (GF) von Fall zu Fall, Führungen zu übernehmen.

 

(2) Der GF übt seine Tätigkeit selbstständig und auf eigenes Risiko aus. Er tritt unternehmerisch am Markt auf und ist für die steuerliche Veranlagung seiner Einkünfte selbstverantwortlich.

 

(3) Die Firma M holt die Bestätigung des GF zur Annahme des Auftrages ein.

 

(4) Der GF kann angebotene Führungen annehmen oder ablehnen.

 

(5) Seitens der Firma M besteht keine Verpflichtung, eine bestimmte Anzahl an Führungen zu gewährleisten.

 

(6) Der GF verpflichtet sich, keine aktive Abwerbung der Kunden zu betreiben.

 

§ 2 Programme und Leistungen

 

(1) Leistungsumfang und Inhalt der Führung sowie geltende Konditionen ergeben sich aus der Leistungsbeschreibung des Angebotes bzw. aus dem Sales Guide der Firma M.

 

(2) Der GF ist gegenüber der Firma M hinsichtlich der Ausgestaltung der Führung nicht weisungsgebunden.

 

(3) Änderungen und Abweichungen vom vereinbarten Leistungsumfang sind vor und während der Führung, im Einverständnis mit dem Gruppenverantwortlichen bzw. allen Teilnehmern der Führung, im Rahmen der örtlichen und zeitlichen Möglichkeiten aushandelbar.

 

§ 3 Zahlungsmodalitäten, GF-Honorar

 

(1) Die Höhe des GF-Honorars bemisst sich nach der zwischen GF und Firma M vereinbarten Honorartabelle. …

 

(2) …

 

(3) …

 

§ 4 Stornierungen, Verspätung oder Nichterscheinen des Kunden, Einhaltung maximaler Gruppengrößen

 

§ 5 Verspätung oder Nichterscheinen des Gästeführers

 

(1) … Bei einer vom GF zu verantwortenden Verhinderung innerhalb dieses Zeitraumes hat er für einen geeigneten Ersatz zu sorgen und dies der Firma M unverzüglich mitzuteilen.

 

(2) …

 

(3) …

 

(4) …

 

§ 6 Haftung

 

(1) Der GF haftet in jedem Fall nur für solche Schäden, die auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Vertragsverletzung durch den GF selbst oder durch seinen gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen beruhen.

 

(2) …

 

(3) …

 

§ 7 Laufzeit

 

Die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt (LVA), Rechtsvorgängerin der Beklagten, führte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in der Zeit vom 26. Juni bis 14. November 2003 für den Zeitraum vom 1. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2002 durch.

 

Der Beigeladene zu 8. hatte auf einem Fragebogen der Beklagten unter dem 13. Januar 2004 angegeben, seit 1966 als Sachbearbeiter bei der D. tätig zu sein. Ihm seien Weisungen hinsichtlich der Ausführung der Arbeit erteilt worden. Eigene Werbung sei ihm nicht erlaubt gewesen. Er sei verpflichtet gewesen, die Arbeiten persönlich auszuführen. Er habe keine eigenen Hilfskräfte einsetzen können. Er verneinte die Frage nach mehreren Auftraggebern. Er habe die Preise nicht selbst gestalten können. Er habe Leistungen ausschließlich im Namen und auf Rechnung der Klägerin erbracht.

 

Nach mündlicher Anhörung der Klägerin erließ die LVA den Bescheid vom 1. Juni 2004. Sie teilte darin mit: „…, hiermit widerrufen wir unseren Bescheid vom 13.12.2003 bezüglich der Stadtführer auf Honorarbasis.“ Zudem machte sie gegenüber der Klägerin eine Nachforderung zur Gesamtsozialversicherung i.H.v. 2.639,92 € geltend. Bei den Städteführern sei von einer dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen. Für fast alle Städteführer habe eine kurzfristige Beschäftigung nachgewiesen werden können. Lediglich bei denjenigen, die als arbeitslos oder als arbeitsuchend beim Arbeitsamt gemeldet seien - bei den Beigeladenen zu 11., 14., 16. und 23. -, sei von Berufsmäßigkeit der Beschäftigung auszugehen. Diese seien auch nicht geringfügig entlohnt worden. Die LVA fügte eine Anlage mit der Berechnung der Beiträge bei.

