L 7 SO 296/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 20 SO 195/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 296/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Sterbegeldversicherung, die zusätzlich eine Erbrechtsberatung beinhaltet, ist stets unangemessen iSv § 33 SGB XII, wenn im Versicherungsvertrag der Versicherungsbeitrag nicht nach den beiden Leistungen getrennt ist.

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12. Mai 2022 - S 20 SO 195/20 - wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Gewährung laufender Leistungen nach dem 4. Kapitel Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 01.01.2019 bis zum 30.11.2020.
Der 1949 geborene, schwerbehinderte (Grad der Behinderung von 100 und Merkzeichen "G") Kläger ist Altersrentner mit Pflegegrad 2. Er bewohnt mit seiner 1973 geborenen, im Mai 2018 in Thailand geehelichten Ehefrau, die seit 01.12.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, eine Wohnung im Bereich der Beklagten.
Die Kaltmiete betrug im Monat Januar 2019 monatlich 405,00 Euro (zzgl Nebenkostenabschlag iHv 70,00 Euro und Heizkostenabschlag iHv 70,00 Euro), ab 01.02.2019 nach Mieterhöhung durch den Vermieter 494,50 Euro (zzgl Nebenkostenabschlag iHv 70,00 Euro und Heizkostenabschlag iHv 70,00 Euro). Im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum kamen an Unterkunfts- und Heizungskosten (KdUH) hinzu monatliche Stromkosten für einen Heizstrahler iHv 15,66 Euro und Kosten für Kabelfernsehen iHv 18,90 Euro monatlich. Eine Heizungskosten- und Nebenkostenabrechnung fand im streitgegenständlichen Zeitraum nicht statt.
Der Kläger bezog in den Monaten Januar bis März 2019 (nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie des Zusatzbeitrages) eine Regelaltersrente in Höhe eines Zahlbetrages von 818,81 Euro monatlich, so dass die Beklagte nach Abzug von 4,96 Euro aufgrund einer auf zwölf Monate umgelegten jährlichen Einmalzahlung für eine Privathaftpflicht ein zu berücksichtigendes Einkommen iHv 813,85 Euro für diese Monate feststellte. Nach einer Rentenerhöhung im April 2019 stellte die Beklagte nach Abzug der Privathaftpflicht ein zu berücksichtigendes Einkommen iHv 814,31 Euro für die Monate April und Juni 2019 fest. Für Mai 2019 stellte die Beklagte wegen einer einmaligen Nachzahlung einer Mütterrente ein zu berücksichtigendes Einkommen iHv 862.11 Euro fest. Nach einer Rentenerhöhung ab Juli 2019 stellte die Beklagte nach Abzug der Privathaftpflicht ein zu berücksichtigendes Einkommen iHv 855,13 Euro für die Monate Juli 2019 bis Juni 2020 fest. Nach einer Rentenerhöhung ab Juli 2020 stellte die Beklagte nach Abzug der Privathaftpflicht ein zu berücksichtigendes Einkommen iHv 884,80 Euro für die Monate Juli 2020 bis November 2020 fest.
Den Antrag des Klägers auf laufende Leistungen nach dem 4. Kapitel Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab dem 01.01.2019 lehnte die Beklagte mit streitgegenständlichen Bescheid vom 26.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.09.2020 ab. Das von der Beklagten berechnete, zu berücksichtigende Einkommen decke den Bedarf des Klägers ab.
Nach dem Zusammenzug mit seiner Ehefrau im Dezember 2018 habe sich der Bedarf des Klägers an KdUH halbiert. Von der Kaltmiete sei die Hälfte der Grundmiete zu berücksichtigen, also im Januar 2019 (405:2=) 202,50 Euro, die Hälfte des Heizkostenabschlags, also (70:2=) 35,00 Euro, die Hälfte der Stromkosten für den Heizstrahler, also (15,66:2=) 7,83 Euro, die Hälfte des Nebenkostenabschlags (70:2=) 35,00 Euro und die Hälfte der Kabelfernsehkosten (18,90:2=) 9,45 Euro, insgesamt 289,78 Euro, und nach Mieterhöhung ab Februar 2019 wegen der höheren Grundmiete von 494,50 Euro hälftig 247,25 Euro, insgesamt 334,53 Euro
Der Regelbedarf des Klägers belaufe sich ab 01.01.2019 auf 382,00 Euro (ab 01.01.2020: 398,00 Euro), der Altersmehrbedarf auf 64,94 Euro (ab 01.01.2020: 66,13 Euro) und der Mehrbedarf für Warmwasserzubereitung auf 8,79 Euro (ab 01.01.2020: 8,95 Euro), insgesamt also im Jahr 2019 auf 455,73 Euro monatlich (ab 01.01.2020: 464,08 Euro).
