L 7 AS 298/22

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 6 AS 1132/21
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 298/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Tilgungsleistungen sind nicht als Bedarfe für Unterkunft anzuerkennen, wenn während des überwiegenden Teils der Laufzeit des (Annuitäten-) Darlehens neben den stets anerkannten Schuldzinsen die nunmehr hohen Tilgungsraten durch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts finanziert werden sollen.

  1. Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 2. Juni 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

  1. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

  1. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

T a t b e s t a n d

 

 

Im Streit sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Leistungen) unter Anerkennung von sog. Tilgungsraten als Bedarf für Unterkunft.

 

Die 1973 geborene Klägerin ist nach eigenen Angaben ledig. Sie hat einen im Oktober 2000 geborenen Sohn. Dessen Vater ist der 1958 geborene Z.....

 

Die Klägerin bezieht seit Januar 2005 ununterbrochen vom Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgänger Leistungen. Davor bezog sie ab Oktober 2003 Arbeitslosengeld I (vgl. z.B. Leistungsnachweis / Entgeltbescheinigung v. 15.06.2004) und ab Juni 2004 Arbeitslosenhilfe (vgl. z.B. Änderungsbescheid v. 12.04.2004).

 

Der - nach Aktenlage dritte (vgl. Schreiben der Rentenversicherungsträger v. 01.08.2005 und 01.07.2008) - Antrag der Klägerin auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit blieb ebenso ohne Erfolg (Bescheid v. 23.05.2018; Widerspruchsbescheid v. 25.03.2019; Sozialgericht Chemnitz - nachfolgend: SG, Gerichtsbescheid v. 24.08.2020 - S 39 R 330/19).

 

Die Klägerin und Herr Z....  sind zu gleichen Teilen Eigentümer eines im Grundbuch von A.... unter einer laufenden Nummer eingetragenen Grundstücks, welches aus drei Flurstücken mit Größen von 1.230 m² (…. Landwirtschaftsfläche, Gebäude- und Freifläche), 798 m² (…. Landwirtschaftsfläche, Verkehrsfläche) und 222 m² (Landwirtschaftsfläche) besteht (Grundbuchamt X.... , Blatt 181, Ausdruck v. 20.06.2000). Nach vorgenanntem Grundbuchauszug erfolgte die Auflassung 1996 und ist das Grundstück für die W....Bank AG (nunmehr: V....Bank AG, nachfolgend: V....Bank) mit einer Grundschuld von 200.000,- DM belastet.

 

Beide Miteigentümer sind seit 1996 Darlehensnehmer eines (Annuitäten-) Darlehens der V....Bank in Höhe von 197.000 DM (auszugsweise aktenkundiger Darlehensvertrag für ein Vereinsbank-Immobilien-Darlehen; Verwendungszweck: Wohnhauskauf; Zinsbindungszeitraum: 31.03.2006). Die Konditionen des Darlehens wurden ab April 2006 (Vereinbarung v. 14.02.2006) und ab April 2016 (Vereinbarung v. 08.01.2016) geändert. Danach sind von April 2016 bis März 2026 monatliche Raten von 401,33 € und eine voraussichtliche Schlussrate von 400,47 € zu zahlen. Der Kapitalrest per 13.04.2022 betrug 18.420,07 € (V....Bank, Schreiben v. 26.04.2022). Zum 30.09.2022 betrug die zu verzinsende Kapitalschuld 16.193,85 € und waren 370,27 € Tilgung sowie 31,06 € Zins zu zahlen, zum 31.03.2026 sind 399,72 € Tilgung und 0,75 € Zins fällig (vgl. - auch zu den entsprechenden Beträgen von Oktober 2022 bis Februar 2026 - V....Bank, Tilgungsplan v. 12.09.2022). Die letzte Konditionenvereinbarung kann erst am 13.01.2026 gekündigt werden, eine vorherige Änderung der Ratenhöhe ist nicht möglich (V....Bank, Schreiben v. 13.04.2022).