 

Am 8. Februar 2007 führte die Beklagte eine weitere Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV bei der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 31. Dezember 2005 durch. Nach der Schlussbesprechung forderte sie mit Bescheid vom 10. Mai 2007 pauschale Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung i.H.v. insgesamt 3.804,90 € einschließlich Säumniszuschlägen i.H.v. 670,- € nach. Für die bei der Klägerin kurzfristig beschäftigten Arbeitnehmer bestehe zwar keine Versicherungsfreiheit gemäß § 8 Abs.1 Nr. 2 SGB IV, da diese an mehr als 50 Arbeitstagen beschäftigt gewesen seien. Allerdings handele es sich um geringfügig entlohnte Beschäftigungen. Hinsichtlich der Berechnung der Beiträge verwies die Beklagte auf die beigefügte Anlage.

 

Am 12. August 2009 beantragte die Klägerin die Rücknahme der Bescheide vom 1. Juni 2004 und 10. Mai 2007. Mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 listete sie die davon betroffenen Gästeführer namentlich - ohne die Beigeladenen zu 22. und 24. - auf. Diese seien als selbstständig Tätige einzuordnen. Sie seien bei ihr registriert und teilten ihr vorab den Zeitraum möglicher Gästeführungen mit. Die dann erteilten Aufträge könnten sie auch ablehnen. Vorgegeben sei lediglich die Route bzw. das Thema. Hinsichtlich der Ausgestaltung sei der Gästeführer nicht weisungsgebunden. Er trage keine Dienstkleidung. Es bestehe keine Teilnahmeverpflichtung an angebotenen Fortbildungsveranstaltungen. Eine persönliche Abhängigkeit zu ihr sei nicht gegeben, da der Gästeführer den Umfang seiner Tätigkeit selbst bestimme. Es stehe ihm frei, auch für andere Auftraggeber tätig zu werden.

 

Die Beklagte teilte mit Bescheid vom 1. März 2010 mit, dass die Bescheide vom 1. Juni 2004 und 10. Mai 2007 nicht zurückgenommen würden. Der Bescheid vom 1. Juni 2004 sei von der Klägerin nicht beanstandet worden. Basierend auf diesem sei der Bescheid vom 10. Mai 2007 erlassen worden. Eine erneute Beurteilung der betroffenen Personen sei nicht notwendig gewesen, da die Feststellungen in 2007 ausnahmslos die gleichen Personen wie 2003 beträfen.

 

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2011 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe keine Nachweise erbracht, die für eine selbstständige Tätigkeit der zu beurteilenden Personen im Zeitraum 1. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2005 sprächen.

 

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 5. September 2011 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt. In den Jahren 2002 und 2003 sei die Angebots- und Auftragsvergabe noch nicht über das Internet, sondern telefonisch erfolgt. Festgelegt worden sei lediglich die Route bzw. der Schwerpunkt der Führung, die Ausgestaltung unterliege der Kunst der Gästeführer. Es bestehe keine Dienstverpflichtung mit festgelegten Dienstzeiten. Das Nichterscheinen der Gäste bzw. kurzfristige Absagen seien mit einer Einkommenseinbuße verbunden. Im Übrigen sei nach den vom Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e.V. erarbeiteten Vertragsvorlagen - insbesondere unter Berücksichtigung des Vertragstyps 1 - von einem Status des Gästeführers als selbstständiger Unternehmer auszugehen. Ferner werde auf das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Juli 2011 (L 1 KR 206/09) Bezug genommen. Danach werde der auf Honorarbasis durchgeführte Besucherdienst des Bundesrates als selbstständige Tätigkeit anerkannt.

 

Die Beklagte hat vorgetragen, ein Bescheid vom 13. Dezember 2003 existiere nicht. Ein Widerruf wäre nicht erforderlich gewesen. Zum Zeitpunkt des Überprüfungsantrages vom 12. August 2009 seien die Unterlagen mit den Daten zu den Einsätzen in den Jahren 2000 bis 2002 bereits vernichtet gewesen. Ferner verweise sie auf das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2012 (S 81 KR 2081/10). Danach sei rechtskräftig festgestellt worden, dass die den Besuchsdienst des Bundestages bedienenden Führer versicherungspflichtig beschäftigt seien.

