L 29 AS 1004/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 40 AS 3025/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 1004/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

 

Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Klägerin begehrt vom Beklagten für die Zeit vom 11. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II).

 

Die 1982 geborene deutsche Klägerin stellte gegen Ende ihres Hochschulstudiums an der Universität B beim Beklagten am 23. Juni 2014 mit Wirkung zum 11. Juli 2014 den hier gegenständlichen Leistungsantrag. Sie wurde mit Wirkung vom 11. Juli 2014 exmatrikuliert. Bei der Antragstellung gab sie an, dass der ebenfalls 1982 geborene Zeuge GP in ihrem Haushalt lebte und ihr Partner sei. Im Fragebogen zur Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gab sie unter dem 28. Juli 2014 an, mit dem Zeugen seit 2010 bekannt zu sein. Sie seien am 1. Januar 2014 zusammengezogen, weil ihr Studium in B geendet habe. Der Mietvertrag sei vom Zeugen geschlossen worden. Sie hätten ein gemeinsames Schlafzimmer, sie habe keine Partnerschaft/Beziehung zu einer anderen Person, der Einkauf der täglichen Bedarfsgüter erfolge für beide gemeinsam. Mahlzeiten würden für beide bzw. für alle gemeinsam zubereitet, und zwar von beiden. Haushaltsgeräte/Geschirr würden gemeinsam benutzt. Beide sorgten für die Reinigung der Kleidung und Wäsche sowie für die Reinhaltung der Wohnung. Möbel und Haushaltsgegenstände gehörten dem Zeugen. Sie hätten keine gemeinsamen Kinder. Die Freizeit gestalteten sie gemeinsam. Sie hätten keinen überwiegend gemeinsamen Freundeskreis. Sie verbrächten Weihnachten und feierten Geburtstage gemeinsam. Sie seien nicht zusammen im Urlaub gewesen. Sie hätten kein gemeinsames Girokonto. Kein Partner habe Bank- oder Kontovollmachten für den anderen. Der Partner könne nicht über Einkommens- oder Vermögensgegenstände des anderen Partners verfügen. Sie hätten keine gemeinsame Versicherung und seit Anfang 2014 sich nicht gegenseitig als Begünstigte registrieren lassen. Sie nutzten keinen gemeinsamen Pkw. Die Miete, die Stromrechnung, die Heizkosten überweise der Zeuge. Sie hätten keinen gemeinsamen Telefonvertrag. Die Telefonrechnungen überweise der Zeuge. Im Notfall stünden sie füreinander ein. Sie seien nicht verlobt und beabsichtigten nicht, in den nächsten zwei Jahren zu heiraten. Es seien keine gemeinsamen Kinder gewünscht.

 

Die gemeinsam genutzte Wohnung lag in Br und war 81,12 m² groß und bestand aus zwei Zimmern, einer Küche und einem Bad. Die Grundmiete betrug im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zunächst 260,00 €, Neben- und Heizkosten beliefen sich auf 68,00 € bzw. 60,00 €, ab dem 1. September 2014 beliefen sich die Betriebs- und Heizkosten bei gleichbleibender Grundmiete auf 87,00 bzw. 74,00 €, so dass die Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) insgesamt 421,00 € monatlich betrugen. Am 7. September 2014 wurde eine fällige Betriebs-/Heizkostennachzahlung von 171,57 € vom Konto des Zeugen eingezogen. Geheizt wurde mit Gas, das Warmwasser wurde zentral aufbereitet. Laut einem Schreiben der Hausverwaltung des Vermieters vom 26. Februar 2014 wurde gemäß einer telefonischen Anfrage des Zeugen die Kenntnis bestätigt, dass ab dem 1. Januar 2014 die Klägerin Mitbewohnerin der vom Zeugen angemieteten Wohnung sei.

 

Die KIägerin reichte Kontoauszüge ihres Girokontos ein, aus denen sich Überweisungen des Zeugen vom 17. März 2014 mit der Zweckbestimmung „BKussi“ über 300,00 €, vom 7. April 2014 über 250,00 € mit der Zweckbestimmung „BDiplomspritze“, vom 5. Mai 2014 mit der Zweckbestimmung „BCremetoertchen“ über 350,00 € und vom 2. Juni 2014 mit der Zweckbestimmung „BKussi“ über 250,00 € ergaben. Unter dem 7. August 2014 erläuterte die Klägerin gegenüber dem Beklagten hierzu, dass es sich um keine Geldzuwendungen, sondern um ein privates Darlehen handele.