 

Nach Angaben der Klägerin beträgt die Wohnfläche des Hauses insgesamt 213,5 m² und verfügte es zunächst über fünf Wohneinheiten (am 20.12.2004 unterzeichnetes Zusatzblatt 1). Zwei dieser Wohneinheiten im zweiten Obergeschoss ("ca. 28,5 m²; separate Toilette") und Erdgeschoss ("ca. 40 m²; separate Toilette") waren früher vermietet (vgl. z.B. Wohnraummietverträge für die Zeit ab Oktober 2000). Diese Wohneinheiten stehen nach Angaben der Klägerin seit dem Tod der Mieterin im Erdgeschoss (vgl. Schreiben der Klägerin v. 10.04.2009) und Kündigung des Mietverhältnisses für die andere Wohnung (vgl. Schreiben der Klägerin v. 22.07.2014 nebst Anlage hierzu) leer (vgl. zuletzt hierzu - auch zu den Gründen - Protokoll über den Erörterungstermin des Senats vom 19.06.2023 - L 7 AS 238/23 ER, nachfolgend: Protokoll, S. 2).

 

Nach Angaben der Klägerin wurde das Hausgrundstück für einen Kaufpreis von 200.000,- DM erworben, nach dem Kauf für mindestens 50.000,- DM saniert, hatte zum Zeitpunkt des Erwerbs nur sie einen Eigenanteil von ca. 20.000,- DM, indes - anders als ihr Miteigentümer - keinen ausreichend hohen Verdienst für den Erhalt eines Darlehens, nutzt ihr Miteigentümer eine ca. 70 m² große Wohneinheit im Erdgeschoss, bewohnt sie eine ca. 75 m² große Einheit im ersten Obergeschoss, ist der gemeinsame Sohn vor ca. zwei bis drei Jahren aus dem Haus ausgezogen, bestand und besteht zu ihrem Miteigentümer stets nur eine freundschaftliche Beziehung, liegt ein Sanierungsstau am Haus vor, zahlen beide jeweils 100,- € monatlich zur Tilgung eines Privatdarlehens für die Kosten des 2016 erfolgten Anschlusses an die Kanalisation in Höhe von ca. 14.000,- € und wurde der vorgenannte Tilgungsplan der V....Bank bislang eingehalten, wofür sie derzeit einen Überziehungskredit von ca. 1.500,- € mit ca. 1.300,- € ausgereizt sowie noch zwei weitere Privatdarlehen aus 2022 und 2023 in Höhe von jeweils 1.500,- € vollständig zurückzuzahlen hat (vgl. ausführlicher zu vorstehenden Angaben der Klägerin Protokoll, S. 2 ff.). Nach ihren weiteren Angaben ist das Haus 1935 gebaut, nicht gedämmt (weder Fassade noch Dach), sind die neuesten Fenster von 1996 und die mit Öl betriebene Heizung auch schon ca. 30 Jahre alt (vgl. z.B. Widerspruchsschreiben der Klägerin v. 10.04.2022).

 

Der Beklagte bewilligte der Klägerin auf deren (der voraussichtlichen Höhe nach konkretisierten) Antrag vom 19.10.2015 (Schreiben v. 12.10.2015 nebst Anlagen) auf Übernahme der Kosten für den Abwasseranschluss des Hauses in Höhe von insgesamt 19.028,46 € für sie (für beide Miteigentümer insgesamt 38.056,92 €) einen Zuschuss von 253,92 € (Bescheid v. 03.01.2017; vgl. weiterhin zuletzt Überprüfungsbescheid v. 14.05.2017; Widerspruchsbescheid v. 04.09.2018, W 2207/18). Insoweit habe die Klägerin ein Darlehen des Beklagten abgelehnt (vgl. dessen Vermerk über eine Vorsprache der Klägerin v. 22.11.2016) und sich Geld von einer Freundin geliehen (vgl. Widerspruchsschreiben v. 22.04.2017).

 

Anträge der Klägerin auf "Übernahme der Tilgungsraten" (Schreiben v. 28.06.2011) bzw. „komplette Übernahme der Kreditraten" (Schreiben v. 08.05.2019) lehnte der Beklagte ab (zum Schreiben v. 28.06.2011 vgl. Bescheid v. 16.08.2011; Widerspruchsbescheid v. 13.09.2011, W 3973/11; zum Schreiben v. 08.05.2019 vgl. Bescheid v. 05.06.2019; Widerspruchsbescheid v. 06.02.2020, W 243/20; Widerspruchsbescheide v. 24.03.2020, W 377/20 + W 378/20; Bescheid v. 08.05.2020; Widerspruchsbescheid v. 17.06.2020, W 1226/20, und Widerspruchsbescheid v. 04.08.2020, W 1516/20).

