L 7 R 54/23 ZV

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 22 R 1310/20 ZV zuvor S 22 R 1111/19 ZV
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 54/23 ZV
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Arbeitsentgelt iS der §§ 14 SGB IV, 6 Abs 1 S 1 AAÜG stellen auch die in der DDR vom Betrieb an den Arbeitnehmer gezahlten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dar, da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen erbrachte Arbeitsleistung in Form der erbrachten "langjährigen ununterbrochenen Tätigkeit und Pflichterfüllung" handelte.

Bemerkung

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - Arbeitsentgelt - zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion

  1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 12. Januar 2023 abgeändert. Die Beklagte wird, unter Aufhebung des Überprüfungsablehnungsbescheides vom 4. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019, verurteilt, den Feststellungsbescheid vom 22. Oktober 2001 dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1983 bis 1990 weitere Arbeitsentgelte des Klägers wegen zu berücksichtigender zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe wie folgt festzustellen sind:

Für das Jahr:             

1983

271,82 Mark

1984

448,56 Mark

1985

462,32 Mark

1986

790,11 Mark

1987

961,46 Mark

1988

992,64 Mark

1989

1.028,38 Mark

1990

518,64 Mark

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

  1. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu sechs Siebenteln.

 

  1. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten – im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens und im Berufungsverfahren nur noch – über die Verpflichtung der Beklagten, weitere Entgelte des Klägers für Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für die Zuflussjahre 1983 bis 1990 in Form von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion festzustellen.

 

Der 1953 geborene Kläger ist, nach erfolgreichem Abschluss eines in der Zeit von September 1975 bis Februar 1979 absolvierten Hochschulstudiums in der Fachrichtung "Informationstechnik" an der Ingenieurhochschule Z…., aufgrund Zeugnisses vom 27. Februar 1979 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Hochschulingenieur für Informationstechnik" zu führen. Er war vom 1. März 1979 bis 28. Februar 1982 als Prozessingenieur, Ingenieur für Gerätetechnik und Entwicklungsingenieur für elektronische Messtechnik im Institut für Mikroelektronik Z…. bzw. – im unmittelbaren Rechtsnachfolgebetrieb – volkseigener Betrieb (VEB) Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik (ZFTM) Z…. sowie vom 1. März 1982 bis 30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Entwicklungstechnologe im VEB Y....  Elektronik A...., einem Betrieb mit Bereichen der speziellen Produktion (= Betriebe, deren Reproduktionsprozess durch die Produktion für die bewaffneten Organe bestimmt wurde), beschäftigt. Er erhielt keine Versorgungszusage und war zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) einbezogen.

 

Am 26. August 1999 beantragte der Kläger die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften und legte eine Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 19. April 1999 (für den Beschäftigungszeitraum von März 1982 bis Dezember 1991) vor. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 stellte die Beklagte die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. März 1979 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte, unter anderem auf der Grundlage der Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 19. April 1999, fest.

 

Mit Überprüfungsantrag vom 13. März 2019 (Eingang bei der Beklagten am 20. März 2019) begehrte der Kläger die Berücksichtigung von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion bei den festgestellten Arbeitsentgelten und legte diesbezügliche arbeitsvertragliche Unterlagen vor.

 

Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagten mit Bescheid vom 4. Juni 2019 ab.

 

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 12. Juni 2019 (Eingang bei der Beklagten am 12. Juni 2019) Widerspruch ein.

 

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Zufluss der begehrten weiteren Arbeitsentgelte in Form von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Die Gewährung und die Höhe der zusätzlichen Belohnungen des Einzelnen seien von der Leistung und persönlichen Voraussetzungen abhängig gewesen, die heute ohne entsprechende Unterlagen nicht mehr zweifelsfrei nachvollzogen werden könnten. Eine pauschale Berücksichtigung der Prämien könne nicht erfolgen, zumal ein individuell zu ermittelnder Arbeitsverdienst Berechnungsgrundlage gewesen sei.

 

Hiergegen erhob der Kläger am 8. Oktober 2019 Klage zum Sozialgericht Dresden (im Verfahren S 22 R 1111/19 ZV), begehrte die Berücksichtigung von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für den Zuflusszeitraum von Januar 1981 bis Januar 1990 im Rahmen der Glaubhaftmachung und legte erneut diesbezügliche arbeitsvertragliche Unterlagen vor.

 

Das Sozialgericht Dresden hat die Klage – nach Anordnung des Ruhens des Verfahrens mit Beschluss vom 12. Februar 2020 (im Verfahren S 22 R 1111/19 ZV) und Anordnung der Fortführung des Verfahrens mit Verfügung vom 26. November 2020 (im Verfahren S 22 R 1310/20 ZV) – mit Gerichtsbescheid vom 12. Januar 2023 (im Verfahren S 22 R 1310/19 ZV) abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zusätzliche Belohnungen seien kein berücksichtigungsfähiges Arbeitsentgelt, weil deren Zufluss zu Zeiten der DDR steuerfrei erfolgt sei. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei abzulehnen.

 

Gegen den ihm am 16. Januar 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 8. Februar 2023 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren im Hinblick auf die Berücksichtigung zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion, zunächst für den Zeitraum von Januar 1981 bis Januar 1990, später – nach richterlichem Hinweis mit Schreiben vom 4. April 2023 – beschränkt auf die Zuflussjahre 1983 bis 1990 im Rahmen der Glaubhaftmachung, weiterverfolgt. Zur Begründung führt er aus: Das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des BSG missachtet. Die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion seien dem Grunde nach glaubhaft gemacht worden. Die Höhe sei, wie es das Sächsische Landessozialgericht (LSG) in ständiger Rechtsprechung praktiziere, berechenbar.