 

Bei einer persönlichen Vorsprache der Klägerin und des Vaters des Zeugen beim Beklagten wurden Vermögens- und Einkommensunterlagen des Zeugen vorgelegt, aus denen sich u.a. ergab, dass ihm aus einer abhängigen Beschäftigung von März bis August 2014 durchgehend mehr als 2.700,00 € monatlich netto ausgezahlt wurden. Das war auch in der Folgezeit, von September bis Dezember 2014, der Fall.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2014 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin vom 23. Juni 2014 ohne zeitliche Begrenzung mit der Begründung ab, dass sie aufgrund der Höhe des anzurechnenden Einkommens des Zeugen nicht hilfebedürftig sei. Hiergegen richtete die Klägerin ihren am 30. Oktober 2014 beim Beklagten eingegangenen Widerspruch, in welchem sie zur Begründung ausführte, solange sie noch nicht länger als ein Jahr in einer Bedarfsgemeinschaft lebe, habe sie völlig unabhängig von Einkommen und Vermögen des Zeugen einen Anspruch auf Grundversorgung. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2014 als unbegründet zurück. Der zum 11. Juli 2014 gestellte Leistungsantrag sei abzulehnen, weil die Klägerin angesichts des bedarfsübersteigenden Einkommens des mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Zeugen nicht hilfebedürftig sei.

 

Die Klägerin hat am 12. Dezember 2014 Klage zum Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, den Antragsvordruck im Beisein einer Mitarbeiterin des Beklagten ausgefüllt zu haben, ohne dass sie darüber aufgeklärt worden sei, was sich rechtlich dahinter verberge. Speziell mit Blick auf die gesetzliche Systematik hätte der Beklagte sie über den Unterschied zwischen Haushalts- und Bedarfsgemeinschaft aufklären und darauf hinweisen müssen, dass vom Gesetz im Falle des Zusammenziehens zunächst einmal für das erste Jahr vermutet werde, dass man keine Bedarfsgemeinschaft bilde. Die Eintragungen im Antragsvordruck und im Fragebogen zur Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gäben insgesamt nichts für eine bereits im verfahrensgegenständlichen Zeitraum bestehende Bedarfsgemeinschaft her. Sie und der Zeuge hätten vor dem Leistungsbezug noch nicht ein Jahr zusammengelebt. Bezüglich der vom Zeugen gewährten Darlehen sei darauf hinzuweisen, dass sie zu einer Zeit vereinbart worden seien, als für beide noch nicht voraussehbar gewesen sei, dass der Inhalt der Vereinbarung künftig gerichtlich nachgewiesen werden müsse. Es werde auf eine Umsatzanzeige des Zeugen hingewiesen, wo zu sehen sei, dass ihre Mutter im Januar 2015 als Abschlussgeschenk ihre Schulden bei ihrem Partner übernommen und diesem einen Geldbetrag überwiesen habe. Hierin seien nicht nur die in der Akte dokumentierten Zahlungen, sondern auch spätere darlehensweise Übernahmen von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen enthalten. Es dürfte den allgemeinen Lebensverhältnissen entsprechen, wenn sich Partner untereinander darlehensweise unterstützten, ohne dies schriftlich zu fixieren. Davon abgesehen sei die gesetzliche Vermutung auch dann nicht widerlegt, wenn es sich nicht um ein Darlehen gehandelt hätte.

