Qualifikationserfordernis für die Tätigkeit als Sicherstellungsassistentin gem. § 32 Abs. 2 Ärzte-ZV ist lediglich die Approbation, nicht jedoch eine abgeschlossene Weiterbildung mit Anerkennung der gleichen Facharztbezeichnung wie der Vertragsarzt.
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10.02.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2022 verpflichtet, dem Kläger die Genehmigung zur Beschäftigung von H. als Sicherstellungsassistentin (4 Wochenstunden), zunächst befristet für 12 Monate, zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Genehmigung der Beschäftigung einer Sicherstellungsassistentin.
Der Kläger ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und seit dem 01.01.2013 zur vertragsärztlichen Versorgung mit einem halben Versorgungsauftrag zugelassen. Er ist in M1-Stadt niedergelassen.
Mit Antrag vom 31.01.2022 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Genehmigung der Beschäftigung von H. als Sicherstellungsassistentin ab dem 01.03.2022 in Teilzeit (4 Stunden/Woche). H. sei zwar Fachärztin für Chirurgie, sie sei jedoch bereits in einem gemischten MVZ in der Versorgung orthopädischer Patienten tätig gewesen. Daneben sei in der klägerischen Praxis ein hohes unfallchirurgisches Aufkommen, für welches der Facharzt für Chirurgie hinreichend qualifiziert sei. Grund der Antragstellung sei die Erziehung eines Kindes.
Mit Bescheid vom 10.02.2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Voraussetzung für die Genehmigung zur Beschäftigung eines Sicherstellungsassistenten sei, dass zwischen dem Assistenten und dem Arzt, dem der Assistent zugeordnet werden solle, Fachgebietsidentität bestehe. Ebenso wie für zugelassene Vertragsärzte und angestellte Ärzte gelten auch für den Sicherstellungsassistenten die Abrechnungsbestimmungen, namentlich solche des EBM. Sofern die Abrechnungsbestimmungen die Leistungserbringung (und deren Abrechnung) bestimmten Arztgruppen zuwiesen, sei auch der Sicherstellungsassistent hieran gebunden. Vertragsärztliche Leistungen, die gemäß den für ihre Abrechnung maßgeblichen Bestimmungen nur von bestimmten Arztgruppen erbracht und abgerechnet werden dürften, dürfe nur ein Arzt erbringen, der dieser Arztgruppe angehöre, also seine Weiterbildung in diesem Fachgebiet abgeschlossen habe. Die beantragte Assistentin H. verfüge über den Facharzt für Chirurgie, während der Kläger als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie zugelassen sei. Die Abrechnung der Leistungen erfolge bei diesen beiden Fachgebieten nach unterschiedlichen Kapiteln des EBM (Chirurgie Kapitel 7, Orthopädie Kapitel 18). Daher erfülle die Assistentin nicht die Abrechnungsbestimmungen.
Am 18.02.2022 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid. Er verwies auf die erfolgte Zusammenlegung der Planungsbereiche Chirurgie/Unfallchirurgie/Orthopädie im Planungsbereich der Stadt M1-Stadt und die sich daraus theoretisch ergebende Übernahmemöglichkeit einer orthopädischen Zulassung durch chirurgische Fachärzte. Auch könne bei Fachgebietüberschneidenden Beschwerdebildern auf unnötige Überweisungen außerhalb des Fachgebietes verzichtet werden.
Die Beklagte wies den klägerischen Widerspruch mit Bescheid vom 30.03.2022 zurück. Voraussetzung der Genehmigung sei, dass zwischen dem Vertragsarzt und der Assistentin Fachgebietsidentität gegeben sei. Darauf sei bereits in den Antragsunterlagen in dem Merkblatt "wichtige Informationen" hingewiesen worden. Denn anders als die Aus- und Weiterbildungsassistenten würden Sicherstellungsassistenten oftmals gerade dann eingesetzt, wenn der Vertragsarzt wegen Krankheit oder Kindererziehung vorübergehend nicht im erforderlichen Maß zur Verfügung stehen könne. Hier könne aus tatsächlichen Gründen oftmals keine ausreichende Aufsicht gegeben sein. Die Sicherstellungsassistentin trete dann dem Patienten gegenüber vielmehr als behandelnde Ärztin auf, womit sie einer Vertreterin bzw. angestellten Ärzten angenähert sei. Da die vertragsärztlichen Leistungen der Chirurgen nach Kapitel 7 EBM und die des Klägers nach Kapitel 18 EBM vergütet würden, sei eine Abrechnung der Leistungen der Assistentin nicht möglich und auch nicht zulässig.