 

Auf Weiterbewilligungsantrag vom 11.12.2020 (unter dem 02.12.2020 unterzeichnetes Antragsformular) bewilligte der Beklagte der Klägerin für Januar bis Dezember 2021 weiterhin Leistungen unter Anerkennung von Aufwendungen für die "Grundsteuer … zur Hälfte" als "Nebenkosten" (69,93 € monatlich im Februar, Mai, August und November 2021) sowie Schuldzins (29,25 € monatlich) als Bedarfe für Unterkunft (Bescheid v. 22.12.2020). Weiterhin bewilligte der Beklagte der Klägerin für Januar bis Juni 2021 eine pandemiebedingte Einmalzahlung von 150,- € (Bescheid v. 07.05.2021), lehnte ihren "Antrag auf monatlichen Zuschuss zu FFP2 Masken" (Schreiben v. 25.08.2021) sowie die erneute Auszahlung "des Corona Geldes" (weiteres Schreiben v. 25.08.2021) ab (zwei Bescheide v. 15.09.2021) und änderte die Bewilligung unter Anerkennung weiterer Bedarfe für Unterkunft (Müllgebühren, Schornsteinfeger, Wohngebäudeversicherung) für Januar (226,17 € Nebenkosten), März (33,41 € Nebenkosten), April (39,72 € Nebenkosten) und Oktober 2021 (39,72 € Nebenkosten) ab (drei Bescheide v. 10.06.2021). Die vorläufig, bis zur Prüfung einer "Verantwortungs- und Entstehungsgemeinschaft mit Herrn Z.... ", eingestellten Leistungen (Schreiben v. 18.08.2021) zahlte der Beklagte nach Auswertung angeforderter Unterlagen (Schreiben der Klägerin v. 01.09.2011 nebst Anlagen) nach (vgl. Aktenvermerk v. 14.09.2021: "kann Tatbestand einer VE nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden"). Schließlich änderte der Beklagte die Bewilligung unter Anerkennung weiterer Bedarfe für Unterkunft (Ab-/Wasser, "Überrechnung" Grundsteuer) für Januar (260,54 € Nebenkosten), Februar, Mai, August und November (169,83 € monatlich Nebenkosten), März (133,41 € Nebenkosten), April und Oktober (139,72 € monatlich Nebenkosten) sowie Juni, Juli und September (100,- € monatlich Nebenkosten) ab (Bescheid v. 14.09.2021). Widerspruch gegen die vorgenannten Bescheide erhob die Klägerin nicht.

 

Auch für vergangene und zukünftige Zeiten berücksichtigte der Beklagte bei der Leistungserbringung als Bedarfe für Unterkunft bis auf die Tilgungsraten die sonstigen tatsächlichen Aufwendungen (insb. für Abfall, Ab-/Wasser, Grundsteuer, Wohngebäudeversicherung, Schornsteinfeger, Schuldzinsen), soweit sie nachgewiesen wurden. Zur Beschaffung von Heizöl bewilligt der Beklagte der Klägerin gesondert Leistungen, zuletzt für März 2022 Heizkosten (vgl. Lieferschein / Rechnung der C & S Mineralölhandel und Logistik GmbH v. 30.03.2022 über 2.929,19 € für 1.800 l) von 2.539,07 € (zuletzt Abhilfe- / Änderungsbescheide v. 23.05.2022; vgl. zuvor u.a. SG-Beschluss v. 07.04.2022 - S 6 AS 321/22 ER). Über eine nachfolgende "Beantragung von Heizöl" (Schreiben der Klägerin v. 12.03.2023 nebst Anlagen) war zumindest bis Anfang Mai 2023 noch nicht entschieden (vgl. Aktenvermerk des Beklagten v. 09.05.2023).