Mit seinem Einkommen habe der Kläger nach der Mieterhöhung im Februar 2019 selbst mit der damals vergleichsweise noch niedrigeren Rente seinen Gesamtbedarf abdecken können und diesen um 23,59 Euro überschritten, ebenso in den Monaten März 2019, Mai 2019 und Juni 2019, wo dem Kläger 24,05 Euro verblieben seien. In den übrigen streitgegenständlichen Monaten überschritt nach den bei den Akten befindlichen Berechnungen der Beklagtenhabe das Einkommen des Klägers dessen Bedarf um mehr als 50,00 Euro, zuletzt im November 2020 um 86,19 Euro.
Die vom Kläger zusätzlich geltend gemachten Bedarfe bzw Abzugspositionen vom Einkommen seien allesamt nicht zu berücksichtigen. Dies gelte insbesondere für die vom Kläger abgeschlossene Sterbegeldversicherung, für die der Kläger monatlich 37,88 Euro zahle. Der Kläger habe zum einen die Versicherung im laufenden Leistungsbezug bei der Beklagten mit Wirkung ab 01.02.2017 abgeschlossen. Zum anderen sei die Versicherung nicht angemessen zu dem abgeschlossenen Tarif ("Sterbegeld plus: klassische Sterbegeldversicherung mit einer Versicherungssumme iHv 5.000,00 Euro, zusätzlich Erbrechtsberatung und eine Unfalltod-Zusatzversicherung).
Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Nürnberg. Zu Unrecht habe die Beklagte die Sterbegeldversicherung nicht berücksichtigt. Außerdem mache er geltend einen Zuschuss für erhöhten Stromverbrauch iHv 20,00 Euro monatlich, einen Aufwendungsersatz für seinen Helfer H iHv 70,00 Euro monatlich, einen Essenszuschuss iHv 120,00 Euro monatlich, angemessene Beiträge zur Alterssicherung seiner Ehefrau und die Absetzung der Unterhaltszahlungen an die Eltern seiner Ehefrau iHv 200,00 Euro monatlich.
Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens stellte der Kläger beim Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag für laufende Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab 01.12.2020.
Mit Urteil vom 12. Mai 2022 wies das Sozialgericht die Klage als unbegründet ab.
Die Monatsbeiträge von 37,88 Euro für die Sterbegeldversicherung stellten keinen Bedarf nach § 33 SGB XII dar. Dies ergebe sich aus § 33 Abs 2 SGB XII, nachdem der Kläger die Sterbegeldversicherung erst nach Beginn seines Grundsicherungsbezuges abgeschlossen habe. Der Monatsbeitrag für die Sterbegeldversicherung sei auch nicht nach § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII von der Altersrente des Klägers abzusetzen. Sonstige Beiträge zu privaten Versicherungen könnten von den Einnahmen nur abgezogen werden, wenn sowohl die Art der Versicherung als auch die Höhe der geschuldeten Beiträge angemessen seien. Die er gewählten Sterbegeldversicherung sei demnach nicht angemessen. Die Kosten für eine einfache, würdige Bestattung lägen nach den örtlichen Verhältnissen bei 3.000,00 Euro bis 3.500,00 Euro. Schon die abgeschlossene Versicherungssumme iHv von 5.000,00 Euro sei unangemessen hoch.
Es bestehe kein Anspruch auf einen Zuschuss für erhöhten Stromverbrauch iHv 20,00 Euro monatlich. Soweit der Kläger vortrage, dass die Wohnküche und das WC mittels Heizlüfter geheizt werden müsse, nicht zuletzt wegen seiner aus den Tropen stammenden Frau, um Erkältungen vorzubeugen, seien die vom Beklagten hierfür ermittelten Mehrkosten iHv 15,66 Euro bei der Bedarfsberechnung des Klägers hälftig berücksichtigt worden iHv 7,83 Euro. Die Ermittlung dieses Wertes durch die Energieberatung sei nachvollziehbar und daher nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger vortrage, dass er infolge seines gestörten Tag-Nacht-Rhythmus' einen erhöhten Stromverbrauch habe, weil er nachts Fernseher und/oder Computer eingeschaltet habe, spiele es hinsichtlich des Stromverbrauchs für Fernsehen und Computer keine Rolle, ob der dadurch verursachte Verbrauch am Tage oder in der Nacht stattfinde. Soweit der Kläger vortrage, dass der benötigte Strom für Beleuchtung nachts über dem am Tage liege, sei es dem Kläger zuzumuten, lediglich ein oder zwei Lampen einzuschalten.