Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. September 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Unterstützungsleistungen zum Vorgehen wegen vermuteter Behandlungsfehler.
Bei dem 1956 geborenen Versicherten der Beklagten (im Folgenden: Kläger) wurde am 25. Januar 2019 im Kreiskrankenhaus F. unter der Aufnahmediagnose Phimose eine Zirkumzision (Beschneidung) durchgeführt.
Am 12. Februar 2019 wandte er sich wegen eines vermuteten Behandlungsfehlers an die Beklagte und bat um Unterstützung. Die Beschneidung sei medizinisch nicht notwendig gewesen. Es habe keine Phimose vorgelegen; zudem sei er nicht hinreichend über die Operation aufgeklärt worden. Der histologische Befund habe eine Pilzinfektion ergeben. Seit der zu Unrecht durchgeführten Operation leide er unter Impotenz, Erektions- und Ejakulationsstörungen sowie Schmerzen im Operationsbereich. Dies habe bei ihm zu Depressionen geführt. Sein Ziel sei es, ein funktionsfähiges und schmerzfreies Geschlechtsteil wiederzuerlangen, notfalls durch Transplantation einer funktionsfähigen Ersatzvorhaut. Zudem beabsichtige er Schmerzensgeld einzuklagen und Strafanzeige wegen Körperverletzung zu stellen.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kam nach Auswertung der medizinischen Unterlagen in seinem Gutachten vom 27. August 2019 zu der Beurteilung, dass sich das Ausmaß einer Phimose anhand der vorliegenden Dokumentation nicht klären lasse. Grundsätzlich schließe eine Pilzerkrankung das zeitgleiche Bestehen einer Phimose nicht aus. Die vom Kläger beklagten Beschwerden wie Impotenz und Ejakulationsstörung könnten nicht durch die Operation der Vorhaut verursacht worden sein. Eine Zirkumzision sei nicht geeignet, solche Störungen hervorzurufen.
Mit Bescheid vom 19. September 2019 teilte die Beklagte dem Kläger das Ergebnis der Prüfung der ärztlichen Behandlung mit. Nach der Stellungnahme des MDK sei ein Behandlungsfehler nicht anzunehmen. Die vom Kläger geschilderten Schwellungen der Eichel und des Schwellkörpers um das Zweifache ließen sich ebenso wie die dargelegten Schmerzen der ärztlichen Dokumentation nicht entnehmen. Die nach der Operation geschilderten Gesundheitsschädigungen seien gutachterlich nicht auf die Beschneidung zurückzuführen. Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger den Befundbericht seiner behandelnden Psychotherapeutin G. vom 27. August 2019 vor, die die Diagnose Anpassungsstörung nach Penisoperation mit konsekutiver Erektionsstörung (F43.2G) stellte. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 66 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sollten Krankenkassen die Versicherten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen, die bei der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen aus Behandlungsfehlern entstanden sind, unterstützen. Die Unterstützung müsse dabei ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfe das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Abs 1 SGB V). Die Richtlinien über die Zusammenarbeit der Krankenkassen mit dem MDK würden eine schriftliche Begutachtung der Sachverhalte beinhalten. In ihrer Entscheidung seien die Gutachter bei medizinischen Fragestellungen nur ihrem Gewissen verpflichtet. Hierbei würden bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Dokumentation die in den Krankenakten niedergelegten Umstände und Vorgänge im Allgemeinen als richtig zugrunde gelegt.
Der Kläger hat am 21. Februar 2020 Klage beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Die Begutachtung des MDK entspreche nicht dem tatsächlichen Sachverhalt. Bei objektiver Begutachtung könnten Behandlungsfehler nur bestätigt werden.
Mit Urteil vom 8. September 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 19. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2020 sei nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei vorliegend ihrer Verpflichtung aus § 66 SGB V umfassend nachgekommen. Die Vorschrift in § 66 SGB V sei durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20. Februar 2013 geändert worden. Das früher den Krankenkassen eingeräumte Ermessen („können“) sei durch die Verstärkung zum „sollen“ deutlich begrenzt worden. Die Krankenkassen seien nach dem Willen des Gesetzgebers nun grundsätzlich zur Unterstützung verpflichtet, es sei denn, es sprächen besondere Gründe dagegen. Wie das Hessische Landessozialgericht im Urteil vom 4. Mai 2015 – L 1 KR 381/13 – zutreffend ausführe, ziele die Unterstützung im Sinne des § 66 SGB V darauf ab, dem Versicherten Leistungen zu gewähren, die ihm die Beweisführung erleichterten, also ihm die für eine Rechtsverfolgung essentiellen Informationen zugänglich machten. Unterstützungsleistungen beschränkten sich regelmäßig auf die Verschaffung von Auskünften über die vom Arzt gestellten Diagnosen, die angewandte Therapie, die Namen der Behandler, die Anforderung ärztlicher Unterlagen einschließlich Röntgenaufnahmen etc von der Behandlung und die Begutachtung durch den MDK nach § 275 Abs 3 Nr 4 SGB V. Diesen Anforderungen sei die Beklagte nachgekommen, indem sie ein Gutachten des MDK nach Beiziehung der relevanten Unterlagen eingeholt habe. Die Ärzte des MDK seien bei Wahrnehmung ihrer fachlichen Aufgaben zur Objektivität verpflichtet, § 275 Abs 5 SGB V. Es sei in Bezug auf § 66 SGB V darauf hinzuweisen, dass die Gerichte lediglich eine Rechtskontrolle ausübten, dh sie prüften nicht die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsakte der Beklagten. Insbesondere sei die Krankenkasse nicht zu einem initiativen Recherchieren zu Gunsten des Versicherten verpflichtet. Allein, dass der Kläger mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstanden sei, verpflichte nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens bzw zur Vernehmung von Zeugen.
