L 19 AS 1486/22 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 9 SF 149/22 E
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1486/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Erinnerungsführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.09.2022 wird zurückgewiesen

 

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der Vergütung des Erinnerungsführers aus der Staatskasse.

 

Die Kläger bezogen als Ehepaar Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II vom Beklagten.

 

Mit Bescheid vom 14.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2021 hob der Beklagte die Bewilligung von Grundsicherung an den Kläger für September 2020 teilweise wegen Erzielung eines einmaligen Einkommens teilweise unter Berufung auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X auf, forderte die Erstattung eines Betrages i.H.v. 263,14 € und verfügte eine Aufrechnung der Erstattungsforderung mit den Grundsicherungsleistungen des Klägers für die Zeit ab dem 01.01.2021.

 

Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch den Erinnerungsführer, am 16.02.2021 Klage, S 91 AS 568/21.

 

Mit Beschluss vom 29.03.2021 bewilligte das Sozialgericht Dortmund dem Kläger Prozesskostenhilfe und ordnete den Erinnerungsführer bei.

 

Mit Bescheid vom 14.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2021 hob der Beklagte die Bewilligung von Grundsicherung an die Klägerin für September 2020 teilweise wegen Erzielung eines einmaligen Einkommens ihres Ehemannes teilweise unter Berufung auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X auf, forderte die Erstattung eines Betrages i.H.v. 263,14 € und verfügte eine Aufrechnung der Erstattungsforderung mit den Grundsicherungsleistungen der Klägerin für die Zeit ab dem 01.01.2021.

 

Am 16.02.2021 erhob die Klägerin, vertreten durch den Erinnerungsführer, Klage, S 91 AS 569 / 21

 

Mit Beschluss vom 29.03.2021 bewilligte das Sozialgericht Dortmund der Klägerin Prozesskostenhilfe und bewilligte den Erinnerungsführer bei.

 

Die beiden Verfahren S 91 AS 568/21 und S 91 AS 569/21 wurden auf Vorschlag des Gerichts durch außergerichtlichen Vergleich beendet.

 

Der Erinnerungsführer hat die Festsetzung seiner Vergütung für das Verfahren S 91 AS 568/21 aus der Staatskasse auf 852,04 €, beantragt und zwar wie folgt

 

Verfahrensgebühr                                       Nr. 3102 VV RVG                240,00 €

Terminsgebühr                                            Nr. 3106 VV RVG                216,00 €

Einigungsgebühr                                          Nr. 1006 VV RVG               240,00 €

Auslagenpauschale                                      Nr. 7002 VV RVG                   20,00 €

19% MwSt.                                                     Nr. 7008 VV RVG                136,04 €

                                                                                                                                                                                                                                                                                           

Der Erinnerungsführer hat die Festsetzung seiner Vergütung für das Verfahren S 91 AS 569/21 aus der Staatskasse auf 852,04 € beantragt, und zwar wie folgt

 

Verfahrensgebühr                                       Nr. 3102 VV RVG                240,00 €

Terminsgebühr                                             Nr. 3106 VV RVG                216,00 €

Einigungsgebühr                                          Nr. 1006 VV RVG               240,00 €

Auslagenpauschale                                      Nr. 7002 VV RVG                   20,00 €

19% MwSt.                                                      Nr. 7008 VV RVG                136,04 €

                                                                                                                                                                                                                                                                                                             

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung des Erinnerungsführers in den beiden Verfahren S 91 AS 568.021 und S 91 AS 569 / 21 am 07.03.2022 auf insgesamt 937,72 € festgesetzt und zwar wie folgt:

 

Verfahrensgebühr                                       Nr. 3102,1008 VV RVG                            312,00 €

Terminsgebühr                                            Nr. 3106 VV RVG                                       216,00 €

Einigungsgebühr                                         Nr. 1006 VV RVG                                       240,00 €

Auslagenpauschale                                     Nr. 7002 VV RVG                                          20,00 €

19% MwSt.                                                    Nr. 7008 VV RVG                                         149,72 €

 

Bei den beiden Verfahren handle es sich um dieselbe Angelegenheit I. S. V. § 15 Abs. 2 RVG. Deshalb ergehe ein einheitlicher Kostenfestsetzung Beschluss mit Anwendung einer Verfahrensgebühr nach Nr.3102, 1008 VV RVG.        

 

Hiergegen hat der Erinnerungsführer Erinnerung eingelegt.

Er hat geltend gemacht, dass es sich bei den beiden Verfahren S 91 AS 568/21 und S 91 AS 569/21 nicht um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG handle.

Die Erinnerungsverfahren haben die Aktenzeichen S 91 SF 149/22 E und S 91 SF 150/22 E erhalten.

