L 7 R 3936/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 2646/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 3936/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1960 geborene Klägerin hat den Beruf der Fleischereifachverkäuferin erlernt. Zuletzt war sie seit 2009 als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 30. November 2017 ist sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt.

Vom 4. April 2018 bis 16. Mai 2018 führte die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der M1- Klinik in R1 durch, aus der sie arbeitsunfähig und mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden als Reinigungskraft und mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde (Entlassungsbericht vom 12. Juni 2018). Folgende Diagnosen wurden gestellt:
Mittelgradige depressive Episode,
Psoriasis-Arthropathie (M07.0-M07.3*, M09.0-*),
Essentielle Hypertonie, nicht näher bezeichnet: Ohne Angabe einer hypertensiven Krise,
Chronische obstruktive Lungenkrankheit, nicht näher bezeichnet: FEV1 nicht näher bezeichnet.

Am 19. März 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte gewährte der Klägerin eine weitere medizinische Rehabilitationsmaßnahme, die die Klägerin vom 17. September 2019 bis 8. Oktober 2019 in der F1klinik in B1 durchführte. Sie wurde weiterhin arbeitsunfähig und mit einem Leistungsvermögen von unter drei Stunden als Reinigungskraft und von sechs Stunden und mehr für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen (Entlassungsbericht vom 10. Oktober 2019). Folgende Diagnosen wurden gestellt:
Psoriasisarthritis, EM 2001, HLA-B27 negativ,
Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren,
Dysthymia mit zurückliegenden rezidivierenden depressiven Episoden,
Chronisch-obstruktive Lungenkrankheit,
Arterielle Hypertonie,
Adipositas.



Mit Bescheid vom 18. November 2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab, weil die Klägerin die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle. Den dagegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 zurück.

Am 31. Juli 2020 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Angesichts der Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte sei nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte von einer Erwerbsfähigkeit der Klägerin ausgehe. Die gesamte Schmerzsymptomatik sei ganz offensichtlich nicht hinreichend gewürdigt worden.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

Der G1 hat unter dem 11. September 2020 angegeben,
in langjähriger Kenntnis der Klägerin und ihrer komplexen Erkrankungsgeschichte halte er auch eine regelmäßige leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens sechs Stunden täglich für völlig ausgeschlossen. Aus medizinischer Sicht halte er es auch für unwahrscheinlich, dass eine Tätigkeit von drei bis sechs Stunden täglich verlässlich durchgeführt werden könne. Aufgrund der häufigen Erschöpfungsphasen sei das Führen des eigenen Haushaltes bereits sehr erschwert. Häufige und gegebenenfalls erneute langandauernde Arbeitsunfähigkeitszeiten wären die kurzfristige Konsequenz. Die hochgradig verminderte körperliche wie auch psychische Leistungsfähigkeit würde er primär im Rahmen der chronisch bestehenden depressiven Stimmungslage sehen. Allerdings sei eine scharfe Trennung zu dem zusätzlich bestehenden chronischen Schmerzsyndrom bei rheumatoider Grunderkrankung mit in der Vergangenheit mehrfachen Rheumaschüben nicht möglich.

Die D1 hat unter dem 6. Oktober 2020 ausgeführt,
aufgrund der Kombination aus ausgeprägtem depressiven Syndrom, schmerzhafter rheumatoider Arthritis und Bluthochdruck sei die Klägerin nach ihrer Einschätzung auch nicht zur Ausübung leichter körperlicher Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über sechs Stunden täglich in der Lage.

Die S1 hat mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 mitgeteilt, der letzte Kontakt zur Klägerin habe am 20. Januar 2020 bestanden. Während der Vorstellungen bei ihr sei die Psoriasisarthritis unter einer Kombinationstherapie aus Etanercept und Methotrexat stabil eingestellt gewesen.
Die von ihr erhobenen Befunde schlössen eine leichte körperliche Tätigkeit bis zu sechs Stunden nicht aus, wobei sie die Klägerin nicht ausführlich bezüglich ihrer Belastbarkeit und Arbeitsfähigkeit untersucht habe. Außerdem sei ihr nicht bekannt, ob es seit Januar 2020 noch zu relevanten Änderungen des Gesundheitszustandes der Klägerin gekommen sei.

