L 13 R 39/23 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 R 621/22
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 39/23 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Lässt sich die Frage der zutreffenden Kostenquote aus dem Gesetz durch Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze beantworten, so handelt es sich nicht um eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

2. Der Antrag auf "Weitergewährung" einer bisher befristeten Erwerbsminderungsrente kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Weitergewährung einer unbefristeten Rente begehrt wird, wenn der Vortrag des Versicherten keine Anhaltpsunkte für einen entsprechenden Antragswillen bietet.

3. Das Meistbegünstigungsprinzip ist dann nicht heranzuziehen, wenn klar ist, was der Antragsteller begehrt.

4. Wird dem Widerspruchsführer die Erwerbsminderungsrente erneut befristet bewilligt, so hat er mit seinem Widerspruch vollen Erfolg, mit der Folge der Erstattung der notwendigen Aufwendungen nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch den Rechtsträger.

 

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

G r ü n d e :

I.

Die Beklagte und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Beklagte) begehrt die Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20.12.2022. In der Sache ist die Quote der Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nach § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) streitig.

Der 1959 geborene Kläger und Beschwerdegegner (im Folgenden: Kläger) bezog von der Beklagten für den Zeitraum vom 01.10.2017 bis zum 30.04.2021 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Den Antrag auf Weiterbewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.06.2021 ab. Dagegen erhob der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, Widerspruch und begründete diesen damit, dass der Gesundheitszustand des Klägers unverändert und er auch weiterhin nur unter drei Stunden täglich einsatzfähig sei. Der Ablehnungsbescheid sei daher aufzuheben und dem Kläger sei "weiterhin Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren".
Mit Rentenbescheid vom 10.06.2022 gewährte die Beklagte dem Kläger sodann Rente wegen voller Erwerbsminderung "weiterhin auf Zeit bis zum 31.03.2025". Im Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass dieser aufgrund des Widerspruchs vom 01.07.2021 ergangen, dem Widerspruch damit "teilweise" abgeholfen worden und der Bescheid Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden sei.
Mit Schreiben vom 22.06.2022 wies die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte darauf hin, dass es sich - entgegen dem Wortlaut im Bescheid - um eine volle Abhilfe ("Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente ab 01.05.2021") handele und ersuchte um eine Entscheidung zu den Kosten des Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2022 wurde der Widerspruch im Übrigen - soweit ihm nicht durch Bescheid vom 10.06.2022 entsprochen worden sei - als unbegründet zurückgewiesen. Die entstandenen notwendigen Aufwendungen würden zur Hälfte erstattet. Der Widerspruch sei teilweise erfolgreich gewesen. Soweit das Begehren auf eine Dauerrente gerichtet sei, könne dem Widerspruch nicht stattgegeben werden. Die Kosten würden anteilig erstattet.

Dagegen hat der Kläger am 18.08.2022 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben. Das Begehren des Klägers sei gewesen, dass die Erwerbsminderungsrente nahtlos weitergezahlt werde. Diesem Begehren sei voll entsprochen worden.

