S 12 KA 9/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 9/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Im Rahmen des dreijährigen IP-Programms können sowohl Hauszahnärzte als auch Kieferorthopäden IP-Leistungen abrechnen. Eine Doppelabrechnung von IP-Leistungen entsteht dabei nur dann, wenn die jeweilige Leistung nach der BEMA Nr. IP 1, 2 oder 4 in dem in der Leistungslegende des BEMA genannten kalenderhalbjährigen Zeitraum mehrfach bzw. von mehr als einem Behandler erbracht wird.


Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung von KFO-Abrechnungen mehrerer Praxen betreffend das Quartal I/19 hinsichtlich der individual-prophylaktischen Leistungen nach den Nrn. IP1, IP2 und IP4 BEMA in Höhe von 16.807,06 €.

Die Klägerin stellte mit Schreiben vom 01.09.2020 (Bl. 10 der Verwaltungsakte) einen Antrag auf eine rechnerische Berichtung für das 1. Quartal 2019 betreffend des IP-Programms bei Hauszahnarzt und Kieferorthopäden. In dem Schreiben teilte sie mit, dass sie bei der Prüfung der Abrechnung – BEMA Teil 1 – Abweichungen festgestellt hätte. Grundsätzlich seien die individualprophylaktischen Leistungen (IP) auch durch den Kieferorthopäden zu erbringen, allerdings nur dann, wenn das IP-Programm nicht bereits vorab bei dem Hauszahnarzt begonnen worden sei. Bei den beigefügten Fällen seien IP-Leistungen durch Kieferorthopäden abgerechnet worden, obwohl sich das Kind in fortlaufender Behandlung (einschließlich IP-Behandlung) bei dem Hauszahnarzt befunden hätte. Es werde angenommen, dass eine zuvor erforderliche Abstimmung zwischen Hauszahnarzt und Kieferorthopäden hinsichtlich der Durchführung des IP-Programmes nicht durchgeführt worden sei. Hieraus ergebe sich ein Rückforderungsbetrag in Höhe von 17.251,34 €. Beigefügt habe sie eine Aufstellung der Einzelfälle mit Fallnummern, bei denen deshalb die Voraussetzungen für die Abrechnung der Kosten für die erbrachten IP-Leistungen durch den Kieferorthopäden nicht erfüllt seien (Bl. 11 bis 48 der Verwaltungsakte). Sie bitte um Prüfung und Bearbeitung im Rahmen von § 24 Abs. 6 BMV-Z. 

Die Beklagte wies den Antrag mit der Begründung ab, dass keine bundesmantelvertragliche Abstimmungsnorm im BMV-Z vorhanden sei (Bescheid vom 24.02.2021, Bl. 2 der Verwaltungsakte).

Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 24.02.2021 mit Schreiben vom 15.03.2021 Widerspruch ein und verwies auf die Ausführungen im BMV-Z und auf eine Entscheidung des SG Dresden vom 19.09.2007 (Az. S 11 KA 5061/05 Z).

