L 7 R 51/23 ZV

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 22 R 213/20 ZV
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 51/23 ZV
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Arbeitsentgelt iS der §§ 14 SGB IV, 6 Abs 1 S 1 AAÜG stellen auch die in der DDR vom Betrieb an den Arbeitnehmer gezahlten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dar, da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen erbrachte Arbeitsleistung in Form der erbrachten "langjährigen ununterbrochenen Tätigkeit und Pflichterfüllung" handelte.

Bemerkung

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - Arbeitsentgelt - zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 4. Januar 2023 abgeändert. Die Beklagte wird, unter Aufhebung des Überprüfungsablehnungsbescheides vom 5. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2020, verurteilt, den Feststellungsbescheid vom 8. Juli 2002 dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1979 bis 1983 weitere Arbeitsentgelte der Klägerin wegen zu berücksichtigender zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe wie folgt festzustellen sind:

Für das Jahr:             

1979

289,33 Mark

1980

433,20 Mark

1981

447,74 Mark

1982

465,66 Mark

1983

725,24 Mark

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

  1. Die Beklagte erstattet der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten zur Hälfte.

 

  1. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten – im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens und im Berufungsverfahren nur noch – über die Verpflichtung der Beklagten, weitere Entgelte der Klägerin für Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für die Zuflussjahre 1979 bis 1983 in Form von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion festzustellen.

 

Der 1946 geborenen Klägerin wurde, nach erfolgreichem Abschluss eines in der Zeit von September 1965 bis August 1970 absolvierten Hochschulstudiums in der Fachrichtung "Konstruktion und Technologie der Elektronik und Feingerätetechnik" an der Technischen Hochschule Z...., mit Urkunde vom 1. September 1970 der akademische Grad "Diplomingenieur" verliehen. Sie war vom 1. September 1970 bis 31. Dezember 1973 als Fertigungstechnologin und Auftragsleiterin im volkseigenen Betrieb (VEB) Kombinat Y....  X....  sowie vom 1. Januar 1974 bis 30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Überleitungstechnologin und systemverantwortliche Technologin im – unmittelbaren Rechtsnachfolgebetrieb – VEB Y....  Elektronik X...., einem Betrieb mit Bereichen der speziellen Produktion (= Betriebe, deren Reproduktionsprozess durch die Produktion für die bewaffneten Organe bestimmt wurde), beschäftigt; im Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1986 ruhte ihr Arbeitsrechtsverhältnis. Sie erhielt keine Versorgungszusage und war zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) einbezogen.

 

Am 13. Juli 2000 beantragte die Klägerin die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften und legte – im Laufe des Verfahrens – eine Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 16. November 2000 (für den Beschäftigungszeitraum von September 1970 bis Juni 1991) vor. Mit Bescheid vom 8. Juli 2002 stellte die Beklagte die Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 1. September 1970 bis 15. August 1972, vom 26. Oktober 1972 bis 31. Dezember 1983 und vom 1. Januar 1987 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte, auf der Grundlage der Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 16. November 2000, fest.

 

Mit Überprüfungsantrag vom 14. September 2007 (Eingang bei der Beklagten am 16. September 2007) begehrte die Klägerin erstmals die Berücksichtigung von Jahresendprämien sowie von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion bei den festgestellten Arbeitsentgelten. Die Beklagte forderte daraufhin von der Klägerin mit Schreiben vom 24. Juli 2008 die Übersendung konkret bezeichneter Unterlagen an und erinnerte mit Schreiben vom 23. September 2008 an die ausstehende Übersendung; zugleich kündigte sie an, den Vorgang zu schließen, sollten die Unterlagen weiterhin nicht übersandt werden. Nachdem die Klägerin erneut nicht reagierte, schloss die Beklagte den Vorgang bescheidlos und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 2008 mit, sie stelle den Überprüfungsantrag für unbestimmte Zeit zurück.

 

Mit Überprüfungsantrag vom 12. August 2014 (Eingang bei der Beklagten am 15. August 2014) begehrte die Klägerin die Berücksichtigung von Jahresendprämien in Höhe von 70 Prozent des Entgeltes des vorangegangenen Kalenderjahres als glaubhaft gemachtes Entgelt bei den bereits festgestellten Arbeitsentgelten. Sie legte hierzu eine schriftliche Erklärung des Zeugen D.... vom 3. Juni 2014 vor. Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. September 2014 ab. Den hiergegen am 30. September 2014 erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2015 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob die Klägerin am 28. April 2015 Klage zum Sozialgericht Dresden (im Verfahren S 22 RS 644/15). Das Klageverfahren ruht seit 1. März 2016 (im Verfahren S 42 RS 644/15).

 

Mit weiterem Überprüfungsantrag vom 8. Februar 2019 (Eingang bei der Beklagten am 13. Februar 2019) begehrte die Klägerin die Berücksichtigung von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion bei den festgestellten Arbeitsentgelten und legte diesbezügliche arbeitsvertragliche Unterlagen vor.

 

Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagten mit Bescheid vom 5. Dezember 2019 ab.

 

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 (Eingang bei der Beklagten am 17. Dezember 2019) Widerspruch ein.

 

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2020 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Zufluss der begehrten weiteren Arbeitsentgelte in Form von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Die Gewährung und die Höhe der zusätzlichen Belohnungen des Einzelnen seien von der Leistung und persönlichen Voraussetzungen abhängig gewesen, die heute ohne entsprechende Unterlagen nicht mehr zweifelsfrei nachvollzogen werden könnten. Eine pauschale Berücksichtigung der Prämien könne nicht erfolgen.

 

Hiergegen erhob die Klägerin am 26. Februar 2020 Klage zum Sozialgericht Dresden (im Verfahren S 22 R 213/20 ZV) und begehrte die Berücksichtigung von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für den Zuflusszeitraum von Juli 1973 bis Juni 1990 im Rahmen der Glaubhaftmachung und legte erneut diesbezügliche arbeitsvertragliche Unterlagen vor.

 

Das Sozialgericht Dresden hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2023 (im Verfahren S 22 R 213/20 ZV) abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zusätzliche Belohnungen seien kein berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt, weil deren Zufluss zu Zeiten der DDR steuerfrei erfolgt sei. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei abzulehnen.