 

Einen Antrag der Klägerin (Schreiben v. 15.07.2021) auf Übernahme der Wohngebäudeversicherung für ein Nebengebäude (U....  Versicherung AG, eines von zwei Schreiben v. 21.11.2020) lehnte der Beklagte ab (Bescheid v. 14.09.2021). Weiterhin versagte er Leistungen für die von ihr beantragten Kosten „für ein neues Dach und Dachfenster, als Zuschuss" (Antragsschreiben v. 27.03.2022; Bescheid v. 27.04.2022; Widerspruchsbescheid v. 19.05.2022, W 546/22).

 

Nach den für den Beklagten seit Januar 2021 geltenden Richtwert sind für die Klägerin Aufwendungen für Unterkunft bis zu einer Brutto-Kaltmiete von 263,04 € (207,84 € Netto-Kaltmiete + 55,20 € kalte Betriebskosten) monatlich angemessen (vgl. z.B. www.vogtlandkreis.de >Bürgerservice und Verwaltung > Landratsamt > Geschäftsbereiche und Ämter > Beigeordneter / Geschäftsbereich > Sozialamt > Angemessenheitsrichtwerte für die Kosten der Unterkunft). Die beabsichtigte Änderung dieser Richtwerte erfolgte bislang nicht (vgl. Protokoll, S. 5).

 

Am 30.06.2021 (Schreiben v. 25.06.2021) beantragte die Klägerin erneut die „komplette Übernahme meiner Kreditraten". Sie könne sie sonst nicht mehr bezahlen. Der Beklagte lehnte dies ab, da Tilgungsraten für zum Bau oder Erwerb eines Eigenheims aufgenommene Darlehen nicht zu berücksichtigen seien (Bescheid v. 05.07.2021). Den dagegen von der Klägerin am 26.07.2021 erhobenen Widerspruch (Schreiben v. 15.07.2021) wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid v. 07.09.2021, W 1138/21).

 

Dagegen hat die Klägerin am 06.10.2021 (Schreiben v. 29.09.2021) beim SG Klage erhoben (Az. des SG: S 6 AS 1132/21). Das SG hat den Beklagten verurteilt, „als weitere Kosten der Unterkunft und Heizung den Anteil der Klägerin an den monatlichen Tilgungsraten für das von ihr bewohnte Miteigentum ab Antragstellung im laufenden Bewilligungszeitraum zu übernehmen" (Gerichtsbescheid v. 02.06.2022). Die Klägerin habe ab Antragstellung am 25.6.2021 Anspruch auf hälftige Übernahme der Kreditraten von 401,33 € monatlich. Die Finanzierung des außerhalb des Leistungsbezugs erworbenen Wohneigentums sei bereits weitgehend abgeschlossen. Damit liege ein Ausnahmefall für die Berücksichtigung von Tilgungsleistungen vor.

 

Gegen den - ihm am 03.06.2022 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 08.06.2022 (Schreiben v. selben Tag) beim erkennenden Gericht Berufung eingelegt. Streitig sei die Übernahme von Tilgungsraten ab Antragstellung am 25.06.2021 bis zum 31.12.2021 (Ende des laufenden Bewilligungszeitraums) in Höhe von 200,66 € (1/2 von 401,33 €). Die Finanzierung sei erst in über vier Jahren und nicht bereits weitgehend abgeschlossen. Ein Verlust bzw. Gefährdung des Wohneigentums bei Nichtübernahme der Tilgungsleistungen sei nicht ersichtlich. Zudem führe die vorinstanzliche Entscheidung zu einer Überschreitung der monatlichen Angemessenheitsgrenze.

 

Der Beklagte beantragt nach seinem Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 02.06.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die vorinstanzliche Entscheidung. Es gehe um die Tilgung des Kredits von Antragsbeginn bis zum 31.03.2026. Damit seien nur noch drei Jahre und acht Monate übrig. Sie könne die Raten mittlerweile nicht mehr zahlen, da die Tilgungsrate im Gegensatz zum Zins jetzt so hoch sei. Sie habe niemand, der ihr viel Geld leihen könne. Ihr Miteigentümer beziehe seit kurzem ebenso Hartz IV. Sie benötige auch ein neues Dach mit anderen Dachfenstern, weil es schon einige Zeit nicht dicht sei.