 

Der Beigeladene zu 16. hat angegeben, im streitigen Zeitraum nicht für andere Anbieter tätig gewesen zu sein. Anfänglich habe er Anrufe von der Klägerin erhalten bzw. sich selbst nach Aufträgen erkundigt. Die Beauftragung erfolge nunmehr über ein EDV-Auftragssystem mit Zugangscode. Er prüfe, ob seine Freizeit mit dem Kalender kompatibel sei. Er könne dann die Ampel für sich auf Grün und damit freischalten. Den Auftrag erhalte er per E-Mail. Hierauf brauche er nur zu reagieren, wenn er nicht könne. Eine Auftragserteilung sei auch auf gezielte Anfragen möglich. Die Tour richte sich nach der Geländesituation und den Wünschen der Gäste. Das Arbeitsentgelt sei von der Klägerin festgelegt worden.

 

Die Beigeladene zu 10. hat angegeben, selbst zu bestimmen, wann sie der Klägerin als Gästeführerin zur Verfügung stehe. Zunächst habe sie Anrufe von dieser erhalten. Mittlerweile gebe sie die Zeiten an, zu denen sie nicht zur Verfügung stehe. Indem sie den angenommenen Termin ausdrucke, nehme sie das Angebot der Klägerin an. Die Route sei bei öffentlichen Stadtführungen durch den Doppeldeckerbus vorgegeben. Andere Touren erfolgten zu Fuß oder mit dem Bus. Die Route sei individuell gestaltbar. Jeder Gästeführer bezahle die Fort- und Weiterbildungen selbst.

 

Der ehemalige Beigeladene zu 20. hat angegeben, im streitigen Zeitraum für keinen anderen Anbieter tätig gewesen zu sein. Für spezielle Führungen seien spezielle Qualifikationen erforderlich gewesen. Mittlerweile hätten teilweise Busfahrer die Arbeiten der Gästeführer übernommen.

 

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 2. Juni 2015 den Bescheid vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Bescheide vom 1. Juni 2004 und 10. Mai 2007 zurückzunehmen. Die Beklagte habe bei deren Erlass das Recht unrichtig angewandt. Denn die Gästeführer seien keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer gewesen. Die Klägerin bündele die Aufträge auf einer Internetseite. Die Gästeführer wählten aus, ob sie die angegebenen Führungen durchführen wollten. Hierzu bestehe jedoch keine Verpflichtung. Sie seien nicht in die betriebliche Organisation der Klägerin eingegliedert. Insbesondere seien sie nicht weisungsabhängig. Der Gästeführer habe sich zur gewünschten Zeit am gewünschten Ort einzufinden, die gewünschte Dauer der Führung zu erfüllen und das gewünschte Thema zu besprechen. Dabei sei er hinsichtlich der detaillierten Ausgestaltung seiner Führung, seines Vortrages und seiner Erzählungen auch in gewissem Umfang frei. Es mache keinen Unterschied, dass die Gästeführer im streitbefangenen Zeitraum nicht durch das Internet, sondern durch das Telefon informiert worden seien. Die Tatsache, dass der Gästeführer nach Annahme eines durch die Klägerin vermittelten Auftrags daran gebunden sei, sei auch einem Selbstständigen nicht fremd. Die Beigeladenen zu 8. bis 24. seien nicht nur im Haus der Klägerin tätig - wie die Kräfte im Besuchsdienst des Bundestages oder Bundesrates -, sondern in ganz M., unabhängig von dem vermittelten Auftrag. Da die Beigeladenen zu 8. ist 24. nicht im Auftrag der Klägerin, sondern auf deren Vermittlung tätig geworden seien, komme es auf die Frage der Scheinselbstständigkeit nicht an.

