- Soweit der Leistungsberechtigte über ein Kraftfahrzeug verfügt, welches nicht mehr als angemessen im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII gilt, ist auf denjenigen Wert des Kraftfahrzeugs, der die Angemessenheit übersteigt, zusätzlich der noch nicht verbrauchte Freibetrag des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII anzuwenden.
- Bei der Ermittlung des Verkehrswerts des Kraftfahrzeugs eines Leistungsberechtigten ist auf den für den Leistungsberechtigten realisierbaren Ankaufswert abzustellen.
- Zur Frage des unbestimmten Rechtsbegriffs des angemessenen Kraftfahrzeugs in § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII.
Überschrift:
Beschluss | Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – Vermögenseinsatz – Angemessenheit eines Kraftfahrzeugs – kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte | § 19 Abs. 1 SGB XII, § 27 Abs. 1 SGB XII, § 41 Abs. 1 - 3 SGB XII, § 90 Abs. 2 Nr. 9, Nr. 10 SGB XII
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 05.05.2023 bis zum 31.10.2023 vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (Regelbedarf) nach dem 3. Kapitel SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 50% zu tragen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller stand bis zum 30.04.2023 im laufenden Bezug von Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII. Ausweislich der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit vom 00.00.2022 ist er voraussichtlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten, aber nicht auf Dauer, weniger als drei Stunden leistungsfähig.
Mit Bescheid vom 24.04.2023 stellte die Antragsgegnerin die Leistungsgewährung – nach erfolgter Anhörung – mit Ablauf des 30.04.2023 ein. Zur Begründung führte sie an, dass Sozialhilfe nur erhalte, wer seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sicherstellen könne. Der Antragsteller verfüge über ein Kraftfahrzeug der Marke O R, welches nach dem Ergebnis einer durchgeführten Internetrecherche einen ungefähren Verkehrswert in Höhe von 19.600,00 Euro aufweise. Dieser Wert übersteige den für ein Kraftfahrzeug als angemessen anzusehenden Wert deutlich. Zudem verfüge er auf seinem Girokonto über ein Guthaben in Höhe von 48,74 Euro. Er verfüge damit über Vermögen oberhalb des zu gewährenden Vermögensfreibetrags. Bei ihm sei gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII ein Barbetrag in Höhe von 10.000,00 Euro als nicht verwertbares Vermögen zu berücksichtigen. Geschützt sei zusätzlich gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII ein angemessenes Kraftfahrzeug. Als angemessen anzusehen sei ein Kraftfahrzeug mit einem Wert von bis zu 7.500,00 Euro. Soweit ein Fahrzeug einen höheren Wert aufweise, werde der übersteigende Betrag auf den anzurechnenden Freibetrag gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII angerechnet.
Der Antragsteller legte am 02.05.2023 Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.04.2023 ein. Zur Begründung trug er vor, dass sein Kraftfahrzeug anhand der Verkehrswertermittlung des Autohauses T vom 00.00.2023 nur einen Einkaufswert in Höhe von 14.100,00 Euro aufweise. Die Wertermittlung richte sich nach der Schwacke-Liste. Bei dem Autohaus handle es sich um einen lizenzierten O Händler. Unter Berücksichtigung des maßgebenden Einkaufswerts sei die aus beiden Freibeträgen zusammen zu berechnende Vermögensfreigrenze nicht überstiegen.