Die Beklagte hat erwidert, dass der Kläger nur teilweisen Erfolg gehabt habe. Nach dem Meistbegünstigungsprinzip sei davon auszugehen, dass der Kläger eine unbefristete Rente begehrt habe. Es habe sich um einen unbestimmten Antrag gehandelt. Alle ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen seien mitbeantragt.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2022, der Beklagten am 21.12.2022 zugestellt, hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen in Bezug auf das gegen den Bescheid vom 09.06.2021 geführte Widerspruchsverfahren in voller Höhe zu erstatten, da der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 09.06.2021 erfolgreich gewesen sei. Gemessen an seinem auszulegenden Antrag im Widerspruch habe der Kläger im Sinne des § 63 Abs. 1 SGB X voll obsiegt. Weil es im Widerspruchsverfahren keine mündliche Verhandlung gebe, in der ein verbindlicher Antrag gestellt werde, müsse für den Vergleich zwischen ursprünglichem Ziel und Erfolg das Begehren des Widerspruchsführers ggf. wertend ermittelt werden. Der Kläger habe dabei unter Berücksichtigung der Grundsätze der Auslegung gemäß §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog mit seinem Widerspruch lediglich einen Antrag auf Gewährung einer Rente nach den gesetzlichen Maßgaben gestellt und deshalb lediglich eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung begehrt. Er habe mit seinem Widerspruch ausdrücklich keinen konkreten Antrag auf Bewilligung einer "unbefristeten" Erwerbsminderungsrente gestellt. Bei der Auslegung komme es auf die Sicht des objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers an. Hierbei spielten neben dem Wortlaut der Erklärung insbesondere auch die Beweggründe des Betroffenen, die Begleitumstände und die Interessenlage eine Rolle. Hierbei sei zunächst zu berücksichtigten, dass der Kläger ausdrücklich nur Rente wegen Erwerbsminderung begehrt habe; nicht beantragt sei eine unbefristete Rente gewesen. Eine Wahlmöglichkeit zwischen befristeter und unbefristeter Rente würden die Formblattanträge der Beklagten nicht vorsehen. Ein Formblattantrag würde daher für die Beklagte in der Rolle des objektiven Erklärungsempfängers keine Auslegungshilfe dahingehend bedeuten, dass der Kläger von Anfang an und dann auch mit dem Widerspruch eine unbefristete Rente begehrt hätte. Die Beklagte sei diesem so auszulegenden Antrag mit dem Rentenbescheid vom 10.06.2022 vollumfänglich nachgekommen. Der Antrag des Klägers sei auch nicht aus Rechtsgründen zu erweitern gewesen. Das sog. Meistbegünstigungsprinzip ändere hieran nichts. Es sei im Anwendungsbereich der Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 1 SGB X nicht anzuwenden. Wegen der Verpflichtung der Behörde zur (umfassenden) Sachprüfung gelte der Grundsatz "ne ultra petita" im Widerspruchsverfahren als besonderes Verwaltungsverfahren nicht. Danach müsse der Rentenversicherungsträger auch dann ausnahmsweise eine unbefristete Erwerbsminderungsrente bewilligen, wenn diese nicht beantragt sei, sich aber aus medizinischen Gründen der Ausnahmefall des § 102 Abs. 2 Satz 5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ergebe und eine Besserungsaussicht nicht gegeben sei.

Dagegen hat die Beklagte am Montag, den 23.01.2023, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht erhoben. Die Berufung sei zuzulassen, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen würde. Die Auslegung eines Antrags müsse nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung erfolgen. Dieser dürfte nicht nur im Antragsverfahren herangezogen werden, sondern müsste auch im Rahmen des § 63 SGB X gelten, so dass hier eine Quotelung vorzunehmen sei. Das Sozialgericht habe hiervon abweichend die Auffassung vertreten, dass im Rahmen des § 63 SGB X ein unbestimmter Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente dahingehend auszulegen sei, dass lediglich eine befristete Rente nach der Regelvermutung des § 102 Abs. 2 SGB VI begehrt werde. Dies sei nicht zutreffend. Der Kläger habe keine konkreten Angaben zu einer begehrten Leistungsdauer gemacht. Die Auslegung durch das Sozialgericht würde dazu führen, dass der Kläger aufgrund der "vollen Abhilfe" davon ausgehen müsste, dass sein Rechtsweg mit diesem Bescheid beendet sei. Dies würde Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zuwiderlaufen; die Möglichkeit der Klageerhebung gegen den "Abhilfebescheid" würde erschwert werden. Die Formulare der Beklagten würden gerade das Interesse an einer weitestgehenden Leistungsgewährung wahren und stellten vor dem Hintergrund, dass Anträge unbeschränkt gestellt werden könnten, die praktische Umsetzung des Meistbegünstigungsgrundsatzes dar. Es stelle sich daher folgende klärungsbedürftige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung: "Ist im Falle eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente bzw. im Falle des Antrags auf Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente ohne konkrete Angaben zu einer gewünschten Befristung oder Gewährung als Dauerrente sowohl im Antrags- als auch im Widerspruchsverfahren bei der Ermittlung des Begehrens im Widerspruchsverfahrens im Rahmen des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X das Meistbegünstigungsprinzip zur Auslegung heranzuziehen?"