 

Am 13.01.2023 (Schreiben v. 28.12.2022) beantragte die Klägerin beim Beklagten einen „Vorschuss für Haus-Tilgungsraten" von 1.500,- €. Die Tilgungsraten habe ihr das SG zugesprochen. Sie wisse von der Berufung, sei aber mittlerweile mit ca. 700,- € im Minus auf ihrem Konto und müsse im Mai 2022 privat geliehenes Geld jetzt zurückzahlen. Deshalb beantrage sie einen Vorschuss. Der Beklagte lehnte den Antrag ab; für die Vergangenheit werde die gerichtliche Entscheidung momentan nicht umgesetzt (Bescheid v. 19.01.2023).

 

Am 02.05.2023 (Schreiben v. 27.04.2023) beantragte die Klägerin im Berufungsverfahren einstweiligen Rechtsschutz. Sie könne den Kredit für ihr Haus nicht mehr bedienen, habe sich mittlerweile über 2.500,- € von Bekannten leihen müssen und stehe mit 1.300,- € im Minus bei ihrer Bank. Der Senat hat seine erstinstanzliche Zuständigkeit für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angenommen (Az.: L 7 AS 238/23 ER), am 19.06.2023 den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert und den Antrag abgelehnt (Beschluss v. 26.06.2023). Im Erörterungstermin hat die Klägerin die Überprüfung der Leistungsbescheide für die Zeit ab Januar 2022 beantragt und der Beklagte mit Zustimmung der Klägerin seine Entscheidung darüber bis zum Abschluss der beim Senat anhängigen Verfahren (Az.: L 7 AS 298/22 und L 7 AS 238/23 ER) zurückgestellt.

 

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats durch Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schreiben v. 30.06.2022; Protokoll, S. 5 f.).

 

Dem Senat lagen die Gerichtsakten zu den Verfahren S 6 AS 321/22 ER, L 7 AS 298/22 und L 7 AS 238/23 ER sowie die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. Schreiben v. 08.06.2022, S. 2; Protokoll, S. 6) vor.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Anerkennung von Tilgungsraten als Bedarfe für Unterkunft. Über andere Zeiten ist eine Senatsentscheidung in der Sache in diesem Rechtsstreit ausgeschlossen. Darüber konnte der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2, § 153 Abs. 3 f. SGG).

 

Gegenstand des Rechtsstreits ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung (Gerichtsbescheid v. 02.06.2022 - S 6 AS 1132/21) der Bescheid vom 05.07.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.09.2021 (W 1138/21) über die Ablehnung der von der Klägerin beantragten „Übernahme meiner Kreditraten" (Schreiben v. 25.06.2021). Dieses Antragsbegehren bezieht sich auf die Zeit ab Antragstellung (vgl. Schreiben v. 25.06.2021: "nicht mehr bezahlen" … "jetzt so hoch … nicht mehr begleichen"), mithin aufgrund des im SGB II geltenden Monatsprinzips (vgl. hierzu z.B. BSG v. 29.11.2022 - B 11 AL 12/21 R - Rn. 29) ab Juni 2021. Für welchen "laufenden Bewilligungszeitraum" ab "Antragstellung" die vorinstanzliche Entscheidung gelten soll, lässt sich dem Gerichtsbescheid vom 02.06.2022 (ebenso) nicht ansatzweise entnehmen. Gleiches gilt für die vorgenannten Bescheide, mit denen der Beklagte über den Antrag gesondert, d.h. ohne Bezug zu seinen bis dahin erlassenen Verwaltungsakten über die Leistungserbringung im jeweiligen Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II i.d.F. des Gesetzes v. 26.07.2016, BGBl. I S. 1824), entschieden hat. Bis zum Erörterungstermin des Senats am 19.06.2023 ging die Klägerin noch davon aus, ihr im Juni 2021 gestellter Antrag, ihr Klagebegehren (§ 123 SGG) und das Berufungsverfahren könne sich zulässig bis März 2026 erstrecken (vgl. z.B. Schreiben v. 15.07.2022). Mit dem Antrag auf Vorschuss (Schreiben v. 28.12.2022) habe sie nur eine zwischenzeitlich entstandene besondere Dringlichkeit verdeutlichen wollen (vgl. Protokoll, S. 4).

