L 7 R 1401/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1265/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 1401/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. März 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1962 geborene Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 besteht, ist nach eigenen Angaben gelernte Betriebsschlosserin und war zuletzt als Facharbeiterin in der Blechverarbeitung versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Juni 2014 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. Nach Zeiten des Krankengeldbezugs erhielt sie bis zum 13. März 2017 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit und ist bei dieser im Anschluss jedenfalls bis zum 31. Dezember 2021 durchgängig, nach eigenen Angaben fortlaufend, ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet gewesen (s. dazu Versicherungsverlauf vom 3. Januar 2023).

Vom 16. April 2018 bis zum 14. Mai 2018 befand sich die Klägerin in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der R1klinik R2. Nach dem dortigen Entlassungsbericht vom 15. Mai 2018 bestünden bei der Klägerin die Diagnosen einer Somatisierungsstörung, leicht gebessert (ICD-10: F45.0), einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, unverändert (ICD-10: F45.41), einer somatoformen autonomen Funktionsstörung: Unteres Verdauungssystem (Reizdarm), leicht gebessert (ICD-10: F45.32), einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradiger Episode, teilremittiert (ICD-10: F33.1), einer Nikotinabhängigkeit, unverändert (ICD-10: F17.2), eines Glaukoms beider Augen (Sehen teilweise unscharf), eines chronischen Pruritus seit 2012 und eines symptomatischen Restless Legs-Syndroms bei sensibler Polyneuropathie. Die Klägerin sei in ihrer letzten beruflichen Tätigkeit als Fabrikarbeiterin wie auch für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Tagesschicht zeitweise im Stehen, Gehen oder Sitzen nur noch unter drei Stunden arbeitstäglich leistungsfähig.

Die Klägerin, die bereits in den Jahren 2010 und 2015 erfolglos die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, beantragte am 8. August 2018 (erneut) die Gewährung einer solchen Rente bei der Beklagten und legte hierzu verschiedene ärztliche Behandlungsberichte sowie den vorgenannten Entlassungsbericht der R1klinik vor. Die Beklagte holte daraufhin das nach einer Untersuchung der Klägerin am 22. Oktober 2018 erstellte Gutachten der G1 vom 26. November 2018 ein. Die Gutachterin diagnostizierte ein anhaltendes Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren und fibromyalgischen Anteilen, ein Restless Legs-Syndrom, ein chronisches Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und muskulärer Dysbalance, ein medikamentös behandeltes Glaukom, eine Polyarthralgie und eine Dysthymie. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei der Klägerin nicht mehr zumutbar. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne häufiges Bücken, ohne längere Überkopfarbeiten, ohne häufiges Besteigen von Treppen, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Absturzgefahr, unter Zeitdruck, ohne Schicht, nicht bei Hitzebelastung sollten sechs Stunden und mehr möglich sein.

Mit Bescheid vom 30. November 2018 lehnte die Beklagte darauf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab, da die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 12. Dezember 2018 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2019 zurückwies. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt dauerhaft zeitlich einschränkten. Ihr seien noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Stehen, überwiegend im Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht, ohne häufiges Bücken, ohne längere Überkopfarbeiten, ohne häufiges Besteigen von Treppen, ohne Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten bzw. ohne Absturzgefahr, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Schichtarbeit und ohne besondere Belastung durch Hitze regelmäßig mindestens sechs Stunden täglich zumutbar.

Am 25. März 2019 hat die Klägerin hiergegen Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, welches zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen befragt hat.

Der M1 hat mit Schreiben vom 17. Juli 2019 erklärt, dass die Klägerin auf seinem Fachgebiet unter einem chronisch rezidivierenden Schmerzsyndrom der unteren Lendenwirbelsäule bei schwerer Osteochondrose LWK 4/5, einer S-förmigen Skoliose rechts konvex dorsal, links konvex lumbal, ausgeprägten Varusgonarthrosen beidseits, einer Rhizarthrose rechts, einer ACG-Arthrose links, chronisch rezidivierenden Zervikobrachialgien bei ausgeprägter Osteochondrose/Spondylarthrose C4 bis C7, einem gesicherten Fibromyalgiesyndrom, einer chronischen rezidivierenden Epicondylitis humeri radialis rechts, vor allem durch Über-/ bzw. Fehlbelastung, Knick-Senk-Spreizfüßen beidseits und einem Sacrumtiefstand links mit 0,3 cm leide. Unter Berücksichtigung der psychosomatischen Störungen, hier vor allem der Reizdarmsymptomatik, sowie der verminderten Sehfähigkeit beider Augen sei in Kombination mit den orthopädischen chronisch-rezidivierenden Erkrankungen, vor allem der Lendenwirbelsäule und der Ellenbogengelenke, von einem Restleistungsvermögen von schätzungsweise unter drei Stunden pro Tag auszugehen. Grundsätzlich sei eine leichte Tätigkeit auch von über drei Stunden denkbar, sofern die Klägerin nicht auf eine wie bisher gute Sehfähigkeit angewiesen sei und es die Möglichkeit gebe, schnell und diskret Sanitäreinrichtungen bei Reizdarmsyndrom aufzusuchen. Nach Aktenlage sei der Klägerin grundsätzlich zuzumuten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und Wegstrecken über 500m zu Fuß zurückzulegen.

Der S1 berichtete mit Schreiben vom 27. Juli 2019, die Klägerin seit März 2014 alle acht Wochen zu behandeln. Es bestehe eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.51), eine somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren Verdauungssystems (ICD-10: F45.32), eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert (ICD-10: F33.4) und sonstige hyperkinetische Störungen/ADHS im Erwachsenenalter (ICD-10: F90.8). Das Restleistungsvermögen liege unter drei Stunden. Die Klägerin sei nur sehr eingeschränkt in der Lage, ihren Haushalt zu führen. Zwei bis drei Stunden am Stück körperlich zu arbeiten sei ihr nicht möglich. Sie müsse jeweils nach 15-30 Minuten Pausen einlegen und könne nur leichte Arbeiten verrichten. An qualitativen Einschränkungen seien regelmäßige Pausen, nur leichte körperliche Tätigkeiten, keine Tätigkeiten, die motorisches Geschick erforderten, keine Tätigkeiten, die scharfes Sehen erforderten, kein Zeit- und Leistungsdruck, kein Lärm, keine stehende Tätigkeit zu berücksichtigen. Die Klägerin könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen und sei in der Lage, 500 m zu Fuß zurückzulegen, allerdings unter erhöhtem Zeitaufwand durch die Notwendigkeit, Pausen einlegen zu müssen.