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 20.12.2022 zuzulassen.    

Der Kläger hat beantragt,

ie Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerde sei jedenfalls unbegründet, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe. Die von der Beklagten formulierte Frage, lasse sich aus dem Gesetz unter Anwendung rechtsimmanenter methodischer Auslegungsgrundsätze beantworten. Maßgeblich sei deshalb das Begehren des Klägers im Widerspruchsverfahren zu ermitteln. Der Kläger habe auf dem von der Beklagten zugesandten Fragebogen zeitnah zum Ablauf der befristet gewährten Erwerbsminderung lediglich Fragen zu seinem Gesundheitszustand beantwortet. Der Widerspruch sei, da er auf eine Weitergewährung der Rente gerichtet gewesen sei, dahingehend klar formuliert gewesen, dass es sich um eine befristete Rente gehandelt habe. Selbst wenn die Formulierung nicht als eindeutig eingestuft werde, so sei sie jedenfalls in diesem Sinne - Begehr einer befristeten Rente - auszulegen gewesen. Das Formular der Beklagten habe keinen eindeutigen Antrag hinsichtlich der Dauer bzw. Befristung erfordert, der Ablehnungsbescheid sei ebenfalls keine Auslegungshilfe. Zur Auslegung könnte das bisherige Verhalten des Klägers in den vorausgegangenen Verfahren herangezogen werden; dort habe der Kläger nämlich gegen die Gewährung von befristeten Renten keinen Widerspruch eingelegt, sondern diese akzeptiert. Auch habe die Prozessbevollmächtigte unmittelbar nach Erhalt des Abhilfebescheids auf den Umstand, dass es sich um eine volle Abhilfe handele, hingewiesen. Werde wie hier, kein konkreter Antrag gestellt, so sei anzunehmen, dass der Kläger das begehre, was ihm nach den gesetzlichen Vorschriften zustehe. Da es sich also um tatsächliche Fragen handele, liege keine grundsätzliche Bedeutung vor. Auch aus dem Meistbegünstigungsprinzip folge nichts Anderes, denn dieses sei nicht geeignet, die Dispositionsfreiheit eines Antragstellers abstrakt einzuschränken. Auch müsse der Kläger - anders als die Beklagte meint - nicht von einer Beendigung seines Rechtswegs ausgehen, wenn ihm aufgrund der "vollen" Abhilfe eine befristete Rente gewährt würde. Der Kläger könne dagegen Widerspruch einlegen, wenn er damit nicht einverstanden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§ 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber nicht begründet.
 
Die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Berufung bedarf hier der Zulassung, da es sich um eine Klage handelt, die eine Geldleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft und der Wert des Beschwerdegegenstands 750 € nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Beklagte wendet sich gegen die Auferlegung der vollen Kosten im Rahmen einer isolierten Kostenentscheidung nach § 63 SGB X; der Wert der Beschwer beträgt 225,21 €.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG), noch weicht das Urteil des Sozialgerichts von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG), noch liegt ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG).

Die Rechtssache hat entgegen der Auffassung der Beklagten keine grundsätzliche Bedeutung, da sie nicht klärungsbedürftig ist. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen wird, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung bedürftig und fähig ist (vgl. BSG, Beschluss vom 19.12.2013, B 9 V 53/13 B, juris Rn. 2), wobei die Frage der grundsätzlichen Bedeutung wie in § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG auszulegen ist (vgl. Keller in Mayer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 144 Rn. 28). Ein Individualinteresse genügt nicht. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (vgl. BSG vom 02.03.1976, 12/11 BA 116/75, SozR 1500 § 160 Nr. 17) oder praktisch von vorneherein außer Zweifel steht (BSG, Beschluss vom 04.06.1975, 11 BA 4/75, BSGE 40, 40, SozR 1500 § 160 a Nr. 4; Leitherer in Mayer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 160 Rn. 8a). Nicht klärungsfähig ist eine Rechtsfrage, wenn sie im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich ist (vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 12.02.2019, L 3 AS 405/16 NZB, juris).