 

Gegen den ihr am 6. Januar 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 6. Februar 2023 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren im Hinblick auf die Berücksichtigung zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion, zunächst für den Zeitraum von September 1970 bis Juni 1990, später – nach richterlichem Hinweis mit Schreiben vom 13. März 2023 – beschränkt auf die Zuflussjahre 1979 bis 1983 im Rahmen der Glaubhaftmachung, weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus: Das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des BSG missachtet. Die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion seien dem Grunde nach glaubhaft gemacht worden. Die Höhe sei, wie es das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in ständiger Rechtsprechung praktiziere, berechenbar.

 

Die Klägerin beantragt – sinngemäß und sachdienlich gefasst –,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 4. Januar 2023 aufzuheben und die Beklagte, unter Aufhebung des Überprüfungsablehnungsbescheides vom 5. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2020, zu verurteilen, den Feststellungsbescheid vom 8. Juli 2002 abzuändern und zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die Zuflussjahre 1979 bis 1983 als glaubhaft gemachte zusätzliche Entgelte im Rahmen der nachgewiesenen Zusatzversorgungszeiten festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid im Ergebnis für zutreffend und führt ergänzend aus: Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Dresden sei im Ergebnis (Tenor) richtig. Die Begründung, mit der die Vorinstanz allerdings zu ihrem Urteil gekommen sei, stehe in Divergenz zur Rechtsprechung des BSG. Sie werde von der Beklagten nicht mitgetragen. Aber auch dann, wenn man den Sachverhalt nach Maßgabe der BSG-Rechtsprechung bewerte, sei der Anspruch der Klägerin aus den von der Beklagten im Widerspruchsbescheid und den im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Erwägungen abzulehnen. Der insoweit beweisbelasteten Klägerin sei es nicht gelungen, nachzuweisen   oder glaubhaft zu machen, in welchen einzelnen Jahren des Anspruchszeitraumes ihr in welcher konkreten Höhe zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion zugeflossen seien. Bei den zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion habe es sich zudem nicht um Arbeitsentgelt gehandelt. Es fehle der Lohncharakter. Die Belohnungen seien von der Arbeitsleistung losgelöst, im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers erbracht worden. Im Übrigen seien feststellungsfähige konkrete Zahlungen der zusätzlichen Belohnungen im streitbefangenen Zeitraum nicht glaubhaft gemacht worden, weil die speziellen Betriebsordnungen keine detaillierten Regelungen vorgeben würden. Es seien der Anknüpfungspunkt der Berechnungsbasis sowie der Berechnungszeitraum unklar. Darüber hinaus sei es der Klägerin nicht gelungen, das Kriterium "Pflichterfüllung" nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Eine Leistungseinschätzung stelle keine Grundlage für die Beurteilung der "Pflichterfüllung" im Rahmen einer gegebenenfalls zu zahlenden zusätzlichen Belohnung dar.

 

Das Gericht hat arbeitsvertragliche Unterlagen von der Klägerin beigezogen sowie eine schriftliche Erklärung des Zeugen D.... vom 20. März 2023 eingeholt.

 

Mit Schriftsätzen vom 13. April 2023 (Beklagte) und vom 14. April 2023 (Klägerin) haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

 

II.

Die statthafte und zulässige Berufung der Klägerin ist – nach der erklärten Berufungsbeschränkung – ganz überwiegend begründet, weil das Sozialgericht Dresden die Klage teilweise zu Unrecht abgewiesen hat. Die Klägerin hat in dem tenorierten Umfang Anspruch auf Feststellung zusätzlicher Arbeitsentgelte in Form von ihr in den Jahren 1979 bis 1983 zugeflossenen zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion im Rahmen der mit Bescheid vom 8. Juli 2002 bereits festgestellten Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben. Zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die (ursprünglich geltend gemachten) Zuflussjahre 1970 bis 1978 und 1984 bis 1990 begehrt die Klägerin ausdrücklich und ausweislich ihres Berufungsbeschränkungsschriftsatzes vom 3. April 2023 nicht (mehr); insoweit ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden bereits rechtskräftig geworden (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

 

Der Überprüfungsablehnungsbescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2020 ist (teilweise) rechtswidrig und verletzt die Klägerin (insoweit) in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil mit dem Feststellungsbescheid vom 8. Juli 2002 insoweit das Recht unrichtig angewandt bzw. von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (§ 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch [SGB X]). Deshalb waren der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 4. Januar 2023 abzuändern, der Überprüfungsablehnungsbescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 2020 aufzuheben und die Beklagte, unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 8. Juli 2002 zu verurteilen, weitere in den Jahren 1979 bis 1983 zugeflossene Entgelte wegen zu berücksichtigender glaubhaft gemachter zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, wie tenoriert, festzustellen. Soweit die Klägerin höhere, als die tenorierten, Entgelte wegen zu berücksichtigender zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion begehrt, war die Berufung im Übrigen (zumindest aus Gründen der Klarstellung) zurückzuweisen.

 

Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren (§ 149 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch [SGB VI]) ähnlichen Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit dem Feststellungsbescheid vom 8. Juli 2002 Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion hat sie jedoch zu Unrecht nicht berücksichtigt.

 

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Die Norm definiert den Begriff des Arbeitsentgeltes zwar nicht selbst. Aus dem Wort "erzielt", folgt aber im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln muss, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden, ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 19). Dabei muss es sich um eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung handeln, wobei unerheblich ist, ob das erzielte Arbeitsentgelt in der DDR einer Beitrags- oder Steuerpflicht unterlag (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 19). Die inhaltliche Bedeutung des Begriffs "Arbeitsentgelt" im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG bestimmt sich nach dem bundesdeutschen Arbeitsentgeltbegriff nach § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IV - (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 29; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23). Dabei ist ausschließlich die Rechtslage maßgeblich, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1. August 1991 bestand (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 35; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 31; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Dabei ist es – dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entsprechend – ausreichend, wenn ein mittelbarer (innerer, sachlicher) Zusammenhang mit der Beschäftigung besteht (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 - B 4 RA 19/03 R - SozR 4-8570 § 8 Nr. 1, RdNr. 18 = JURIS-Dokument, RdNr. 18), weil der Arbeitsentgeltbegriff grundsätzlich weit gefasst ist. Insofern stellen grundsätzlich alle direkten und indirekten Leistungen des Arbeitgebers eine Gegenleistung für die vom Beschäftigten zu erfüllende Arbeitspflicht dar und werden im Hinblick hierauf gewährt. Etwas Anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn sich für die Einnahme eine andere Ursache nachweisen lässt. Leistungen, die aus einem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse erbracht werden, sind keine Gegenleistungen für die Arbeitsleistung oder die Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers und daher kein Arbeitsentgelt. Dies gilt insbesondere für Vorteile, die sich lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen darstellen (dazu ausdrücklich: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 17; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 18; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 44; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 39; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 39; ebenso: Knospe in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB IV, § 14, RdNr. 27 [Stand: Februar 2016]).