Der H1 teilte unter dem 29. Juli 2019 mit, dass hinter einem expressiven Stil der Kontaktaufnahme und dramatischer Symptomschilderungen eine Angststörung mit erheblichen depressiven Anteilen offensichtlich sei. Weiter benannte er auf seinem Fachgebiet ein Restless Legs-Syndrom, einen rechtsseitig betonten feinschlägigen Tremor der Hände sowie einen Verdacht auf Legasthenie und referierte im Übrigen den Behandlungsverlauf der Klägerin bei verschiedenen Ärzten bzw. Kliniken. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit selbst eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für drei Stunden und mehr zu verrichten. Eine maximale Belastbarkeit bestehe für ein bis zwei Stunden, danach benötige die Klägerin eine längere Pause. Außerdem sei sie den üblichen Bedingungen eines normalen Arbeitsmarktes nicht gewachsen, könne sich nicht an die erforderlichen Vorgaben halten, sei schmerzbedingt nicht in der Lage, gleichförmige Bewegungen dauerhaft auszuüben. Keine Einschränkungen bestünden hinsichtlich der Fähigkeit, die üblichen Wege von und zur Arbeit zurückzulegen.

Der T1 berichtete mit Schreiben vom 8. August 2019, dass bei der Klägerin seit Beginn der hausärztlichen Behandlung 2013 an Beschwerden Schlafprobleme, ein chronisches Erschöpfungs- und Müdigkeitssyndrom, Ganzkörperbeschwerden in Form von Schmerzen in sämtlichen Gelenken und Muskelgruppen, welche zu Bewegungseinschränkungen führten, ständige therapieresistente Kopfschmerzen, brennende Missempfindungen an Händen und Füßen beidseits, welche vom Fuß bis zum Knie und die Oberarme ausstrahlten und einen Kratzzwang bedingten, Konzentrationsstörungen, Merkfähigkeitsstörungen und eine Polyurie mit Stressinkontinenz bestünden. Eine leichte körperliche Tätigkeit mit entsprechenden Pausen und Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen über maximal vier Stunden pro Tag seien theoretisch vorstellbar. Eine sechsstündige berufliche Tätigkeit mit leichten körperlichen Belastungen sei aufgrund der notwendigen Pausen und der Gestaltung des Arbeitsplatzes aus seiner Sicht nicht vermittelbar. Ergänzend hat T1 verschiedene Behandlungs- und Befundberichte seit 2010 vorgelegt, darunter den Arztbrief der S2 vom 29. August 2017, nach welchem bei der Klägerin u.a. auf beiden Augen glaukomatöse Veränderung sowie eine Hyperopie bestünden und der Visus mit Korrektur rechts 1,0pp und links 0,6-0,8pp betrage.

Die Beklagte hat der Klägerin im Weiteren eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der B1-Klinik S3 bewilligt (Bescheid vom 1. Juli 2019), welche vom 24. September 2019 bis zum 15. Oktober 2019 durchgeführt wurde. Nach dem dortigen Entlassungsbericht vom 15. Oktober 2019 bestünden bei der Klägerin die Diagnosen einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41), eine Verbitterungsstörung (ICD-10: F43.2), eine Fibromyalgie: mehrere Lokalisationen (ICD-10: M79.70), ein Impingement-Syndrom der Schultern (ICD-10: M75.4), Rückenschmerzen: bes. HWS und LWS bei Spondylosen C4-7 und Osteochondrose LWK4/5 (ICD-10: M54.90), ein Tinnitus aurium beidseits, ein Syndrom der unruhigen Beine (RLS), ein Spannungskopfschmerz, eine Hypothyreose, ein Glaukom beidseits, eine Polyneuropathie und ein Tabakabhängigkeitssyndrom. Es bestehe eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden für den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Für die Beklagte hat darauf die S4 am 6. November 2019 Stellung genommen und das SG hat das Gutachten des H2 vom 19. Februar 2020 eingeholt. H2 hat nach Untersuchung der Klägerin am 17. Februar 2020 hinsichtlich der bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen ausgeführt, dass Missempfindungen im Bereich der Beine beklagt würden, die sich auf die in der Vorgeschichte diagnostizierte Polyneuropathie beziehen ließen. Im Übrigen habe die Klägerin über Symptome berichtet, die sich auf ein Restless-Legs-Syndrom beziehen ließen. Im Vordergrund stehe diagnostisch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Des Weiteren habe sich eine depressive Erkrankung gezeigt, wobei aktuell eine leichte depressive Episode vorgelegen habe (ICD-10: F32.0). Aufgrund der vorliegenden Erkrankungen müsse eine Überforderung durch Akkordarbeit, Nachtarbeit und durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck vermieden werden. Dies gelte gleichermaßen für besonders hohe Ansprüche an Auffassung, Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung. Das Letztgenannte sei so zu verstehen, dass die Klägerin Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung aufgrund der bei ihr vorliegenden Erkrankungen nicht verrichten könne. Sowohl eine Tätigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf wie auch eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne noch mindestens sechs Stunden täglich ausgeübt werden, soweit die skizzierten qualitativen Leistungseinschränkungen beachtet werden könnten. Einschränkungen hinsichtlich der Fähigkeit der Klägerin, die üblichen Wege zu und von der Arbeitsstelle zurückzulegen, bestünden nicht.