 

Der Kläger beantragt – sinngemäß und sachdienlich gefasst –,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 12. Januar 2023 aufzuheben und die Beklagte, unter Aufhebung des Überprüfungsablehnungsbescheides vom 4. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019, zu verurteilen, den Feststellungsbescheid vom 22. Oktober 2001 abzuändern und zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die Zuflussjahre 1983 bis 1990 als glaubhaft gemachte zusätzliche Entgelte im Rahmen der nachgewiesenen Zusatzversorgungszeiten festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid im Ergebnis für zutreffend und führt ergänzend aus: Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts Dresden sei im Ergebnis (Tenor) richtig. Die Begründung, mit der die Vorinstanz allerdings zu ihrem Urteil gekommen sei, stehe in Divergenz zur Rechtsprechung des BSG. Sie werde von der Beklagten nicht mitgetragen. Aber auch dann, wenn man den Sachverhalt nach Maßgabe der BSG-Rechtsprechung bewerte, sei der Anspruch des Klägers aus den von der Beklagten im Widerspruchsbescheid und den im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragenen Erwägungen abzulehnen. Dem insoweit beweisbelasteten Kläger sei es nicht gelungen, nachzuweisen    oder glaubhaft zu machen, in welchen einzelnen Jahren des Anspruchszeitraumes ihm in welcher konkreten Höhe zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion zugeflossen seien. Bei den zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion habe es sich nicht um Arbeitsentgelt gehandelt. Es fehle der Lohncharakter. Die Belohnungen seien von der Arbeitsleistung losgelöst, im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers erbracht worden. Im Übrigen seien feststellungsfähige konkrete Zahlungen der zusätzlichen Belohnungen im streitbefangenen Zeitraum nicht glaubhaft gemacht worden, weil die speziellen Betriebsordnungen keine detaillierten Regelungen vorgeben würden. Es seien der Anknüpfungspunkt der Berechnungsbasis sowie der Berechnungszeitraum unklar. Darüber hinaus sei es dem Kläger nicht gelungen, das Kriterium "Pflichterfüllung" nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Eine Leistungseinschätzung stelle keine Grundlage für die Beurteilung der "Pflichterfüllung" im Rahmen einer gegebenenfalls zu zahlenden zusätzlichen Belohnung dar.

 

Das Gericht hat arbeitsvertragliche Unterlagen vom Kläger beigezogen sowie schriftliche Erklärungen der Zeugen D.... vom 21. Mai 2023 und E.... vom 23. Mai 2023 eingeholt.

 

Mit Schriftsätzen vom 5. Juni 2023 (Kläger) und vom 28. Juni 2023 (Beklagte) haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

 

II.

Die statthafte und zulässige Berufung des Klägers ist ganz überwiegend begründet, weil das Sozialgericht Dresden die Klage ganz überwiegend zu Unrecht abgewiesen hat. Der Kläger hat in dem tenorierten Umfang Anspruch auf Feststellung zusätzlicher Arbeitsentgelte in Form von ihm in den Jahren 1983 bis 1990 zugeflossenen zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion im Rahmen der mit Bescheid vom 22. Oktober 2001 bereits festgestellten Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben. Zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die Plan- und/oder Zuflussjahre 1981 und 1982 begehrt der Kläger ausdrücklich und ausweislich seines Berufungsbeschränkungsschriftsatzes vom 20. April 2023 nicht (mehr); insoweit ist der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden bereits rechtskräftig geworden (§ 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG).

 

Der Überprüfungsablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019 ist (teilweise) rechtswidrig und verletzt den Kläger (insoweit) in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil mit dem Feststellungsbescheid vom 22. Oktober 2001 insoweit das Recht unrichtig angewandt bzw. von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist (§ 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch [SGB X]). Deshalb waren der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 12. Januar 2023 abzuändern, der Überprüfungsablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2019 aufzuheben und die Beklagte, unter Abänderung des Feststellungsbescheides vom 22. Oktober 2001 zu verurteilen, weitere in den Jahren 1983 bis 1990 zugeflossene Entgelte wegen zu berücksichtigender glaubhaft gemachter zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben, wie tenoriert, festzustellen. Soweit der Kläger höhere, als die tenorierten, Entgelte wegen zu berücksichtigender zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion begehrt, war die Berufung im Übrigen (zumindest aus Gründen der Klarstellung) zurückzuweisen.

 

Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren (§ 149 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch [SGB VI]) ähnlichen Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit dem Feststellungsbescheid vom 22. Oktober 2001 Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion hat sie jedoch zu Unrecht nicht berücksichtigt.

 

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Die Norm definiert den Begriff des Arbeitsentgeltes zwar nicht selbst. Aus dem Wort "erzielt", folgt aber im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln muss, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden, ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 19). Dabei muss es sich um eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung handeln, wobei unerheblich ist, ob das erzielte Arbeitsentgelt in der DDR einer Beitrags- oder Steuerpflicht unterlag (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 19). Die inhaltliche Bedeutung des Begriffs "Arbeitsentgelt" im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG bestimmt sich nach dem bundesdeutschen Arbeitsentgeltbegriff nach § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - SGB IV - (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 29; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 23). Dabei ist ausschließlich die Rechtslage maßgeblich, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1. August 1991 bestand (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 35; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 31; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 24). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Dabei ist es – dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV entsprechend – ausreichend, wenn ein mittelbarer (innerer, sachlicher) Zusammenhang mit der Beschäftigung besteht (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 - B 4 RA 19/03 R - SozR 4-8570 § 8 Nr. 1, RdNr. 18 = JURIS-Dokument, RdNr. 18), weil der Arbeitsentgeltbegriff grundsätzlich weit gefasst ist. Insofern stellen grundsätzlich alle direkten und indirekten Leistungen des Arbeitgebers eine Gegenleistung für die vom Beschäftigten zu erfüllende Arbeitspflicht dar und werden im Hinblick hierauf gewährt. Etwas Anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn sich für die Einnahme eine andere Ursache nachweisen lässt. Leistungen, die aus einem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse erbracht werden, sind keine Gegenleistungen für die Arbeitsleistung oder die Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers und daher kein Arbeitsentgelt. Dies gilt insbesondere für Vorteile, die sich lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen darstellen (dazu ausdrücklich: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 17; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 18; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 44; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 39; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 39; ebenso: Knospe in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB IV, § 14, RdNr. 27 [Stand: Februar 2016]).

 

Handelt es sich um Arbeitsentgelt, ist (in einem zweiten Schritt) weiter zu prüfen, ob die bundesrechtliche Qualifizierung als Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV wegen § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 1 der Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 33; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16). § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung zur Wahrung der im Gesetz genannten Ziele zu bestimmen, dass "einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten". Auf der Grundlage dieser Ermächtigung ist die ArEV ergangen. Sie ist auf das Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 übergeleitet worden (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 34). § 1 ArEV regelt, dass "einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus § 3 ArEV (Ausnahme für Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit in der gesetzlichen Unfallversicherung) nichts Abweichendes ergibt". Diese Regelung ist bei der Bestimmung des Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG zu beachten (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 34; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16). Maßgeblich ist dabei ausschließlich die bundesrepublikanische Rechtslage des Steuerrechts im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG am 1. August 1991 (BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 35 und RdNr. 39; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 1/13 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 6 = JURIS-Dokument, RdNr. 15; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 3/14 R - JURIS-Dokument, RdNr. 16).

