L 9 R 3731/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1622/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3731/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Oktober 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1970 geborene Klägerin ist ausgebildete Bürokauffrau. Im Anschluss an die Berufsausbildung war sie bis zum 31.12.1994 sechs Monate versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld absolvierte sie von April 1995 bis Februar 1996 eine Fachschulausbildung. Anschließend bezog sie bis August 1999 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Von September 1999 bis Oktober 2007 war die Klägerin nicht versicherungspflichtig beschäftigt und bezog keine Sozialleistungen. Seit November 2007 bezieht sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, von September 2010 bis Juni 2013 übte sei eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung aus.

Am 13.03.2018 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf eine schwere gynäkologische Erkrankung im Jahr 2013 mit operativem Eingriff 2014, eine Erschöpfungsdepression sowie auf weitere Erkrankungen auf orthopädischem, urologischem, HNO-ärztlichem und pulmologischem Fachbereich.

Nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und für die Bundesagentur für Arbeit erstellter gutachterlicher Äußerungen der R vom 09.09.2014, der A vom 22.01.2014 sowie eines für die Agentur für Arbeit K-R erstellten psychologischen Gutachtens der P vom 12.12.2018 veranlasste die Beklagte Begutachtungen der Klägerin durch E und S. E diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 24.04.2018 eine Anpassungsstörung bei selbstunsicher-ängstlicher Persönlichkeit. Auf psychiatrischem Fachgebiet lägen keine schwerwiegenden dauerhaften Einschränkungen der kognitiven Funktionen, des Antriebs oder der Belastbarkeit vor, die Erwerbsunfähigkeit begründen würden. Die Klägerin sei in der Lage, ihrer bisherigen Tätigkeit oder einer entsprechenden Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiterhin sechs Stunden und mehr pro Tag nachzugehen. S gab in seinem Gutachten vom 03.05.2018 die Diagnosen klimakterisches Syndrom, Zustand nach supracervikaler Hysterektomie und Ovarialzyste rechts an. Auf nicht-gynäkologischem Fachgebiet lägen ein depressives Syndrom, ein Schulter-Arm-Syndrom beidseits und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vor. Die Beschwerden im psychischen, psychiatrischen und orthopädischen Bereich würden wahrscheinlich durch klimakterische Hormonschwankungen überlagert. Eine intensivere fachärztliche Behandlung sei indiziert und würde zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik führen. Die Klägerin sei unter Berücksichtigung näher benannter qualitativer Einschränkungen noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten.

Mit Bescheid vom 28.05.2018 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung, die Einschränkungen, die sich aus den bei der Klägerin vorliegenden Krankheiten oder Behinderungen ergäben, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, ab. Die Klägerin könne nach der medizinischen Beurteilung der Beklagten noch mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte Befundberichte des Frauenarztes H-T vom 31.10.2018, des K vom 28.11.2018, des B vom 12.11.2018 und des M vom 10.12.2018 bei und holte eine Stellungnahme des Beratungsarztes B1 vom 09.02.2019 ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; auch die zusätzlich eingeholten Befundberichte hätten keine weiteren Einschränkungen des festgestellten Leistungsvermögens ergeben. Bei Versicherten, die zumutbare Tätigkeiten unter betriebsüblichen Bedingungen mindestens sechs Stunden täglich verrichten könnten, begründe der Umstand, dass sie einen entsprechenden Arbeitsplatz nicht erhielten, keine Erwerbsminderung.

