Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 30. August 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Anerkennung von Kniebeschwerden des Klägers als Berufskrankheit (BK) der Nr 2102 der Anl 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1955 geborene Kläger war - neben der Ausführung mehrerer kurzfristiger Tätigkeiten - von 1985 bis 1989 als Messe-Saisonarbeiter bei der Reinigungswerk H. GmbH und von 1989 bis 2017 als Verlader bzw Verladekontrolleur bei der I. J. beschäftigt. Ausweislich der Angaben seiner Krankenkasse - K. - war er im November 2007 erstmals wegen Kniegelenksschmerzen und ab 2009 wiederholt mit der Diagnose Gonarthrose arbeitsunfähig. Nach Behandlungen des linken Kniegelenks durch den Orthopäden Dr. L. wurde dem Kläger im Februar 2016 eine Knietotalendoprothese links implantiert.
Im Juni 2020 beantragte er bei der Beklagten die Anerkennung seiner Kniebeschwerden als BK.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition ein, die zum Ergebnis kam, eine gefährdende Belastung der Kniegelenke iS der BK 2102 habe im Rahmen des von 1989 bis 2017 dauernden Beschäftigungsverhältnisses nicht vorgelegen.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 2020 lehnte die Beklagte daraufhin das Vorliegen einer BK der Nr 2102 ab. Nach der Feststellung des Geschäftsbereichs Prävention hätten beim Kläger keine Einwirkungen vorgelegen, die zur Verursachung einer BK geeignet seien. Der hiergegen eingelegte Widerspruch - zu dessen Begründung sich der Kläger auf einen Arztbrief des Betriebsarztes Dr. M. vom 5. April 2017 und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Allgemeinmediziners Dr. N. berief - blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2020).
Hiergegen hat der Kläger am 13. Januar 2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, mit der er die Feststellung einer BK der Nr 2102 und eines Anspruchs auf Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung sowie die Verurteilung zur Zahlung einer Verletztenrente geltend gemacht hat. Aufgrund seiner langen und schweren Tätigkeit als Verladekontrolleur bei der Firma I., bei der er auch oft im Hocken oder Knien sowie im Fersensitz habe arbeiten müssen, habe er sich einen Meniskusschaden am Knie zugezogen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2021 abgewiesen. Soweit der Kläger Leistungen in gesetzlichem Umfang bzw die Gewährung einer Verletztenrente begehrt habe, sei die Klage bereits unzulässig. Im Übrigen sei sie unbegründet, weil die Beklagte zu Recht die Anerkennung seiner Kniegelenkserkrankung als BK nach der Ziff 2102 der Anl zur BKV abgelehnt habe. Das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung der BK 2102 sei nicht nachgewiesen. Der Kläger sei weder häufig wiederkehrenden erheblichen Bewegungsbeanspruchungen noch einer Dauerzwangshaltung (vor allem bei Belastungen durch Fersensitz, Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung) in dem geforderten Ausmaß ausgesetzt gewesen. Derartige Belastungen müssten während eines Drittels der täglichen Arbeitszeit vorgelegen haben, weil bei einer zeitlich geringeren Belastung die Menisken nach medizinischer Erkenntnis ausreichend Zeit hätten, sich zu erholen.
Gegen diese ihm am 3. September 2021 zugestellte Entscheidung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 6. September 2021 Berufung eingelegt, die am 16. September 2021 bei dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingegangen ist. Bei ihm sei eine BK vorhanden, da hierfür zum einen die arbeitstechnischen Voraussetzungen in seiner Person vorlägen und zum anderen auch das typische Krankheitsbild in Form eines Meniskusschadens linksseitig gegeben sei. Den Knieschaden habe er sich bei seiner viele Jahre andauernden Tätigkeit als Verladekontrolleur bei der Firma I. zugezogen.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 30. August 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2020 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die bei ihm vorliegende Kniegelenkserkrankung eine Berufskrankheit im Sinne der Ziffer 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage vom 13. Januar 2021 zu Recht abgewiesen.
I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm § 55 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
II. Sie ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 29. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2020 ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Kniegelenkserkrankung des Klägers als BK nach der Nr 2102 der Anl 1 zur BKV anzuerkennen.
1. BKen sind gemäß § 9 Abs 1 S 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (sog Listen-BKen) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Insoweit ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs 1 S 2 SGB VII).
Aus diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf bei einzelnen BKen einer Modifikation bedürfen. Die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) haben und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allein eine bloße Möglichkeit (zu alledem Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 33/07 R, SozR 4-2700 § 9 Nr 16, mwN).