Der Antragsteller hat am 05.05.2023 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Er trägt erneut vor, dass sein Kraftfahrzeug nur einen Händlereinkaufswert in Höhe von 14.100,00 Euro aufweise. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Schätzung sei nicht geeignet, die von einem Vertragshändler nach der Schwacke-Liste erstellte Preisermittlung zu entkräften. Die Antragsgegnerin habe sich nur Verkaufspreise auf Internetportalen angeschaut. Bezüglich des Verkehrswerts des Fahrzeugs sei auf den Einkaufspreis und nicht auf einen möglichen Verkaufspreis eines Händlers abzustellen.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII für den Zeitraum vom 05.05.2023 bis 30.04.2024 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen an, dass das Fahrzeug des Antragstellers einen höheren durchschnittlichen Marktpreis aufweise. Ausgehend vom Kilometerstand des Fahrzeugs sei am 02.12.2022 ein durchschnittlicher Marktpreis in Höhe von 19.600,00 Euro zu ermitteln gewesen. Die vom Antragsteller übermittelte Vergleichsliste anderer zum Verkauf stehender Fahrzeuge mit einem geringeren ausgewiesenen Verkaufspreis sei nicht zum Vergleich heranzuziehen. Diese Fahrzeuge wiesen einen deutlich höheren Kilometerstand auf als das Fahrzeug des Antragstellers. Zudem seien die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers unklar, weil dieser bisher keine vollständigen Kontoauszüge eingereicht habe. Es fehle an einem Kontoauszug mit Benennung des Guthabens am 01.03.2023. Zudem gebe es unbestimmte Bareinzahlungen in Höhe von 100,00 Euro am 07.03.2023 und Bareinzahlungen in Höhe von 600,00 Euro, 200,00 Euro und 600,00 Euro am 02.05.2023, 23.05.2023 und 01.06.2023. Aus diesen sei zwar eine Darlehensbewilligung ersichtlich. Bei einer Bargeldeinzahlung könne der Antragsteller aber den Verwendungszweck selber bestimmen. Der Darlehensgeber sei nicht erkennbar.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands und bezüglich des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ist zulässig und hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg.
Der Antrag ist zulässig. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist als solcher auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Die Anordnung kann erlassen werden, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, in der ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung schlechthin unzumutbaren Folgen für den betreffenden Antragsteller verbunden wäre, gegeben (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 14. Oktober 2020 – L 12 AS 721/20 B ER) und eine einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten ist (LSG NRW, Beschluss vom 18. Juli 2014 – L 7 AS 1165/14 B ER). Soweit eine abschließende materiell-rechtliche Klärung in der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Eile nicht erfolgen kann, ist im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BverfG), Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).
Der Antrag hat in der Sache im tenorierten Umfang Erfolg. Dem Antragsteller sind – im Rahmen der durchzuführenden Folgenabwägung – Regelbedarfsleistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII zu gewähren. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller hat das Bestehen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund für die Bewilligung von Regelbedarfsleistungen nach dem SGB II gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Von einem Anordnungsanspruch ist auszugehen, wenn nach summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache überwiegende Erfolgsaussichten für die Durchsetzung des Anspruchs des Antragstellers bestehen. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag mangels Anordnungsanspruchs abzulehnen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Die einstweilige Anordnung wird erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, mit den Folgen die andererseits entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht. Aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz (GG) folgt dabei, dass wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Versagung anhand der Erfolgsaussichten der Hauptsache erfolgen soll, das erkennende Gericht verpflichtet ist, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen, wenn ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht. Dies ist im Streit um laufende Leistungen der Sozialhilfe regelmäßig der Fall, da der elementare Lebensbedarf bei ablehnender Entscheidung für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht gedeckt wäre. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, die daran ausgerichtet ist, eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen zu verhindern, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert. Die Gerichte müssen sich insoweit schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn. 26). Die Sicherung des sozialrechtlich zu gewährenden menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Urt. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09) – verwirklicht durch die Vorschriften des 3. und 4. Kapitels des SGB XII – ist eine grundgesetzliche Gewährleistung in diesem Sinne.
Im vorliegenden Fall hält das Gericht ein Obsiegen in der Hauptsache nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorliegenden Sach- und Streitstand für wahrscheinlich, wobei eine abschließende materiell-rechtliche Klärung in der gebotenen Eile nicht erfolgen kann. Die Kammer hält den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung des sozialrechtlich zu gewährenden Existenzminimums für geboten, um eine drohende Grundrechtsverletzung zu verhindern. Die fiskalischen Interessen der Antragsgegnerin treten – im Rahmen der durchzuführenden Folgenabwägung – hinter die grundrechtlich geschützten Interessen des Antragstellers zurück.