Auf Antrag der Klägerin hat das SG das Gutachten des K1 vom 7. September 2020 eingeholt. Der Gutachter hat aufgrund einer Untersuchung am 7. September 2020 auf psychiatrischem Fachgebiet bei der Klägerin die Diagnosen einer phasenhaft verlaufende Depression, aktuell mittelschwere Episode (ICD-10: F33.1), eines chronischen Schmerzsyndroms mit psychischen und somatischen Faktoren (ICD-10: F45.41), einer somatoformen autonomen Funktionsstörung des unteren Gastrointestinaltraktes (ICD-10: F45.32) und einer Lernbehinderung (ICD-10: F81.3) gestellt, sowie auf anderen Fachgebieten die Diagnosen leicht- bis mittelgradiger degenerativer Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, eines Schulter-Arm-Syndroms beidseits, einer Gonarthrose beidseits, eines Glaukoms beidseits mit leichte Visusminderung links sowie eines Restless legs-Syndroms beidseits. Aufgrund der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem und orthopädischem Fachgebiet sei die Klägerin nur noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten drei bis unter sechs Stunden täglich auszuführen. Als qualitative Einschränkungen hat K1 angegeben, die Klägerin könne keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an Konzentration-, Reaktion-, Anpassung- und Umstellungsvermögen, keine Tätigkeiten in Nachtschicht bzw. im Drei-Schicht-Betrieb, keine Tätigkeiten im Akkord oder unter Zeitdruck, keine Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung für Menschen und Maschinen, keine Tätigkeiten mit Publikumsverkehr, keine Tätigkeiten mit Überwachung oder Steuerung komplexe Arbeitsvorgänge, keine Tätigkeiten, die mehr als einfachste Lese- und Rechtschreibkenntnisse erforderten, keine Tätigkeiten mit dauerndem Stehen oder Laufen, keine Tätigkeiten mit häufigem Treppensteigen, keine Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, keine Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Tritt- und Standsicherheit, keine Tätigkeiten an schnell laufenden Maschinen oder mit Absturzgefahr, keine Tätigkeiten in Zwangshaltung oder mit Überkopfarbeiten, keine Tätigkeiten die mit dem Heben, regelmäßigen Tragen von Lasten von mehr als fünf kg, ausnahmsweise (maximal fünfmal pro Arbeitstag) von zehn kg verbunden seien, keine Tätigkeiten, bei denen sie Kälte, Nässe, Hitze oder Zugluft ausgesetzt sei und keine Tätigkeiten, die ein besonders scharfes und räumliches Sehen verlangten, ausüben. Regelmäßiges Aufstehen, Umherlaufen und ein freier Zugang zur Toilette müsse möglich sein. Die Klägerin sei z.B. noch in der Lage, Tätigkeiten der Arbeitsvorbereitung wie das Zusammenstellen und Austeilen von Arbeitsmaterialien auszuführen.

Dem Gutachten des K1 ist für die Beklagte der N1 beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28. September 2020 entgegengetreten.

Mit Urteil vom 31. März 2021, im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung, hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei insbesondere auf das Gutachten des H2 gestützt. Es habe sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit zur Überzeugung der erkennenden Kammer feststellen lassen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten.

Gegen diese ihr am 12. April 2021 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 20. April 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Bei ihr liege eine rentenrelevante Minderung des zeitlichen Leistungsvermögens vor. Weder die Verwaltungsgutachterin noch der Sachverständige von Amts wegen seien ausreichend auf ihre Schmerzerkrankung bzw. die Auswirkungen der Schmerzen eingegangen. Die Einschätzung des K1 hingegen überzeuge. Er habe seine Leistungseinschätzung ausführlich auch anhand des Mini-ICF-APP begründet. Die Psychotherapie bei dem S1 sei seit Ende Mai 2021 wegen der Ausschöpfung des Therapiekontingents unter Ablehnung weiterer Therapiestunden durch die Krankenkasse beendet worden. Ergänzend hat die Klägerin die Arztbriefe des K2 vom 30. März 2020 und vom 1. Dezember 2021 sowie des K3 vom 10. September 2021 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt, sachgerecht gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 31. März 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. August 2018 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die behandelnden T1, H1 und K2 als sachverständige Zeugen gehört und das Gutachten der O1 vom 26. Juli 2022 eingeholt.

K2 hat unter dem 29. Juli 2021 mitgeteilt, die Klägerin habe sich seit 2020 nur einmalig vorgestellt und hierzu auf den Arztbrief vom 30. März 2020 verwiesen. Seiner Einschätzung nach sei für die Klägerin eine regelmäßige berufliche Tätigkeit zumindest zum Zeitpunkt der Vorstellung nicht mehr sinnvoll realisierbar gewesen. H1 hat mit Schreiben vom 9. August 2021 im Wesentlichen seine Angaben aus der sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem SG wiederholt und vertieft. Die Belastungsfähigkeit liege weit unter drei Stunden. Insbesondere die Angststörung, welche sich in körperlichen Symptomen ausdrücke, führe zu solch erheblichen Beeinträchtigungen, dass den Anforderungen am ersten Arbeitsmarkt nicht Genüge getan werden könne. T1 berichtete mit Schreiben vom 5. Oktober 2021, dass sich grundsätzlich keine Veränderungen des Gesundheit- bzw. Krankheitszustand der Klägerin eingestellt hätten. Aufgrund der beklagten Gesundheitsstörungen sei die Klägerin seines Erachtens nicht in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit mit mehr als drei Stunden Arbeit an einem Stück nachzugehen.

Für die Beklagte hat die H3 am 22. Oktober 2021 zu den eingeholten sachverständigen Zeugenauskünften Stellung genommen.

Die O1 hat nach Untersuchung der Klägerin am 22. März 2022 eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und ein überdauernden dysthymes Bild beschrieben. Anamnestisch bestehe ein essenzieller Tremor und eine Restless Legs-Symptomatik. Es zeigten sich akzentuierte Persönlichkeitszüge und es gebe Hinweise auf eine geminderte Intelligenz, wie eine Lernbehinderung, und es finde sich zudem eine somatoforme autonome Störung des unteren Gastrointestinaltraktes im Sinne einer Reizdarmsymptomatik. Die Klägerin sei noch in der Lage, einfache überschaubare Tätigkeiten mit klaren Anweisungen auszuführen, mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung, der Möglichkeit zum Aufsuchen einer Toilette, auch bezüglich der Reizdarmsymptomatik. Wechselhaltung sei auch mit Berücksichtigung einer Restless-Legs-Symptomatik zu bevorzugen, sodass die Arbeit im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt werde. Akkordtätigkeit sei bei eingeschränkter emotionaler Belastbarkeit auszunehmen, ebenso Nachtschichttätigkeit auch bezüglich der depressiogenen Wirkung. Es sollten leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten sein, ohne Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken und ohne Tätigkeiten überkopf. Unter Berücksichtigung des Leistungsbildes seien keine weiteren besonderen Arbeitsbedingungen zu fordern. Eine Arbeit von täglich mindestens sechs Stunden sei möglich, entsprechend dem positiven und negativen Leistungsbild. Einschränkungen bezüglich der Wegstrecke erschlössen sich nicht.