2. Diese Voraussetzungen sind in Hinblick auf die unter Nr 2102 der Anl 1 zur BKV anerkannten BK im Fall des Klägers nicht erfüllt. Hierunter fallen „Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten“.
a) Die vorliegend praktisch relevanten Tätigkeiten des Klägers als Messe-Saisonarbeiter (1985 bis 1989) und als Verlader bzw Verladekontrolleur (von 1989 bis 2017) standen zwar unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der Kläger war in diesen Zeiten „Beschäftigter“ im Sinne von § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw - seit 1997 - von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und damit unfallversichert.
b) Bei seinen beruflichen Verrichtungen war er aber nicht den in der BK-Nr 2102 vorausgesetzten Einwirkungen ausgesetzt, weil er keine mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten ausgeübt hat. Welche Einwirkungen dies konkret sind, ist im Tatbestand der BK-Nr 2102 allerdings nicht angegeben. Es kommen deshalb alle Einwirkungen in Betracht, die nach den aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Verursachung der in BK-Tatbestand genannten Krankheit geeignet sind (Brandenburg in: jurisPK-SGB VII, Stand: 19. Januar 2022, § 9 Rn 102). Nach dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK-Nr 2102 (idF vom 11. Oktober 1989, zitiert nach Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Stand: März 2022, M 2102, S 1 ff; zur besonderen Bedeutung dieser Merkblätter für die Feststellung einer BK vgl BSG, Urteil vom 18. August 2004 - B 8 KN 1/03 U R, SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1) - das insoweit weiterhin dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht (vgl Ludolph/Meyer-Clement, Begutachtung chirurgisch-orthopädischer Berufskrankheiten durch mechanische Einwirkungen, 2019, S 98 ff) - sind dies zum einen Tätigkeiten, die mit einer die Kniegelenke belastenden Dauerzwangshaltung verbunden sind, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung. Zum anderen zählen hierzu Tätigkeiten mit einer häufig wiederkehrenden erheblichen Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage. Zur ersten Gruppe gehören zB die Beschäftigungen von Bergleuten unter Tage, von Ofenmaurern, Fliesen- oder Parkettlegern, zur zweiten Gruppe Rangierarbeiter oder Berufssportler in den Bereichen Fußball, Tennis, Skilaufen und -springen bzw Slalom (Merkblatt zur BK-Nr 2102 aaO).
Entsprechenden Einwirkungen war der Kläger im Verlauf der versicherten Beschäftigungen jedoch nicht ausgesetzt. Dies ergibt sich aus der schlüssigen Einschätzung des mit Belastungen im Arbeitsleben vertrauten Präventionsdienstes der Beklagten vom 29. September 2020. Danach nahm der Kläger bei seiner Tätigkeit als Verlader vom Juni 1989 bis Ende Oktober 2017 schon nach eigenen Angaben eine stehende, gehende und teilweise sitzende Arbeitshaltung ein. Dabei handelte es sich zwar um teilweise schwere körperliche Arbeit, bei der Lasten mit einem Gewicht von 20 kg und mehr gehoben und bewegt werden mussten. Kniende oder hockende Haltungen fielen aber nur sehr kurzzeitig beim Aufnehmen oder Absetzen von Lasten an. Hiervon abweichende konkrete Angaben zu andauernden oder häufig wiederkehrenden kniebelastenden Tätigkeiten hat der Kläger weder im Verwaltungs- noch im Klage- und Berufungsverfahren gemacht. Die Annahme, ein Arbeitnehmer müsse beim Verladen von Waren in einer Spedition bzw bei entsprechenden Kontrolltätigkeiten dauerhaft knien, erscheint im Übrigen auch fernliegend.
Auch in Hinblick auf die kurzzeitigere - von 1985 bis 1989 dauernde - Beschäftigung bei der Reinigungswerk H. GmbH fehlen Angaben dazu, welche Arbeiten er im Hocken oder Knien verrichtet hat oder mit erheblichen Bewegungsbeanspruchungen verbunden waren. Weiterführende Ermittlungen insoweit waren nicht angezeigt, weil es sich insoweit ohnehin nur um saisonal beschränkte Beschäftigungen gehandelt hat und der Kläger selbst nur die berufliche Tätigkeit von 1989 bis 2017 als ursächlich ansieht.
Darauf, ob beim Kläger eine Meniskopathie im Sinne der BK-Nr 2102 vorliegt und worauf diese zurückzuführen ist, kommt es demnach nicht an, weil bei ihm bereits die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK-Ziffer nicht erfüllt sind.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG), sind nicht ersichtlich.