 

Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV und damit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG stellen auch die in der DDR vom Betrieb an den Arbeitnehmer gezahlten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dar (vgl. dazu bereits ausführlich: Sächsisches LSG, Urteil vom 13. September 2016 - L 5 RS 738/12 - JURIS-Dokument, RdNr. 76-97 [insoweit rechtskräftig, da nicht von der Revision im Verfahren B 5 RS 11/16 R erfasst]; Sächsisches LSG, Urteil vom 13. März 2018 - L 5 RS 615/15 - JURIS-Dokument, RdNr. 18-77 [rechtskräftig, mit Kurzanmerkung von: Lindner, NZS 2018, 548]; Sächsisches LSG, Urteil vom 21. August 2018 - L 4 RS 464/16 - nicht veröffentlicht [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteilsbeschluss vom 9. März 2020 - L 7 R 350/19 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 25-55 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2021 - L 7 R 277/21 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 27-41 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2021 - L 7 R 350/21 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 26-58 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 8. September 2022 - L 7 R 773/19 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 180-199 [rechtskräftig]; Sächsisches LSG, Urteil vom 22. Mai 2023 - L 7 R 540/22 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 26-47), da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen erbrachte Arbeitsleistung in Form der erbrachten "langjährigen ununterbrochenen Tätigkeit und Pflichterfüllung" handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und nicht sozialversicherungspflichtig war. Die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion sind daher Einnahmen aus der Beschäftigung des Klägers in Betrieben mit spezieller Produktion.

 

Soweit die Beklagte meint, den gesetzlichen Regelungen über die Gewährung der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion sei ein ausschließlich eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an den gewährten Geldleistungen zu entnehmen, trifft dies nicht zu:

 

1.

Mit § 1 der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion" des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR vom 18. August 1975 (nachfolgend: Anordnung 1975) wurde die "Ordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Kombinate und Betriebe mit spezieller Produktion - Spezielle Betriebsordnung –" (nachfolgend: Ordnung 1975) für verbindlich erklärt. Sie trat nach § 3 der Anordnung 1975 am 1. Januar 1976 in Kraft. Nach § 1 der Ordnung 1975 waren Betriebe mit spezieller Produktion (als spezielle Betriebe bezeichnet) solche, deren Reproduktionsprozess durch Produktion und Leistungen für die bewaffneten Organe bestimmt wurde. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1975 wurde den Werktätigen in den speziellen Betrieben als materielle Anerkennung für langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung eine zusätzliche Belohnung gewährt. Diese zusätzliche Belohnung betrug

  • nach zwei Jahren:      vier Prozent,
  • nach fünf Jahren:       acht Prozent,
  • nach zehn Jahren:     zehn Prozent und
  • nach 15 Jahren:         zwölf Prozent

des Bruttolohnes (§ 21 Abs. 1 Satz 2 der Ordnung 1975). Die zusätzliche Belohnung für Werktätige in den speziellen Betrieben, die eine Treueprämie für eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer nach der "Fünften Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz - Zuschläge für ununterbrochene Beschäftigungsdauer –" vom 24. Januar 1956 (DDR-GBl. 1956 I, Nr. 18, S. 163) erhielten, betrug

  • nach zehn Jahren:     zwei Prozent und
  • nach 15 Jahren:         vier Prozent

des Bruttolohnes (§ 21 Abs. 2 der Ordnung 1975). Die zusätzliche Belohnung war für den Zeitraum vom 1. April bis 30. September des Jahres zum Jahrestag der DDR, dem 7. Oktober, und für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. März zum Tag der NVA, dem 1. März, nach den festgelegten Prozentsätzen und Bedingungen zu zahlen (§ 21 Abs. 4 der Ordnung 1975). Die zusätzliche Belohnung war steuerfrei, unterlag nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung und gehörte nicht zum Durchschnittsverdienst (§ 21 Abs. 5 der Ordnung 1975).

 

Die Regelungen der Ordnung 1975 galten bis zum 31. Juli 1983.

 

Mit § 1 der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe mit spezieller Produktion" des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR vom 22. Juni 1983 (nachfolgend: Anordnung 1983; registriert im Bundesarchiv unter der Signatur: DL 20/16566) wurde die "Ordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe mit spezieller Produktion - Spezielle Betriebeordnung –" (nachfolgend: Ordnung 1983) für verbindlich erklärt. Sie trat nach § 3 Abs. 1 der Anordnung 1983 am 1. August 1983 in Kraft; zugleich trat nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der Anordnung 1983 die Anordnung 1975 außer Kraft. Nach § 2 der Ordnung 1983 waren Betriebe mit spezieller Produktion (nach § 1 der Ordnung 1983 als spezielle Betriebe bezeichnet) solche, deren Reproduktionsprozess durch spezielle Produktions- und Leistungsaufgaben zur ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung und der inneren Sicherheit und Ordnung bestimmt wurde. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1983 wurde den Werktätigen in den speziellen Betrieben als materielle Anerkennung für langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung eine zusätzliche Belohnung gewährt. Diese zusätzliche Belohnung betrug

  • nach zwei Jahren:      vier Prozent,
  • nach fünf Jahren:       acht Prozent,
  • nach zehn Jahren:     zehn Prozent und
  • nach 15 Jahren:         zwölf Prozent

des Jahresbruttolohnes, der zur Berechnung des Durchschnittslohnes zu Grunde gelegt wurde (§ 17 Abs. 1 Satz 2 der Ordnung 1983). Für Zeiten, unter anderem, der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Quarantäne war für die Berechnung der zusätzlichen Belohnung der nach den Rechtsvorschriften berechnete Durchschnittslohn zu Grunde zu legen (§ 17 Abs. 2 Buchstabe a) der Ordnung 1983). Die Berechnung der zusätzlichen Belohnung hatte vom Ersten des Monats an zu erfolgen in dem die Jahre der ununterbrochenen Beschäftigungsdauer erreicht wurden (§ 17 Abs. 5 der Ordnung 1983). Die zusätzliche Belohnung unterlag nicht der Lohnsteuer und der Beitragspflicht der Sozialversicherung und gehörte nicht zum Durchschnittsverdienst (§ 17 Abs. 6 der Ordnung 1983). Die zusätzliche Belohnung war für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli des Jahres anlässlich des Jahrestages der DDR, dem 7. Oktober, und für den Zeitraum vom 1. August bis 31. Januar anlässlich des Tages der NVA, dem 1. März, nach den festgelegten Prozentsätzen und Bedingungen zu zahlen (§ 17 Abs. 8 der Ordnung 1983). Bestimmte Zeiten (wie der Wehrdienst in der NVA, in den Grenztruppen und bewaffneten Organen) wurden anwartschaftssteigernd auf die ununterbrochene Beschäftigungsdauer angerechnet (§ 17 Abs. 9 in Verbindung mit Anlage 5 der Ordnung 1983).

