1. Auch ehemalige Deutsche, die nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland einen Aufenthaltstitel nach § 38 Abs. 2 AufenthG erhalten, sind - wenn nicht von der Ausnahmeregelung des § 38 Abs. 3 AufenthG Gebrauch gemacht wurde - nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verpflichtet, die Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes selbst sicherzustellen, was eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (Auffangversicherung) ausschließt.
2. Entscheidungen der sachlich zuständigen Ausländerbehörde über die Art des Aufenthaltstitels – und damit über die Verpflichtung zum Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts – sind für die Krankenkassen und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend.
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. März 2023 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung und die Erbringung laufender Sachleistungen der Krankenbehandlung durch die Antragsgegnerin.
Der 1938 geborene Antragsteller zu 1 war zunächst deutscher Staatsangehöriger. Von Januar 1953 bis September 1978 legte er Pflichtbeitragszeiten zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurück. Zuletzt war er bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Nachdem er seinen Wohnsitz nach Mexiko verlagert hatte, erlangte er 1979 die mexikanische Staatsangehörigkeit. Dabei verzichtete er ausdrücklich auf alle Rechte, die mit jeder anderen Nationalität verbunden waren (Bestätigung des mexikanischen Außenministeriums vom 8. November 1979). Die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt er nicht mehr. Er bezieht seit 1. Dezember 2003 eine Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von zuletzt 747,76 €.
Die am 6. Oktober 1941 geborene Antragstellerin zu 2 ist (durchgehend) mexikanische Staatsangehörige. Sie ist mit dem Antragsteller zu 1 seit dem 10. Oktober 1975 verheiratet und befand sich aufgrund einer bis zum 22. Oktober 1978 befristeten Aufenthaltserlaubnis vom 30. Oktober 1975 in der Bundesrepublik Deutschland. Ab Februar 1976 war sie aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung Mitglied der Antragsgegnerin.
Anträge der Antragsteller vom 16. November 2021 auf Mitgliedschaft ab dem 1. Juli 2022 lehnte die Antragsgegnerin mit – nicht angefochtenen – Bescheiden vom 19. November 2021 mangels ausreichenden Aufenthaltstitels ab.
Bereits am 8. November 2021 gaben die in der Bundesrepublik Deutschland lebende gemeinsame Tochter der Antragsteller (im Folgenden O) sowie deren Ehemann gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde eine Verpflichtungserklärung ab, wonach sie sich u.a. verpflichteten, für die am 1. Juli 2022 einreisenden Antragsteller die Kosten für den Lebensunterhalt nach § 68 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zu tragen. Die Verpflichtung umfasse die Erstattung sämtlicher öffentlicher Mittel, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet würden.
Am 14. Juli 2022 erhielten die Antragsteller Visa für die Bundesrepublik Deutschland für die Zeit vom 20. August 2022 bis zum 17. November 2022, der Antragsteller zu 1 nach § 38 Abs. 2
AufenthG, die Antragstellerin zu 2 nach § 30 AufenthG. Am 23. August 2022 reisten sie daraufhin nach Deutschland ein. Am 27. Oktober 2022 erhielten die Antragsteller eine jeweils bis zum 26. Oktober 2024 befristete Aufenthaltserlaubnis, der Antragsteller zu 1 nach § 38 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 5 AufenthG, die Antragstellerin zu 2 nach § 30 AufenthG. Nach der für den Antragsteller zu 1 vorgelegten Bestätigung der Ausländerbehörde vom 14. Dezember 2022 waren für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Sicherung des Lebensunterhaltes sowie ein ausreichender Krankenversicherungsschutz nachzuweisen.
Nach Vorlage dieser Unterlagen lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. Dezember 2022 die Versicherung des Antragstellers zu 1 erneut ab. Die Mitgliedschaft sei nur möglich, wenn der Antragsteller zu 1 bereits eine Niederlassungs-Erlaubnis oder befristete Aufenthalts-Genehmigung habe, die länger als 12 Monate gelte. Hierbei müsse er der Ausländerbehörde keinen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Diese Voraussetzungen erfülle er nicht.