Hiergegen hat die Klägerin am 07.05.2020 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie werde vor allem durch einen Antriebsmangel und eine reduzierte allgemeine Belastbarkeit in ihrem beruflichen Leistungsvermögen eingeschränkt. Daneben bestünden Beeinträchtigungen durch Schmerzen im Halsbereich aufgrund einer chronischen Entzündung der linken Unterkieferspeicheldrüse, durch verschleißbedingte schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Schulter, Belastungsschmerzen beider Kniegelenke, durch eine Urge-Inkontinenz bei überaktiver Blase sowie durch Restbeschwerden infolge der gynäkologischen Operation im Jahr 2014 (große Narbe) und Nierenschmerzen.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. M hat unter dem 21.10.2019 über eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung beider Kniegelenke, Belastungsschmerz und Myogelosen cervikoscapulär berichtet. Eine Leistungseinschätzung hat er nicht vorgenommen. M1 hat in seiner Stellungnahme vom 23.10.2019 über Behandlungen am 07.12.2017 und 22.07.2019 berichtet und angegeben, er habe einen Teileinriss der Supraspinatussehne posterior rechts, eine Tendinitis calcarea der Supra- und Infraspinatussehne und eine Bursitis subdeltoidea subacromialis diagnostiziert. Aus orthopädischer Sicht seien der Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich möglich. K hat unter dem 22.10.2019 ausgeführt, er habe die Diagnose einer Erschöpfungsdepression gestellt. Differentialdiagnostisch komme zusätzlich noch eine asthenische Persönlichkeit in Frage. Die Klägerin müsste einer leichten körperlichen, wenig belastenden Tätigkeit im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche nachkommen können, wobei aufgrund der starken Einengung und der Beschwerden mindestens sechs Stunden täglich fragwürdig seien. B hat am 21.11.2019 mitgeteilt, nach den Befunden auf hno-ärztlichem Fachgebiet könne die Klägerin wenigstens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. R1 hat in seiner Stellungnahme vom 27.05.2020 die Diagnosen nephritisches Syndrom bei unbekannter Grunderkrankung, Hypokomplementämie, Proteinurie bei unbekannter Grunderkrankung, Mikrohämaturie bei unbekannter Grunderkrankung, chronische Nierenkrankheit, Stadium 3, arterielle Hypertonie, renale Anämie, Ödeme und Vitamin-D-Mangel mitgeteilt. Aus nephrologischer Sicht spreche aktuell nichts gegen eine leichte Tätigkeit sechs Stunden arbeitstäglich, die psychologisch/psychiatrische Sicht könne er nicht beurteilen. Da jedoch bisher keine endgültige Diagnose habe gestellt werden können, gelte diese Aussage nur für den Augenblick. Eine weitere Abklärung der offensichtlich vorliegenden, progredienten Nierenerkrankung sei dringend anzuraten. Je nach Diagnose und Therapie (möglicherweise werde eine immunsuppressive Therapie notwendig) müsse das Leistungsvermögen erneut beurteilt werden.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht ein Gutachten bei E1 eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin hat sie in ihrem Gutachten vom 04.03.2020 ausgeführt, auf nervenärztlichem Fachgebiet lägen eine Dysthymie und eine akzentuierte Persönlichkeit mit ängstlich vermeidenden und zwanghaften Zügen sowie Spannungskopfschmerzen vor. Der Klägerin seien noch leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zumutbar. Möglich seien leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend, gehend oder stehend. Tätigkeiten mit und an laufenden Maschinen seien möglich, ebenso Arbeiten an Büromaschinen; Fließband- und Schichtarbeit sei möglich. Arbeiten mit Publikumsverkehr seien nur deutlich eingeschränkt möglich; nicht leidensgerecht seien Tätigkeiten, die besonders hohe Anforderungen an Konzentration, Anpassungs- und Umstellungsvermögen erforderten; die Übernahme erhöhter oder hoher Verantwortung, Tätigkeiten unter erhöhter nervlicher Belastung und mit der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge seien nicht möglich.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23.10.2020 abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Die Klägerin sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn ihr arbeitstägliches Leistungsvermögen betrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich mindestens sechs Stunden. Dies ergebe sich aus dem überzeugenden, in sich schlüssigen und wohlbegründeten Gutachten von E1 sowie aus den Bekundungen der sachverständigen Zeugen M, M1,  B und R1, ferner aus den für die Beklagte erstellten Gutachten von E und S, welche im Wege des Urkundsbeweises verwertet würden. Danach leide die Klägerin nachweislich unter folgenden für ihre berufliche Leistungsfähigkeit bedeutsamen Gesundheitsstörungen: Dysthymie, akzentuierte Persönlichkeit mit ängstlich vermeidenden und zwanghaften Zügen, Spannungskopfschmerzen, chronische Nierenkrankheit (Stadium 3) bzw. nephritisches Syndrom mit Proteinurie bei unbekannter Grunderkrankung, arterielle Hypertonie, renale Anämie, Gonarthrose bds., verschleißbedingte Schulterschädigung bds., Zustand nach suprazervikaler Hysterektomie, Ovarialzyste bei klimakterischem Syndrom, chronische Entzündung der linken Unterkieferspeicheldrüse. Diese Gesundheitsstörungen schränkten die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg, im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend, gehend oder stehend, ohne Zwangshaltungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche auszuüben. Auszuschließen seien allerdings auch Arbeiten mit Publikumsverkehr sowie Tätigkeiten, die besonders hohe Anforderungen an Konzentration, Anpassungs- und Umstellungsvermögen erfordern, oder die mit der Übernahme erhöhter oder hoher Verantwortung, erhöhter nervlicher Belastung oder der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge verbunden seien. Diese Einschränkungen stellten keine ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen dar, die die Benennung einer Verweisungstätigkeit erfordern würden. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, denn sie sei schon nicht vor dem 02.01.1961 geboren.