Das SG hat den L1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im psychosomatischen Gutachten vom 2. August 2021 hat der Gutachter die Diagnose Angst und Depressivität, gemischt, gestellt.
Bei der Klägerin liege eine gravierende somatische Erkrankung (Psoriasisarthritis) vor, die ihre Mobilität einschränke und zu psychischen Einschränkungen geführt habe. In der gegenwärtigen belastungsarmen Lebenssituation der Klägerin zeige sie keine ausgeprägten psychischen Beeinträchtigungen. Bei der Klägerin liege eine leichtere depressive Reaktion vor, mit Herabgestimmtheit, Zukunftsängsten und leichteren Interaktionsstörungen. Aus Sicht des psychosomatischen/psychiatrischen Fachgebietes könne die Klägerin leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnden Körperpositionen ausführen unter Vermeidung von Überkopftätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Klettern, Steigen, erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz oder erhöhtem Zeitdruck. Auch Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, häufigem Knien oder Hocken, unter Einfluss von ausgeprägter Kälte, Wärme, Nässe oder mit Nachtschicht seien nicht leidensgerecht.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kammer sei auf der Grundlage der vorliegenden medizinischen Unterlagen überzeugt, dass die Klägerin in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zumindest noch leichte Tätigkeiten unter bestimmten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. In somatischer Hinsicht stehe die dem dermatologischen und rheumatologisch-internistischen Fachgebiet zuzuordnende Psoriasisarthritis im Vordergrund. Daneben bestünden Bluthochdruck, Adipositas und eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, die sich nach dem übereinstimmenden Inhalt der Reha-Berichte, der sachverständigen Zeugenauskünfte und des L1 jedoch nicht wesentlich leistungsmindernd auswirkten. Leidensgerecht seien nur noch körperlich leichte Tätigkeiten, bei wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von Überkopftätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Klettern, Steigen, erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz oder erhöhtem Zeitdruck, ohne häufiges Knien und Hocken, ohne Einfluss ausgeprägter Kälte, Wärme, Nässe und ohne Nachtschicht. Das Gericht schließe sich insoweit der qualitativen Leistungsbeurteilung des L1 an, die mit den Einschätzungen der Reha-Entlassungsberichte aus 2018 und 2019 im Wesentlichen übereinstimme. Aus der Psoriasisarthritis lasse sich eine relevante quantitative Leistungsminderung nicht ableiten. Zum einen sehe der die Klägerin von allen Behandlern am längsten und genauesten kennende G1 die leistungsmindernde Erkrankung „primär“ im psychischen Fachgebiet. Zum zweiten spreche sich die behandelnde S1 mit ihrer Zeugenauskunft gegen ein leistungsminderndes Ausmaß der von ihr erhobenen Befunde aus und bezeichne die Erkrankung als medikamentös stabil eingestellt. Zum dritten begegne die Leistungsbeurteilung der jüngsten und insoweit fachlich einschlägigen Reha-Behandlung vom 17.  September 2019 bis 8. Oktober 2019 im Moorheilbad B1 keinen Zweifeln. Auch die psychische Erkrankung der Klägerin rechtfertige nicht die Annahme eines rentenrechtlichen Leistungsfalls. Das Gericht schließe sich insoweit der quantitativen Leistungsbeurteilung des L1 an. Dieser lege in seinem Gutachten auf der Grundlage ausführlich dargestellter, leichter Befunde schlüssig dar, dass die Klägerin nur leichtgradig psychisch erkrankt sei, und dass daraus zwar die bereits genannten qualitativen Leistungseinschränkungen folgten, jedoch keine quantitative Leistungsminderung bezogen auf leidensgerechte Tätigkeiten. Die seit Jahren unveränderte psychopharmakologische Therapie bei D1 stehe damit im Einklang. Die abweichende Leistungseinschätzung von D1 sei damit jedoch widerlegt. Wegen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hat das SG auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 verwiesen.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 30. November 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22. Dezember 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Der Beweiswert des Gutachtens von L1 sei anzuzweifeln. Das Gutachten bestehe ganz überwiegend aus der Darstellung des Sachverhaltes. Im Übrigen sei D1 davon ausgegangen, dass die Klägerin auch leichte körperliche Arbeiten nicht ausüben könne.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2020 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der F2 das psychiatrisch-psychosomatische Gutachten vom 27. April 2022 erstattet. Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:
Chronifizierte schwergradig depressive Episode,
chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei chronisch rheumatoider Psoriasisarthritis,
Asthma bronchiale.
Die seelischen Störungen seien als chronifiziert und letztlich auch therapieresistent zu beschreiben. Multimodale Therapieansätze von ambulanter Psychotherapie, regelmäßiger psychiatrischer Mitbehandlung inklusive hochdosierter Psychopharmakotherapie, begleitender rheumatologischer Behandlung mit entsprechender Medikation und mehreren sowohl rheumatologischen wie auch psychosomatischen Heilverfahren hätten keine anhaltende Besserung erbracht, vielmehr eine seit Jahren eher zu beobachtende Verschlechterung der Gesamtsymptomatik.
Die chronische Schmerzstörung bedinge eine erhebliche Leistungseinschränkung hinsichtlich der körperlichen Belastbarkeit. Es seien maximal noch leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung zumutbar. Schweres Heben und Tragen von Lasten mit mehr als drei Kilogramm, jegliches Arbeiten, das Feinmotorik voraussetze, Exposition gegenüber Nässe und Staub, gegenüber Akkord- und Zeitdruck sowie jegliche Form von Schichttätigkeit seien nicht leidensgerecht. Die psychomentale Belastbarkeit sei darüber hinaus ebenso bedeutsam. Durch die ausgeprägte chronifizierte depressive Symptomatik seien sowohl kognitive Funktionen, interaktionelle Kompetenzen und Belastbarkeit erheblich eingeschränkt. Der Tagesablauf belege ein letztlich reduziertes Leben im Sinne einer Vita minima. Soziales Miteinander, freudvolle Tätigkeiten, strukturierter Tagesablauf fänden sich nicht mehr. Aufgrund der massiven Funktionseinschränkungen sei das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden eingeschränkt. Dabei fließe auch mit ein, dass es zu einer bedeutsamen und in jedem Fall zu berücksichtigenden negativen Wechselwirkung zwischen chronischem Schmerzgeschehen und chronischer Depressivität komme. Vor diesem Hintergrund sei unerklärlich, wieso dies in einem psychosomatischen Fachgutachten keine Erwähnung finde, da hinlänglich bekannt sei, dass sowohl körperliche Erkrankungen das Depressionsrisiko erhöhten, gleichzeitig Depressivität die Schmerzschwelle absenke und somit unstrittig bedeutsame Wechselwirkungen bestünden. Der festgestellte Gesundheitsschaden bestehe seit dem 30. November 2017, dem Tag der Krankschreibung. Weder das im Anschluss durchgeführte Heilverfahren noch diverse ambulante Therapien hätten je wieder die Arbeitsfähigkeit herstellen können.