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf einen monatlichen Aufwendungsersatz iHv 70,00 Euro für die Tätigkeit des H (Fahrdienste und Einkaufen). Diese früher über Jahre von der Beklagten gewährte Leistung habe auf § 65 Abs 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XII in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung beruht, der ab dem 01.01.2017 durch den neuen § 64f SGB XII abgelöst worden sei und nunmehr keinen Aufwendungsersatz für eine Pflegeperson vorsehe. Aufgrund seines Bezugs von Pflegegeld nach Pflegegrad 2 müsse der Kläger einen evtl durch H abgedeckten pflegerischen Bedarf aus dem Bezug des Pflegegeldes finanzieren. Es ergäbe sich kein sozialhilferechtlich ungedeckter Bedarf, der bei der Bedarfsberechnung für die Grundsicherung anzusetzen wäre.
Es bestehe auch kein Anspruch des Klägers auf einen Essenszuschusses iHv monatlich insgesamt 120,00 Euro, jeweils 60,00 Euro für den Kläger und 60,00 Euro für dessen Ehefrau. Zwar sei bis 2018 dem Kläger ein Sonderbedarf iHv 60,00 Euro nach dem Vierten Kapitel SGB XII ("Essen auf Rädern") und als Hilfe zur Pflege nach § 65 SGB XII aF finanziert worden. Soweit man von einem ungedeckten pflegerischen Hilfebedarf ausgehen würde, wäre der ursprünglich über § 65 SGB XII aF abgedeckte Anteil schon ab dem 01.01.2017 aus dem Pflegegeld nach Pflegegrad 2 in Höhe von 316,00 Euro monatlich zweckentsprechend und vorrangig zu decken gewesen, vgl. § 64a Abs 1 Satz 2 SGB XII. Soweit der Kläger einen Bedarf auf Essenszuschuss nunmehr damit begründe, er wolle mit dem Geld dreimal im Monat mit seiner Frau und H als Dank und Anerkennung auswärts zum Essen gehen, handle es sich weder zu einem anzuerkennenden Posten innerhalb des Regelbedarfs, noch eine anerkennenswerten, über den Regelbedarf hinausreichenden, Sonder- oder Mehrbedarf. In dieser Häufigkeit auswärts Essen zu gehen und darüber hinaus noch andere Leute einzuladen, sei Personen mit geringen Einkommen ohne Bezug grundsichernder Leistungen auch nicht in diesem Umfang möglich. Das Grundbedürfnis, Essen zu gehen, werde in § 5 des Gesetzes zur Ermittlung des Regelbedarfes (RBEG) in Abteilung 11 (Beherbergungs- Gaststättendienstleistungen) mit einem Ansatz iHv 11,56 Euro berücksichtigt. Dies ermögliche dem Kläger zumindest alle zwei Monate selbst zum Essen zu gehen. Wollte der Kläger häufiger zum Essen gehen oder andere Leute einladen, so könne er aus anderen Bedarfsansätzen umschichten, beispielsweise aus Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung und Kultur) mit einem monatlichen Ansatz von 42,44 Euro.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine angemessene Alterssicherung seiner Ehefrau durch die Beklagte im Rahmen von Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII. Die Sicherstellung einer angemessenen Altersvorsorge der Ehefrau stelle keinen Bedarf dar, der im Rahmen der Grundsicherung des Klägers in Ansatz zu bringen wäre. Es handele sich bei der Sicherstellung der angemessenen Altersvorsorge der ihn pflegenden Ehefrau um keinen im Rahmen der Grundsicherung des Klägers zu deckenden, eigenen Bedarf des Klägers. Vielmehr verdeutliche die Existenz des § 64f SGB XII den klaren gesetzgeberischen Willen, eine angemessene Alterssicherung erforderlichenfalls über die Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel SGB XII sicherzustellen, was nicht in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten falle.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Ansatz bzw. Übernahme von monatlich 200,00 Euro Unterhaltszahlung an die Eltern seiner Ehefrau in Thailand. Aus dem vorgelegten Dokument resultiere eine unmittelbare Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau des Klägers selbst und nicht des Klägers. Soweit der Kläger nach § 1360 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet sei, gehöre nach § 1360a BGB zum Familienunterhalt nur der Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder, nicht der Aufwand für sonstige bedürftige Verwandte eines Ehegatten. Daher schulde der Kläger im Rahmen des Ehegattenunterhaltes seiner Ehefrau nicht, deren Unterhaltsverpflichtung ihren Eltern gegenüber zu übernehmen. Da der Kläger mithin