S 32 R 81/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 32 R 81/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 61/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid


Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung von Übergangsgeld während einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation vom 3. Juni bis 8. Juli 2015 streitig.

Die 1969 geborene Klägerin stand bis zum 20. Februar 2013 in einem Beschäftigungsverhältnis. Seit dem 30. Januar 2013 war sie arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 21. Februar 2013 bis zum 25. März 2014.

Am 4. Februar 2014 beantragte sie Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 11. Februar 2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation, die die Klägerin vom 26. März bis 18. April 2014 durchführte. Von der Rehabilitationsklinik wurde ihr für die Zeit nach der Entlassung Rehabilitationssport für die Dauer von sechs Monaten verordnet (2x wöchentlich). Am 15. April 2014 ging der Antrag der Klägerin auf Übergangsgeld bei der Beklagten ein, den diese über den Sozialarbeiter der Rehabilitationsklinik stellte. Mit Bescheid vom 16. April 2014 bewilligte die Beklagte für die Zeit ab dem 26. März 2014 Übergangsgeld für die Dauer der mit Bescheid vom 11. Februar 2014 bewilligten Leistung (26. März 2014 – 18. April 2014). 

Ab dem 19. April 2014 bis zum 18. April 2015 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld. Anschließend war sie vom 19. April 2015 bis 2. Juni 2015 arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug. Arbeitslosengeld II wurde mangels Hilfebedürftigkeit nicht bewilligt. 

Während dieser Zeit beantragte sie am 30. September 2014 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Agentur für Arbeit, die diesen Antrag mit Schreiben vom 30. September 2014, eingegangen am 8. Oktober 2014, an die Beklagte weiterleitete. Diese forderte mit Schreiben vom 13. Oktober 2014 die bei der Agentur für Arbeit vorliegenden ärztlichen Gutachten an, das am 24. Oktober 2014 bei der Beklagten einging. Ebenfalls am 13. Oktober forderte die Beklagte die Klägerin auf, das Formular G130 (Anlage zum Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Berufliche Rehabilitation)) vollständig ausgefüllt zurückzusenden. Am 24. November 2014 erinnerte die Beklagte die Klägerin um Übersendung der Antragsunterlagen G130. Da die Klägerin telefonisch mitteilte, diesen Vordruck nicht erhalten zu haben, übersandte die Beklagte diesen mit Schreiben vom 26. November 2014 erneut. Am 7. Januar 2015 verfügte die beratende Ärztin die Anforderung von ärztlichen Befundberichten. Daraufhin bat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 9. Januar 2015 um Weiterleitung von Befundberichten an ihren Neurologen/Psychiater und ihren Hausarzt. Am 10. Februar 2015 ging der ärztliche Befundbericht zum Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation des Hausarztes bei der Beklagten ein. Am 17. Februar 2015 folgte der Bericht des Neurologen und Psychiaters.

Nach Auswertung dieser Unterlagen stellte der ärztliche Dienst der Beklagten am 13. März 2015 fest, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erforderlich seien. Mit Schreiben vom 13. März 2015 bot die Beklagte der Klägerin medizinische Leistungen an. Mit diesen erklärte sich die Klägerin am 18. März 2015, bei der Beklagten eingegangen am 23. März 2015, einverstanden. Diese Erklärung gab die Klägerin auf dem „Antrag auf Leistungen zur Teilhabe für Versicherte – Rehabilitationsantrag“ ab. Unter Punkt 3 wird abgefragt: „Derzeitige Stellung im Beruf/Erwerbsleben (bei Arbeitslosigkeit/ Arbeitsunfähigkeit geben Sie bitte die letzte berufliche Stellung davor an)“. Die Klägerin kreuzte hier „nicht erwerbstätig (zum Beispiel Hausfrau/Hausmann/Rentner)“ an. Die Frage 4 „Arbeit vor Antragstellung oder vor aktueller Arbeitsunfähigkeit“ beantwortete sie mit „arbeitslos gemeldet“.