 

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung des SG vom 20. März 2018 weiter vorgetragen, soweit sich aus der dem Gericht vorgelegten Umsatzabfrage ein Zahlungseingang von 10.000 € auf dem Konto des Zeugen ergebe, handele es sich um eine Gutschrift ihrer Mutter. Es handele sich um eine Schenkung für ihr bestandenes Studium. Der Zeuge habe dann die von ihm an sie geleisteten Zahlungen von diesem Betrag einbehalten, als die Zahlung dafür, dass sie unentgeltlich bei ihm habe leben können. Sie habe ja auch Krankenkassen, Versicherungen gehabt. Den Zeugen habe sie etwa vor sieben Jahren übers Internet kennengelernt. Sie hätten wegen ihres Studiums eine Fernbeziehung geführt. Er habe gewollt, dass sie das Studium schnell abschließe, damit sie keinen Nebenjob aufnehmen müsse. Sie hätten sich wegen der Entfernung von etwa 400 km einmal im Monat gesehen, entweder bei ihr in B oder abwechselnd in B. Länger hätten sie sich dann in den Semesterferien oder in den Urlauben gesehen. Die Weihnachtsfeiertage hätten sie bis auf das erste Jahr so etwa 2011 abwechselnd jedes Jahr entweder bei ihrer oder seiner Familie verlebt. Ihre Familie wohne bei O. Sie seien immer noch nicht verheiratet und nicht verlobt und hätten keine gemeinsamen Kinder. Sie habe nach wie vor ein eigenes Konto. Wieso das Geld direkt auf das Konto des Zeugen überwiesen worden sei, wisse sie gar nicht. Ihrer Erinnerung nach habe sie ihrer Mutter gesagt, dass sie ja ohnehin noch Geld dem Zeuge schulde, so dass das Geld auf das Konto des Zeugen überwiesen werden sollte. Dies sei einfacher gewesen, als das Geld zunächst auf ihr eigenes Konto zu überweisen. Auf den Hinweis des Vorsitzenden, dass ihre Mutter ja großes Vertrauen zum Zeugen gehabt haben müsse, hat die Klägerin erklärt, dass sie damals ja schon drei Jahre zusammen gewesen seien, auch wenn es eine Fernbeziehung gewesen sei.

 

Das SG hat in der vorgenannten mündlichen Verhandlung den Zeugen uneidlich vernommen. Dieser hat u.a. angegeben, dass die Klägerin sich nach ihrer vorgehenden Fernbeziehung 2014 bei ihm angemeldet habe, um dann voll zu ihm zu ziehen, und zwar noch während ihres Studiums. Danach habe sie ihr Studium in B beendet. Sie habe damals ihr Diplom geschrieben und habe dann wieder nach B gemusst. Die Krankenkasse habe bezahlt werden müssen. Er habe ihr angeboten, Geld vorzustrecken, das sie ihm später hätte zurückzahlen können. Es sei kein fester Betrag vereinbart worden. Er habe Geld angeboten, wenn Bedarf dagewesen sei. Dann hätten sie es so mündlich vereinbart. Er habe nichts Schriftliches. Das sei einfach so eine Vertrauenssache gewesen, rückblickend betrachtet sei es ja auch so ein bisschen unsicher gewesen. Dann habe sie ihm das Geld später über ihr Konto zurückgezahlt. Dann sei die Sache erledigt gewesen. Jetzt seien sie in einer festen Beziehung. Seit wann, könne er schlecht an einem Datum klarmachen. Sie hätten sehr lange eine Fernbeziehung gehabt. Dies habe sich immer sehr dynamisch gehalten, weil er gearbeitet habe. Sie hätten sich bis Anfang 2014 im Schnitt immer alle zwei Wochen gesehen. Sie sei mal zu ihm und er mal zu ihr gefahren. Dies sei für eine Beziehung auf Dauer nicht das, worauf man abziele, nämlich dass man sich irgendwann mal zusammen an einen Ort begebe. Dies hätten sie dann Anfang 2014 gemacht. Sie habe sich bei ihm angemeldet und ihre Sachen zu ihm gebracht. Sie sei dann zwar immer noch gependelt, weil sie dann ihr Diplom habe fertig machen müssen. Dies sei dann im Sommer 2014 gewesen, gegen Juli 2014 sei es dann offiziell gewesen. Die Sache sei dann durch und die Pendelei abgehakt gewesen.