Der Antragsteller gehört zunächst zu dem von § 27 Abs. 1 SGB XII erfassten Personenkreis. Gemäß § 19 Abs. 1 i.V m. § 27 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Eigene Mittel sind nach § 27 Abs. 2 S. 1 SGB XII insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Ausweislich der sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahme vom 00.00.2022 ist er zurzeit voraussichtlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten, aber nicht auf Dauer weniger als drei Stunden leistungsfähig. Vorrangige Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII kommen nicht in Betracht. Er erfüllt weder die Altersgrenze nach § 41 Abs. 1, 2 SGB XII, noch die Voraussetzungen der dauerhaften vollen Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 3 SGB XII.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte verfügt der Antragsteller nicht über verwertbares einzusetzendes Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII. Die nach der Gesetzesbegründung im Bürgergeldgesetz kumulativ zu gewährenden Freibeträge gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII und § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII sind nicht überschritten. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, über ein Kraftfahrzeug mit einem Verkehrswert von 14.100,00 Euro und Giralvermögen in Höhe von nicht mehr als 1.010, 27 Euro, mithin Vermögen im Wert von nicht mehr als 15.110,27 Euro, zu verfügen.
Gemäß § 90 Abs. 2 S. 1 Nr. 10 SGB XII darf die Sozialhilfe zunächst nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Kraftfahrzeugs. Der Begriff des angemessenen Kraftfahrzeugs wird im Gesetz nicht definiert. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. In seiner Gesetzesbegründung geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Betrag in Höhe von jedenfalls 7.500,00 Euro angemessen ist. Soweit der Wert eines Kraftfahrzeugs den als unbestimmten Rechtsbegriff ausgestalteten Angemessenheitswert übersteigt, ist zusätzlich der Vermögensfreibetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII heranzuziehen (Bundestag (BT) Drucksache 20/3873, S. 117). Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (DVO § 90 Abs. 2 SGB XII) sind als kleinerer Barbetrag und als sonstiger Geldwert weitere 10.000,00 Euro geschützt.
Der Antragsteller verfügt über einen 2018 erstzugelassenen Personenkraftwagen der Marke O mit einem Kilometerstand von 24.000 Kilometern. Ausweislich der von ihm eingereichten Wertermittlung des Autohauses T verfügt das Fahrzeug nach der Schwacke-Liste über einen objektiven Einkaufswert in Höhe von 14.100,00 Euro. Verkauft werden die Fahrzeuge auf Internetportalen zwar auch bei höheren Kilometerständen noch zu höheren Verkaufspreisen als dem mittels Schwacke-Liste ermittelten Verkehrswert. Bezüglich der Wertermittlung des Verkehrswerts ist nach Überzeugung der Kammer aber auf den jeweiligen Ankaufs- und nicht den Verkaufswert abzustellen. Vermögen kann nur derjenige Betrag sein, den der Antragsteller bei einer potentiellen Veräußerung des Kraftfahrzeugs zeitnah erzielen kann. Dabei ist zwischen dem Einkaufspreis und einem möglichen Weiterverkaufspreis auch die Gewinnspanne des Händlers zu beachten, die dem Antragsteller bei Veräußerung des Fahrzeugs gerade nicht zufließt. Die Ermittlung eines Verkehrswertes eines Fahrzeugs kann in zulässiger Art und Weise annäherungsweise durch die Ankaufspreise nach der Schwacke-Liste bestimmt werden (vgl. Bundessozialgericht (BSG) zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 66/06 R Rn. 19). Nicht außer Acht gelassen werden darf ferner bei der Veräußerung eines Kraftfahrzeugs zur Sicherung des Lebensunterhalts, dass der Leistungsberechtigte auf eine unverzügliche Veräußerung und Realisierung des Fahrzeugs angewiesen ist. In einem solchen Fall kann regelmäßig nicht der bestmögliche auf dem Markt erzielbare Ankaufspreis erzielt werden, weil der Leistungsberechtigte zu einem Notverkauf unter Zeitdruck gezwungen ist. Die Realisierung eines angemessenen Verkaufspreises setzt in der Regel normale Marktbedingungen und ein Verhandlungsgleichgewicht der beteiligten Marktteilnehmer voraus.