 

Mit Beschluss vom 08.09.2022 hat das Sozialgericht Dortmund die Verfahren ist 91 SF 149/22 E und S 91 SF 150/22 E zur gemeinsamen Entscheidung unter dem Az. S9S 91 SF 149 / 22 I verbunden.

Mit Beschluss vom 19.09.2022 hat das Sozialgericht Dortmund den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.03.2022 abgeändert. Es hat die Vergütung des Erinnerungsführers aus der Staatskasse auf 961,52 € festgesetzt und im Übrigen die Erinnerung zurückgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

 

Gegen den ihm am 28.09.2022 zugestellten Beschluss hat der Erinnerungsführer am neunten 20.09.2022 Beschwerde eingelegt.

Er verfolgt sein Begehren weiter.

 

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

II.

 

Der Senat entscheidet durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 1 Abs. 3, 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 RVG), da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

 

Der Senat legt das Begehren des Erinnerungsführers dahingehend aus, dass er die Festsetzung seiner Vergütungsansprüche in den beiden Verfahren S 91 AS 568/21 und S 91 AS 569/21 in Höhe von insgesamt 1.704,80 € begehrt

 

 

A.        Die Beschwerde ist zulässig (§§ 1 Abs. 3, 56 Abs. 2 RVG).

 

Die Beschwerde ist statthaft. Die Beschwer des Erinnerungsführers übersteigt den Betrag von 200,00 €.  Der Erinnerungsführer wendet sich gegen die Festsetzung seiner Vergütung in den beiden Verfahren S 91 AS 568/21 und S 91 AS 569/21 durch das Sozialgericht auf 961,52 € und begehrt die Festsetzung seiner Vergütung auf 1.7704,80 €. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG) ist gewahrt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).

 

B. Die Beschwerde ist begründet.

 

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und das Sozialgericht sind zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Verfahren S 91 AS 568/21 und S 91 AS 569/21 um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG handelt.

 

Wann dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne vorliegt, ist im RVG nicht abschließend geregelt. Die anwaltlichen Tätigkeitskataloge des § 16 RVG. und des § 17 RVG benennen nur Regelbeispiele. Der Gesetzgeber hat die abschließende Klärung des Begriffs "derselben Angelegenheit" i.S.d. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen (BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 4 AS 27/13 R m.w.N.).

 

Für Bestimmung, ob mehrere Gegenstände dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG oder mehrere Angelegenheiten darstellen, sind die Umstände des konkreten Einzelfalls und der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend. Dieselbe Angelegenheit liegt vor, wenn mehrere Gegenstände von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen (die Gegenstände inhaltlich als auch in der Zielsetzung weitgehend übereinstimmen) wahrt. Ein innerer Zusammenhang zwischen den anwaltlichen Leistungen ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei objektiver Betrachtung und unter Berücksichtigung des mit der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Inhalt des Auftrags erstrebten Erfolgs zusammengehören (BGH, Urteil vom 22.01.2019 - VI ZR 402/17 m.w.N. und Beschluss vom 22.09.2022 – V ZB 2/20). In der Regel deckt sich der gebührenrechtliche Begriff "derselben Angelegenheit" mit dem prozessrechtlichen Begriff des (Verfahrens-)Gegenstandes, besteht also eine Identität des Streitgegenstandes des behördlichen/gerichtlichen Verfahrens mit der gebührenrechtlichen Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 RVG.

 

Bei besonderen Umstände des konkreten Falls ist eine abweichende Behandlung möglich (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 4 AS 27/13 R m.w.N). Ein innerer Zusammenhang kann zwischen den Gegenständen mehrerer selbständiger Parallelverfahren gegeben sein, wenn der Rechtsanwalt keine nennenswerten unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Besonderheiten zu beachten hat oder er - losgelöst vom etwaigen Vorliegen rechtlicher Besonderheiten - in den Verfahren auftragsgemäß im Wesentlichen gleichgerichtet vorgeht (BVerwG, Urteil vom 09.05.2000 - 11 C 1/99). Nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (Urteil vom 02.04.2014 - B 4 AS 27/13 R) kann dies grundsätzlich auch bei Individualansprüchen von Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft der Fall sein, wobei diese Konstellation einen Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV RVG auslöse. Daher könnten auch im SGB II mehrere Aufträge verschiedener Auftraggeber "dieselbe Angelegenheit" sein, selbst wenn die Angelegenheit verschiedene Gegenstände und teilweise getrennte Prüfaufgaben betreffe. Unschädlich sei, wenn getrennte Bescheide und Widersprüche vorlägen oder wenn gesonderte Vollmachten erteilt worden seien, soweit ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu bejahen sei, z.B. die zeitgleiche Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für sämtliche Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft aus einem identischen "Rechtswidrigkeitsgrund" ohne die Erforderlichkeit einer gesonderten Prüfung subjektiver Aufhebungsvoraussetzungen.