 

Auf die Frage des Bevollmächtigten, wie man es sich vorstellen müsse, als sie dann zusammengezogen seien, ob sie sich so gebunden gefühlt hätten, wie man sich das bei einer Ehe vorstelle, oder sie zunächst einmal das Zusammenwohnen hätten ausprobieren wollen, hat der Zeuge angegeben, dass dies schwierig zu sagen sei, weil er nicht wisse, wie das in der Ehe sei. Sie habe ihre Sachen zu ihm geholt, sie hätten sie gemeinsam angemeldet. Dies sei seine Wohnung gewesen und sei es immer noch. Sie rege sich immer auf, wenn ein öffentliches Schreiben für sie komme, weil „Bei Herrn P“ als Adresse stehe. Das sei damals eine Probesache gewesen. Dies sei für sie ein großer Schritt gewesen, sie habe alle Freunde in B gehabt. Der Umzug von B zu ihm sei ein Umzug von einer Großstadt in ein Dorf gewesen. Wenn sie kalte Füße bekommen hätte, hätte er auch dagestanden.

 

Das SG hat die zuletzt auf die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum vom 11. Juli bis zum 31. Dezember 2014 gerichtete Klage mit Urteil vom 20. März 2018 abgewiesen. Es fehle an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin, weil sie sich das Einkommen und Vermögen des Zeugen  gemäß § 9 Abs. 2 SGB II anrechnen lassen müsse. Denn der Zeuge bilde mit der Klägerin eine Bedarfsgemeinschaft. Er sei eine Person, die mit der Klägerin in einem gemeinsamen Haushalt auch bereits vor dem Einzug der Klägerin Anfang 2014 so zusammengelebt habe, dass nach verständiger Würdigung aller hier vorliegenden Umstände der wechselseitige Wille anzunehmen sei, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II). Zwar wohnten sie erst seit Beginn des Jahres 2014 zusammen in der Wohnung des Zeugen. Die Kammer sei jedoch zur Überzeugung gelangt, dass dieses Zusammenwohnen über eine Wohn- und Zweckgemeinschaft hinausgehe. Mit der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II habe der Gesetzgeber Tatbestände normiert, die den Schluss auf das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft von Partnern zuließen. Mit dem Zusammenleben werde der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet. Zur Widerlegung dieser Vermutung sei es Sache des Hilfebedürftigen, plausible Gründe darzulegen, die bewiesen, dass das Zusammenwohnen lediglich als reine Zweck- oder Wohngemeinschaft einzustufen sei. Nach dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck sowie ihren Angaben, die Partnerschaft im Sinne einer Fernbeziehung bereits seit 2011 zu führen (in die Familien des jeweils anderen so vertraut eingebunden zu sein, wechselnd Weihnachten bei ihren Eltern und denjenigen des Zeugen zu verbringen, Überweisung der 10.000 € durch ihre Mutter direkt auf das Konto des Zeugen), sei die Kammer überzeugt, dass die Klägerin und der Zeuge in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft bereits seit mehr als einem Jahr gelebt hätten.

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. Mai 2018 zugestellte Urteil am Montag, dem 4. Juni 2018, Berufung eingelegt. Die angefochtene Entscheidung erscheine schon deshalb bedenklich, weil das SG von einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft bereits seit 2011 ausgehe und infolgedessen die Prüfung nicht der tatsächlich einschlägigen Systematik für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft folge. Die gesetzliche Vermutung für einen Einstandswillen greife vielmehr nicht ein. Das SG hätte demnach nicht danach fragen und prüfen dürfen, ob das Vorliegen einer gesetzlichen Vermutung für den Einstandswillen widerlegt sei, sondern ob ein Einstandswille im Vollbeweis gesichert sei.

 

In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 9. November 2022 hat die Klägerin ihr Begehren auf Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs beschränkt.

 

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. März 2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. November 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 11. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014 zu gewähren.

 

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2022 die Klägerin persönlich angehört und den Zeugen uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung bzw. Vernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.               