Die Antragsteller wandten sich daraufhin mit Schriftsatz des bevollmächtigten Rechtsanwalts vom 13. Januar 2023 an die Antragsgegnerin. Es liege eine Aufenthaltserlaubnis für mehr als zwölf Monate vor. Die Ablehnung könne daher nicht nachvollzogen werden. Mit weiterem Schreiben vom 23. Januar 2023 verwies die Antragsgegnerin auf § 5 Abs. 11 SGB V und lehnte zusätzlich die Kostenübernahme der Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte ab. Mit Schreiben vom 26. Januar 2023 baten die Antragsteller um Weiterleitung der Angelegenheit an den Widerspruchsausschuss. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2023 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Antragstellers zu 1 gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2022 als unbegründet zurück. Für die versicherungsrechtliche Beurteilung nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V, ob bei der Erteilung des Aufenthaltstitels eine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes) bestehe oder nicht, komme es allein auf die Rechtslage nach dem Aufenthaltsgesetz (und den ggf. hierzu bestehenden Erlassregelungen der obersten Landesbehörden) an. Werde von dem Erfordernis einer Lebensunterhaltssicherung rechtlich nicht abgesehen, spiele es keine Rolle, ob die Sicherung des Lebensunterhalts in jedem konkreten Sachverhalt nachzuweisen sei oder im Rahmen einer (politischen) Einschätzung bei Bestehen einer bestimmten familiären Situation ohne Beibringung weiterer Nachweise als typisch (positiv) unterstellt werde. Die Ausländer mit einem derartigen Aufenthaltstitel unterfielen nicht dem persönlichen Anwendungsbereich der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Für die Erteilung des Aufenthaltstitels des Antragstellers zu 1 sei eine Verpflichtungserklärung zur Sicherung seines Lebensunterhalts – einschließlich der Versorgung im Krankheitsfall – erforderlich gewesen. Somit liege eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall vor und es trete keine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ein.
Bereits am 28. Februar 2023 stellten die Antragsteller beim Sozialgericht Stuttgart (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit dem Begehren, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragsteller in die Krankenkasse als Mitglieder aufzunehmen, eine Krankenkassenkarte herauszugeben und Leistungen für die Behandlungen zu bezahlen. Sie verfügten jeweils über eine länger als zwölf Monate geltende Aufenthaltserlaubnis. Der Antragsteller zu 1 leide unter einer fortgeschrittenen Leberkrebserkrankung und bedürfe der dringenden Behandlung. Beide Antragsteller seien dringend auf eine Krankenversicherung angewiesen, weil kurzfristig krankheitsbedingte Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte notwendig würden. Wegen des fehlenden Versicherungsschutzes seien sie bereits mit Kosten für Krankenbehandlungen in Höhe von 2.923,99 € in Vorleistung getreten.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Ein Anspruch auf Aufnahme als Mitglieder bei ihr, der Antragsgegnerin, bestehe nicht. Laut Bestätigung der Ausländerbehörde vom 14. Dezember 2022 habe für die Erteilung des Aufenthaltstitels ein bestehender Krankenversicherungsschutz nachgewiesen werden müssen. Dieser bestehe nicht bei ihr und müsse folglich bei einem anderen Träger bestehen.
Mit Beschluss vom 6. März 2023 lehnte das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ab. Für das als auf Durchführung einer Pflichtversicherung auszulegende Begehren fehle es bereits an einem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch. Die Voraussetzungen des allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V seien nicht erfüllt. Der Antragsteller zu 1 sei entgegen der Voraussetzung des § 5 Abs. 11 SGB V nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels, für dessen Erteilung keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bestehe. Ein Fall des § 38 Abs. 3 AufenthG, wonach in besonderen Fällen der Aufenthaltstitel abweichend von dieser Verpflichtung erteilt werden könne, liege nicht vor. Dies ergebe sich aus dem Bestätigungsschreiben der Ausländerbehörde vom 14. Dezember 2022. Auch der Antrag der Antragstellerin zu 2 sei zwar zulässig, aber nicht begründet. Trotz des fehlenden Ablehnungsbescheides ihr gegenüber liege auch hier das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Denn die Antragsgegnerin habe bereits mit Bescheid vom 19. November 2021 deren Mitgliedschaft abgelehnt und in der Folgezeit und auch im Rahmen der Antragserwiderung keine Anhaltspunkte vermittelt, die Antragstellerin zu 2 anders als den Antragsteller zu 1 zu behandeln. Auch deren Aufenthaltserlaubnis sei jedoch nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG an die Sicherung des Lebensunterhaltes geknüpft. Eine Ausnahme hiervon sei gesetzlich nur im Fall der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorgesehen. Die in § 5 Abs. 3 AufenthG genannten Ausnahmen griffen ebenfalls nicht. Mangels Anspruches auf Durchführung einer Pflichtversicherung bei der Antragsgegnerin sei auch kein Anspruch auf Herausgabe von Krankenkassenkarten oder Bezahlung von Behandlungsleistungen gegeben.
