L 5 KR 872/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 6006/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 872/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.02.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 19.665,92 € festgesetzt.



Gründe

I.

Streitig ist die Vergütung von Krankenhausbehandlungsleistungen.

Die Klägerin ist Trägerin eines zur Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassenen Krankenhauses. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenversicherung

Der bei der Beklagten Versicherte H1 (geb. 1935; im Folgenden: Versicherter) wurde im Krankenhaus der Klägerin vom 26.09.2018 bis 15.10.2018 vollstationär behandelt. Für die erbrachten Leistungen rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Gesamtbetrag in Höhe von 24.051,30 € ab (Rechnung vom 18.10.2018). Die Abrechnung erfolgte auf der Grundlage der DRG (Diagnosis Related Group) I09A (Bestimmte Eingriffe an der Wirbelsäule mit sehr komplexer Osteosynthese und äußerst schweren CC).

Nachdem die Beklagte den Rechnungsbetrag zunächst vollständig ausgeglichen hatte, beauftragte sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Überprüfung der in Rechnung gestellten Kosten für den stationären Krankenhausaufenthalt. Der MDK hat mit Schreiben vom 22.10.2018 seine Beauftragung der Klägerin angezeigt und als Frage der Beklagten und als Prüfgegenstand mitgeteilt: "Fragen der Krankenkasse: Ist die DRG korrekt? Ist/Sind die Nebendiagnose(n) (ND) korrekt? Es ist nicht ersichtlich, ob der Ressourcenaufwand für die Nebendiagnose L89.15 erfolgt ist. Prüfgegenstand: Kodierprüfung. Zu prüfende Diagnosen: L 89.15, zu prüfende Prozeduren: -, zu prüfende Entgelte: -." Der MDK forderte folgende Unterlagen an: Ausführlicher Krankenhausentlassbericht; Tageskurve; Pflegedokumentation; Operationsbericht/Interventionsbericht; Laborbefund (kumulativ), Urinbefund, Antibiogramm, mikrobiologischer Befund; Anamnese und körperlicher Untersuchungsbefund bei Aufnahme; Überwachungsbogen, auch postoperativer Überwachungsbogen; ärztliche Verlaufsdokumentation; Anästhesieprotokoll mit Prämedikationsbogen; Pathologischer (histologischer) Befundbericht; Nachweis zum OPS-/Komplexkode. Der MDK teilte ebenfalls mit, dass die Klägerin weitere Unterlagen ergänzen könne, die aus ihrer Sicht zur Erledigung des Prüfauftrages erforderlich seien.

Die Klägerin übersandte dem MDK daraufhin die für die Prüfung der Nebendiagnose L89.15 (Dekubitus, Stadium 2 Sitzbein) erforderlichen Unterlagen (Krankenhausentlassbericht und Dokumentation Dekubitus).

Im Gutachten des MDK vom 31.07.2019 führte M1 aus, die angefragte Nebendiagnose L89.15 sei nicht zu beanstanden. Die Hauptdiagnose M40.16 sei nach dem Entlassungsbericht aber zu Unrecht kodiert worden. Der Operationsbericht und der Röntgenbefund lägen nicht vor. Richtigerweise sei deshalb die Hauptdiagnose M48.06 zu kodieren. Weiter seien die Nebendiagnosen D62, D 65.9 und D 69.61 nicht durch Unterlagen belegt. Ferner seien die OPS 5-83b.53, 5-032.12, 5-032.40, 5-034.1, 5-832.5, 5-835.9, 5-837.7 und 5-839.5 nicht durch Unterlagen belegt. Insgesamt ergebe sich dadurch die DRG I68C (nicht operative behandelte Erkrankung und Verletzung im Wirbelsäulenbereich). Im Begleitschreiben ist vermerkt, dass der Prüfanlass nicht erweitert worden sei.

Am 18.10.2019 nahm die Beklagte eine Verrechnung der streitigen Vergütung in Höhe von 19.665,92 € mit anderen unstreitigen Vergütungsansprüchen der Klägerin vor.