Gegen den ihr am 03.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 24.11.2020 Berufung eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Es werde weiterhin geltend gemacht, dass sie insbesondere wegen ihrer depressiven Erkrankung sowie wegen ihrer Nierenerkrankung und der daraus resultierenden Leistungseinschränkungen auch in zeitlicher Hinsicht in rentenrelevantem Maß eingeschränkt sei. Es sei bisher nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass der behandelnde K eine starke Einengung auf die geschilderten Beschwerden mit reduzierter Schwingungsfähigkeit festgestellt habe. Auch die Sachverständige E1 beschreibe im psychopathologischen Befund, dass die Klägerin sehr auf ihren zahlreichen Erkrankungen beharre und hiervon nur schwer ablenkbar sei. Die Schwingungsfähigkeit sei leicht reduziert. Der Rapport sei geordnet, mit Tendenz zur Weitschweifigkeit und starkem Fokus auf die klägerischen Erkrankungen und zugehörigen Atteste. Die Gutachterin habe häufig strukturieren müssen. Weiter führe E1 aus, im formalen Denken bestünden Tendenzen zur Weitschweifigkeit. Sie grüble und ruminiere stark über ihre körperlichen Erkrankungen. Die Gedanken der Klägerin kreisten im gesamten Gespräch stark um ihre körperlichen Diagnosen und ihre schwierige Wohnsituation. Aus diesen Einschränkungen, u. a. im Denken resultierten entgegen der Einschätzung der Sachverständigen und des SG nicht lediglich qualitative, sondern bereits quantitative Leistungseinschränkungen. Hinzu komme, dass bei der Klägerin aufgrund der Nierenerkrankung nach R1 ein durch die Anämie erklärter Erschöpfungszustand bestehe. R1 habe ihr gegenüber gesagt, er habe die chronische Hypertonie und die chronische Anämie als Leistungseinschränkungen nicht berücksichtigt. Auch die Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten, die er zur Dauertherapie verschreibe, seien in der Leistungseinschätzung nicht berücksichtigt worden. R1 habe gesagt, dass er im Fall einer erneuten sachverständigen Zeugenanhörung antworten werde, dass sich die Anämie wegen Niereninsuffizienz wieder verschlechtert habe, was zur Erschöpfung führe und dass deshalb eine Leistungseinschränkung bestehe. Auch aus dem Erschöpfungszustand resultierten entgegen der Einschätzung des SG nicht lediglich qualitative, sondern bereits quantitative Leistungseinschränkungen. Eine Begutachtung auf internistischem Fachgebiet und eine erneute Befragung von R1 seien erforderlich. Sie hat Befundberichte von R1 vom 05.11.2020 und vom 13.07.2021, ärztliche Atteste von K vom 11.04.2019 und von H-T vom 18.06.2019, Bescheinigungen von B vom 02.08.2018, von M1 vom 22.07.2019 und des M vom 10.12.2018 sowie einen Befundbericht des J vom 19.03.2018 sowie zuletzt eine Bestätigung über die Behandlung von J vom 12.05.2022, ein Attest des L vom 12.05.2022 und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von K vom 15.06.2022 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Oktober 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. März 2018 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf Stellungnahmen ihres beratungsärztlichen Dienstes.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat erneut die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. K hat unter dem 11.05.2021 mitgeteilt, die Klägerin habe sich erstmals im November 2017 vorgestellt und dann ab dem 18.01.2018 in vier-wöchigen Abständen. Er habe die Diagnose einer depressiven Episode/DD mittelschwere Depression gestellt. Die Klägerin gebe an, seither nicht mehr arbeitsfähig zu sein. Bekanntermaßen seien depressive Erkrankungen mit einer Reduktion der allgemeinen Belastbarkeit verbunden, wobei hier das Ausmaß sehr unterschiedlich sei. In seiner Aussage vom 18.05.2021 hat R1 ausgeführt, welches Krankheitsbild der bei der Klägerin vorliegenden Niereninsuffizienz zugrunde liege, sei nach wie vor nicht geklärt und ohne Nierenbiopsie nicht zu beantworten. Eine Nierenbiopsie lehne die Klägerin allerdings ab. Die Niereninsuffizienz wirke sich leistungsmindernd aus. Die Anämie sei inzwischen so weit korrigiert, dass diese keine wesentliche Beeinträchtigung zur Folge habe. Die Klägerin sei zweifelsfrei deutlich krank. Bei unbekannter Grunderkrankung könne das Ausmaß der Beeinträchtigung durch Probleme, die leider nicht bekannt seien, nicht beurteilt werden. Bei Vorliegen einer Systemerkrankung, die bisher nicht diagnostiziert sei, könne die Beeinträchtigung größer sein als durch die alleinige Niereninsuffizienz. M1 hat am 11.05.2021 erneut über die bekannten beidseitigen Schulterschädigungen berichtet. Die Klägerin habe sich letztmalig im Juli 2019 vorgestellt. Es bestehe eine deutliche Einschränkung für schweres Heben sowie Überkopfarbeiten. Gegenstände von mehr als 10 -15 kg sollten nicht dauerhaft gehoben werden. Arbeiten auf Kopfhöhe oder über Kopfhöhe seien aufgrund der chronischen Schulterschädigungen rechts mehr als links ebenso nicht möglich.

Die Berichterstatterin des Senats hat am 12.10.2021 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass der erstinstanzliche Gerichtsbescheid entgegen § 65a Abs. 7 Satz 1 SGG zwar mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, nicht aber am Ende mit dem Namen der verantwortenden Person, dem Namen der Kammervorsitzenden, versehen ist (vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.06.2021 - L 6 U 1890/19 -, n.v.). Der Gerichtsbescheid ist mit der Zustellung nach §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 133 Satz 2 SGG wirksam. Die Kammervorsitzende hat den Gerichtsbescheid vorliegend signiert und somit gemäß § 134 Abs. 1 SGG unterschrieben. Die fehlende Nennung des Namens der Kammervorsitzenden am Ende des Gerichtsbescheids macht diesen nicht zu einer sog. Scheinentscheidung (vgl. hierzu Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., 2020, § 134 Rdnr. 2c sowie BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 17.01.1985 - 2 BvR 498/84 - sowie BGH, Urteil vom 31.05.2007 - X ZR 172/04 -, juris). Die Entscheidung ist durch das Rubrum und die Signatur der gesetzlich bestimmten Richterin ohne jeden Zweifel zuzuordnen, da sie von ihr mit der erforderlichen richterlichen Willensäußerung signiert wurde und auch durch die Nennung des Namens der Kammervorsitzenden im Rubrum den Abgleich der Personenidentität ermöglicht. Die fehlende Nennung des Namens der Kammervorsitzenden am Ende des Urteils verstößt zwar gegen § 65a Abs. 7 Satz 1 SGG, führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Urteils (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.07.2021 - L 8 AL 3122/20 -, juris).

