L 9 R 1060/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 259/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1060/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1966 geborene Klägerin ist gelernte Friseurin, arbeitete ab 1991 als angelernte Verwaltungsangestellte bei der Stadtverwaltung M und ist seit November 2014 arbeitsunfähig krank. Sie bezog bis zur Aussteuerung Krankengeld und im Anschluss daran Arbeitslosengeld I. Mittlerweile bezieht sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis stellte mit Wirkung ab 10.10.2013 einen Grad der Behinderung von 80 fest (Bescheid vom 31.03.2014, Bl. 18 Akten der Beklagten, Funktionsbeeinträchtigungen: Chronisches Schmerzsyndrom, Trigeminusneuralgie links, Bandscheibenschaden, Entleerungsstörung der Harnblase).

Am 26.11.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Unter Berücksichtigung vorgelegter und beigezogener Befundberichte erstattete K auf Veranlassung der Beklagten ein nervenärztliches Gutachten. Nach einer Untersuchung der Klägerin am 14.06.2016 stellte K in seinem Gutachten vom 26.06.2016 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, einen atypischen Gesichtsschmerz links und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne Hinweis auf eine neurogene Mitbeteiligung fest. Aufgrund der polytopen Schmerzsymptomatik und aufgrund des psychiatrischen Störungskomplexes bestünden näher ausgeführte qualitative Leistungseinschränkungen. Die Klägerin sei noch in der Lage, sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als auch leidensgerechte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten.

Hierauf lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 16.08.2016 aus medizinischen Gründen ab.

Auf den Widerspruch der Klägerin gab die Beklagte ein orthopädisches Gutachten in Auftrag. P stellte nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 05.05.2017 in seinem Gutachten vom 08.06.2017 die Diagnosen: Z. n. zervikaler Bandscheibenoperation C5/6 und C6/7 mit Implantation einer Bandscheibenprothese und Dekompression bei Bandscheibenvorfall C5/6 und C6/7 und Spinalkanalstenose mit mäßigen funktionellen Einschränkungen und reizloser Operationsnarbe, chronische Rückenschmerzen bei altersentsprechendem Verschleiß der Lendenwirbelsäule und der Bandscheiben mit Vorwölbungen und einem kleinen Vorfall ohne neurologische Beteiligung bei mäßigen funktionellen Einschränkungen, Senk-Spreizfüße beidseits, mit orthopädischen Einlagen stabilisiert, bei Z. n. Hallux-Valgus-Operationen beidseits, regelrecht verheilt ohne Anhalt für ein Rezidiv, beginnende Arthrose am rechten Hüftgelenk ohne Funktionseinschränkung. Als Nebendiagnosen seien eine chronische Trigeminusneuralgie linksbetont mit Implantation eines Schmerzschrittmachers, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (Depressivität, V. a. Angststörung) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung festzustellen. Aus orthopädischer Sicht sei die Klägerin noch in der Lage, unter Berücksichtigung von näher ausgeführten qualitativen Einschränkungen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 24.08.2017 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) eingelegt, mit der sie geltend machte, seit einer Entzündung des linken Backenzahns im Jahr 2011 an einer Schmerzsymptomatik im Bereich des Trigeminusnervs zu leiden. Diese zeige sich in einem neuropathisch brennenden Dauerschmerz und werde täglich durch einen einschießenden neuralgischen Schmerz überlagert. Aufgrund dieses Schmerzes sei sie überaus empfindlich für Berührungen im Gesicht und am Kopf. Akustische und optische Signale, insbesondere Bildschirmarbeit, verstärkten den Schmerz zudem. Die Konzentrationsfähigkeit sei durch den Schmerz stark beeinträchtigt. Als Folge dieser Beeinträchtigungen sei sie seit 2014 nicht mehr in der Lage gewesen, ihrer beruflichen Tätigkeit als Verwaltungsangestellte bei der Bürgerhotline der Stadt M nachzugehen. Das Tragen des zum Telefonieren erforderlichen Headsets sowie die im Minutentakt eingehenden Anrufe seien nicht mehr zu bewältigen gewesen. Sie leide zudem an einer chronischen Colitis sowie einem chronischen gemischt radikulären/nichtradikulären Rückenschmerz bei medialer Bandscheibenprotrusion L5/S1 mit intermittierender Blasenentleerungsstörung. Außerdem liege ein chronisch nichtradikulärer/pseudoradikulärer Rückenschmerz links mehr als rechts bei Iliosakralgelenkssyndrom beidseitig vor. Sie habe sich im September 2015 einer Halswirbelsäulenoperation unterziehen müssen, weil es in diesem Bereich zu einem Bandscheibenvorfall gekommen sei. Aufgrund dessen sei die Mobilität des Kopfes stark eingeschränkt bzw. die Drehung des Kopfes nur unter Schmerzen möglich. Eine weitere Operation sei an der Lendenwirbelsäule im September 2016 erfolgt. Sie sei aufgrund ihrer vielfältigen Schmerzen auf die täglich hochdosierte Einnahme von Schmerzmitteln, Antidepressiva und Antiepileptika angewiesen, mit gravierenden Nebenwirkungen. Sie leide unter Schwindel, Benommenheit, einem schwankenden Gang sowie Schwächeanfällen, die ihr unvermittelt die Beine wegsacken ließen. B sei in einer ergänzenden Stellungnahme vom 28.07.2016 zu einem von ihm verfassten Schmerztherapeutischen Zusammenhangsgutachten vom 31.10.2013 von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % ausgegangen. Ferner verfüge sie mit Brille auf dem rechten Auge lediglich noch über eine Sehfähigkeit von 50 %, auf dem linken sogar nur von 40 %; ihr sei es nicht mehr, ohne sich selbst oder andere in Gefahr zu bringen, möglich, Auto zu fahren, auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei nur mit größter Anstrengung möglich und stets mit der Gefahr verbunden, auf offener Straße zusammenzubrechen. Das Zurücklegen von Wegstrecken von mehr als 500 m sei ihr nicht mehr binnen 20 Minuten möglich. Aufgrund des unsicheren Ganges und des Schwindels sei sie immer wieder gezwungen, Pausen zu machen und Kräfte zu sammeln.
In dem vorgelegten Gutachten des B vom 31.10.2013 wurde unter funktioneller Einschränkung angegeben, dass die Klägerin wegen der Allodynie nur kurze Zeit das Tragen eines Headsets toleriere. Eine zusätzliche Verstärkung der Beschwerden erfahre die Klägerin durch Luftzug und laute Umgebungsgeräusche. Während der Schmerzattacken könne die Klägerin optische und akustische Reize nicht tolerieren, ein Rückzug in die Ruhe sei notwendig. Längeres ununterbrochenes Sitzen sei wegen des Rückenschmerzes nicht möglich. Das Heben schwerer Lasten werde wegen einer Schmerzverstärkung nicht toleriert. Im „Nachtrag vom 28.07.2016“ führte B aus, dass eine Verschlechterung vorliege wegen der verstärkten Schmerzen im Gesichtsbereich nach fehlgeschlagener neurochirurgischer Therapie und der Notwendigkeit intensivierter medikamentöser Therapie, außerdem wegen einer Einschränkung der Gehfähigkeit bei lumbalem Schmerzsyndrom und einer Einschränkung der Alltagsbewältigung durch Einschränkung der Kopfbeweglichkeit und durch die zentralen Nebenwirkungen (Schwindel, Koordinationsstörung) der Medikation. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit liege bei 100 % mit manifester Beeinträchtigung der Gehfähigkeit.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen und eines Gutachtens auf schmerzmedizinischem Fachgebiet.