 

Gegen das ihr am 16. Juni 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. Juli 2015 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Bei Annahme eines Auftrages hätten die Gästeführer dem Weisungsrecht der Klägerin hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Art der auszuübenden Tätigkeit unterlegen und seien in deren Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen. Ferner seien die Gästeführer sowohl an die Leistungsangebote der Klägerin als auch an deren Preisgestaltung gebunden gewesen. Die Dienstzeiten ergäben sich aus den Stadtführungen. Auch die Route, das Thema sowie die Dauer der Stadtführungen würden durch die Klägerin vorgegeben. Die Gästeführer erhielten für ihre Tätigkeit eine feste Pauschale, ohne Berücksichtigung des tatsächlichen Aufwands der jeweiligen Auftragserfüllung. Dies sei gleichzusetzen mit der Gehaltszahlung an abhängig Beschäftigte. Eine tatsächliche Kalkulation und freie Preisgestaltung durch die Gästeführer seien nicht erfolgt. Die Klägerin sei Auftraggeberin der Gästeführer gewesen. Es seien im Urteil auch nicht die im Prüfzeitraum geltenden Bedingungen berücksichtigt worden. Die Klägerin sei nicht lediglich und ausschließlich als Vermittlerin der Gästeführer, sondern als Arbeitgeberin aufgetreten.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Juni 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

 

Die Klägerin hat vorgetragen, der Gästeführer sei frei in der Annahmeentscheidung, während bei einer abhängigen Auftragsannahme die Tätigkeit auf Abruf bzw. zur Vertretung vertraglich vereinbart und geschuldet sei. Entsprechend dem von den Touristen erteilten Auftrag variierten Leistungsort und konkreter Leistungsinhalt, ohne dass hierzu von der Klägerin die Rahmenbedingungen beeinflussbar gewesen seien. Die Gästeführer schuldeten keinen Erfolg, sondern eine Dienstleistung. Die Pauschalvergütung sei angemessen kalkuliert. Die Gästeführer müssten Kapital aufwenden, um Fort- oder Weiterbildungen zu finanzieren, damit sie über das benötigte Fachwissen verfügten. Sie trügen das Risiko, im Falle fehlender Nachfrage ihrer Dienstleistung keine Vergütung zu erzielen und die Kosten für getätigte Investitionen nicht erwirtschaften zu können.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I.1.

 

Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Sie ist auch statthaft gemäß §§ 143, 144 SGG.

 

2.

 

Der Senat konnte in Abwesenheit der Beigeladenen verhandeln und entscheiden. Diese sind von dem Verhandlungstermin schriftlich benachrichtigt worden (§§ 153 Abs. 1, 110 SGG).

 

3.

 

Es ist ausreichend gewesen, die Minijobzentrale, die Beigeladene zu 7., und nicht die einzelnen Krankenkassen der betroffenen Beigeladenen beizuladen. Diese ist nach § 28i Satz 5 SGB IV bei geringfügig Beschäftigungen die zuständige Einzugsstelle.

 

II.

 

Die Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet. Der Bescheid vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2011 ist rechtmäßig, soweit die Beklagte den Bescheid vom 10. Mai 2007 hinsichtlich der Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung für die Beigeladenen zu 22. und 24. nebst hierauf entfallenen Säumniszuschlägen nicht zurückgenommen hat. Das Urteil des Sozialgerichts war in diesem Umfang abzuändern. Ansonsten ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und beschwert die Klägerin im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

 

1.

 

Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 1. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2011 im Verfahren nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

 

a.

 

Die Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung einschließlich der hierauf entfallenen Säumniszuschläge für die ehemaligen Beigeladenen zu 22. und 24. im Bescheid vom 10. Mai 2007 ist nicht von der Überprüfung umfasst gewesen. Der Überprüfungsantrag bestimmt zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (BSG, Urteil vom 13. Februar 2014, B 4 AS 22/13 R [13]). Die Klägerin listete jedoch im Schreiben vom 7. Oktober 2009 die beiden o.g. Beigeladenen nicht als von der Überprüfung betroffene Gästeführer auf.

 

b.

 

Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 1. Juni 2004 insoweit, als die Beklagte den Bescheid vom 13. Dezember 2003 widerrufen hatte. Ein solcher Bescheid existiert nicht. Wenn ein Verwaltungsakt entweder nicht nach § 37 SGB X bekannt gegeben worden oder wenn er nach § 40 SGB X nichtig ist, kann er keine Rechtswirkungen entfalten, die nach den §§ 44 bis 49 SGB X zu korrigieren sein könnten (Schütze, SGB X, 9. Aufl., vor §§ 44 bis 49 Rn. 4). Der Widerruf nach § 47 SGB X eines nicht existenten Verwaltungsaktes ist damit erst recht unwirksam.