Dies gilt nach Überzeugung des Senats nicht nur für Urteile, welche aufgrund mündlicher Verhandlung erlassen wurden, sondern auch für Urteile im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG oder Gerichtsbescheide nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG. Auch in diesem Fall ist der erforderliche Abgleich zur Prüfung der Identität der Entscheider durch den Vergleich des Rubrums mit der Signatur möglich, und es liegt eine Unterschrift in Gestalt der Signatur des Entscheiders vor. Allein der Umstand, dass diese Art von Entscheidungen nicht in einer mündlichen Verhandlung verkündet wurden, rechtfertigt keine unterschiedliche Bewertung der vorliegenden Konstellation (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.09.2021 - L 8 SB 1856/20 -, juris, a.A. noch Beschlüsse des erkennenden Senats vom 17.06.2021 - L 9 AS 1477/21 B - und vom 21.06.2021 - L 9 AS 882/21 B - und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16.02.2021 - L 7 AS 3588/20 B -, n.v.).

Durch die Verkündung wird das Urteil wirksam, im schriftlichen Verfahren ersetzt die Zustellung die Verkündung und bewirkt daher die Wirksamkeit (vgl. Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 132 Rdnr. 1a ff., § 133 Rdnr. 1ff. sowie § 125 Rdnr. 4). Die Authentizität des Dokuments, d.h. die Verknüpfung des Erklärungsinhalts („elektronisches Dokument“) mit der Identität des Erstellers („verantwortende Person“) wird hier auf elektronischem Wege nachgewiesen und hierzu die Funktion der handschriftlichen Unterschrift ersetzt (Müller in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 65a SGG, Stand 13.06.2022, Rdnr. 330). Der Unterschied zwischen den Urteilen mit mündlicher Verhandlung einerseits und Urteilen ohne mündliche Verhandlung und Gerichtsbescheiden andererseits liegt somit im Zeitpunkt der Wirksamkeit. Bezüglich der Offenbarungs- und Beurkundungsfunktion gibt es jedoch keine wesentlichen Unterschiede, außer dass ein Urteil im schriftlichen Verfahren bereits vor der in § 133 SGG vorgeschriebenen Zustellung existent und damit für das Gericht nach § 202 SGG i.V.m. § 318 ZPO unabänderbar sein kann, wenn die Urteilsformel und die Unterschrift bzw. elektronische Signatur vorliegen und sich das Gericht durch Verlautbarung gebunden, also sich des Urteils entäußert hat und dieses aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten ist (vgl. Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, a.a.O, § 125 Rdnr. 4b). Ein Nichturteil liegt jedoch nur dann vor, wenn ein Urteil nur den äußeren Schein einer gerichtlichen Entscheidung hat, aber nicht von einem Gericht erlassen worden ist (vgl. Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, a.a.O., § 125 Rdnr. 5a). Das Fehlen der Namensnennung ist zwar formfehlerhaft, beeinträchtigt jedoch unabhängig von der Art des Urteils die Wirksamkeit nicht und stellt insbesondere kein Scheinurteil dar. Dies gilt auch für Gerichtsbescheide, da dieser nur ergehen kann, wenn sonst durch Urteil entschieden wird (vgl. B. Schmidt in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, a.a.O, § 105 SGG, Rdnr. 5). Eine unterschiedliche Handhabung je nach Entscheidungsform ist nicht geboten (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.09.2021, a.a.O.).

Das Verfahren ist infolge des Verfahrensfehlers auch nicht gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das SG zurückzuverweisen. So ist zum einen Voraussetzung für eine Zurückverweisung neben dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers, dass aufgrund dieses Verfahrensfehlers eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, was bei einem Verstoß gegen § 65a Abs. 7 Satz 1 SGG regelmäßig nicht der Fall ist. Zudem steht eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 und auch nach Nr. 1 SGG im Ermessen („kann“) des LSG (vgl. Adolf in: Schlegel/Voelzke, SGG, 2. Aufl., Stand: 15.06.2022, § 159 Rdnr. 22). Vorliegend sprechen nach Ansicht des Senats die bei der Ermessensausübung zu beachtenden Gesichtspunkte der Prozessökonomie und der zügigen Erledigung des Rechtsstreits (vgl. Adolf, a. a. O., § 159 Rdnr. 23; Keller, a. a. O., § 159 Rdnr. 5a) gegen eine Zurückverweisung des Verfahrens an das SG.

Die Berufung ist nicht begründet, da das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23.10.2020 zu Recht abgewiesen hat. Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung der im Berufungsverfahren allein begehrten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: 117. EL, Dezember 2021, § 43 SGB VI, Rdnr. 58 und 30 ff.).

An diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, ist die Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Eine Erwerbsminderung der Klägerin, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen oder körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich aus der Gesamtwürdigung der ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von E1 sowie der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von E und S, die der Senat jeweils im Wege des Urkundenbeweises verwertet.