 

Der Honorierungszweck der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion wurde ausschließlich mit: "für langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung" umschrieben. Die "langjährige ununterbrochene Tätigkeit" knüpft dabei an die im Beschäftigungsverhältnis erbrachte Betriebstreue an. Die "Pflichterfüllung" knüpft an die Erfüllung der Arbeitspflichten an. Soweit die Beklagte in Bezug auf das Merkmal der "Pflichterfüllung" meint, es sollte die Erfüllung von besonderen Pflichten, die aus der Berufsausübung bei einem Hersteller von Rüstungsgütern resultierten bzw. die bei einem Betrieb erwuchsen, der Teile für die Waffenproduktion zulieferte, abgegolten werden, ergibt sich dies weder aus der Ordnung 1975 noch aus der Ordnung 1983. Die Ansicht der Beklagten, "Pflichterfüllung" in diesem speziellen Industriezweig habe die Beachtung von Geheimhaltungspflichten und von Kontaktverboten gemeint, spiegelt sich im Belohnungszweck der Vorschriften (§ 21 der Ordnung 1975 und § 17 der Ordnung 1983) gerade nicht wider. Hiergegen spricht zudem, dass § 26 der Ordnung 1975 und § 21 der Ordnung 1983 eigenständige Regelungen statuierten, die sich der Sicherheit und Geheimhaltung widmeten.

 

Auch der Umstand, dass die zusätzlichen Belohnungen anlassbezogen am Tag der Nationalen Volksarmee (1. März) und zum Jahrestag der DDR (7. Oktober) gezahlt wurden, spricht – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht gegen einen Lohncharakter dieser finanziellen Zuwendung, weil die Auszahlung "zusätzlicher Belohnungen" in der DDR regelmäßig an staatlichen Ehrentagen erfolgte (Beispiele: Auszahlung der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige im Bergbau am "Tag des deutschen Bergmanns" [= erster Sonntag im Monat Juli], Auszahlung der jährlichen zusätzlichen Vergütung für Mitarbeiter in Einrichtungen der Volksbildung am "Tag des Lehrers" [= 12. Juni]), sodass der Zahltag kein Indiz für einen bestimmten Zahlungszweck liefert. Im Übrigen wurden "zusätzliche Belohnungen für ununterbrochene Tätigkeit ... und ähnliche Zahlungen" in § 3 Abs. 2 Buchstabe a) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 der "Verordnung über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung" (nachfolgend: 1. Durchschnittsentgelt-VO) vom 21. Dezember 1961 (DDR-GBl. II 1961, Nr. 83, S. 551, berichtigt in DDR-GBl. II 1962, Nr. 2, S. 11) in der Fassung der "Zweiten Verordnung über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung" (nachfolgend: 2. Durchschnittsentgelt-VO) vom 27. Juli 1967 (DDR-GBl. II 1967, Nr. 73, S. 511, berichtigt in DDR-GBl. II 1967, Nr. 118, S. 836) ausdrücklich als "Lohnzahlungen" bezeichnet.

 

Soweit die Beklagte meint, bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung seien auch die Einleitungstexte der Anordnungen 1975 und 1983 nicht außer Acht zu lassen, die auf die "Gewährleistung der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung" (Präambel der Anordnung 1975) bzw. auf die "Gewährleistung der ökonomischen Sicherstellung der Landesverteidigung und der inneren Sicherheit und Ordnung" (Präambel der Anordnung 1983) abstellen, ergibt sich hieraus ebenfalls keine andere Bewertung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Denn diese Zielbeschreibungen in den Präambeln der Anordnungen 1975 und 1983 beziehen sich nicht auf die hier streitgegenständlichen zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion, sondern ausdrücklich auf die in diesen Betrieben zu beachtende, mit veränderter Schwerpunktsetzung zu berücksichtigende "Anwendung" der "Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB" vom 28. März 1973 (DDR-GBl. 1973 I, Nr. 15, S. 129) bzw. "Anwendung" der "Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe" vom 8. November 1979 (DDR-GBl. 1979 I, Nr. 38, S. 355). Zudem wurden die Regelungen über die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion ausdrücklich jeweils im "V. Abschnitt" der Ordnung 1975 und 1983, der jeweils die "Arbeits- und Lebensbedingungen" der Werktätigen in den Betrieben mit spezieller Produktion regelte, getroffen. Sie wurden zudem ausdrücklich als "materielle Anerkennung" deklariert (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Ordnung 1975, § 17 Abs. 1 Satz 1 Ordnung 1983). Soweit die Beklagte aus den Präambeln der Anordnungen 1975 und 1983 in Verbindung mit weiteren Vorschriften (§ 4 Ordnung 1975, §§ 6 und 7 Ordnung 1983), die systematisch gerade nicht dem "V. Abschnitt" der Ordnung 1975 und 1983 (Arbeits- und Lebensbedingungen) zugeordnet sind, herauszudestillieren versucht, der entscheidende Beweggrund für die Zahlung der zusätzlichen Belohnungen habe in der "Verringerung der Fluktuation" und der "Festigung des Kaderbestandes" gelegen, verlässt sie den Boden der Auslegung der streitgegenständlichen DDR-Vorschriften (Ordnungen 1975 und 1983 im Bereich der speziellen Produktion) und begibt sich auf den Boden der Einlegung, in dem sie sinnentstellend auf völlig andere DDR-Vorschriften abstellt, die völlig andere Zahlungen in völlig anderem Zusammenhang regeln. Denn der "Verringerung der Fluktuation" und der "Festigung des Kaderbestandes" diente – ausweislich der Präambel des „Beschluss[es] über die Einführung von Wohnungs- und Verpflegungsgeld für die Angehörigen der bewaffneten Organe des Ministeriums des Innern“ vom 21. April 1960 (= Geheime Regierungssache GRS-Nr. 148/60) sowie der Begründung der „Vorlage für das Sekretariat des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ von Dezember 1959 (vgl. dazu jeweils: Sächsisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2019 - L 5 RS 503/17 - JURIS-Dokument, RdNr. 59; Sächsisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2019 - L 5 RS 510/17 - JURIS-Dokument, RdNr. 54; Sächsisches LSG, Urteil vom 18. Juni 2019 - L 5 RS 513/17 - JURIS-Dokument, RdNr. 60) – das im Bereich der Deutschen Volkspolizei zum 1. Mai 1960 eingeführte Verpflegungsgeld, nicht aber die im Bereich der Betriebe mit spezieller Produktion zum 1. Januar 1976 eingeführten zusätzlichen Belohnungen.