keinem entsprechenden familienrechtlichen Anspruch seiner Frau ausgesetzt sei, könne sich hieraus auch kein individueller, vom Regelsatz nicht umfasster Mehrbedarf im Sinne des § 27a Abs 4 SGB XII ergeben, der durch höhere Leistungen als die Regelsatzleistung zu decken wäre. Ein Ansatz der Unterhaltszahlung als Bedarf des Klägers bei der Berechnung der Grundsicherung scheide daher aus. Die Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau des Klägers ihren Eltern gegenüber könne auch nicht mindernd vom klägerischen Einkommen abgesetzt werden. Die für den Kläger im Rahmen der Grundsicherung für Einkommensabsetzungsbeträge einschlägige Vorschrift des § 82 SGB XII sehe die Möglichkeit der Absetzung von Aufwendungen zur Erfüllung derartiger gesetzlicher Unterhaltspflichten von Dritten nicht vor.
Hiergegen hat der Kläger Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und diese im Wesentlichen mit seinem erstinstanzlichen Vorbringen begründet. Hinsichtlich des begehrten Zuschusses zu Stromkosten iHv 20,00 Euro monatlich beschränkte der Kläger dieses Begehren nunmehr ausdrücklich auf Heizstrom.
Im Erörterungstermin am 12.06.2023 wurde den Beteiligten ausweislich der Niederschrift die Möglichkeit zum Übertritt in die mündliche Verhandlung und - anhand der Rechtsprechung des BSG - die Möglichkeit zu einer Entscheidung durch den nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter erläutert. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BSG sei beabsichtigt, im Rahmen der Einzelrichterentscheidung die Revision zuzulassen. Nachdem zur Rechtsfrage der Sterbegeldversicherung zwei Revisionen beim BSG anhängig seien, erfordere eine Entscheidung in der Sache insgesamt die Zulassung der Revision allein aus diesem Grund. Die Beteiligten haben sich daraufhin in Kenntnis der beabsichtigten Revisionszulassung mit einer Einzelrichterentscheidung und dem Übertritt in die mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.05.2022, S 20 SO 195/20, sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.09.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII ab dem 01.01.2019 in gesetzlicher Höhe zu bewilligen, unter Berücksichtigung des erhöhten Bedarfs des Klägers für Aufwendungen von monatlich 70 Euro für den Helfer Herrn Thomas Herold, einen Zuschuss für erhöhten Heizstromverbrauch in Höhe von monatlich 20 Euro, einen Essenszuschuss in Höhe von monatlich 120 Euro, der Kosten angemessener Beiträge monatlich zur Alterssicherung seiner Ehefrau sowie einer Absetzung vom Renteneinkommen für die Sterbegeldversicherung in Höhe von 37,88 Euro monatlich sowie die Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 200 Euro an seine Schwiegereltern.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Entscheidung konnte durch den nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zum Berichterstatter bestellten Vorsitzenden als Einzelrichter erfolgen, nachdem die Beteiligten einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt haben, § 155 Abs 1, 3 und 4 SGG. Da die Beteiligten vor Erteilung der Zustimmung über die beabsichtigte Revisionszulassung informiert wurden und ihr Einverständnis mit der Einzelrichterentscheidung gerade auch "in Kenntnis der beabsichtigten Zulassung der Revision" (BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R Rz 9) erklärt haben, liegt eine Fallgestaltung vor (vgl zu den Fallgestaltungen BSG, Urteil vom 06.09.2018 - B 2 U 3/17 R Rz 17), nach der ausnahmsweise (vgl BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R Rz 9) kein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter anzunehmen ist, wenn die Einzelrichterentscheidung die Revision zulässt. Zudem bezieht sich die Zulassung der Revision im Hinblick auf die Sterbegeldversicherung auf die bereits beim BSG anhängigen Revisionsverfahren B 8 SO 19/22 R und B 8 SO 22/22 R, wodurch ebenfalls die Möglichkeit der Einzelrichterentscheidung bei gleichzeitiger Zulassung der Revision ohne Verstoß gegen den gesetzlichen Richter eröffnet wird (BSG Urteil vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R Rz 9 mwN).

