Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23.11.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Beachtung einer Vollmacht.
Die am 1936 geborene Klägerin beantragte durch ihren Bevollmächtigten unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht vom 17.02.2021 (Bl 12 der Verwaltungsakten) Hinterbliebenenrente. Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 27.05.2021 (Bl 73 der Verwaltungsakten) große Witwenrente für ihren verstorbenen Ehemann und rechnete als Einkommen eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung an. Dieser Bescheid wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin übersandt. Dagegen legte die Klägerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10.06.2021 Widerspruch ein und monierte die Anrechnung einer Hinterbliebenenrente auf eine Hinterbliebenenrente. Gleichzeitig kündigte er nach Ablauf der Frist des § 88 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Untätigkeitsklage an. Mit Schreiben vom 15.06.2021 (Bl 55 Verwaltungsakten) und 25.06.2021 (Bl 183 der Verwaltungsakten) erläuterte die Beklagte dem Bevollmächtigten der Klägerin ihre Rechtsauffassung und bat um Mitteilung, ob der Widerspruch zurückgenommen werde. Die Beklagte erinnerte den Bevollmächtigten mit Schreiben vom 22.07.2021 (Bl 186 der Verwaltungsakten) und 20.08.2021 (Bl 191 der Verwaltungsakten) an die Erledigung der Schreiben vom 15.06.2021 und 25.06.2021 und bat zuletzt um Rückäußerung bis spätestens 20.09.2021. Sie wies den Bevollmächtigten auf Folgendes hin: „Sollten wir bis dahin keine Nachricht von Ihnen erhalten haben werden wir uns direkt mit Frau I in Verbindung setzen und Ihr dies mitteilen.“ Nachdem der Bevollmächtigte auch hierauf nicht reagiert hatte, wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 20.9.2021 an die Klägerin persönlich und bat sie, sich in der Angelegenheit mit ihrem Bevollmächtigten in Verbindung zu setzen.
Die Klägerin hat am 20.9.2021 unter Vorlage des Schreibens der Beklagten vom 20.08.2021 „Unterlassungsklage (vorbeugend)“ zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Die Beklagte habe offensichtlich nichts dazugelernt. Hier jetzt eine neuerliche Vorgehensweise, nämlich die Drohgebärde die Vollmacht zu missachten und dies vor dem Hintergrund, dass der Widerspruch seinerzeit ja begründet worden sei. Die Beklagte habe auch nicht vor dem Hintergrund des § 13 Abs 3 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Befugnis, sich an die Versicherte selbst zu wenden, denn zum einen bestehe keine Mitwirkungsverpflichtung und zum anderen sei durch die entsprechend vorgelegte Vollmacht eine Kontaktaufnahme komplett unterbunden, dh eine Ermessensausübung in dieser Hinsicht sei auf null reduziert durch die Formulierung in der Vollmacht, dass jeglicher Schriftwechsel und Kontaktaufnahme nur mit dem Bevollmächtigten zu erfolgen habe. Es sei immer schon in den letzten Jahren ein leidiges Thema mit der Vollmachtsbeachtung im Hause der Beklagten gewesen.
Am 21.09.2021 hat der Bevollmächtigte der Klägerin der Beklagten mitgeteilt, dass er an dem Widerspruch festhalte und die Anrechnung einer Hinterbliebenenrente auf eine Hinterbliebenenrente für einen verfassungswidrigen Zustand halte, der gegen Art 6 Grundgesetz (GG) verstoße. Die Beklagte hat den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 27.05.2021 mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2021 zurückgewiesen und diesen an den Bevollmächtigten der Klägerin übersandt (Bl 60 der Verwaltungsakten).
