L 10 KO 270/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10.
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 KO 270/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

§ 7 des Landesjustizkostengesetzes Baden-Württemberg ist auf gerichtskostenpflichtige Verfahren des Sozialgerichtsgesetzes nicht (analog) anwendbar (Festhaltung an LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2019, L 10 KO 2552/19).

Die Erinnerung gegen den Kostenansatz vom 29.11.2022 im Verfahren L 11 BA 1608/20 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.



Gründe
I.


Die Erinnerungsführerin wendet sich gegen die Erhebung von Gerichtskosten.

Im Verfahren L 11 BA 1608/20 ging es um die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Säumniszuschlägen. Mit Urteil vom 29.11.2022 wies der 11. Senat die Berufung des erstinstanzlich unterlegenen Klägers zurück, legte dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf und setzte den Streitwert auf 108.942,07 € fest unter Verweis auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Mit Schreiben vom 29.11.2022 hat die Kostenbeamtin die Gerichtsgebühren nach der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz (GKG) - Kostenverzeichnis (KV) - Nr. 7120 (4.104 €) und 9002 (129,50 €) abgerechnet und die Kosten gegenüber der Erinnerungsführerin mit insgesamt 4.233,50 € angesetzt.

Hiergegen wendet sich die Erinnerungsführerin und macht ihre Kostenfreiheit auf Grund § 7 des Landesjustizkostengesetzes Baden-Württemberg (LJKG), das vorliegend analog anzuwenden sei, geltend. Eine planwidrige Regelungslücke liege vor, denn bei Inkrafttreten von § 7 LJKG 1993 habe es noch keine Gerichtsgebührenpflicht nach § 197a SGG gegeben. Bei buchstabengetreuer Anwendung der Vorschriften wären die Träger der freien Wohlfahrtspflege von Gerichtsgebühren in ordentlichen Rechtsstreitigkeiten befreit, von den zum 02.01.2002 eingeführten Gerichtsgebühren in sozialgerichtlichen Verfahren aber nicht. Für eine solche Differenzierung gebe es keinen vernünftigen Grund, der Wertungswiderspruch sei offenkundig. Es bestehe kein Anhalt dafür, dass die Untätigkeit des Landesgesetzgebers im Hinblick auf den seit Anfang 2002 bestehenden Wertungswiderspruch auf eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen wäre. Diese Frage sei nie Gegenstand einer parlamentarischen Beratung im Landtag von Baden-Württemberg gewesen. Eine Kostenfreiheit für finanzgerichtliche Verfahren sei nicht vorgesehen, was auf dem fiskalischen Eigeninteresse des Landes beruhe. In sozialgerichtlichen Verfahren bestehe dieses Interesse nicht.

Der Erinnerungsgegner sieht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 02.09.2019, L 10 KO 2552/19, zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris) keinen Raum für eine Analogie.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte und die beigezogene Akte L 11 BA 1608/20 Bezug genommen.

II.

Über Erinnerungen des Kostenschuldners gegen den Kostenansatz entscheidet das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt sind (§ 66 Abs. 1 Satz 1 GKG). Nach § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG entscheidet der für das Kostenrecht zuständige 10. Senat durch die Einzelrichterin. Eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung oder eine, die besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen würde und deshalb zur Wahrung des gesetzlichen Richters dem gesamten Senat zur Entscheidung zu übertragen wäre (§ 66 Abs. 6 Satz 2 GKG), liegt angesichts der Senatsentscheidung vom 02.09.2019 (a.a.O.) zu der von der Erinnerung angesprochenen Problematik nicht vor.

Die Erinnerung gegen den Kostenansatz nach § 66 GKG ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 GKG ist das GKG (auch) für Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach dem SGG anzuwenden, soweit nach diesem Gesetz das GKG anzuwenden ist. Dies ist in Verfahren nach § 197a SGG - wie hier - der Fall. Die Kostengrundentscheidung und die Streitwertfestsetzung ist im Rahmen der Festsetzung der Gerichtskosten verbindlich und nicht nachzuprüfen (vgl. Bundessozialgericht [BSG] 30.07.2021, B 5 SF 12/12 S; BSG 08.03.2021, B 2 U 2/21 S; Bundesgerichtshof [BGH] 04.09.2017, II ZR 59/16). Gegen den Kostenansatz wendet sich die Erinnerungsführerin daher zutreffend allein mit der Begründung, sie sei von Gerichtskosten befreit, denn eine Haftung des Kostenschuldners für die Gerichtskosten nach § 29 Nr. 1 GKG scheidet nach § 2 Abs. 5 Satz 1 GKG aus, wenn Verfahrenskosten einem von den Kosten Befreiten auferlegt worden sind (vgl. Hartmann, Kostengesetze online, Stand 11/2022, § 2 GKG Rn. 20 ff.). Dies ist hier indes nicht der Fall.

Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 GKG bleiben landesrechtliche Vorschriften, die für diese Verfahren eine sachliche oder persönliche Befreiung von Kosten gewähren, unberührt, so dass § 7 LJKG Anwendung findet. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 LJKG sind die in der Liga der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege einschließlich ihrer Bezirks- und Ortsstellen sowie der ihnen angehörenden Mitgliedsverbände und Mitgliedseinrichtungen von der Zahlung der Gebühren, die die ordentlichen Gerichte in Zivilsachen erheben, befreit. Hierzu zählt auch die Erinnerungsführerin.

Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf (gerichtskostenpflichtige) Verfahren vor den Sozialgerichten kommt nicht in Betracht, denn die Voraussetzungen für eine Analogie liegen nicht vor. Der Senat hat hierzu im bereits zitierten Beschluss vom 02.09.2019 ausgeführt:

„Die analoge Anwendung einer Rechtsvorschrift setzt voraus, dass erstens eine (anfängliche oder nachträgliche) Gesetzeslücke besteht, zweitens der nicht geregelte Tatbestand dem gesetzlich festgelegten ähnlich ist und drittens beide Tatbestände wegen ihrer Ähnlichkeit gleich zu bewerten sind (BSG, Urteil vom 18.09.2012, B 2 U 11/11 R, in juris).

Der Senat verneint bereits das Bestehen einer Gesetzeslücke.

Es trifft zwar zu, wie die Erinnerungsführerin darlegt, dass die letzte Bekanntmachung des LJKG vom 15.01.1993 datiert und die Gerichtskostenpflicht nach § 197a SGG erst zum 02.01.2002 durch das Sechste Gesetz zur Änderung des SGG vom 17.08.2001 (6. SGGÄndG, BGBl. I S. 2001 ff.) eingeführt worden ist. Richtig ist somit, dass der Landesgesetzgeber bei der letzten Bekanntmachung des § 7 LJKG, worauf die Erinnerungsführerin abstellt, die gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach SGG nicht berücksichtigen konnte. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt.