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf laufende Grundsicherungsleitungen nach dem SGB XII, da er zu keinem Zeitpunkt hilfebedürftig war.

Grundsicherungsleistungen sind nach § 19 Abs 2 Satz 1 iVm § 41 Abs 1 und 2 SGB XII auf Antrag (§ 44 Abs 1 SGB XII) ua Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Ab. 2 SGB XII erreicht haben, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus Einkommen oder Vermögen bestreiten können. Für den Einsatz des Einkommens sind nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB XII die §§ 82 ff SGB XII und für den Einsatz des Vermögens die §§ 90 und 91 SGB XII anzuwenden, soweit sich nicht aus § 43 Abs 2 bis 5 SGB XII Besonderheiten ergeben. Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII übersteigen, sind zu berücksichtigen (§ 43 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Welche Bedarfe zu berücksichtigen sind, ist dabei in § 42 SGB XII festgelegt.

Der vermögenslose Kläger ist aufgrund seines Alters grundsätzlich nach § 41 Abs 2 Satz 1 SGB XII hinsichtlich der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter grundsätzlich leistungsberechtigt, nachdem er auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten im Inland hat.

Der Feststellung des notwendigen Lebensunterhalts im Sinne des § 41 Abs 1 SGB XII sind die Bedarfe nach §§ 42 ff SGB XII zugrunde zu legen. Der dem Kläger, der mit seiner Ehefrau zusammenlebt, grundsätzlich zustehende monatliche Regelbedarf (§ 42 Nr 1 iVm der Anlage zu § 28 SGB XII) wurde von der Beklagten für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums zutreffend in deren bei den Beklagtenakten befindlichen Berechnungsbögen, auf die Bezug genommen wird, zugrunde gelegt, ebenso der dem Kläger zustehende Mehrbedarf nach § 42 Nr 2 iVm § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII, der Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwasserversorgung nach § 42 Nr 2 iVm § 30 Abs 7 SGB XII sowie die hälftigen Kosten für Unterkunft und Heizung (vgl § 42 Nr 4a iVm § 42a Abs 1 iVm § 35 Abs 1 Satz 1 SGB XII).

Zutreffend hat die Beklagte in den bei den Beklagtenakten befindlichen Berechnungsbögen, auf die Bezug genommen wird, dem Gesamtbedarf des Klägers monatsweise nach § 43 Abs 1 iVm § 82 ff SGB XII anrechenbares Einkommen gegenübergestellt und dabei vom Rentenzahlbetrag als bereinigtem Renteneinkommen die Beiträge des Klägers zur Haftpflichtversicherung abgesetzt (vgl § 82 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB XII), wobei angesichts der ohnehin nicht gegebenen Hilfebedürftigkeit des Klägers dahingestellt bleiben kann, inwieweit der Beitrag zur Familienhaftpflichtversicherung bereits bei dem der Ehegattin des Klägers eingeräumten Freibetrag im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II Berücksichtigung findet.