B, F-S-Klinik B1 hat unter dem 14.12.2017 mitgeteilt, dass sich die Klägerin am 30.10.2013 wegen eines schmerztherapeutischen Zusammenhangsgutachtens in seiner Ambulanz vorgestellt habe und vom 22.09.2014 bis 27.05.2016 bei durchschnittlich zwei Besuchen pro Quartal beraten und behandelt worden sei. Nach seinem Kenntnisstand sei die Ausübung einer körperlich leichten Berufstätigkeit mit Möglichkeit zum Haltungswechsel und ohne erhöhte nervliche Belastung im Umfang von sechs Stunden je Arbeitstag (30 Stunden/Woche) aufgrund der Kombination aus chronischem Gesichtsschmerz und chronischem Rückenschmerz sowie der erforderlichen medikamentösen Therapie nicht möglich.

L-G hat unter dem 18.12.2017 mitgeteilt, dass sich von Anfang an aufgrund der starken Schmerzen im Gesicht immer wieder Konzentrationsstörungen gezeigt hätten. Insbesondere unter Stresssituationen, wie sie am Arbeitsplatz herrschten, sei es zur Schmerzexazerbation und zu Konzentrationsstörungen gekommen. Nach Entfernung der Stimulationssonde habe sich die Situation verschlimmert. Schmerzen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und im Iliosakralgelenk träten etwa seit Ende 2015 auf. In der Vergangenheit habe sich immer wieder gezeigt, dass unter Belastungen die Schmerzen zunähmen. Bei der letzten Vorstellung in der Praxis (10.07.2017) habe sich eine schmerzgeplagte Patientin gezeigt, welche selbst im normalen Gespräch Mühe gehabt habe, den Schlussfolgerungen zu folgen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt fahrig und mit der Situation überfordert gewirkt. Insbesondere die Zunahme der Beschwerden bei schon leichter Belastung spreche gegen eine Berufstätigkeit im geringsten Umfang.

B2, Universitätsklinikum M, hat in seinem Gutachten vom 09.05.2018 einen anhaltenden idiopathischen Gesichtsschmerz links (G50.1), einen Z. n. anhaltender somatoformer Schmerzstörung (F45.40), eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F45.41), eine mittelgradige depressive Episode (F32.1), einen Mangel an Entspannung (Z73), ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne Radikulopathie (M47.85, M47.88) und den Verdacht auf Psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide: Abhängigkeitssyndrom (F11.2) diagnostiziert. Es resultierten qualitative Einschränkungen in Bezug auf überdurchschnittliche Belastungen der Schultergelenke, der Wirbelsäule oder der Kniegelenke. Es liege ein vollschichtiges Leistungsvermögen vor, Arbeitsdauern von bis zu sechs Stunden täglich seien möglich. Es bestünden keine Einschränkungen der Wegefähigkeit.

Die Klägerin hat hiergegen Einwendungen erhoben, insbesondere geltend gemacht, das Gutachten sei in verschiedenen Punkten unrichtig, unvollständig oder bedürfe der weiteren Erläuterung. Ferner hat sie den vorläufigen Entlassungsbericht des Diakonissenkrankenhauses Mannheim vom 04.06.2018 vorgelegt, wo nach einer notfallmäßigen Aufnahme nach unklarer Bewusstlosigkeit und dem Verdacht auf einen Krampfanfall (u.a.) die Diagnose eines dringenden Verdachtes auf dissoziative Anfälle (F44.5) gestellt wurde.

Das SG hat sodann den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums M1 beigezogen und B2 um eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme zu den vorgebrachten Einwendungen gebeten.

Eine solche wurde von B2 unter dem 10.09.2018 vorgelegt. Zur Erläuterung seines Gutachtens hat das SG den Sachverständigen – nachdem von der Bevollmächtigten der Klägerin weitere Fragen vorgebracht wurden – im Termin der mündlichen Verhandlung vom 06.02.2019 angehört. Wegen des Inhalts der gemachten Angaben wird auf Blatt 238 ff. der SG-Akten verwiesen.

Mit Urteil vom 06.02.2019 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach umfassender medizinischer Sachaufklärung das Vorliegen einer nicht nur kurzfristig bestehenden Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit für jegliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter sechs Stunden täglich zur Überzeugung der Kammer nicht nachgewiesen sei.

