Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung als Wie- Berufskrankheit (Wie-BK).
Der 1963 geborene Kläger, anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 60, ist gelernter Zerspanungsfacharbeiter und arbeitete unter anderem als Berufsfeuerwehrmann. Von 1993 bis 2005 war der Kläger als Leichenumbetter beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. tätig und führte in Tschechien, Ungarn, Kroatien, Polen, Weißrussland und Deutschland neben weiteren Tätigkeiten die Exhumierung und Identifizierung von Weltkriegstoten durch. Ab 2005 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beschäftigung als Umbetter endete 2008 nach einem Vergleich. Seit 2011 bezieht der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Am 8. April 2008 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beantragte mit der Begründung, dass es durch seine jahrelange Tätigkeit als Umbetter zu gesundheitlichen Störungen mit lebenslanger Behinderung gekommen sei, die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) bzw. einer Wie-BK. Nach Einholung einer Stellungnahme des Gewerbearztes vom 3. Juli 2008 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2008 die Anerkennung einer BK bzw. einer Wie-BK ab und führte zur Begründung u.a. aus, psychosomatische Störungen, Depressionen und Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) gehörten nicht zu den in der Berufskrankheiten-Liste genannten Erkrankungen. Eine Anerkennung als BK nach § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei deshalb nicht möglich. Daneben gebe es auch keine Anhaltspunkte für die Anerkennung als Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII. Es fehle an neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft dafür, dass die Tätigkeit als Umbetter generell die beim Kläger aufgetretenen Beschwerden verursachen könne.
Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2008) holte das Sozialgericht Potsdam im nachfolgenden Klageverfahren (Az.: S 12 U 133/08) ein nach Aktenlage erstelltes Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A ein. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten vom 15. April 2013 nach einer umfangreichen Literaturrecherche u.a. zu der Feststellung, dass es keine epidemiologischen Studien dazu gebe, dass Leichenumbetter im Vergleich zur Normalbevölkerung in erhöhtem Maße traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt seien. Im Übrigen könne der Umgang mit Leichen(-teilen) nicht grundsätzlich als traumatisierendes Ereignis gemäß den internationalen Kriterien (ICD-10 und DSM-IV) aufgefasst werden. Ein traumatisierendes Ereignis könne ausschließlich beim Umgang mit Leichen von nahestehenden Personen oder bei Unfällen oder aktuellen Kriegsereignissen auftreten, was bei der Tätigkeit des Klägers aber nicht der Fall gewesen sei. Hierauf gestützt wies das Sozialgericht mit Urteil vom 9. August 2013 die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung wies das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 2 U 159/13) mit Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 6. Mai 2014 zurück, wobei es im Wesentlichen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils Bezug nahm.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2017 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und stellte den Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 23. Juli 2008. Zur Begründung bezog er sich auf ein - in seinem Klageverfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung (Az. S 4 R 588/07) wegen Gewährung von Erwerbsminderungsrente eingeholtes Sachverständigengutachten des Arztes für Psychiatrie Prof. Dr. Z vom 12. November 2010. Außerdem verwies der Kläger, ohne diese konkret zu benennen, auf neue Forschungsergebnisse des Trauma-Zentrums der Bundeswehr.
Mit Bescheid vom 22. März 2017 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag mit der Begründung ab, dass mangels Vortrags neuer Tatsachen keine neue Sachprüfung vorzunehmen gewesen sei. Mit seinem am 10. Mai 2017 eingelegten Widerspruch machte der Kläger, vertreten durch seine Betreuerin, geltend, dass die seit 2014 in der „Flüchtlingskrise in Bürgerkriegsgebieten" gesammelten Erfahrungen und medizinischen Erkenntnisse zu einer Neubewertung seines Begehrens führen müssten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 wies die Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf den angefochtenen Bescheid zurück.