Am 24. November 2022 hat der Berichterstatter mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durchgeführt und die Beteiligten haben mit Schreiben vom 19. Januar 2023 bzw. 6. Februar 2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.




Entscheidungsgründe

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über welche der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig, da laufende Leistungen für mehr als ein Jahr streitig sind (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, neben der erstinstanzlichen Entscheidung, der Bescheid der Beklagten vom 30. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2019 (§ 95 SGG), mit welchem die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 8. August 2018 auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung abgelehnt hat.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das SG hat das – statthaft und auch im Übrigen zulässig mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) verfolgte – Begehren der Klägerin zurecht abgewiesen, denn die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung gegen die Beklagte nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI hat die 1962 geborene Klägerin daneben zu Recht nicht geltend gemacht, da diese Regelung nur Versicherte erfasst, die vor dem 2. Januar 1961 geboren worden sind (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI (in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554]) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG) Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet sowie Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) und schließlich den Ursachenzusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen und den Leistungseinschränkungen zu ermitteln und festzustellen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris Rdnr. 13).

Die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht von einer solchen Schwere, dass sie deren Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht auf unter sechs Stunden arbeitstäglich begrenzen würden. Vielmehr genügen qualitative Einschränkungen, um den gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerecht zu werden. Dies ergibt sich zur Überzeugung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) des Senats insbesondere aus den Ergebnissen des in erster Instanz eingeholten Gutachten des H2, des im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens der O1 und des im Verwaltungsverfahren eingeholten und im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung <ZPO>, vgl. BSG, Beschluss vom 30. März 2017 – B 2 U 181/16 B – juris Rdnr. 9 m.w.N.) Gutachtens der G1.

Maßgeblich für die Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin sind insbesondere die Auswirkungen der bei ihr bestehenden Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet, wie der Senat den vorgenannten Gutachten, aber auch etwa der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden M1 vom 17. Juli 2019 entnimmt und von dem auf Antrag der Klägerin eingeholten Gutachten des K1 bestätigt worden ist.

Im Vordergrund der Leiden der Klägerin auf nervenärztlichem Gebiet steht, wie die gehörten Gutachter – von Formulierungsdifferenzen abgesehen – überstimmend bekundet haben und auch den ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises zu verwertenden Entlassungsberichten der R1klinik R2 und der B1-Klinik zu entnehmen ist, eine chronische somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.41), deren vorherrschende Beschwerde ein andauernder schwerer und quälender Schmerz ist, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann. Daneben ist eine Gesundheitsstörung aus dem depressiven Formenkreis zu berücksichtigen, wobei die G1 insoweit eine Dysthymie, der behandelnde S1 in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 27. Juli 2019 eine gegenwärtig remittierte rezidivierende depressive Störung (ICD-10: F33.4) diagnostiziert hat, der behandelnde H1 in seinen sachverständigen Zeugenaussagen vom 29. Juli 2019 eine Angststörung mit erheblichen depressiven Anteilen, der H2 eine leichte depressive Episode (ICD-10: F32.0) und der K1 eine phasenhaft verlaufende Depression, aktuell mittelschwere Episode (ICD-10: F33.1) sowie die O1 ein überdauernd dysthymes Bild beschrieben hat. Hierbei kommt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin der genauen Diagnosestellung im Ergebnis keine durchgreifende Bedeutung bei, da insoweit nicht die einzelne Gesundheitsstörung maßgeblich ist, sondern das Ausmaß der negativen Beeinflussung des verbliebenen Leistungsvermögens durch – dauerhafte – Gesundheitsbeeinträchtigungen, mithin der Auswirkungen der anhand objektiv-klinischer Befunde festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen (BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2003 – B 13 RJ 179/03 B – juris Rdnr. 6; BSG, Beschluss vom 8. Oktober 2018 – B 5 R 112/18 B – juris Rdnr. 10; Senatsurteil vom 17. März 2016 – L 7 R 1752/14 – n.v.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. September 2012 – L 13 R 6087/09 – juris Rdnr. 22). Soweit in dem Entlassungsbericht der B1-Klinik vom 15. Oktober 2019 auch eine Verbitterungsstörung und eine Fibromyalgie beschrieben worden sind, kann insofern auch dahinstehen, ob diese als eigenständige Gesundheitsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, da insofern keine Auswirkungen ersichtlich sind, welche nicht bereits in die Bewertung des Schmerz- und depressiven Geschehens einzustellen wären. Dies gilt ebenso für die von G1 diagnostizierte Polyarthralgie, die in den Entlassungsberichten der Reha-Kliniken R2 und S3 angeführte Polyneuropathie, die von dem T1 einzeln angeführten Symptome wie u.a. Schlafprobleme, Missempfindungen, Konzentrationsstörungen und den – in der R1 Klinik als Pruritus geführten – Kratzzwang, wobei hinsichtlich letzterem keinem der vorliegenden Berichte und Stellungnahmen Anhaltspunkte für ein Zwangsgeschehen im eigentlichen Sinne entnehmen lassen und die Klägerin diese Beschwerden gegenüber keinem der in beiden Instanzen gehörten Gutachter mehr berichtet hat. Insoweit sind von ihr lediglich gegenüber H2 noch Kribbelempfindungen benannt worden, aber selbst dies gegenüber den K1 und O1 nicht mehr. Schließlich sind auf nervenärztlichem Gebiet vorliegend noch eine somatoforme autonome Störung des unteren Gastrointestinaltraktes im Sinne einer Reizdarmsymptomatik (ICD-10: F45.32) sowie ein Restless Legs-Syndrom zu berücksichtigen, wie etwa die K1 und O1 dargestellt haben. Das Vorliegen einer eigentlichen Lernbehinderung oder differenzialdiagnostisch ein gemindertes Intelligenzniveau hat sich nach dem Gutachten der O1 nicht abschließend sichern lassen.