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 23.11.2021 die Klage abgewiesen. Die Unterlassungsklage sei unzulässig. Nach § 56a Satz 1 SGG könnten Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit dem gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gelte nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden könnten oder gegen einen Nichtbeteiligten ergingen (§ 56a Satz 2 SGG). Sinn und Zweck der Regelung sei die Gewährleistung der Verfahrens- und Prozessökonomie (Hinweis auf Landessozialgericht <LSG> Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B). Die gesetzliche Regelung betreffe alle unselbstständigen Verfahrenshandlungen, mit denen eine Sachentscheidung erst vorbereitet und noch keine verbindliche Regelung getroffen werde. Es handle sich um eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG sei ein Rechtsbehelf unzulässig. Im vorliegenden Fall wende sich die Klägerin gegen eine vermeintliche Missachtung der Vollmacht ihres Bevollmächtigten iSd § 13 Abs 3 Satz 1 SGB X, wobei es sich um ein in Form eines Realakts erfolgtes Unterlassen handle, das das Verwaltungsverfahren nicht abschließe. Die Unterlassungsklage richte sich damit gegen eine behördliche Verfahrenshandlung. Es liege auch kein Ausnahmefall des § 56a Satz 2 SGG vor, da die behördliche Verfahrenshandlung nicht vollstreckt werden könne und auch nicht gegen einen Nichtbeteiligten ergangen sei.
Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 29.11.2021 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 16.12.2021 beim LSG Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Die Frage um die Vollmachtsbeachtung bzw systematischen Vollmachtsmissachtungen, die inzwischen um sich griffen in Deutschland, sei zwischenzeitlich in einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht (BSG) (B 5 R 223/21 B) anhängig. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat seine dortige Begründung zitiert und eine Liste der von ihm geführten Verfahren wegen „Vollmachtsmissachtungen“ vorgelegt. Das gehöre unterbunden und das sei auch nicht durch § 56a SGG gerechtfertigt, denn man könne die Missachtung der Vollmachten mit der Hauptsacheentscheidung ja eben nicht angreifen. Das funktioniere ja nicht, denn die Vollmacht sei ja während des Verfahrens zu beachten. Etwas anderes könne man vielleicht diskutieren bei nicht gewährten Akteneinsichten oder ähnlichen Dingen, die man dann verfahrenstechnisch rügen könne, aber auch das am Ende des Verfahrens nur zu tun, sei auch nicht sinnvoll. Fest stehe jedenfalls auch, dass die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit sich ganz anders zu dem Problemkomplex stelle und auch im Rahmen des § 44 a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), und sich auch bei Vollmachtsfragen iSd § 13 SGB X so stelle, dass natürlich der Kläger oder Betroffene, Versicherte, Mandant das jederzeit isoliert anfechten könne für sich selbst.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23.11.2021 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,00 € die Vollmacht, die für die Klägerin bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiter zu missachten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG), hat keinen Erfolg.
Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1, 151 SGG), jedoch nicht begründet.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, ist die Klage wegen § 56a Satz 1 SGG bereits unzulässig. Hiernach können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Die Vorschrift dient so der Verfahrensökonomie, indem sie einer Verzögerung des Verwaltungsverfahrens durch Verfahrens- und Formfehler entgegenwirkt (Gesetzesbegründung BT-Drs 17/12297, 65), und der Prozessökonomie, indem eine Zersplitterung des Rechtsschutzes vermieden wird (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, SGG § 56a Rn 2 mwN). Verfahrenshandlung iSd § 56a Satz 1 SGG ist jede behördliche Maßnahme, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahrens ist und eine Sachentscheidung vorbereitet (BeckOGK/Scholz, Stand 01.05.2021, SGG § 56a Rn 6; vgl hierzu auch LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn 16, juris). § 56a Satz 1 SGG normiert eine eigenständig zu prüfende (negative) Zulässigkeitsvoraussetzung für Rechtsbehelfe, ua für alle Klagearten. Liegen die Voraussetzungen des § 56a Satz 1 SGG vor, ist der Rechtsbehelf unzulässig (LSG Baden-Württemberg 19.10.2021, L 9 R 1944/21, Rn 25, juris mwN). So ein Fall ist hier gegeben.
Vorliegend wendet sich die Klägerin nicht gegen den Bescheid der Beklagten vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2021 und die darin getroffene Sachentscheidung selbst, sondern moniert eine „Missachtung“ der „hinterlegten“ Vollmacht (vgl im Übrigen zur „Unbestimmtheit“ dieses Begehrens LSG Baden-Württemberg 19.10.2021, L 9 R 1944/21, Rn 31, juris). Sie wendet sich gegen die Nichtbeachtung der von ihrem Bevollmächtigten am 19.02.2021 bei der Beklagten eingereichten Vollmacht, mithin nicht gegen eine ein konkretes Verwaltungsverfahren abschließende Sachentscheidung.