Der Kläger hat am 27.04.2022 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Neben der Vertiefung seiner Argumente aus dem Widerspruchsverfahren hat er darauf verwiesen, dass das von der Beklagten angeführte Kriterium der Fachgebietsidentität nicht gesetzlich vorgeschrieben sei. Es sei keineswegs eindeutig, ob die analoge Gleichstellung eines Vertreters mit dem eines Sicherstellungsassistenten zulässig sei. Im Übrigen habe H. eine ausgewiesene unfallchirurgische und orthopädische Expertise mit langjährigem Ausbildungsabschnitt in einer gemischten (unfall-)chirurgischen-orthopädischen Abteilung in der Schweiz.
Der Kläger beantragt:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10.02.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2022 verpflichtet, dem Kläger die Genehmigung zur Beschäftigung von H. als Sicherstellungsassistentin (4 Wochenstunden), zunächst befristet für 12 Monate, zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass ein Sicherstellungsassistent neben dem Vertragsarzt unter der Leitung und Aufsicht des Vertragsarztes tätig sei. Er ergänze bzw. entlaste den Vertragsarzt, da dieser nicht im vollen Umfang in der Praxis tätig sein könne. Die Leistungen würden dem Kläger zugerechnet. Daher müssten hinsichtlich der Qualifikation des Sicherstellungsassistenten die gleichen Grundsätze analog wie bei einem Vertreter gefordert werden. Sowohl der Vertreter als auch der Sicherstellungsassistent kompensierten den Ausfall des Vertragsarztes. Nach der Rechtsprechung des BSG sei von einem Vertreter u.a. zu fordern, dass er die gleiche Gebietsbezeichnung wie der vertretenen Vertragsarzt führe. Sofern die Abrechnungsbestimmungen die Leistungserbringung (und deren Abrechnung) bestimmten Arztgruppen zuwiesen, sei auch der Assistent bzw. Vertreter hieran gebunden. Die für den Vertreter aufgestellten Grundsätze des BSG müssten auf die Genehmigung eines Sicherstellungsassistenten übertragen werden. In beiden Fällen erfolge die Abrechnung über den Vertretenen bzw. den Ansteller des Sicherstellungsassistenten.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger mitgeteilt, dass er zwei Kinder habe, die 15 und 17 Jahre alt seien. Sein Sohn werde im nächsten Monat 18 Jahre alt. Derzeit beschäftigte er H. als Weiterbildungsassistentin; diese Genehmigung der Beklagten sei bis 31.12.2023 befristet. Er wolle jedoch gerne H. ab sofort als Sicherstellungsassistentin beschäftigen und gegebenenfalls die Stelle des Weiterbildungsassistenten mit jemand anderem besetzen. In der Vergangenheit habe er aufgrund Kindererziehungszeiten schon T. als Sicherstellungsassistenten beschäftigt; nach seiner Erinnerung sei T. circa 12 Monate in seiner Praxis beschäftigt gewesen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.02.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung zur Beschäftigung von H. als Sicherstellungsassistentin (4 Wochenstunden), zunächst befristet für 12 Monate.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der insbesondere fristgemäß eingelegten Verpflichtungsklage liegen allesamt vor.
Die Klage ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Beschäftigung von H. als Sicherstellungsassistentin liegen vor. Der Kläger hat daher einen Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigung (vgl. BSG, Urteil vom 21.11.1958, Az. 6 RKa 21/57, Rn. 18).