 

Handelt es sich um Arbeitsentgelt, ist (in einem zweiten Schritt) weiter zu prüfen, ob die bundesrechtliche Qualifizierung als Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV wegen § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 1 der Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 33; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16). § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung zur Wahrung der im Gesetz genannten Ziele zu bestimmen, dass "einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten". Auf der Grundlage dieser Ermächtigung ist die ArEV ergangen. Sie ist auf das Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 übergeleitet worden (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 34). § 1 ArEV regelt, dass "einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus § 3 ArEV (Ausnahme für Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit in der gesetzlichen Unfallversicherung) nichts Abweichendes ergibt". Diese Regelung ist bei der Bestimmung des Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG zu beachten (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 34; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16). Maßgeblich ist dabei ausschließlich die bundesrepublikanische Rechtslage des Steuerrechts im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1. August 1991 (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 35 und RdNr. 39; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16).

 

Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV und damit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG stellen auch die in der DDR vom Betrieb an den Arbeitnehmer gezahlten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dar (vgl. dazu bereits ausführlich: Sächsisches LSG, Urteil vom 13. September 2016 - L 5 RS 738/12 - JURIS-Dokument, RdNr. 76-97 [insoweit rechtskräftig, da nicht von der Revision im Verfahren B 5 RS 11/16 R erfasst]; Sächsisches LSG, Urteil vom 13. März 2018 - L 5 RS 615/15 - JURIS-Dokument, RdNr. 18-77 [rechtskräftig, mit Kurzanmerkung von: Lindner, NZS 2018, 548]; Sächsisches LSG, Urteil vom 21. August 2018 - L 4 RS 464/16 - nicht veröffentlicht [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteilsbeschluss vom 9. März 2020 - L 7 R 350/19 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 25-55 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2021 - L 7 R 277/21 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 27-41 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2021 - L 7 R 350/21 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 26-58 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 8. September 2022 - L 7 R 773/19 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 180-199 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 22. Mai 2023 - L 7 R 540/22 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 26-47), da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen erbrachte Arbeitsleistung in Form der erbrachten "langjährigen ununterbrochenen Tätigkeit und Pflichterfüllung" handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und nicht sozialversicherungspflichtig war. Die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion sind daher Einnahmen aus der Beschäftigung des Klägers in Betrieben mit spezieller Produktion.

 

Soweit die Beklagte meint, den gesetzlichen Regelungen über die Gewährung der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion sei ein ausschließlich eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an den gewährten Geldleistungen zu entnehmen, trifft dies nicht zu:

 

1.

Mit § 1 der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion" des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR vom 18. August 1975 (nachfolgend: Anordnung 1975) wurde die "Ordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion - Spezielle Betriebsordnung –" (nachfolgend: Ordnung 1975) für verbindlich erklärt. Sie trat nach § 3 der Anordnung 1975 am 1. Januar 1976 in Kraft. Nach § 1 der Ordnung 1975 waren Betriebe mit spezieller Produktion (als spezielle Betriebe bezeichnet) solche, deren Reproduktionsprozess durch Produktion und Leistungen für die bewaffneten Organe bestimmt wurde. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1975 wurde den Werktätigen in den speziellen Betrieben als materielle Anerkennung für langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung eine zusätzliche Belohnung gewährt. Diese zusätzliche Belohnung betrug

  • nach zwei Jahren:      vier Prozent,
  • nach fünf Jahren:       acht Prozent,
  • nach zehn Jahren:     zehn Prozent und
  • nach 15 Jahren:         zwölf Prozent

des Bruttolohnes (§ 21 Abs. 1 Satz 2 der Ordnung 1975). Die zusätzliche Belohnung für Werktätige in den speziellen Betrieben, die eine Treueprämie für eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer nach der "Fünften Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz - Zuschläge für ununterbrochene Beschäftigungsdauer -" vom 24. Januar 1956 (DDR-GBl. 1956 I, Nr. 18, S. 163) erhielten, betrug

  • nach zehn Jahren:     zwei Prozent und
  • nach 15 Jahren:         vier Prozent

des Bruttolohnes (§ 21 Abs. 2 der Ordnung 1975). Die zusätzliche Belohnung war für den Zeitraum vom 1. April bis 30. September des Jahres zum Jahrestag der DDR, dem 7. Oktober, und für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. März zum Tag der NVA, dem 1. März, nach den festgelegten Prozentsätzen und Bedingungen zu zahlen (§ 21 Abs. 4 der Ordnung 1975). Die zusätzliche Belohnung war steuerfrei, unterlag nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung und gehörte nicht zum Durchschnittsverdienst (§ 21 Abs. 5 der Ordnung 1975).

 

Die Regelungen der Ordnung 1975 galten bis zum 31. Juli 1983.