Seit Erlass des LJKG vom 30.03.1971 (GBl. BW S. 96 ff.) ist es zu einer Vielzahl von Änderungsgesetzen gekommen, allein seit dem 6. SGGÄndG zu 15 Änderungen und Anpassungen (vgl. die Nachweise in Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg unter Nr. 26). Dabei ist dem Landesgesetzgeber die Einführung teilweiser Gerichtskostenpflicht in Verfahren vor den Sozialgerichten bekannt gewesen. Dies folgt schon daraus, dass der Landesgesetzgeber auch im Bereich des SGG eventuell erforderlich werdende Anpassungen an das von ihm erlassene Ausführungsgesetz zum SGG (AGSGG vom 21.12.1953, GBl. BW S. 235) durch Änderungen des SGG zu prüfen hat und dies - wie die Einfügung des § 9a AGSGG durch das Gesetz zur Änderung des LJKG und anderer Gesetze vom 17.01.2014 (GBl. BW S. 49 ff.) als Reaktion auf die Anfügung von Abs. 4 in § 73a SGG durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts vom 31.08.2013 (BGBl. I S. 3533 ff.) zeigt - auch tut. Hätte der Landesgesetzgeber tatsächlich eine Reglung wie § 7 Abs. 1 Nr. 2 LJKG auch für die gerichtskostenpflichtigen Verfahren nach § 197a SGG für sachgerecht gehalten, hätte er längst für eine Ergänzung des § 7 LJKG sorgen können. Dabei hat der Landesgesetzgeber durchaus auf Änderungen bundesrechtlicher Vorschriften gerade im LJKG reagiert. Insbesondere mit dem Vierten Gesetz zur Bereinigung des baden-württembergischen Landesrechts vom 04.05.2009 (GBl. BW S. 195 ff.) erfolgten umfangreiche Anpassungen, auch an die Vorschriften des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 05.04.2004 (BGBl. I S. 718 ff.). U.a. wurde mit Art. 3 dieses Gesetzes auch das LJKG geändert und u.a. an bundesrechtliche Vorschriften angepasst (s. LTDrs. BW 14/4110 S. 1, 2, 31). Dass der Landesgesetzgeber § 7 LJKG nicht an die Änderung des SGG durch das 6. SGGÄndG im Sinne der Erinnerungsführerin angepasst hat, spricht somit für einen fehlenden gesetzgeberischen Willen zur Ausweitung der Kostenfreiheit und damit für ein „beredtes Schweigen“ des Gesetzgebers, was die Annahme einer (unbeabsichtigten) Regelungslücke ausschließt.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass nach der von der Erinnerungsführerin selbst herangezogenen Literatur § 7 LJKG - als Ausnahmevorschrift - eng auszulegen sei und sich grundsätzlich - so auch die Ansicht des Erinnerungsgegners - einer Ausdehnung durch Analogie entziehe (Böhringer/Falk, Landesjustizkostengesetz Baden-Württemberg, 8. Auflage, § 7 Rdnr. 4; ebenso OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.09.1998, 8 W 486/98, in juris).“

Hieran hält der Senat nach Überprüfung fest. Auch wenn zutreffend sein mag, dass die hier streitige Problematik bisher nicht Gegenstand einer parlamentarischen Beratung im Landtag von Baden-Württemberg gewesen ist, ändert dies nichts daran, dass die Untätigkeit des Landesgesetzgebers angesichts der bekannten Änderung durch Einführung des § 197a SGG auf einen fehlenden gesetzgeberischen Willen zur Ausweitung der Kostenfreiheit schließen lässt. Es ist in einer derartigen Situation nicht Aufgabe der Gerichte, zur Vermeidung vermeintlicher Wertungswidersprüche innerhalb der gesetzlichen Regelungen quasi als Ersatzgesetzgeber tätig zu werden.

Auch im Übrigen ist der Kostenansatz rechtmäßig. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG werden die Kosten des Rechtsmittelverfahrens - hier der beim Landessozialgericht Baden-Württemberg anhängig gewesenen Berufung - bei dem Rechtsmittelgericht angesetzt. Gegenstand des Kostenansatzes ist u.a. die Berechnung der Gerichtskosten und die Feststellung des Kostenschuldners (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Kostenverfügung). Nach § 34 GKG i.V.m. der Gebührentabelle (Anlage 2 zum GKG) beträgt die Gebühr bei dem hier festgesetzten Streitwert 108.942,07 €. Da nach KV Nr. 7120 für das Berufungsverfahren im Allgemeinen 4,0 Gebühren anfallen und die Ermäßigungstatbestände der KV Nrn. 7121 und 7122 (Fälle der Erledigung der Berufung ohne streitiges Urteil) nicht vorliegen, beträgt die Verfahrensgebühr 4.104 €. Zuzüglich der Pauschale für Zustellungen (37 x 3,50 €) ergeben sich Gerichtskosten in Höhe von insgesamt 4.233,50 €. Die Gebührenfestsetzung als solche ist somit korrekt. Einwände macht die Erinnerungsführerin auch nicht geltend.

Die Entscheidung zu den Gebühren und Kosten beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).




 

Rechtskraft
Aus
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