Soweit der S1 daneben noch die Diagnose einer sonstigen hyperkinetischen Störung/ADHS im Erwachsenenalter (ICD-10: F90.8) gestellt hat, ist diese in den gutachterlichen Untersuchungen nicht bestätigt worden, insbesondere hat H2 ausdrücklich das Vorliegen von Anhaltspunkten für eine solche Störung verneint. Ebenso hat das von dem T1 angeführte chronische Erschöpfungs- und Müdigkeitssyndrom keine Bestätigung in den im Laufe des vorliegenden Renten- und Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten gefunden.

Wie die O1 und H2 für den Senat nachvollziehbar herausgearbeitet haben, führen die auf nervenärztlichem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen bei der Klägerin zu keinen derart schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen, dass hieraus eine Erwerbsminderung abzuleiten wäre. So zeigte sich die Klägerin in der Untersuchung bei der  O1 gepflegt, wach, orientiert, mit ungestörter Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit und ungestörter Auffassungsgabe. Die Intelligenz war nach klinischem Eindruck durchschnittlich einzuordnen. Es gab keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen. Wahrnehmung und Ich-Bewusstsein waren ungestört. In Antrieb und Motorik zeigte sich ein lebhaftes Bild. Das Sprechen war ungestört, affektiv imponierte eine klagsam auftretende Patientin, schwingungsfähig mit auch Neigung zum kräftigeren Ausdruck mit einem Verdeutlichungsverhalten, zeitweise auch weinerlich. Dabei zeigten sich auch dissoziativ-neurasthene Züge. Es bestand ein Krankheitsgefühl mit ambivalenter Therapiemotivation und im Vordergrund stand ein Versorgungswunsch. In der testpsychologischen Untersuchung nach dem Beck‘schen Degressionsinventar zeigte sich ein signifikanter Wert von 53 Punkten und damit eine Diskrepanz in der Selbsteinschätzung zum eigentlichen Untersuchungsbefund. Aus dem Mehrfachwortschatz-Test B ließ sich eine niedrige Intelligenz mit einem IQ um 85 ableiten. In der neurologischen Untersuchung zeigten sich die Hirnnerven intakt, in der Koordinationsprüfung beim Augenschluss ein breitbeiniges Gangbild, eine Drehung nach rechts im Unterberger-Tretversuch bei regelrecht statischem Verhalten. In der Sensibilitätsprüfung zeigten sich für die Empfindungsqualitäten Druck, Berührung und Schmerz keine Empfindungseinschränkungen sowie eine regelrechte Thermästhesie, keinerlei Hinweise für eine Affektion der Hinterstränge und intakte Vibrations- und Lagesinne. In der motorischen Prüfung fanden sich regelrechte Verhältnisse an den oberen und unteren Extremitäten. Die orientierende Überprüfung der einzelnen Muskelfunktionen zeigte keine Abweichung von der Norm, Atrophien waren nicht erkennbar und auch keine pyramidalen Störungen. Beeinträchtigungen der Sprache- und Hörfunktion zeigten sich nicht und das Reflexverhalten war bis auf nicht seitengleich auslösbare Bauchhautreflexe unauffällig. Hinsichtlich des Schmerzgeschehens hat die Gutachterin hervorgehoben, dass die Klägerin keine eigentliche Schmerzmedikation einnimmt und coanalgetisch (nur) die Gabe von Duloxetin zu werten ist, mit auch antidepressivem Effekt, so dass Behandlungsreserven bestehen und ein multimodales Schmerztherapieprogramm als nicht umgesetzt gilt. Insbesondere haben sich, wie die Gutachterin aufgezeigt hat, Diskrepanzen zwischen Beschwerdeschilderung einerseits und tatsächlicher körperlicher und psychischer Beeinträchtigung sowie zu eruierenden Aktivitäten des täglichen Lebens bei fehlenden erweiterten Therapiemaßnahmen und Eigenaktivitäten zur Beschwerdelinderung andererseits gezeigt. So hat die Klägerin gerade in Anbetracht der seit Längerem bestehenden Arbeitslosigkeit eine strukturierte und im Verhältnis zu den genannten Beschwerden aktive Alltagsgestaltung geschildert. Sie hat berichtet, ihr Wecker gehe um acht Uhr, sie stehe zwischen 8:30 Uhr und 9:00 Uhr auf, trinke Kaffee, kruschtele herum. Ihr Mann gehe schon um 6:00 Uhr aus dem Haus. Sie bereite Mittag- und Abendessen vor, der Mann komme abends. Nachmittags würde sie ein paar Runden laufen. Manchmal laufe jemand mit oder sie treffe jemanden. Sie gehe einkaufen, zwischen 17:00 und 18:00 Uhr komme der Mann. Sie schlafe oft auf der Couch, wenn er komme. Sie höre keine Musik und schaue auch kein Fernsehen. Abends würden sie Fernsehen schauen. Sie habe auch ein Smartphone, sei aber eine „technische Niete“. Sie habe keinen PC, das könne sie nicht. Um 22:00 Uhr gehe sie zu Bett. Zum Freizeitverhalten hat sie dabei auch berichtet, dass zur Entlastung der Füße am besten schwimmen helfe. Früher sei sie jede Woche gegangen, nunmehr aber gehe sie wegen des Geldes nicht mehr. Es koste 14 EUR für zwei Stunden im warmen Wasser. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Aufgabe diese Aktivität nicht gesundheitlichen Einschränkungen geschuldet ist, sondern finanziellen. Weiter hat die Klägerin noch in der R1klinik mitgeteilt, dass der Kontakt zu warmem Wasser Schmerzempfinden auslösen würde, sodass insofern tendenziell eher Anhaltspunkte für eine Verbesserung als für eine Verschlechterung der Beschwerden im Verlauf bestehen. Auch hinsichtlich des Erwerbslebens bedeutsamere Einschränkungen des Sozial- und Alltagsverhaltens lassen sich dem von der Klägerin selbst geschilderten Tagesablauf insoweit nicht entnehmen.