Mit seiner am 14. Juli 2017 vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A sei fehlerhaft. Dem Sachverständigen fehle die erforderliche Spezialisierung, weshalb von der Kammer ein weiteres Gutachten durch einen kompetenten Sachverständigen einzuholen sei. Im Übrigen sei er während seiner Tätigkeit in Kroatien lebensbedrohlichen Ereignissen ausgesetzt gewesen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2017 sowie den Bescheid vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 aufzuheben und festzustellen, dass eine bei ihm bestehende Posttraumatische Belastungsstörung eine Wie-BK ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines vom Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A nach Aktenlage erstellten medizinischen Sachverständigengutachtens vom 3. Oktober 2018. Der Sachverständige ist darin zu der Einschätzung gelangt, dass es seit der Abfassung seines Gutachtens im vorangegangenen Streitverfahren keine neuen epidemiologischen Studien zur erhöhten Belastung von Leichenumbettern durch traumatische Situationen gebe. Zwar lägen neue Studien insbesondere zur psychischen Belastung von Soldaten vor und auch zu vergleichbaren Berufsgruppen wie z.B. Militärpersonal, Pathologen, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Mitarbeiter des Entwicklungsdienstes. Die vorliegenden Arbeiten seien aber in methodologischer Hinsicht heterogen und erfüllten nicht immer die nötigen wissenschaftlichen Gütekriterien. Es lasse sich nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlich-medizinischen Forschung damit nicht belegen, dass bestimmte Einwirkungen der vom Versicherten geltend gemachten Art (Traumata) bei Leichenumbettern überrepräsentiert seien. Die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen komme zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu einer einheitlichen wissenschaftlich fundierten Meinung. Die Frage, ob bestimmte psychische Einwirkungen im Rahmen einer speziellen beruflichen Tätigkeit eines Leichenumbetters generell eine PTBS verursachen könnten, sei daher zu verneinen.
Mit Urteil vom 24. Oktober 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung einer PTBS als Wie-BK. Voraussetzung hierfür sei es nach § 9 Abs. 2 SGB VII, dass bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt seien, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 3/12 R - juris, Rn. 14 m. w. N.). Nach diesen Maßgaben lägen nach wie vor keine gesicherten neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vor, nach denen davon auszugehen sei, dass die Einwirkungen, denen Umbetter insbesondere bei Exhumierungen und Identifizierungen ausgesetzt seien, generell geeignet wären, Erkrankungen der in Rede stehenden Art zu verursachen. Die Kammer nehme insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf das zwischen den Beteiligten ergangene Urteil vom 9. August 2013 und den bestätigenden Beschluss des Landessozialgerichts BerlinBrandenburg vom 6. Mai 2014. Die Kammer stütze ihre Überzeugung darüber hinaus auf das im hiesigen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. A, der nach umfangreicher Literaturrecherche in der wissenschaftlichen Datenbank Pub-Med schlüssig und sorgfältig begründet habe, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft der vorbezeichneten Art nicht vorlägen. Bei dem gegebenen Sachverhalt bedürfe es keiner Entscheidung darüber, ob die konkrete Konfrontation des Klägers mit Skeletten und Knochenteilen überhaupt das Eingangskriterium für die Anerkennung nach den einschlägigen Klassifikationsmanualen (ICD-10 und DSM-V) erfülle, was aus Sicht der Kammer zwar möglich, aber durchaus als unwahrscheinlich erscheine. Auch bedürfe es keiner Entscheidung darüber, ob der Kläger, wie vorgetragen, in Kroatien traumatisierenden Ereignissen ausgesetzt gewesen sei.
