Zum Anspruch auf Versorgung mit einer LDL-Apherese bei isolierter Lp(a) Erhöhung nach Ziffer 1 § 3 der Anlage I der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung Um das Votum der beratenden Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung (Apherese-Kommission), dem eine rechtliche Bindung nicht zukommt (vgl. Urteil vom 5. November 2022 - L 16/4 KR 536/19 Revision anhängig BSG B 1 KR 40/22 R), zu entkräften, bedarf es gewichtiger Gründe. Bei Vorliegen solcher Gründe ist die Entscheidung der Kommission im gerichtlichen Verfahren durch die Einholung von Sachverständigengutachten überprüfbar. Im zu entscheidenden Fall lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Befürwortung durch die Apherese-Kommission die medizinischen Voraussetzungen des § 3 Abs 2 der Anlage I (isolierte Lp(a) Erhöhung, LDL im Normbereich) nicht vor. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 3 Abs 2 wird der Apherese-Kommission kein Ermessen im Sinne einer Gesamtbetrachtung eröffnet, die Formulierung können nur beinhaltet vielmehr eine Restriktion. Von einer isolierten Lp(a) Erhöhung ist unter Berücksichtigung der Tragenden Gründe zum Beschluss des GBA vom 19. Juni 2008 dann auszugehen, wenn alle anderen lipidologischen Risikofaktoren entweder nie vorlagen oder adäquat behandelt worden sind.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. Mai 2020 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für die Versorgung des Klägers mit einer extrakorporalen Lipid-Apherese.
Im Mai 2016 fielen dem 1960 geborenen Kläger blaue Zehen auf mit Schmerzen in den Füßen. Nach stationärer Aufnahme am 11. Mai 2016 wurde eine ausgeprägte Stenose der distalen Aorta abdominalis diagnostiziert, die im Anschluss mit einer sogenannten aortoiliakalen Y-Prothese operativ versorgt wurde zur Wiederherstellung der Durchblutung der unteren Extremitäten. Am 30. November 2016 erlitt der Kläger einen Hinterwandinfarkt, der letztendlich zu einer Bypassoperation führte. Im März 2017 ereignete sich ein erneuter nicht-transmuraler Herzinfarkt. Kardiologisch zeigte sich eine Wandverdickung der linken Herzkammer als Ausdruck eines Hochdruckherzens. Der Kläger erhält seit Sommer 2018 fortlaufend eine Lipid-Apherese- Behandlung (Schriftsatz der Beklagten vom 9. November 2020).
Am 12. Februar 2018 beantragte der behandelnde Arzt für den Kläger bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) die Genehmigung zur Lipid-Apherese. Bei dem Kläger sei seit 2016 eine Fettstoffwechselstörung bekannt mit schwerer diffuser Atherosklerose. Das Lipoprotein a <Lp(a)> wurde mit 206 mol/l angegeben; das LDL mit 118 mg/dl und die Triglyceride mit 195 mg/dl.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 setzte die KVN die Beklagte davon in Kenntnis, dass der Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie Dr J. (Medizinisches Versorgungszentrum –K.) für den Kläger einen Antrag auf Genehmigung zur Durchführung der Apherese gestellt habe. Es handele sich um einen Erstantrag. Unter dem 8. März 2018 teilte die KVN der Beklagten mit, dass die Apherese Kommission die Indikation zur Apherese gestellt und die Behandlung und Durchführung befürwortet habe. Die antragstellende Praxis sei über das Ergebnis mit dem Hinweis informiert worden, dass die Behandlung erst nach Vorlage des Leistungsbescheides durchgeführt werden könne.
Die Beklagte teilte dem Versicherten mit, dass sie im Rahmen der Entscheidung über den Leistungsantrag noch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) benötige. Der MDK kam in seiner Stellungnahme vom 27. März 2018 (Dr L., Internist/Nephrologe) zu der Beurteilung, dass der Blutdruck mit Werten von 160/80 mm Hg ebenso wie die Triglyceride mit 195 mg/dl bei einem Normwert von 150 mg/dl nicht hinreichend eingestellt seien. Auch das LDL-Cholesterin sei nicht im Leitlinienbereich der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) bzw der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC). Dieser liege bei 70 mg/dl und für den Kläger sei ein Wert von 118 mg/dl angegeben worden. Zudem sei der Body Maß Index (BMI) mit 32 weit oberhalb des Zielwertes gemäß der Adipositas-Leitlinie. Alle vier genannten Faktoren widersprächen den Vorgaben der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (Methoden-RL) Anlage I. Zudem bestünden vorliegend Therapiealternativen wie Ernährungsmedizin, Triglycerinsenkung, ausreichende Blutdruck- und LDL-Einstellung.
Mit Bescheid vom 9. April 2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme für eine Apherese-Behandlung ab. Die Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung sei erst nach Genehmigung durch die KVN zulässig. Diese richte zur Bewertung der Indikationsstellung zur Apherese fachkundige Kommissionen ein. Dadurch sei eine qualitätsgesicherte Bewertung der Anträge sichergestellt. Nach Prüfung der Indikationsstellung durch den MDK könne einer Behandlung des Klägers mit LDL-Apherese nicht zugestimmt werden. Der MDK habe festgestellt, dass die diätische/medikamentöse Therapie nicht vollständig ausgeschöpft sei und der Kläger selbst noch besser mitwirken sollte bei der Therapie.
Im Widerspruchverfahren holte die Beklagte die Stellungnahme des MDK vom 22. Mai 2018 ein. Dort bestätigte der Internist M. die Erstbeurteilung. Bei einem unzureichend eingestellten BMI plus Bluthochdruck plus LDL von 118mg/dl und Hypertriglyceridämie bestehe sicher keine Ultima Ratio nach der Methoden-RL. Der statistisch schlechter als die allgemein akzeptierten konventionellen Risikofaktoren belegte Surrogatparameter Lp(a) sei fachlich und auch nach der Methoden-RL nachrangig. Ein Erfordernis für einstweiligen Rechtsschutz zur technischen Lp(a)-Absenkung sei aus medizinischer Sicht angesichts wirkungsvollerer Optionen nicht indiziert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die streitige ambulante Behandlung – LDL-Eliminationsbehandlung/Lipid-Apherese-Therapie – sei eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Diese dürfe zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Der GBA habe für die ambulante Durchführung der Apherese als extrakorporales Hämotherapieverfahren bereits eine Empfehlung abgegeben. Danach könnten LDL-Apheresen nur durchgeführt werden bei Patienten
- mit familiärer Hypercholesterinämie in homozygoter Ausprägung
- mit schwerer Hypercholesterinämie, bei denen grundsätzlich mit einer über 2 Monate dokumentieren maximalen diätischen und medikamentösen Therapie das LDL-Cholesterin nicht ausreichend gesenkt werden kann
- mit isolierter Lp(a)- Erhöhung über 60mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrosakuläre Erkrankungen).
Im Vordergrund der Abwägung der Indikationsstellung solle dabei das Gesamtrisikoprofil des Patienten stehen.
Ein Fall einer unaufschiebbaren Leistung im vorgenannten Sinne liege hier nicht vor. Die Beklagte habe die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Die KVN habe unter dem 8. März 2018 mitgeteilt, dass die Indikation zur Apherese gestellt sei und die Behandlung und Durchführung befürwortet werde. Demgegenüber habe der MDK in seinen Stellungnahmen ausgeführt, dass die Bedingungen der Methoden-RL nicht erfüllt seien. Die diätische/medikamentöse Therapie sei nicht vollständig ausgeschöpft und es mangele an der Compliance des Patienten. Für die Entscheidung der Beklagten seien die Gutachten des MDK ihrem Zweck entsprechend in medizinischer Hinsicht richtungsweisend. Eine entsprechende Indikation liege daher nicht vor.
Der Kläger hat am 8. Mai 2018 beim Sozialgericht (SG) Hannover den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt (Az S 11 KR 616/18 ER). Im Eilverfahren hat die KVN auf Anforderung des Gerichts die Beurteilungsbögen LDL-Apherese gem Anlage I Methoden- RL zum Patientenpseudonym des Klägers vorgelegt.
Der Kläger hat am 19. Juni 2018 Klage beim SG erhoben, gerichtet auf die Versorgung mit einer extrakorporalen Lipid-Apherese. Die Voraussetzungen nach der Methoden-RL seien erfüllt. Bei ihm bestehe unstreitig eine isolierte Lp(a)-Erhöhung sowie nach medikamentöser Therapie ein im Normbereich liegender LDL-Wert. Der progrediente Krankheitsverlauf zeige sich durch die stattgehabten kardiovaskulären Ereignisse in 2016 und 2017. Da es sich bei isolierter Lp(a)-Erhöhung um einen eigenständigen medikamentös und diätetisch nicht zu behandelnden Risikofaktor handele, sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Bedingungen der Methoden-RL nicht erfüllt seien. Die isolierte Lp(a)-Erhöhung sei stets therapierefraktär. An der Compliance des Klägers scheitere die Indikation keinesfalls.
Mit Beschluss vom 9. Juli 2018 hat das SG die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig verpflichtet, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in erster Instanz, längstens jedoch für ein Jahr, eine regelmäßige extrakorporale Lipid-Apherese zu gewähren. Zwar bestehe kein Anhalt für den Progress der koronaren Herzerkrankung; es bestünden jedoch wieder Beschwerden im Rahmen der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Die von der Apherese Kommission abweichende Beurteilung des MDK überzeuge nicht. Unrichtigerweise würden in den Gutachten des MDK die Indikationen gemäß § 3 Abs 1 und Abs 2 der Richtlinie vermengt. Nicht nachvollziehbar sei die Beurteilung, der statistisch schlechter als die allgemein akzeptierten konventionellen Risikoparameter belegte Surrogatparameter Lp(a) sei fachlich und auch nach der Methoden- RL nachrangig. Ein Erfordernis für einstweiligen Rechtsschutz zur technischen Lp(a)- Absenkung sei aus medizinischer Sicht angesichts wirkungsvollerer Optionen (Einstellung des BMI, des Bluthochdrucks, des LDL und der Hypertriglyceridämie) nicht indiziert.
Die Beklagte hat im Klageverfahren das Gutachten des MDK vom 28. August 2019 vorgelegt. Dort kommt der Internist M. zu der Beurteilung, dass ein Progress der kardiovaskulären Erkrankung unter eingestellten konventionellen kardiovaskulären Risikofaktoren nicht vorliege.
Mit Gerichtsbescheid vom 12. Mai 2020 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2018 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ab 9. Juli 2018 für ein Jahr eine regelmäßige extrakorporale Lipid-Apherese zu gewähren. Die von der Apherese Kommission abweichende Beurteilung der Beklagten überzeuge nicht. Unrichtigerweise würden im Gutachten des MDK die Indikationen gemäß § 3 Abs 1 und Abs 2 der Richtlinie vermengt. Darauf, ob das LDL-Cholesterin durch maximale diätetische und medikamentöse Therapie nicht ausreichend gesenkt werden könne, komme es bei einer Indikation nach § 3 Abs 2 der Richtlinie gerade nicht an. Die neuen Absätze 1 bis 3 von § 3 der Richtlinie grenzten die drei darin genannten Indikationen (Hypercholesterinämie, isolierte Lp(a)-Erhöhung und rheumatoide Arthritis) als eigenständige Regelungsbereiche voneinander ab. Der Satz: „im Vordergrund der Abwägung der Indikationsstellung soll dabei das Gesamtrisikoprofil des Patienten stehen.“ sei allein dem Absatz 1 zuzuordnen. Nicht nachvollziehbar sei ferner die Begründung des MDK im Gutachten vom 22. Mai 2018, der statistisch schlechter als die allgemein akzeptierten konventionellen Risikofaktoren belegte Surrogatparameter Lp(a) sei fachlich und auch nach Methoden-RL nachrangig; ein Erfordernis für einstweiligen Rechtsschutz zur technischen Lp(a)-Absenkung sei aus medizinischer Sicht angesichts wirkungsvollerer Optionen nicht indiziert. Die maßgebliche Richtlinie gebe den aktuellen Stand der allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnisse wieder. Danach sei der Surrogatparameter Lp(a) nicht nachrangig. Zwar bestehe nach den vorliegenden Arztbriefen aus Januar 2018 kein Anhalt für einen Progress der koronaren Herzerkrankung; allerdings hätten wieder Beschwerden im Rahmen der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit – pAVK – vorgelegen (siehe Arztbrief Dr N. vom 17. Januar 2018), die die Behandlung rechtfertigten (siehe Antrag vom 12. Februar 2018 und Stellungnahme Dr O., KVN, vom 25. Februar 2018).
Gegen den ihr am 25. Mai 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 23. Juni 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Die Entscheidung der Apherese Kommission sei evident falsch. Das SG verkenne, dass nach Anlage 1 Nr 1 Methoden-RL eine extrakorporale LDL-Apherese nur durchgeführt werden könne bei einer isolierten Lp(a)–Erhöhung über 60mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter und progredienter kardiovaskulärer Erkrankung. In der Rechtsfolge bedeute dies, dass kumulativ alle drei vom GBA festgelegten Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung im Sinne einer Ultima Ratio erfüllt sein müssten. Diese Voraussetzungen für eine Gewährung der Versorgung hätten eindeutig nicht vorgelegen. Die Ansicht des Klägers, allein der Lp(a)–Wert begründe bereits die Indikation der LDL-Apherese, sei rechtsirrig.
Das LDL- Cholesterin des Klägers habe am 17. Januar 2018 bei 123 mg/dl gelegen und am 25. Februar 2018 bei 118 mg/dl. Am 31. August 2019 sei auf dem Kongress ESC und Atherosklerose (EAS) die neue Lipid-Leitlinie präsentiert worden. Sie empfehle LDL-Cholesterin- Zielwerte auf Basis einer Risikoverteilung. Beispielsweise für Patienten mit einem sehr hohen kardiovaskulären Risiko – wie beim Kläger – das Erreichen eines LDL-Cholesterin- Wertes unter 55 mg/dl und eine Senkung um mindestens 50%, um das kardiovaskuläre Gesamtrisiko zu senken. Der alte Wert habe bei 70 mg/dl gelegen. In der neuen ESC/EAS-Leitlinie werde nun auch das Lp(a) als unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor gesehen. Maßgeblich sei, ob die Atherosklerose trotz Eskalation des LDL-Cholesterins weiter fortschreite, also progredient sei.
Die Beratungen des GBA für den Beschluss der Methoden-RL 2008 hätten sich gezielt auf die schwere isolierte Erhöhung des Lipoproteins (a) ohne Vorliegen anderer gesicherter Risikofaktoren für atherosklerotische Erkrankungen, insbesondere (aber nicht ausschließlich) ohne LDL-Erhöhung bezogen. Bereits die Ausführung des SG, der LDL-Cholesterinwert von 118 mg/dl liege im Normbereich, treffe nicht zu. Der GBA habe den Kommissionen der jeweiligen KVen mit der Prüfung der Indikationen ein hohes Maß an Verantwortung übertragen, die ausdrücklich auch dem Patientenschutz diene. Diese Verantwortung begründe jedoch nicht das Recht, die Indikationen der Methoden-RL nach eigenem Ermessen auszulegen und eine Leistungsausweitung in nicht unerheblichem Maße zu begünstigen.
