L 4 KR 2463/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 372/21 WA
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2463/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Verfahrens im Berufungsverfahren.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 800,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt nach erklärter Klagerücknahme die Fortsetzung des Verfahrens S 8 KR 2413/14.

Der 1948 geborene Kläger ist ausgebildeter Krankenpfleger sowie Inhaber und Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes, im Rahmen dessen er Leistungen der häuslichen Krankenpflege sowie ambulante Pflegeleistungen an Privatzahler erbringt. Aufgrund eines am 23. März 1999 mit den Landesverbänden der Pflegekassen geschlossenen Versorgungsvertrags nach § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) erbrachte der Kläger darüber hinaus ambulante Pflegedienstleistungen für in der sozialen Pflegeversicherung Versicherte, die zu Hause, in sog. Wohngemeinschaften oder in sog. Pflegefamilien lebten.

Nach einer bei der Pflegekasse der Beklagten (im folgenden Pflegekasse) im April 2010 eingegangenen Beschwerde über die Unterbringung und Versorgung eines ihrer Versicherten, der durch den Pflegedienst des Klägers betreut wurde, und eines hiernach durchgeführten Hausbesuchs durch einen Mitarbeiter der Pflegekasse, der u.a. eine verwahrloste Wohnung vorfand, beauftragte die Pflegekasse den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Durchführung einer anlassbezogenen Qualitäts- und Rechnungsprüfung, die zahlreiche Auffälligkeiten ergab (Berichte vom 13. September und 2. November 2010). Die Pflegekasse erstattete deshalb im Dezember 2010 Strafanzeige gegen den Kläger wegen gefährlicher Pflege, des Verdachts auf Abrechnungsbetrug sowie Hinterziehung von Sozialabgaben und Steuern, worauf die Staatsanwaltschaft Konstanz ein Ermittlungsverfahren einleitete.

Durch Bescheid vom 21. Juli 2011 kündigten die Landesverbände der Pflegekassen den mit dem Kläger geschlossenen Versorgungsvertrag wegen gröblicher Verletzung gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den Pflegebedürftigen und den Kostenträgern fristlos. Die dagegen beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage (S 8 P 2077/11) blieb erfolglos (Urteil vom 10. Mai 2012), ebenso die zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 4 P 2949/12; Urteil vom 12. Dezember 2014) und die hiergegen beim Bundessozialgerichts (BSG) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde (B 3 P 1/15 B; Beschluss vom 22. April 2015).

Zwischenzeitlich hatte das Amtsgericht Konstanz – Schöffengericht – den Kläger mit Urteil vom 5. November 2013 wegen Betrugs in 81 tatmehrheitlichen Fällen (manipulierte Rechnungen über Pflegesachleistungen in Bezug auf drei Versicherte sowie über Verhinderungspflege bzgl. vier Versicherten im Zeitraum zwischen Februar 2007 bis September 2010) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ausweislich seines Urteils sah es das Amtsgericht Konstanz als erwiesen an, dass der Kläger bezüglich der genannten Versicherten gegenüber den Pflegekassen nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hatte. Betroffen war insoweit eine von P1 (I.P.) in einem ehemaligen Gasthaus betriebene Wohngemeinschaft, in der sie Zimmer an Pflegebedürftige vermietete, die ihr der Kläger vermittelt hatte. Mit diesen Pflegebedürftigen vereinbarte der Kläger die Erbringung von Pflegeleistungen durch seinen Pflegedienst. Die Pflegeleistungen rechnete er gegenüber der jeweiligen Pflegekasse ab. Die Pflegeleistungen wurden durch Angehörige der I.P., insbesondere ihre Tochter P2 (D.P) und ihre Stieftochter P3 (U.P.), die keine fachspezifischen Kenntnisse hatten, ausgeführt. In Bezug auf die Wohngemeinschaft der I.P. führte das Amtsgericht Konstanz aus, dass kein Mitglied der Familie I.P. beim Kläger als Arbeitnehmer angestellt gewesen sei. Der mit D.P. geschlossene Arbeitsvertrag und ihre zum Schein erfolgte Anmeldungen hätten lediglich dazu gedient, Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung mit den jeweiligen Krankenkassen bzw. den pflegebedürftigen Personen oder den Sozialleistungsträgern abrechnen zu können. D.P. sei auch nicht in den Betrieb des Klägers eingegliedert gewesen und bezüglich der erbrachten pflegerischen Leistungen habe es keine Anweisungen, Kontrollen oder Aufsicht durch den Kläger gegeben. Der Kläger habe D.P. einmal monatlich frei erfundene Leistungsnachweise über angeblich erbrachte Pflegeleistungen zur Unterzeichnung vorgelegt bzw. diese von ihr nach einem Mustervordruck erstellen lassen. Mit diesen Leistungsnachweisen habe der Kläger dann Pflegesachleistungen mit den Pflegekassen bis zum Höchstsatz der jeweiligen Pflegestufe und bei einem Versicherten den darüberhinausgehenden Betrag mit dem Sozialhilfeträger abgerechnet. Ihm sei bekannt gewesen, dass die Pflege nicht nur von D.P., sondern auch von den weiteren Familienangehörigen durchgeführt worden sei. Außerdem habe er wiederholt Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI geltend gemacht und dabei wahrheitswidrig behauptet, die private Pflegeperson U.P. sei an der Pflege gehindert gewesen, wodurch Kosten entstanden seien, obwohl sie tatsächlich zu keinem Zeitpunkt verhindert gewesen sei und tatsächlich auch keine Kosten entstanden waren.

Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist die vom Kläger am 14. Juni 2012 beim SG erhobene Klage (S 8 KR 1564/12), mit der er die Zahlung einer Vergütung von 9.661,25 € für gegenüber Versicherten der Beklagten in der Wohngemeinschaft Haus O1 erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege geltend machte. Im Hinblick auf das beim LSG Baden-Württemberg anhängige Verfahren L 4 P 2949/12 wegen Kündigung des Versorgungsvertrags durch die Pflegekassen und das beim Amtsgericht Konstanz gegen den Kläger geführte Strafverfahren ordnete das SG mit Beschluss vom 23. April 2013 das Ruhen des Verfahrens an. Nach Fortführung des Verfahrens (nunmehr S 8 KR 2413/14) erweiterte der Kläger sein Begehren und machte nunmehr die Zahlung von 62.240,25 € geltend. Das SG führte am 17. Februar 2016 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit Beweisaufnahme durch, an dem der Kläger in Begleitung seines damals prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts teilnahm, und vernahm die nach Angaben des Klägers im Haus O1 für ihn tätige Mitarbeiterin K1 als Zeugin. Diese gab u.a. an, mit dem Kläger keinen Arbeitsvertrag geschlossen zu haben und von diesem auch keine Zahlungen erhalten zu haben. Ausweislich der Niederschrift vom 17. Februar 2016 verhandelten die Beteiligten nachfolgend zur Beweisaufnahme und der Kläger erklärte sodann die Rücknahme der Klage („Ich nehme die Klage zurück“). Diese Erklärung, über die zunächst eine Tonaufnahme gefertigt wurde, wurde dem Kläger nochmals vorgespielt und von diesem dann genehmigt (vgl. Niederschrift vom 17. Februar 2016).

Am 17. Februar 2021 wandte sich der Kläger an das SG und erklärte die Anfechtung der Rücknahmeerklärung gemäß §§ 119 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Es habe ein Irrtum/Täuschung bezüglich der Aussage der Zeugin K1 vorgelegen und eine Drohung durch den Kammervorsitzenden. Die Aussage der Zeugin K1 habe sich nach späterer Überprüfung als Falschaussage herausgestellt, was dem Gericht zeitnah nach dem Termin mitgeteilt worden sei. Die Drohung des Kammervorsitzenden habe darin bestanden, dass dieser „die angebliche Falschaussage des Klägers (der Kläger hatte im Verfahren behauptet, die Zeugin sei bei ihm zeitweise angestellt bzw. beschäftigt gewesen) als Grund genommen hätte, den Kläger wegen Betrugs anzuzeigen.“

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2021 stellte das SG fest (unter dem Aktenzeichen S 8 KR 372/21 WA), dass das Verfahren S 8 KR 2413/14 durch Klagerücknahme am 17. Februar 2016 erledigt ist. Zur Begründung führte es aus, dass das (sinngemäße) Begehren auf Fortsetzung des Klageverfahrens und Entscheidung in der Sache keinen Erfolg haben könne, da das Klageverfahren infolge der Rücknahme durch den Kläger im Erörterungstermin vom 17. Februar 2016 erledigt sei. Die erklärte Klagerücknahme binde das Gericht und die Beteiligten. Sie sei auch nicht durch Anfechtung oder Widerruf wirkungslos geworden. Als Prozesshandlung könne die Klagerücknahme weder frei widerrufen noch entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wegen Irrtums oder Drohung (§§ 119, 123 BGB) angefochten werden. Auf Prozesshandlungen seien die Grundsätze des materiellen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums oder Drohung nicht anwendbar (Hinweis u.a. auf BSG, Urteil vom 24. April 1980 – 9 RV 16/79 – juris, Rn. 18; Bayerisches LSG, Urteil vom 14. Mai 2014 – L 11 AS 387/11 – juris, Rn. 14). Es komme daher auf die Gründe, die den – anwaltlich vertretenen – Kläger zur Abgabe der Klagerücknahmeerklärung bewogen haben, für deren Wirksamkeit nicht an (Hinweis auf LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2018 – L 4 R 95/16 WA – juris, Rn. 14 ff.).