 

2.

 

Die Beklagte ist verpflichtet, den Bescheid vom 1. Juni 2004 und den Bescheid vom 10. Mai 2007 - mit Ausnahme bezüglich der Beigeladenen zu 22. und 24. - zurückzunehmen. Denn die von der Überprüfung betroffenen Beigeladenen zu 8. bis 11., 13. bis 19., 21. und 23. sowie die verstorbenen ehemaligen Beigeladenen zu 12. und 20. sind als Gästeführer für die Klägerin im Betriebsprüfungszeitraum vom 1. Dezember 1999 bis zum 31. Dezember 2005 selbstständig Tätige gewesen.

 

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

 

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 1. Juni 2004 rechtsfehlerhaft fest, dass die Beigeladenen zu 11., 14., 16. und 23. vom 1. Februar 2000 bis zum 31. Dezember 2002 als Gästeführer in einem die Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung begründenden Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin gestanden hätten. Sie machte zu Unrecht gegenüber der Klägerin eine Nachforderung zur Gesamtsozialversicherung i.H.v. 2.639,92 € geltend.

 

Darüber hinaus stellte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2007 rechtsfehlerhaft fest, dass die Beigeladenen zu 8., 9., 10., 13., 15., 17., 18., 19., 21. und die verstorbenen ehemaligen Beigeladenen zu 12. und 20. als Gästeführer einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bei der Klägerin nachgegangen wären. Sie machte zu Unrecht gegenüber der Klägerin eine Nachforderung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung in Höhe von insgesamt 3.804,90 € - abzüglich der Nachforderungen für die Beigeladenen zu 22. und 24. - einschließlich der anteiligen Säumniszuschläge geltend.

 

3.

 

Der Rücknahme des Bescheides vom 1. Juni 2004 und der überwiegenden Rücknahme des Bescheides vom 10. Mai 2009 steht § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift werden, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Diese Vorschrift regelt nur die rückwirkende Erbringung von Sozialleistungen, betrifft jedoch nicht zu Unrecht erhobene Beiträge (Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, § 44 Rn. 71).

 

4.

 

Nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls haben die von der Überprüfung umfassten Gästeführer eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt.

 

Nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), § 20 Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) und § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der Arbeitslosenversicherung.

 

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV in der bis heute unverändert geltenden Fassung vom 20. Dezember 1999. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

 

Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

 

Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung: BSG, Urteile vom 25. Januar 2006, B 12 KR 30/04 R; BSG, vom 18. November 2015, B 12 KR 16/13 R [16] und vom 28. Juni 2022, B 12 R 3/20 R [11]; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 20. Mai 1996, 1 BvR 21/96 [7]).

 

Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine solche vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist (BSG, Urteile vom 28. Mai 2008, B 12 KR 13/07 R, und vom 28. Juni 2022, B 12 R 3/20 R [13]).

 

a.

 

Die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Gästeführern sprechen als starke Indizien für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit. Die vereinbarten Einzelheiten machen den Willen der Vertragsparteien deutlich, eine selbstständige Tätigkeit der Gästeführer zu begründen. Nach den insoweit gleichlautenden Vereinbarungen zwischen der Klägerin und den Gästeführern war gewollt, dass der Gästeführer seine Tätigkeit selbstständig und auf eigenes Risiko sowie in eigener unternehmerischer Verantwortung ausübt (§ 1 Abs. 2). Ferner war ausdrücklich vereinbart, dass der Gästeführer gegenüber der Klägerin hinsichtlich der Ausgestaltung der Führung nicht weisungsgebunden ist. Es war auch keine Verpflichtung der Klägerin vereinbart, eine bestimmte Anzahl von Führungen anzubieten (§ 1 Abs. 5). Somit bestand kein Anspruch auf eine Beauftragung der Gästeführer. Vielmehr war eine Beauftragung von Fall zu Fall vereinbart (§ 1 Abs. 1).

 

b.

 

Die Einzelheiten der Vertragsdurchführung blieben dem jeweiligen Einzelauftrag vorbehalten.