Zusätzlich verfügt der Antragsteller über Vermögen auf seinem Girokonto in Höhe von 162,38 Euro am 13.06.2023. Aus den eingereichten Kontoauszügen ergibt sich, dass der Kontostand seit Antragstellung nicht über 1.010,27 Euro gewesen ist. Ausgehend von dem glaubhaft gemachten Ankaufswert des Fahrzeugs von 14.100,00 Euro, ist der nach der Gesetzesbegründung zu gewährende kumulierte Freibetrag in Höhe von 7.500,00 Euro gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII und weiterer 10.000,00 Euro gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Nr. 1 DVO § 90 Abs. 2 SGB XII – bei einem nach der Gesetzesbegründung anzusetzenden überschießenden Verkehrswert des Fahrzeugs von (14.100,00 Euro – 7.500,00 Euro=) 6.600,00 Euro, selbst bei Zugrundelegung des höchsten Kontostands im streitbefangenen Zeitraum – bei zu berücksichtigendem Vermögen in Höhe von (6.600,00 Euro + 1.010,27 Euro=) 7.610,27 Euro deutlich unterschritten:
Freibetrag gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII: |
10.000,00 Euro |
Überschießender Fahrzeugwert nach Abzug von 7500,00 Euro: |
- 6.600,00 Euro |
Girokontoguthaben: |
- 1.010,27 Euro |
Restfreibetrag: |
2.389,73 Euro |
Einem Anordnungsanspruch stehen nach Überzeugung der Kammer die von der Antragsgegnerin eingewendeten Bedenken bezüglich des Kontostands am 01.03.2023 nicht entgegen. Ausweislich des Kontoauszugs vom 06.03.2023 verfügte der Antragsteller an diesem Tag über ein Guthaben in Höhe von 155,37 Euro. Die Tage zuvor erfolgten Abhebungen in Höhe von 88,84 Euro, 84,00 Euro und 298,17 Euro. Ein Überschreiten der deutlich unterschrittenen Vermögensfreigrenze am 01.03.2023 ist nach den eingereichten Kontoauszügen und dem bisherigen Vortrag des Antragstellers für die Kammer – im Rahmen der Prüfungsdichte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens – für die Kammer nicht erkennbar. Auch die vorgenommene einmalige Einzahlung in Höhe von 100,00 Euro hindert das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht. Der Antragsteller war in der Vergangenheit im Leistungsbezug bei der Antragsgegnerin. Es erscheint daher nicht abwegig, dass er durch eine vorherige Barabhebung noch über geringfügiges Barvermögen verfügte, das er einzahlen konnte. Mehrmalige Bargeldein- und auszahlungen im Laufe eines Monats sind bei Leistungsberechtigten im Bereich des SGB II und des SGB XII nicht unüblich. Diese 100,00 Euro sind zwar grundsätzlich dem Vermögen zuzurechnen. Wie sich aus den Kontoauszügen nach der Bareinzahlung ergibt, bleibt es aber auch danach bei einer deutlichen Unterschreitung des kumulierten Freibetrags. Bezüglich weiterer Bedenken der Antragsgegnerin in Bezug auf die als Darlehen bezeichneten Einzahlungen des Antragstellers ist – nach Abwägung der Interessen des Antragstellers im Hinblick auf das soziokulturelle Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG gegenüber dem fiskalischen Interesse der Antragsgegnerin und zur Vermeidung erheblicher wirtschaftlicher Nachteile des Antragstellers – die Antragsgegnerin zumutbar auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.