 

Mit § 1 der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe mit spezieller Produktion" des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR vom 22. Juni 1983 (nachfolgend: Anordnung 1983; registriert im Bundesarchiv unter der Signatur: DL 20/16566) wurde die "Ordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe mit spezieller Produktion - Spezielle Betriebeordnung –" (nachfolgend: Ordnung 1983) für verbindlich erklärt. Sie trat nach § 3 Abs. 1 der Anordnung 1983 am 1. August 1983 in Kraft; zugleich trat nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der Anordnung 1983 die Anordnung 1975 außer Kraft. Nach § 2 der Ordnung 1983 waren Betriebe mit spezieller Produktion (nach § 1 der Ordnung 1983 als spezielle Betriebe bezeichnet) solche, deren Reproduktionsprozess durch spezielle Produktions- und Leistungsaufgaben zur ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung und der inneren Sicherheit und Ordnung bestimmt wurde. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1983 wurde den Werktätigen in den speziellen Betrieben als materielle Anerkennung für langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung eine zusätzliche Belohnung gewährt. Diese zusätzliche Belohnung betrug

  • nach zwei Jahren:      vier Prozent,
  • nach fünf Jahren:       acht Prozent,
  • nach zehn Jahren:     zehn Prozent und
  • nach 15 Jahren:         zwölf Prozent

des Jahresbruttolohnes, der zur Berechnung des Durchschnittslohnes zu Grunde gelegt wurde (§ 17 Abs. 1 Satz 2 der Ordnung 1983). Für Zeiten, unter anderem, der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Quarantäne war für die Berechnung der zusätzlichen Belohnung der nach den Rechtsvorschriften berechnete Durchschnittslohn zu Grunde zu legen (§ 17 Abs. 2 Buchstabe a) der Ordnung 1983). Die Berechnung der zusätzlichen Belohnung hatte vom Ersten des Monats an zu erfolgen in dem die Jahre der ununterbrochenen Beschäftigungsdauer erreicht wurden (§ 17 Abs. 5 der Ordnung 1983). Die zusätzliche Belohnung unterlag nicht der Lohnsteuer und der Beitragspflicht der Sozialversicherung und gehörte nicht zum Durchschnittsverdienst (§ 17 Abs. 6 der Ordnung 1983). Die zusätzliche Belohnung war für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli des Jahres anlässlich des Jahrestages der DDR, dem 7. Oktober, und für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Januar anlässlich des Tages der NVA, dem 1. März, nach den festgelegten Prozentsätzen und Bedingungen zu zahlen (§ 17 Abs. 8 der Ordnung 1983). Bestimmte Zeiten (wie der Wehrdienst in der NVA, in den Grenztruppen und bewaffneten Organen) wurden anwartschaftssteigernd auf die ununterbrochene Beschäftigungsdauer angerechnet (§ 17 Abs. 9 in Verbindung mit Anlage 5 der Ordnung 1983).

 

Der Honorierungszweck der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion wurde ausschließlich mit: "für langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung" umschrieben. Die "langjährige ununterbrochene Tätigkeit" knüpft dabei an die im Beschäftigungsverhältnis erbrachte Betriebstreue an. Die "Pflichterfüllung" knüpft an die Erfüllung der Arbeitspflichten an. Soweit die Beklagte in Bezug auf das Merkmal der "Pflichterfüllung" meint, es sollte die Erfüllung von besonderen Pflichten, die aus der Berufsausübung bei einem Hersteller von Rüstungsgütern resultierten bzw. die bei einem Betrieb erwuchsen, der Teile für die Waffenproduktion zulieferte, abgegolten werden, ergibt sich dies weder aus der Ordnung 1975 noch aus der Ordnung 1983. Die Ansicht der Beklagten, "Pflichterfüllung" in diesem speziellen Industriezweig habe die Beachtung von Geheimhaltungspflichten und von Kontaktverboten gemeint, spiegelt sich im Belohnungszweck der Vorschriften (§ 21 der Ordnung 1975 und § 17 der Ordnung 1983) gerade nicht wider. Hiergegen spricht zudem, dass § 26 der Ordnung 1975 und § 21 der Ordnung 1983 eigenständige Regelungen statuierten, die sich der Sicherheit und Geheimhaltung widmeten.

 

Auch der Umstand, dass die zusätzlichen Belohnungen anlassbezogen am Tag der Nationalen Volksarmee (1. März) und zum Jahrestag der DDR (7. Oktober) gezahlt wurden, spricht – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht gegen einen Lohncharakter dieser finanziellen Zuwendung, weil die Auszahlung "zusätzlicher Belohnungen" in der DDR regelmäßig an staatlichen Ehrentagen erfolgte (Beispiele: Auszahlung der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige im Bergbau am "Tag des deutschen Bergmanns" [= erster Sonntag im Monat Juli], Auszahlung der jährlichen zusätzlichen Vergütung für Mitarbeiter in Einrichtungen der Volksbildung am "Tag des Lehrers" [= 12. Juni]), sodass der Zahltag kein Indiz für einen bestimmten Zahlungszweck liefert. Im Übrigen wurden "zusätzliche Belohnungen für ununterbrochene Tätigkeit ... und ähnliche Zahlungen" in § 3 Abs. 2 Buchstabe a) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 der "Verordnung über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung" (nachfolgend: 1. Durchschnittsentgelt-VO) vom 21. Dezember 1961 (DDR-GBl. II 1961, Nr. 83, S. 551, berichtigt in DDR-GBl. II 1962, Nr. 2, S. 11) in der Fassung der "Zweiten Verordnung über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung" (nachfolgend: 2. Durchschnittsentgelt-VO) vom 27. Juli 1967 (DDR-GBl. II 1967, Nr. 73, S. 511, berichtigt in DDR-GBl. II 1967, Nr. 118, S. 836) ausdrücklich als "Lohnzahlungen" bezeichnet.