Über den Widerspruch entschied die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2021 (Bl. 51 bis 58 der Verwaltungsakte). Dabei gab sie dem Widerspruch in Höhe von 444,28 € statt und wies ihn im Übrigen zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Einzelfallprüfung hätte ergeben, dass nur in einer geringen Anzahl tatsächlich eine doppelte Leistungserbringung bei unterschiedlichen Behandlern erfolgt sei. Rechtsgrundlage für das IP-Programm sei vorrangig § 22 SGB V. Eine leistungsrechtliche Einschränkung dahingehend, dass die Durchführung des Programms nach Beginn ausschließlich dem Hauszahnarzt bzw. dem vertragszahnärztlichen Leistungserbringer, der das Programm begonnen hat, zustehe, ergebe sich nicht aus der Norm. Auch § 2 Abs. 2a) Anlage 3 BMV-Z zeige, dass die Durchführung eines IP-Programms durch mehrere Leistungserbringer vom Verordnungsgeber als zulässig angesehen worden sei. Diesbezüglich erinnere sie auch an die Hinweispflicht der Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 Anlage 3 BMV-Z gegenüber den Versicherten. Es obliege ihr, die Patienten entsprechend zu informieren. Die auf der Basis von § 22 Abs. 5 SGB V erlassene Richtlinie des G-BA über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen (Individualprophylaxe) enthalte wiederum keine Einschränkung. Die weiteren in Anlage 3 BMV-Z befindlichen Regelungen würden zunächst nur normieren, dass der Patient innerhalb von drei Jahren nur Anspruch auf Durchführung eines IP-Programms hätte. Im Hinblick auf § 4 Abs. 2 Anlage 3 BMV-Z könne ein dreijähriges IP-Programm durchaus von mehreren vertragszahnärztlichen Leistungserbringern bei einem Versicherten durchgeführt werden. Maßgeblich sei dabei nur, dass es nicht zu einer tatsächlichen Doppelabrechnung komme. Ob diese vorliege, ergebe sich allein aus der Leistungslegende der Nrn. IP 1-4 BEMA, wobei hier nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z. B. B 6 KA 1/08 R) der Wortlaut der Regelung entscheidend sei. Aufgrund dieses Grundsatzes sei die Einschränkung, dass grundsätzlich nur ein Leistungserbringer das IP-Programm durchführen dürfe, nicht haltbar. Sie lasse sich auch nicht dem angeführten Urteil des SG Dresden (Az. S 11 KA 5061/95 Z) entnehmen. Es liege nur dann eine tatsächliche sanktionierungsfähige Doppelabrechnung vor, wenn zwei (oder mehrere) vertragszahnärztliche Leistungserbringer IP-Leistungen innerhalb eines im BEMA festgelegten Zeitraums, nämlich eines Kalenderhalbjahres, durchgeführt hätten. Falls aber eine solche Doppelabrechnung nicht erfolgt sei, handele es sich um ein IP-Programm, welches durch mehrere Leistungserbringer erbracht werde und nicht um zwei IP-Programme, die nebeneinander durchgeführt würden. Die Intention der Individualprophylaxe sei die Prävention von Karies und Parodontitis gerade bei Kindern und Jugendlichen. Der Erfolg des IP-Programms hänge dabei nicht von der Anzahl der in dem Programm tätigen Leistungserbringern ab.

Aus diesem Grund seien nur in den folgenden Behandlungsfällen Korrekturen vorzunehmen, da dort jeweils die IP-Programm zu viel abgerechnet worden seien:

A. (*2007): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
B. (*2005): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
C. (*2007): IP1 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 22,77 € ergebe.
D. (*2002): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
E. (*2008): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
F. (*2004): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
G. (*2007): IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 19,36 € ergebe.
H. (*2004): IP1 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 22,77 € ergebe.
J. (*2010): IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 19,36 € ergebe.
K. (*2009): IP1 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 22,78 € ergebe.
L. (*2005): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
M. (*2005): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.
N. (*2002): IP1 und IP2 sei einmal zu viel abgerechnet worden, wodurch sich eine Gutschrift in Höhe von 42,15 € ergebe.

Insgesamt ergebe sich daher ein Regress in Höhe von 444,28 €.

Hinsichtlich der Einzelheiten zu den Behandlungsfällen wird auf den Widerspruchsbescheid (Bl. 55 bis 58 der Verwaltungsakte) und dessen Anlagen (Anlage 1: Bl. 60 bis 94 der Verwaltungsakte; Anlage 2: Bl. 95 bis 97 der Verwaltungsakte; Anlage 3: Bl. 98 bis 113 der Verwaltungsakte) Bezug genommen.

Die Klägerin hat anschließend Klage erhoben. Sie trägt vor, sie mache gegenüber der Beklagten Ansprüche aus ungerechtfertigter Abrechnung von individual-prophylaktischen Leistungen nach den Nrn. IP1, IP2 und IP4 BEMA in der Fassung vom 05.11.2003 durch mehrere Praxen im selben Zeitraum geltend. Hintergrund sei, dass die Abrechnung von Individualprophylaxe-Leistungen durch den Kieferorthopäden eine unzulässige Doppelabrechnung darstelle, wenn die IP-Programme bereits vor der KFO-Behandlung von einem Hausarzt begonnen, fortlaufend durchgeführt und abgerechnet worden seien. 