Die Beklagte hat unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von N1 vom 11. Mai 2022 an ihrer Einschätzung festgehalten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten ohne mündlichen Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 18. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2020 (§ 95 SGG), mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin auf ihren Antrag vom 19. März 2019 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab 1. März 2019 zu gewähren.

Das SG hat die dagegen gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 18. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn die Klägerin ist zur Überzeugung des Senats weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weswegen ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht zusteht.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung dargelegt und im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von  L1 ausgeführt, dass die Klägerin diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sie trotz ihrer bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, leichte Tätigkeiten zumindest sechs Stunden täglich zu verrichten und sie mit diesem zeitlichen Leistungsvermögen nicht erwerbsgemindert ist (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der Entscheidung zurück.

Das Berufungsvorbringen und die weiteren Ermittlungen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Insbesondere kann sich der Senat nicht aufgrund des Gutachtens des F2 von einem auf weniger als sechs Stunden herabgesetzten Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überzeugen. Weder die von dem Gutachter gestellten Diagnosen noch seine Leistungseinschätzung sind schlüssig und nachvollziehbar. In somatischer Hinsicht sind den bei der körperlichen und neurologischen Untersuchung erhobenen Befunden keine gravierenden Auffälligkeiten zu entnehmen. So hat der Gutachter angegeben, dass Aus- und Ankleiden unauffällig waren. Die Kopfbeweglichkeit war nach seinen Angaben in der Rotation ab 45 Grad zu beiden Seiten eingeschränkt. Dabei handelt es sich jedoch weder um eine schwerwiegende Funktionseinschränkung noch ist ersichtlich, dass die Einschränkung aus einer Gesundheitsstörung resultiert. Ein Meningismus lag nicht vor. Die Nervenaustrittspunkte waren indolent. Hinsichtlich des Bewegungsapparates hat der Gutachter eine Fingergelenksarthrose am Zeigefinger rechts festgestellt, sonst ergaben sich bei grober Prüfung keine Auffälligkeiten. Der Finger-Boden-Abstand betrug 20 Zentimeter. Sensible oder motorische Ausfälle hat der Gutachter nicht erhoben. Der Muskeltonus war unauffällig. Es fanden sich keine latenten Paresen oder Atrophien. Der Arm- und Beinhalteversuch war unauffällig, ebenso die Sensibilität. Bezüglich der Koordination bestanden keine Ataxie und keine Dysdiadochokinese. Die grobe Kraft war ebenfalls unauffällig. Soweit der Gutachter hinsichtlich der Stand- und Gangprüfung angegeben hat, Zehen- und Fersenstand sowie monopedales Stehen seien nicht durchführbar, vielmehr bestehe eine hohe Unsicherheit und Standinstabilität, hat er nichts dazu ausgeführt, dass es sich um einen krankhaften Befund handeln würde. Zum psychischen Befund hat F2 angegeben, die Stimmung sei deutlich zum depressiven Pol verschoben, die Schwingungsfähigkeit massiv eingeengt. Der Antrieb sei reduziert, es bestehe eine ausgeprägte Erschöpfbarkeit und ein Motivationsdefizit. Lebensfreude und Interessen seien erheblich gemindert. Es bestehe ein ausgeprägter sozialer Rückzug. Seinem Gutachten sind jedoch keine Ausführungen zu entnehmen, die entsprechende objektive Funktionsbeeinträchtigungen nachvollziehbar machen würden. Insbesondere ist nicht erkennbar, ob und wie sich die aufgeführten Beeinträchtigungen in der Untersuchungssituation gezeigt haben oder ob es sich nicht vielmehr um die Angaben der Klägerin handelt, da der Gutachter ebenfalls ausführt hat, die Klägerin sehe pessimistisch in die Zukunft, beschreibe eine Minderung an Selbstwerterleben, deutlichen Energieverlust und vermehrte Reizbarkeit. Mit der Objektivierbarkeit der Beschwerden der Klägerin hat sich der Gutachter nicht auseinandergesetzt. Zugleich hat er auch keine gravierenden kognitiven Einschränkungen festgestellt, wobei die Klägerin subjektiv angegeben hat, sich nicht mehr so gut konzentrieren zu können wie früher.