 

Entgegen der Auffassung des Erinnerungsführers  kann auch bei getrennten Klageverfahren eine „dieselbe Angelegenheit“ vorliegen (vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 06.01.2021 - L 1 SF 740/20 B m.w.N.; LSG NRW, Beschlüsse vom 29.03.2022 – L 2 AS 231/22 B und vom 28.08.2020 – L 2 AS 480/20 B; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.01.2021 – L 4 AS 213/19 B; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.06.2014 – 8 KO 1022/12), auch wenn in den jeweiligen Hauptsacheverfahren gesondert Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Eine gesonderte Prozesskostenhilfebewilligung schließt nicht aus, im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG zu prüfen, ob dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 S. 1 RVG vorliegt. Bei der Vorschrift des § 15 Abs. 2 RVG handelt es sich um eine gebührenrechtliche Vorschrift, die erst im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen ist (vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 18.03.2019 - L 1 SF 700/17 B; Urteil des Senats vom 09.05.2019 – L 19 AS 2029/18). In dieser Vorschrift wird ausdrücklich bestimmt, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Diese würde in Verfahren mit Prozesskostenhilfebewilligung leerlaufen, wenn man davon ausginge, dass im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine Prüfung eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur kostensparenden Rechtsverfolgung nicht mehr vorgenommen werden dürfte (vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 04.03.2019 – L 1 SF 116/17 B).

 

Wenden sich mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft individuell gegen denselben Gegenstand betreffende Aufhebungs- und Erstattungsbescheide in gerichtlichen Verfahren ist deshalb von derselben Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne auszugehen (vgl. LSG NRW, Beschlüsse vom 11.07.2022 - L 7 AS 952/22 B, vom 07.07.2022 - L 7 AS 1924/21 NZB, vom 19.05.2022 - L 2 AS 234/22 B und vom 28.08.2020 – L 2 AS 480/20 B).

 

Streitgegenstand der beiden Verfahren - S 91 AS 568/21 und S 91 AS 569/21 -  war derselbe Gegenstand. Streitig war ausschließlich, ob aufgrund eines einmaligen Einkommens des Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft eine Überzahlung der bedürftigkeitsabhängigen Regelleistungen nach dem SGB II für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Individualansprüche) eingetreten war. Es wurden keine unterschiedlichen Einwände gegen die jeweiligen Verwaltungsakte vorgetragen und es waren auch keine unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Besonderheiten, wie beispielsweise subjektive Aufhebungsvoraussetzungen im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X zu prüfen. Gestützt hatte das Jobcenter die Bescheide auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X als Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung von bereits bewilligten Leistungen. Dabei handelt es sich um eine gebundene Entscheidung (§ 330 Abs. 3 S. 1 SGB III i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II), die insbesondere eine subjektive Kenntnis des Eintritts einer Überzahlung oder eine fahrlässige Unkenntnis davon nicht voraussetzt und damit keine Prüfung von subjektiven Aufhebungsvoraussetzungen erfordert (vgl. BSG, Urteil vom 02.04.2014 -- B 4 AS 27/13 R).

 

Bei Vorliegen derselben gebührenrechtlichen Angelegenheit i. S. v. § 15 Abs. 2 RVG im Fall von mehreren Beteiligten (Auftraggebern) fallen nicht mehrere Gebühren, sondern nur eine an (§ 7 Abs. 1 RVG). Die Verfahrensgebühr erhöht sich dabei bei Vertretung mehrerer Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft um einen Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV RVG. Bei Betragsrahmengebühren – wie im vorliegenden Fall -  erhöht sich der Mindest- und Höchstbetrag der Verfahrensgebühr für jede weitere Person jeweils um 30 %. Es handelt sich um keine selbstständige Gebühr, sondern Nr. 1008 VV RVG bestimmt den Betrag, um den eine Verfahrensgebühr oder Geschäftsgebühr im Fall der Mehrfachvertretung erhöht wird (§ 7 Abs. 1 RVG).

 

Die Höhe der angefallenen Gebühren – Verfahrensgebühr, Terminsgebühr und Einigungsgebühr – ist von dem Urkundsbeamten zutreffend festgesetzt worden. Auf die Gründe des Sozialgerichts wird Bezug genommen. Auch wenn die Vorbefassung des Erinnerungsführers mit der Angelegenheit in den Widerspruchsverfahren nicht als arbeitsleichternder Umstand bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen ist, ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Verfahren als unterdurchschnittlich zu beurteilen.

 

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 S. 2 RVG).

 

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 S. 3 RVG).

 

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).

 

Rechtskraft
Aus
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