Dahinstehen kann, ob für die Grenze der Angemessenheit des Kraftfahrzeugs, tatsächlich die in der Gesetzesbegründung genannte starre Grenze von 7500,00 Euro heranzuziehen ist oder – unter Bezugnahme auf die allgemeine Preisentwicklung und die 2021 erfolgte Anhebung der Werte in der Kraftfahrzeughilfeverordnung (KfzHV) – ein höherer Wert anzusetzen ist. Der Wortlaut des § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII schließt jedenfalls nicht aus, dass auch ein Fahrzeug mit einem Wert von 14.100,00 Euro unter den Begriff der Angemessenheit fällt. Genaue Wertgrenzen nennt das Gesetz nicht. Eine solche Auslegung ist auch aus gesetzessystematischen Gesichtspunkten nicht ausgeschlossen. In systematischer Hinsicht findet sich eine vergleichbare Vorschrift in § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II). Nach § 12 Abs. 1 S. 1 SGB II sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände vorbehaltlich des Satzes 2 als Vermögen zu berücksichtigen. Nicht zu berücksichtigen ist nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ein angemessenes Kraftfahrzeug für jede in der Bedarfsgemeinschaft lebende erwerbsfähige Person; die Angemessenheit wird vermutet, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II schließt seinem Wortlaut nach nicht aus, dass ein mit 14.100,00 Euro bezifferter Personenkraftwagen unter den Begriff der Angemessenheit fällt. Dem steht auch die bisherige Rechtsprechung des BSG zu § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung (a.F.) nicht entgegen. Zwar hielt das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung nur einen Betrag in Höhe von 7.500,00 Euro für ein Kraftfahrzeug für angemessen (BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 66/06 R). Dieser Rechtsprechung lag jedoch ein Wert von 9.500,00 Euro für die Anschaffung eines Mittelklassefahrzeugs in der KfzHV und ein davon vorzunehmender Abschlag im SGB II zugrunde. Der Gesetzgeber hat den nach § 5 Abs. 1 KfzHV maßgebenden Wert mit Wirkung vom 10.06.2021 auf einen Betrag in Höhe von 22.000,00 Euro angehoben. Insofern erscheint es der Kammer in Anbetracht der geänderten Gesetzgebung angebracht, den von der Rechtsprechung bisher angesetzten Wert angemessen zu erhöhen und von einem höheren Wert auszugehen. Die Bundesagentur für Arbeit geht im Bereich des SGB II ohne Begründung von einer Angemessenheit bis zu einer Höhe von 15.000,00 Euro pro Fahrzeug aus (Formann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 12 Rn. 148). Dahinstehen kann im konkreten Fall, ob deshalb im Rahmen einer harmonischen Auslegung ein Gleichlauf der Freibeträge bei der Auslegung der sozialen Sicherungssysteme geboten ist. Einer solchen Auslegung stünde die Gesetzesbegründung zu § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII nicht notwendigerweise entgegen. Zwar führt der Gesetzgeber aus, „dass ein Kraftfahrzeug, welches einen Verkehrswert von 7.500,00 Euro nicht überschreitet, angemessen ist“. Im gleichen Zuge verweist der Gesetzgeber auch darauf, dass sich die Regelung systematisch an der bislang geltenden Regelung in § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II orientieren soll, wobei aufgrund der strukturellen Unterschiede zwischen den Leistungssystemen im SGB II und im SGB XII eine Angemessenheitsprüfung zu erfolgen hat (BT, Drucksache 20/3873, S. 117). Zwar führt der Gesetzgeber den Wert von 7.500.00 Euro in seiner Gesetzesbegründung an, übernimmt diesen aber ausdrücklich nicht in den Wortlaut der Vorschrift, sondern verwendet mit dem Begriff der Angemessenheit einen unbestimmten Rechtsbegriff. Der Gesetzgeber erläutert auch nicht, wie er zu dem Wert von 7.500,00 Euro kommt. Die Gesetzesbegründung lässt offen, auf welcher tatsächlicher Grundlage dieser Wert ermittelt worden ist. Der genannte Betrag entspricht jedoch der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Angemessenheit nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II a.F. bezogen auf eine Leistungsbewilligung nach dem SGB II für die Zeit vom 25.03.2005 bis 11.05.2005 (BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 66/06 R). Unklar bleibt, ob der Gesetzgeber die allgemeine Preisentwicklung und die 2021 erfolgte deutliche Anhebung der der Entscheidung des BSG zugrundeliegenden Werte der KfzHV berücksichtigt hat. Die Gesetzesbegründung zu § 90 Abs. 2 Nr. 10 SGB XII verhält sich dazu nicht.