Im Ergebnis hat die Beklagte alle Bedarfe des Klägers zutreffend berücksichtigt und dem monatlichen Gesamtbedarf des Klägers das unter allen Gesichtspunkten zutreffend bereinigte monatliche Einkommen gegenübergestellt und damit im Ergebnis für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Hilfebedürftigkeit des Klägers verneint.

Sämtliche vom Kläger geltend gemachten weiteren Bedarfe oder Absetzbeträge von seinem Einkommen sind nicht zu berücksichtigen, wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat.

1. Die Sterbegeldversicherung ist nicht zu berücksichtigen.

Die Beiträge zur Sterbegeldversicherung iHv monatlich 37,88 Euro (welche für sich genommen in den Monaten Februar 2019, März 2019, Mai 2019 und Juni 2019 entscheidungsrelevant wären) stellen weder einen Abzugsposten im Rahmen der Einkommensanrechnung dar, noch begründen sie einen zusätzlichen Bedarf.

Die Sterbegeldversicherung stellt keinen Bedarf des Klägers dar. § 33 Abs 2 SGB XII setzt voraus, dass die Aufwendungen zur Erlangung eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld vor Beginn der Leistungsberechtigung nachgewiesen werden. Hier hat der Kläger aber den Versicherungsvertrag während des Bezuges von Grundsicherungsleistungen abgeschlossen.

Die Beiträge zur Sterbegeldversicherung iHv 37,88 € monatlich sind auch nicht nach § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII abzusetzen. Es handelt sich nicht um eine gesetzlich vorgeschriebene Versicherung. Wie bereits der Regelung zur Bedarfsermittlung für Vorsorge in § 33 Abs. 2 SGB XII zu entnehmen ist, ist eine Berücksichtigung der Beiträge für eine Sterbegeldversicherung im Rahmen des § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII dennoch grds möglich (vgl BayLSG, Beschluss vom 19.04.2023 -  mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung und insbesondere zu den in insoweit beim BSG anhängigen Revisionen B 8 SO 19/22 R und B 8 SO 22/22 R), wenn die Sterbegeldversicherung angemessen ist. Die Versicherung des Klägers ist jedoch nicht angemessen.

Bei dem Begriff der Angemessenheit handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. Bei dessen Auslegung sind Sinn und Zweck dieser Regelung zu berücksichtigen und dem Umstand Rechnung zu tragen, "dass (gerade) auch Bezieher geringer Einkommen Risiken abzusichern pflegen, bei deren Eintritt ihre weitere Lebensführung außerordentlich belastet wäre", weshalb maßgeblich ist, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze solche Aufwendungen zu tätigen pflegen, als auch nach der individuellen Lebenssituation des Leistungsberechtigten (noch zu § 76 Abs. 2 Nr. 3 Bundessozialhilfegesetz -BSHG-: BSG, Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 13/08 Rz 20). Aus Praktikabilitätsgründen wird vertreten, dass eine Üblichkeit der Versicherung angenommen werden kann, wenn mehr als 50% der Haushalte knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende Versicherung abschließen (vgl dazu BSG aaO).

Die Versicherung des Klägers ist ungeachtet der Höhe der Versicherungssumme von 5.000,00 Euro schon deshalb nicht dem Grund und der Höhe nach angemessen, weil es sich nicht alleine um eine einfache Sterbegeldversicherung handelt, sondern um einen Tarif "Sterbegeld plus", der neben der klassischen Sterbegeldversicherung auch Leistungen für eine Erbrechtsberatung und eine Unfalltod-Zusatzversicherung beinhaltet. Eine Erbrechtsberatung erscheint gerade im Hinblick auf das äußerst geringe Vermögen des Klägers als Bezieher von Grundsicherungsleistungen nicht als angemessene Versicherungsleistung bzw Zusatzleistung. Dem Versicherungsschein ist nicht zu entnehmen, dass die Kosten der klassischen Sterbegeldversicherung und der Erbrechtsberatung aufgeteilt wären (lediglich für die Unfalltod-Zusatzversicherung wird ein Betrag iHv 0,40 Euro brutto monatlich ausgewiesen). Die Sterbegeldversicherung mit dem Tarif "Sterbegeld plus" ist demnach nicht angemessen und kann - mangels entsprechender Aufteilung im Versicherungsvertrag auch nicht anteilig - nicht vom Renteneinkommen abgesetzt werden.