 

Soweit die Beklagte meint, bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung seien auch die Einleitungstexte der Anordnungen 1975 und 1983 nicht außer Acht zu lassen, die auf die "Gewährleistung der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung" (Präambel der Anordnung 1975) bzw. auf die "Gewährleistung der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung und der inneren Sicherheit und Ordnung"(Präambel der Anordnung 1983) abstellen, ergibt sich hieraus ebenfalls keine andere Bewertung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Denn diese Zielbeschreibungen in den Präambeln der Anordnungen 1975 und 1983 beziehen sich nicht auf die hier streitgegenständlichen zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion, sondern ausdrücklich auf die in diesen Betrieben zu beachtende, mit veränderter Schwerpunktsetzung zu berücksichtigende "Anwendung" der "Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB" vom 28. März 1973 (DDR-GBl. 1973 I, Nr. 15, S. 129) bzw. "Anwendung" der "Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe" vom 8. November 1979 (DDR-GBl. 1979 I, Nr. 38, S. 355). Zudem wurden die Regelungen über die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion ausdrücklich jeweils im "V. Abschnitt" der Ordnung 1975 und 1983, der jeweils die "Arbeits- und Lebensbedingungen" der Werktätigen in den Betrieben mit spezieller Produktion regelte, getroffen. Sie wurden zudem ausdrücklich als "materielle Anerkennung" deklariert (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Ordnung 1975, § 17 Abs. 1 Satz 1 Ordnung 1983). Soweit die Beklagte aus den Präambeln der Anordnungen 1975 und 1983 in Verbindung mit weiteren Vorschriften (§ 4 Ordnung 1975, §§ 6 und 7 Ordnung 1983), die systematisch gerade nicht dem "V. Abschnitt" der Ordnung 1975 und 1983 (Arbeits- und Lebensbedingungen) zugeordnet sind, herauszudestillieren versucht, der entscheidende Beweggrund für die Zahlung der zusätzlichen Belohnungen habe in der "Verringerung der Fluktuation" und der "Festigung des Kaderbestandes" gelegen, verlässt sie den Boden der Auslegung der streitgegenständlichen DDR-Vorschriften (Ordnungen 1975 und 1983 im Bereich der speziellen Produktion) und begibt sich auf den Boden der Einlegung, indem sie sinnentstellend auf völlig andere DDR-Vorschriften abstellt, die völlig andere Zahlungen in völlig anderem Zusammenhang regeln. Denn der "Verringerung der Fluktuation" und der "Festigung des Kaderbestandes" diente – ausweislich der Präambel des „Beschluss[es] über die Einführung von Wohnungs- und Verpflegungsgeld für die Angehörigen der bewaffneten Organe des Ministeriums des Innern“ vom 21. April 1960 (= Geheime Regierungssache GRS-Nr. 148/60) sowie der Begründung der „Vorlage für das Sekretariat des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ von Dezember 1959 (vgl. dazu jeweils: Sächsisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2019 - L 5 RS 503/17 - JURIS-Dokument, RdNr. 59; Sächsisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2019 - L 5 RS 510/17 - JURIS-Dokument, RdNr. 54; Sächsisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2019 - L 5 RS 513/17 - JURIS-Dokument, RdNr. 60) – das im Bereich der Deutschen Volkspolizei zum 1. Mai 1960 eingeführte Verpflegungsgeld, nicht aber die im Bereich der Betriebe mit spezieller Produktion zum 1. Januar 1976 eingeführten zusätzlichen Belohnungen.

 

Soweit die Beklagte schließlich (in anderen Verfahren) ausführte, die zusätzliche Belohnung habe dazu gedient, die in Betrieben mit spezieller Produktion vorhandenen besonderen Bedingungen und höheren persönlichen Belastungen zu kompensieren, wie dies höchst anschaulich die Einlassung eines Zeugen (W....), der in einem Betrieb mit spezieller Produktion tätig gewesen sei, bei seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts Dresden am 16. April 2019 im Verfahren S 33 RS 1331/17 verdeutlicht habe, verkennt sie, dass individuelle Zeugenaussagen nicht den Beurteilungsmaßstab zur Bestimmung des Zwecks einer, auf der Grundlage von DDR-rechtlichen Regelungen, gewährten Zahlung bilden. Beurteilungsrelevant sind lediglich die maßgeblichen DDR-rechtlichen Regelungen selbst, die als "generelle Anknüpfungstatsachen" bzw. als "generelle Tatsachen" heranzuziehen sind (vgl. zu diesem Aspekt beispielsweise deutlich: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 2/13 R - JURIS-Dokument, RdNr. 19; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 14 ff.; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25 ff.; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25 ff.). Die Beurteilung des Zwecks einer (staatlich) gewährten Zahlung erfolgt allein unter Zugrundelegung der insoweit maßgeblichen abstrakt-generellen Vorgaben des die Zahlung regelnden DDR-Rechts (BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 46; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25).

 

2.

Ausgehend von den Regelungen der Ordnung 1975 sowie der Ordnung 1983 kann deshalb festgehalten werden, dass die zusätzliche Belohnung für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dem Grunde nach unter den Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV fällt und daher dementsprechende Entgelte nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG als Arbeitsentgelt festzustellen sind, sofern deren Zufluss nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird.

 

Zwar konnte die Klägerin Bezugsdokumente bezüglich zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die von ihr geltend gemachten Jahre nicht vorlegen.

 

Nachweise über, an die Klägerin gezahlte, zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion liegen auch nicht mehr vor, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28f Abs. 5 SGB IV).

 

Den Bezug von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die streitgegenständlichen Zuflussjahre 1979 bis 1983 konnte die Klägerin im vorliegenden konkreten Einzelfall allerdings glaubhaft machen.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 14), überwiegend wahrscheinlich ist. Dies erfordert mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweismaßstab ist zwar durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss also nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht aber die "gute Möglichkeit" aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber aber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht deshalb nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (vgl. dazu dezidiert: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 5).

 

Der Bezug von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dem Grunde nach ergibt sich im vorliegenden Fall der Klägerin aus den unterschiedlichsten Aspekten des konkreten Einzelfalles:

 

Mit dem von der Klägerin wiederholt vorgelegten "Erfassungsbogen zur Realisierung der in der Vereinbarung zur Anwendung der 'Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion' vom 17.06.1976 getroffenen Festlegungen" des VEB Y....  Elektronik X....  vom 14. Juni 1979 wurde die Klägerin explizit auf der Grundlage der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion' vom 17.06.1976" in die Vereinbarung des VEB Y....  Elektronik X....  einbezogen und als Anwartschaftsstichtag ("Beginn einer Tätigkeit in der speziellen Produktion [Anrechnungsdatum]") der 1. Juli 1973 festgelegt. Damit wurden der Klägerin zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion mit folgenden "Steigerungsterminen" zugesagt:

" 4 %    ab        1. 7.     1975

             8 %     ab        1. 2.     1979

            10 %    ab        1. 7.     1983

            12 %    ab        1. 7.     1988".