Ein Ausnahmefall im Sinne des § 56a Satz 2 SGG liegt nicht vor. Hiernach gilt Satz 1 nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Ein Fall von Vollstreckbarkeit ist offenkundig nicht gegeben. Entgegen dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten liegt in einer Missachtung der Vollmacht aber auch keine Verfahrenshandlung gegen einen Nichtbeteiligten, nämlich den Bevollmächtigten der Klägerin vor. Nichtbeteiligte sind Dritte, denen das Gesetz eine eigene verfahrensrechtliche Position einräumt, die aber nicht zur gerichtlichen Überprüfung der Sachentscheidung berechtigt sind, zB Zeugen und Sachverständige wegen ihrer Entschädigung oder gesetzliche Vertreter bzw Bevollmächtigte, die in dieser Eigenschaft von der Behörde zurückgewiesen wurden (Keller aaO § 56a Rn 11 mwN). Vorliegend liegt der hier gerügte Verfahrensmangel indes in der behaupteten Nichtbeachtung der Vollmacht (vgl § 13 Abs 3 SGB X), indem die Beklagte ihr Schreiben vom 20.09.2021 direkt an die Klägerin versandt hat. Eine Verfahrenshandlung gegenüber dem Klägerbevollmächtigten ist nicht erfolgt, insbesondere hat die Beklagte dessen förmliche Zurückweisung nicht verfügt (LSG Baden-Württemberg 20.11.2020, L 11 KR 2616/20 ER-B, Rn 16, juris). Da § 56 Satz 2 SGG somit nicht einschlägig ist, verbleibt es bei der Regelung in § 56a Satz 1 SGG mit der Folge, dass die Klage bereits unzulässig ist.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es auch an dem für das formulierte Unterlassungsbegehren erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl dazu LSG Baden-Württemberg 15.10.2021, L 4 KR 645/21, Rn 24, juris), weil keine Wiederholung droht. Die Beklagte hat mit dem Bevollmächtigten der Klägerin korrespondiert und diesem auch ihre Entscheidungen (Bescheid vom 27.05.2021 und Widerspruchsbescheid vom 18.11.2021) bekanntgegeben. Lediglich nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin auf die Schreiben der Beklagten trotz Erinnerungen ohne jeglichen Grund nicht reagiert hat, hat sie sich direkt an die Klägerin mit dem Schreiben vom 20.09.2021 gewandt. Dies ist auch nicht zu beanstanden. Denn die Behörde kann sich unmittelbar an den Beteiligten wenden, wenn der Bevollmächtigte - wie vorliegend - auf Zuschriften nicht reagiert (Prehn in LPK-SGB X, 5. Auflage 2019, § 13 Rn 19; Roller in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 13 Rn 9; Vogelgesang in Hauck/Noftz, § 13 SGB X <Stand Juni 2009> Rn 28).
Schließlich ist zu beachten, dass der Umgang mit Verfahrensfehlern, vorliegend der behaupteten Missachtung der Vollmacht, einer differenzierten rechtlichen Ausgestaltung zugänglich ist und nicht jeder Verfahrensfehler einer Sanktion bzw einer gerichtlichen Reaktion bedarf (vgl grundlegend zur Fehlerlehre zB Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S 332 ff; Ladenburger, Verfahrensfehlerfolgen im französischen und im deutschen Verwaltungsrecht, 1999, S 292 ff; Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel kommunaler Satzungen, 1988, S 57 ff). Unabhängig davon, dass die Beklagte im Hinblick auf das Verhalten des Bevollmächtigten der Klägerin sich mit dem Schreiben vom 20.09.2021 direkt an die Klägerin wenden durfte, schließt - wie dargelegt - § 56a SGG in der vorliegenden Konstellation eine gerichtliche Reaktion aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 2817/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3853/21
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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