Am 27. Juli 2021 hat der Kläger dagegen beim LSG Baden-Württemberg mit dem Hinweis Berufung eingelegt, diese beziehe sich zunächst nur auf einen Teilbetrag der gesamten Forderung, nämlich 800,00 Euro. Zur Begründung hat er ausgeführt, es verwundere, dass der frühere Kammervorsitzende für das jetzige Verfahren nicht seine Befangenheit erklärt habe, da er ihn seinerzeit zur Klagerücknahme genötigt habe und von der nachgewiesenen falschen uneidlichen Aussage der Zeugin K1 im Nachhinein Kenntnis erhalten habe. Er habe die verschiedenen massiven Rechtsverstöße der Beklagten gar nicht angesprochen, geschweige denn strafrechtlich verfolgen lassen. Soweit das SG zur Begründung das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 22. März 2018 (a.a.O.) zitiert habe, sei dieses für den vorliegenden Fall nicht zutreffend und ein vorsätzlich falsches Zitat, das eventuell als Betrug aufgefasst werden könne. In jenem Verfahren habe der Senat keinerlei Hinweise für eine widerrechtliche Drohung gesehen, hingegen habe der Kammervorsitzende des SG damit gedroht, ihn, den Kläger, strafrechtlich verfolgen zu lassen, falls er die im Termin gemachte Aussage der Zeugin K1 nicht als Falschaussage beweisen könne. Dass der Kammervorsitzende dies tatsächlich tun würde, habe er in seiner Klage gegen eine Pflegekasse bewiesen, wobei die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn eingestellt habe, weil er ordnungsgemäß gehandelt habe. Dass der Kammervorsitzende seine Zusage im Termin, bei Klagerücknahme werde er die Sache nicht an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, brechen würde, sei vielleicht sogar strafrechtlich zu bewerten. Da er seinerzeit nicht sicher gewesen sei, ob er Unterlagen habe, die die Falschaussage der Zeugin K1 bewiesen, habe er die Drohung des Kammervorsitzenden sehr ernst nehmen müssen. Der Grund nach den §§ 119 und 123 BGB liege unstrittig vor. Entsprechend den vom SG zitierten Urteilen des BSG vom 24. April 1980 (a.a.O.) und des Bayerischen LSG vom 14. Mai 2014 (a.a.O.) seien hier die Restitutionsgründe vollauf gegeben. Die strafbaren Handlungen, die wissentlich falsche Behauptung und das vorsätzliche Verschweigen nicht nur einer der Beteiligten, sondern aller drei Beteiligten (Beklagte, Zeugin K1 und Kammervorsitzender) seien unstrittig: „Die AOK habe rechtswidrigerweise Genehmigungen nach dem SGB V gegenüber Patienten des Klägers nicht gegeben, wohl aber einem Nachfolgepflegedienst bei unveränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen (Betrug, Begünstigung im Amt, Nötigung; die Beklagte hat im Verfahren vor dem SG Konstanz diesen Betrug nicht zurückgenommen, also Prozessbetrug begangen (die Beweise hat der Kläger ja im Verfahren vorgelegt). Die Zeugin Frau K1, auch Mitarbeiterin der Beklagten AOK, hat im Termin eine uneidliche Falschaussage getan. Diese Beweise dafür hat der Kläger nach dem Verfahren K3 in einem nachgereichten Schriftsatz mitgeteilt. K3 hat den Prozessbetrug der Beklagten AOK gedeckt. K3 hat auch nicht, wie es die Rahmenempfehlungen der Häuslichen Krankenpflege eindeutig aussagen, die Forderungen des Klägers für den Teil der erbrachten Leistungen, der unstrittig ordnungsgemäß erbracht war (das sind außer der ehrenamtlichen Mitarbeiterschaft von Frau K1, die vom Gericht, aber nicht vom Kläger, hier strittig waren, die aber nur einen unwesentlichen Teil der Leistungen ausmachen), anerkannt.“ Dass derselbe Kammervorsitzende nunmehr die Anfechtung der Rücknahmeerklärung abgewiesen habe, sehe er als „Urteil in eigener Sache“ an. Dieses Verhalten sei als Rechtsbeugung anzusehen. Im weiteren Verlauf legte der Kläger jeweils eine an das Polizeirevier S1 gerichtete „Strafanzeige mit der Bitte um ein Ermittlungsverfahren“ vom 18. Juni 2022 gegen K1, drei namentlich bezeichnete Mitarbeiter der Beklagten sowie den Kammervorsitzenden K3 vor sowie hiernach weitere entsprechende Strafanzeigen vom 30. Juli 2022.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 28. Juni 2021 aufzuheben und den Rechtsstreit zur Fortführung des Verfahrens S 8 KR 2413/14 an das Sozialgericht Konstanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