Gegen das ihm am 27. November 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Dezember 2019 Berufung eingelegt. In den Ländern Osteuropas habe ihm unter anderem die Exhumierung und Identifizierung von Toten des Zweiten Weltkrieges oblegen. Seine Aufgabe sei es gewesen, Gräber bzw. Massengräber zu suchen und die Exhumierung vorzunehmen bzw. zu veranlassen. Gearbeitet worden sei mit Schaufel und Bagger. Teilweise hätten mehr als 1000 Tote in einem Grab gelegen. Der Kläger habe selbst mitgearbeitet, teilweise sei er auch allein tätig gewesen. Insbesondere in den ersten Jahren hätte er keine Unterstützung gehabt. Bei Grabstätten mit acht bis zehn Toten habe der Kläger allein gearbeitet, bei größeren Grabanlagen seien Firmen hinzugezogen worden. Die Hilfskräfte hätten den Aushub der Erde vorgenommen, die Bergung der Gebeine sei jedoch ausschließlich Aufgabe des Klägers gewesen. Die Toten seien regelmäßig allein durch ihn aus dem Massengrab entnommen worden, denn er sei verantwortlich gewesen für die Bestimmung von Alter und Geschlecht und - sofern möglich - der Todesursache. Hierfür habe er eine entsprechende Ausbildung durch den Arbeitgeber erhalten. Jeder Tote habe protokolliert und fotodokumentiert werden müssen mit Körperbau, Größe, gefundenen Gegenständen. Die Altersbestimmung sei unter anderem anhand der Epiphysen, der Knochenabnutzung und der Position der Weisheitszähne erfolgt, die Bestimmung des Geschlechts über die Stellung der Oberschenkelknochen. Die Größenbestimmung sei erfolgt nach der Vermessung der Oberschenkel-, Unter- und Oberarmknochen und dem Abgleich in den entsprechenden Tabellen. Er habe dabei immer in einer Grube gearbeitet. Auf dem Balkan sei er bei der Exhumierung von Massengräbern teilweise auf getötete Einheimische gestoßen, mit denen er ein Jahr zuvor noch zusammengearbeitet habe. Er sei auf ausgelöschte Dörfer gestoßen, die nur noch von drei oder vier Menschen bewohnt worden seien, die völlig traumatisiert gewesen seien. Bei einem Einsatz in Weißrussland 2005 seien nachts Angehörige des weißrussischen SEK in seine Wohnung eingefallen und hätten ihn mit vorgehaltener schussbereiter Waffe geweckt, da man ihn für einen Spion gehalten habe. Er leide noch heute unter Flashbacks, die teilweise allein durch Gerüche ausgelöst würden. Er sei emotional abgestumpft. Beim Tod seines Sohnes (Motorradunfall 2004) und seines Bruders (2010) sei er unfähig gewesen, Trauer zu empfinden, obwohl ihm beide persönlich sehr nahe gestanden hätten.
Der Kläger hat das Gutachten des Prof. Dr. Z vom 12. November 2010 vorgelegt sowie Internetauszüge zu drei Studien über psychische Erkrankungen bei an Kampfeinsätzen beteiligten Soldaten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 24. Oktober 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 aufzuheben und festzustellen, dass mit der beim Kläger vorliegenden posttraumatischen Belastungsstörung eine Wie-BK vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die angegriffene Entscheidung, welche sie für zutreffend hält.
Der Senat hat auf den Antrag des Klägers nach § 109 SGG das nach Aktenlage erstellte psychiatrische Gutachten des Arztes für Psychiatrie Prof. Dr. Z vom 27. Januar 2022 eingeholt. Der Sachverständige gelangte hierbei zu der Einschätzung, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit seit Jahren vor 2010 und mindestens seit 2011 an einer schweren Ausprägung einer PTBS leide, deren Ursache mit hoher Wahrscheinlichkeit in der traumatisierend wirkenden Tätigkeit als Leichenumbetter liege. Es gebe keinerlei konkrete Hinweise auf potentielle andere ursächliche Faktoren für die PTBS.
Gegen sein Gutachten aus dem Jahr 2010 sei zurecht eingewandt worden, dass es keine (schon gar keine großen) epidemiologischen Studien zum Risiko von Leichenumbettern bezüglich der Entwicklung einer PTBS gebe. Der daraus gezogene Schluss, dass er, der Sachverständige, „keine Evidenz dafür gefunden habe, dass etwa die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen übereinstimmend zu derselben wissenschaftlich begründeten Meinung gelangt seien, dass zumindest dadurch überzeugende Hinweise für die Anerkennung der Tätigkeit eines Leichenumbetters als Wie-BK vorlägen“ sei inhaltlich sicherlich nicht falsch, nur hätten sich genau dieser Frage offensichtlich Forschende noch gar nicht zugewandt. Nach erneuter Literaturrecherche gelange er zu der Einschätzung, dass zum speziellen Risiko der Berufsgruppe Leichenumbetter, an posttraumatischen psychischen Störungen zu erkranken, sich keine äquivalenten Studienergebnisse finden lassen.