Am 18.12.2019 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 19.665,92 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.10.2019 zu zahlen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der MDK habe offenbar selbstständig seinen Prüfanlass erweitert, ohne die Klägerin über die Erweiterung zu informieren. Dem Krankenhaus müsse nach § 6 Abs. 3 Satz 6 PrüfvV eine Erweiterung des Prüfgegenstandes angezeigt werden. Als Prüfgegenstand sei ausdrücklich die Diagnose L89.15 aufgeführt worden. Dementsprechend habe die Klägerin dem MDK die Unterlagen betreffend dieser Nebendiagnose zur Verfügung gestellt. Die beanstandete Hauptdiagnose und die beanstandeten OPS seien nicht Gegenstand des Prüfauftrages gewesen. Das Krankenhaus müsse nur die angeforderten Unterlagen übersenden, die mit dem Prüfauftrag korrespondierten. Sämtliche Nebendiagnosen und OPS, die der MDK beanstandet habe, ließen sich durch die Laborbefunde und OP-Berichte belegen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Prüfauftrag des MDK habe die Frage nach der korrekten DRG sowie die Frage der Nebendiagnose L89.15 umfasst.
Die Frage nach der korrekten DRG impliziere neben der in der Folge aufgeworfenen Frage der Kodierung auch die nach der Wirtschaftlichkeit und Verweildauer des stationären Aufenthaltes. Die Mitteilung, dass überprüft werde, ob die DRG korrekt sei, sei ausreichend. Eine Vollprüfung sei durch den MDK beauftragt und auch angezeigt worden. Es könne von der Beklagten nicht erwartet werden, den Prüfanlass in allen Einzelheiten zu benennen. Der MDK habe bei der Beklagten die für die Begutachtung erforderlichen Unterlagen angefordert. Tatsächlich habe die Klägerin dem MDK nur einen Entlassungsbericht sowie die Fotodokumentation des Dekubitus zur Verfügung gestellt, die den Dekubitus bestätigt habe. Das Krankenhaus sei nicht berechtigt, auf die Übersendung explizit angeforderter Unterlagen zu verzichten. Die Klägerin sei mit der Vorlage nachgereichter Unterlagen ausgeschlossen.

Mit Urteil vom 10.02.2021 hat das SG die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 19.665,92 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.10.2019 zu zahlen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe für den Behandlungsfall des Versicherten einen noch unerfüllten Vergütungsanspruch in Höhe von 19.665,92 €. Der Beklagten habe insoweit kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zugestanden, mit dem sie gegen weitere unstreitige Forderungen der Klägerin hätte aufrechnen können. Die von der Beklagten vorgenommene Kürzung der Rechnung für den Behandlungsfall des Versicherten sei zu Unrecht erfolgt. Die beanstandete Nebendiagnose L89.15 sei anhand der vorgelegten Unterlagen vom MDK bestätigt worden. Weitere Haupt-, Nebendiagnosen und OPS habe der MDK nicht prüfen dürfen. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Prüfauftrag des MDK auf die Nebendiagnose L89.15 beschränkt gewesen sei. Als Prüfgegenstand im Sinne von § 4 PrüfvV habe die Beklagte
die Nebendiagnose L89.15 benannt. Die weiteren im MDK Gutachten vom 30.07.2018 beanstandeten Haupt-/ Nebendiagnosen und OPS seien nicht von diesem Prüfauftrag erfasst gewesen; insoweit liege eine unzulässige Prüferweiterung durch den MDK vor. Der ursprüngliche Prüfauftrag entfalte für eine Prüfungserweiterung zwar keine Sperrwirkung. Allerdings müsse eine Erweiterung des Prüfauftrages dem Krankenhaus gem. § 6 Abs. 3 Satz 6 PrüfvV angezeigt werden. Allein durch die Fragestellung „Ist die DRG korrekt" sei keine Vollprüfung angezeigt worden. Zwar deute die Fragestellung „Ist die DRG korrekt" zunächst auf eine Vollprüfung hin, jedoch sei diese nachfolgend ausdrücklich konkretisiert worden. Sowohl bei der „Frage der Krankenkasse" als auch bei der Angabe des Prüfgegenstandes sei ausdrücklich die Nebendiagnose L89.15 genannt worden. Der MDK habe damit nur die Prüfung der Nebendiagnose L89.15 durchführen und klären sollen, ob ein Ressourcenaufwand diesbezüglich erfolgt sei. Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont des Krankenhauses, durfte die Klägerin den Prüfauftrag so verstehen. Wolle die Krankenkasse bzw. der MDK mehrere Haupt-/Nebendiagnosen bzw. OPS überprüfen, sei dies ausdrücklich in der Prüfanzeige unter konkreter Benennung anzuzeigen. Dies verlange § 4 PrüfvV. Insofern könne es offen bleiben, ob die Klägerin berechtigt gewesen sei, nicht alle angeforderten Unterlagen vorzulegen, da offensichtlich anhand der vorgelegten Unterlagen die Nebendiagnose L89.15 habe bestätigt werden können. Da der Prüfauftrag damit unzulässig erweitert worden sei, sei die Verrechnung zu Unrecht erfolgt, weshalb der Klägerin der geltend gemachte Anspruch in Höhe von 19.665,92 € zustehe. Allerdings könne sie erst ab dem 19.10.2019 Verzinsung verlangen, weil die Verrechnung erst am 18.10.2019 erfolgt sei. Insoweit habe die Klage abgewiesen werden müssen.