Gegen das ihm am 29. September 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. Oktober 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, seine Gehörsrüge und Beschwerde vom 16. September 2022 mit dem Antrag, das Verfahren fortzusetzen, sei nicht berücksichtigt worden. Das erstinstanzliche Urteil sei wegen der Gehörsverletzung nichtig. In der nicht erfolgten Ladung der Frau H. als Zeugin liege ein gravierender Verfahrensfehler, da das Gericht gegenüber einem nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten – hier dem Kläger - eine gesteigerte Fürsorgepflicht treffe. Das Gutachten der Beklagten sei falsch und nichtig. Der Kläger sei aus dem Krankenhaus F. ungeheilt mit immer noch vorhandener Entzündung entlassen worden. Es lägen insgesamt acht Behandlungsfehler vor. Die Diagnose Phimose sei falsch.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. September 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2020 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, das eingeholte Gutachten des MD für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass die Auseinandersetzung um die Inhalte des MDK Gutachtens nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens sei, in dem es um Unterstützungsleistungen nach § 66 SGB V gehe. Zutreffend habe das Vordergericht auf die Rechtsprechung des Hessischen LSG vom 4. Mai 2015 verwiesen, dass die Hilfeleistungen nach § 66 SGB V nicht als eine umfassende Hilfeleistung bewerte. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, das die gesetzliche Krankenversicherung ihre Mittel nur zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben verwenden dürfe und eine weitergehende Recherche zu Gunsten des Versicherten vom gesetzlichen Auftrag der Krankenversicherung nicht gedeckt sei.
Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 17. April 2023 zu einer Entscheidung im Beschlussverfahren angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückweisen. Nach dieser Vorschrift kann das Landessozialgericht, außer in den Fällen des § 105 Abs 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich hält. Der Senat hält diese Voraussetzungen für erfüllt.
Die Beteiligten müssen einer Entscheidung im Beschlussverfahren nicht zu stimmen. Es kann auch durch Beschluss entschieden werden, wenn die Beteiligten – wie hier der Kläger – ausdrücklich mündliche Verhandlung verlangen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl, § 153 Rn 14). Die Entscheidung, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zurückzuweisen, steht in pflichtgemäßem Ermessen des Berufungsgerichts. Bei seiner Ermessensentscheidung verkennt der erkennende Senat nicht die Funktion und Bedeutung der mündlichen Verhandlung als „Kernstück“ des gerichtlichen Verfahrens. Nicht erforderlich ist eine mündliche Verhandlung jedoch dann, wenn der Sachverhalt umfassend ermittelt worden ist, sodass Tatsachenfragen in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr geklärt werden müssen, oder wenn im Berufungsverfahren lediglich der erstinstanzliche Vortrag wiederholt wird (BSG Beschluss vom 21. Oktober 2021 - B 5 R 51/21 B). So liegen die Dinge hier. Im Berufungsverfahren ist kein neuer Tatsachenvortrag durch die Beteiligten erfolgt; es ist lediglich der bereits bekannte Vortrag wiederholt worden.
Bei seiner Ermessensentscheidung hat der Senat auch das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör hinreichend berücksichtigt. Das SG hat durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, in der der Kläger Gelegenheit hatte, den Sachverhalt darzustellen und seine Rechtsauffassung darzulegen. Zudem sind die Beteiligten gemäß § 153 Abs 4 Satz 2 SGG angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Dennoch hat der Kläger keine neuen Tatsachen vorgetragen, sondern altbekannten Vortrag wiederholt.
Das erstinstanzliche Urteil ist nicht zu beanstanden. Streitgegenstand sind Unterstützungsleistungen. Insoweit verkennt der Kläger, dass im Berufungsverfahren nicht die Richtigkeit des MDK Gutachtens zu überprüfen ist. Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen und zutreffend zur Anwendung gebracht. Es hat die einschlägige Rechtsprechung - hier das Urteil des Hessischen LSG, Urteil vom 4. Mai 2015 < L 1 KR 381/13 > - zugrunde gelegt und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung aus § 66 SGB V umfassend nachgekommen ist. Zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen verweist der erkennende Senat gemäß § 142 Abs 2 Satz 3 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Es liegt auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art 103 Grundgesetz (GG) vor. Die vom Kläger im Berufungsverfahren behauptete Gehörsrüge vom 16. September 2022 mit dem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens befindet sich nicht in der Gerichtsakte. Auch im Übrigen ist keine Gehörsverletzung ersichtlich. Streitgegenstand sind Unterstützungsleistungen nach § 66 SGB V, die mit Einholung des Gutachtens des MDK erfüllt sind. Die Beklagte ist nicht zu einem initiativen Recherchieren zu Gunsten des Versicherten verpflichtet. Insbesondere muss sie nicht weiter recherchieren bis der vermeintliche Behandlungsfehler nachgewiesen ist. Infolgedessen hat der Kläger auch nur Anspruch auf Durchführung einer Begutachtung durch den MDK, nicht jedoch auf ein für ihn günstiges Gutachtenergebnis. Die gerichtliche Prüfung ist auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Der Umstand, dass der Kläger mit dem Ergebnis des Gutachtens des MDK nicht einverstanden ist, verpflichtet die Beklagte nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), ist nicht ersichtlich.