 

aa.

 

Dabei ist nicht erheblich, ob die Auftragsvergabe im Prüfzeitraum telefonisch oder über ein mit entsprechenden Zugangsdaten zugängliches Online-Portal der Klägerin erfolgte. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Gästeführer bei der Auftragsannahme frei waren. Sie konnten die von der Klägerin angebotenen Führungen annehmen oder ablehnen (§ 1 Abs. 4 der Vereinbarung). Die Beigeladene zu 10. hat in der Verhandlung vor dem Sozialgericht am 11. Juli 2014 klargestellt, dass sie selbst bestimme, wann sie für einen Auftrag zur Verfügung stehe. Auch der Beigeladene zur 16. hat angegeben, bei einem Angebot erst zu prüfen, ob er Zeit zur Durchführung des Auftrags habe. Zwar ging der Gästeführer damit im Voraus eine Verpflichtung durch telefonische Anmeldung oder einen Online-Eintrag ein. Allerdings hat der Beigeladene zu 16. auch ausgeführt, absagen zu können, wenn ihm der Auftrag zeitlich nicht passte. Der Gästeführer konnte den Einsatz seiner Arbeitskraft entsprechend seinen Interessen und Kapazitäten selbst steuern, was für eine selbstständige Tätigkeit spricht.

 

bb.

 

Zwar wurden von der Klägerin Ort, Zeit und Thema der Führung vorgegeben. Allerdings hatte der Gästeführer bei der jeweiligen Führung Möglichkeiten zu nennenswerten eigenen Entscheidungen (z.B. Schwerpunkt und Verlauf der Führung) oder zu eigener Entfaltung (Charakter und Art der Führung). Der Beigeladene zu 16. hat aufgezeigt, dass nicht immer ein identisches Programm für die Touren vorgegeben war. Vielmehr richtete sich die Tour nach der Geländesituation und den Wünschen der Gäste. Der Ablauf der Führung stand im Detail gerade nicht vorher fest. Die Beigeladene zu 10. hat ausgeführt, sie konnte die Route individuell gestalten. Es war somit dem Gästeführer überlassen, wie er sich bei dem Auftrag einbrachte und seine Kenntnisse und Fähigkeiten in die Führung einfließen ließ.

 

Dies wird bestätigt durch die Angaben der Beigeladenen zu 10., dass zum Inhalt der Touren Beratungen der Gästeführer im Gästeführerverband stattfinden. Zudem wurden die für die Touren wichtigen Komponenten mit anderen Gästeführern bei den Fortbildungen besprochen. Dies wäre nicht erforderlich, wenn die Ausgestaltung der jeweiligen Führung vorgegeben gewesen wäre.

 

In diesem Sinne hat auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 5. Juli 2011 (L 1 KR 206/09) entschieden, dass Honorarkräfte, die den Besucherdienst im Bundesrat durchführten, selbstständig Tätige seien. Ort und Zeit der Führungen hätten zwar im Voraus festgestanden, die Honorarkräfte seien im Kern ihrer Tätigkeit jedoch frei gewesen. Die Vorgaben hätten sich nur abstrakt ergeben. Inhaltlich relevante Vorgaben zur Ausgestaltung der Vorträge hätte es nicht gegeben.

 

Im Gegensatz dazu ist das Sozialgericht Berlin in seinem Urteil vom 26. Oktober 2012 (S 81 KR 2081/10) zu dem Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses einer im Besucherdienst des Deutschen Bundestags tätigen Honorarkraft gelangt. Es sei keine eigene schöpferische oder kreative Tätigkeit erkennbar. Es bestünden mit dem Leitfaden und dem Infodienst Vorgaben im Sinne von arbeitsrechtlichen Weisungen, die nicht vertraglich vereinbart gewesen seien und sich auch nicht aus der Natur der Sache ergäben. Dies war vorliegend aber gerade nicht der Fall.

 

cc.