Worauf der Gutachter hiernach die Diagnose einer schweren depressiven Episode stützt, ist nicht erkennbar. Zudem hat sich nicht einmal die Klägerin selbst in ihren subjektiven Beschwerdeangaben als schwer depressiv eingeschätzt, nachdem sich im BDI-II, einem Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung des Schweregrades einer depressiven Symptomatik, ein Punktwert ergab, der bloß für eine mittelgradige Depressivität sprechen würde. Dass der Gutachter den von der Klägerin beschriebenen und von ihm als Vita minima eingestuften Tagesablauf hinterfragt hätte, ist nicht ersichtlich, obwohl im Rahmen des gerade einmal ein dreiviertel Jahr zuvor datierenden Gutachtens von L1 dieser sehr viel ausführlicher, detaillierter und in zahlreichen Punkten abweichend dargestellt ist. Während die Klägerin gegenüber F2 angegeben hat, sie gehe um 22:00 Uhr zu Bett und stehe um 9:00 Uhr auf, gekocht werde meist durch die anderen, hat sie gegenüber L1 ausgeführt, mit ihrem Ehemann um 6:00 Uhr aufzustehen und sodann ca. 20 Minuten mit dem Hund hinauszugehen, zwischen 11:30 Uhr und 12:00 Uhr gehe sie mit dem Hund nochmals hinaus. Bis zur Rückkehr ihres Mannes von der Arbeit um 16:30 Uhr habe sie das Essen gerichtet. Der von F2 beschriebene Tagesablauf erweckt eher den Anschein, als seien im Bericht frühere Schilderungen lediglich ausgelassen worden. Die Diagnose einer schweren depressiven Episode fügt sich auch nicht ansatzweise in die übrige Aktenlage. Selbst die behandelnden Ärzte der Klägerin haben eine derartige schwerwiegende Diagnose nicht angegeben. Soweit der Gutachter ausgeführt hat, die von L1 gestellte Diagnose von Angst und Depressivität gemischt beschreibe eine leichte Depressivität im Sinne einer Anpassungsstörung, was mit dem klinischen Bild zum jetzigen Untersuchungszeitpunkt, welches zu den Vorbefunden psychiatrischerseits und aus den Heilverfahren passe, in keiner Weise übereintreffe, sind diese Ausführungen nicht nachvollziehbar. Das Gegenteil ist der Fall. Die Einschätzung von F2 ist vielmehr anhand der in den durchgeführten Rehabilitationsverfahren erhobenen Vorbefunde nicht erklärbar. So ist im Entlassungsbericht der F1klinik vom 10. Oktober 2019 zum psychischen Befund die Klägerin als im Kontakt offen und mitteilsam beschrieben. Die Stimmung werde als hypothym bei leicht eingeschränkter emotionaler Schwingungsfähigkeit gesehen. Inhaltliche und formale Denkstörung fanden sich nicht, ebenso keine Ich-Störung, keine Psychomotorikstörung und keine Antriebsstörungen. Im Gespräch bestand kein Anhalt für Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Es wurden eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren sowie eine Dysthymia mit zurückliegenden rezidivierenden depressiven Episoden diagnostiziert und die Klägerin als vollschichtig leistungsfähig für leichte Tätigkeiten erachtet. Soweit F2 darauf abhebt, dass durch die durchgeführten Heilverfahren und durch ambulante Therapien die Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht habe wiederhergestellt werden können, verkennt er, dass sich die attestierte Arbeitsunfähigkeit auf die zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit der Klägerin als Reinigungskraft bezieht. Maßstab für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit sind jedoch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, wozu die Tätigkeit einer Reinigungskraft, die der Klägerin zweifelsfrei nicht mehr zumutbar ist, nicht gehört. Insgesamt ist die Leistungseinschätzung des F2 danach nicht überzeugend.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht daher zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin noch in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung unter Vermeidung von Überkopftätigkeiten, Zwangshaltungen der Wirbelsäule, Klettern, Steigen, erhöhten Anforderungen an die Stresstoleranz oder erhöhtem Zeitdruck sowie ohne erhöhte Unfallgefahr, häufiges Knien oder Hocken, ohne Einfluss von ausgeprägter Kälte, Wärme, Nässe und ohne Nachtschicht auszuüben.