Zu anderen Berufsgruppen, wie z.B. Feuerwehr und Rettungsdienst, mit zum Teil ähnliche Expositionen, seien inzwischen eine ganze Reihe von Studienergebnissen veröffentlicht. Diese würden Ergebnisse im Sinne einer höheren bzw. hohen Risikobelastung durch die entsprechenden Traumaexpositionen belegen. Die Erlebnisse als Leichenumbetter seien nach übereinstimmender Lehrmeinung als potentiell traumatisierende Ereignisse einzuschätzen, die nach den einschlägigen diagnostischen Verfahren geeignet seien, eine PTBS (potentiell) zu verursachen. Diverse Studienergebnisse neueren Datums würden sehr nahelegen bzw. belegen, dass bestimmte Berufsgruppen mit Expositionen bestimmter traumatisierender Ereignisse ein - teils deutlich - erhöhtes Risiko zeigten, an einer posttraumatischen psychischen Störung zu erkranken. Es deute sich in diesen Studien an, dass dem Thema der sekundären Traumatisierung noch zu wenig empirisch nachgegangen worden sei, so etwa auch den deutlichen Hinweisen auf die traumatisierende Wirkung des beruflichen Umgangs mit Leichen(teilen). Es sei keine einzige Publikation gefunden worden, die kein erhöhtes Risiko für die genannten Berufsgruppen bzw. Expositionen zeige.
Zusätzlich zu den drei von Dr. A ausfindig gemachten Publikationen gebe es eine Fülle weiterer. Empirische Untersuchungsergebnisse speziell zum Risiko für Leichenumbetter, an einer PTBS zu erkranken, allerdings nicht. Dies verwundere nicht, da - wie Dr. A zu Recht bemerkt habe - die Anzahl der unter dieser Bezeichnung Tätigen zu gering erscheine. Wolle man Berufe heranziehen, die eine ähnliche, teils gleiche Exposition mit potentiell traumatisierenden Ereignissen mit sich bringen, seien Militärbestatter, forensische Pathologen und deren Assistenten, Mitarbeiter von Rettungsdienst etc. von besonderem Interesse. In diesen Berufsgruppen existierten inzwischen eine ganze Reihe an Studien, die meist mit einer eher kleinen Fallzahl, mit unterschiedlichen Fragestellungen und mit unterschiedlicher Methodik durchgeführt und veröffentlicht worden seien. Dabei seien die Ergebnisse, etwa Prävalenz psychischer Störungen, speziell PTBS nach der entsprechenden Exposition, unterschiedlich erhöht. Jedoch könne man sagen, dass diese spezifischen Expositionen mit dem Leid, der Verletzung, der Verstümmelung und dem Tod, auch mit den Verwesungsprozessen, ein teils deutlich erhöhtes Risiko mit sich bringen, an einer psychischen Störung zu erkranken, speziell einer posttraumatischen. Aus den vorliegenden empirischen Studien zu Referenzberufen (also ähnlichen Berufsgruppen, nicht jedoch den Leichenumbettern) lasse sich klar ableiten, dass solcherart Expositionen zu signifikant erhöhten Prävalenzraten von PTBS und anderen posttraumatischen Störungen führten. Während in der Allgemeinbevölkerung die Prävalenz der PTBS weltweit mit rund 1 bis 2 % niedrig sei, liege die Prävalenz von Risikogruppen höher. Zu verweisen sei zum Beispiel auf die Untersuchung von 45 Bestattern durch J N et al. (2015), der eine Prävalenz von 4,4% ermittelt habe. Auch die Untersuchungen von B. F et al. an 34 militärischen und zivilen Leichenbestattern hätten hohe psychische Belastungen nachgewiesen. Hinsichtlich der weiteren vom Sachverständigen benannten Untersuchungen an Rettungskräften (Prävalenz von 11%), Rettungsdienstmitarbeitern, Militär- und Zivilbestattern, Pathologen sowie bei der Arbeit in der Leichenhalle wird auf das Gutachten von Prof. Dr. Z verwiesen.