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG und der Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. November 2014 sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 11. Juli bis zum 31. Dezember 2014 gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Regelbedarfsleistungen nach den §§ 7 ff. SGB II. Denn sie war nicht gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II hilfebedürftig. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 13. Mai 2011 ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält, wobei gemäß § 9 Abs. 2 SGB II bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen sind. Vorliegend war eine aus der Klägerin und dem Zeugen bestehende Bedarfsgemeinschaft gegeben, deren Regelbedarf und, obwohl nach dem zuletzt von der Klägerin gestellten Antrag nicht mehr Gegenstand ihres Begehrens, im Übrigen auch die KdU, allein schon vom Einkommen des Zeugen  gedeckt waren.

 

Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Gemäß § 7 Abs. 3a SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 20. Dezember 2011 wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner

1. länger als ein Jahr zusammenleben,

2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,

3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder

4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

 

Hiervon ausgehend besteht zwar nicht die in § 7 Abs. 3a SGB II enthaltene gesetzliche Vermutung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne einer Wirtschafts- und Haushaltsgemeinschaft, d.h. einer Praktizierung einer ehegleichen ökonomischen Solidarität (vgl. Geiger in Münder/Geiger, SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende, 7. Aufl. 2021, § 7 Rn. 92), weil die Klägerin und der Zeuge vor dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum entgegen § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II nicht länger als ein Jahr zusammengelebt hatten, nachdem die Klägerin erst im Januar 2014 zu ihm gezogen war, und auch offenbar kein Fall nach § 7 Abs. 3a Nr. 2 bis 4 SGB II gegeben ist. Bei einem Zusammenleben von kürzerer Dauer als einem Jahr ist indes daraus nicht automatisch der Schluss zu ziehen, dass keine Einstands- oder Verantwortungsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II besteht. Vielmehr fehlt es lediglich an der gesetzlichen Vermutung eines Einstandswillens. Bei Partnern, die kürzer als ein Jahr zusammenwohnen, können allerdings nur gewichtige Umstände die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft begründen. Dafür trägt der Grundsicherungsträger die objektive Beweislast (vgl. statt vieler Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. März 2022 – L 3 AS 29/22 B ER – zitiert nach juris Rn. 46). § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II setzt eine ehegleiche, freiwillige Bereitschaft voraus, Wohl und Wehe miteinander zu teilen. Gemeint ist eine Lebensgemeinschaft, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. Damit sind drei Voraussetzungen für die Feststellung, dass Personen in einer Einstandsbedarfsgemeinschaft i.S.v. Nr. 3 lit. c leben, zwingend vorgegeben:

  • Die fraglichen Personen müssen als Partner in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenleben,
  • mit dem verfestigten, wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen,
  • unter Ausschluss weiterer Lebensgemeinschaften gleicher Art.

 

(vgl. etwa Geiger a.a.O. Rn. 86 f. m.w.N.; Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R -, zitiert nach beck-online Rn. 14 ff.).

 

Dies zugrunde gelegt steht im Vollbeweis gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 Sozialagerichtsgesetz (SGG) fest, dass die Klägerin und der Zeuge über den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bildeten.

 

Zunächst einmal ist bei der Klägerin und dem Zeugen ein „Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt“ i.S.d. § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II festzustellen. Ein solches erfordert das Bestehen einer „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“. § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II stellt damit bereits vom Wortlaut her (im Gegensatz zu § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. a und b SGB II für den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten bzw. Lebenspartner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen) auf zwei Elemente ab, nämlich das Zusammenleben und kumulativ das Wirtschaften aus einem Topf. Unter „Zusammenleben“ in einer Wohnung ist mehr als nur ein bloßes „Zusammenwohnen“, wie es bei Wohngemeinschaften der Regelfall ist, zu verstehen. Es ist für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft unter nicht ehelich verbundenen Partnern zwingend, dass sie – wie hier ab Januar 2014 - in „einer Wohnung“ zusammenleben. Zusätzlich bedarf es des gemeinsamen Wirtschaftens. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen dabei über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und gegebenenfalls Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft. Entscheidend insoweit ist, dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist. Die Haushaltsführung an sich und das Bestreiten der Kosten des Haushalts müssen gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen, was allerdings nicht bedeutet, dass der finanzielle Anteil der Beteiligung am Haushalt oder der Wert der Haushaltsführung selbst gleichwertig sein müssen. Ausreichend ist eine Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilen (vgl. BSG a.a.O., Rn. 21 ff.).