Gegen das am 28.02.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.03.2019 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Klägerin kritisiert die Verwertung der Gutachten K und P, gegen die erstinstanzlich Einwendungen vorgebracht worden seien. Das SG sei zudem seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen, da mit Blick auf den Vorwurf der Aggravation eine psychologisch/psychiatrische Begutachtung hätte durchgeführt werden müssen. Das SG übersehe eine Summierung von besonderen qualitativen Leistungseinschränkungen, die quantitativen Einschränkungen gleichstehen, sofern der Arbeitsmarkt keinen entsprechenden Arbeitsplatz zur Verfügung stelle. Das SG hätte ggf. Tätigkeitsfelder benennen müssen, die die Klägerin trotz ihrer erheblichen Beeinträchtigungen grundsätzlich noch verrichten kann. Völlig unberücksichtigt bleibe die Tatsache, dass die Klägerin seit über zwei Jahren an massivem Schwindel und dissoziativen Krampfanfällen und Ohnmachten leide. Diese Krampfanfälle seien von B2 nicht thematisiert worden, obwohl das Gericht hierzu eindeutige Beweisfragen formuliert habe. Soweit der Sachverständige angegeben habe, die Klägerin habe dies nicht thematisiert, sei diese Aussage falsch, wie sich im Termin der mündlichen Verhandlung nach Einsichtnahme in den Fragebogen ergeben habe. Ferner hat sie den Entlassungsbericht der Thoraxklinik, Universitätsklinik H, vom 07.05.2019 vorgelegt, wonach bei einer MRT-Untersuchung der Wirbelsäule als Zufallsbefund ein einseitiger Pleuraerguss festgestellt worden sei. Während des stationären Aufenthaltes vom 23.04.2019 bis 07.05.2019 sei das Pleuraempyem zwar entfernt worden. Es sei jedoch die Diagnose eines COPD gestellt worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Februar 2019 sowie den Bescheid vom 16. August 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Berufung unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme entgegengetreten.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das Einholen von sachverständigen Zeugenaussagen und der Einholung eines Gutachtens bei S.

Der behandelnde S1 hat ausgeführt, die Klägerin leide unter einem Husten mit Auswurf und einer Belastungsdyspnoe auch bei ebenerdiger Laufstrecke mit 500 m maximum. Die Lungenfunktion habe sich normalisiert, eine wesentliche Besserung der Dyspnoe und des Hustens sei nicht eingetreten. Die Therapie sei am 16.01.2020 beendet worden.

K1 hat unter dem 14.01.2021 die Diagnosen chronischer Schmerzpatient, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Trigeminusneuralgie, Cervicobrachialgia, Spondylodese HWS, Lumboischialgie, Lumboischialgie bei Z. n. Spondylodese L5/S1, Senk-Spreizfüße beidseits, Z.n. Hallux valgus OP links, Hallux valgus rechts mitgeteilt. Die aktuelle gesundheitliche Situation könne er nicht einschätzen, da die Klägerin zuletzt am 09.03.2020 in der Sprechstunde gewesen sei.

S2 gab an, die Klägerin nach 2014 viermal im Jahr 2020 behandelt zu haben. Sie leide unter einem chronischen Gesichtsschmerz, einer dissoziativen Störung, einer Dysthymia und einem chronischen Körperschmerzsyndrom. Aus seiner Sicht sei die Klägerin nicht nennenswert erwerbsfähig und könne auch einer leichten Arbeit nur unter drei Stunden nachgehen (Schreiben vom 14.01.2021).

A hat in ihrem Schreiben vom 11.02.2021 über ein einmaliges Beratungsgespräch am 15.03.2020 berichtet, in welchem der Klägerin eine Verhaltenstherapie empfohlen worden sei.

S ist in seinem Gutachten vom 07.04.2022 nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 29.03.2022 „am ehesten“ vom Vorliegen einer Trigeminusneuropathie links, einem Verdacht auf eine Epilepsie (DD: dissoziative Anfälle) und Dysthymia ausgegangen. Ferner lägen Beschwerden des Bewegungs- und Haltungsapparates ohne relevantes neurologisches Defizit vor. Entsprechend bestünden Einschränkungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Aufgrund der seelischen Minderbelastbarkeit sollten Tätigkeiten in Nachtschicht als psychogener Stressor, eine vermehrte Lärmexposition als psychogener Stressor sowie Tätigkeiten mit vermehrt emotionalen Belastungen oder mit erhöhtem Konfliktpotential vermieden werden. Ein epileptisches Anfallsleiden sei nicht sicher diagnostiziert worden, gegebenenfalls lägen dissoziative Anfälle vor. Häufig wechselnde Arbeitszeiten seien zu vermeiden, ebenso Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck oder unter Akkordbedingungen. Aufgrund des Wirbelsäulenleidens seien Tätigkeiten in Zwangshaltungen des Rumpfes zu vermeiden. Die Tätigkeiten sollten zu ebener Erde sein, widrige klimatische Bedingungen seien auszuschließen, ebenso Dampf oder Rauch aufgrund der Trigeminusneuropathie, die eine Tätigkeit in geschlossenen Räumen erfordere. Insbesondere seien Tätigkeiten in Kälte und Zugluft zu vermeiden. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände sei nicht wesentlich eingeschränkt. Eine Notwendigkeit für zusätzliche betriebsunübliche Pausen bestehe nicht. Bezogen auf das geistige Leistungsvermögen seien Tätigkeiten mit vermehrt geistigen Belastungen nicht leidensgerecht. Hierzu gehörten Tätigkeiten mit vermehrten Anforderungen an die Konzentration und/oder Reaktion; das Umstellungs- und Anpassungsvermögen sei nicht eingeschränkt, auch das Übersichtsvermögen nicht. Übliche Anforderungen an die Konzentration und Reaktion könnten gestellt werden. Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit seien nicht eingeschränkt. Die Klägerin verfüge auch über das erforderliche Umstellungsvermögen, um betriebsfremde Arbeiten mit den erwähnten Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen auszuüben. Zusammengefasst könne die Klägerin zumindest leichte körperliche Arbeiten ohne vermehrt geistige und psychische Belastungen in Tages- oder Früh-/Spätschicht unter Berücksichtigung des qualitativen Leistungsbildes mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten. Es ergäben sich auch keine Hinweise für relevante Einschränkungen der Wegefähigkeit. Mit dem Gutachten hat S Berichte des S1 über eine Behandlung am 30.11.2021 und des S2 vom 21.12.2021 vorgelegt.