Die Beklagte hat mit der von ihr formulierten Frage keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. dazu insgesamt: LSG NRW, Beschluss vom 18.03.2021, L 18 R 44/21 NZB, juris). Die hinter der formulierten Rechtsfrage stehende Frage, welche Kostenquote zutreffend ist, lässt sich aus dem Gesetz unter Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze - zu denen eine gesicherte Rechtsprechung des BSG vorliegt - beantworten. Auf die Frage, ob das Meistbegünstigungsprinzip anwendbar ist, kommt es nicht an. Im Kern wendet sich die Beklagte gegen eine nach ihrer Auffassung "falsche" Auslegung des klägerischen Begehrens im Widerspruchsverfahrens durch das Sozialgericht.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, soweit ein Widerspruch erfolgreich ist, die notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Aus welchen Gründen der Widerspruch Erfolg hatte oder nicht, ist unerheblich. Bei der Kostenentscheidung ist eine formale Betrachtungsweise geboten. Sie soll nicht mit "schwierigen rechtlichen Auseinandersetzungen" belastet werden. Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit der Widerspruch erfolgreich oder erfolglos war, ist ein Vergleich des mit dem Widerspruch Begehrten und des Inhalts der das Vorverfahren abschließenden Sachentscheidung, die bei einer auf die Kosten beschränkten isolierten Anfechtung bestandskräftig geworden ist und als solche nicht mehr in Frage gestellt werden kann (BSG, Urteil vom 12.06.2013, B 14 AS 68/12 R, juris). Der Erfolg im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X ("Soweit...") ist durch Auslegung des konkreten tatsächlichen Begehrens im Einzelfall und dessen Abgleich mit der stattgebenden Entscheidung vorzunehmen. Der Grad der Kongruenz zwischen beidem (die "Schnittmenge") bestimmt den Grad des Erfolges. Die Auslegung einer Erklärung bedarf immer eines konkreten Bezugspunktes in der Erklärung selbst (vgl. LSG NRW a.a.O., juris Rn. 14). Wenn ein Widerspruch nicht begründet wird, ist zur Bestimmung des Widerspruchsbegehrens dieses vor dem Hintergrund des gesamten Verfahrens auszulegen; konkretisierender Anhaltspunkte kann die bisherige Bewilligungspraxis sein (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 24).

Der Kläger hat mit seinem Widerspruch die "Weitergewährung" seiner Rente wegen Erwerbsminderung begehrt, welche ihm bisher mehrfach befristet gewährt worden war. Aus diesem Antrag im Widerspruchsverfahren, der bisherigen Bewilligungspraxis der Beklagten, mit der der Kläger in der Vergangenheit einverstanden war, und auch dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 22.06.2022 unmittelbar nach Erlass des Bescheids vom 10.06.2022, indem diese auf eine nach ihrer Auffassung "volle Abhilfe" hinweist, war das klägerische Begehren im Widerspruch durch Auslegung eindeutig - im Sinne von Weitergewährung der "Rente wie bisher", mithin befristet - zu ermitteln. Diesem Antrag im Widerspruchsverfahren hat die Beklagte voll entsprochen, d.h. der Antrag des Klägers und die Leistung sind kongruent. Der Kläger hatte mit seinem Widerspruchsbegehren vollen Erfolg.