Steht das krankheits- bzw. behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts“ tätig zu sein (dazu BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris Rdnr. 17 ff. m.w.N.). Diese Frage ist hier zu verneinen. „Bedingungen“ sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind. Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Bedingungen sind „üblich“, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch „Angebot“ und „Nachfrage“ gibt. Das Adjektiv „allgemein“ grenzt den ersten vom zweiten – öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen.

Die Klägerin kann – wie dargelegt – an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nachtschichtarbeiten nicht mehr zumutbar sind, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Dabei ist der Senat der Auffassung, dass die Klägerin über die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen kognitiven Grundfähigkeiten verfügt. Nach der Rechtsprechung des BSG werden unter den Begriff der üblichen Bedingungen „auch tatsächliche Umstände“ verstanden, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, mithin ausschließlich kognitive Grundfähigkeiten (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris Rdnr. 29). Wie dargelegt, liegt bei der Klägerin kein Leiden vor, das leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt. Die angesprochenen kognitiven Grundfähigkeiten sind nicht betroffen.

Die gesundheitlichen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 24 ff.). Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, körperlich leichte und geistige einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 79/09 RBSGE 109, 189; Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin es dieser erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass bei der Klägerin die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 RBSGE 110, 1). Gegenteilige Anhaltspunkte ergeben sich aus den vorliegenden Gutachten nicht.


Zwar hat die Klägerin eine auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Klageverfahren nicht geltend gemacht. Allerdings hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf eine entsprechende Rente.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben nach § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Erreichung der Re-gelaltersgrenze auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Da die Klägerin jedoch zuletzt als ungelernte Arbeiterin (Reinigungskraft) versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, kann sie auf sämtliche ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden. Der Benennung einer Verweisungstätigkeit bedarf es daher nicht. Nachdem die Klägerin – wie bereits dargelegt – noch in der Lage ist, noch mindestens sechs Stunden täglich jedenfalls eine körperlich leichte Tätigkeit zu verrichten, ist auch keine teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. 


 

Rechtskraft
Aus
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