Gegen das ihr am 16.02.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.03.2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie macht geltend, noch vor Inkrafttreten der PrüfvV habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden (unter Verweis auf Urteil vom 17.12.2013, B 1 KR 14/13 R), dass § 275 Abs. 1c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wegen des Wirtschaftlichkeitsgebots eng auszulegen sei. Es sei deshalb grundsätzlich von einem weiten Prüfauftrag auszugehen, soweit die Krankenkasse nicht ausdrücklich Einschränkungen vorgegeben habe, um dem Wirtschaftlichkeitsgebot bestmöglich gerecht zu werden. Soweit weitere Auffälligkeiten festgestellt würden, entfalte der Prüfauftrag zudem keine Sperrwirkung. Der MDK müsse weitere Prüfungen anstellen und die Krankenkassen seien befugt, erneut Informationen von den Krankenhäusern anzufordern. Hieran habe sich mit dem In-Kraft-Treten der PrüfvV nichts Grundlegendes geändert.
Bei dem Zusatz im Prüfauftrag der Beklagten in Bezug auf die Nebendiagnose L89.15 handele es sich lediglich um eine häufig beanstandete Kodierung, die zu einer hohen Kostensteigerung im Einzelfall führe und daher häufig überprüft werde. Es gehe aus dem Prüfauftrag aber gerade nicht hervor, dass die Beklagte den Prüfauftrag auf diese Prüfung habe beschränken wollen. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde dies nicht zu einer Ausschlusswirkung in dem Sinne führen, wie das SG dies angenommen habe. § 6 Abs.3 Satz 6 PrüfvV beziehe sich auf das Verhältnis des MDK zur Krankenkasse. Die Norm stelle keine Schutznorm zu Gunsten des Krankenhauses dar. Die Nichtmitteilung einer Prüferweiterung über den MDK könne keine Ausschlusswirkung im Sinne des Ausschlusses eines daraus folgenden Erstattungsanspruches der Krankenkassen entfalten. § 6 Abs.3 Satz 6 PrüfvV könne nicht als Ausschlussfrist gewertet werden. Zudem sei die Regelung an keinerlei Frist gebunden. Sofern weder die ursprüngliche Prüfanzeige ausreichend gewesen sein sollte noch in der Mittelung der Krankenkasse über das Ergebnis der Prüfung eine konkludente Mitteilung über die Erweiterung des Prüfanlasses zu sehen sei, werde die Erweiterung des Prüfanlasses auf eine umfassende Kodierprüfung hiermit ausdrücklich nachgeholt. Sämtliche vom MDK beanstandeten OPS und Nebendiagnosen seien zudem zu Recht beanstandet. Zum Beweis sei ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Am 29.04.2022 hat die Berichterstatterin die Rechts- und Sachlage mit den Beteiligten erörtert. Die Beklagte erklärte sich dabei bereit, die streitigen OPS und Diagnosen anhand der Patientenakten vom Medizinischen Dienst (MD) prüfen zu lassen.

Im Gutachten vom 25.01.2023 hat K1 vom MD die Kodierung der Klägerin im vollen Umfang bestätigt.