 

Unter Berücksichtigung dieser Umstände hatte der Senat für den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 02.05.2023 (Schreiben v. 27.04.2023) seine Zuständigkeit als Gericht der Hauptsache angenommen, auch wenn er im Berufungs- / Hauptsacheverfahren (Az.: L 7 AS 298/22) in der Sache nur über vergangene Zeiten bis Dezember 2021 als "laufenden Bewilligungszeitraum" zu entscheiden hat. Denn Leistungen für als Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennende Aufwendungen (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), zu denen Tilgungsleistungen nur ausnahmsweise rechnen (hierzu später), sind Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II), über die prozessual zulässig zwar beschränkt (vgl. z.B. BSG v. 05.08.2021 - B 4 AS 82/20 R - Rn. 13), indes - anders als bei gesonderten Bescheiden über die Ablehnung eines Darlehens für Schulden (§ 22 Abs. 8 SGB II; vgl. hierzu z.B. BSG v. 13.07.2022 - B 7/14 AS 52/21 R - Rn. 10) - nicht unabhängig von einem konkreten Bewilligungszeitraum entschieden werden kann (vgl. z.B. BSG v. 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 15 f.).

 

Damit kann der Senat in diesem Verfahren in der Sache nur entscheiden, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin unter Abänderung (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 44, ggf. § 48 SGB X) des (Bewilligungs-) Bescheids vom 22.12.2020, für Januar bis November 2021 zuletzt vollständig ersetzt (§ 39 Abs. 2 SGB X) durch den (Änderungs-) Bescheid vom 14.09.2021, für Juni 2021 bis Dezember 2021 weitere Leistungen unter Anerkennung der - vor September 2022 (vgl. V....Bank, Tilgungsplan v. 12.09.2022: 370,27 € Tilgung + 31,06 € Zins zum 30.09.2022) nicht näher aufgeschlüsselten - Tilgungsraten als Bedarf für Unterkunft zu erbringen. Für die Bewilligungszeiträume ab Januar 2022 hat zunächst der Beklagte über den sog. Überprüfungsantrag der Klägerin vom 19.06.2023 zu entscheiden.

 

Die Berufung des Beklagten ist statthaft (§ 143 SGG), da seine Beschwer und damit der Wert des Beschwerdegegenstands 750,- € übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG; zur Beschwer eines rechtsmittelführenden Leistungsträgers vgl. z.B. BSG v. 04.07.2018 - B 3 KR 14/17 R - Rn. 13 f., BSG v. 16.01.2019 - B 7 AY 2/17 R - Rn. 5). Dies würde selbst bei Beschränkung des Streitgegenstands auf Juni bis Dezember 2021 und der vom Beklagten angenommenen Tilgungsrate von 200,66 € monatlich gelten.

 

Die auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG), Berufung des Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat für Juni bis Dezember 2021 keinen Anspruch auf Anerkennung von Tilgungsraten als Bedarfe für Unterkunft. Aus anderen Gründen ist ein Anspruch auf höhere Leistungen weder geltend gemacht noch erkennbar. Für Zeiten ab Januar 2022 ist ihre Klage unzulässig und die Berufung des Beklagten begründet, soweit die vorinstanzliche Entscheidung darüber hinaus weitere Zeiten als "laufenden Bewilligungszeitraum" erfassen sollte.

 

Die Klägerin hat für Juni bis Dezember 2021 keinen Anspruch auf Leistungen für die nach eigenen Angaben an die V....Bank erbrachten Tilgungsleistungen.

