Mutwillenskosten wegen unterlassener Ermittlungshandlungen dürfen einer Behörde nicht auferlegt werden, wenn die Behörde ermessensfehlerfrei von den betreffenden Ermittlungshandlungen Abstand genommen hat. Dies gilt auch dann, wenn in einem nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren das Gericht solche Ermittlungen für erforderlich hält.
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Januar 2023 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Der Beklagte wendet sich gegen die Auferlegung der Kosten eines im sozialgerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens.
Im Hauptsacheverfahren haben die Beteiligten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung und die Zuerkennung der Merkzeichen B und H gestritten.
Einen entsprechenden Antrag des Klägers lehnte die Beklagte auf der Grundlage des von seinem ärztlichen Dienst ausgewerteten Befundberichts des Facharztes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. B vom 28. Juni 2018 mit Bescheid vom 23. Juli 2018 ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er den Beklagten bat, eine amtsärztliche Untersuchung zu veranlassen. Der Beklagte zog die medizinischen Unterlagen aus der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Dezernats für Soziales Entschädigungsrecht bei. Nach Auswertung der Unterlagen durch den ärztlichen Dienst wies er mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2019 den Widerspruch als unbegründet zurück.
Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) u.a. Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Arztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. U vom 15. Oktober 2020 mit ergänzender Stellungnahme vom 20. Januar 2021. Die Kosten für das Gutachten haben nach der Liquidation vom 21. Oktober 2020 2.214,15 Euro betragen. Dem Vorschlag des Sachverständigen folgend hat das Sozialgericht mit – inzwischen rechtskräftigem – Urteil vom 17. Mai 2022 den Beklagten verpflichtet, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 40 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2023 hat das Sozialgericht dem Beklagten die Kosten des Gutachtens vom 15. Oktober 2020 mit der Begründung auferlegt, er habe es unterlassen, ein psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens einzuholen, obwohl diese Ermittlungen erkennbar notwendig gewesen seien.
Hiergegen hat der Beklagte Beschwerde eingelegt.
Der Beklagte beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt
(Oder) vom 19. Januar 2023 aufzuheben.
II.
Die gemäß §§ 172, 173 SGG statthafte und zulässige Beschwerde des Beklagten ist begründet.
Die Voraussetzungen des § 192 Abs. 4 Satz 1 SGG sind nicht erfüllt. Danach kann das Gericht der Behörde ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden. Die unter Berücksichtigung des jeweils einschlägigen Rechts zu beurteilende Notwendigkeit von Ermittlungen ist zwar vorliegend zu bejahen, da im Rahmen der Bemessung des Grades der Behinderung im ersten Schritt die Feststellung der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen erforderlich ist (vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – B 9 SB 55/21 B –, juris). Jedoch war die Notwendigkeit der Ermittlungen für den Beklagten nicht „erkennbar“ im Sinne des § 192 Abs. 4 Satz 1 SGG. Denn vor dem Hintergrund, dass es im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde liegt, im Verwaltungsverfahren Art und Umfang der Ermittlungen zu bestimmen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X) und zu entscheiden, welcher Beweismittel sie sich zur Ermittlung des Sachverhalts bedient, fehlt es an der Erkennbarkeit, wenn die Behörde ermessensfehlerfrei von bestimmten Ermittlungen Abstand nimmt, und zwar auch in dem Fall, dass das Gericht diese in einem folgenden sozialgerichtlichen Verfahren für notwendig hält (vgl. Schmidt, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, Rn. 18b zu § 192 SGG m.w.N., der auf die „vertretbare Rechtsauffassung der Behörde“ abstellt). Vorliegend sind Ermessensfehler des Beklagten nicht zu erkennen. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass er der Anregung des Klägers, eine ärztliche Untersuchung durchzuführen, nicht folgte, sondern die versorgungsärztliche Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen für ausreichend erachtete.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG nicht anfechtbar.