                        die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Kläger habe die Rücknahme der Klage am 17. Februar 2016 unter anwaltlicher Beteiligung erklärt; diese sei rechtswirksam. Damit sei dem Kläger die Tragweite und Wirkung dieser Entscheidung bewusst gewesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten des Senats und des SG (einschließlich der beigezogenen SG-Akten in den Verfahren S 8 KR 1564/12 und S 8 KR 2413/14).


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der maßgebliche Beschwerdewert nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von 750,00 € überschritten ist. Der Kläger begehrt die Fortsetzung des Verfahrens S 8 KR 2413/14 in Höhe eines Teilbetrages der geltend gemachten Vergütung von 800,00 €.

2. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass das Verfahren S 8 KR 2413/14 durch Klagerücknahme am 17. Februar 2016 erledigt ist. Die Voraussetzungen von § 159 Abs. 1 SGG für eine Zurückverweisung an das SG liegen nicht vor. Das durch Klagerücknahme beendete Verfahren S 8 KR 2413/14 ist nicht fortzuführen. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die vom Kläger am 17. August 2016 in Anwesenheit seines Prozessbevollmächtigten erklärte Klagerücknahme wirksam und nicht anfechtbar ist.

Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Nach Satz 2 der Regelung erledigt die Klagerücknahme den Rechtsstreit in der Hauptsache. Eine solche Klagerücknahme hat der Kläger im Erörterungstermin des SG am 17. Februar 2016 ausweislich der Niederschrift vom 17. Februar 2016 (Bl. 515 SG-Akte in dem Verfahren S 8 KR 2413/14) ausdrücklich erklärt. Danach wurde über diese Erklärung gemäß § 122 ZPO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 Zivilprozessordnung (ZPO) eine Tonaufnahme gefertigt, diese wurde dem Kläger vorgespielt und von ihm sodann genehmigt (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 102 Rn. 8). Alle Förmlichkeiten des § 162 Abs. 1 ZPO (Vorspielen und Genehmigung) wurden danach beachtet.

Als Prozesshandlung ist die Klagerücknahme grundsätzlich unwiderruflich und nicht anfechtbar (BSG, Beschluss vom 9. April 2021 – B 13 R 276/20 B – juris, Rn. 7 m.w.N.). Sie bindet das Gericht und die Beteiligten und kann nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit und Anfechtung sind für Prozesshandlungen nicht anwendbar. Die unwiderruflich verfahrensbeendende Wirkung der Rücknahme einer Klage dient der Rechtssicherheit, weil andernfalls ein die Beendigung des Verfahrens betreffender Schwebezustand bestände (BSG, Beschluss vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 150/15 B – juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 20. Dezember 1995 – 6 RKa 18/95 – juris; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, Vor § 60 Rn. 12 m.w.N.).

Soweit ein Widerruf der Rücknahmeerklärung ausnahmsweise unter den Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens für möglich erachtet wird (vgl. BSG, Beschluss vom 9. April 2021 – B 13 R 276/20 B – juris, Rn. 7 m.w.N.; Urteil vom 14. Juni 1978 – 9/10 RV 31/77 – juris; Schmidt, a.a.O. § 102 Rn. 7c), liegen die entsprechenden Voraussetzungen der §§ 179, 180 SGG nicht vor.

Gemäß § 179 Abs. 1 SGG kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der ZPO wieder aufgenommen werden. Nach den hiernach in Bezug genommenen Regelungen der ZPO (vgl. § 578 ZPO) kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage (§ 579 ZPO) und durch Restitutionsklage (§ 580 ZPO) erfolgen.