Die Klägerin hat zum Gutachten vorgetragen, dass aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen einerseits sowie unter Berücksichtigung ihres Alters und ihrer Erwerbsbiographie das tatsächlich noch mögliche Arbeitsumfeld erheblich eingeschränkt und sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar sei. Sofern diese Auffassung nicht geteilt werde, habe die Beklagte eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen, die der Klägerin sowohl in Ansehung ihrer vielschichtigen qualitativen Leistungsbeeinträchtigungen als auch ihrem bisherigen Berufsleben zumutbar sei.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von G die Auffassung vertreten, es liege keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, weshalb auch keine Verweisungstätigkeit zu benennen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe


Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
 
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat.
 
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2021, § 43 SGB VI, Rn. 58 und 30 ff.).
 
Die Klägerin ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht voll erwerbsgemindert. Ihr steht daher keine Rente zu.
 
Eine Erwerbsminderung der Klägerin, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere aber aus dem Gutachten von S. Der Senat sieht es nicht für nachgewiesen an, dass die Klägerin aufgrund der Schmerzsymptomatik nicht mehr zumutbar sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche beschäftigt werden kann.

Die Erkrankungen und die daraus gefolgerte Leistungseinschränkung entnimmt der Senat im Wesentlichen dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. Schnütgen, aber auch den Gutachten von K und P, die er im Wege des Urkundenbeweises verwertet, und dem Gutachten von B2.

Dabei geht der Senat in Übereinstimmung mit S davon aus, dass im Vordergrund ein neurologisches und psychiatrisches Krankheitsbild steht. Die Ausführungen der Sachverständigen sind schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Der Senat hat daher keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und an der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung zu zweifeln. Der Gutachter hat den Krankheitsverlauf ausführlich beleuchtet, ist den Beschwerden der Klägerin nachgegangen und hat diese sorgfältig und umfassend untersucht. In diesem Rahmen ist auch eine umfassende Anamnese erhoben worden, die Klägerin wurde zu ihrem Tagesablauf befragt und es sind verschiedene neurologische sowie neuropsychologische Zusatzuntersuchungen durchgeführt und kritisch ausgewertet worden. Die Einschätzung des Leistungsvermögens ist zudem unter Berücksichtigung der Befunde nach Aktenlage ausführlich und kritisch gewürdigt worden.