In der Untersuchung bei H2 am 17. Februar 2020 zeigte sich neurologisch ebenfalls ein weitgehend unauffälliger Befund, lediglich im Beinhalteversuch kam es zu einem Absinken beidseits bei Angabe von Schmerzen im Bereich der Oberschenkel beidseits und der Lendenwirbelsäule und die Muskeleigenreflexe waren allseits untermittelstark auslösbar. Es wurden Missempfindungen im Bereich der Beine beklagt. Neurologische Einschränkungen und insbesondere relevante funktionelle Leistungseinschränkungen im Bereich der Extremitäten ließen sich nicht nachweisen. Auch das Gangbild inklusive des Blindgangs und des Rückwärtsgehens waren unauffällig. Weiter hat H2 herausgehoben, dass die Klägerin auf Nachfrage über Symptome berichtete, die sich auf ein Restless legs-Syndrom beziehen lassen, dass hieraus jedoch keine überdauernden punktuellen Leistungseinschränkungen folgen und ein Tremor im Rahmen der Untersuchung nicht feststellbar gewesen ist. Psychisch hat das der somatoformen Schmerzstörung zuzurechende Schmerzgeschehen im Vordergrund gestanden. Im Übrigen war die Stimmungslage leicht gedrückt, wobei themenabhängig eine Auflockerung möglich war. Die affektive Schwingungsfähigkeit war leicht reduziert und die Klägerin unzufrieden bei eher ausdrucksarmer Psychomotorik und leicht reduziertem Antrieb. Kognitive Leistungseinschränkungen zeigten sich nicht. Die Auffassung, die Konzentration, dass Durchhaltevermögen und das Gedächtnis waren durchweg intakt.

Die vorgenannten Befunde finden sich auch im Wesentlichen bestätigt durch die diesbezüglichen Feststellungen des K1 und die in den Entlassungsberichten der R1klinik und der B1-Klinik aufgeführten Befunde, die allesamt ein überwiegend gleichbleibendes Beschwerdebild zeigen, wobei – wie bereits angeführt – im Verlauf tendenziell eine gewisse Milderung der Schmerzbeschwerden aus den Befundangaben ableitbar ist. Soweit sich nach dem Entlassungsbericht der B1-Klinik in der Hirnleistungsdiagnostik beeinträchtigte kognitive Fähigkeiten gezeigt haben, haben sich Antwortverzerrungen, etwa aufgrund von Aggravationstendenzen, nicht ausschließen lassen. K1 hat nach seiner Untersuchung der Klägerin am 7. September 2020 eine etwas geminderte Aufmerksamkeit und Konzentration berichtet, ohne dies jedoch näher zu spezifizieren und ein auffälliges agitiertes, sozial inadäquates und demonstratives Verhalten geschildert, welches jedoch – mit Ausnahme des demonstrativen Verhaltens – von den O1 und H2 nicht bestätigt worden ist. Soweit nach dem Gutachten des K1 und auch den Entlassberichten der R1klinik und der B1-Klinik gravierendere Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin festzustellen sein sollen, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Sowohl K1 als auch die Ärzte der B1-Klinik stützen sich insoweit maßgeblich auf die Ergebnisse des von ihnen jeweils genutzten Mini-ICF-APP, einem Erhebungsinstrument zur Beschreibung von Fähigkeitsbeeinträchtigungen. Nach dem Entlassungsbericht der B1-Klinik haben sich demnach mittelgradige Beeinträchtigungen der Klägerin im Bereich Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, Kontaktfähigkeit zu Dritten, Gruppenfähigkeit und Spontan-Aktivitäten sowie schwere Beeinträchtigungen im Bereich Anwendung fachlicher Kompetenzen gezeigt. Auf welche konkreten Feststellungen sich diese Bewertung stützt, lässt sich dem Entlassungsbericht jedoch nicht entnehmen, vielmehr beschränken sich die diesbezüglichen Angaben in der sozialmedizinischen Epikrise auf allgemein gehaltene Symptomschilderungen, ohne schon erkennen zu lassen, dass diesen nicht lediglich die Angaben der Klägerin zugrunde gelegen haben, sondern eine kritische Beschwerdeprüfung und –validierung erfolgt ist. Dies ist umso bedeutender, als während der dortigen Rehabilitationsmaßnahme auch Aggravationstendenzen der Klägerin festgestellt worden sind. Gleiches gilt für die diesbezüglichen Ausführungen im Gutachten des K1, der über die Bewertung der B1-Klinik hinaus mittelgradige Beeinträchtigungen in den Bereichen Anpassung an Regeln und Routinen, Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben, Fähigkeit Entscheidung- und Urteilsfähigkeit, Fähigkeit zur Widerstands- und Durchhaltefähigkeit, Fähigkeit zu Gesprächs- und Kontaktfähigkeit zu Dritten und Fähigkeit zur Mobilität und Verkehrsfähigkeit sowie schwergradige Beeinträchtigungen in den Bereichen Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, Fähigkeit zur Kompetenz und Wissensanwendung, Fähigkeit zur pro Aktivität und spontan Aktivitäten, Fähigkeit zur Selbstbehauptungsfähigkeit, Fähigkeit zur Gruppenfähigkeit sowie Fähigkeit zu engen Beziehungen geschildert hat, ohne insoweit nachvollziehbare Begründungen anzugeben. Insoweit lässt sich den Ausführungen des K1 lediglich als zumindest ansatzweise konkretisiert entnehmen, dass sowohl die Fähigkeit zur Gruppenfähigkeit als auch die Fähigkeit zu engen Beziehungen deswegen schwergradig eingeschränkt sei, weil die sozialen Kontakte bzw. engeren Beziehungen auf die Familie beschränkt seien und die Fähigkeit zur Mobilität und Verkehrsfähigkeit deswegen mittelgradig beeinträchtigt sei, weil die Klägerin nur noch in der näheren Umgebung mit dem Auto fahre. Eine kritische Gegenprüfung und Validierung der Beschwerdeangaben der Klägerin seitens K1, der dieser selbst ein demonstratives Verhalten bescheinigt hat, ist insoweit nicht im Ansatz erkennbar und die aufgeführten Beeinträchtigungen anhand der gegebenen Begründungen nicht nachvollziehbar. Auch soweit dem Entlassungsbericht der R1klinik deutliche Defizite der Klägerin bei Anpassungsfähigkeit, Durchhaltefähigkeit und Schmerzdistanzierung zu entnehmen sind, fehlt es insbesondere hinsichtlich der Beeinträchtigungen im Bereich Anpassungsfähigkeit und Durchhaltefähigkeit an einer nachvollziehbaren Begründung. Vielmehr werden diese Ausführungen in der sozialmedizinischen Epikrise davon eingerahmt, dass die Klägerin den beteiligten Ärzten und Therapeuten mehrfach sehr deutlich dargelegt habe, dass sie keine Tätigkeiten übernehmen könne und sie darauf hingewiesen habe, dass sie schon seit vielen Jahren einen Kampf um die Anerkennung ihrer Schmerzen und ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit führe. Wie der N1 in seiner Stellungnahme vom 28. September 2020 hervorgehoben hat, wird insbesondere im psychischen Befund des Entlassungsberichts der R1klinik vielmehr nur eine leichtergradige Depressivität beschrieben, die noch nicht einmal zweifelsfrei die Kriterien einer wenigstens leichten depressiven Episode umfasst und ansonsten keine funktionellen Beeinträchtigungen zweifelsfrei belegt.