Der Senat stellt zunächst fest, dass die Klägerin unter einer Dysthymie, einer akzentuierten Persönlichkeit mit ängstlich-vermeidenden und zwanghaften Zügen, Spannungskopfschmerzen, einer chronischen Nierenkrankheit (Stadium 3) bzw. einem nephritischen Syndrom mit Proteinurie bei unbekannter Grunderkrankung, arterieller Hypertonie, renaler Anämie, Gonarthrose bds., einer verschleißbedingten Schulterschädigung bds., dem Zustand nach suprazervikaler Hysterektomie, einer Ovarialzyste (bei klimakterischem Syndrom), einer Dranginkontinenz sowie einer chronischen Entzündung der linken Unterkieferspeicheldrüse leidet.

Diese Gesundheitsstörungen führen weder für sich genommen noch in ihrer Zusammenschau dazu, dass das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter sechs Stunden arbeitstäglich eingeschränkt ist.

Hinsichtlich der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet stützt sich der Senat auf die Einschätzung der E1 in ihrem Gutachten vom 04.03.2020. E1 hat nach ihren Angaben einen nur leichtgradig gestörten psychischen Befund erhoben, der im Wesentlichen mit dem von E erhobenen übereinstimmte. Bei einem Vergleich der durch sie erhobenen psychopathologischen Befunde mit den Befunden bei der Voruntersuchung durch E ergaben sich nach Einschätzung von E1 keine relevanten Diskrepanzen. Abweichungen ergeben sich lediglich bei den Ergebnissen im BDI, einer Selbstbeurteilungsskala. Während die Klägerin bei der Begutachtung durch E einen Punktwert von 18 erreichte, was nach der Auswertung auch durch E1 einer leichtgradigen depressiven Symptomatik entsprechen würde, erreichte sie bei der Begutachtung durch E1 einen Punktwert von 45, was einer schweren depressiven Störung entspräche. E1 führt insoweit überzeugend aus, dass das Ergebnis im Rahmen ihrer Untersuchung zwar der subjektiven Wahrnehmung der Klägerin entspreche, subjektives Erleben und objektiv zu erhebender Befund aber nicht übereinstimmten. Sie weist insoweit darauf hin, dass der behandelnde K die Diagnose einer Erschöpfungsdepression bzw. eines depressiven Syndroms gestellt und die ICD-10-Kodierung F 32.9 zugrunde gelegt hatte, was einer depressiven Episode, nicht näher bezeichnet, entspricht. Damit sind weder die diagnostischen Kriterien für eine gegenwärtig leichtgradige, eine mittelschwere oder gar schwere depressive Episode erfüllt, so dass sich aus dieser unspezifischen Zuordnung gerade nicht schlussfolgern lässt, dass eine relevante Einschränkung der Leistungsfähigkeit vorliegt. Auch aus der Leistungseinschätzung des K gegenüber dem SG, wonach eine Tätigkeit von mehr als sechs Stunden täglich eher nicht leidensgerecht sei, wohl aber von vier bis sechs Stunden, lässt sich, worauf E1 zutreffend hinweist, gerade keine rentenrelevante Leistungseinschätzung ableiten. Der Leistungseinschätzung ist vielmehr zu entnehmen, dass die Klägerin auch aus Sicht ihres behandelnden Psychiaters in der Lage ist, sechs Stunden täglich einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. E1 hat für den Senat schlüssig und überzeugend dargelegt, dass der bei der Klägerin erhobene psychopathologische Befund keine erhebliche depressive Erkrankung mit leistungslimitierenden Antriebs- und Durchhaltemängeln begründet. Sie konnte insbesondere keine kognitiven Defizite feststellen. Im Rahmen der Begutachtungssituation trat trotz der angegebenen Schlafstörungen (insbesondere aufgrund der überaktiven Blase/Urge-Symptomatik) keine vorzeitige Erschöpfbarkeit auf. Eine solche lässt sich auch nicht aus dem Tagesablauf der Klägerin entnehmen, der zwar – wohl auch mangels Strukturierung durch eine berufliche Tätigkeit – unregelmäßig, aber ausgefüllt ist. Auch ist die Klägerin in der Lage, ihren Verpflichtungen (z.B. die Wahrnehmung von Arztterminen) nachzukommen. Schließlich ist keine außerordentliche und deshalb erheblich leistungslimitierende Schmerzsituation nachgewiesen. Denn während die Klägerin selbst auf der Schmerzskala von 0 bis 10 (wobei 10 einem Vernichtungsschmerz entspricht) eine 8 (ohne Medikation) angegeben hat, machte sie bei 1 keinen besonders schmerzgeplagten Eindruck und steht auch nicht in schmerztherapeutischer Behandlung. Auch die psychiatrische Behandlung einmal im Monat findet eher niederschwellig statt. Soweit die Klägerin – wie von E1 nachvollziehbar beschrieben – insbesondere aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur in ihrer Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben, in ihrer Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, ihrer Fähigkeit zur Anwendung fachlicher Kompetenzen, ihrer Kontaktfähigkeit zu Dritten und in ihrer Gruppenfähigkeit leichtgradig eingeschränkt ist, ist dies im Rahmen der qualitativen Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen. Ein auf unter sechs Stunden abgesunkenes Leistungsvermögen ergibt sich daraus aber nicht. Die durch die Sachverständige E und K aufgeführten Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsstruktur ordnet E1 nicht als Persönlichkeitsstörungen (mit Krankheitswert) ein, sondern als sog. Persönlichkeitsakzentuierungen. Sie legt überzeugend dar, dass sich keine Befunde erheben lassen, die die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ausreichend begründen würden. Brüche in der Biografie liegen nur insofern vor, als es der Versicherten nach dem erfolgreichen Berufsabschluss nicht gelungen ist, dauerhaft in ein Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Dies allein reicht aber nach Einschätzung der Gutachterin nicht aus, um daraus auch ein aufgehobenes Restleistungsvermögen zu begründen. Aus gutachterlicher Sicht ist nach E1 aber lediglich von einer sog. Persönlichkeitsakzentuierung mit im Vordergrund stehenden ängstlich vermeidenden und zwanghaften Zügen auszugehen. Hieraus resultieren, wie E1 ausführlich darlegt, zwar qualitative, nicht jedoch quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögens.