 

Soweit die Beklagte schließlich ausführte, die zusätzliche Belohnung habe dazu gedient, die in Betrieben mit spezieller Produktion vorhandenen besonderen Bedingungen und höheren persönlichen Belastungen zu kompensieren, wie dies höchst anschaulich die Einlassung eines Zeugen (W....), der in einem Betrieb mit spezieller Produktion tätig gewesen sei, bei seiner Einvernahme in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts Dresden am 16. April 2019 im Verfahren S 33 RS 1331/17 verdeutlicht habe, verkennt sie, dass individuelle Zeugenaussagen nicht den Beurteilungsmaßstab zur Bestimmung des Zwecks einer, auf der Grundlage von DDR-rechtlichen Regelungen, gewährten Zahlung bilden. Beurteilungsrelevant sind lediglich die maßgeblichen DDR-rechtlichen Regelungen selbst, die als "generelle Anknüpfungstatsachen" bzw. als "generelle Tatsachen" heranzuziehen sind (vgl. zu diesem Aspekt beispielsweise deutlich: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 - B 5 RS 2/13 R - JURIS-Dokument, RdNr. 19; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 14 ff.; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25 ff.; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25 ff.). Die Beurteilung des Zwecks einer (staatlich) gewährten Zahlung erfolgt allein unter Zugrundelegung der insoweit maßgeblichen abstrakt-generellen Vorgaben des die Zahlung regelnden DDR-Rechts (BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - B 5 RS 2/18 R - JURIS-Dokument, RdNr. 46; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 3/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2020 - B 5 RS 1/20 R - JURIS-Dokument, RdNr. 25). Aus diesem Grund vermag auch der von der Beklagten im (nach ihrer Berufungserwiderung mit Schriftsatz vom 9. März 2023 nachgeschobenen) Schriftsatz vom 28. Juni 2023 vorgetragene Einwand, ihre Sichtweise zur Zweckbestimmung der zusätzlichen Belohnung für Werktätige in Betrieben mit spezieller Produktion werde auch durch den Beitrag von Thote "Rafena, Robotron  und die Wende 1965 bis 1993" (erschienen im "Heft 05 der Radeberger Blätter zur Stadtgeschichte") bestätigt, in dem beispielsweise (zum "speziellen Werk" auf Seite 9) ausgeführt werde:

  • "Manche meldeten sich dank der großzügigen Vergünstigungen, die mit der Tätigkeit im Speziellen Werk verbunden waren."
  • "… mussten Mitarbeiter gefunden werden, die bereit und geeignet waren, entsprechende Verpflichtungen einzugehen.",

zumal nicht bekannt sei, um welche Verpflichtungen es sich gehandelt habe und inwiefern diese im Zusammenhang mit der Arbeitsleistung gestanden hätten, zu keiner anderen Bewertung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu führen. Zeitungsartikel – wie der von der Beklagten nunmehr hervorgekramte – determinieren nach der eindeutigen Rechtsprechung des BSG nicht die Bestimmung des Zwecks einer zu DDR-Zeiten nach Maßgabe des damaligen DDR-Rechts gewährten Zahlung. Im Übrigen vermögen – wie von der Beklagten vorliegend angeführte – nebulöse Andeutungen die aus den DDR-rechtlichen Regelungen abzuleitenden Zweckbestimmungsindizien weder zu ersetzen, noch zu verdrängen.

 

2.

Ausgehend von den Regelungen der Ordnung 1975 sowie der Ordnung 1983 kann deshalb festgehalten werden, dass die zusätzliche Belohnung für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dem Grunde nach unter den Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV fällt und daher dementsprechende Entgelte nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG als Arbeitsentgelt festzustellen sind, sofern deren Zufluss nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird.

 

Zwar konnte der Kläger Bezugsdokumente bezüglich zusätzlicher Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die von ihm geltend gemachten Jahre nicht vorlegen.

 

Nachweise über, an den Kläger gezahlte, zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion liegen auch nicht mehr vor, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28f Abs. 5 SGB IV).

 

Den Bezug von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für die streitgegenständlichen Zuflussjahre 1983 bis 1990 konnte der Kläger im vorliegenden konkreten Einzelfall allerdings glaubhaft machen.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 14), überwiegend wahrscheinlich ist. Dies erfordert mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweismaßstab ist zwar durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss also nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht aber die "gute Möglichkeit" aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber aber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht deshalb nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (vgl. dazu dezidiert: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 5).

 

Der Bezug von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion dem Grunde nach ergibt sich im vorliegenden Fall des Klägers aus den unterschiedlichsten Aspekten des konkreten Einzelfalles:

 

Aus dem vom Kläger wiederholt vorgelegten betrieblichen Schreiben des VEB Y....  Elektronik A.... vom 19. Dezember 1989 ergibt sich, dass der Kläger bis zum 31. Januar 1990 in einem Bereich der speziellen Produktion arbeitete und die zusätzlichen Belohnungen auf der Grundlage der "Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe mit spezieller Produktion" vom 22. Juni 1983 erhielt. Wegen der "Ausstufung" seines Arbeitsbereichs aus dem speziellen Werk ab 1. Februar 1990 entfiel für den Kläger nach dem 31. Januar 1990 die zusätzliche Belohnung für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion. Gleichzeitig wurde in dem betrieblichen Schreiben geregelt, dass für den Kläger mit seinem Ausscheiden aus dem speziellen Werk die "Sozialökonomische Konzeption zur Veränderung zur Veränderung der Aufgabenstellung auf dem Gebiet der LVO für den VEB Y....  Elektronik A...." galt und der Kläger Folgendes erhielt:

  • ein Überbrückungsgeld in Form eines Jahresbetrages der zusätzlichen Belohnung in der Höhe, auf die er per 31. Januar 1990 Anspruch hatte;
  • eine Bescheinigung über die versicherungspflichtige Tätigkeit im speziellen Werk;
  • bei der Berechnung der Alters- und Invalidenrente einen Steigerungsbetrag in Höhe von 1,5 Prozent des Durchschnittsverdientes, der bei der Berechnung der Rente zugrunde gelegt wird, auch wenn er noch nicht zehn Jahre ununterbrochen in der speziellen Produktion gearbeitet hatte.