Der Antragsteller hat bezogen auf den Regelbedarf das Bestehen eines Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht. Eine Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und gegenwärtigen Notlage, in der ein Abwarten in der Hauptsacheentscheidung mit schlechthin unzumutbaren Folgen verbunden wäre, ergibt sich aus dem Wesen des SGB XII als existenzsichernde Leistungen. Ohne diese drohen dem Antragsteller nach summarischer Prüfung existenzielle Nachteile, da das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum betroffen ist, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 27.02.2013 – L 7 AS 156/13 B ER, L 7 AS 157/13 B). Der Antragsteller verfügt nicht ansatzweise über ausreichend Mittel, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Nach den eingereichten Kontoauszügen sind die einzigen Zahlungen, die er nach Einstellung der Leistungsbewilligung erhalten hat eine einmalige Einzahlung in Höhe von 100,00 Euro und private Darlehen. Die private Darlehensgewährung steht einem Anordnungsrund nicht entgegen, da sie bei einer durchschnittlichen zu erwartenden Verfahrenszeit eines Hauptsacheverfahrens mit erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist. Der Antragsteller müsste sich bei einer Nichtgewährung von Leistungen erheblich verschulden. Auch erhebliche wirtschaftliche Nachteile, die entstehen, wenn das Ergebnis eines langwierigen Verfahrens abgewartet werden müsste, können ausreichen (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG Rn. 412). Um die Hauptsache nicht vorwegzunehmen und nachteilige Folgen zu beschränken, war die einstweilige Anordnung zeitlich zu begrenzen. Die Dauer der Leistungen wurde bis zum 31.10.2023 befristet. Dies trägt dem Umstand der Folgenabwägung Rechnung und gibt der Antragsgegnerin die Möglichkeit, weitere Ermittlungen einzuholen (z.B. eine Einholung eines Kraftfahrzeug-Wertgutachtens, weitere Kontoauszüge, Darlehensverträge).
Die Kammer weist ausdrücklich darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung maßgeblich auf den Angaben des Antragstellers zu seinem Kraftfahrzeug und auf den eingereichten Kontoauszügen beruht, die die Höhe des Kontostands und eine private Darlehensbewilligung ausweisen. Sollten sich diese von der Kammer als wahr zugrunde gelegten Angaben als unwahr erweisen, hätte dies für den Antragsteller neben einer möglichen Rückforderung durch die Antragsgegnerin unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen (vgl. § 263 Strafgesetzbuch (StGB) – Prozessbetrug).
Der Antrag war abzulehnen soweit die Bedarfe der Unterkunft und Heizung betroffen sind. Hier hat der Antragsteller das Bestehen eines Anordnungsgrunds nicht glaubhaft gemacht. Eine konkrete Gefährdung seiner Wohnung ist durch ihn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht glaubhaft gemacht worden. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass aktuell die Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit droht. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung ist es grundsätzlich erforderlich, dass Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen. Ein Anordnungsgrund ist damit grundsätzlich erst bei Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2014 – L 19 AS 632/14 B ER). Auch wenn nicht schematisch auf das Vorliegen einer fristlosen Kündigung und die Notwendigkeit einer Räumungsklage abzustellen ist, ist für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes eine konkrete Gefährdung der Wohnung erforderlich. Ein Anordnungsgrund bei der begehrten einstweiligen Gewährung von Unterkunftskosten ergibt sich nicht bereits aus der Vermeidung von Mietschulden oder der erstrebten Möglichkeit, anderweitig erhaltene Mittel zurückzahlen zu können, und es genügt regelmäßig auch nicht der Ausspruch der fristlosen Kündigung bzw. deren Androhung. Erforderlich ist der substantiierte und nachvollziehbare Vortrag, dass konkret und zeitnah eine Wohnungs- und Obdachlosigkeit droht (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Oktober 2016 – L 3 AS 3210/16 ER-B).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.