Rechtsgrundlage für die Genehmigung der Beschäftigung eines Vertreters bzw. eines Assistenten ist § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV. Danach darf der Vertragsarzt einen Vertreter oder einen Assistenten mit vorheriger Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung (§ 32 Abs. 2 Satz 5 Ärzte-ZV) beschäftigen während Zeiten der Erziehung von Kindern bis zu einer Dauer von 36 Monaten, wobei dieser Zeitraum nicht zusammenhängend genommen werden muss. Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage dafür ist § 98 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 13 SGB V. Hiernach regelt die Ärzte-ZV das Nähere zu den Voraussetzungen, unter denen nach den Grundsätzen der Ausübung eines freien Berufes die Vertragsärzte u.a. Assistenten in der vertragsärztlichen Versorgung beschäftigen dürfen.
Der in § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV normierte Grund der Erziehung von Kindern ist vorliegend in der Person des 15jährigen Kindes des Klägers erfüllt. Entscheidend ist, dass der Kläger ein Kind erzieht, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (BSG, Urteil vom 14.07.2021, Az. B 6 KA 15/20 R, LS 1). Wegen der Erziehung seiner beiden Kinder hat der Kläger bisher weniger als 24 Monate eine Sicherstellungsassistenz in Anspruch genommen. Der Kläger beabsichtigt eine nur vorübergehende Beschäftigung von H., zunächst begrenzt auf zwölf Monate.
Zur Überzeugung der Kammer besitzt H., die approbiert und Fachärztin für Chirurgie ist, auch die notwendige Qualifikation für die Tätigkeit als Sicherstellungsassistentin in der Praxis des Klägers. Erforderlich ist gem. § 32 Abs. 2 Ärzte-ZV lediglich die Approbation, nicht jedoch eine abgeschlossene Weiterbildung mit Anerkennung der gleichen Facharztbezeichnung wie der Vertragsarzt.
Für das von der Beklagten aufgestellte Erfordernis der Fachgebietsidentität von Vertragsarzt und Sicherstellungsassistentin existiert keine Rechtsgrundlage. Die BSG-Rechtsprechung, wonach das für alle als Vertreter tätigen Ärzte bestehende Erfordernis einer abgeschlossenen Weiterbildung dahingehend interpretiert wird, dass ein prinzipiell gleicher Qualifikationsstandard von Vertragsarzt und Vertreter gefordert wird (BSG, Urteil vom 14.12.2011, Az. B 6 KA 31/10 R, Rn. 37), kann nicht auf (Sicherstellungs-)Assistenten übertragen werden.
Hinsichtlich der Vertretung regelt § 32 Abs. 1 Satz 5 Ärzte-ZV, dass sich der Vertragsarzt grundsätzlich nur durch einen anderen Vertragsarzt oder durch einen Arzt, der die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 erfüllt, vertreten lassen darf. § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV nennt als Voraussetzungen für die Eintragung in das Arztregister die Approbation als Arzt sowie den erfolgreichen Abschluß entweder einer allgemeinmedizinischen Weiterbildung oder einer Weiterbildung in einem anderen Fachgebiet mit der Befugnis zum Führen einer entsprechenden Gebietsbezeichnung. Notwendiges Qualifikationserfordernis eines Vertreters ist demnach neben der Approbation eine abgeschlossene Weiterbildung mit Anerkennung einer Facharztbezeichnung.
Die Regelungen zur Beschäftigung einer (Sicherstellungs-)Assistentin sehen hingegen nicht das Erfordernis einer abgeschlossenen Weiterbildung vor. § 32 Abs. 2 Ärzte-ZV enthält keinen Verweis auf § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV. Die Vorschrift unterscheidet bezüglich der notwendigen Qualifikation auch nicht zwischen Weiterbildungsassistenten, deren Zweck gerade die Beschäftigung zur Erlangung einer Weiterbildung ist, und Sicherstellungsassistenten.