Aus dem von der Klägerin ebenfalls wiederholt vorgelegten "Protokoll über eine Beratung zur zusätzlichen Entlohnung (LVO)" des VEB Y....  Elektronik X....  vom 14. Juni 1979 ergibt sich, dass die Klägerin ab 1. Februar 1979 auf die "Zahlung der Treueprämie für ITP" (= ingenieurtechnisches Personal) verzichtete und damit ab 1. Februar 1979 "auf der Grundlage der LVO-Verordnung stimuliert" wurde. Da jedoch bis 31. Mai 1979 die "Treueprämie für ITP" bereits tatsächlich gewährt wurde, wurde zusätzlich vereinbart, dass ab 1. Juni 1979 die Zahlung der Treueprämie entfiel, für den Zeitraum vom 1. Februar 1979 bis 31. Mai 1979 von der Lohnbuchhaltung eine Korrektur vorzunehmen war und mit der nächsten "LVO-Zahlung (7. Oktober)" eine Nachzahlung abzusichern war, wobei die für die Zeit vom 1. Februar 1979 bis 31. Mai 1979 bereits gezahlte Treueprämie mit der Gehaltszahlung im September abzusetzen war. Dem von der Klägerin ebenfalls wiederholt vorgelegten "1. Nachtrag" zum "Erfassungsbogen zur Realisierung der in der Vereinbarung zur Anwendung der 'Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion' vom 17.06.1976 getroffenen Festlegungen" des VEB Y....  Elektronik X....  vom 12. Februar 1981 ist zu entnehmen, dass die ihr gewährten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion wegen "der Einführung der H/F-Entlohnung ab 01.01.1981" neu geregelt wurden. Als Anwartschaftsstichtag ("Beginn einer Tätigkeit in der speziellen Produktion [Anrechnungsdatum]") wurde weiterhin der 1. Juli 1973 festgelegt. Zudem wurden der Klägerin zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion nunmehr allerdings mit folgenden "Steigerungsterminen" zugesagt:

" 8 %    ab        01. 01.  1983

            10 %    ab        01. 07.  1983

            12 %    ab        01. 07.  1988".

 

Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. April 2023 ausführte, es bestehe ein Widerspruch zwischen dem Protokoll über eine Beratung zur zusätzlichen Entlohnung (LVO) vom 14. Juni 1979 und der Mitteilung zur Einführung der Hoch- und Fachschulkaderentlohnung vom 18. Dezember 1980, weil die Klägerin nach dieser Mitteilung noch bis 31. Dezember 1980 Empfängerin der Treueprämie gewesen sei, vermag sich dem der Senat nicht anzuschließen. Zum einen ist bereits nicht ersichtlich, dass es sich bei der in der "Mitteilung zur Einführung der Hoch- und Fachschulkaderentlohnung" des VEB Y....  Elektronik X....  vom 18. Dezember 1980 erwähnten, in das Grundgehalt einbezogenen "Treueprämie", um dieselbe "Treueprämie für ITP" handelte, auf die die Klägerin mit Wirkung ab 1. Februar 1979 zugunsten der "Stimulierung entsprechend der LVO-Verordnung" verzichtete hatte. Und zum anderen ergibt sich aus dem "1. Nachtrag" zum "Erfassungsbogen zur Realisierung der in der Vereinbarung zur Anwendung der 'Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion' vom 17.06.1976 getroffenen Festlegungen" des VEB Y....  Elektronik X....  vom 12. Februar 1981 eindeutig, dass wegen "der Einführung der H/F-Entlohnung ab 01.01.1981" die der Klägerin bereits gewährte zusätzliche Belohnung neu geregelt wurde.

 

Die tatsächliche Umsetzung der betrieblichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und dem VEB Y....  Elektronik X....  zur Gewährung der zusätzlichen Belohnungen, also der tatsächliche Bezug der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion durch die Klägerin, ab Februar 1979, ergibt sich zudem – entgegen der Mutmaßungen der Beklagten – aus der vom Senat eingeholten schriftlichen Auskunft des Zeugen D.... vom 20. März 2023.

 

Der Zeuge D...., der die Klägerin seit den 70er Jahren kannte und der seit 1976 der unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin in der Abteilung Technologie Industrieinstandsetzung im VEB Y....  Elektronik X....  war, gab in seiner schriftlichen Auskunft vom 20. März 2023 ausdrücklich an, dass die Klägerin im Zeitraum von 1973 bis 1983 ununterbrochen in Bereichen der speziellen Produktion im VEB Y....  Elektronik X....  tätig war und entsprechend der betrieblichen Festlegungen (betriebliche Erfassungsbögen mit Aussagen über die Anrechnungszeiten und die vereinbarten Vergütungen auf der Grundlage der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion' vom 17.06.1976") zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben mit spezieller Produktion ausgezahlt erhielt. Die Auszahlungen erfolgten durch ihn selbst an die Klägerin an zwei konkreten Terminen im Jahr. Am 1. März sowie am 7. Oktober erhielt jeder Mitarbeiter der speziellen Produktion ein Kuvert mit dem ihm zustehenden Geldbetrag überreicht. Die Berechnung erfolgte dabei zentral im Betrieb. Alle Mitarbeiter im Bereich der speziellen Produktion erhielten die zusätzlichen Belohnungen ausgezahlt. Die Klägerin erfüllte auch stets ihre Arbeitspflichten. Sie war stets bereit dienstliche und außerdienstliche Aufgaben zu übernehmen und hatte diese ständig zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Die Klägerin hatte auch wesentlichen Anteil an der mehrmaligen Auszeichnung des Kollektivs mit dem Titel "Kollektiv der sozialistischen Arbeit". Zudem wurde der Bereich mit der "Verdienstmedaille der NVA" in Silber geehrt.

 

Auch im Übrigen ergibt sich aus den von der Klägerin angeforderten und von ihr vorgelegten Unterlagen, dass sie ihre Arbeitsaufgaben im Betrieb der speziellen Produktion stets hervorragend erfüllte, weshalb dem Senat unerklärlich ist, wie die Beklagte zu ihrer Behauptung gelangen kann, es lägen keinerlei individuelle Hinweistatsachen dafür vor, dass die Klägerin das Kriterium der "Pflichterfüllung" nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht habe, zumal sie im Verwaltungsverfahren, entgegen der ihr obliegenden Verpflichtung zur Sachverhaltserforschung von Amts wegen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X) keinerlei Ermittlungsanstrengungen unternommen hat.