Die Abrechnungsfähigkeit und Vergütung der zahnärztlichen Leistungen für Maßnahmen der Individualprophylaxe bestimme sich nach Abschnitt III von Teil 1 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes zahnärztlicher Leistungen. Danach könne der Mundhygienestatus mit der Nr. IP 1 je Kalenderhalbjahr einmal, die Intensivmotivation mit der Nr. IP 2 einmal, die Remotivation mit der Nr. IP 3 viermal und die Fluoridierung mit der Nr. IP 4 sechsmal innerhalb des dreijährigen IP-Programms abgerechnet werden. IP-Leistungen würden im Rahmen eines dreijährigen IP-Programms erbracht. Offensichtlich sollten nicht einzelne IP-Leistungen abgerechnet werden, sondern die IP-Behandlung solle in strukturierter Form im Rahmen des IP-Programms von einem Behandler erbracht werden. 

Es müsse in jedem Fall, ggf. durch Rücksprache des Zahnarztes mit dem behandelnden Zahnarzt, sichergestellt werden, dass nicht mehrere IP-Programme bei einem Versicherten parallel durchgeführt würden. Ohne Zweifel hätten Versicherte innerhalb von drei Jahren nur Anspruch auf Durchführung eines IP-Programms. Die abwechselnde Abrechnung von IP-Leistungen durch verschiedene Behandler entspräche nicht dem Behandlungskonzept der IP-Behandlung. Es bestünde die Verpflichtung für den Kieferorthopäden zu ermitteln, ob bereits ein IP-Programm durchgeführt worden sei. 

Eine Doppelabrechnung setze nicht voraus, dass im gleichen Quartal Leistungen sowohl vom Hauszahnarzt als auch vom Kieferorthopäden abgerechnet worden seien. Unabhängig vom abgerechneten Quartal gehe es bei der Prüfung um die gleichzeitige Durchführung von IP-Programmen durch den Hauszahnarzt und einem Kieferorthopäden. Des Weiteren gäbe es auch keine Abrechnungsbestimmungen, wonach einzelne IP-Leistungen nebeneinander vom Kieferorthopäden und vom Hauszahnarzt abgerechnet werden könnten. Auch in der Kommentierung stehe bei den Besonderheiten ausdrücklich, dass eine Abstimmung erforderlich sei, um eine Doppelbehandlung zu vermeiden.

Um Zweifelsfälle auszuschließen hätte sie nur Fälle selektiert, bei denen vor und nach der Abrechnung von IP-Leistungen durch Kieferorthopäden auch der Hauszahnarzt IP-Leistungen abgerechnet hätte. Die Information, bei welchem Hauszahnarzt sich der Patient in Behandlung befinde, lasse sich durch die gängigen Patientenfragebögen oder durch das Bonusheft, das für Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr geführt werden solle, ohne großen Aufwand ermitteln. 

Es werde hinzugefügt, dass dem öffentlichen lnternetauftritt der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Bayern und der bereitwilligen sachlich-rechnerischen Berichtigungen ihrer Anträge anderer KZV zu entnehmen sei, dass bereits seit Jahren in den Abrechnungshinweisen zu IP-Leistungen ausdrücklich auf den Abstimmungsbedarf zwischen Kieferorthopäden und Zahnarzt hingewiesen werde.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2021 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 16.807,06 € an sie zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweise sie zunächst auf die Ausführungen des Erst- und Widerspruchsbescheides. 