Die Beklagte hat daraufhin ausgeführt, auf das Ergebnis der erneuten Begutachtung durch den MD komme es nicht an. Sie bleibe bei ihrem bisherigen Vortrag. Auch der MD bestätige, dass eine Erweiterung des Prüfauftrags nicht vorliege. Nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont könne der Prüfauftrag nicht anders verstanden werden, als dass eine Vollprüfung beauftragt gewesen sei. Die Klägerin sei mit den vom MDK in der ursprünglichen Prüfanzeige angeforderten, aber nicht von der Klägerin übermittelten Unterlagen präkludiert. Die präkludierten Unterlagen seien nach der Rechtsprechung des BSG als Beweismittel endgültig ausgeschlossen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.02.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des SG für zutreffend. Das SG führe zutreffend aus, dass der Prüfauftrag der Beklagten auf die Nebendiagnose L89.15 beschränkt gewesen sei. Für die Behauptung der Beklagten, sie habe beim MDK eine Vollprüfung in Auftrag gegeben, finde sich im Prüfauftrag kein Hinweis.
Wenn dem MDK bei Sichtung der Unterlagen auffalle, dass er weitere Diagnosen/OPS als prüfwürdig erachte, so sei er verpflichtet gem. § 6 Abs. 3 Satz 6 PrüfvV dies dem Krankenhaus mitzuteilen; hierbei handele es sich nicht lediglich um eine reine Ordnungsvorschrift. Der Sinn und Zweck der Regelung bestehe darin, dem Krankenhaus nach Mitteilung des erweiterten Prüfgegenstandes die Möglichkeit zu eröffnen, weitere Unterlagen die mit dem erweiterten Prüfgegenstand korrespondieren vorzulegen. Denn prüfe der MDK ohne zuvor das Krankenhaus über den erweiterten Prüfgegenstand zu unterrichten, prüfe er zwangsläufig auf Basis eines unvollständigen Sachverhalts und ohne die rechtsstaatlich gebotene Möglichkeit für das Krankenhaus, sich zum erweiterten Prüfgegenstand zu äußern bzw. die damit korrespondierenden Unterlagen vorzulegen. Die von der Beklagten zitierte ältere Rechtsprechung des BSG könne unter Geltung der PrüfvV keine Anwendung mehr finden. Soweit die Beklagte die Auffassung vertrete, die Anzeige der Prüfungserweiterung unterliege keiner Frist, übersehe sie außerdem § 4 Satz 1 PrüfvV, wonach der konkrete Prüfgegenstand innerhalb von sechs Wochen nach Eingang der Daten mitzuteilen sei. Soweit der MD in seiner Stellungnahme vom 25.01.2023 behaupte aufgrund der „neu vorgelegten kompletten Patientenunterlagen" seien die relevanten OPS und Nebendiagnosen zu bestätigen, werde darauf hingewiesen, dass die gesamte Patientenakte vom MD vorgerichtlich nicht angefordert worden sei, so dass schon daher keine Präklusion bezüglich der gesamten Akte eingetreten sein könne. Im Übrigen habe es für die Klägerin keinen Anlass gegeben, bei einem Prüfauftrag beschränkt auf die Nebendiagnose L89.15 davon auszugehen, der MDK benötige die vollständige Akte.

Mit Schreiben vom 15.03.2023 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige, nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden. Die Beklagte hat sich mit der Verfahrensweise einverstanden erklärt. Die Klägerin hat sich nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogene Patientenakte verwiesen.


II.

Der Senat konnte die Berufung der Beklagten nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sind dem Senat nicht ersichtlich und wurden auch von den Beteiligten nicht vorgebracht.


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (vgl. § 151 SGG) der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 143 SGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Betrag von 750,00 € übersteigt.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin 19.665,92 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.10.2019 zu zahlen. Die Klägerin hat insoweit einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte. Dieser steht kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, mit dem sie hätte verrechnen können, weil sie die Vergütung für die Behandlung des Versicherten in voller Höhe nicht ohne Rechtsgrund an die Klägerin gezahlt hat. Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist festzustellen, dass der Senat – ebenfalls wie das SG – die Prüfanzeige vom 22.10.2018 nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen dahingehend auslegt, dass keine „Vollprüfung“ erfolgen sollte, sondern eine auf die Nebendiagnose L89.15 beschränkte Kodierprüfung. Hierfür spricht der eindeutige Wortlaut, wonach unter „zu prüfende Diagnosen“ nur die L89.15 aufgeführt wird. Die Rubrik „zu prüfende Prozeduren“ ist mit einem Minuszeichen versehen. Allein die Frage „ist die DRG korrekt“ eröffnet aus Sicht des objektiven Empfängerhorizontes keine umfassende Prüfung, da auch nur einzelne Diagnosen und Prozeduren Auswirkungen auf die DRG haben (können). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – eine konkrete Diagnose (oder Prozedur) nicht nur beispielhaft (z.B. mit dem Zusatz „insbesondere“), sondern mit einer konkreten Prüffrage benannt wird.