Hiergegen haben die Antragsteller am 16. März 2023 beim SG Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben und zur Begründung ausgeführt, entgegen der Auffassung des SG sei der Antragsteller zu 1 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, für dessen Erteilung keine Verpflichtung zu Sicherung des Lebensunterhalts bestehe. Denn die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 38 Abs. 3 AufenthG lägen vor. Der gesetzlich nicht näher definierte Begriff des besonderen Falles setze keine besondere Härte voraus, so dass gegenüber dem ehemaligen Deutschen eine großzügigere Verwaltungspraxis nicht nur zulässig, sondern auch geboten sei. Entscheidend sei, ob unter Berücksichtigung der von § 38 AufenthG gewollten Privilegierung ehemaliger Deutscher ein „besonderer Fall“ in Bezug auf Schutz- und Regelungszwecke gegeben sei, die mit den in § 5 AufenthG normierten Erteilungsvoraussetzungen verfolgt würden. Der Antragsteller zu 1 sei 84 Jahre alt und leide unter einem schweren Leberkarzinom. Er habe die Hälfte seines Lebens in Deutschland verbracht, seine Schul- und Berufsausbildung in der Bundesrepublik Deutschland absolviert, von 1960 bis 1972 in der Bundeswehr gedient und auch für versicherungspflichtige Beschäftigungen in die Rentenkasse eingezahlt. 1978 sei er nach Mexiko ausgewandert, um dort eine eigene Firma in Mexiko zu gründen. Hierzu habe es nach den damaligen Gesetzen der mexikanischen Staatsbürgerschaft bedurft, die er angenommen habe. Seine beiden Kinder seien deutsche Staatsangehörige. Außerdem sei bei Personen, die vor dem 1. Januar 2005 durch Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche verloren hätten, regelmäßig von einem besonderen Fall im Sinne des § 38 Abs. 3 AufenthG auszugehen. Sein Gesundheitszustand habe sich durch Gewichtsverlust und eine Covid-Erkrankung drastisch verschlechtert. Nach Rücksprache mit verschiedenen Ärzten, habe er eine Palliativbehandlung begonnen. Ergänzend hat der Antragsteller zu 1 seinen Rentenversicherungsverlauf vorgelegt.
Die Antragsteller haben schriftsätzlich (sachdienlich gefasst) beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. März 2023 aufzuheben und im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass die Antragsteller pflichtversicherte Mitglieder der Antragsgegnerin sind und die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, Krankenkassenkarten herauszugeben und Leistungen für die Behandlungen zu bezahlen.
Die Antragsgegnerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Es sei gerade kein Aufenthaltstitel ausgestellt worden, der keine Sicherung des Lebensunterhaltes erforderte. Die Erforderlichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts sei seitens der Ausländerbehörde eindeutig mitgeteilt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
1. Die nach § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden der Antragsteller sind zulässig, insbesondere statthaft nach §§ 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1, 144 Abs. 1 SGG. Das Begehren der Antragsteller auf Feststellung der Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin und Herausgabe von Krankenkassenkarten betrifft keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Soweit sie weiter begehren, „Leistungen für die Behandlungen zu bezahlen“, ist dies auf Gewährung laufender Sachleistungen der Krankenbehandlung ohne zeitliche Befristung gerichtet (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Beschwerde ist jedoch in der Sache nicht begründet. Das SG hat die Anträge auf die begehrte einstweilige Anordnung zu Recht abgelehnt. Offenbleiben kann dabei, ob der Antragsteller zu 1 den mittlerweile ergangenen Widerspruchsbescheid vom 5. April 2023 fristgerecht mit Klage angefochten hat oder dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bereits die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 22. Dezember 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2023 entgegensteht. Denn der Antrag auch des Antragstellers zu 1 ist jedenfalls unbegründet.
a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit - wie hier - nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, die grundsätzlich auch einen Feststellungsanatrag umfasst (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 26).