 

Der Gästeführer trat zwar nicht im eigenen Namen gegenüber den Gästen auf. Vielmehr führte er die Führung im Namen der Klägerin durch. Andererseits passte er die Führung den Wünschen der Gäste an und trat unternehmerisch (§ 1 Abs. 2 der Vereinbarung) und damit gerade nicht wie ein Mitarbeiter der Klägerin auf. Er war vielmehr berechtigt, Änderungen und Abweichungen vom vereinbarten Leistungsumfang vor und während der Führung im Einverständnis mit dem Gruppenverantwortlichen bzw. allen Teilnehmern der Führung auszuhandeln (§ 2 Abs. 3). Der Gästeführer hatte auch Anspruch auf Vergütung der durch die Erweiterung oder Änderung des ursprünglichen Führungsauftrags entstandenen Kosten (§ 3 Abs. 3). Der Gästeführer trug zudem keine Dienstkleidung bzw. Kleidung mit dem Logo der Klägerin, im Gegensatz zu dem Besucherdienst beim Bundesrat (vgl. Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2012, S 81 KR 2081/10).

 

dd.

 

Zudem bestand ein Unternehmerrisiko der Gästeführer, welches für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit sprechen würde. Maßgeblich hierfür ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. BSG, Urteil vom 24. September 1981, 12 RK 43/79, juris). Erforderlich ist ein Risiko, das darüber hinausgeht, für den Arbeitseinsatz kein Entgelt zu erzielen. Ein echtes Unternehmerrisiko besteht erst dann, wenn bei Arbeitsmangel nicht nur kein Einkommen erzielt wird, sondern zusätzlich auch Kosten für betriebliche Investitionen oder Arbeitnehmer anfallen oder früher getätigte Investitionen brachliegen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Oktober 2012, L 4 R 761/11, [53]). Ein wirtschaftliches Risiko bestand dahingehend, dass die Gästeführer im Bedarfsfall Investitionen für Technik wie Stimmverstärker und auch für Kostüme selbst tätigen mussten. Darüber hinaus hatten sie die Kosten für Fortbildungen selbst zu tragen, zu deren Teilnahme allerdings keine Verpflichtung bestand.

 

ee.

 

Die Gästeführer trugen lediglich gemäß § 6 Abs. 1 der Vereinbarung ein Haftungsrisiko für Schäden, die auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Vertragsverletzung durch sie selbst beruhten, begrenzt auf den Höchstbetrag des Honorars. Arbeitnehmer haften für Sach- und Vermögensschäden dagegen bei grober Fahrlässigkeit und bei Vorsatz auf den vollen Schaden (vgl. Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar SGB IV, 3. Auflage 2016, § 7 Rn. 94).

 

ff.

 

Einer selbstständigen Tätigkeit entspricht ferner der Umstand, dass der Gästeführer zur Entrichtung der Einkommensteuer verpflichtet war (§ 1 Abs. 2 S. 2). Er hatte keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und auf bezahlten Urlaub. Von der Entrichtung der Umsatzsteuer war allerdings nach seinen Angaben der Beigeladene zu 8. befreit.

 

gg.

 

Die Angaben des Beigeladenen zu 8. auf dem Fragebogen, zur persönlichen Ausführung der Arbeiten verpflichtet gewesen zu sein und keine eigenen Hilfskräfte hätte einsetzen zu können, haben sich nicht bestätigt. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 der Vereinbarung hat der Gästeführer bei einer von ihm zu verantwortenden Verhinderung innerhalb von 48 Stunden für einen geeigneten Ersatz zu sorgen und dies der Klägerin unverzüglich mitzuteilen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass der Gästeführer die Führung zwar grundsätzlich persönlich durchzuführen hatte. Im Fall seiner Verhinderung konnte er jedoch für selbst gewählten Ersatz sorgen, was er der Klägerin allerdings unverzüglich anzuzeigen hatte. Der Honoraranspruch blieb beim Gästeführer (§ 3 Abs. 1 der Vereinbarung) Darüber hinaus haftete dieser gemäß § 6 Abs. 1 der Vereinbarung für eine Vertragsverletzung durch ihn selbst oder durch seinen gesetzlichen Vertreter oder seinen Erfüllungsgehilfen.

 

hh.

 

Indiz für eine abhängige Beschäftigung ist die Verpflichtung des Gästeführers, keine aktive Abwerbung der Kunden zu betreiben. Dieser war jedoch nicht gehindert, andere Aufträge von „Neukunden“ anzunehmen.