 

Dabei kann in diesem Verfahren dahinstehen, ob die Klägerin erwerbsfähige Leistungsberechtigte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II), insbesondere erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II) und hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II) ist. Anlass für die (zukünftige) Prüfung (zunächst des Beklagten) insbesondere dieser Anspruchsvoraussetzungen ergeben sich einerseits (Erwerbsfähigkeit) aufgrund der nach Angaben der - im Erörterungstermin am 19.06.2023 mit ihrem Miteigentümer als Fahrer und einer Unterarmstütze erschienenen - Klägerin seit mehreren Jahren bestehenden Erkrankungen und erneut beabsichtigten Geltendmachung einer der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. Protokoll, S. 2) sowie andererseits (Hilfebedürftigkeit) aufgrund des Miteigentums an einem Hausgrundstück mit einer angegebenen Gesamtwohnfläche von ca. 200 m² (vgl. zuletzt Protokoll, S. 2). Allein aus dem letztgenannten Umstand ergeben sich vielfältige tatsächliche und rechtliche Fragen insbesondere zum zu berücksichtigenden Vermögen (zur Bestimmung der maßgeblichen Wohnfläche bei Miteigentum nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung vgl. z.B. BSG v. 22.03.2012 - B 4 AS 99/11 R - Rn. 17; zu § 12 SGB II i.d.F. Fassung des Gesetzes v. 16.12.2022, BGBl. I S. 2328 und den dadurch bewirkten Änderungen für ein selbst genutztes Hausgrundstück vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB II und hierzu z.B. BT-Drucks. 20/3873, S. 79 f.).

 

Jedenfalls hat die Klägerin keinen Anspruch auf Anerkennung der Tilgungsraten für das Darlehen der V....Bank als Bedarfe für Unterkunft (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II).

 

Tilgungsleistungen gehören grundsätzlich nicht zu den - im Rahmen der Angemessenheit - anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), da die Leistungen nach dem SGB II auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt sind und weder der Vermögensbildung noch der Schuldentilgung dienen sollen (stRspr., vgl. z.B. BSG v. 12.12.2019 - B 14 AS 26/18 R - Rn. 18; kritisch hierzu bei der Höhe nach angemessenen Gesamtkosten z.B. Berlit in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Aufl., § 22 Rn. 59 ff.). Im Hinblick auf den im SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses "Wohnen" sind lediglich in eng begrenzten Fällen Ausnahmen von diesem Grundsatz angezeigt, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitgehend abgeschlossen und dessen Erwerb außerhalb des Leistungsbezugs erfolgt ist. Dann tritt der Aspekt des Vermögensaufbaus aus Mitteln der Existenzsicherung gegenüber dem vom SGB II ebenfalls verfolgten Ziel, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, zurück. Im Übrigen ist der Eigentümer grundsätzlich ebenso wenig wie der Mieter davor geschützt, dass sich die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels ergeben kann (vgl. zum Vorstehenden BSG, a.a.O.).

 

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Kriterien hat die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme der Tilgungsraten als Bedarfe für Unterkunft. Dabei kann dahinstehen, ob die Finanzierung des Eigentumserwerbs durch die V....Bank nunmehr bereits weitgehend abschlossen ist (zur Annahme einer weitgehend abgeschlossenen Finanzierung vgl. z.B. BSG v. 03.12.2015 - B 4 AS 49/14 R - Rn. 8, 23 f.: offener Tilgungsbetrag im verbleibenden Leistungsbezug bis zum Renteneintritt mit höheren Einkünften von anteilig ca. 2,7 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises; Senatsbeschluss v. 24.09.2018 - L 7 AS 734/18 B ER - juris insb. Leitsatz, Rn. 11, 17, 42: vollzogene Tilgung von ca. 93 Prozent). Insbesondere ist nicht entscheidend, ob hiervon bei einer noch verbleibenden Laufzeit bis - nunmehr (vgl. zunächst V....Bank, Bescheinigung v. 14.04.1997: von Juli 1996 bis Januar 2025) - März 2026 (vgl. V....Bank, Vereinbarung v. 08./13.01.2016), mithin hier von vier Jahren und zehn Monaten (Juni 2021 bis März 2026), und einem planmäßigen Kapitalrest per 31.03.2022 von 18.405,12 € (vgl. V....Bank, Schreiben v. 26.04.2022), mithin ca. 18 Prozent des ursprünglichen Darlehensnominalbetrags von ca. 100.700,- € (V....Bank, auszugsweise vorliegender Darlehensvertrag v. 1996: 197.000,- DM), auszugehen ist. Denn der Grund für die ausnahmsweise anzuerkennenden Tilgungsleistungen als Bedarfe für Unterkunft liegt (auch) darin, dass bei einer ausschließlichen Berücksichtigung von Schuldzinsen Leistungsbezieher, die Wohneigentum gerade erst erworben haben und bei denen die Zinszahlungen die Tilgungsraten weit übersteigen, ungerechtfertigt bevorzugt werden gegenüber denjenigen Hilfebedürftigen, die aufgrund der Besonderheiten etwa eines Annuitätendarlehens durch weitgehende Zahlung der Zinsen in Vorleistung treten mussten und bei denen schließlich die Abzahlungen fast nur noch aus Tilgungsleistungen bestehen (vgl. z.B. BSG v. 03.12.2015 - B 4 AS 49/14 R - Rn. 20). Tilgungsleistungen sind jedoch dann nicht als Bedarfe für Unterkunft anzuerkennen, wenn - wie hier - während des überwiegenden Teils der Laufzeit des Darlehens neben den stets anerkannten Schuldzinsen nunmehr die hohen Tilgungsraten durch Leistungen nach dem SGB II finanziert werden sollen und damit der Aspekt des Vermögensaufbaus aus Mitteln der Existenzsicherung gegenüber dem vom SGB II ebenfalls verfolgten Ziel, die Beibehaltung der Unterkunft zu ermöglichen, in den Vordergrund rückt.