Die Beklagte leitete am 26. März 2015 den Antrag intern weiter mit der Bitte, die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unverzüglich durchzuführen. Am 30. März 2015 gingen die Unterlagen bei der zuständigen Abteilung ein. Diese Abteilung forderte daraufhin die Arztentscheidung aus der LTA-Akte an und erinnerte am 15. April 2015 an die Übersendung; diese wurden dann am gleichen Tag (15. April 2015) übersandt.

Im Rentenkonto der Klägerin waren am 1. April 2015 Pflichtversicherungszeiten bis zum 31. Dezember 2014 erfasst. Zuletzt waren vom 19. April 2014 bis 31. Dezember 2014 Entgeltersatzleistungen wegen Arbeitslosigkeit gemeldet. In die Übersicht für den sozialmedizinischen Dienst übernahm die Beklagte die Angabe der Klägerin aus dem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe für Versicherte – Rehabilitationsantrag, dass sie nicht erwerbstätig und arbeitslos gemeldet sei.

Nach Eingang der medizinischen Unterlagen am 15. April 2015 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 2015 stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für fünf Wochen. Vom 3. Juni bis 8. Juli 2015 führte die Klägerin diese in der Gelderland-Klinik Geldern, Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, durch. Von dort wurde sie als arbeitsfähig für den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen. In den letzten zwölf Monaten vor der Aufnahme habe keine Arbeitsunfähigkeit bestanden.

Bereits zuvor, am 20. Mai 2015 beantragte sie Übergangsgeld bei der Beklagten. Am 29. Juli 2015 erinnerte die Klägerin telefonisch an die Bewilligung von Übergangsgeld, den entsprechenden Antrag habe sie bereits eingereicht.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin für die Dauer der bewilligten Leistungen zur Rehabilitation keinen Anspruch auf Übergangsgeld habe. Sie habe für den Bemessungszeitraum keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Zudem habe sie nicht bis unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Leistung zur Rehabilitation eine der aufgeführten Sozialleistungen bezogen.

Dagegen legte die Klägerin am 28. August 2015 Widerspruch ein, mit dem sie um Stellungnahme bat, warum die Bewilligung der Reha nicht bis zum Ende des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, d.h. zum 18. April 2015 habe erfolgen können.

Dazu erläuterte die Beklagte, dass über den Rehabilitationsantrag innerhalb von drei Wochen eine Entscheidung getroffen werden müsse. Diese Frist sei nur geringfügig überschritten worden: Reha-Antrag Eingang am 23. März 2015; Bewilligungsbescheid Reha vom 27. April 2015. Dies habe aber keine rechtlichen Auswirkungen, da die Rehabilitationskliniken Wartezeiten von mehreren Wochen hätten. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, einen Aufnahmeantrag noch während des Anspruchs auf Arbeitslosengeld I zu organisieren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 17. Februar 2016 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zuletzt trägt sie vor, dass es nicht zu ihren Lasten gehen könne, wenn die Beklagte durch ihr Verhalten eine Lücke kreiere, die dazu führe, dass sie kein Übergangsgeld erhalten könne. Ihr sei es aufgrund des Verhaltens der Beklagten unmöglich gewesen, „zeitnah“ die medizinische Rehabilitation anzutreten. Sie habe nach dem 13. März 2015 die Beklagte mehrfach darauf hingewiesen, dass ihr Arbeitslosengeldbezug zum 18. April 2015 ende. Selbst nach Bewilligung der Rehabilitation am 27. April 2105 habe sich die Aufnahme in die Klinik verzögert, weil die Beklagte die Zusendung von Unterlagen an den Leistungserbringer (Gelderland-Klink) nicht unverzüglich veranlasst habe. Erst nach mehreren Anrufen ihrerseits bei der Beklagten seien die erforderlichen Unterlagen der Gelderland-Klinik zugeschickt worden.