 

ii.

 

Der Gästeführer erhielt kein arbeitnehmerübliches Arbeitsentgelt, welches auf Vollerwerb ausgelegt war. Er wurde auch nicht entsprechend der Dauer der Führung nach einem festen Stundensatz bezahlt. Vielmehr erfolgte die Vergütung in Form eines Honorars, welches der Gästeführer der Klägerin in Rechnung stellte. Grundlage hierfür war eine Honorartabelle, die entgegen § 2 Abs. 1 der Vereinbarung nicht zwischen dem Gästeführer und der Klägerin vereinbart worden war. Das Honorar war allerdings der jeweiligen Führung angepasst und berücksichtigte dabei die Schwierigkeit und den Umfang der Leistungserbringung. Dies bestätigen die Rechnungen des Beigeladenen zu 16. aus dem Jahr 2001 sowie die von der Klägerin vorgelegte Honorartabelle (Stand 17. März 2009). Es waren Honorare für diverse Führungen mit einem unterschiedlichen Buchungscode festgelegt. Der Beigeladene zu 16. hatte verschiedene geleistete Führungen mit dem Inhalt A1 bis A3, D2 und D5 bis D6, F1 sowie individuelle Touren wie „Altmark individuell“ und „Klosterführung“ mit Honoraren von 35,- DM bis 145,- DM aufgelistet. Ferner hatte er für einen öffentlichen Stadtrundgang ein Wartegeld i.H.v. 10 DM berechnet. Dies belegt die Anwendung des § 4 Abs. 1 der Vereinbarung und damit die Vergütung eines Zeitaufwandes ohne Leistungserbringung.

 

c.

 

Im Rahmen der Gesamtabwägung ist der Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass die Merkmale, die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 8. bis 21. und 23. bzw. der Rechtsvorgänger als Gästeführer bei der Klägerin im Zeitraum Februar 2000 bis Dezember 2005 sprechen, deutlich überwiegen. Dabei hat der Senat nach Gewichtung der zuvor festgestellten Umstände die Merkmale in die Gesamtschau eingestellt und gegeneinander abgewogen.

 

d.

 

Dieses Ergebnis wird zudem durch die Vermutungsregel des § 7 Abs. 4 SGB IV in der bis zum 31. März 2003 geltenden Fassung (Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20. Dezember 1999, BGBl 2000 I 2, in Kraft getreten mit Wirkung ab 1. Januar 1999) in Bezug auf die Gästeführer für den Zeitraum von Februar 2000 bis Dezember 2002 bestätigt. Es liegen gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB IV nicht mindestens 2 der 4 Merkmale vor. Denn die Gästeführer beschäftigten keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer (Nr. 1). Sie erbrachten keine für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen; sie unterlagen insbesondere keinen Weisungen des Auftraggebers - der Klägerin - und waren nicht in dessen Arbeitsorganisation eingegliedert (Nr. 3). Sie traten entgegen der Nr. 4 gerade aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auf (vgl. § 1 Abs. 2 der Vereinbarung).

 

Da eine selbstständige Tätigkeit vorgelegen hat, kommt es auf deren zeitlichen Umfang und die von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die Tätigkeit berufsmäßig und nicht nur geringfügig und damit versicherungspflichtig ausgeübt wurde, nicht mehr an.

 

III.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte kostenprivilegiert im Sinne von § 183 SGG ist. Angesichts des geringen Anteils der verbliebenen Beitragsforderung (für die Beigeladene zu 22. 118,91 € und den Beigeladenen zu 24. 31,74 €) einschließlich Säumniszuschlägen gegenüber den geforderten Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Säumniszuschlägen hat der Senat von einer anteiligen Kostenverteilung abgesehen (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

 

Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da diese keine eigenen Anträge gestellt und sich daher auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO; Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 19. November 2015, 2 A 6/13 [35], juris).

 

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

 

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Es handelt sich um ein gerichtskostenpflichtiges Verfahren nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Bestimmung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG und richtet sich nach der Höhe der streitigen Beiträge einschließlich Säumniszuschlägen in den der Überprüfung unterliegenden Bescheiden der Beklagten vom 1. Juni 2004 und 10. Mai 2007.

Rechtskraft
Aus
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