 

Für ihre zehnjährige "aktive Mitarbeit sowie die guten Leistungen" im Betrieb erhielt sie am 1. September 1980 vom VEB Y....  Elektronik X....  eine Dankesurkunde überreicht. Für ihre 15-jährige "aktive Mitarbeit sowie die guten Leistungen" im Betrieb erhielt sie am 1. September 1985 vom VEB Y....  Elektronik X....  eine weitere Dankesurkunde überreicht.

 

Unterstrichen wird diese vorbildliche und weder zu Kritik noch Tadel Anlass gebende Arbeitsweise der Klägerin zudem durch die ihr von ihrem Beschäftigungsbetrieb mit Urkunde vom 8. März 1977 verliehene Auszeichnung als "Aktivist der sozialistischen Arbeit". Mit dieser Auszeichnung wurden unter anderem hervorragende und beispielgebende Arbeitsleistungen gewürdigt (vgl. dazu: § 1 der „Ordnung über die Verleihung des Ehrentitels ‚Aktivist der sozialistischen Arbeit‘“, die Bestandteil der „Bekanntmachung der Ordnungen über die Verleihung der bereits gestifteten staatlichen Auszeichnungen“ vom 28. Juni 1978 [DDR-GBl. Sonderdruck Nr. 952, S. 1 ff.] war). Darüber hinaus spricht für ihre vorbildliche Arbeit auch die ihr von ihrem Beschäftigungsbetrieb in den Jahren 1973, 1975 bis 1980 und 1982 verliehenen Auszeichnungen jeweils als Mitglied eines "Kollektivs der sozialistischen Arbeit". Mit diesen Auszeichnungen wurden jeweils unter anderem beispielgebende Arbeitsleistungen des Kollektivs und jedes einzelnen Mitglieds des Kollektivs im sozialistischen Wettbewerb, also konkret auch der Klägerin, gewürdigt (vgl. dazu: § 1 der „Ordnung über die Verleihung und Bestätigung der erfolgreichen Verteidigung des Ehrentitels ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘“, die Bestandteil der „Bekanntmachung der Ordnungen über die Verleihung der bereits gestifteten staatlichen Auszeichnungen“ vom 28. Juni 1978 [DDR-GBl. Sonderdruck Nr. 952, S. 1 ff.] war).

 

Zusammenfassend wird der Klägerin damit insgesamt bescheinigt, dass sie die ihr übertragenen Aufgaben stets hervorragend erledigte, sodass sich keinerlei berechtigte Zweifel an der "langjährigen ununterbrochenen Pflichterfüllung" im Sinne der §§ 21 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1975, 17 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1983 aufdrängen.

 

Glaubhaft gemacht ist damit im vorliegenden Fall, dass die Klägerin

  • als Überleitungstechnologin und systemverantwortliche Technologin des VEB Y....  Elektronik X....  in einem Betrieb der speziellen Produktion beschäftigt war,
  • ab 1. Juli 1973 (sog. Anrechnungszeitpunkt) Anwartschaftsberechtigte auf die Gewährung von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion war,
  • zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion tatsächlich von Februar 1979 bis Dezember 1982 in Höhe von vier Prozent, von Januar 1983 bis Juni 1983 in Höhe von acht Prozent und ab Juli 1983 in Höhe von zehn Prozent ihres Jahresbruttolohnes ausgezahlt erhielt,
  • in den (streitgegenständlichen) Zuflussjahren 1979 bis 1983 vom Geltungsbereich der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion erfasst war und
  • in den (streitgegenständlichen) Zuflussjahren 1979 bis 1983 eine langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung aufwies.

 

Die lediglich dem Grunde nach glaubhaft gemachten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben mit spezieller Produktion, die der Klägerin in den streitgegenständlichen Jahren 1979 bis 1983 zugeflossen sind, sind im Rahmen der Glaubhaftmachung der Höhe nach auch berechenbar, weil der tatsächliche Bruttoarbeitsentgeltbezug der Klägerin feststeht. Anknüpfungspunkt – im Rahmen des § 6 Abs. 6 AAÜG hinsichtlich des nachgewiesenen Teils des Verdienstes – ist insoweit jedoch nur die Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 16. November 2000. Soweit der 5. und der 7. Senat des Sächsischen LSG in der Vergangenheit bei der – im Rahmen des § 6 Abs. 6 AAÜG als Anknüpfungspunkt anzustellenden – Berechnung der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion auf die den Arbeits- und Arbeitsänderungsverträgen zu entnehmenden Bruttogrundgehälter abgestellt hat (vgl. insoweit: Sächsisches LSG, Urteil vom 13. September 2016 - L 5 RS 738/12 - JURIS-Dokument, RdNr. 95; Sächsisches LSG, Urteil vom 13. März 2018 - L 5 RS 615/15 - JURIS-Dokument, RdNr. 72; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2021 - L 7 R 277/21 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 77), hat der erkennende 7. Senat des Sächsischen LSG hiervon inzwischen ausdrücklich Abstand genommen, wie sich bereits im Urteil vom 4. November 2021 im Verfahren L 7 R 350/21 ZV (JURIS-Dokument, RdNr. 59) andeutete und wie im Urteil vom 8. September 2022 im Verfahren L 7 R 773/19 ZV (JURIS-Dokument, RdNr. 275) ausführlich dargelegt wurde. Denn die Arbeitsverträge weisen das tatsächliche, im jeweiligen Planjahr von der Klägerin bezogene Bruttoarbeitsentgelt nicht aus. Dieser tatsächliche Nachweis ist jedoch erforderlich, weil die Glaubhaftmachung nach § 6 Abs. 6 AAÜG verlangt, dass ein Teil des Verdienstes nachgewiesen ist. Nachweisdokumente für den tatsächlichen Bruttoarbeitsentgeltbezug im Fall der Klägerin ist die Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 16. November 2000. Nur dieses Nachweisdokument kann bei der Berechnung der dem Grunde nach glaubhaft gemachten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion als Hilfsinstrument der Glaubhaftmachung der Höhe nach zu Grunde gelegt werden.