2. Auch die sonstigen vom Kläger geltend gemachten Bedarfe bzw Absetzbeträge sind nicht zu berücksichtigen.

a) Ein Anspruch auf einen Zuschuss für erhöhten Stromverbrauch iHv 20,00 Euro monatlich besteht nicht. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Antrag ausdrücklich auf Heizstrom beschränkt. Die vom Beklagten hierfür ermittelten Mehrkosten iHv 15,66 Euro sind bei der Bedarfsberechnung des Klägers hälftig berücksichtigt worden mit 7,83 Euro. Heizstrom. Die Ermittlung dieses Wertes durch die Energieberatung ist nicht zu beanstanden.

b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Aufwendungsersatz für die pflegerische Tätigkeit des H iHv 70,00 Euro monatlich. § 64f SGB XII sieht keinen Aufwendungsersatz für eine Pflegeperson vor. Aufgrund des Bezugs von Pflegegeld nach Pflegegrad 2 kann der Kläger einen evtl durch H abgedeckten pflegerischen Bedarf aus dem Bezug des Pflege-geldes finanzieren.

c) Ein Anspruch des Klägers auf einen Essenszuschusses iHv monatlich insgesamt 120,00 Euro (je 60,00 Euro für den Kläger selbst und 60,00 Euro für seine Ehefrau) besteht nicht. Ein insoweit bzgl der Essenszubereitung evtl ungedeckter pflegerischer Hilfebedarf für den Kläger (nicht dessen Ehefrau) wäre aus dem Pflegegeld nach Pflegegrad 2 in Höhe von 316,00 Euro monatlich zweckentsprechend und vorrangig zu decken, vgl § 64a Abs 1 Satz 2 SGB XII. Soweit der Kläger einen Bedarf auf Essenszuschuss damit begründet, er wolle mit dem Geld mit seiner Ehefrau und H als Dank und Anerkennung auswärts zum Essen gehen, handelt es sich um keinen anzuerkennenden Posten innerhalb des Regelbedarfs. Auch eine anerkennenswerter, über den Regelbedarf hinausreichenden, Sonder- oder Mehrbedarf liegt nicht vor. Auswärts Essen zu gehen und darüber hinaus noch andere Leute einzuladen, ist auch Personen mit geringen Einkommen ohne Bezug grundsichernder Leistungen im Umfang von 120,00 Euro monatlich nicht ohne weiteres möglich. Das Grundbedürfnis, Essen zu gehen, wird in § 5 des Gesetzes zur Ermittlung des Regelbedarfes (RBEG) in Abteilung 11 (Beherbergungs- Gaststättendienstleistungen) hinreichend berücksichtigt.

d) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine angemessene Alterssicherung seiner Ehefrau durch die Beklagte im Rahmen von Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII. Die Sicherstellung einer angemessenen Altersvorsorge der Ehefrau stellt keinen Bedarf dar, der im Rahmen der laufenden Grundsicherung des Klägers in Ansatz zu bringen wäre.

e) Bei den Unterstützungsleistungen an die Eltern der Ehefrau des Klägers handelt es sich um keinen Bedarf des Klägers, da er selbst keinem Unterhaltsanspruch der Eltern der Ehefrau ausgesetzt ist. Absetzungen vom Einkommen des Klägers im Hinblick auf die 200,00 Euro, die der Kläger an seine Ehefrau überweist, damit diese ihren Unterhalt an ihre Eltern zahlen kann, sind nicht vorzunehmen. Eine Absetzung solcher Zahlungen ist in § 82 Abs. 2 Satz 1 SGB XII nicht vorgesehen. Weder handelt es sich um Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge noch um Versicherungsbeiträge oder mit der Einkommenserzielung verbundene notwendige Ausgaben des Klägers.

Nach alledem hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht eine Hilfebedürftigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum verneint und Leistungen nach dem 4. Kapitel Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den streitgegenständlichen Zeitraum abgelehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird im Hinblick auf die beim BSG anhängigen Revisionsverfahren B 8 SO 19/22 R und B 8 SO 22/22 R zugelassen.

 

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