Der Senat muss letztlich nicht entscheiden, wodurch die von keinem der gehörten Sachverständigen in Zweifel gezogene Schmerzerkrankung verursacht wird und welche Diagnose insoweit konkret zu stellen ist, mithin, ob von einem anhaltend idiopathischen Gesichtsschmerz und einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren auszugehen ist, wie von B2 vertreten, oder ein atypischer Gesichtsschmerz links und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vorliegt, wie K ausführte oder ob mit S und wohl auch B neben den Beschwerden am Bewegungsapparat bzw. an der Wirbelsäule eine Trigeminusneuropathie links zugrunde zu legen ist. Entscheidend ist vielmehr die Beeinflussung des Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 09.09.2019 - B 5 R 21/19 B -, Juris, m.w.N.). Damit sind maßgeblich nicht die Diagnosen an sich, sondern Art und Ausmaß der mit den vorliegenden Erkrankungen verbundenen funktionellen Einschränkungen und Beeinträchtigungen in Bezug auf das berufliche Leistungsvermögen. Mit B2 ist zudem festzuhalten, dass eine chronische Schmerzerkrankung keineswegs automatisch dazu führt, dass die davon betroffene Person nicht mehr zeitlich voll erwerbstätig sein kann. Eine Diagnose allein kann die Leistungsbeurteilung nicht determinieren. Es muss vielmehr individuell und konkret festgestellt werden, inwieweit sich bestimmte gesundheitliche Einschränkungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit auswirken. Solche Auswirkungen sind indes von keinem der gehörten Sachverständigen festgestellt worden und können auch vom Senat aus den vorliegenden Gutachten und Befundberichten nicht abgeleitet werden. Die Klägerin ist danach in der Lage, ihren Tagesablauf angemessen bzw. den Anforderungen entsprechend zu strukturieren. Es bestehen keine Einschränkungen des Zeitmanagements. Auch liegen keine nachvollziehbaren, relevanten Störungen der sozialen Kompetenzen und der Alltagskompetenzen vor, wie ihre Angaben zu ihrem Tagesablauf und zu den familiären und sonstigen Kontakten belegen. Eine weitgehende, objektivierbare bzw. ausreichend begründbare Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an den Aktivitäten des täglichen Lebens beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, Kommunikation, Antrieb, Konzentrationsfähigkeit, Interesse und Aufmerksamkeit liegt bei der Klägerin ebenfalls nicht vor. Eine organisch bedingte vermehrte Erschöpfbarkeit wie zum Beispiel bei einem ausgeprägten cerebralen Befall der Multiplen Sklerose besteht nicht. Die Klägerin besitzt auch die erforderliche Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, um sich innerhalb von drei Monaten in eine neue Berufstätigkeit einarbeiten zu können und bei Berücksichtigung der Einschränkungen in dem qualitativen Leistungsbild auch das notwendige Durchhaltevermögen. Dies ergibt sich zunächst bereits schon aus der Schilderung des Tagesablaufs gegenüber K, dem dort erhobenen Befund, wo die Klägerin angegeben hatte, morgens zwischen 6:00 Uhr und 8:00 Uhr aufzustehen, Kaffee zu trinken, eine Zigarette zu rauchen, mit dem Hund spazieren zu gehen, wenn die 16-jährige Tochter zur Schule geht, danach die Wohnung aufzuräumen, die Wäsche zu versorgen und mit der Tochter zu kochen. Ferner gehe sie ihren Hobbys Malen und Gartenarbeiten nach. In der Untersuchungssituation war eine vorzeitige Ermüdung nicht erkennbar, die Auffassung und die Wahrnehmung waren nicht vermindert, formale oder inhaltliche Denkstörungen, produktive Wahrnehmungsstörungen, überwertige Ideen oder Zwangsgedanken fanden sich nicht. Die Grundstimmung war ausgeglichen bei guter affektiver Schwingungs-, Resonanz- und Modulationsfähigkeit. Psychomotorisch war sie ruhig, das Antriebsniveau regelrecht, ohne Anhalt für akute Eigen- oder Fremdgefährdung, die Realitätsprüfung, Urteilskraft, Kritik- und Entschlussfähigkeit waren nicht eingeschränkt, Introspektions- und Reflektionsfähigkeit nicht beeinträchtigt.
Hiervon wesentlich abweichende Befunde werden auch von S nicht festgestellt. Ihm gegenüber berichtete die Klägerin, dass sie morgens gegen ca. 5:00 Uhr wach werde, dann aufstehe, einen Kaffee trinke, eine Zigarette rauche und mit dem Hund hinausgehe. Es sei ein Labrador-Mischling, den sie seit Januar 2020 habe. Zuvor habe sie drei kleine Hunde gehabt, die draußen Gift gefressen hätten. Tagsüber laufe dann der Fernseher, damit sie nicht so alleine sei. Sie mache noch die Dinge im Haushalt. Sie mache auch viele Puzzles, gehe viel spazieren, ab und zu würden die Töchter kommen. Weitere soziale Kontakte habe sie nicht. Aktive Vereinstätigkeiten nehme sie nicht wahr. Sie sei noch im Tierschutz engagiert. Ab und zu nehme sie einen Pflegehund zu sich. Abends esse sie zu Abend. Sie schaue Fernsehen und gehe früh schlafen. Der Nachtschlaf sei meistens nicht erholsam. Zu ihren Hobbys befragt gab sie an, sie beschäftige sich gerne mit dem Hund. Sie mache gerne Puzzles. Sie lese gerne Romane oder Krimis und sie stricke noch. Von der Notwendigkeit einer Haushaltshilfe oder ähnlichem wird nicht berichtet.
In dem von S beschriebenen psychopathologischen Befund zeigte sich keine Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung. Die Klägerin war geistig gut flexibel. Kognitive oder mnestische Defizite relevanten Ausmaßes konnten entgegen der Angabe, unter Konzentrationsstörungen und Wortfindungsstörungen zu leiden, nicht erhoben werden. Für eine hirnorganisch bedingte psychische Symptomatik ergab sich kein Anhalt. In der Grundstimmung wirkte die Klägerin in der Längsschnittbetrachtung zwar belastet, niedergeschlagen, subdepressiv bzw. dysthym. Eine tiefgehende depressive Stimmungslage lag aber nicht vor. Die affektive Resonanzfähigkeit war zum negativen Pol hin verschoben, aber zum positiven Pol nicht aufgehoben. Für eine Persönlichkeitsstörung oder für eine sozialmedizinisch relevante Suchterkrankung ergab sich so kein Anhalt. Und es ergab sich aus dem klinischen Befund auch kein Anhalt für eine ausgeprägte Somatisierung. Einschränkungen aufgrund einer Medikamenteneinnahme sind zudem durch diese Untersuchungsergebnisse nicht belegt. Gegenüber S gab die Klägerin insoweit auch (nur) an, dass diese zeitweilig zu Magenschmerzen und Sodbrennen führten, weshalb sie dann ein Magenschutzmedikament einnehme. Die in diesem Zusammenhang angesprochenen Konzentrationsstörungen und das Gefühl, „angeschlagen“ zu sein, liegen nicht in einem rentenrechtlich bedeutsamen Umfang vor.

Eine zeitliche Leistungsminderung lässt sich auch mit der von der Klägerin geschilderten Epilepsie, die nach S nur als Verdachtsdiagnose besteht, bzw. mit den differenzialdiagnostisch angenommenen dissoziativen Anfällen begründen. Solche Anfälle treten zudem nach den Angaben der Klägerin vor allem nachts und nur etwa drei bis viermal pro Monat auf. Die Trigeminusneuropathie links, das Anfallsleiden und die Dysthymia (sowie der ebenfalls diagnostizierte schädliche Nikotinkonsum) führen daher lediglich, wie S zu Recht feststellte, zu qualitativen, nicht aber schon zu einer zeitlichen Leistungsminderung.

Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Beschwerden des Bewegungs- und Haltungsapparates, die nach dem Gutachten von S ohne ein relevantes neurologisches Defizit bestehen.

Auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet besteht nach dem Gutachten von P ein Z. n. zervikaler Bandscheibenoperation C5/6 und C6/7 mit Implantation einer Bandscheibenprothese und Dekompression bei Bandscheibenvorfall C5/6 und C6/7 und Spinalkanalstenose mit mäßigen funktionellen Einschränkungen und reizloser Operationsnarbe, chronische Rückenschmerzen bei altersentsprechendem Verschleiß der Lendenwirbelsäule und der Bandscheiben mit Vorwölbungen und einem kleinen Vorfall ohne neurologische Beteiligung bei mäßigen funktionellen Einschränkungen, ferner Senk-Spreizfüße beidseits, mit orthopädischen Einlagen stabilisiert, bei Z. n. Hallux-Valgus-Operationen beidseits, regelrecht verheilt, ohne Anhalt für ein Rezidiv, beginnende Arthrose am rechten Hüftgelenk ohne Funktionseinschränkung beschrieben. Unter Berücksichtigung der dargestellten Untersuchungsbefunde ist für den Senat ebenfalls nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass aufgrund der nur mäßigen Bewegungseinschränkung im Bereich der HWS und der LWS eine zeitliche Leistungsminderung nicht besteht. Unerheblich ist insofern, dass die Klägerin das Tragen von Einlagen bezogen auf die Diagnose von Senk-Spreizfüßen bestreitet, nachdem in den nachfolgenden Gutachten von B2 und S Auffälligkeiten des Gangbildes nicht beschrieben sind. Eine Blasenentleerungsstörung wird insoweit nur von B erwähnt und auch darüber hinaus nicht geltend gemacht und kann deshalb auch nicht als rentenrechtlich bedeutsam berücksichtigt werden.