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Kammerbeschlüsse vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris, Rn. 23 ff. und vom 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 – juris, Rn. 11). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt weder beim Antragsteller zu 1 (dazu b) noch bei der Antragstellerin zu 2 (dazu c) ein Anordnungsanspruch i.S.e. materiell-rechtlichen Anspruches vor. Auch ein Anordnungsgrund wurde von beiden Antragstellern nicht glaubhaft gemacht (dazu d).
b) Der Antragsteller zu 1 hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Mitgliedschaft (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. Juli 2020 – B 12 KR 21/18 R –, juris) bei der Antragsgegnerin und damit auch keine Ansprüche auf Ausstellung einer Versichertenkarte und auf Sachleistungen, insbesondere Krankenbehandlungen.
aa) Er ist nicht versicherungspflichtiges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass eine Versicherungspflicht als Rentenbezieher nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nicht besteht. Denn der Antragsteller zu 1 war jedenfalls seit 1979 nicht mehr Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland und auch nicht in dieser familienversichert. Er erfüllt somit nicht die erforderliche Vorversicherungszeit. Auch die Voraussetzungen der als einzige Rechtsgrundlage in Betracht kommenden sog. Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sind nicht erfüllt.
Danach sind versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren (Nr. 13 Buchstabe a). Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, werden nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V aber von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht.
(1) Der Antragsteller zu 1 ist Ausländer in diesem Sinne. Denn nach der Bestätigung des mexikanischen Außenministeriums vom 8. November 1979 erwarb er 1979 die mexikanische Staatsangehörigkeit. Hierdurch verlor er die deutsche Staatsangehörigkeit (§ 17 Staatsangehörigkeitsgesetz [StAG] in der Fassung vom 2. Juli 1976), was er selbst auch nicht in Abrede stellt.
(2) Die ihm am 27. Oktober 2022 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist zwar bis zum 26. Oktober 2024 und damit auf mehr als zwölf Monate befristet. Für deren Erteilung bestand aber die Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, so dass der Antragsteller zu 1 die negative Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V nicht erfüllt.
(a) Dies ergibt sich bereits aus der dem Antragsteller zu 1 tatsächlich erteilten Aufenthaltserlaubnis vom 27. Oktober 2022 „nach § 38 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 5 AufenthG“.
(aa) Nach § 5 Abs. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass (Nr. 1) der Lebensunterhalt gesichert ist, wozu auch ausreichender Krankenversicherungsschutz gehört (§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Allein auf diese Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nimmt § 5 Abs. 11 SGB V Bezug und stellt nicht darauf ab, dass der Betroffene zur Sicherstellung in der Lage ist. Die Vorschrift knüpft allein an die abstrakt vorgesehene Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts als Voraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels an. Dies steht auch mit dem Sinn und Zweck der Norm in Einklang. Ein Versicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist nicht geboten in den Fällen, in denen Ausländer gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass ihr Lebensunterhalt einschließlich eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichergestellt ist. Diese Personen verfügen insoweit über eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall (vgl. BT-Drs 16/3100, Seite 95). Es besteht daher in diesen Fällen regelmäßig kein Bedarf für die Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Dezember 2019 – L 11 KR 1934/19 – juris, Rn. 33).
(bb) Ein Absehen von dieser Verpflichtung nach § 5 Abs. 3 AufenthG ist beschränkt auf Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 AufenthG (§§ 22 bis 26 AufenthG: Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen). Über einen solche Aufenthaltstitel verfügt der Antragsteller zu 1 nicht.
(cc) Dem Antragsteller zu 1 wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 AufenthG erteilt. Danach ist einem ehemaligen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er bei Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit seit mindestens einem Jahr seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte und bei gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.