 

Der Beklagte hat nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten bereits die jeweils fälligen Schuldzinsen hälftig übernommen (vgl. Protokoll, S. 4). Dem Charakter des (sog. Annuitäten-) Darlehens der V....Bank entsprechend hat sich deren Verhältnis zu den Tilgungsraten, d.h. die Zusammensetzung der monatlichen Gesamtrate von 401,33 €, vor allem in den letzten Jahren dessen Laufzeit stark verändert (vgl. z.B. V....Bank, Girokonto Nr. …., Kontoauszug v. 18.05.2016, und Tilgungsplan v. 12.09.2022: 80,79 € Tilgung und 320,54 € Zins zum 30.04.2016 sowie 370,27 € Tilgung und 31,06 € Zins zum 30.09.2022). Daher kann die Klägerin - auch nach eigenem Vorbringen - die Tilgungsbeträge selbst bei eigenverantwortlicher Entscheidung über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen (§ 20 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 SGB II) nicht mehr aufbringen. Deren Anerkennung als Aufwendungen für Unterkunft hätte indes die überwiegende Finanzierung des Eigentumserwerbs durch steuerfinanzierte Sozialleistungen zur Folge, da die Klägerin ununterbrochen seit Januar 2005 Arbeitslosengeld II (zur weiteren Berücksichtigung der hier zuvor ab Juni 2004 bezogenen Arbeitslosenhilfe vgl. z.B. BSG v. 16.02.2012 - B 4 AS 14/11 R - Rn. 25) bezieht, ein Ende dieses Leistungsbezugs nach derzeitigem Stand nicht absehbar ist und der Beklagte bereits die fälligen Schuldzinsen als Aufwendungen anerkannt hat. Die Übernahme der nun zum Ende der Laufzeit des Darlehens der V....Bank noch verbleibenden (hohen) Tilgungsraten würde zur Vermögensbildung weitgehend durch Leistungen nach dem SGB II führen, wozu sie nicht dienen. Dies würde im Übrigen selbst bei einem geringen Kaufpreis und entsprechend niedrigen Tilgungsraten gelten (vgl. z.B. Sächs. LSG v. 04.05.2017 - L 3 AS 99/12 - juris, Leitsatz, Rn. 30).

 

Schließlich hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Übernahme von Schulden (§ 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II), insbesondere auf Erbringung eines von ihr - anders als hilfsweise im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. Schreiben v. 23.05.2023: "so 10000,- Euro" ohne "Grundbuch Eintragung und ohne Zinsen") - in diesem Rechtsstreit nicht geltend gemachten Darlehens (§ 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II). Denn eine Schuldenübernahme setzt u.a. die längerfristige Sicherung der Unterkunft durch (darlehensweise) Übernahme der Tilgungsleistungen voraus. Jedenfalls diese Voraussetzung liegt nicht vor (vgl. bereits ausführlich Senatsbeschluss v. 26.06.2023 - L 7 AS 238/23 ER, S. 11 ff.).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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