Eine rentenrechtlich bedeutsame Funktionsbeeinträchtigung vermag der Senat auch bezogen auf die geltend gemachten Beschwerden von Seiten einer Verformung des Fußes (Hallux valgus) nicht festzustellen. Die mit der Klage vorgebrachten Schmerzen, die teilweise so stark sein sollen, dass die Klägerin nicht einmal „Duschwasser an der Narbe toleriert“ (Klagebegründung Seite 11, mit denen Einwendungen gegen das Gutachten von P vorgebracht wurden), sind nicht durch objektive Befunde nachgewiesen. Entsprechende Beschwerden werden von der Klägerin auch gegenüber den nachfolgenden Sachverständigen vorgebracht und finden sich auch in den eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen nicht. So wurde die letzte Behandlung wegen eines leicht eingesteiften, schmerzhaften Großzehengrundgelenkes vom behandelnden K1 nach dessen Angaben in der sachverständigen Zeugenaussage vom 14.01.2021 am 16.11.2009 festgehalten. Unter dem 22.11.2016 sind in seinem Bericht die „Narbenverhältnisse“ (allgemein, ohne konkrete Bezeichnung) als reizlos vermerkt. Eine fortbestehende Einschränkung vermag der Senat nicht zu erkennen, zumal sich in den nachfolgenden Berichten und Gutachten weder Schmerzangaben hierzu noch Feststellungen finden. So hat auch S2 in seiner sachverständigen Zeugenaussage in der Wiedergabe des neurologischen Befundes bis Januar 2014 und ab Januar 2020 angegeben, dass sich kein Hinweis auf ein zentrales Defizit an den oberen und unteren Extremitäten ergeben habe (keine Paresen, keine Reflux-ausfälle, keine Sensibilitätsstörungen). Die Angaben von P, es bestünden reizlose Operationsnarben, ist damit nicht widerlegt.

Es ist damit nicht nachgewiesen, dass gerade Schmerzen die Klägerin soweit beeinträchtigen, dass ihr keine Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden zugemutet werden können. Dass ein Chronifizierungsgrad III nach Gerbershagen bzw. eine hohe Schmerzgraduierung nach von Korff kein Beweis für das Vorliegen einer ausgeprägten schmerzbedingten Funktionsbeeinträchtigung sind, hat S ebenfalls in seinem Gutachten unter Verweis auf die Leitlinie AWMF „Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen („Leitlinie Schmerzbegutachtung")“ (2017) deutlich gemacht. Ferner hat S im Gutachten auch ausdrücklich bestätigt, dass die getroffenen Feststellungen im qualitativen Leistungsbild seit 2015 (Beweisfrage V) bestehen und für eine wesentliche Änderung des Leistungsvermögens in dem Rentenverwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren kein Anhalt besteht.

Auch die darüber hinaus nach Aktenlage vorliegenden bzw. beschriebenen Gesundheitsstörungen vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen.

Das gilt zunächst für ein Kniegelenkstrauma am 19.02.2022, dessen Folgen bei konservativer Behandlung die Benutzung von Unterarmgehstützen noch bei der Untersuchung bei S erforderlich machte, aber nicht zur Annahme einer bereits auf nicht absehbare Zeit vorliegenden Leistungsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 SGB VI) führt.

Die vorgetragene Gangunsicherheit mit Sturzgefahr und Schwindel ist von keinem der Sachverständigen befundet und bestätigt worden. Eine von P beim Einbeinstand der Klägerin beschriebene „Kraftschwäche“ mit zu Boden sinken der Klägerin ohne erkennbaren Grund, ohne Bewusstlosigkeit und einem Normalbefund der Vitalparameter, erbringt ebenfalls nicht den Vollbeweis einer durch eine Erkrankung bestehenden zeitlichen Leistungsminderung. Ihm gegenüber gab die Klägerin zudem an, dass solche Vorfälle nur gelegentlich auftreten würden.

Soweit im April 2019 ein Pleuraempyem rechts und deswegen am 24.04.2019 ein minimalinvasiver operativer Eingriff an der Lunge erforderlich wurde, sind überdauernde Einschränkungen nicht festzustellen. Nach dem Bericht des S1 vom 18.06.2019 fand sich schon zu diesem Zeitpunkt bodyplethysmographisch kein Anhalt für eine obstruktive Lungenerkrankung, trotz fortgesetztem Tabakkonsum. Eine leichtgradige Diffusionseinschränkung führte S1 auf den fortgesetzten Tabakkonsum zurück. Eine inhalative Therapie war nicht indiziert. Unter dem 16.01.2020 (Bl. 71 der Senatsakten) berichtete er über einen regelmäßigen Husten und Auswurf, der nur noch selten vorhanden sei. Es fand sich eine ventilatorische Normalisierung, kein Nachweis einer bronchialen Hyperreagibilität und eine Sauerstoffsättigung mit 99 %. Der „subjektiv symptomatischen Patientin nur bei Belastung“ (Treppensteigen aber auch ebenerdig bis maximal 500 m) sei Berodual „vor Belastung“ verschrieben worden. Mit S3, beratungsärztliche Stellungnahme vom 23.03.2000, die der Senat als qualifizierten Beteiligtenvortrag wertet, vermag auch der Senat bei einer festgestellten ausreichend guten Lungenfunktion, die die Beschwerden nicht erklären, eine rentenrechtlich bedeutsame Funktionsbeeinträchtigung nicht festzustellen.