Eine Verschlechterung der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet seit der Begutachtung durch E1 lässt sich der sachverständigen Zeugenaussage des K vom 11.05.2021 nicht entnehmen. K hat es nicht als erforderlich angesehen, die Behandlungsintensität zu erhöhen. So stellt sich die Klägerin seit Januar 2018 in etwa vierwöchigen Abständen vor. Außer Mirtazapin 15 mg zur Nacht findet keine psychopharmakologische Behandlung statt. Im Behandlungszeitraum erfolgte, trotz ausbleibender Besserung, weder eine Umstellung der medikamentösen Therapie noch eine stationäre oder teilstationäre Behandlung. Psychotherapeutische Behandlungsansätze werden nicht erwähnt. Darüber hinaus verweist er lediglich allgemein auf eine Reduzierung der allgemeinen Belastbarkeit bei depressiven Erkrankungen. Diese hat auch E1 in ihrem Gutachten berücksichtigt; das von ihr angenommene mindestens sechsstündige Leistungsvermögen – unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen – ist aber, wie dargelegt, für den Senat überzeugend.

Die Gesundheitsstörungen der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet führen ebenfalls nicht zu einer Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens. M1 hat gegenüber dem SG das Leistungsvermögen als erhalten angesehen. Erhebliche funktionelle Ausfälle an den von verschleißbedingten Erkrankungen betroffenen Schulter- und Kniegelenken sind nicht dokumentiert. Soweit die Klägerin E1 gegenüber angegeben hat, dass sie die Arme nicht bis zur Horizontalen heben könne bzw. dürfe, schließt sich der Senat E1 an, dass dies angesichts der objektivierten Befunde nicht plausibel erscheint. In diesem Zusammenhang ist auch auf die von M1 mitgeteilten Bewegungsausmaße zu verweisen, die eine Beweglichkeit der Schultergelenke über die Horizontale hinaus trotz der Läsionen und Entzündungen im Bereich der Rotatorenmanschette bzw. des Schultergelenks nachweisen (linke Schulter: Abduktion 170°, Anteversion 180°; rechte Schulter: Abduktion 150°, Anteversion 150°). Erhebliche neurologische Ausfallerscheinungen infolge der Verschleißerkrankungen des Achsenskeletts hat E1 ebenfalls nicht feststellen können. Eine Verschlechterung ist durch die Aussage des M1 vom 11.05.2021 nicht dokumentiert. Dies folgt schon daraus, dass M1 angibt, die Klägerin letztmals im Juli 2019 untersucht zu haben. Die von ihm angegebenen deutlichen Einschränkungen für schweres Heben sowie Überkopfarbeiten, Arbeiten auf Kopfhöhe und Überkopfhöhe sind im Rahmen qualitativer Einschränkungen zu würdigen und führen jedenfalls nicht zu einer auch zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem zuletzt vorgelegte Attest von L vom 12.05.2022, wonach aufgrund der verschleißbedingten Schulterschädigung das Heben und Tragen von Lasten von mehr als 5 kg nicht erfolgen soll (aber auch nicht generell ausgeschlossen wird) und Arbeiten auf und über Kopfhöhe nicht mehr möglich sind.