Nichtigkeitsklage findet gemäß § 579 Abs. 1 ZPO statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (Nr. 1), wenn ein Richter bei der Entscheidung mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war, sofern nicht dieses Hindernis mittels eines Ablehnungsgesuchs oder eines Rechtsmittels ohne Erfolg geltend gemacht ist (Nr. 2), wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt war (Nr. 3) oder wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (Nr. 4). Nichtigkeitsgründe in diesem Sinne sind vorliegend nicht ersichtlich und wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

Restitutionsklage findet gemäß § 580 ZPO statt, wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat (Nr. 1), wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet wird, fälschlich angefertigt oder verfälscht war (Nr. 2), wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat (Nr. 3), wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist (Nr. 4), wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat (Nr. 5), wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist (Nr. 6), wenn die Partei ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil (Nr. 7a) oder eine andere Urkunde auf findet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde (Nr. 7b) oder wenn der europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht (Nr. 8).

Restitutionsgründe in diesem Sinne liegen gleichermaßen nicht vor, insbesondere nicht die vom Kläger der Sache nach geltend gemachten Gründe nach den Nrn. 3, 4 und 5.

Nach § 581 Abs. 1 ZPO findet in den Fällen des § 580 Nrn. 1 bis 5 ZPO die Restitutionsklage nur statt, wenn wegen der Straftat eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann. Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die im Erörterungstermin vom 17. Februar 2016 als Zeugin vernommene K1 im Sinne des § 580 Nr. 3 ZPO einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig machte, ein Vertreter der Beklagten in Bezug auf den Rechtsstreit eine Straftat beging, die zur Rücknahme der Klage durch den Kläger führte (§ 580 Nr. 4 ZPO), oder der Kammervorsitzende sich im Sinne des § 580 Nr. 5 ZPO einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen den Kläger schuldig machte. Solche strafrechtlichen Verurteilungen der Zeugin K1, von Mitarbeitern der Beklagten bzw. des Kammervorsitzenden K3 hat auch der Kläger nicht behauptet. Er hat vielmehr nur seine subjektive Sicht vergangener Ereignisse dargelegt und daraus strafbare Handlungen der genannten Personen (uneidliche Falschaussage, Betrug, Begünstigung im Amt, Nötigung, Rechtsbeugung) abgeleitet. Auf persönliche Ansichten zur Verwirklichung von Straftatbeständen lässt sich eine Restitutionsklage nicht stützen. Nicht von Bedeutung ist damit auch, dass der Kläger gegen die Zeugin K1, verschiedene Mitarbeiter der Beklagten und den Kammervorsitzenden beim Polizeirevier S1 „Strafanzeigen mit der Bitte um ein Ermittlungsverfahren“ gestellt hat.

Soweit die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 Abs. 2 SGG ferner zulässig ist, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat, liegen auch diese Voraussetzungen mangels strafrechtlicher Verurteilung von Mitarbeitern der Beklagten nicht vor.

Eine Wiederaufnahme nach § 180 SGG kommt im Übrigen schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Regelung – hier nicht vorliegende – Fallgestaltungen von einander widersprechenden Entscheidungen verschiedener Versicherungsträger oder eines Landes betrifft.

Darüber hinaus wäre auch die einmonatige Klagefrist nach § 586 Abs. 1 ZPO nicht eingehalten. Anhaltspunkte dafür, dass der Fünfjahreszeitraum gilt (§ 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO), liegen nicht vor und wurden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob im Rahmen des Erörterungstermins - wie vom Kläger behauptet - eine widerrechtliche Drohung durch den Kammervorsitzenden ausgesprochen wurde (vgl. zum Meinungsstand zur Widerruflichkeit nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bei einer Drohung des Gerichts: Burkiczak (ablehnend) in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand Oktober 2022, § 102 SGG, Rn. 43 m.w.N.).

Lediglich abschließend weist der Senat darauf hin, dass der Kammervorsitzende in dem Verfahren S 8 KR 372/21 WA nicht an einer Entscheidung gehindert war. Ausweislich der vorliegenden SG-Akte hatte der Kläger in diesem Verfahren gegen den Kammervorsitzenden schon keinen Ablehnungsantrag wegen Befangenheit gestellt. Gründe für einen Ausschluss nach § 41 ZPO liegen offensichtlich nicht vor.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

5. Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).


 

Rechtskraft
Aus
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