Bei der Frage, ob es hier zu Doppelbehandlungen gekommen sei, komme dem Sinn und Zweck der Vereinbarung darüber, dass IP-Leistungen sowohl von Hauszahnärzten als auch von Kieferorthopäden durchgeführt werden könnten, eine besondere Bedeutung zu. Bekanntlich seien Patienten, die sich neben der allgemeinen hauszahnärztlichen Behandlung auch in kieferorthopädischer Behandlung befinden, aufgrund des Alters, der Ernährungsgewohnheiten, wegen des Zahndurchbruchs, der Zahnstellung und der Zahnhärte sowie der zusätzlichen kieferorthopädischen Apparatur nicht selten einem höheren Kariesrisiko ausgesetzt. Zwar könne und solle sich der behandelnde Kieferorthopäde hinsichtlich der Durchführung der Individualprophylaxe auf den Hauszahnarzt verlassen können. Dennoch würden diese zum Wohle des Patienten Hand in Hand zusammenarbeiten. Ein Patient, der sich auch in kieferorthopädischer Behandlung befinde, bedürfe jedoch bezüglich der IP-Leistungen eine speziellere Behandlung als ein Patient, der sich nur in hauszahnärztlicher Behandlung befinde. Ein Kieferorthopäde könne aufgrund seiner speziellen Praxis in solchen Fällen eine auf den Patienten abgestimmte IP-Leistung durchführen. Er verfüge u.a. über speziellere Instrumente und Geräte, die eine genaue Reinigung der Spange sowohl vor als auch nach der Apparaturentnahme erlauben würde. Dem Hauszahnarzt fehle es dabei nicht selten an dem entsprechenden Wissen und der Erfahrung bezüglich der IP-Leistungen, der es bei Patienten bedürfe, die sich in kieferorthopädischen Behandlung befinden würden. Daher sei die Einigung, dass sowohl Hauszahnärzte als auch Kieferorthopäden IP-Leistungen an einem Patienten durchführen dürften, unvermeidbar gewesen. Sie weise auch darauf hin, dass ein Patient, der sich lediglich in hauszahnärztlicher Behandlung befinde, den Hauszahnarzt in der Regel einmal im Kalenderhalbjahr besuche, wohingegen ein Patient, der sich auch in kieferorthopädischer Behandlung befinde, die Praxis des Kieferorthopäden in viel kürzeren Kontrollintervallen aufsuche. Daher erscheine es notwendig und wirtschaftlich, wenn erforderliche IP-Leistungen nicht ausschließlich durch den Hauszahnarzt durchgeführt würden, sondern auch durch den Kieferorthopäden, den der Patientin regelmäßigeren Abständen aufsuche. Maßgeblich sei dabei nur, dass der notwendige Zeitraum zwischen den verschiedenen IP-Leistungen, der den dauerhaften Erfolg der Individualprophylaxe gewährleisten solle, nicht unterschritten werde und dass im Übrigen keine tatsächliche Doppelabrechnung erfolge. Eine solche liege indes nur vor, wenn in einem Kalenderhalbjahr durch den Hauszahnarzt und den Kieferorthopäden die gleichen IP-Leistungen abgerechnet würden. 

Die Auffassung der Klägerin hingegen führe dazu, dass die Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung darüber, dass auch Kieferorthopäden IP-Leistungen durchführen dürfen, gänzlich ins Leere ginge. Entscheidend sei hier vielmehr die einschlägigen BEMA-Leistungslegenden der Nummern IP 1-2. Nur wenn die einzelnen BEMA-Nummern im Kalenderhalbjahr (behandlerbezogen oder behandlerübergreifend) mehrfach betroffen seien, könne von einer unzulässigen Doppelabrechnung ausgegangen werden. Die Klägerin hätte allein aus dem Grund, dass Kieferorthopäden neben den Hauszahnärzten IP-Leistungen durchgeführt hätten, auf eine unzulässige Doppelabrechnung geschlossen, was jedoch fehlerhaft sei. Die Klägerin gehe zudem rechtsirrig davon aus, dass die Anlage 3 zum BMV-Z verbindliche abrechnungstechnische Vorgaben enthalte. Dies gelte insbes. für die in § 4 Abs. 2 der Anlage 3 BMV-Z vorgesehene Dauer des IP-Programms von drei Jahren. Bei dieser Regelung handele es sich um eine Programmvorgabe, die sich primär an die Versicherten und Erziehungsberechtigten wenden würde, wie die Formulierung in § 2 Abs. 2a der Anlage 3 BMV-Z zeige. Die konkrete Leistungserbringung werde in der Anlage 3 hingegen nicht geregelt. Außerdem schließe die Anlage eine abwechselnde Durchführung und Abrechnung einzelner IP-Leistungen durch mehrere Leistungserbringer in dem Zeitraum nicht abschließend aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.
 