Soweit die Klägerin in verschiedenen ärztlichen Untersuchungen und Vorstellungen eine Reizdarmsymptomatik geschildert hat und diesbezüglich bei ihr eine somatoforme autonome Störung des unteren Gastrointestinaltraktes diagnostiziert worden ist, bestehen nach dem Aktenstand und insbesondere auch anhand der Schilderungen der Klägerin selbst keine Anhaltspunkte für eine schwerwiegendere Ausprägung. So ist auch etwa kein überdauernder Gewichtsverlust der Klägerin im Verlauf festzustellen, sondern vielmehr eine Zunahme von 60 kg (Entlassungsbericht der R1klinik vom 15. Mai 2018) auf 66,2kg (Gutachten der O1 vom 26. Juli 2022).

Daneben sind auf orthopädischem Gebiet eine schwere Osteochondrose LWK 4/5, eine S-förmigen Skoliose rechts konvex dorsal, links konvex lumbal, ausgeprägten Varusgonarthrosen beidseits, eine Rhizarthrose rechts, eine ACG-Arthrose links, chronisch rezidivierende Zervikobrachialgien bei ausgeprägter Osteochondrose/Spondylarthrose C4 bis C7, ein gesichertes Fibromyalgiesyndrom, eine chronische rezidivierende Epicondylitis humeri radialis rechts, vor allem durch Über-/ bzw. Fehlbelastung, Knick-Senk-Spreizfüßen beidseits und ein Sacrumtiefstand links mit 0,3 cm in die Bewertung einzustellen, wie der Senat der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden M1 vom 17. Juli 2019 entnimmt und insbesondere hinsichtlich der Wirbelsäulenbeschwerden auch von der G1 bestätigt worden ist. Auch hinsichtlich der Auswirkungen der auf orthopädischem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen findet sich tendenziell eine Verbesserung im Verlauf. In der R1klinik ist im Mai 2018 bei Aufnahme ein Finger-Boden-Abstand von 30 cm dokumentiert worden, bei Entlassung von 20 cm. Daneben zeigte sich die Halswirbelsäule in der Bewegung eingeschränkt, so waren maximale Seitdrehung, Reklination und Inklination nicht möglich. Spitz- und Hackengang waren nur eingeschränkt möglich und das Gangbild verlangsamt. Die Klägerin berichtete Schmerzen im Bereich des linken Ellenbogens und im Bereich der linken Patella, insoweit zeigte sich jedoch nur eine leicht eingeschränkte Beweglichkeit. Auch die von der Beklagten herangezogene G1 hat neben den von der Klägerin geschilderten Schmerzen keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen dokumentieren können. Im Entlassungsbericht der B1-Klinik vom 15. Oktober 2019 sind dann ebenfalls von der Klägerin angegebene Bewegungsschmerzen geschildert, jedoch keine Bewegungseinschränkungen dokumentiert worden. Der Finger-Boden-Abstand betrug in der Aufnahmeuntersuchung 10 cm.

Daneben sind, wie sich etwa dem Entlassungsbericht der B1-Klinik und dem Gutachten G1 entnehmen lässt, auf internistischen Gebiet eine medikamentös behandelte Hypothyreose und auf ohrenärztlichem Gebiet ein Tinnitus zu berücksichtigen, daneben nach dem Bericht der S2 vom 29. August 2017 ein Glaukom beidseits und eines Hyperopie mit einem korrigierten Visus von rechts 1,0pp und links 0,6-0,8pp.

Die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen begründen zur Überzeugung des Senats lediglich qualitative Leistungseinschränkungen, jedoch keine zeitliche Leistungseinschränkung für die Verrichtung von Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Klägerin ist vielmehr noch in der Lage einfache, überschaubare Tätigkeiten mit klaren Anweisungen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuführen, wie der Senat dem Gutachten der O1 entnimmt, mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung, der Möglichkeit zum Aufsuchen einer Toilette, auch bezüglich der Reizdarmsymptomatik, ohne Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken und ohne Tätigkeiten überkopf. Wechselhaltung ist auch mit Berücksichtigung einer Restless-Legs-Symptomatik zu bevorzugen, sodass die Arbeit im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen auszuüben ist. Akkordtätigkeit ist bei eingeschränkter emotionaler
Belastbarkeit auszunehmen, Nachtschichttätigkeit auch bezüglich der depressiogenen Wirkung. Über die von der O1 festgestellten qualitativen Einschränkungen hinaus erachtet der Senat in der Gesamtschau mit der G1 lediglich noch leichte und nicht gelegentlich auch mittelschwere Tätigkeiten für leidensgerecht, ohne häufiges Besteigen von Treppen, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Absturzgefahr, unter Zeitdruck, ohne Schicht und ohne Hitzebelastung. Im Hinblick auf den Tinnitus erachtet der Senat daneben Tätigkeiten mit besonderer Lärmbelastung als zu vermeiden und, insoweit übereinstimmend mit K1, hinsichtlich des Glaukoms beidseits und der Fernsichtigkeit auch Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen.