 

Ausgehend von den, in der Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 16. November 2000 ausgewiesenen, maßgeblichen Bruttoarbeitsverdiensten ergeben sich folgende, für die Berechnung der zusätzlichen Belohnungen maßgeblichen Bruttomonatsgrundlöhne:

 

Planjahr

Jahresbruttoverdienst

durchschnittlicher Monatsbruttoverdienst

1979

13.020,05 M

1.085,00 M

1980

12.987,97 M

1.082,33 M

1981

13.580,12 M

1.131,68 M

1982

14.099,93 M

1.174,99 M

1983

15.088,83 M

1.257,40 M

 

Zu berücksichtigen ist im konkreten Fall der Klägerin, dass

  • sie erstmals ab 1. Februar 1979 zum Auszahlungstermin im Oktober 1979 die zusätzliche Belohnung für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion erhielt.
  • der ursprünglich ab 1. Februar 1979 auf acht Prozent festgesetzte Steigerungstermin später auf den 1. Januar 1983 festgesetzt wurde.
  • ihr nach den von ihr vorgelegten arbeitsvertraglichen Unterlagen zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion tatsächlich von Februar 1979 bis Dezember 1982 in Höhe von vier Prozent, von Januar 1983 bis Juni 1983 in Höhe von acht Prozent und ab Juli 1983 in Höhe von zehn Prozent ihres Jahresbruttolohnes zustanden.
  • der letzte berechnungsrelevante Monat der Juli 1983 ist, weil zum letzten Auszahlungstag des streitgegenständlichen Zeitraums (am 7. Oktober 1983) bereits die Ordnung 1983 galt, die den Berechnungszeitraum verschoben hatte.

 

Dies zu Grunde gelegt, sind für die Klägerin zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für den Zeitraum von Februar 1979 bis Juli 1983 wie folgt zu berücksichtigen:

 

Anwartschafts-zeitraum

Bruttomonatsverdienst

Bruttojahres-verdienst

Prozentsatz

Betrag der Belohnung

davon 5/6

Zufluss-jahr

Feb. 79-Sept. 79

8 x 1.085,00 M

8.680,00 M

4

347,20 M

289,33 M

1979

Okt. 79-Sept. 80

3 x 1.085,00 M +

9 x 1.082,33 M

12.995,97 M

4

519,84 M

433,20 M

1980

Okt. 80-Sept. 81

3 x 1.082,33 M +

9 x 1.131,68 M

13.432,11 M

4

537,28 M

447,74 M

1981

Okt. 81-Sept. 82

3 x 1.131,68 M +

9 x 1.174,99 M

13.969,95 M

4

558,80 M

465,66 M

1982

Okt. 82-Juli 83

3 x 1.174,99 M +

7 x 1.257,40 M

3.524,97 M

+ 7.544,40 M

+ 1.257,40 M

4

8 ab Jan. 83

10 ab Juli 83

141,00 M

+ 603,55 M + 125,74 M

= 870,29 M

725,24 M

1983

 

Soweit die Beklagte meint, es sei nicht möglich, aus den vorliegenden Angaben bzw. Informationen die erhaltene zusätzliche Belohnung zu errechnen, weil völlig ungewiss bleibe, ob das gesamte ausgezahlte Gehalt (oder gegebenenfalls welcher Teil hiervon) für die Berechnung der zusätzlichen Belohnung zugrunde gelegt worden sei, vermag der Senat diesem Einwand nicht zu folgen. Die DDR-rechtlichen Regelungen stellten eindeutig auf den Bruttolohn (§ 21 Abs. 1 der Ordnung 1975) bzw. auf den Jahresbruttolohn, der der Berechnung des Durchschnittslohns zugrunde gelegt wurde (§ 17 Abs. 1 der Ordnung 1983), ab. Die Zugrundelegung der Bruttolohnangaben aus der Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 16. November 2000 wird den Maßgaben der §§ 21 Abs. 1 der Ordnung 1975, 17 Abs. 1 der Ordnung 1983 gerecht. Dass teilweise zu berücksichtigende Zuschläge (wie die monatlich gezahlten leistungsorientierten Gehaltszuschläge bzw. Teile des aufgabengebundenen Leistungszuschlags – § 18 Abs. 1 der Ordnung 1983) nicht bekannt und nachträglich oftmals auch nicht mehr bestimmbar sind, spricht nicht dagegen, den, den Entgeltbescheinigungen zu entnehmenden, bekannten Jahresbruttoverdienst als Mindestberechnungsbasis für die Glaubhaftmachung der Höhe der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion zu Grunde zu legen. Jeder Glaubhaftmachung mag ein gewisses Maß an Ungenauigkeit innewohnen. Dem trägt indessen die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 6 AAÜG hinreichend Rechnung, nach der glaubhaft gemachte Entgelte nur zu fünf Sechsteln zu berücksichtigen sind. Insbesondere auf diesem Wege werden etwaige Ungenauigkeiten pauschal ausgeglichen.

 

3.

Die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion als Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG waren auch nicht nach der am 1. August 1991 maßgeblichen bundesrepublikanischen Rechtslage (Inkrafttreten des AAÜG) steuerfrei im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 1 ArEV. Ein bundesrepublikanischer Tatbestand des Steuerrechts, der die Steuerfreiheit der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion regeln würde, liegt nicht vor. Es handelt sich vielmehr um gemäß § 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt wurden).

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Sie berücksichtigt Anlass, Verlauf und Ergebnis des Rechtsstreits. Eine vollständige Kostenerstattung kam – trotz der im Berufungsverfahren nur noch für die Zuflussjahre 1979 bis 1983 geltend gemachten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion – nicht in Betracht, weil sowohl im Widerspruchs-, als auch im Klageverfahren (und ursprünglich auch im Berufungsverfahren) zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion auch für die Zuflussjahre 1970 bzw. 1973 bis 1978 und 1984 bis 1990 als glaubhaft gemachtes Arbeitsentgelt begehrt wurden. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostengrundentscheidung war eine einheitliche Kostenquote für das gesamte Verfahren zu bilden.

 

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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