Der Senat konnte sich schließlich auch nicht davon überzeugen, dass die Nierenerkrankung der Klägerin zu einer so weitgehenden auch zeitlichen Leistungseinschränkung führt, dass ihr auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine sechs Stunden arbeitstäglich mehr zumutbar wären. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf das nephritische Syndrom mit eingeschränkter Nierenfunktion bei unbekannter Grunderkrankung. Eine damit einhergehende vorzeitige Erschöpfbarkeit liegt bei der Klägerin nicht vor. Auch der behandelnde Nephrologe R1 hat auf seinem Fachgebiet eine zeitliche Leistungseinschränkung gegenüber dem SG verneint. Soweit das SG ausführt, dass angesichts der Tatsache, dass die Klägerin sich der von R1 dringend angeratenen weiteren Abklärung in Form einer Nierenbiopsie verschließe, auch der Leidensdruck der Klägerin diesbezüglich für derzeit gering anzusehen sei, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Die Klägerin hat dargelegt, dass sie vor einer entsprechenden Untersuchung im Wesentlichen aufgrund der mit der Hysterektomie verbundenen Blutungen zurückschreckt und Angst vor einem entsprechenden Eingriff hat. Der Senat konnte sich anhand der Ausführungen des R1 in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 18.05.2021 nicht von einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens aufgrund der Nierenerkrankung überzeugen. Die Anämie ist durch die Behandlung mit subcutanen Spritzen (EPT-Therapie mit Mircera) nach Einschätzung von R1 zwischenzeitlich so gut korrigiert, dass sie keine wesentliche Beeinträchtigung zur Folge hat. Weiterhin unzureichend eingestellt ist der Blutdruck, wobei auch R1 hieraus keine Einschränkung des Leistungsvermögens ableitet. Leistungsmindernd wirkt sich nach Einschätzung von R1 allerdings die Niereninsuffizienz aus. Bei unbekannter Grunderkrankung kann das Ausmaß der Beeinträchtigung aber – so der behandelnde Nephrologe – nicht beurteilt werden. Bei Vorliegen einer Systemerkrankung, die bisher nicht diagnostiziert ist, kann nach Einschätzung von R1 die Beeinträchtigung größer sein als durch die alleinige Niereninsuffizienz, eine abschließende Beurteilung ist ohne weiterführende Diagnostik aber nicht möglich. Zielführend für eine genauere Beurteilung des Krankheitsbildes ist nach Einschätzung des behandelnden Nephrologen das Ergebnis einer Nierenbiopsie (Lichtmikroskopie, Immunhistologie und Elektronenmikroskopie), ansonsten sind alle weiteren Einschätzungen rein spekulativ. Die Erkrankung ist nach der letzten Zeugenaussage von R1 aber jedenfalls insofern stabilisiert, als bis einschließlich zum Untersuchungstag im Januar keine systematische Progredienz festzustellen war. Günstig ausgewirkt hat sich die Besserung der Ödeme und der Anämie. Unter Heranziehung der Begutachtungskriterien der sozialmedizinischen Fachliteratur (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, 7. Aufl., 2011, Seite 397 ff.) kann sich auch der Senat von einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens aufgrund der Nierenerkrankung nicht überzeugen. Danach liegt bei der Klägerin, wie auch R1 ausführt, eine chronische Niereninsuffizienz vor, die nach den zitierten Begutachtungskriterien angenommen wird, wenn die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) länger als drei Monate unter 60 ml/min oder das Serum-Kreatinin (bei Frauen) länger als drei Monate über 1,3 mg/dl liegt. Nach den durch R1 mitgeteilten Laborbefunden liegt der Kreatininwert seit Dezember 2019 bei 1,3 mg/dl und darüber (10.12.2019 1,4 mg/dl, 30.01.2020 1,6 mg/dl, 27.05.2020, 29.09.2020 und 21.01.2021 1,3 mg/dl und 11.05.2021 1,8 mg/dl), so dass die durch den behandelnden Nephrologen angenommene chronische Niereninsuffizienz nachvollzogen werden kann. Nach dem früher angenommenen Schema für die körperliche Leistungsfähigkeit allein abhängig vom Serum-Kreatinin bestünde mit diesen Werten auch keine Einschränkung des Leistungsvermögens (bis 2 mg/dl keine Einschränkung, bei 2-5 mg/dl leichte und mittelschwere Arbeit ganztags, bei 5-10 mg/dl nur leichte Arbeit ganztags und mittelschwere halbtags). Angesichts der bei der Klägerin gemessenen Laborwerte ist daher die bisherige Einschätzung des Nephrologen, wonach die Klägerin zumindest leichte Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann, auch für den Senat überzeugend und nachvollziehbar.

Schließlich führen auch die Erkrankungen der Klägerin auf internistischem, gynäkologischem, urologischem und HNO-ärztlichen Fachgebiet über die Einschränkung der noch möglichen Tätigkeiten auf leichte bis mittelschwere Tätigkeiten hinaus mangels erheblicher funktioneller Einschränkungen nicht zu einer Reduktion des zeitlichen Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich. Das Gericht schließt sich hier der übereinstimmenden Ansicht der behandelnden Ärzte der Klägerin an. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass bei der Klägerin im Jahr 2014 eine Hysterektomie durchgeführt werden musste, die mit einem erheblichen Blutverlust verbunden war. Sowohl H-T als auch S konnten insoweit aber keine Leistungseinschränkung mehr feststellen. Es kann letztlich dahinstehen, ob die Klägerin, wie S annimmt, unter einem klimakterischen Syndrom leidet, oder keinerlei klimakterische Beschwerde geklagt werden, wie H-T in seinem Attest vom 18.06.2018 ausführt, da jedenfalls eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens hieraus, wie S überzeugend annimmt, nicht abzuleiten ist. Dies gilt auch für die durch S festgestellte Ovarialzyste rechts.