Der Senat hat hierzu die ergänzende Stellungnahme von Dr. A vom 25. Juli 2022 eingeholt. Nach wie vor sei die Konzeptualisierung und Validierung der Diagnose PTBS umstritten. Nachdem das Traumakriterium anfangs sehr weit gefasst gewesen sei, werde die Traumadefinition nunmehr im Gegensatz zum DSM IV in der neuesten Ausgabe des diagnostischen Glossars, dem DSM V (2013), wieder wesentlich enger gefasst. Um als traumatisiert zu gelten bzw. einem Trauma exponiert zu sein, ist es nunmehr erforderlich, einem potentiell lebensbedrohlichen Ereignis persönlich exponiert gewesen zu sein. Dies gelte im Wesentlichen auch für die Kriterien der ICD der WHO. Wenn Prof. Z darauf hinweise, dass es Hinweise für ein erhöhtes Traumatisierungsrisiko bei sogenannten Referenzberufen - Soldaten, Veteranen, Polizisten, Feuerwehrleute etc. - gebe, so sei der Analogieschluss, es müsse bei Leichenumbettern ebenso sein, nicht zulässig. Zum einen entspreche der Anblick von Leichenteilen nicht strengen Traumakriterien und zum anderen sei die Qualität der Ereignisse, denen Angehörige der „Referenzberufe“ exponiert gewesen seien, nicht ohne weiteres auf andere Berufsgruppen übertragbar.
Hierzu hat Prof. Dr. Z unter dem 29. September 2022 nochmals ergänzend Stellung genommen: In seinen ausführlichen Literaturrecherchen habe er keine Studien über Leichenumbetter, wohl aber zu anderen Berufsbildern als Referenzen ermittelt. Es sei angesichts der vergleichsweise geringen Anzahl der Menschen, die als Leichenumbetter arbeiteten, auch kaum zu erwarten, dass in absehbarer Zukunft speziell ausgerichtete Studien mit hinreichender Fallzahl und am besten prospektiv durchgeführt und publiziert werden würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsund Verwaltungsakte sowie die beigezogene Gerichtsakte zu den Aktenzeichen S 12 U 133/08, L 2 U 159/13 verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die gemäß § 54 Abs. 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2017 sowie der Bescheid vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Rechtliche Grundlage des klägerischen Begehrens ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Danach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nach dem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der bestandskräftige Bescheid vom 23. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2008 erweist sich auch nach nochmaliger Überprüfung als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) als Wie-BK.
Gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger eine Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erfüllt sind. Die Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist u. a. vom Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig. Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 3/12 R - juris, Rn. 14 m. w. N.).
Mit der Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII soll indes nicht in der Art einer „Generalklausel“ erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der Berufstätigkeit im Einzelfall nachgewiesen oder wahrscheinlich ist, wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist. Vielmehr erfordert die Feststellung einer Wie-BK nach dem Wortlaut der Vorschrift neben der Kausalität im konkreten Einzelfall auch das Vorliegen derselben materiellen Voraussetzungen, die der Verordnungsgeber für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat, also die Feststellung eines generellen Ursachenzusammenhangs (BSG vom 18. Juni 2013 - B 2 U 6/12 R; BSG vom 20. Juli 2010 - B 2 U 19/09 R, juris). Denn mit der Regelung des § 9 Abs. 2 SGB VII sollen Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen durch ihre Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKV (§ 9 Abs. 1 SGB VII) noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten (BSG vom 18. Juni 2013, a. a. O.; BSG vom 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R). Das Erfordernis eines generellen Ursachenzusammenhangs für die Anerkennung einer Wie-BK bzw. das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen ist im Übrigen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG vom 18. Juni 2013, a. a. O.). Die Feststellung einer Wie-BK ist somit davon abhängig, dass eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, was nachzuweisen ist durch die Analyse einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand von gesicherten „Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" i. S. d. § 9 Abs. 2 SGB VII nachvollziehen, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG, a. a. O. Rn. 16, sowie Urteil vom 4. Juni 2002 – B 2 U 20/01 R –, juris Rn. 22).
An solchen für die Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten medizinisch-wissenschaftlichen oder epidemiologischen Erkenntnissen in Bezug auf den Zusammenhang zwischen einer etwaigen Exposition von Leichenumbettern und einer PTBS fehlt es jedoch.
Insbesondere hat sich der ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dessen Aufgabe die Sichtung und Bewertung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands im Hinblick auf die Aktualisierung bestehender oder die Aufnahme neuer Berufskrankheiten in die BKV ist, mit der Frage einer speziellen Berufskrankheit für Leichenumbetter bisher nicht befasst. Ein derartiges Thema gehört nicht zu den Themen, die aktuell vom Sachverständigenbeirat geprüft werden (vgl. die entsprechende Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“, Recherche vom 27. April 2023).
Die zur Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten des Leichenumbetters und einer PTBS liegen auch nach den Ermittlungsergebnissen des Senates auf der Grundlage der vorliegenden medizinischen Gutachten nicht vor.
Einvernehmen besteht zwischen Prof. Dr. Z und Dr. A dahingehend, dass es hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs an epidemiologischen Studien und statistisch relevanten Zahlen zur Gruppe der Leichenumbetter fehlt, die wegen der geringen Anzahl von Leichenumbettern auch nicht zu erwarten bzw. unmöglich seien, so die Sachverständigen. Auch wenn eine Gefährdung der Leichenumbetter durch die mit dem Exhumieren, Bergen und Vermessen von Leichen(teilen) einhergehende psychische Belastung denkbar ist, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und PTBS mangels statistisch und wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse nicht herstellen und - insbesondere - nicht in der erforderlichen und dargestellten wissenschaftlichen Form nachweisen. Diesbezüglich haben sowohl Dr. A als auch Prof. Dr. Z auf das Fehlen einschlägiger Studien und Untersuchungen für die Tätigkeitsgruppe der Leichenumbetter verwiesen.
Soweit Prof. Dr. Z zur Behebung dieser Nachweis–Insuffizienz sich der Studien (F et al., N et al.) bedient, die zu Berufen erstellt wurden, die ähnliche Expositionen mit sich bringen, wie z.B. Zivil- und Militärbestatter, forensische Pathologen und deren Assistenten, Mitarbeiter von Rettungsdiensten etc., ist ein Rückschluss aus den Studienergebnisse zu diesen als „Referenzberufe“ bezeichneten Berufs- und Tätigkeitsgruppen weder unmittelbar aussagekräftig für die Tätigkeitsgruppe der Leichenumbetter noch analog zur Begründung der Wie-BK verwertbar. Gleiches gilt, soweit auch Dr. A mit den von ihm aufgeführten 3 Fallstudien auf vorliegende Untersuchungen zu den Berufsgruppen der Pathologen, forensischen Pathologen, Polizei und Feuerwehr sowie Leichentransporteure, Wüstensturmtruppen im Einsatz von Gräberregistrierungen und des US-Militärs, welches mit dem Transport von Leichenmaterial betraut war, verwiesen hat. Diesbezüglich folgt der Senat der von Dr. A vertretenen Ansicht, dass bereits die Qualität der Ereignisse, denen Angehörige dieser „Referenzberufe“ exponiert waren, nicht auf die hier betroffene Berufsgruppe der Leichenumbetter übertragbar ist. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass nicht nur der Umfang der beruflichen Tätigkeiten und das Umfeld der Berufsausübung, mit den Begleitumständen (Einsätze in Krisen- Kriegs- und Notsituationen, teilweise unter enormem Zeitdruck, mit erheblicher Verletzungs- und/oder Lebensgefahr), bereits unter den „Referenzberufen“ sehr verschieden ist. Auf die Ermittlung der spezifischen Exposition kommt es jedoch insbesondere bei den Diagnosekriterien der PTBS an.
Im Bereich der - als eher unstetig zu bezeichnenden - Diagnostekriterien der PTBS haben die Tatsachengerichte ihrer Entscheidungsfindung - unerlässlich - den jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen. Als aktueller Erkenntnisstand sind – auch hier - solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (zuletzt BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 – B 2 U 9/20 R –, juris, Rn. 21 f. m.w.N.). Bezogen auf die streitgegenständliche PTBS enthält nach Auffassung des BSG in seiner aktuellsten Entscheidung vom 28. Juni 2022 – B 2 U 9/20 R (a.a.O.) die DSM-V den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Nach der Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) – Empfehlung Nr. 2 der S3 Leitlinie der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) (Federführende Fachgesellschaft) Version: 19. Dezember 2019) soll die Diagnostik der PTBS nach klinischen Kriterien der jeweils gültigen Version der ICD erfolgen [https://register.awmf.org/assets/ guidelines/155-001l_S3_ Posttraumatische_Belastungsstoerung_2020-02_1.pdf], nach der AWMF-Leitlinie Nr. 051/029 zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen, Seite 4, sind Krankheiten nach den Klassifikationssystemen ICD oder DSM zu diagnostizieren.
Die diagnostischen Kriterien für das sog. A-Kriterium bzw. Eingangskriterium einer PTBS lauten nach dem jeweiligen Diagnosesystem:
ICD 10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems): Verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.
DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders): Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren:
(1) Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eignen Person oder anderer Personen beinhalteten.
(2 Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.
DSM V: Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, ernsthafter Verletzung oder sexueller Gewalt auf eine (oder mehrere) der folgenden Arten:
1. Direktes Erleben eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse.
2. Persönliches Erleben eines oder mehrerer solcher traumatischer Ereignisse bei anderen Personen.
3. Erfahren, dass einem nahen Familienmitglied oder einem engen Freund ein oder mehrere traumatische Ereignisse zugestoßen sind.
4. Die Erfahrung wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details von einem oder mehreren derartigen traumatischen Ereignissen.
Nach der seit dem 1. Januar 2022 in Kraft getretenen ICD 11 für Mortalitäts- und Morbiditätsstatistiken (MMS), deren verpflichtende Einführung in Deutschland zur Mortalitätskodierung zeitlich allerdings noch nicht fest steht [vgl. https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/_node.html]: eine „PTBS kann sich entwickeln, wenn man einem extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen ausgesetzt war“ (ICD 11 6 B 40 – Posttraumatische Belastungsstörung).
Danach handelt es sich also, wie auch bereits in der ICD 10 (F 43.1-Postraumatische Belastungsstörung), um eine mögliche Folgeerscheinung eines extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignisses oder einer Reihe von Ereignissen. Daneben sieht die ICD 11 (6 B 41 – Complex post traumatic stress disorder) die komplexe PTBS vor, welche gekennzeichnet ist durch ein extrem bedrohliches oder entsetzliches Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen, meistens längerdauernde oder wiederholte Ereignisse, bei denen Flucht schwierig oder unmöglich war (z.B. Folter, Sklaverei, Genozidversuche, längerdauernde häusliche Gewalt, wiederholter sexueller oder körperlicher Kindsmissbrauch).
Anhand dieser spezifischen Voraussetzungen zum Eingangskriterium der PTBS steht für den Senat fest, dass nicht die Berufsbezeichnung das Eingangskriterium der Diagnose „PTBS“ erfüllt bzw. zu erfüllen hat. Vielmehr ist die jeweilige Exposition bzw. die Summe der verschiedenen in diesem Beruf aufgetretenen Expositionen den Diagnosekriterien gegenüberzustellen und wissenschaftlich auf eine Kausalitätsbeziehungen zu untersuchen. Eine vergleichsweise Heranziehung der in anderen Berufen bzw. Tätigkeiten auftretenden Expositionen und dazu verfasster Studien zur Begründung einer Wie-BK ist damit ausgeschlossen.
Sofern Dr. A und Prof. Dr. Z konstatieren, dass die Berufsgruppe der Leichenumbetter wohl zu klein sei, um Studienergebnisse bzw. einen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu generieren, rechtfertigt auch dies weder einen veränderten Maßstab noch im Ergebnis eine andere Bewertung.
Das BSG hat allerdings zu sog. Seltenheitsfällen entschieden, dass die den generellen Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausschließlich anhand von Methoden der Epidemiologie und statistischer Belege nachgewiesen werden müssen. Fehlt es an einer im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung von Krankheitsbildern, da aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden können, kommt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise auch ein Rückgriff auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten und auf frühere Anerkennungen entsprechender Erkrankungen, auch in der ehemaligen DDR, in Betracht (BSG vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R - Juris Rn. 22 mwN; BSG vom 14. November 1996 - 2 RU 9/96 - BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr. 9 S 21).