 

Aus der vom Kläger ebenfalls wiederholt vorgelegten, die betriebliche Mitteilung vom 19. Dezember 1989 in einem Teil umsetzenden, "Bescheinigung über Zugehörigkeit zu Bereichen der speziellen Produktion" des VEB Y....  Elektronik A.... vom 31. Januar 1990 ergibt sich zudem eindeutig, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1981 bis 31. Januar 1990 eine versicherungspflichtige Tätigkeit im Bereich der speziellen Produktion verrichtete. Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Juni 2023 ausführte, es sei nicht bekannt,

  • ob auch in den Beschäftigungsbetrieben des Klägers, dem VE Institut für Mikroelektronik und dem VEB Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik (ZFTM) Z…., Betriebsteile mit spezieller Produktion registriert gewesen seien,
  • ob die Beschäftigungszeiten des Klägers in diesen Betrieben zur ununterbrochenen Tätigkeit zu zählen seien,
  • wie Ausbildungszeiten, Wehrdienst und Studienzeiten des Klägers berücksichtigt worden seien,
  • ob der Kläger Treueprämien für eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer nach der "5. Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz" vom 24. Januar 1956 (DDR-GBl. I 1956, Nr. 18, S. 163) erhalten habe,

vermögen diese Ausführungen weder den Beweiswert der "Bescheinigung über Zugehörigkeit zu Bereichen der speziellen Produktion" des VEB Y....  Elektronik A.... vom 31. Januar 1990 zu erschüttern, noch zu einer anderen Bewertung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu führen. Aus der "Bescheinigung über Zugehörigkeit zu Bereichen der speziellen Produktion" des VEB Y....  Elektronik A.... vom 31. Januar 1990 ergibt sich eindeutig, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1981 bis 31. Januar 1990 eine versicherungspflichtige Tätigkeit im Bereich der speziellen Produktion verrichtete. Die von der Beklagten im Schriftsatz vom 28. Juni 2023 als unbekannt bezeichneten Fakten liegen – auf den konkreten Fall bezogen – daher neben der Sache, weil sie den konkreten Sachverhalt und die in diesem konkreten Sachverhalt vorliegenden und zu bewertenden Tatsachen und Beweismittel ignorieren.

 

Der tatsächliche Bezug der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion durch den Kläger für den Zeitraum von Januar 1983 (zum ersten Auszahlungsstichtag am 1. März 1983) bis einschließlich Januar 1990 (zum letzten Auszahlungsstichtag am 1. März 1990), ergibt sich zudem aus den vom Senat eingeholten schriftlichen Auskünften der Zeugen D.... vom 21. Mai 2023 und E.... vom 23. Mai 2023.

 

Die Zeugin D...., die den Kläger seit Beginn seiner Beschäftigung im VEB Y....  Elektronik A.... am 1. März 1982 kannte und mit diesem – ebenfalls als Entwicklungstechnologin – in der gleichen Betriebsabteilung zusammenarbeitete, gab in ihrer schriftlichen Auskunft vom 21. Mai 2023 ausdrücklich an, dass der Kläger im Zeitraum von 1983 bis 1990 ununterbrochen in Bereichen der speziellen Produktion im VEB Y....  Elektronik A.... tätig war und entsprechend der betrieblichen Festlegungen zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben mit spezieller Produktion ausgezahlt erhielt. Alle Kollegen, die regelmäßig an Projekten für die spezielle Produktion arbeiten, wurden in dieses System aufgenommen. Dabei wurden die geltenden gesetzlichen Möglichkeiten von der Abteilungsleitung stets genutzt, um den in die Arbeiten für die spezielle Produktion involvierten Kollegen diese zusätzlichen Zahlungen zukommen zu lassen. Die Zahlungen erfolgten unter bestmöglicher Ausschöpfung der gesetzlichen Vorgaben. Die Beträge wurden, genauso wie das Gehalt, überwiesen. Der Kläger war in einer Abteilung des VEB Y....  Elektronik A.... beschäftigt, die direkt Produkte für die spezielle Produktion herstellte und Forschungsaufgaben für diesen Bereich ausführte. Er hatte auch seinen Anteil an der Erfüllung der Planaufgaben beigetragen.

 

Der Zeuge E...., der den Kläger gleichfalls seit Beginn seiner Beschäftigung im VEB Y....  Elektronik A.... am 1. März 1982 kannte und mit diesem in der gleichen Betriebsabteilung zusammenarbeitete, gab in seiner schriftlichen Auskunft vom 23. Mai 2023 ebenfalls ausdrücklich an, dass der Kläger im Zeitraum von 1983 bis 1990 ununterbrochen in Bereichen der speziellen Produktion im VEB Y....  Elektronik A.... tätig war und entsprechend der gesetzlichen und betrieblichen Festlegungen zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben mit spezieller Produktion ausgezahlt erhielt. Sämtliche Mitarbeiter der Betriebsabteilung in der speziellen Produktion erhielten die zusätzlichen Belohnungen auf der Basis der gesetzlichen Vorgaben. Der Kläger erfüllte auch stets seine Arbeitspflichten.

 

Auch im Übrigen ergibt sich aus den vom Kläger angeforderten und von ihm vorgelegten Unterlagen, dass er seine Arbeitsaufgaben im Betrieb der speziellen Produktion stets hervorragend erfüllte, weshalb dem Senat unerklärlich ist, wie die Beklagte zu ihrer Behauptung gelangen kann, es lägen keinerlei individuelle Hinweistatsachen dafür vor, dass der Kläger das Kriterium der "Pflichterfüllung" nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht habe, zumal sie im Verwaltungsverfahren, entgegen der ihr obliegenden Verpflichtung zur Sachverhaltserforschung von Amts wegen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X) keinerlei Ermittlungsanstrengungen unternommen hat.

 

Den Arbeitsvertragsunterlagen ist zu entnehmen, dass der Kläger kontinuierliche Gehaltssteigerungen sowie höherwertige Arbeitsaufgaben wegen seiner guten betrieblichen Arbeitsleistungen erreichte.