Somit kann für die Qualifikation von Sicherstellungsassistenten mangels Rechtsgrundlage keine abgeschlossene Weiterbildung gefordert werden. Damit fehlt zugleich die Grundlage für das von der Beklagten postulierte Erfordernis der Fachgebietsidentität.
Dass unterschiedliche Anforderungen an die Qualifikation von (Sicherstellungs-)Assistenten und Vertretern gestellt werden, ist zur Überzeugung der Kammer auch sachgerecht. Nach der Rechtsprechung des BSG meint "Vertreter" denjenigen Arzt, der bei Verhinderung - also Abwesenheit - des Vertragsarztes in dessen Namen die Praxis weiterführt, während "Assistent" ein Arzt ist, der unter (An-)Leitung und Aufsicht des Vertragsarztes gleichzeitig mit diesem oder neben diesem tätig wird (BSG, Urteil vom 14.07.2021, Az. B 6 KA 15/20 R, Rn. 20 m.w.N.; a. A. Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 4. Auflage, 2021, Rn. 1681, wonach der genehmigte Entlastungsassistent eigenverantwortlich und ohne Aufsicht des anstellenden Vertragsarztes im Rahmen seiner Fachgebietsgrenzen tätig werden darf). Unterscheidungskriterium zwischen Vertreter und Assistenten ist danach die Aufsicht, die dem Vertragsarzt beim Assistenten, nicht jedoch beim Vertreter obliegt. Je nach Stand der Weiterbildung und der Erfahrung des Assistenten wird die Intensität der Anleitung und Aufsicht durch den Vertragsarzt variieren; im Ergebnis dürfte der Facharztstandard analog der im stationären Sektor geltenden Regeln gewährleistet werden. Weil der (Sicherstellungs-)Assistent anders als der Vertreter die Praxis grundsätzlich nicht alleine führt, können und müssen für ihn nicht die Qualifikationserfordernisse gelten, die an einen Vertreter zu stellen sind.
Würde man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen, würde zudem die gesetzlich geregelte Institution des Sicherstellungsassistenten weitestgehend hinfällig werden; statt der Beschäftigung eines Sicherstellungsassistenten könnte der Vertragsarzt grundsätzlich gleich die Genehmigung zur Beschäftigung eines (nicht zu beaufsichtigenden) Vertreters beantragen.
Schließlich erscheint es der Kammer unabhängig von der rechtlichen Bewertung auch unter Versorgungsgesichtspunkten nicht opportun, derart hohe Anforderungen an die Qualifikation von Sicherstellungsassistenten zu stellen. Gerade angesichts zunehmender personeller Engpässe im (niedergelassenen) ärztlichen Bereich dürfte es sinnvoll sein, die Beschäftigung von Sicherstellungsassistenten eher zu fördern als einzuschränken (vgl. auch Scholz in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht (Stand 01.03.2023), § 32 Ärzte-ZV Rn. 39).
Nach alledem muss der Sicherstellungsassistent nicht dieselbe Qualifikation besitzen wie der Vertragsarzt (so auch SG Marburg, Beschluss vom 19.03.2008, Az. S 12 KA 520/07, Rn. 7; Harwart/Thome in: Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Auflage, § 32 Rn. 95; Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 95 (Stand: 02.02.2023) Rn. 830; Scholz in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK Sozialrecht (Stand 01.03.2023), § 32 Ärzte-ZV Rn. 39).
Auf die klägerische Argumentation, dass es bei den hier inmitten stehenden Facharztkompetenzen "Chirurgie" einerseits und "Orthopädie und Unfallchirurgie" andererseits nicht unerhebliche Überschneidungen hinsichtlich der Ausbildungsinhalte und abrechenbaren Leistungen gibt, kam es vorliegend nicht (mehr) an.
H. besitzt aufgrund ihrer Approbation die notwendige Qualifikation für die Tätigkeit als Sicherstellungsassistentin in der Praxis des Klägers
Aus alledem ergibt sich der Anspruch des Klägers auf Erteilung der Genehmigung zur Beschäftigung von H. als Sicherstellungsassistentin (4 Wochenstunden), zunächst befristet für 12 Monate.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.