Soweit seitens der R1klinik, der B1-Klinik, dem K1 und den behandelnden Ärzten weitergehende Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, insbesondere auch in zeitlicher Hinsicht auf unter sechs Stunden arbeitstäglich gesehen worden sind, folgt der Senat dem nicht. Bezüglich der Leistungsbewertungen der vorgenannten Rehabilitationseinrichtungen und des K1 ergibt sich dies bereits daraus, dass diese auf – wie dargestellt – nicht nachvollziehbaren und damit nicht überzeugenden Einschätzungen der bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen beruhen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass bei der von K1 und in der B1-Klinik herangezogenen Beeinträchtigungserhebung nach dem Mini-ICF-APP ein Rating von 2 – mittelgradige Beeinträchtigung – das Bestehen von Problemen signalisiert und unter Umständen ein negativer Prognosefaktor hinsichtlich des Arbeitslebens sein kann und bei einer absehbar dauerhaften Problematik bei einem Rating von 3 – schwere Beeinträchtigung – eine Erwerbsfähigkeit (erst) dann gegeben ist, sofern keine Kompensation im Sinne eines leidensgerechten Arbeitsplatzes, mithin durch qualitative Anpassungen, möglich ist (vgl. Linden/Muschalla/Baron/Ostholt-Corsten, Exploration mittels Mini-ICF-APP, S. 5 f., abrufbar unter www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/klassifikationen/miniICF.html).

Der Senat ist auch nicht aufgrund der Angaben der sachverständigen Zeugen, soweit diese eine verminderte quantitative Leistungsfähigkeit der Klägerin angegeben haben, von einer zeitlichen Leistungseinschränkung überzeugt. Die diesbezüglichen Einschätzungen des S1 in dessen sachverständiger Zeugenaussage vom 27. Juli 2019, des T1 vom 8. August 2019 und vom 5. Oktober 2021, des H1 vom 29. Juli 2019 und vom 9. August 2021 sowie des K2 in dessen mit sachverständiger Zeugenaussage vom 29. Juli 2021 vorgelegten Arztbrief zur bis dahin einzigen Vorstellung der Klägerin vom 30. März 2020 werden durch objektive Befunde, soweit solche mitgeteilt worden sind, nicht belegt und stützen sich im Wesentlichen auf das Beschwerdevorbringen der Klägerin und deren Einschätzung. Der M1 hat seine Annahme einer zeitlichen Limitierung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 17. Juli 2019 maßgeblich fachfremd auf die Sehbeeinträchtigung und die Reizdarmsymptomatik gestützt, ohne dies nachvollziehbar zu begründen. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren noch den Bericht des K3 vom 10. September 2021 und den Arztbrief des K2 vom 1. Dezember 2021 vorgelegt hat, lassen sich dem ersten im Wesentlichen die dargestellten orthopädischen Beeinträchtigungen entnehmen sowie die – nach nur einmaliger Vorstellung getroffene – Einschätzung einer auf absehbare Zeit bestehenden Arbeitsunfähigkeit, deren Maßstab, anders als bei der Frage der Erwerbsfähigkeit, typischerweise nicht der allgemeine Arbeitsmarkt, sondern die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ist und ohne dass insoweit ersichtlich wäre, worauf sich diese Bewertung konkret stützt. Dem Brief des K2 vom 1. Dezember 2021 lassen sich keinerlei weitere Erkenntnisse entnehmen, nachdem sich dieser praktisch auf die Schilderung eines Besuchs der Klägerin beschränkt, in welchem diese ihren Unmut über den Nichterhalt einer Rente wegen Erwerbsminderung kundgetan hat.

Eine Minderung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht auf weniger als sechs Stunden arbeitstäglich ist damit nicht belegt. Zur Überzeugung des Senats steht daher fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen zu verrichten.

Steht das krankheits- bzw. behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts“ tätig zu sein (dazu BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris Rdnr. 17 ff. m.w.N.). Diese Frage ist hier zu verneinen. „Bedingungen“ sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind. Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Bedingungen sind „üblich“, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch „Angebot“ und „Nachfrage“ gibt. Das Adjektiv „allgemein“ grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen.

Die Klägerin kann – wie dargelegt – an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nachtschichtarbeiten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Dabei ist der Senat der Auffassung, dass die Klägerin über die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen kognitiven Grundfähigkeiten verfügt. Nach der Rechtsprechung des BSG werden unter den Begriff der üblichen Bedingungen „auch tatsächliche Umstände“ verstanden, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, mithin ausschließlich kognitive Grundfähigkeiten (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris Rdnr. 29). Wie dargelegt, liegt bei der Klägerin kein Leiden vor, das leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt. Die angesprochenen kognitiven Grundfähigkeiten sind gegeben, auch wenn – wie bereits ausgeführt – geistig besonders anspruchsvolle Tätigkeiten nicht dem Leistungsbild entsprechen.

Die gesundheitlichen Einschränkungen sind auch weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 24 ff.). Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, körperlich leichte und geistige einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 79/09 RBSGE 109, 189; Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin es dieser erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Weiter ist der Senat davon überzeugt, dass bei der Klägerin die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt (beispielsweise BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 79/11 R - BSGE 110, 1). Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Wegefähigkeit, insbesondere Befunde, die die Klägerin am Zurücklegen einer Wegstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten viermal täglich und der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten hindern würden, liegen nicht vor. Die Klägerin wurde von allen Gutachtern als wegefähig eingeschätzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  


 

Rechtskraft
Aus
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