 

In dem betrieblichen Mitteilungsschreiben des VEB Y....  Elektronik A.... vom 19. Dezember 1989 wurde dem Kläger zudem ausdrücklich Dank für seine geleistete Tätigkeit im Bereich der speziellen Produktion ausgesprochen.

 

Dem betrieblichen Arbeitszeugnis der Y....  V....  GmbH vom 10. Dezember 1991, welches Auskunft über die Arbeitsleistungen des Klägers im gesamten Beschäftigungszeitraum im VEB Y....  Elektronik A.... seit 1. März 1982 gibt, ist zu entnehmen, dass der Kläger

  • umfangreiche Kenntnisse über alle technologischen Prozesse der Dickschichttechnik hatte und über ein solides Wissen im Bereich der Rechentechnik verfügte,
  • sehr zufriedenstellende Leistungen erbrachte,
  • sich in seiner Arbeit vor allem durch äußerste Zuverlässigkeit und Sorgfältigkeit sowie große Selbständigkeit auszeichnete,
  • ein äußerst vertrauenswürdiger Mitarbeiter war, der ein hohes Ansehen genoss,
  • ein stets einwandfreies Verhalten gegenüber Mitarbeitern und Vorgesetzten an den Tag legte,
  • ein sehr tüchtiger Mitarbeiter war,
  • sich durch eine jahrelange, sehr gute Zusammenarbeit auszeichnete.

 

Unterstrichen wird diese vorbildliche und weder zu Kritik noch Tadel Anlass gebende Arbeitsweise des Klägers weiterhin durch die ihm vom VEB Y....  Elektronik A.... in den Jahren 1982 bis 1986 jeweils verliehenen Auszeichnungen als Mitglied eines "Kollektiv[s] der sozialistischen Arbeit". Mit diesen Auszeichnungen wurden unter anderem beispielgebende Arbeitsleistungen des Kollektivs und jedes einzelnen Mitglieds des Kollektivs im sozialistischen Wettbewerb, also konkret auch des Klägers, gewürdigt (vgl. dazu: § 1 der "Ordnung über die Verleihung und Bestätigung der erfolgreichen Verteidigung des Ehrentitels 'Kollektiv der sozialistischen Arbeit'", die Bestandteil der "Bekanntmachung der Ordnungen über die Verleihung der bereits gestifteten staatlichen Auszeichnungen" vom 28. Juni 1978 [DDR-GBl. Sonderdruck Nr. 952, S. 1 ff.] war).

 

Zusammenfassend wird dem Kläger damit insgesamt bescheinigt, dass er die ihm übertragenen Aufgaben stets hervorragend erledigte, sodass sich keinerlei berechtigte Zweifel an der "langjährigen ununterbrochenen Pflichterfüllung" im Sinne der §§ 21 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1975, 17 Abs. 1 Satz 1 der Ordnung 1983 aufdrängen.

 

Glaubhaft gemacht ist damit im vorliegenden Fall, dass der Kläger

  • als Entwicklungstechnologe des VEB Y....  Elektronik A.... in einem Betrieb der speziellen Produktion beschäftigt war,
  • ab 1. Januar 1981 (sog. Anrechnungszeitpunkt) Anwartschaftsberechtigter auf die Gewährung von zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion war,
  • zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion tatsächlich ab Januar 1983 in Höhe von vier Prozent und ab Januar 1986 in Höhe von acht Prozent seines Jahresbruttolohnes ausgezahlt erhielt,
  • in den (streitgegenständlichen) Zuflussjahren 1983 bis 1990 vom Geltungsbereich der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion erfasst war und
  • in den (streitgegenständlichen) Zuflussjahren 1983 bis 1990 eine langjährige ununterbrochene Tätigkeit und Pflichterfüllung aufwies.

 

Die lediglich dem Grunde nach glaubhaft gemachten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben mit spezieller Produktion, die dem Kläger in den streitgegenständlichen Jahren 1983 bis 1990 zugeflossen sind, sind im Rahmen der Glaubhaftmachung der Höhe nach auch berechenbar, weil der tatsächliche Bruttoarbeitsentgeltbezug des Klägers feststeht. Anknüpfungspunkt – im Rahmen des § 6 Abs. 6 AAÜG hinsichtlich des nachgewiesenen Teils des Verdienstes – ist insoweit die Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 19. April 1999. Soweit der 5. und der 7. Senat des Sächsischen LSG in der Vergangenheit bei der – im Rahmen des § 6 Abs. 6 AAÜG als Anknüpfungspunkt anzustellenden – Berechnung der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion auf die den Arbeits- und Arbeitsänderungsverträgen zu entnehmenden Bruttogrundgehälter abgestellt hat (vgl. insoweit: Sächsisches LSG, Urteil vom 13. September 2016 - L 5 RS 738/12 - JURIS-Dokument, RdNr. 95; Sächsisches LSG, Urteil vom 13. März 2018 - L 5 RS 615/15 - JURIS-Dokument, RdNr. 72; Sächsisches LSG, Urteil vom 4. November 2021 - L 7 R 277/21 ZV - JURIS-Dokument, RdNr. 77), hat der erkennende 7. Senat des Sächsischen LSG hiervon inzwischen ausdrücklich Abstand genommen, wie sich bereits im Urteil vom 4. November 2021 im Verfahren L 7 R 350/21 ZV (JURIS-Dokument, RdNr. 59) andeutete und wie im Urteil vom 8. September 2022 im Verfahren L 7 R 773/19 ZV (JURIS-Dokument, RdNr. 275) ausführlich dargelegt wurde. Denn die Arbeitsverträge weisen das tatsächliche, im jeweiligen Planjahr vom Kläger bezogene Bruttoarbeitsentgelt nicht aus. Dieser tatsächliche Nachweis ist jedoch erforderlich, weil die Glaubhaftmachung nach § 6 Abs. 6 AAÜG verlangt, dass ein Teil des Verdienstes nachgewiesen ist. Nachweisdokument für den tatsächlichen Bruttoarbeitsentgeltbezug im Fall des Klägers ist lediglich die Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 19. April 1999. Nur dieses Nachweisdokument kann bei der Berechnung der dem Grunde nach glaubhaft gemachten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion als Hilfsinstrument der Glaubhaftmachung der Höhe nach zu Grunde gelegt werden.