Die Beklagte ist nicht berechtigt, dem Kläger einen weitreichenderen Antrag durch Auslegung zu unterstellen, für den es hier keine Anknüpfungspunkte im Widerspruchsbegehren gibt. Ein Antrag zur Rentendauer ist gerade nicht erforderlich. Ein "Rentenbescheid" muss vier Verfügungssätze (Verwaltungsakte) enthalten, und zwar zur Rentenart, zum Rentenbeginn, zur Laufzeit (Dauer) der Rente und zur Höhe des Stammrechts auf Rente. Der Kläger hat vorliegend die "Weitergewährung" der bislang befristet gezahlten Rente wegen Erwerbsminderung beantragt, also nur die gewünschte Rentenart bezeichnet, und im Übrigen kein konkretes Begehren formuliert. Das musste er auch nicht, da die Beklagte im Falle der Weitergewährung darüber von Amts wegen zu entscheiden hat, also einen Rentenbescheid mit den vier o.g. Verfügungssätzen zu erlassen hat. Insoweit überzeugen die Ausführungen der Beklagten zu Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Widerspruchsführer in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz eingeschränkt wird. Liegt ein Rentenbescheid mit den o.g. vier Verfügungssätzen vor, kann der Versicherte deren Rechtmäßigkeit prüfen und die getroffenen Regelungen akzeptieren oder mit einem Rechtsbehelf eine abweichende, für ihn günstigere Regelung erstreiten. Wird ein solcher Rechtsbehelf nicht eingelegt und ist auch sonst nicht erkennbar, dass der Versicherte weniger erhält, als er (tatsächlich) beantragt hat, ist dies ein wichtiges Indiz dafür, dass er alles erhalten hat, was er begehrt hatte. Ein Versicherter ist deshalb nicht immer teilweise erfolglos im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wenn ihm keine Rente auf unbestimmte Dauer, zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder in optimaler Rentenhöhe zugesprochen wurde, sofern er dies nicht ausdrücklich beantragt hatte.
Natürlich könnte ein Versicherter auch eine Rente ab einem von ihm bestimmten Zeitpunkt, auf unbestimmte oder bestimmte Zeit oder in bestimmter (Mindest-)Höhe beantragen. Sinn machte das aber nur selten, weil es ihm freisteht, hierzu zunächst die Entscheidung des an Recht und Gesetz gebundenen Leistungsträgers abzuwarten. Das Meistbegünstigungsprinzip spielt bei der Anwendung des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X daher keine entscheidende Rolle (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 18.03.2021, L 18 R 44/21 NZB, juris Rn. 16) und es wurde vom Sozialgericht auch nicht angewandt. Es ist nämlich nicht heranzuziehen, wenn der Antrag klar formuliert ist, und dient nicht dazu, einen nach allgemeinen Auslegungsregeln nicht erkennbaren Willen allgemein zu unterstellen. Der Maßstab der "Meistbegünstigung" bestimmt den Prüfungsumfang des Sozialleistungsträgers nur in Fällen, in denen gerade nicht klar ist, was der Antragsteller begehrt. Dies dient dem Schutz des Betroffenen und soll u.a. helfen, unnötige Folgeverfahren zu vermeiden. Das Meistbegünstigungsprinzip eignet sich nicht, die Dispositionsfreiheit eines Antragstellers generell abstrakt einzuschränken, und dient nicht dem Schutz des Leistungsträgers vor (aus seiner Sicht) zu hohen Kostenforderungen.

Weiter weicht das Urteil nicht von einer Entscheidung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte ab, wobei es hinsichtlich des Berufungsgerichts nur auf dessen Entscheidungen ankommt und nicht auf ein anderes Landessozialgericht, wobei bei einer Abweichung von Entscheidungen anderer Landessozialgericht nicht selten eine grundsätzliche Bedeutung vorliegen dürfte (vgl. Keller a.a.O., § 144 Rn. 30). Ergänzend wird die Beklagte insoweit auf Entscheidungen der Landessozialgerichte Baden-Württemberg (vgl. Urteil vom 25.06.2021, L 4 R 3100/20, juris) sowie Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil vom 28.10.2016, L 14 R 1037/15, juris) aufmerksam gemacht, die in vergleichbaren Fällen ebenfalls von einem vollen Erfolg des Widerspruchsführers ausgegangen sind mit der Folge der vollen Kostenerstattung nach § 63 SGB X.
Die Beklagte hat schließlich keinen Verfahrensmangel geltend gemacht (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Ein solcher Verfahrensmangel ist auch nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
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