Damit kann der Senat sich nicht davon überzeugen, dass die Erkrankungen der Klägerin für sich genommen wie auch insgesamt betrachtet seit der Rentenantragstellung zu einer mindestens sechs Monate andauernden auch zeitlichen Leistungseinschränkung geführt haben. Die vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen können somit zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keinen Zweifel an ihrer weitgehend normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung kann vorliegend auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 -, Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit ist erst dann zu benennen, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen daher entscheidend von deren Anzahl, Art und Umfang ab, wobei zweckmäßigerweise in zwei Schritten - einerseits unter Beachtung der beim Restleistungsvermögen noch vorhandenen Tätigkeitsfelder, andererseits unter Prüfung der „Qualität" der Einschränkungen (Anzahl, Art und Umfang) - zu klären ist, ob hieraus eine deutliche Verengung des Arbeitsmarktes resultiert (vgl. BSG, Urteile vom 20.08.1997 - 13 RJ 39/96 -, vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 -, vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 - und vom 09.09.1998 - B 13 RJ 35/97 R -, Juris). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.04.1982 - 1 RJ 132/80 -, Juris) jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen von Gegenständen, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich sind. Dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen – wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, „erwerbstätig zu sein“, hat das BSG zuletzt mit Urteil vom 11.12.2019 (- B 13 R 7/18 R -, Juris) bestätigt. Bei der Klägerin sind, wie sich insbesondere den Gutachten von E1, S und E sowie der Stellungnahme des M1 entnehmen lässt, qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens zu berücksichtigen. So sind der Klägerin nur noch leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg im Wechsel zwischen Sitzen Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend, gehend oder stehend zumutbar. Zu vermeiden sind Überkopfarbeiten. Tätigkeiten mit und an laufenden Maschinen sind möglich, ebenso Arbeiten an Büromaschinen. Fließband-, Schichtarbeit ist möglich. Arbeiten mit Publikumsverkehr sind nur deutlich eingeschränkt möglich, ebenfalls bestehen Einschränkungen hinsichtlich von Tätigkeiten, die besonders hohe Anforderungen an Konzentration, Anpassungs- und Umstellungsvermögen erfordern, die Klägerin kann keine erhöhte oder hohe Verantwortung übernehmen und keine Tätigkeiten unter erhöhter nervlicher Belastung und mit der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge verrichten. Der Senat verkennt nicht, dass aufgrund der gedanklichen Einengung der Klägerin auf ihre Beschwerden Einschränkungen bestehen. E1 nimmt insoweit aber nur Einschränkungen hinsichtlich besonders hoher Anforderungen an Konzentration-, Anpassungs- und Umstellungsvermögen und Tätigkeiten mit erhöhter oder hoher Verantwortung und nervlicher Belastung an. Die Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben, die Flexibilität und Umstellungsfähigkeit, die Fähigkeit zur Anwendung fachlicher Kompetenzen, die Kontaktfähigkeit zu Dritten und die Gruppenfähigkeit sieht die Gutachterin lediglich als leichtgradig eingeschränkt an. Grundsätzlich liegt eine schwere spezifische Leistungsbehinderung auch dann vor, wenn besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz vorliegen (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, Juris, Rdnr. 28 unter Verweis auf BSG, Urteil vom 30.11.1982 - 4 RJ 1/82 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 104, Juris; Urteile des erkennenden Senats vom 19.06.2019 - L 9 R 3121/14 - und vom 15.05.2018 - L 9 R 30/16 -, n.v.). Der Senat verkennt nicht, dass aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin, die auch im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und in ihren Schreiben zum Ausdruck kam, Schwierigkeiten bei der Anpassung und Gewöhnung an einen neuen Arbeitsplatz bestehen könnten, die über diejenigen hinausgehen, die bei langer Entwöhnung vom allgemeinen Arbeitsmarkt anzunehmen sind. E1 hat allerdings in ihrem Gutachten ausdrücklich dargelegt, dass auch unter Berücksichtigung der starken gedanklichen Einengung der Klägerin auf ihre Beschwerden Einschränkungen nur hinsichtlich besonders hoher Anforderungen an Anpassungs- und Umstellungsvermögen bestehen. Der Senat ist auf Grundlage dieses Gutachtens daher davon überzeugt, dass die Klägerin sich in einem neuen Arbeitsplatz eingewöhnen kann. Auch unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen sind der Klägerin die durch das BSG aufgezeigten Tätigkeitsfelder daher zur Überzeugung des Senats noch möglich und zumutbar. Dass der Klägerin bislang keine leidensgerechte Arbeit vermittelt werden konnte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Vermittlung einer grundsätzlich möglichen und leidensgerechten Tätigkeit ist Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit. Das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG, Urteile vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 - und vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, Juris). Der Klägerin ist trotz der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen und der daraus folgenden qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten eröffnet, sodass keine Summierung ungewöhnlicher oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt und keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss.

Die Klägerin ist auch trotz der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen in der Lage, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die sog. Wegefähigkeit der Klägerin ist nicht in rentenrechtlich relevantem Ausmaß eingeschränkt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteile vom 12.12.2011 - B 13 R 21/10 R - und - B 13 R 79/11 R -, vom 30.01.2002 - B 5 RJ 36/01 R -, Juris m.w.N., vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, a.a.O.). Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (vgl. BSG, Urteile vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R - und vom 30.11.1965 - 4 RJ 101/62 -, Juris). Anhaltpunkte dafür, dass sich die Gesundheitsstörungen auf die Wegefähigkeit der Klägerin auswirken würden, bestehen nicht. Anhand der vorliegenden Befunde und Diagnosen ist die Einschätzung von L in seinem Attest vom 12.05.2022, wonach der Klägerin keine Geh- und Laufbelastung von mehr als 200 Metern zugemutet werden sollten, nicht nachvollziehbar. Auch L nennt keine Befunde oder Diagnosen, die eine entsprechende Einschränkung begründen würden.

Die Klägerin hat nach alledem keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved