Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Versorgung mit Medizinal-Cannabisprodukten.
Der am E.. F..1979 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er beantragte mit Schreiben seines behandelnden Arztes Dr. I. vom 17.5.2017, eingegangen bei der Beklagten am 22.5.2017, die „Übernahme von medizinischen Cannabis-Produkten“. Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 29.5.2017 darüber, dass man seinen Antrag am 22.5.2017 erhalten und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Unterlagen zur Prüfung vorgelegt habe. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19.6.2017 den Antrag mit der Begründung ab, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfüllt seien, nachdem sich der Sachverständige des MDK mit Gutachten vom 16.6.2017 zu dem Antrag ablehnend geäußert hatte.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Dazu verwies er auf seine ADHS-Erkrankung und machte unter anderem geltend, der Einsatz von Medikinet Adult 20 und 10 mg zur Verbesserung seiner Lebensqualität sei nicht erfolgreich gewesen und mit gravierenden Nebenwirkungen verbunden gewesen. Durch den unkontrollierten Einsatz dieser chemischen Substanz sei er erneut in die Arbeitslosigkeit geraten. Unter der Behandlung mit Medikinet habe er Suizidgedanken entwickelt. Krankheitsbedingt sei er auch viel zu oft am Alltag und im Berufsleben gescheitert. Dieses Scheitern sei bei der Beklagten auch hinreichend dokumentiert. Er benötige die Erlaubnis für die medizinische Verwendung von Cannabis auch im Hinblick auf den Umgang mit seinen beiden Kindern. Er habe sie aufgrund der Cannabis-Problematik bereits seit eineinhalb Jahren nicht gesehen, da die Kindesmutter den Umgang boykottiere. Die Sorgen der Kindesmutter, dass er in Gegenwart der Kinder Drogen konsumiere oder Ausfallerscheinungen haben könnte, seien herabwürdigend und haltlos. Anstelle seiner langjährigen selbst finanzierten Cannabis-Therapie bitte er daher nunmehr um Übernahme der Kosten bzw. Genehmigung dieser seit 18 Jahren erfolgreichen Therapie. Begleitet werden solle diese in Zukunft durch Dr I.. Dieser wolle den Einsatz von Cannabis gegen die Symptome der ADHS-Erkrankung weiterführen und begrüße eine zeitnahe und ärztlich kontrollierte Übernahme der Behandlung. Er selbst nutze die vielfältigen und nebenwirkungsarmen Möglichkeiten von Cannabisblüten mit vielen Pausen seit nun 18 Jahren. Er könne versichern, dass Cannabis sich deutlich auf sein Lebensgefühl und Wohlbefinden sowie typische ADHS-Symptome und Komorbiditäten auswirke und seine zeitlebens bestehende psychosomatische Erkrankung sehr positiv beeinflusse. Aufgrund der unklaren Situation in der Bundesrepublik Deutschland habe er seine Arbeit aufgrund der Tatsache verloren, dass er mit dem fachlich korrekt angewendeten Cannabis ohne den notwendigen Patientenstatus eigentlich nicht als Servicetechniker im Außendienst hätte arbeiten oder gar am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, er dies jedoch krankheitsbedingt mit Cannabis sehr zuverlässig getan habe. Wegen der nun eingetretenen Arbeitslosigkeit könne er die monatlichen Kosten für eine Selbsttherapie nicht mehr aufbringen. Dazu fügte er einen Lebenslauf sowie diverse Zeugnisse und Arbeitsbescheinigungen nebst weiteren Unterlagen bei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.8.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen richtet sich die am 18.9.2017 erhobene Klage. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers machen zur Begründung unter anderem geltend, es stehe dem Kläger keine alternative Behandlungsmöglichkeit für das Krankheitsbild ADHS mit schweren Depressionen zur Verfügung. Die Behandlung mit Medikinet sei gescheitert, da der Kläger unter Anwendung dieses Medikaments Suizidgedanken entwickelt habe. Auch die zwischenzeitlich vorgeschlagene Behandlung mit Strattera sei keine Alternative; unter Anwendung dieses Medikaments komme es ebenfalls zu suizidalen Verhaltensweisen. Erfolgreich sei nur die Behandlung mit Cannabisblüten, die der Kläger bislang gezwungenermaßen als Selbsttherapie durchführe. Diese Einschätzung teile Dr. I.. Er wolle auch die therapeutische Cannabis-Therapie, sobald sie genehmigt sei, fachärztlich durchführen und begleiten. Unter der Behandlung mit Cannabis komme es bei dem Kläger praktisch zu keinerlei Nebenwirkungen. Nur mit einer solchen Therapie sei der Kläger in der Lage, ein Leben zu führen, dass von der Krankheit ADHS nicht beeinträchtigt sei. Durch die Einnahme von Cannabis seien die Symptome soweit gelindert, dass er seinen Alltag bewältigen und auch ohne Probleme einer geregelten Arbeit nachgehen könne, ohne dort negativ aufzufallen.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers beantragen schriftsätzlich,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Verwaltungsakts vom 19.6.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.8.2017 zu verurteilen, antragsgemäß die künftigen Kosten für die dem Kläger verordneten Cannabisprodukte zu übernehmen und die dem Kläger dafür bisher entstandenen Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist dazu auf die Begründung ihres Widerspruchsbescheides.
Das Gericht hat zur weiteren medizinischen Sachaufklärung die Akten der Agentur für Arbeit A-Stadt sowie der Deutschen Rentenversicherung G. zur Einsicht angefordert und die daraus kopierten bzw. die zum Verbleib übersandten Unterlagen zum Verfahren beigezogen. Es hat Befundberichte von Dr. E., vom 19.4.2018, Dr. I., vom 18.4.2018 und Dr. H., vom 4.5.2018 eingeholt. Es hat ferner ein Gutachten bei Dr. D., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in Auftrag gegeben, das der Sachverständige unter dem 25.12.2018 erstattet hat.
Darüber hinaus sind von den Prozessbevollmächtigten des Klägers weitere Arztschreiben (Dr. E./Herr H. vom 7.2.2018, Herr I. vom 28.6.2018, Herr H. vom 22.1.2019) zur Akte gereicht worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Sachvortrags der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die beigezogenen Unterlagen der Arbeitsagentur und des Rentenversicherungsträgers verwiesen, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
Mit Schreiben vom 20.8.2019 sind die Beteiligten über die Absicht des Gerichts informiert worden, über die Klage mittels Gerichtsbescheid zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Versicherte haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung unter anderem die Versorgung mit Arzneimitteln. Einzelheiten dazu sind in § 31 SGB V geregelt; der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in dessen Absatz 6.
Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn erstens eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und zweitens eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Nach Satz 2 dieser Vorschrift bedarf die Leistung bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist.
Eine solche ärztliche Verordnung wurde der Beklagten nicht vorgelegt. Dr. I. hat lediglich in seinem Schreiben vom 17.5.2017 an die Beklagte einen Antrag auf Übernahme von medizinischen Cannabisprodukten gestellt und dazu im verschlossenen Umschlag für den Medizinischen Dienst Unterlagen beigefügt. Ein Betäubungsmittelrezept fehlt und damit insbesondere auch die nach der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung erforderlichen Angaben (siehe § 9 BtMVV).
Unabhängig davon liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht die Voraussetzungen für die Verordnung vor. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger ein langjähriges, chronisches Abhängigkeitssyndrom von Cannabis vorliegt und zudem eine krankheitswertige Störung der Persönlichkeit. Die mit diesen Gesundheitsstörungen verbundenen Beschwerden haben Krankheitswert. Die chronische Abhängigkeit von Cannabis bewirkt ein starkes Verlangen nach täglichem Cannabiskonsum unter Vernachlässigung anderer Interessen und Bedürfnisse, Gewöhnung an die psychotropen Wirkungen des Cannabis und das Auftreten vorwiegend psychischer Entzugssymptome bei vorübergehender Karenz. Indizierte Therapien und Behandlungen haben nach der Einschätzung des Sachverständigen bislang lediglich im Hinblick auf die wahrscheinlich vorliegende Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung in Form einer Pharmakotherapie mit richtlinienkonformen Medikamenten im ambulanten Behandlungsrahmen stattgefunden. Darüber hinaus stehen nach Auffassung des Sachverständigen aber noch zahlreiche weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. So bestehe vor allem die Option, eine richtlinienkonforme Verhaltenspsychotherapie wahrzunehmen, gegebenenfalls ergänzt durch ein sogenanntes ADHS-Coaching. Im Hinblick auf das wahrscheinlich vorliegende ADHS stehen nach der Beurteilung durch den Sachverständigen auch bislang nicht genutzte pharmakologische Ansätze zur Verfügung, die idealerweise im Rahmen einer ausführlichen Diagnostik und Therapiefindung in der Ambulanz eines insoweit spezialisierten universitären Zentrums eruiert werden könnten. Darüber hinaus stehe im Hinblick auf die Cannabis-Abhängigkeit das gesamte Spektrum der suchtspezifischen Behandlungsoptionen zur Verfügung, beginnend mit einer Suchtberatung über ambulante Maßnahmen bis hin zu einer stationären Entwöhnungsmaßnahme. Darüber hinaus führt der Sachverständige ausdrücklich aus, dass der medizinische Einsatz von Cannabisprodukten im Falle des Klägers kontraindiziert ist. Zum einen könne das Vorliegen einer Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung mit Persistenz im Erwachsenenalter nicht zweifelsfrei bestätigt werden. Es seien auch diesbezüglich zur Verfügung stehende alternative Therapieoptionen noch nicht ausgeschöpft worden. Auch könne das Störungsbild nicht isoliert betrachtet werden. Es müsse im Gesamtkontext der psychischen und suchtmedizinischen Leiden des Klägers beurteilt werden, bei denen eine chronische Abhängigkeit von Cannabinoiden im Vordergrund stehe. Im Hinblick hierauf sei es ausgeschlossen, diese Abhängigkeit durch die Verordnung von Cannabisprodukten zu bessern. Die Verordnung von Cannabis-Produkten trage vielmehr zur weiteren Chronifizierung bei.
Das Gericht hält diese Beurteilung für überzeugend. Dass demgegenüber von Herrn H. mitgeteilt worden ist, dass Cannabis die letzte erfolgversprechende medikamentöse Therapieoption sei (Bescheinigung vom 22.1.2019), ist für das Gericht nicht überzeugend und nicht geeignet, die Beurteilung des Sachverständigen zu erschüttern. Abgesehen davon, dass Herr H. den Kläger erst seit dem 11.1.2018 (siehe Schreiben vom 7.2.2018, Blatt 27 der Gerichtsakte) kennt, ist nur ein Behandlungsversuch mit Medikinet und mit Atomoxetin beschrieben worden, wobei der Behandlungsabbruch jeweils „nur“ darauf beruht, dass vom Kläger Nebenwirkungen beklagt worden sind. Im Hinblick darauf aber, dass dem Kläger allein an dem legalisierten Cannabiskonsum gelegen ist aufgrund seiner bestehenden Abhängigkeit, sind Behandlungsversuche mit anderen Alternativen von vornherein zum Scheitern verurteilt, solange nicht eine Entwöhnungsbehandlung stattfindet. Das Festhalten am Cannabiskonsum aber stellt keine rechtfertigende Indikation im Sinne des § 31 Abs. 6 SGB V dar.
Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 193 SGG abzuweisen.