 

Hiervon ausgehend bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin und der Zeuge i.S.d. Gesetzes zusammenlebten und aus einem Topf wirtschafteten. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin und der Zeuge in derselben Wohnung lebten, hierin ein gemeinsames Schlafzimmer nutzten, der Einkauf der täglichen Bedarfsgüter für beide gemeinsam erfolgte, Mahlzeiten für beide bzw. für alle gemeinsam zubereitet wurden, und zwar von beiden, Haushaltsgeräte/Geschirr gemeinsam benutzt wurden und beide für die Reinigung der Kleidung und Wäsche sowie für die Reinhaltung der Wohnung sorgten.

 

Es lag im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zudem ein gemeinsamer Einstehens- und Verantwortungswille im Sinne einer ehegleichen ökonomischen Solidarität der Partner vor. Hierfür ist entscheidend auf die nach außen sichtbare Intensität der gelebten Gemeinschaft abzustellen. Die Würdigung der Gesamtumstände muss zum Ergebnis führen, dass die zusammen wohnenden Personen ihr tägliches Leben in einem hohen Maß aufeinander abgestimmt haben und nicht jeder für sich nebenbei lebt. Deshalb bedingt die Eheähnlichkeit auf materieller Ebene zwingend eine tatsächliche Unterstützung und faktische Leistungserbringung durch den Partner, die als Parallele zur ehelichen Unterhaltspflicht nach § 1360 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine verfestigte ökonomische Solidarität erfordert, die in der Regel erst nach einer längeren Dauer des Zusammenlebens besteht. Hiervon ausgehend sind insbesondere folgende Indizien für das Bestehen eines Einstandswillens bedeutsam:

  • die Dauer und Intensität der Beziehung vor dem Zusammenleben; die Rückkehr zu einer früheren Beziehung begründet aber nicht gleich eine Einstandsgemeinschaft, wenn die Beziehung zwischenzeitlich beendet war,
  • gemeinsame Pläne, die auf eine dauerhafte Bindung hindeuten (gemeinsamer Kauf einer Immobilie; gemeinsamer Kredit für Wohnungsrenovierung)
  • gegenseitig eingeräumte Kontovollmacht mit tatsächlichem Zugriffsrecht, wobei getrennte Konten allein kein ausschlaggebendes Indiz für das Nichtbestehen einer Einstandspartnerschaft sind,
  • Begünstigung des Partners in einer Versicherungspolice,
  • Übernahme von Schulden des Partners oder eine Bürgschaft,
  • wiederholte, gemeinsame Wohnungswechsel, bei denen der Wunsch, zusammen zu bleiben, prägend war,
  • alleinige Übernahme der Miete,
  • gemeinsames Verbringen von Freizeit und Urlaub

(vgl. Geiger a.a.O., Rn. 87 f. m.w.N.).

 