Vor dem Hintergrund des so zu verstehenden Prüfauftrags durfte die Klägerin die Übermittlung der angeforderten Unterlagen auf die zur Prüfung der Nebendiagnose L89.15 erforderlichen Unterlagen beschränken. Zwar führt nach dem Regelungssystem der §§ 6 und 7 PrüfvV (hier in der Fassung vom 03.02.2016) der MDK die Prüfung einschließlich der Beschaffung der Prüfunterlagen eigenverantwortlich durch; er entscheidet selbst, welche konkreten Unterlagen er anfordert. Dies gilt aber nicht, wenn er sich mit der Anforderung der Unterlagen offensichtlich außerhalb des Prüfgegenstands bewegt (BSG, Urteil 10.11.2021 - B 1 KR 22/21 R -, in juris, zu §§ 6 und 7 PrüfvV 2014). So verhält es sich hier. Die Anforderung von „Nachweisen zum OPS-/Komplexcodes“, Operationsberichten, Laborbefunden, pathologischen Befunden, Anästhesieprotokoll, Überwachungsbogen etc. konnte für die Frage, ob für den kodierten Dekubitus ein Ressourcenaufwand erfolgt war, offensichtlich keine Rolle spielen. Der Aufforderung Unterlagen vorzulegen, die sich aber augenscheinlich außerhalb des Prüfauftrags bewegen, muss ein Krankenhaus nicht nachkommen. Der MDK ist schon von Gesetzes wegen nur berechtigt Sozialdaten zu erheben, „soweit“ dies für die Prüfungen nach § 275 SGB V erforderlich ist (§ 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung vom 04.04.2017, BGBl. 778). Auch § 7 Abs. 2 Satz 7 PrüfvV beschränkt die Verpflichtung zur Übersendung auf die „erforderlichen“ Unterlagen.

Möchte die Beklagte bzw. der MDK die Prüfung erweitern, muss sie das dem Krankenhaus anzeigen (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 5 und 6 PrüfvV). Unterbleibt eine Erweiterungsanzeige, ist das Krankenhaus mit Unterlagen, welche die erweiterte Prüfung betreffen, nicht ausgeschlossen. Denn die Präklusionswirkung des § 7 Abs. 2 Sätze 4 bis 6 PrüfvV infolge verspäteter Unterlagenübersendung tritt nicht ein, wenn die Verspätung auf Umständen beruht, die das Krankenhaus nicht zu vertreten hat; dies folgt aus der wegen Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Norm (BSG, Urteil vom 10.11.2021 - B 1 KR 43/20 R -, in juris, zu § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV 2014). Ein Verschulden ist der Klägerin vorliegend nicht vorzuwerfen. Die Verspätung beruhte vielmehr darauf, dass aus der Prüfanzeige nur die Prüfung der Diagnose L89.15 hervorging und eine Erweiterung der Prüfung bis zum Abschluss des Prüfverfahrens der Klägerin nicht angezeigt wurde. Darüber hinaus war es für den MDK offensichtlich, dass die Klägerin von einer eingeschränkten Prüfung ausging, nachdem sie nur Unterlagen zum Dekubitus vorgelegt hatte. In einem solchen Fall eine Erweiterungsanzeige zu unterlassen und sich nachträglich auf die verspätete Vorlage der Unterlagen zu berufen, entspricht keiner gegenseitigen Rücksichtnahme, wie sie im Rahmen einer auf Grundlage eines dauerhaften Vertragsrahmens erfolgenden Zusammenarbeit zu erwarten wäre.

Mangels Präklusion sind somit vorliegend sämtliche Unterlagen aus der Patientenakte verwertbar. Nach medizinscher Auswertung durch den MD, die auch die Beklagte nicht in Frage stellt, steht fest, dass die Kodierung der Klägerin insgesamt nicht zu bestanden ist und sämtliche Diagnosen und OPS zu Recht angesetzt wurden. Da auch die übrigen Voraussetzungen für den Vergütungsanspruch der Klägerin für die vollstationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten – unstreitig – vorliegen, ist die Verrechnung zu Unrecht erfolgt. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.


Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 63, § 52 Abs. 1, 3, § 47 Gerichtskostengesetz.



 

Rechtskraft
Aus
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