Eine massive Einschränkung der Sehfähigkeit, wie mit der Klage geltend gemacht, ist zudem durch keinen medizinischen Bericht belegt, noch lassen sich relevante Beeinträchtigungen der Sehfähigkeit nachvollziehen. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin sind widersprüchlich. So gab die Klägerin bei S an, sie könne nicht mehr lange lesen, könne keine Filme am Stück sehen, schaue Serien nur für 30 bis 45 Minuten. Als Hobbys sind dann festgehalten, dass die Klägerin gerne puzzelt, gerne Romane und Krimis liest und strickt. Außerdem gab sie an, dass der Fernseher den ganzen Tag laufe, damit sie nicht so alleine sei. Eine rentenrechtlich bedeutsame Einschränkung der Sehfähigkeit ist damit nicht plausibel, da es sich auch bei den als Hobbys bezeichneten Tätigkeiten um solche handelt, die besondere Anforderungen an das Sehen stellen. Zudem war die Klägerin in der Lage, mehrseitige Fragebögen im Rahmen der Gutachten auszufüllen und auch noch selbst, zumindest noch gelegentlich, ein Kraftfahrzeug zu führen. Dass ihr zumindest zeitweise nicht auch Tätigkeiten an einem Computer zumutbar sein sollen, ist für den Senat insoweit nicht plausibel.

Eine chronische Colitis ist ebenfalls nicht durch einen (haus-)ärztlichen Bericht bestätigt. In der sachverständigen Zeugenaussage des L-G findet sich lediglich die Angabe, dass die Klägerin über „immer wieder auftretende Durchfälle“ geklagt habe. Eine Diagnose im Sinne einer chronischen Colitis, Angaben über Gewichtsverlust in der Folge hiervon oder eine Überweisung zur fachärztlichen Untersuchung (vgl. Antwort auf die Beweisfrage 6, Bl. 85 der SG-Akten) findet sich nicht. Im vorgelegten Bericht der T-krankenhaus und H-Klink GmbH M vom 19.05.2016, wo sich die Klägerin vom 13.05. bis 19.05.2016 in stationärer Behandlung befand, wurde insoweit lediglich von einem „Zustand nach“ bakterieller Colitis 08/2013 berichtet, ohne dass diese Diagnose aktuell wiederholt wird. Eine rentenrechtlich bedeutsame Erkrankung mit Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit ist demnach nicht nachgewiesen. Schließlich findet sich auch im internistischen Untersuchungsbefund von S kein Anhalt für eine überdauernde Beeinträchtigung auf diesem Fachgebiet. Dort gibt die Klägerin nunmehr lediglich „psychosomatische Beschwerden des Gastrointestinaltraktes bei Belastungen“ an.

Die Einschränkungen in qualitativer Hinsicht, die aufgrund der Erkrankungen bei der Klägerin bestehen, haben die Sachverständigen K, P, B2 und S weitgehend übereinstimmend und überzeugend hergeleitet: So ist mit P auf orthopädischem Fachgebiet eine leichte bis mittelschwere überwiegend sitzende Tätigkeit, aber auch eine zeitweise stehende oder zeitweise gehende Tätigkeit leidensgerecht und zumutbar. Tätigkeiten in Zwangshaltungen des Rumpfes sind jedoch zu vermeiden. Die Gebrauchsfähigkeit der Hände ist nicht beeinträchtigt, worauf auch S hingewiesen hat. Aufgrund der von S beschriebenen seelischen Minderbelastbarkeit, der Einschränkungen des geistigen Leistungsvermögens und der Trigeminusneuralgie sollte die Tätigkeit in geschlossenen Räumen ausgeführt und Kälte und Zugluft vermieden werden. Ebenso sind psychogene Stressoren zu vermeiden. Hierzu gehören Tätigkeiten in Nachtschicht, Tätigkeiten mit häufig wechselnden Arbeitszeiten und Lärmarbeit, wobei S diese mit einer Dezibelzahl von mehr als 85 dB angibt. Gleiches gilt für Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck oder Akkordbedingungen, für Tätigkeiten unter vermehrt emotionalen Belastungen oder mit erhöhtem Konfliktpotential, für Tätigkeiten unter widrigen klimatischen Bedingungen, ebenso wie unter Einwirkung von Dampf oder Rauch. Soweit Tätigkeiten mit vermehrt geistigen Belastungen verbunden sind, sind sie nicht leidensgerecht. Hierzu gehören auch Tätigkeiten mit vermehrten Anforderungen an die Konzentration und/oder Reaktion.

Wenn diesen Einschränkungen jedoch Rechnung getragen wird, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, wieso diese zumutbaren Arbeiten nicht noch wenigstens sechs Stunden je Arbeitstag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche durchgeführt werden könnten.

Überdies führen auch die qualitativen Leistungseinschränkungen nicht dazu, dass die Klägerin voll erwerbsgemindert ist. Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist im Hinblick auf konjunkturelle Schwankungen (BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, Juris) nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen in der Lage ist, zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, d. h. durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen, wovon nach der Rechtsprechung des BSG im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. hierzu und zum Folgenden: BSG, Urteile vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, vom 11.12. 2019 - B 13 R 7/18 R –, alle Juris). Danach ist mehrschrittig zu prüfen: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen auch unter Berücksichtigung von Arbeitsfeldern im Dienstleistungsbereich und im Bereich der Informationstechnik usw.), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von „Arbeitsfeldern“, von „Tätigkeiten der Art nach“ oder von „geeigneten Tätigkeitsfeldern“, die der/die Versicherte ausfüllen könnte. Damit können dann „ernste Zweifel“ an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden. Erst wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder des allgemeinen Arbeitsmarktes für das Restleistungsvermögen des Versicherten nicht beschreiben lassen, ist in einem zweiten Schritt, zu prüfen, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, für die bejahendenfalls dann in einem dritten Schritt mindestens eine, dem Restleistungsvermögen des Versicherten entsprechende konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) unter Berücksichtigung der (Verschlossenheits)Katalogfälle Nr. 3 bis 6 zu benennen ist. Ist letzteres nicht möglich, gilt der Arbeitsmarkt dann selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf ein noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
 
Für die Beurteilung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, maßgeblich sind vor allem Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Einschränkungen und die damit verbundene Frage, inwieweit diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren (BSG, Urteile vom 09.05.2012, 19.10.2011, 11.12. 2019, a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996 - GS 2/95 -, BSGE 80, 24 - 41 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8, BSG, Urteil vom 01.03.1984 - B 4 RJ 43/83 -, Juris) sind unter anderem folgende Einschränkungen nicht ungewöhnlich und veranlassen nicht zur Pflicht der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit: Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder ständiges Sitzen erfordern, in Nässe oder Kälte oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, besondere Fingerfertigkeiten erfordern oder mit besonderen Unfallgefahren verbunden sind, Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst, an laufenden Maschinen, Ausschluss von Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- oder Konzentrationsvermögen stellen. Überdies setzt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nach der zitierten Rechtsprechung des Großen Senats des BSG das Vorliegen von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen voraus; das Zusammentreffen einer ungewöhnlichen mit einer oder mehreren gewöhnlichen Leistungseinschränkungen genügt indes nicht.
 