Es kann offenbleiben, ob eine solche Vorgehensweise unter Zugrundelegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards überhaupt mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 SGB VII (iVm § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) für die Anerkennung einer Wie-BK vereinbar ist. Ihre Zulässigkeit unterstellt, kann ferner dahingestellt bleiben, ob sie auch dann in Betracht kommt, wenn - wie hier - gar kein Seltenheitsfall gegeben, sondern stattdessen eine Berufsgruppe betroffen ist, bei der wegen ihrer geringen Größe epidemiologische Studien nicht zu erwarten sind. Denn selbst bei Zugrundlegung eines geringeren wissenschaftlichen Standards reichen die über die bereits beschriebenen Unterlagen hinausgehenden aktenkundigen Erkenntnisse nicht aus, einen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit als Leichenumbetter und der PTBS als hinreichend wissenschaftlich belegt zu betrachten (grds. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 6/12 R –, juris Rn. 20).
Auch Billigkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG enthält § 9 Abs. 2 SGB VII keine allgemeine "Härtefallklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte Krankheit als Wie-BK anzuerkennen wäre (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 21 Rn. 17).
Dass die Anerkennung einer Wie-BK an das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter Kausalbeziehungen anknüpft, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz liegt nicht vor. Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (stRspr; vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfG, vom 28. April 1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104). § 9 Abs. 2 SGB VII ist zwar dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar, wenn einer Personengruppe der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung allein deshalb versagt wird, weil der Verordnungsgeber vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht geprüft und gewürdigt hat (BVerfG vom 22. Oktober 1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369, 375 f). Denn die Vorschrift schließt solche Lücken, die sich daraus ergeben, dass neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von beruflicher Exposition und Erkrankung vorliegen, bevor die BKV eine entsprechende Anpassung erfährt (BVerfG vom 9. Oktober 2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr. 15 RVO).
An medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen zu eventuell gesundheitsschädigenden Folgen einer Tätigkeit als Leichenumbetter fehlt es vorliegend aber gerade. Dass sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen während dieser Tätigkeit noch gar nicht befasst hat und eine Auseinandersetzung damit ggf. auch nicht geplant ist, befreit daher aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vom Erfordernis der die generelle Geeignetheit einer besonderen Einwirkung für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung belegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Eine verfassungswidrige Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufsgruppe der Leichenumbetter sehr klein ist und sich möglicherweise eine wissenschaftlich gesicherte Kausalbeziehung zwischen beruflicher Einwirkung und Erkrankung anhand epidemiologischer Studien schon rein tatsächlich nicht feststellen lässt, weil die für epidemiologische Studien erforderlichen Fallzahlen nicht erreicht werden können. § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO) beschränkt BKen begrifflich auf Krankheiten, die in der Berufskrankheitenliste als Anlage zur BKV aufgeführt sind. Die Ermächtigung der Bundesregierung zur Aufnahme von BKen in diese Anlage macht § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO) davon abhängig, dass die Krankheiten nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit ausgesetzt sind. In diesen Regelungen kommt das die gesetzliche Unfallversicherung prägende Listenprinzip zum Ausdruck, das nach § 9 Abs. 2 SGB VII nur unter der Voraussetzung durchbrochen wird, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen. Diese vom Gesetzgeber gewollte Systementscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 8. Juni 2012 - 1 BvR 2853/10 - NZS 2012, 901; BVerfG vom 14. Juli 1993 - 1 BvR 1127/90 - SozR 3-2200 § 551 Nr 5 S 10). Mit ihr im Einzelfall verbundene Härten sind hinzunehmen. Sie halten sich im Rahmen einer zulässigen Typisierung, weil nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist und dadurch bedingte Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfG vom 28. April 1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - BVerfGE 100, 59, 90).
Nach diesen Maßgaben liegen nach wie vor keine gesicherten neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vor, nach denen davon auszugehen wäre, dass die Einwirkungen, denen Leichenumbetter insbesondere bei Exhumierungen und Identifizierungen ausgesetzt sind, generell geeignet wären, Erkrankungen der in Rede stehenden Art – PTBS - zu verursachen.
Angesichts dieser Rechtslage bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob die konkrete Konfrontation des Klägers mit Skeletten und Knochenteilen überhaupt das Eingangskriterium für die Anerkennung nach den einschlägigen Klassifikationsmanualen (ICD-10 und DSM-V) erfüllt und ob der Kläger an einer PTBS leidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.