Entscheidungsgründe

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz < SGG >).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 24.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2021 ist rechtmäßig. Ein Anspruch der Klägerin auf Festsetzung einer Honorarberichtigung in der im Klageverfahren beantragten Höhe besteht nicht.

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag der Klägerin auf Durchführung einer sachlich-rechnerischen Prüfung gemäß § 106d Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 106d Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

Die Beklagte war zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertrags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertrags(zahn)ärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertrags(zahn)ärzte fest; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106d Abs. 2 Satz 1 SGB V, § 27 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte < BMV-Z >). Es obliegt deshalb nach § 24 Abs. 1 BMV-Z der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen. Die Prüfung kann dabei auf Antrag der Krankenkasse erfolgen (§ 106d Abs. 4 Satz 1 SGB V).

Bei den beantragten Absetzungen handelt es sich um sachlich-rechnerische Berichtigungen. Die Klägerin geht davon aus, dass die Voraussetzungen für die Abrechnung von individualprophylaktischen Leistungen (IP) durch die Kieferorthopäden in den von ihr im Antrag genauer bezeichneten Fällen nicht erfüllt seien. Grund hierfür sei, dass in den genannten Fällen das IP-Programm bereits durch den Hauszahnarzt begonnen worden sei. Die Abrechnung von IP-Leistungen durch den Kieferorthopäden könne nicht erfolgen, wenn sich das Kind in fortlaufender Behandlung (einschließlich IP-Behandlung) bei dem Hauszahnarzt befinde.

Die Beklagte hat jedoch die Durchführung einer Honorarberichtigung in den weit überwiegenden Fällen abgelehnt. Ihrer Auffassung nach läge nur dann eine unzulässige Doppelabrechnung vor, wenn zwei (oder mehrere) vertragszahnärztliche Leistungserbringer IP-Leistungen innerhalb eines Kalenderhalbjahres erbracht hätten.

Die Kammer folgt im Ergebnis der Auffassung der Beklagten. Mangels einer Doppelabrechnung im abrechnungstechnischen Sinne hat diese zu Recht die Festsetzung einer Honorarberichtigung über die im Widerspruchsbescheid festgestellten Regressfälle hinaus abgelehnt.

Rechtsgrundlage für das streitgegenständliche IP-Programm ist § 22 SGB V. Dieser regelt zur Individualprophylaxe folgendes:
„(1) Versicherte, die das sechste, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, können sich zur Verhütung von Zahnerkrankungen einmal in jedem Kalenderhalbjahr zahnärztlich untersuchen lassen.
(2) Die Untersuchungen sollen sich auf den Befund des Zahnfleisches, die Aufklärung über Krankheitsursachen und ihre Vermeidung, das Erstellen von diagnostischen Vergleichen zur Mundhygiene, zum Zustand des Zahnfleisches und zur Anfälligkeit gegenüber Karieserkrankungen, auf die Motivation und Einweisung bei der Mundpflege sowie auf Maßnahmen zur Schmelzhärtung der Zähne erstrecken.
(3) Versicherte, die das sechste, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, haben Anspruch auf Fissurenversiegelung der Molaren.
(4) [aufgehoben]
(5) Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt das Nähere über Art, Umfang und Nachweis der individualprophylaktischen Leistungen in Richtlinien nach § 92.“

Der Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) hat über die Ermächtigung des § 22 Abs. 5 SGB V eine Richtlinie über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen (Individualprophylaxe-RL) erlassen. 