Dies zugrunde gelegt steht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG zu voller Überzeugung des Senats fest, dass das Zusammenleben der Klägerin und des Zeugen im verfahrensgegenständlichen Zeitraum von einem gemeinsamen Einstehens- und Verantwortungswillen geprägt war. Übereinstimmenden Angaben zufolge bestand die Beziehung bereits seit 2011. Obwohl ihnen studien- bzw. arbeitsplatzbedingt nur eine Fernbeziehung möglich war, hielt sie über Jahre hinweg an – Zeichen einer tiefen persönlichen und emotionalen Verbundenheit, wie sie eben auch in den Bekundungen des Zeugen zum Ausdruck kam, dass er wollte, dass die Klägerin ihr Studium schnell beendete, damit sie keinen Nebenjob aufnehmen musste. Auch aus den o.g. Überweisungen – sei es darlehensweise oder als Zuschuss - des Zeugen mit den liebevoll gehaltenen Zweckbestimmungen (Diplomspritze, Cremetörtchen, Kussi) wird deutlich, dass er bereits vor dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum in einer Weise am Geschick der Klägerin Anteil nahm, wie es zwischen Ehegatten zu erwarten ist. Dementsprechend wurden die Überweisungen getätigt, ohne dass die Klägerin und der Zeuge eine valide Rückzahlungsvereinbarung schlossen. Soweit der Zeuge seinen mit dem Vorbringen der Klägerin übereinstimmenden Angaben zufolge eben auch die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zur Gewährleistung ihres Krankenversicherungsschutzes übernahm sowie für den übrigen Lebensunterhalt der Klägerin nicht nur im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum, sondern bereits zuvor ab Anfang 2014 tatsächlich aufkam, ohne über diese Ausgaben Buch zu führen oder diese späterhin betragsgenau abzurechnen, belegt dies ebenfalls eine ehetypische ökonomische Solidarität. Feiertage wurden schon vor dem Zuzug der Klägerin im Wechsel bei beiden Familien verbracht. Schließlich brach die Klägerin Anfang 2014 in B alle Zelte ab, um beim Zeugen in dessen Wohnung zu leben, wobei er die Wohnkosten und Telefonkosten allein trug. Die Klägerin gab vor diesem Hintergrund bei Antragstellung nachvollziehbar an, dass sie die Freizeit gemeinsam verbrachten und sie im Notfall füreinander einstehen würden. Dem entspricht der Wohnungszuschnitt einer Zweiraumwohnung, der keine relevanten Rückzugsbereiche für die beiden Partner zuließ, die zudem zusammen ein gemeinsames Schlafzimmer hatten. Der Zeuge hat bekundet, dass die Klägerin in Br über keine weiteren persönlichen Verbindungen als zu ihm verfügte; ihre Freunde (und im Übrigen ihre in O nicht weit von B entfernt lebende Familie) ließ sie zurück. Kennzeichnend für das tiefe Vertrauen der beiden Partner ist auch der Umstand, dass die Klägerin am 1. September 2014 zusammen mit dem Vater des Zeugen beim Beklagten vorsprach und Einkommensunterlagen des Zeugen vorlegte. Die quasieheliche Solidarität wird auch mittelbar durch die Direktzahlung der 10.000 € der Mutter der Klägerin an den Zeugen im Januar 2015 deutlich, was sich ebenfalls nur durch einen wie bei einer gelebten Ehe gesteigerten Grad gegenseitigen Vertrauens denken lässt. Vor diesem Hintergrund fallen die getrennte Kontenführung und fehlende Begünstigung in Versicherungspolicen nicht ins Gewicht. Dafür dass die Klägerin oder der Zeuge weitere Lebensgemeinschaften gleicher Art unterhielten oder dies dem Selbstverständnis der Beziehung der beiden entsprach, ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

 

Soweit hiernach das Einkommen des Zeugen zu berücksichtigen war, reichte es aus, Regelbedarf und im Übrigen auch die KdU beider zu decken, so dass die Klägerin im Hinblick auf den von ihr zuletzt noch beanspruchten Regelbedarf nach keiner Betrachtungsweise hilfebedürftig war. Der Regelbedarf betrug nach der hier einschlägigen Regelbedarfsstufe 2 (§ 20 Abs. 1/1a, Abs. 4 SGB II) im Jahr 2014 für die Klägerin und den Zeugen jeweils 353,00 €. Soweit gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II höchstens die tatsächlichen KdU zugrunde zu legen waren, betrugen sie von Juli bis August 2014 388,00 € monatlich und von September 2014 bis Dezember 2014 421,00 € monatlich, wobei im September 2014 ein Nachzahlungsbetrag von 171,57 € hinzukam. Dem stand ein Einkommenszufluss des Zeugen – nach dessen glaubhaften Bekundungen - von durchgehend mehr als 2.700,00 € netto monatlich gegenüber, so dass der anzuerkennende Bedarf auch nach der gemäß § 11b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB II in der Fassung vom 21. März 2013 gebotenen Einkommensbereinigung um – mangels Nachweises höherer Versicherungsbeiträge, Altersvorsorgebeiträge und Werbungskosten (vgl. § 11b Abs. 2 S. 2 SGB II) - 100,00 € und einer gemäß § 11b Abs. 3 SGB II (Erwerbstätigenfreibetrag) weiteren Absetzung von 200,00 € durchgehend deutlich überdeckt war.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

 

Die Revision wird mangels Revisionszulassungsgrundes i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG nicht zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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