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit in Verbindung mit anderen Einschränkungen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, a.a.O. unter Verweis auf BSG, Urteil vom 28.08.1991 - 13/5 RJ 47/90 -, SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8, Juris) gehören.

Unter Berücksichtigung dessen hat der Senat keinen Zweifel, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin noch Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Die Gebrauchsfähigkeit ihrer Hände ist nicht eingeschränkt, ihr sind vorwiegend im Sitzen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten möglich und damit das Tragen und Bewegen von Gegenständen bis zu 5 kg, zeitweise bis zu 10 kg. Damit sind auch die genannten Tätigkeitsfelder wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, ein Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen grundsätzlich möglich und zumutbar. Die Klägerin wies bei der Untersuchung eine gute geistige Flexibilität auf. Die üblichen Anforderungen an die Konzentration und Reaktion können gestellt werden. Das Verantwortungsbewusstsein und die Zuverlässigkeit sind nicht eingeschränkt. Zusätzliche Arbeitspausen sind nach den Feststellungen von S, denen der Senat folgt, nicht erforderlich. Ihre Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit ist zudem ausreichend erhalten, um sich auf betriebsfremde Arbeiten mit den genannten Anforderungen einstellen zu können. Damit steht weder das Alter der Klägerin noch ihre jahrelange Tätigkeit als Verwaltungsangestellte, welche im Übrigen keine zu berücksichtigenden Kriterien des § 43 SGB VI sind, weil dieser insoweit nur Krankheit oder Behinderung kennt, der Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit entgegen. Ferner ist ihr auch eine Tages-, Früh-, und Spätschicht noch zumutbar. Dass Zwangshaltungen des Rumpfes, wie etwa häufiges Bücken, widrige Witterungsbedingungen, Nachtschichten, Tätigkeiten mit häufig wechselnden Arbeitszeiten und unter Akkordbedingungen vermieden werden sollen, führt nach den oben gemachten Ausführungen nicht dazu, dass hierdurch bereits die Annahme gerechtfertigt wäre, ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten wäre versperrt. Bei den genannten Tätigkeitsfeldern handelt es sich zudem nicht um solche, die regelmäßig mit einer vermehrt emotionalen Belastung oder mit erhöhtem Konfliktpotential einhergehen oder für die hohe Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit gestellt werden müssen. Dass die Tätigkeit in geschlossenen Räumen ausgeführt werden soll, Dampf, Rauch und Lärm zu vermeiden sind, schränkt die oben genannten Tätigkeitsfelder nach Überzeugung des Senats nicht noch zusätzlich und wesentlich ein. Vorwiegend sitzende Tätigkeiten, wie von der Klägerin verlangt, werden überwiegend in geschlossenen Räumen ausgeübt. Eine Dampf- und Rauchbelastung ist nicht regelmäßig, sondern nur in Teilbereichen zu erwarten und wirkt sich nicht wesentlich auf die Verweisungsmöglichkeiten aus. Lärmarbeit hat S nur für den Bereich ausgeschlossen, der ohnehin nach Arbeitsschutzvorschriften das Tragen und Überwachen eines Gehörschutzes erforderlich macht (85 dB(A), vgl. Berufsgenossenschaft Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse unter https://www.bgetem.de/arbeitssicherheit-gesundheitsschutz/themen-von-a-z-1/gefaehrdungen-durch-laerm-oder-vibration/laerm/laerm-gefaehrdungen-beurteilen, abgerufen am 08.07.2022). Auch insoweit geht der Senat daher nicht von einer zusätzlichen relevanten Einengung der Verweisungsmöglichkeiten der Klägerin aus.

Eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit besteht daher nicht.

Darüber hinaus ist auch die Wegefähigkeit der Klägerin nicht eingeschränkt, was sich schon aus den Angaben der Klägerin zu den mit dem Hund durchgeführten Spaziergängen und einer fehlenden gesundheitlichen Ursache ergibt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass bezogen auf die Folgen des Sturzes vom 19.02.2022 noch keine auf nicht absehbare Zeit (rgm. wenigstens sechs Monate bestehende) Funktionseinschränkung besteht. Insoweit ist zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht ersichtlich, dass sich die Folgen des Sturzes einer Behandlung und Besserung innerhalb von sechs Monaten entziehen.


Soweit die behandelnden Ärzte eine andere Leistungseinschätzung vertreten, vermag sich der Senat dieser in Übereinstimmung mit S und B2 nicht anzuschließen. Die behandelnden Ärzte und insbesondere B in seiner sachverständigen Zeugenaussage und seinem schmerztherapeutischen Zusammenhangsgutachten vom 31.10.2013 mit Ergänzung vom 28.07.2016 lassen die oben beschriebenen noch erhaltenen Fähigkeiten der Klägerin außer Betracht. Das Gutachten beleuchtet zudem im Wesentlichen nur die letzte Tätigkeit der Klägerin, die das – nicht zumutbare – Tragen eines Headsets erforderte. Eine konkrete Auseinandersetzung mit den oben beschriebenen Tätigkeitsfeldern enthält das Gutachten nicht. Dass neben den Schmerzen der Klägerin im Gesicht und Rücken auch die medikamentöse Therapie die von ihm beschriebene volle Erwerbsminderung rechtfertigen soll, ist zudem eben gerade für leidensgerechte Tätigkeiten nicht plausibel.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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