Zudem habe das SG verkannt, dass sich die Jahresfrist für die genehmigte Apherese-Behandlung auf den Zeitraum ab Befürwortung durch die Apherese Kommission, also ab 8. März 2018, beziehe. Die Apherese-Therapie erfolge seit dem 7. März bzw 9. Juli 2019 ohne eine Befürwortung durch die Apherese Kommission und ohne Leistungsbescheid der Beklagte. Daher sei eine Progredienz des Krankheitsverlaufs unter der seit Sommer 2018 laufenden Lipid-Apherese-Therapie eingetreten.
Der Sachverständige Dr P. habe in seinem Gutachten eine isolierte Lp(a)- Erhöhung verneint. Ein 30%iger Abzug des Lp(a)-Anteils vom LDL-Cholesterinwert finde offenbar ausschließlich dann statt, wenn die gemessenen LDL-Cholesterinwerte keine Indikation für eine Lipid-Apherese böten. In der ärztlichen Praxis sei die aufgebauschte Thematik bedeutungslos. Die zielwertorientierte Behandlung des LDL-Cholesterins gemäß ESC-/EAS-Leitlinie erfolge in der Praxis ausschließlich anhand der unbereinigten Werte. Auch bei Berechnung des LDL-Cholesterins mit einem 30%igen Abschlag würde das LDL-Cholesterin nicht im Zielbereich liegen (118 mg/dl - <85,8 mg/dl x 0,30 >= 118 mg/dl – 25,74 mg/dl = 92,26 mg/dl). Die weitergehenden Ausführungen von Dr P., dass trotzdem unter Würdigung des Gesamtrisikos eine Lipid Apherese indiziert sei, würden sich außerhalb der Methoden-RL bewegen. Zudem bestünden inhaltliche Widersprüche zwischen seinen Ausführungen im Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 12. Mai 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass es sich bei den Vorgaben der Methoden-RL um eine Ermessensentscheidung handele; es gehe nicht darum, die Voraussetzungen, wie sie in der Richtlinie normiert seien, juristisch Punkt für Punkt abzuhaken. Zurzeit stünden in Deutschland keine Medikamente zur Verfügung, die die Lp(a)- Konzentration senken könnten.
Die seit vielen Jahren bei ihm bestehende Atherosklerose habe 2016 zu einer 2-Gefäß-KHK mit erneutem Infarkt 2017 (Bypass) sowie einer pAVK mit Y-Prothese 2016 und erneuter Beinvenenthrombose 7/2017 geführt und sei erst 2018 nicht nochmals progredient verlaufen. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass hier kein progredienter Krankheitsverlauf vorliege, sei sinnentleert. Den vorgelegten ärztlichen Unterlagen sei zu entnehmen, dass er sowohl 2019 als auch 2020 eine Verschlechterung seiner Gefäßsituation im Rahmen der peripheren Verschlusskrankheit erlitten habe und sich mehrfach in stationäre Behandlung begeben musste.
Für die Berechnung des LDL- Cholesterin sei ein 30%iger Abschlag für das Lp(a) vorzunehmen. So berechnet, habe sein LDL-Cholesterin bei einem Wert von 82,6 mg/dl gelegen. In diesem Zusammenhang hat der Kläger die Stellungnahme der KVN vom 13. Juli 2022, die eine andere Patientin betrifft, vorgelegt. Dort heißt es: „Für die Betrachtung, ob von einer isolierten Lp(a)- Erhöhung auszugehen ist, werden vom GBA nicht die Ziel- LDL-C- Werte gefordert. In Fachkreisen gilt, dass von einer isolierten Lp(a)-Erhöhung auszugehen ist, wenn der LDL-C-Wert < 100 mg/dl nach Abzug des Cholesterinanteils aus dem Lp(a) ist. Bei den üblichen Methoden zur Bestimmung des LDL-Cholesterins wird das im Lp(a) transportierte LDL-cholesterin zugerechnet. Die Korrekturrechnung des LDL-C-Wertes bei vorliegender Lp(a)-Erhöhung ist allgemeiner Standard in Fachgremien und wissenschaftlichen Arbeiten …“.
In der Methoden-RL fehle eine Definition der „isolierten“ Lp(a)-Erhöhung. Vor diesem Hintergrund erschließe sich die Einschätzung des Sachverständigen Prof Dr Q. nicht, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt bei ihm Kläger keine isolierte Lp(a)- Erhöhung vorgelegen habe. Diesbezüglich lasse das Gutachten eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des GBA vermissen. Erstaunlich sei, dass Prof Dr Q. für die Berechnung des LDL-Cholesterins eine Korrektur ablehne. Die pauschale Behauptung, eine Korrektur des LDL-Cholesterin- Wertes sei nicht vorgesehen, könne nicht überzeugen. Eine argumentative Auseinandersetzung mit der offensichtlich kontroversen Auffassung etwa der Apherese Kommission finde nicht statt. Die vom Sachverständigen benannten Werte für das LDL-Cholesterin zwischen 118 und 157 mg/dl seien den Akten nicht zu entnehmen. Es stehe zu vermuten, dass eine ausführliche Sichtung der Verfahrensakten nicht erfolgt sei.
Ergänzend hat der Kläger die Stellungnahmen seines behandelnden Facharztes Dr R. vom 30. März und 27. März 2023 vorgelegt. Dort wird ausgeführt, dass die LDL-Cholesterin-Werte in den letzten Jahren durchweg unter 55mg/dl gelegen hätten. Der Kläger sei bereits im Jahr 2016 mit Pravastatin 20mg behandelt worden und habe 2017 über Muskelschmerzen geklagt. Im Jahr 2018 sei der Kläger wegen nicht ausreichender LDL-Absenkung auf Atorvastatin 40 mg umgestellt worden trotz Muskelschmerzen. Wegen der anhaltend ausgeprägten Muskelschmerzen sei die Dosis nicht auf 80 mg erhöht worden. Darüber hinaus reicht der Kläger den Arztbrief des Kardiologen N. vom 12. Dezember 2022 sowie den Arztbrief der Röntgenpraxis S. vom 27. Februar 2023 ein.
In ihrer Replik stellt die Beklagte in Bezug auf die behauptete Statinunverträglichkeit fest, dass sich in den Unterlagen keine UAW (unerwünschte Arzneimittelwirkung)- Meldung finde, die bei den angegebenen unerwünschten Nebenwirkungen der verordneten Statine Teil des ärztlichen Antrags hätte sein müssen. Unter Hinweis auf die vorgelegten Fachartikel bestehe in der Fachwelt Konsens, dass es sich bei den für den Kläger beschriebenen Nebenwirkungen der Statine in der Regel um keine reale Nebenwirkung des Statins, sondern oftmals um einen Nocebo-Effekt handele. Die Therapierichtlinien gäben klare Empfehlungen, wie in einem solchen Fall vorzugehen sei, um die Therapieziele dennoch zu erreichen. Sofern die verschiedenen Statine tatsächlich vom Kläger nicht toleriert würden, stünde als Therapiealternative der Einsatz eines PCSK9- Hemmers zur Verfügung.
Der Senat hat das Gutachten des Oberarztes der Klinik für allgemeine und interventionelle Kardiologie/Angiologie Dr P. vom 6. September 2022 nebst ergänzender Stellungnahme vom 3. November 2022 eingeholt. Darüber hinaus hat der Senat das Gutachten von Prof Dr Q. vom 13. Februar 2023 eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten L 16 KR 252/20 und der Akte des SG Hannover S 11 KR 616/18 ER und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung geworden.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet. Der Senat vermag sich der Beurteilung durch das SG nicht anzuschließen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Lipid-Apherese.