Weitere Regelungen zur Individualprophylaxe enthält Anlage 3 „Vereinbarung über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen (Individualprophylaxe)“ des Bundesmantelvertrags – Zahnärzte (BMV-Z).

Die IP-Leistungen selbst sind im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) wie folgt geregelt:

Nr. Leistung Bewertungszahl
IP 1 Mundhygienestatus

Die Erhebung des Mundhygienestatus umfasst die Beurteilung der Mundhygiene und des Gingivazustands anhand eines geeigneten Indexes (z. B. Approximalraum-Plaqueindex, Quigley-Hein-Index, Papillenblutungsindex; der einmal gewählte Index ist beizubehalten), die Feststellung und Beurteilung von Plaque-Retentionsstellen und ggf. das Anfärben der Zähne

1. Eine Leistung nach Nr. IP 1 kann je Kalenderhalbjahr einmal abgerechnet werden
2. Leistungen nach Nrn. IP 1 bis IP 5 können nur für Versicherte abgerechnet werden, die das sechste, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben. Für andere Versicherte können Leistungen nach den Nrn. IP 4 bis IP5 nur abgerechnet werden, soweit dies in den Abrechnungsbestimmungen ausdrücklich vereinbart ist.
 
20
IP 2 Mundgesundheitsaufklärung bei Kindern und Jugendlichen

Aufklärung des Versicherten und ggf. dessen Erziehungsberechtigten über Krankheitsursachen sowie deren Vermeidung, Motivation und Remotivation

Die Mundgesundheitsaufklärung umfasst folgende Leistungen:
-    Aufklärung über Ursachen von Karies und Gingivitis sowie deren Vermeidung
-    ggf. Ernährungshinweise und Mundhygieneberatung, auch unter Berücksichtigung der Messwerte der gewählten Mundhygiene-Indizes
-    Empfehlungen zur Anwendung geeigneter Fluoridierungsmittel zur Schmelzhärtung (fluoridiertes Speisesalz, fluoridierte Zahnpasta, fluoridierte Gelees und dergl.); ggf. Abgabe / Verordnung von Fluoridtabletten
-    Praktische Übungen von Mundhygienetechniken, auch zur Reinigung der Interdentalräume

Der Zahnarzt soll Inhalt und Umfang der notwendigen Prophylaxemaßnahmen nach den individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls festlegen. In einem Zeitraum von drei Jahren sind alle Leistungsbestandteile mindestens einmal zu erbringen.
1. Eine Leistung nach Nr. IP 2 kann je Kalenderhalbjahr einmal abgerechnet werden.
2. Die Abrechnung der Nr. IP 2 setzt die Einzelunterweisung voraus.
 
17
IP 4 Lokale Fluoridierung der Zähne

Die Nr. IP 4 umfasst folgende Leistungen:
Die lokale Fluoridierung zur Zahnschmelzhärtung mit Lack, Gel o.ä. einschließlich der Beseitigung von weichen Zahnbelägen und der Trockenlegung der Zähne.
1. Das Entfernen harter Zahnbeläge ist nach Nr. 107 abzurechnen.
2. Eine Leistung nach Nr. IP 4 kann je Kalenderhalbjahr einmal abgerechnet werden.
3. Bei Versicherten mit hohem Kariesrisiko kann ab dem 6. Lebensjahr bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres die Nr. IP 4 je Kalenderhalbjahr zweimal abgerechnet werden.
 
12


Dabei sind die Regelungen des BEMA nach § 87 Abs. 1 SGB V Bestandteil des BMV-Z und dieser nebst seinen Anlagen wiederum gemäß § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB V Bestandteil der Gesamtverträge, sodass die dargestellten Regelungen des BEMA zunächst für alle Leistungen anzuwenden sind.

Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM-Ä - des Bewertungsausschusses (BewA) gemäß § 87 Abs. 1 SGB V - ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw. Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann gegeben, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (< BSG >, vgl. nur BSG, Urteil vom 13.05.2020, B 6 KA 24/18 R, Rn. 13 Juris m. w. N.). Die dargestellten Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Auslegung der vertragszahnärztlichen Gebührenpositionen des BEMA.

Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Kammer, dass im Rahmen des dreijährigen IP-Programms sowohl Hauszahnärzte als auch Kieferorthopäden IP-Leistungen abrechnen können. Eine Doppelabrechnung von IP-Leistungen entsteht dabei nur dann, wenn die jeweiligen Leistungen nach den BEMA-Nrn. IP 1, 2 oder 4 in einem Kalenderhalbjahr mehrfach bzw. von mehr als einem Behandler erbracht werden. Dies lässt sich dem Wortlaut der BEMA-Nrn. IP 1, 2 und 4 entnehmen, der auf einen Zeitraum von einem Kalenderhalbjahr als Grenze der Abrechenbarkeit abstellt. 

Soweit sich aus den ebenfalls heranzuziehenden Regelungen der Anlage 3 BMV-Z ergibt, dass das IP-Programm auf einen dreijährigen Zeitraum angelegt ist, so lässt sich dem nicht entnehmen, dass während des gesamten Zeitraums nur von einem Behandler Leistungen erbracht werden dürfen. Eine solche ausdrückliche Regelung wäre jedoch notwendig gewesen, um eine Einschränkung der Abrechenbarkeit anzunehmen, die sich nicht alleine aus der Leistungslegende ergibt. Der Umstand, dass die Anlage 3 BMV-Z in § 2 Abs. 2 Satz 2 gerade auch auf die halbjährigen Behandlungsabschnitte abstellt, zeigt, dass eine Differenzierung innerhalb des IP-Programmes bewusst angelegt worden ist. Die genaue Ausgestaltung wiederum ergibt sich aus den Regelungen im BEMA. Hier wurde eine Aufteilung des IP-Programms auf die Abrechnungsbestimmungen Nr. IP 1, 2 und 4 gewählt, die jeweils innerhalb eines kalenderhalbjährigen Behandlungszeitraums erbracht werden dürfen. Die Prüfung einer Doppelabrechnung muss deswegen anhand dieser einzelnen Abrechnungsbestimmungen erfolgen, was letztendlich dazu führt, dass als Einschränkung der Abrechnung einzig auf den dort geregelten kalenderhalbjährlichen Zeitraum abgestellt werden kann.

Die gegenteilige Auffassung der Klägerin lässt sich weder dem Wortlaut der maßgeblichen Normen noch einer weitergehenden Auslegung der Abrechnungsbestimmungen entnehmen. Ziel der Individualprophylaxe ist die Erhaltung der Zahngesundheit durch Vorbeugung gegen Karies und Parodontal-Erkrankungen. Hierzu sollen Versicherte, die das sechste, aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, einmal in jedem Kalenderhalbjahr individualprophylaktisch behandelt werden. Durch die Einführung und Ausweitung der Individualprophylaxe wurden erhebliche Erfolge im Hinblick auf die Mundgesundheit der Versicherten erzielt. Dabei handelt es sich um Vorsorgemaßnahmen, die dem Aufbau einer dauerhaften Compliance der Patienten dienen sollen. Die Leistungen können dabei grundsätzlich sowohl vom Hauszahnarzt als auch vom Kieferorthopäden erbracht werden. Das zugrundeliegende Konzept einer ständigen begleitenden Motivation der Kinder bzw. Jugendlichen lässt sich aber nur dann sinnvoll umsetzen, wenn Patienten, die sowohl beim Hauszahnarzt als auch beim Kieferorthopäden in Behandlung sind, von beiden Behandlern im Rahmen des IP-Programms zur ausreichenden Mundhygiene angehalten werden können. Die von der Klägerin gewünschte Einschränkung, dass während des gesamten dreijährigen Zeitraums des IP-Programms nur ein Behandler IP-Leistungen abrechnen kann, könnte im Einzelfall dazu führen, dass das Ziel der Individualprophylaxe verfehlt wird.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
 

Rechtskraft
Aus
Saved