 

Ausgehend von den, in der Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 19. April 1999 ausgewiesenen, maßgeblichen Bruttoarbeitsverdiensten ergeben sich folgende, für die Berechnung der zusätzlichen Belohnungen maßgeblichen Bruttomonatsgrundlöhne:

 

Planjahr

Jahresbruttoverdienst

durchschnittlicher Monatsbruttoverdienst

1983

13.979,49 M

1.164,96 M

1984

13.083,57 M

1.090,30 M

1985

14.430,91 M

1.202,58 M

1986

15.163,20 M

1.263,60 M

1987

13.892,52 M

1.157,71 M

1988

15.601,79 M

1.300,15 M

1989

15.309,63 M

1.275,80 M

01-06/1990

8.403,38 M

1.400,56 M

 

Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger

  • erstmals ab 1. Januar 1983 zum Auszahlungstermin im März 1983 die zusätzliche Belohnung für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion mit dem Steigerungsbetrag in Höhe von vier Prozent erhielt.
  • ab Januar 1986 den Steigerungsbetrag von acht Prozent erhielt.
  • nur bis einschließlich Januar 1990 zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion ausgezahlt erhielt.

 

Dies zu Grunde gelegt, sind für den Kläger zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion für den Zeitraum von Januar 1983 bis Januar 1990 wie folgt zu berücksichtigen:

 

Anwartschafts-zeitraum

Bruttomonatsverdienst

Bruttojahres-verdienst

Prozentsatz

Betrag der Belohnung

davon 5/6

Zufluss-jahr

Jan. 83-Juli 83

7 x 1.164,96 M

8.154,72 M

4

326,19 M

271,82 M

1983

Aug. 83-Juli 84

5 x 1.164,96 M

+ 7 x 1.090,30 M

5.824,80 M

+ 7.632,10 M

= 13.456,90 M

4

538,28 M

448,56 M

1984

Aug. 84-Juli 85

5 x 1.090,30 M

+ 7 x 1.202,58 M

5.451,50 M

+ 8.418,06 M

= 13.869,56 M

4

554,78 M

462,32 M

1985

Aug. 85-Juli 86

5 x 1.202,58 M

+ 7 x 1.263,60 M

6.012,90 M

+ 8.845,20 M

= 14.858,10 M

4

8 ab Jan. 1986

240,52 M

+ 707,62 M

= 948,14 M

790,11 M

1986

Aug. 86-Juli 87

5 x 1.263,60 M

+ 7 x 1.157,71 M

6.318,00 M

+ 8.103,97 M

= 14.421,97 M

8

1.153,76 M

961,46 M

1987

Aug. 87-Juli 88

5 x 1.157,71 M

+ 7 x 1.300,15 M

5.788,55 M

+ 9.101,05 M

= 14.889,60 M

8

1.191,17 M

992,64 M

1988

Aug. 88-Juli 89

5 x 1.300,15 M

+ 7 x 1.275,80 M

6.500,75 M

+ 8.925,00 M

= 15.425,75 M

8

1.234,06 M

1.028,38 M

1989

Aug. 89-Jan. 90

5 x 1.275,80 M

+ 1 x 1.400,56 M

6.379,00 M

+ 1.400,56 M

= 7.779,56 M

8

622,36 M

518,64 M

1990

 

Soweit die Beklagte meint, es sei nicht möglich, aus den vorliegenden Angaben bzw. Informationen die erhaltene zusätzliche Belohnung zu errechnen, weil völlig ungewiss bleibe, ob das gesamte ausgezahlte Gehalt (oder gegebenenfalls welcher Teil hiervon) für die Berechnung der zusätzlichen Belohnung zugrunde gelegt worden sei, vermag der Senat diesem Einwand nicht zu folgen. Die DDR-rechtlichen Regelungen stellten eindeutig auf den Bruttolohn (§ 21 Abs. 1 der Ordnung 1975) bzw. auf den Jahresbruttolohn, der der Berechnung des Durchschnittslohns zugrunde gelegt wurde (§ 17 Abs. 1 der Ordnung 1983), ab. Die Zugrundelegung der Bruttolohnangaben aus der Entgeltbescheinigung der Orcom Systemhaus GmbH vom 19. April 1999 wird den Maßgaben der §§ 21 Abs. 1 der Ordnung 1975, 17 Abs. 1 der Ordnung 1983 gerecht. Dass teilweise zu berücksichtigende Zuschläge (wie die monatlich gezahlten leistungsorientierten Gehaltszuschläge bzw. Teile des aufgabengebundenen Leistungszuschlags – § 18 Abs. 1 der Ordnung 1983) nicht bekannt und nachträglich oftmals auch nicht mehr bestimmbar sind, spricht nicht dagegen, den, den Entgeltbescheinigungen zu entnehmenden, bekannten Jahresbruttoverdienst als Mindestberechnungsbasis für die Glaubhaftmachung der Höhe der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion zu Grunde zu legen. Jeder Glaubhaftmachung mag ein gewisses Maß an Ungenauigkeit innewohnen. Dem trägt indessen die gesetzliche Regelung des § 6 Abs. 6 AAÜG hinreichend Rechnung, nach der glaubhaft gemachte Entgelte nur zu fünf Sechsteln zu berücksichtigen sind. Insbesondere auf diesem Wege werden etwaige Ungenauigkeiten pauschal ausgeglichen.

 

3.

Die zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion als Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG waren auch nicht nach der am 1. August 1991 maßgeblichen bundesrepublikanischen Rechtslage (Inkrafttreten des AAÜG) steuerfrei im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 1 ArEV. Ein bundesrepublikanischer Tatbestand des Steuerrechts, der die Steuerfreiheit der zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion regeln würde, liegt nicht vor. Es handelt sich vielmehr um gemäß § 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt wurden).

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt Ergebnis, Anlass und Verlauf des Verfahrens. Eine vollständige Kostenerstattung kam – trotz der im Berufungsverfahren nur noch für die Zuflussjahre 1983 bis 1990 geltend gemachten zusätzlichen Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion – nicht in Betracht, weil sowohl im Widerspruchs-, als auch im Klageverfahren (und ursprünglich auch im Berufungsverfahren) zusätzliche Belohnungen für Werktätige in Betrieben der speziellen Produktion auch für die Zuflussjahre 1981 und 1982 als glaubhaft gemachtes Arbeitsentgelt begehrt wurden. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostengrundentscheidung war eine einheitliche Kostenquote für das gesamte Verfahren zu bilden.

 

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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