1. Der streitgegenständliche Zeitraum ist auf die Zeit bis zum 7. März 2019 begrenzt. Gemäß § 8 Abs 1 der Anlage I Ziff 1 Methoden-RL ist die Genehmigung zur Durchführung der LDL-Apherese im Einzelfall jeweils auf ein Jahr zu befristen und erforderlichenfalls ein neues Genehmigungsverfahren einzuleiten. Die Befürwortung der Apherese Kommission datiert vom 8. März 2018 und läuft demgemäß am 7. März 2019 ab. Dieses Zeitfenster wird vom SG nicht berücksichtigt. Der im Gerichtsbescheid tenorierte Zeitraum ab 9. Juli 2018 für 1 Jahr (also bis zum 8. Juli 2019) ist ab 7. März 2019 nicht mehr von der notwendigen Befürwortung der Apherese Kommission gedeckt, zumal ein Folgeantrag erst im Jahr 2022 gestellt wurde. Daher war der angefochtene Gerichtsbescheid schon aus diesem Grund aufzuheben.
Da Streitgegenstand damit eine Leistung in der Vergangenheit ist, die die Beklagte aufgrund der Verurteilung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Beschluss des SG Hannover vom 9. Juli 2018) bereits vorläufig gewährt hatte, ist statthafte Klageart die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R –, BSGE 122, 181-191, SozR 4-2500 § 2 Nr 6, Rn 9). Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache, der Versagung des Anspruchs des Versicherten auf die Gewährung einer Lipid- Apherese. Vielmehr soll der Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" festgestellt werden. Das für eine Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse ist zu bejahen (BSG, aaO). Der Kläger bedarf, um nicht Gefahr zu laufen, einer Erstattungsforderung der Beklagten ausgesetzt zu sein, der Feststellung (§ 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetzes SGG-), dass die Beklagte die Leistungen zu Recht erbrachte. Eine Erstattung "zu Unrecht" erbrachter Leistungen nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 Zivilprozessordnung (ZPO)/ggf § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) scheidet dann aus (vgl dazu BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 12; BSG Urteil vom 13. Dezember 2016 - B 1 KR 1/16 R – Rn 8). Das Feststellungsinteresse beschränkt sich damit allerdings auf die Zeit ab tatsächlicher Leistungserbringung im Juli 2018 (vgl Senatsurteil vom 15. November 2022, - L16/4 KR 536/19).
2. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 9. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2018 war rechtmäßig. Die Beklagte hat einen Anspruch auf Versorgung mit der begehrten Lipid-Apherese zu Recht verneint.
a) Gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die jeweiligen Leistungen dürfen aber nicht in einer beliebigen Qualität erbracht werden, sondern § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V bestimmt, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß § 135 Abs 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern und über die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Dies ist in der Anlage I Ziffer 1 der Method-RL geschehen.
Gemäß § 2 Abs 1 Methoden-RL ist die Richtlinie nach § 91 Abs 9 SGB V für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer, für die gesetzlichen Krankenkassen und deren Versicherte verbindlich.
Ziffer 1 der Anlage I regelt die ambulante Durchführung der Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren. § 3 der Ziff 1 Anlage I führt mit Hypercholesterinämie, isolierter Lp(a)-Erhöhung und aktiver rheumatoider Arthritis abschließend die Indikationen auf, für die Apheresen zugelassen sind. Gemäß § 3 Abs 2 können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen). § 1 Abs 2 stellt zudem klar, dass für die in § 3 genannten Krankheitsbilder in der vertragsärztlichen Versorgung idR hochwirksame medikamentöse Standardtherapien zur Verfügung stehen, so dass Apheresen nur in Ausnahmefällen als „Ultima Ratio“ bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden sollen.
Apheresen dürfen dabei nur von besonders qualifizierten Medizinern durchgeführt werden, die zunächst eine Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durch die Kassenärztliche Vereinigung erwirken müssen. Die Genehmigung ist nur Ärztinnen und Ärzten mit der Facharztbezeichnung „Innere Medizin und Nephrologie“, „Innere Medizin“ mit Schwerpunktbezeichnung „Nephrologie“ oder „Kinder- und Jugendmedizin“ mit der Zusatzbezeichnung „Kinder-Nephrologie“ sowie solchen Ärztinnen und Ärzten zu erteilen, die hinreichende Erfahrungen mit Apheresen aufweisen (§ 2 Abs 1).
Darüber hinaus macht die Richtlinie die Apherese-Behandlung von einem vorherigen Genehmigungsverfahren abhängig. Die Kassenärztlichen Vereinigungen richten dabei zur Beratung der Indikationsstellungen zur Apherese fachkundige Kommissionen ein, an denen je Kommission insgesamt zwei von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen benannte fachkundige Ärzte des MDK beratend teilnehmen (§ 6 Abs 1). Zur Prüfung durch die Kommission nach Absatz 1 legt der indikationsstellende Arzt für jeden Einzelfall die vollständige Dokumentation gemäß § 5 und die ergänzende medizinische Beurteilung gemäß § 4 vor (§ 6 Abs 2 Satz 1), wobei § 5 umfangreiche Informationen zur Indikationsstellung wie die Begründung, Angaben zu Art und Umfang vorliegender Erkrankungen, bisherige Therapiemaßnahmen und Nachweise von bildgebenden Dokumentationen und Laborparametern vorsieht und § 4 ergänzende kardiologische/angiologische und lipidologische Beurteilungen. Bei der Beratung der Einzelfall-Indikation hat die Kommission der leistungspflichtigen Krankenkasse Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und ihr zu bestätigen, dass die für ihre Entscheidung notwendigen Befunde vorgelegen haben (§ 6 Abs 3 Satz 1). Über das Beratungsergebnis unterrichtet die Beratungs-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung die leistungspflichtige Krankenkasse unter Angabe des Pseudonyms (§ 6 Abs 3 Satz 2). Die Krankenkasse informiert ihrerseits den Versicherten über das Beratungsergebnis (§ 6 Abs 3 Satz 4). Die Durchführung und Abrechnung der Apherese im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ist in jedem Einzelfall erst dann zulässig, wenn die leistungspflichtige Krankenkasse dem Versicherten einen Leistungsbescheid erteilt hat (§ 7).
b) Die Voraussetzungen für die Genehmigung durch die Beklagte waren beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfüllt. Das Vorliegen eines positiven Votums der Kommission allein genügt dazu nicht (dazu unter aa). Der Kläger erfüllte die medizinischen Voraussetzungen für eine Lipid-Apherese nach der Methoden- RL nicht (dazu unter bb).
aa) Die Apherese Kommission der KVN hat auf Grundlage der vom behandelnden Internisten/Nephrologen Dr Axel R. für den Kläger am 8. März 2018 übersandten Unterlagen die Indikation zur Apherese gestellt und die Behandlung und Durchführung befürwortet. Damit liegt ein positives Votum der Kommission vor. Allerdings ist die beklagte Krankenkasse bei der von ihr zu treffenden Leistungsentscheidung rechtlich nicht an das Beratungsergebnis der Apherese Kommission gebunden. Sie darf die Kommissionsentscheidung auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit überprüfen (so im Ergebnis auch Knispel in NZS 2023, Seite 300 ff). Dazu hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 15. November 2022 (- L 16/4 KR 536/19 -) grundlegend ausgeführt:
„Eine so weitreichende Folge der Kommissionsentscheidung lässt sich der Ziff 1 der Anlage I der Methoden-RL nicht entnehmen. § 6 Abs 1 spricht lediglich von „beratenden Kommissionen“ und der „Beratung der Indikationsstellungen“ bzw der „Beratung der Einzelfall-Indikation“. Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Krankenkassen abgesehen von der (unverbindlichen) Möglichkeit zur Stellungnahme an der Entscheidungsfindung der Kommissionen nicht beteiligt sind und lediglich über das Ergebnis des Beratungsergebnisses informiert werden. Diese Einschränkung bezieht sich jedoch lediglich auf das Beratungsverfahren selbst und sagt über die Verbindlichkeit der Kommissionsentscheidung für den Leistungsbescheid der Krankenkasse nichts aus. Auch bei der Einschaltung des MDK in anderen Leistungsfällen prüft dieser selbstständig und teilt der Krankenkasse das Prüfergebnis mit, ohne dass es der Kasse (rechtlich) verwehrt wäre, in ihrer Leistungsentscheidung gegenüber dem Versicherten zu einer anderen Entscheidung zu gelangen. In den Tragenden Gründen zum Änderungsbeschluss der Richtlinie vom 17. Juli 2014 (Inkrafttreten zum 3. Oktober 2014), in dessen Vorwege das Bundesgesundheitsministerium um Überprüfung gebeten hatte, ob die festgelegte Vorabprüfung bei Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung noch erforderlich oder ob stattdessen eine vollständige Aufgabenübertragung auf den MDK oder eine nachgelagerte Qualitätssicherheitsmaßnahme nach § 137 SGB V möglich sei, kam der GBA zu dem Schluss, dass aus Gründen der Qualitätssicherung auf eine Vorabprüfung der Indikationsstellung nicht verzichtet werden könne. Eine fachliche Prüfung der korrekten Indikationsstellung sei für diese Ultima-Ratio-Therapie regelhaft notwendig; eine nachgelagerte Prüfung würde diesem Sachverhalt in Bezug auf den individuellen Patienten nicht gerecht werden. Diese Prüfung könne nur gewährleistet werden, wenn daran in der Durchführung von Apheresen erfahrene Ärzte beteiligt seien. Der MDK sei bereits nach der bisherigen Regelung an den beratenden Kommissionen beteiligt. Eine Übertragung dieser Aufgabe allein an den MDK scheide jedoch nicht zuletzt mit Blick auf das vorgenannte Erfordernis der laufenden Abstimmung mit praktisch tätigen Experten auf diesem Gebiet aus. Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass im Zusammenhang mit der komplexen, fachlich anspruchsvollen Prüfung der Aphereseindikation eine vorherige Prüfung durch mit der Materie vertraute Mediziner ermöglicht werden soll. Beabsichtigt ist jedoch kein Weniger, sondern im Gegenteil ein Mehr an Prüfung, indem nicht der MDK allein, sondern eine ganze Kommission eingesetzt wird. Eine beabsichtigte Einschränkung der Kompetenzen der Krankenkassen ist hierin nicht zu erblicken. Soweit der Senat im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes hier zunächst eine Bindung an das Votum der Kommission vorläufig angenommen hat (Beschlüsse vom 26. Februar 2018 – L 16 KR 52/18 B ER – und 22. April 2020 – L 16 KR 153/20 B ER) hält er hieran – jedenfalls für den Fall eines positiven Votums – in dieser Form nicht mehr fest.
Eine andere Auslegung von § 6 Abs 1 würde auch einen Verstoß der Methoden-RL gegen die Ermächtigungsgrundlage bedeuten. Die Krankenkassen sind gemäß § 275 Abs 1 Satz Nr 1 SGB V in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Es handelt sich insoweit bei den Kriterien um unbestimmte Rechtsbegriffe, die den Krankenkassen einen entsprechenden Beurteilungsspielraum einräumen. Die Krankenkassen haben also nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen, ob nach den genannten Kriterien eine Begutachtung erforderlich ist (Scholz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 275 SGB V (Stand: 15. Juni 2020), Rn 14). Nr 1 bezieht sich dabei als Generalklausel auf alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (Scholz aaO). Die Erforderlichkeit kann zB in der Optimierung der Leistungsgewährung oder in der Abwehr unberechtigter Leistungsbegehren begründet sein (BayLSGUrt vom 23. September 1998 – L 12 KA 533/96). Das Verfahren dient der Prüfung, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1) gewahrt ist (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 – 1 KR 27/13 R, NZS2015, 136 Rn 23; Krauskopf/Knittel SGB V § 275 Rn 8). Zur Einschränkung dieser originären Aufgabe der Krankenkasse ist der GBA nicht befugt. Der GBA steuert über seine Richtlinien zwar, unter welchen Voraussetzungen die zur ambulanten oder stationären Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen, und konkretisiert gleichzeitig den Umfang der den Versicherten von ihrer Krankenkasse geschuldeten medizinischen Leistungen, dabei muss er sich aber im Rahmen seiner Ermächtigungsgrundlage halten und die maßgeblichen Verfahrens- und Formvorschriften sowie die Grenzen des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums beachten (BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 – B 6 A 1/08 R –, BSGE 103, 106-134, SozR 4-2500 § 94 Nr 2, SozR 4-2500 § 137c Nr 4, SozR 4-1500 § 10 Nr 2, Rn 45).
Allerdings ist die Komplexität des Genehmigungsverfahrens und die besondere Kompetenz der Apherese Kommission in tatsächlicher Hinsicht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen zu berücksichtigen. Kommt ein mehrköpfiges Gremium, in dem sowohl in der Apherese fachkundige Ärzte als auch MDK-Ärzte vertreten sind, bei der Bewertung der umfangreichen Antragsunterlagen eines ebenfalls in der Apherese besonders versierten und gesondert zugelassenen Arztes zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Anforderungen an eine Apherese vorliegen, so kann diese Einschätzung regelmäßig nicht durch ein einfaches (weiteres) MDK-Gutachten widerlegt werden. Denn das Genehmigungsverfahren trägt der Einhaltung der Anforderungen an eine Apherese unter Beachtung des ultima-ratio-Charakters der Therapie bereits in besonderer Weise Rechnung. Hierauf weist auch der GBA in seinen Tragenden Gründen zum Beschluss vom 17. Juli 2014 hin, indem er ausführt, dass sich das Verfahren über den Lauf der Jahre bewährt habe, was sich unter anderem daran ablesen lasse, dass die Ablehnungsquoten bei Folgeanträgen im Vergleich zu denen von Erstanträgen niedriger seien. Dies weise auf eine sorgfältige und zutreffende Prüfung der Indikationsstellung von Erstanträgen hin. Auch eine Beteiligung des MDK hat im Genehmigungsverfahren bereits stattgefunden. „Beratend teilnehmen“ in § 6 Abs 1 bezieht sich lediglich auf die Tätigkeit der Kommission, die ebenfalls „zur Beratung der Indikationsstellungen“ eingerichtet ist. Innerhalb dieser Kommission haben die MDK-Mitglieder somit eine gleichberechtigte Stellung. Zur Entkräftung eines solch fachkundigen Votums bedarf es jedenfalls gewichtiger Gründe.“
bb) Solche gewichtigen Gründe liegen hier vor.
Nach Würdigung der im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten von Dr P. und Prof Dr Q. hat der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung durch die Kommission bzw der Leistungsentscheidung der Beklagten die medizinischen Voraussetzungen nach der Methoden-RL Anlage I Ziffer 1 nicht erfüllt. Es lag keine der in § 3 Methoden-RL Anlage I abschließend aufgeführten Indikationen vor.
Ausweislich der von der KVN im Eilverfahren eingereichten Beurteilungsbögen zum Patientenpseudonym des Klägers haben die Kommissionsmitglieder Dr T., Prof Dr U. und Dr O. übereinstimmend den Antrag unter der Indikation einer isolierten Lp(a)-Erhöhung befürwortet. Eine Begründung enthalten die Beurteilungsbögen nicht, da die Fragebögen in Niedersachsen nach Art eines multiples choice Verfahrens aufgebaut sind und im Falle einer Befürwortung bei Indikation nach § 3 Abs 2 der Anlage I Ziffer 1 Methoden-Richtlinie keinen Raum für eine Begründung vorsehen.
Dieser Beurteilung der Apherese Kommission kann nach dem Ergebnis der im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht gefolgt werden. Beide Sachverständige Dr P. und Prof Dr Q. haben in ihren Gutachten – insoweit übereinstimmend – bereits das Bestehen einer isolierten Lipoprotein(a)-Erhöhung ausdrücklich verneint. Der Senat folgt den schlüssigen Erläuterungen von Prof Dr Q. im Gutachten vom 13. Februar 2023, der einen Anspruch auf Lipid-Apherese verneint.
Dr P. hat in seinem Gutachten vom 6. September 2022 zwar das Bestehen einer isolierten Lipoprotein (a) Erhöhung verneint, die Voraussetzungen für eine Lipid-Apherese aber im Ergebnis bejaht. Die Ausführungen von Dr P. im Gutachten vom 6. September 2022 nebst ergänzender Stellungnahme vom 3. November 2022 bewegen sich aber außerhalb der für die vertragsärztliche Versorgung verbindlichen Methoden-RL. So diagnostiziert er beim Kläger eine kombinierte Hyperlipoproteinämie und bejaht unter dieser Diagnose einen Anspruch auf Lipid-Apherese. Eine kombinierte Hyperlipoproteinämie ist die Erhöhung von LDL-Cholesterin und von Triglycerinen (Standard der Therapeutischen Apherese 2018, Seite 29); diese Fettstoffwechselstörung ist von den in § 3 Methoden-RL abschließend aufgeführten Indikationen nicht erfasst. Im Übrigen stellt Dr P. für die Indikationsstellung im Wesentlichen auf die bestehende Komplexität der atherosklerotischen und thrombotischen Erkrankung des Klägers ab. Dem tritt Prof Dr Q. insoweit entgegen, als er klarstellt, dass ein erhöhter Lp(a)- Wert ein Risikofaktor für Atheroskleroseerkrankungen ist, nicht jedoch für Thrombosen oder Veränderungen im venösen System. Mit diesem Einwand befindet er sich im Einklang mit den medizinischen Fachgesellschaften, sodass die thrombotischen Ereignisse beim Kläger vorliegend nicht zu berücksichtigen sind. Aufgrund der Wertungswidersprüche zu der Methoden-RL vermag das Gutachten von Dr P. nicht zu überzeugen.
(1) In § 3 Methoden-RL sind die Indikationen für eine Lipid-Apherese abschließend aufgeführt mit: - familiäre Hypercholesterinämie in homozygoter Ausprägung oder mit schwerer Hypercholesterinämie (Abs 1), - isolierte Lp(a)-Erhöhung (Abs 2) und – Immunapheresen bei aktiver rheumatoider Arthritis (Abs 3). Die in den Absen 1 und 3 genannten Indikationen werden weder von der Apherese Kommission noch von den Sachverständigen in Betracht gezogen und sind damit vorliegend nicht relevant. Prof Dr Q. schließt eine familiäre Hypercholesterinämie in homozygoter Ausprägung und eine schwere Hypercholesterinämie (§ 3 Abs 1) ausdrücklich aus. Zwar sei keine genetische Testung durchgeführt worden, aber die vorgelegten Laborwerte und die klinischen Befunde schließen eine familiäre Hypercholesterinämie aus. Maßgeblich für einen Apherese-Anspruch des Klägers ist daher allein die Indikation einer isolierten Lp(a)-Erhöhung nach Abs 2.
§ 3 Abs 2 der Anlage 1 Nr 1 Methoden-RL lautet:
LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung können nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)- Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, peripheres arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen).
Entgegen der Auffassung des Klägers besteht hinsichtlich der Einhaltung der Vorgaben für die Lipid-Apherese in Anlage I Ziffer 1 der Methoden-RL kein Ermessen im Sinne einer Gesamtbetrachtung/-abwägung. Die Methoden-RL sind für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer, für die gesetzlichen Krankenkassen und deren Versicherte verbindlich (§ 2 Abs 1 Methoden-RL). Das gilt auch für die in § 3 der Anlage I Ziffer 1 enumerativ aufgeführten drei Indikationen. Auch hinsichtlich der Vorgaben für die einzelnen Indikationen hat der GBA keinen Ermessensspielraum gewährt. Das ergibt sich aus der gleichlautenden Formulierung für alle drei Indikationen “LDL-Apheresen bei…… können nur durchgeführt werden bei….“. Mit der Wortwahl „können“ wird kein Ermessen eröffnet, vielmehr wird mit dem Ausdruck „können nur“ eine Restriktion formuliert. Die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 lagen beim Kläger nicht vor.
Auch Prof Dr Q. verneint in seinem Gutachten die Indikation einer isolierten Lp(a)-Erhöhung im Zeitpunkt der Antragstellung. Zwar geht er von einer deutlich erhöhten Lp(a)-Konzentration aus. Der LP(a)-Wert war mit 226 nmol/l bestimmt, was einer Lp(a)- Konzentration von 90-110 mg/dl entspricht. Im Rahmen seiner Beurteilung erörtert er, dass in der Richtlinie nicht genau ausgeführt wird, was unter einer „isolierten Lp(a)-Erhöhung“ zu verstehen ist. Entgegen der Ansicht des Klägers steht dieser Umstand allerdings einer Überprüfung der Indikation durch den Sachverständigen nicht entgegen.
Zunächst ist in § 3 Abs 2 der Methoden-RL explizit ein Schwellenwert von >60 mg/dl festgelegt. In den Tragenden Gründen zum Beschluss des GBA vom 19. Juni 2008 findet sich dazu unter Ziffer 2.5 die einleuchtende Begründung, dass die Festlegung eines Schwellenwertes erforderlich ist, da die Höhe des Lp(a)-Blutspiegels mit kardiovaskulären Ereignisraten korreliert. Basierend auf den ausgewerteten epidemiologischen Studien und den Angaben der Experten aus dem Stellungnahmeverfahren anlässlich der Veröffentlichung des Beratungsthemas wurde der Schwellenwert auf 60 mg/dl festgelegt.
Auch im Übrigen kann die Richtlinie unter Berücksichtigung der Tragenden Gründe zum Beschluss des GBA vom 19. Juni 2008 ausgelegt werden, die formaljuristisch gerade ihrer Erläuterung dienen. Entsprechend geht auch Prof Dr Q. vor, wenn er plausibel darlegt, dass unter Berücksichtigung der Tragenden Gründe zum Beschluss des GBA vom 19. Juni 2008 für eine „isolierte Lp(a)-Erhöhung“ davon auszugehen ist, dass alle anderen lipidologischen Risikofaktoren entweder nie vorlagen oder adäquat behandelt worden sind. Für dieses Verständnis spricht zum einen die Erläuterung unter 2.1 zu Angaben und Methoden. Dort wird ausgeführt, dass das Lipoprotein(a) isoliert oder im Rahmen von kombinierter Fettstoffwechselstörung im Blut erhöht sein kann. Aus der Formulierung „oder“ folgt, dass es sich um verschiedene Alternativen handelt. Dies wird bestätigt in den Ausführungen unter Ziffer 2.3 zu Nutzen und Notwendigkeit der Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung. Für den vorliegenden Fall ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Regelungstextes in § 3 Abs 2 Methoden-RL, dass der beim Kläger einschlägige lipidologische Risikofaktor – das LDL-Cholesterin – im Normbereich liegen muss. Das weitergefassten Begriffsverständnis wonach alle Risikofaktoren einer Atherosklerose nicht vorhanden oder behandelt sein müssen, lässt sich aus § 1 Abs 2 Anlage I Methoden-RL ableiten. Dort wird zunächst auf hochwirksame medikamentöse Standardtherapien verwiesen, sodass die Apherese nur in Ausnahmefällen als Ultima Ratio in Betracht kommt. Diese Beschränkung auf eng begrenzte Ausnahmefälle lässt den Schluss zu, dass zunächst alle anderen Risikofaktoren nach dem aktuellen Stand der Medizin behandelt und medikamentös eingestellt werden müssen.
Unter Auswertung der medizinischen Befunde weist Prof Dr Q. zutreffend darauf hin, dass der LDL-Cholesterin-Wert bis zum Beginn der Apherese-Therapie unter Statingabe von 20mg täglich den von den Fachgesellschaften zu diesem Zeitpunkt geforderten LDL-Cholesterin-Zielwert von < 70mg/dl nie erreicht hat. Diese Beurteilung deckt sich mit sämtlichen Stellungnahmen des MDK. Im Patientenfragebogen zur Vorlage bei der Apherese Kommission hat der beantragende Arzt Dr R. unter dem 12. Februar 2018 den Laborwert für das LDL-Cholesterin mit 118 mg/dl angegeben. Im Arztbrief der Kardiologischen Praxis V. vom 17. Januar 2018 wird der LDL-Wert höher mit 123 mg/dl ausgewiesen. Die medizinischen Unterlagen aus dem Jahr 2016 weisen noch deutlich höhere LDL-Werte bis zu 157 mg/dl aus, die Prof Dr Q. zutreffend benennt. Der genannte Höchstwert lässt auch nicht auf eine unzureichende Sichtung der Verfahrensakten durch den Sachverständigen schließen, wie die Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 4. April 2023 meint, sondern ist Ergebnis einer sorgfältigen Befundrecherche. Der Arztbrief der Laborpraxis W. vom 16. Juni 2016 weist für das LDL-Cholesterin einen Wert von 136 mg/dl aus, der noch höhere LDL-Cholesterinwert von 157 mg/dl ergibt sich aus dem Arztbrief des Klinikum X. vom 12. Mai 2016. Dementsprechend lag das LDL-Cholesterin weit außerhalb des für den Kläger maßgeblichen Normbereiches.
Unerheblich ist insoweit auch der jüngste Berufungsvortrag unter Bezugnahme auf den Bericht von Dr R. vom 27. März 2023 über die Entwicklung der LDL-Cholesterinwerte in den letzten Jahren. Danach sollen die LDL-Cholesterinwerte durchweg unter 55 mg/dl gelegen haben. Für die streitbefangene Versorgung mit einer Lipid -Apherese vom 8. März 2018 bis 7. März 2019 ist ohne Belang, wie sich die LDL-Werte in den Folgejahren entwickelt haben. Maßgeblich ist allein, ob die Anforderungen zum Genehmigungszeitpunkt erfüllt waren.
Auch Dr P. stellt unter Ziffer 3.) seines Gutachtens fest, dass das LDL-Cholesterin bei Antragstellung nicht im Zielbereich lag und verweist auf die seinerzeit geltende Richtlinie 2016 des ESC/EAS. Zwar schränkt er seine Aussage in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. November 2022 mit dem Hinweis ein, dass in der Methoden-RL eine Wertung oder Interpretation für „LDL-Cholesterin im Normbereich“ fehle und der etwas nebulösen Aussage, dass der LDL-Cholesterin-Wert von 118 mg/dl formal im Normbereich liege. Dieser Wertung tritt Prof Dr Q. plausibel entgegen mit dem Hinweis, dass es bezüglich des LDL-Cholesterin keinen allgemein gültigen Normbereich gibt, da der Zielbereich in Abhängigkeit von der Höhe des Absolutrisikos für das Auftreten eines Atheroskleroseereignisses definiert wird. In seiner im Ärzteblatt 2016, 113: 261-8 veröffentlichten Übersichtsarbeit zur Therapie von Fettstoffwechselstörungen führt Prof Dr Q. aus, dass sich erhöhte Lp(a) –Werte weder durch Lebensstilmodifikationen noch durch seinerzeit verfügbare Medikamente signifikant beeinflussen lassen. Im Vordergrund steht daher die Optimierung der anderen Risikofaktoren; dabei ist ein Absenken des LDL-Cholesterins besonders bedeutsam. Welche Werte dabei angestrebt werden, hängt von der klinischen Situation ab und orientiert sich am Gesamtrisikoprofil des Patienten.
Diese Einschätzung deckt sich mit den Ausführungen in den Leitlinien der ESC/EAS für Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien, die speziell auf das lipidbezogene kardiovaskuläre Risiko eingehen. Danach ist die Abschätzung des kardiovaskulären Gesamtrisikos Grundlage sämtlicher präventiver Maßnahmen. Die Grenzwerte, die benutzt werden, um ein hohes Risiko zu definieren, basieren auf der Risikoabschätzung in klinischen Studien, bei denen ein Nutzen erkennbar war.
Ergänzend kann zur Interpretation der Formulierung „LDL-Cholesterin im Normbereich“ in § 3 Abs 2 die Regelung in § 1 Abs 2 der Anlage I Ziffer 1 Methoden- RL herangezogen werden, die Ziel und Inhalt der Richtlinie festlegt. Dort ist geregelt, dass für die in § 3 genannten Krankheitsbilder in der vertragsärztlichen Versorgung idR hochwirksame medikamentöse Standard-Therapien zur Verfügung stehen, sodass Apheresen nur in Ausnahmefällen als „ultima ratio“ bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden sollen. Die enge Eingrenzung auf Ausnahmefälle mit therapierefraktären Verläufen als letztes Mittel spricht dafür, dass als Normbereich in diesem Zusammenhang nicht der Referenzbereich eines gesunden Menschen gilt, sondern für das „LDL-Cholesterin im Normbereich“ die Zielvorgaben der einschlägigen Leitlinien der Fachgesellschaften für Patienten mit einem kardiovaskulären Risikoprofil heranzuziehen sind.
Der Kläger war aufgrund seines individuellen kardiovaskulären Risikos als Hochrisikopatient einzustufen. Für diese Patientengruppe lag der Zielwert für LDL-Cholesterin zum Zeitpunkt der Antragstellung nach der damals maßgeblichen Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) <Version 2016> bei < 70 mg/dl. Vor diesem Hintergrund definiert Prof Dr Q. für den Kläger ein „LDL-Cholesterin im Normbereich“ überzeugend mit dem Zielbereich < 70 mg/dl. Diesen Zielwert hat auch der MDK durchgängig in seinen medizinischen Stellungnahmen zu Grunde gelegt.
Demgegenüber wird von Dr P. postuliert, dass der gemessenen LDL-Cholesterin-Wert um einen Abschlag von 30% zu reduzieren ist. Zur Begründung wird erklärt, dass die Lp(a) Partikel die Konzentration die LDL-Anteil erhöhen, sodass für praktische Belange ein Abschlag von 30% gerechtfertigt ist. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 15. November 2022 (L 16/4 KR 536/19) ausgeführt, dass gegen eine Korrektur des gemessenen LDL-Cholesterin-Wertes keine durchgreifenden Bedenken bestehen und sich dabei auf den Standard der Therapeutischen Apherese (Version 2018; Seite 34) bezogen. Dort wird im Kommentar vertreten, dass bei der Berechnung des LDL-Cholesterin zu berücksichtigen sei, dass bei den üblichen Labormethoden mit LDL-Cholesterin auch das im Lp(a) enthaltene LDL-Cholesterin, das medikamentös nicht beeinflusst werden kann, gemessen wird. Dieser Anteil, ca 1/3 des Lp(a)-Wertes, sollte bei der Beurteilung des Ziel-LDL-Cholesterins bedacht werden. Prof Dr Q. tritt einer solchen Korrektur unter Hinweis auf die Leitlinien der ECS/EAS entgegen, die widerspiegeln, dass aus den Interventionsstudien abgeleiteten Zielbereiche ohne Korrekturabzug definiert worden seien.
Diese Diskussion in der medizinischen Wissenschaft muss im vorliegenden Fall nicht weiter beleuchtet werden, weil das LDL-Cholesterin auch bei Berechnung mit einem 30%igen Abschlag nicht im für den Kläger maßgeblichen Zielbereich <70 mg/dl gelegen hat. Darauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen. Bei der Berechnung ist – abweichend von den Ausführungen von Prof Dr Q. – der im Patientenbogen mit 206 nmol/l angegebene Laborwert für Lp(a) zugrunde zu legen. Dies ergibt umgerechnet einen Wert von 85,6 mg/dl – dieser Angabe hat der Kläger nicht widersprochen - ; davon 30% ergibt 25,74 mg/dl, die in Abzug zu bringen sind. Daraus errechnet sich ein bereinigter Wert für das LDL-Cholesterin von 92,26 mg/dl, der immer noch signifikant über dem seinerzeit maßgeblichen Zielwert von < 70 mg/dl gelegen hat.