Die Klägerin beantragt schriftlich,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2016 zu verurteilen, an sie in der Zeit vom 3. Juni bis 8. Juli 2015 Übergangsgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, dass das Übergangsgeld eine Entgeltersatzfunktion habe. Es solle allein das durch die Reha ausgefallene Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen ersetzen. Es seien deshalb die letzten vor Beginn der Leistung bzw. der Arbeitsunfähigkeit maßgebenden Verhältnisse zugrunde zu legen. Die Klägerin habe vor Beginn der Rehabilitation keine Leistungen bezogen, so dass es an der Entgeltersatzfunktion fehle.

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Die Klägerin hat sich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen vier Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. 


II.

Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zulässige Klage ist nicht begründet. 
Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 30. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2016 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Dieser Bescheid ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin für die Zeit der Teilnahme an der stationären medizinischen Rehabilitation vom 3. Juni bis 8. Juli 2015 Übergangsgeld zu zahlen.

Nach § 20 SGB VI in der bis zum 13. Dezember 2016 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Übergangsgeld, die 
1.    von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder sonstige Leistungen zur Teilhabe erhalten,
2.    (weggefallen)
3.    bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder sonstigen Leistungen zur Teilhabe unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder, wenn sie nicht arbeitsunfähig sind, unmittelbar vor Beginn der Leistungen
a)    Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt und im Bemessungszeitraum Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben oder
b)    Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Mutterschaftsgeld bezogen haben und für die von dem der Sozialleistung zugrundeliegenden Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II zuvor aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind.

Voraussetzung für einen Anspruch auf Übergangsgeld ist danach u.a., dass unmittelbar vor Beginn der Leistung zur medizinischen Rehabilitation Arbeitslosengeld gezahlt wurde. Zwar ist es für die Unmittelbarkeit nicht erforderlich, dass ein nahtloser Übergang erfolgt. Ein Abstand von mehr als vier Wochen wahrt jedoch nicht mehr den Anschluss an den Vorbezug (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1981, 1 RJ 74/79, juris; Haack in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 20 SGB VI (Stand: 22.01.2019) Rn. 11). Bei der Klägerin liegen zwischen dem Ende des Arbeitslosengeldbezugs am 18. April 2015 und dem Beginn der medizinischen Rehabilitation am 3. Juli 2015 mehr als vier Wochen, so dass deshalb ein Anspruch auf Übergangsgeld ausscheidet.

Auch im Wege des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Übergangsgeld nicht möglich. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Anspruch hat auf der Tatbestandsseite drei Voraussetzungen: 1. Es liegt eine Pflichtverletzung vor, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist, 2. dem Betroffenen ist ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden und 3. es besteht eine Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Nachteil bzw. Schaden (vgl. Hassel, Brand, SGB III, 8. Aufl., 2018, Anhang Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, Rn. 28). Voraussetzung ist danach u.a., dass ein objektives Fehlverhalten der Verwaltung vorliegt, dass die Entscheidung des Versicherten über die Wahrnehmung seiner Rechte fehlgeleitet hat. Der Herstellungsanspruch kommt nicht in Betracht, wenn lediglich ein Fehler der Sachbearbeitung in der Sache selbst vorliegt, der nicht zu einem ungünstigen Verhalten des Versicherten geführt hat. Die Klägerin macht gerade einen solchen Fehler geltend, indem sie vorträgt, die Bearbeitung ihres Antrags sei verzögert erfolgt. Selbst wenn man einen solchen Fehler annehmen würde, hätte sich daraus aber kein ungünstiges Verhalten der Klägerin ergeben. Bereits deshalb scheidet ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch aus.

Ob eine verzögerte Bearbeitung erfolgt ist, bedarf somit auch keiner abschließenden gerichtlichen Entscheidung des Gerichts, da selbst bei der Bejahung einer solchen Verzögerung sich kein Anspruch der Klägerin aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergeben würde. Insoweit ist bei der Bearbeitung des Antrags zu beachten, dass die Klägerin ursprünglich Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt hat. Diesen Antrag hat die Beklagte bis zum 13. März 2015 bearbeitet. Erst mit der Stellungnahme des ärztlichen Dienstes vom 13. März 2015 war der Beklagten bekannt, dass vorrangig Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erbringen sind. Dabei handelt es sich rechtlich um eine andere Leistung als bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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