Nach § 38 Abs. 3 AufenthG kann der Aufenthaltstitel nach Abs. 1 oder 2 zwar in besonderen Fällen abweichend von § 5 AufenthG erteilt werden. Auch ehemalige Deutsche, die einen Aufenthaltstitel nach § 38 Abs. 2 AufenthG erhalten, sind daher - wenn nicht von der Ausnahmeregelung des § 38 Abs. 3 AufenthG Gebrauch gemacht wurde - nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verpflichtet, die Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes selbst sicherzustellen, was wiederum eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ausschließt (Gerlach, in: Hauck/Noftz SGB V, Stand: November 2021, § 5 Rn. 478). Die Aufenthaltserlaubnis vom 27. Oktober 2022 wurde aber tatsächlich nicht unter Abweichung von der Verpflichtung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt. So wird § 38 Abs. 3 AufenthG im vorgelegten Aufenthaltstitel gerade nicht als Rechtsgrundlage aufgeführt, sondern ausdrücklich nur § 38 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 5 AufenthG als Rechtsgrundlage genannt. Des Weiteren bestätigte die Ausländerbehörde im Schreiben vom 14. Dezember 2022, dass für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis die Sicherung des Lebensunterhaltes sowie ein ausreichender Krankenversicherungsschutz nachzuweisen waren. Tatsächlich haben O und deren Ehemann am 8. November 2021 gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde eine Verpflichtungserklärung über die Tragung der Kosten für den Lebensunterhalt der Antragsteller nach § 68 AufenthG abgegeben.
(b) An diese Entscheidung der sachlich zuständigen Ausländerbehörde über die Art des Aufenthaltstitels – und damit über die Verpflichtung zum Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts – sind die Antragsgegnerin als Krankenkasse und der Senat als Gericht der Sozialgerichtsbarkeit gebunden. Lediglich hinsichtlich der Umsetzung des Nachweiserfordernisses kommt es nicht auf das Vorgehen der Ausländerbehörde im konkreten Fall an, sondern allein auf die aufgrund der Gesetzeslage bestehende Verpflichtung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (BSG, Urteil vom 3. Juli 2013 – B 12 KR 2/11 R – juris, Rn. 20, 25). Es kommt mithin nicht darauf an, unter welchen Voraussetzungen die Ausländerbehörde die – aufgrund des jeweiligen Aufenthaltstitels erforderliche – Verpflichtung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts als erfüllt ansieht. Erteilt die Ausländerbehörde aber einen Aufenthaltstitel, ohne von dem Erfordernis einer Lebensunterhaltssicherung abzusehen, ist der Einwand, die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel ohne dieses Erfordernis lägen vor, allein im Verfahren über die Erteilung des Aufenthaltstitels vorzubringen.
bb) Die Voraussetzungen einer freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 und 2 SGB V erfüllt der Antragsteller zu 1 nicht. Abweichendes macht er selbst nicht geltend.
c) Auch die Antragstellerin zu 2 hat keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin und damit auch keine Ansprüche auf Ausstellung einer Versichertenkarte und auf Sachleistungen, insbesondere Krankenbehandlungen.
Die Antragstellerin zu 2 ist nicht versicherungspflichtiges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch sie erfüllt die negative Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V für die Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB nicht. Die ihr erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG unterliegt der Verpflichtung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Eine Ausnahme hiervon ist nicht für erstmalige Erteilung, sondern nach § 30 Abs. 3 AufenthG nur für deren Verlängerung gesetzlich vorgesehen. Die Voraussetzungen einer freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 und 2 SGB V erfüllt die Antragstellerin zu 2 ebenfalls nicht. Abweichendes macht sie selbst nicht gelten.
d) Einen Anordnungsgrund i.S.e. besonderen Eilbedürftigkeit haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat insbesondere der Antragsteller zu 1 im Beschwerdeverfahren zuletzt vorgetragen, sein durch ein schweres Leberkarzinom geprägter Gesundheitszustand habe sich durch Gewichtsverlust und eine Covid-Erkrankung drastisch verschlechtert; er habe eine Palliativbehandlung begonnen. Es ist aber nicht ausreichend dargelegt, dass es den Antragstellern unzumutbar wäre, die Finanzierung der Krankenbehandlungen – wie bisher – selbst sicherzustellen. Gegenüber dem SG hatten sie angegeben, Kosten für Krankenbehandlungen bereits in Höhe von 2.923,99 € aufgewendet zu haben, und die aktuelle Höhe der Altersrente des Antragstellers zu 1 von monatlich 747,76 € nachgewiesen. Konkrete Angaben zu gegebenenfalls weiteren Einkommen und insbesondere vorhandenem Vermögen sind durch die rechtskundig vertretenen Antragsteller nicht erfolgt. Gleiches gilt für Leistungen der O oder deren Ehemannes aufgrund der von diesen abgegebenen Verpflichtungserklärung zur Sicherung des Lebensunterhalts auch gerade unter Einschluss der Kosten bei Krankheit.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).