(2) Entgegen der Ansicht des Klägers hat im maßgeblichen Zeitraum keine ausreichende lipidsenkende medikamentöse Therapie stattgefunden.
Wie vorstehend ausgeführt sind nach § 1 Abs 2 Methoden-RL Anlage I medikamentöse Standardtherapien vorrangig. Dementsprechend findet sich auch im Standard der Therapeutischen Apherese (Seite 35) unter LDL-Cholesterin im Normbereich der Hinweis, dass durch den Einsatz der vorgeschalteten oder begleitenden lipidsenkenden Therapie mit Statinen, Ezetimib, Colesevelam und PCSK9-Inhibitoren bei Patienten mit erhöhten Lp(a)-Konzentrationen LDL-Cholesterin zielorientiert möglichst weit gesenkt werden.
Die medikamentösen Einstellungsoptionen waren beim Kläger nicht ausgeschöpft worden. Das hat Prof Dr Q. in seinem Gutachten plausibel dargelegt. Im maßgeblichen Zeitraum hat der Kläger ein stark senkendes Statin in moderater Dosis (Atorvastatin 20 mg/Tag) oder ein schwach wirkendes Statin in moderater Dosis (Pravastatin 20 mg/Tag) erhalten. Eine weitere Absenkung des LDL-Cholesterin-Wertes war indiziert, da bereits zum damaligen Zeitpunkt überzeugende Daten vorlagen für das Anstreben einer möglichst starken Absenkung. Diese Erkenntnis war auch die Basis der Empfehlung der Fachgesellschaften bei Patienten mit nachgewiesener Atheroskleroseerkrankung. Prof Dr Q. erläutert, dass eine weitere Absenkung des LDL-Cholesterins über eine Steigerung der Atorvastatin Dosis in den Hochdosisbereich möglich gewesen wäre. Aus dem Arztbrief des Kardiologen N. vom 17. Januar 2018 folgt, dass die damalige Medikation noch mit Pravastatin 20mg durchgeführt wurde. Erstmals wird im Arztbrief vom Y. am 28. März 2018 eine Medikation mit Atorvastatin vermerkt.
Im Patientenfragebogen zur Indikationsstellung wird bis zum Zeitpunkt der Antragstellung unter lipidsenkender Medikation Pravastatin 20mg/dl angegeben erst ab 12. Februar 2018 (dh mit Antragstellung) ist eine Medikation mit Atorvastatin angekündigt. In diesem Zusammenhang weist Prof Dr Q. schlüssig darauf hin, dass aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich ist, warum eine LDL-senkende Therapie nicht eskaliert wurde.
Insbesondere ergibt sich kein Hinweis auf eine Medikamentenunverträglichkeit. Im Patientenfragebogen zur Indikationsstellung ist die Frage unter Ziffer 6) „mussten lipidsenkende Medikamente wegen unerwünschter Arzneimittelnebenwirkungen reduziert oder abgesetzt werden?“ vom Behandler mit „nein“ beantwortet worden, obwohl die Option „ja“ und zwar für folgendes Medikament und folgende Nebenwirkungen mit Freizeilen für Erläuterungen zur Verfügung gestanden hat. Insofern ist schwer nachvollziehbar, dass der Behandler in seinem Bericht an die Prozessbevollmächtigte vom 21. September 2020 – im Nachhinein - von „multiplen Muskelschmerzen, Krämpfe, Gelenkschmerzen usw“ des Klägers spricht. Im Rahmen der Stellungnahme zum Gutachten von Prof Dr Q. bekräftigt Dr R. in seinem Bericht vom 30. März 2023 an die Prozessbevollmächtigte noch, dass eine Statintherapie wegen ausgeprägter Muskelschmerzen nicht eskaliert wurde.
Bei den erst im Berufungsverfahren im Nachhinein angegebenen Muskelschmerzen handelt es sich um eine in der Fachwelt vielfach diskutierte Nebenwirkung der Statintherapie. Dabei wird in Studien beleuchtet, dass es sich bei den Nebenwirkungen von Statinen häufig um sogenannte Nocebo-Effekte handelt (Ärzteblatt.de 27. November 2020). Im Gegensatz zum Placebo-Effekt sorgt beim Nocebo-Effekt allein die Erwartung negativer Folgen dafür, dass diese tatsächlich zu spüren sind. Der Nocebo-Effekt kann auch durch eine negative Erwartungshaltung des Patienten ausgelöst werden, selbst wenn das verabreichte Medikament keinen Wirkstoff enthält. Abgesehen von möglichen Nocebo-Effekten zeigen sich Statin-assoziierte Muskel-Symptome (SAMS) klinisch heterogen. Die Patienten berichten von proximalen, symmetrischen Schmerzen, Verspannungen, Steifheit oder Krämpfe, die von Muskelschwäche begleitet werden können. Nach klinischen Erfahrungen scheinen körperlich Aktive besonders betroffen zu sein (Deutsches Ärzteblatt int 2015; 112: 748-55). Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass die Statin-assoziierten Muskelbeschwerden des Klägers vom Behandler in keiner Weise spezifiziert werden, obwohl dies angesichts der Variationsbreite der SAMS nahegelegen hätte. Stattdessen lässt es der Behandler bei einer pauschalen Behauptung verbleiben. Im Patientenfragebogen hatte er unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen von lipidsenkenden Medikamenten verneint. Insoweit folgerichtig berichtet er auch keine Kontrolle der Kreatinkinase-Konzentration. Dies wäre zum Ausschluss schwerer Muskelschädigung durch eine sehr hohe Kreatinkinase- Aktivität plausibel gewesen. Zu den nebulösen Angaben passt, dass die SAMS in den medizinischen Unterlagen des Klägers an keiner Stelle Erwähnung gefunden haben.
Zudem hat Prof Dr Q. Therapiealternativen zur Statin-Monotherapie aufgezeigt, etwa
durch Kombination von Atorvastatin mit Ezetimib (siehe Deutsches Ärztebaltt 2016; 113: 445-53). Ezetimib hemmt die Aufnahme von Cholesterol aus dem Dünndarm und kann auch als Monotherapie eingesetzt werden. Eine weitere Option sind die PCSK9-Inhibitoren, die den Abbau von LDL-Cholesterol-Rezeptoren einschränken. Bei kompletter Statin-Unverträglichkeit können die PCSK9-Inhibitoren als Monotherapie oder nur mir Ezetimib eingesetzt werden. Derartige Therapieversuche werden vom Behandler nicht berichtet und sind in den Akten auch nicht dokumentiert. In einer Gesamtbetrachtung zeigt sich das Bild einer unzureichenden Therapieoptimierung vor Antragstellung. Dies hatte der MDK bereits in seinen Stellungnahmen dargelegt.
(3) Diese Einschätzung wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass auch der Blutdruck des Klägers nicht konsequent medikamentös eingestellt war. Darauf hatte der MDK bereits in seinen Gutachten vom 22. Mai 201ß und 28. August 2019 hingewiesen. Dieser Umstand wird auch von Prof Dr Q. zu Recht moniert. Im Arztbrief der kardiologischen Praxis V. vom 17. Januar 2018 wird unter Risikofaktoren neben einer Hypercholesterinämie LDL 123mg/dl eine arterielle Hypertonie vermerkt. Nach dem Standard der Therapeutischen Apherese (Seite 31) gilt die Einbeziehung des Gesamtrisikoprofiles, also neben dem Alter und dem Gesundheitszustand auch aller kardiovaskulärer Risikofaktoren, für alle Indikationen, unabhängig davon, ob LDL-Cholesterin oder Lp(a) im Vordergrund steht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs 2 SGG zugelassen