1. Das für den Bereich gesetzlicher Sozialleistungen entwickelte Meistbegünstigungsprinzip findet zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung Privatversicherter unter Berücksichtigung der vertraglichen Fürsorgepflichten auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung Anwendung. Dies gilt auch für die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, die entsprechend anwendbar sind.
2. Eine fehlende Unterschrift unter einem Urteil kann innerhalb von fünf Monaten jederzeit formlos nachgeholt werden, auch wenn das Urteil bereits zugestellt und ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die nachgeholte Unterschrift durch Namensnennung am Ende des Dokuments und die qualifizierte Signatur wirken dann ex nunc.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. April 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch die Gewährung von Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld im Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 nach der Pflegestufe 1 und im Zeitraum 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nach dem Pflegegrad 2 streitig.
Der 1957 geborene Kläger war zuletzt als Diplom-Ingenieur beschäftigt. Er ist bei der Beklagten seit 1995 privat kranken- und pflegeversichert. Grundlage des Pflegeversicherungsvertrages sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV, Zusatzvereinbarungen und Tarifbedingungen).
Nach einer am 3. April 2013 im Krankenhaus B2 durchgeführten Nasennebenhöhlenoperation trat bei dem Kläger ein intraorbitaler Abszess, ein präseptaler Abszess am Unterlid und eine putride Sinusitis maxillo-fronto-ethmoidalis mit Exophthalmus und Ophthalmoplegie auf. Am 6. April 2013 wurde am Universitätsklinikum T1 – Department für Augenheilkunde –notfallmäßig eine laterale Kantholyse, eine Kanthotomie rechts sowie endoskopisch eine endonasale Revisions-Fronto-Spheno-Ektomie mit medialer und infero-medialer Orbitadekompression durchgeführt. In der Folge erlitt der Kläger eine komplette Optikusatrophie mit vollständigem Visusverlust/Erblindung am rechten Auge bei bereits bestehender hochgradiger Amblyopie am linken Auge. Vor der Entlassung aus der stationären Behandlung im Universitätsklinikum T1 am 16. April 2013 fand am 12. April 2013 eine Sozialberatung durch G1 statt. Durch die Assistenzärztin G2 wurde am 15. April 2013 auf unbestimmte Zeit Fahruntüchtigkeit festgestellt.
Mit Schreiben vom 12. April 2013teilte die Beklagte dem Kläger mit, durch die Aufnahmeanzeige des Krankenhauses erfahren zu haben, dass er arbeitsunfähig erkrankt sei. Die Krankentagegeldversicherung sehe eine Karenzzeit von sechs Wochen vor, weshalb der Kläger spätestens am 14. Mai 2013 mitteilen solle, ob noch völlige Arbeitsunfähigkeit vorliege.
Am 18. April 2013 wandte sich der Kläger telefonisch an die Beklagte und teilte mit, weiterhin arbeitsunfähig zu sein und sicher auch über die Karenz zu kommen. Außerdem vermute er einen Behandlungsfehler. Er habe den Eindruck, dass der Verlust der Sehfähigkeit eine Folge der OP sei. Der Kläger wurde aufgefordert, ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen und vorhandene Berichte und OP-Berichte einzureichen. In einem weiteren Telefonat am 18. April 2013 wurde der Ehefrau des Klägers das Prozedere bei einem vermuteten Behandlungsfehler erläutert. Weitere telefonische Kontakte zwischen dem Kläger und der Beklagten sind am 8. Mai 2013 wegen der Anforderung von Unterlagen sowie am 10. Juni 2013, am 7. August 2013 und am 25. September 2013 wegen der Übernahme von Fahrt- und Taxikosten dokumentiert.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2013 bat die Beklagte den Kläger um Übersendung der Entlassungsberichte der stationären Behandlungen. Mit Schreiben vom 10. Juni 2013 wurde der Kläger an die Beibringung eines Gedächtnisprotokolls und eines OP- und Entlassungsberichts erinnert. Mit Schreiben vom 10. Juli 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, das Ergebnis der beratungsärztlichen Stellungnahme liege vor. Der Beratungsarzt sei der Ansicht, dass zwar im präoperativen Aufklärungsbogen in der Regel auf mögliche Abszessbildungen hingewiesen werde, jedoch bereits beim Entlassungsgespräch eine Bildgebung hätte erfolgen müssen. Eine Bildgebung sei jedoch nach den vorgelegten Unterlagen unterblieben. Die postoperative Verabreichung von Antibiotika sei dagegen nicht obligatorisch. Dem Kläger werde empfohlen, den Fall dem Gutachterausschuss der zuständigen Bezirksärztekammer vorzulegen.
Vom 15. Mai 2013 bis zum 31. März 2014 erhielt der Kläger von der Beklagten Krankentagegeld.
Nachdem die Beklagte wegen des Anspruchs auf Krankentagegeld zunächst bei B1, Universitätsklinikum T1, die Auskunft vom 13. September 2013 eingeholt hatte, veranlasste sie eine vertrauensärztliche Untersuchung durch die V1 GmbH. S1 führte in seinem Gutachten vom 30. September 2013 aus, der Kläger habe angegeben, er plane für das nächste Jahr eine Integration am Arbeitsplatz; Hilfsmittel seien bereits beantragt worden. Ohne Hilfsmittel könne er nicht lesen, mit Hilfsmitteln nur bedingt. S1 vertrat die Auffassung, dass es dem Kläger bei dem jetzigen Befund dauerhaft nicht mehr möglich sei, seine ausgeübte Tätigkeit weiter auszuüben. Eine mehr als 50 %-ige Erwerbsminderung bezogen auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit liege auf nicht absehbare Zeit vor. Mit Schreiben vom 22. Oktober 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Untersuchung durch S1 am 30. September 2013 habe ergeben, dass er berufsunfähig sei, weshalb die Krankentagegeldversicherung zum 30. März 2014 beendet werde. Der Kläger habe die Möglichkeit, diese im Rahmen einer Anwartschaft fortzuführen. Am 6. November 2013 wandte sich der Kläger wegen des Gutachtens von S1 telefonisch an die Beklagte und teilte u.a. mit, er wolle auf jeden Fall im nächsten Jahr wieder arbeiten. Es gebe Hilfsmittel, die ihm vorlesen könnten.
Weitere Telefonate fanden wegen des durch den Kläger geltend gemachten Behandlungsfehlers am 3. Januar 2014 und am 25. April 2014, wegen rückständigen Krankentagegeldes am 28. Januar 2014 und wegen einer Bescheinigung für das Finanzamt am 24. November 2017 statt. Am 14. April 2015 wurde dem Kläger telefonisch bestätigt, dass die Anwartschaft erhalten bleiben könne und innerhalb von zwei Monaten nach Aufnahme einer Tätigkeit wirksam werde.
Das Landratsamt B2 – Versorgungsamt in S2 – stellte bei dem Kläger mit Bescheid vom 19. September 2013 ab dem 23. April 2013 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, B, H und RF fest. Zum 1. April 2014 schloss der Kläger mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag.
Am 25. Oktober 2019 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung. Daraufhin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung des Klägers in häuslicher Umgebung durch die M1 GmbH. Die Gutachterin K1 gab in ihrem Gutachten vom 23. Dezember 2019 nach einem Hausbesuch beim Kläger am 20. Dezember 2019 als pflegebegründende Diagnosen Blindheit und hochgradige Sehbehinderung, binokular sowie eine rezidivierende depressive Störung an. Den bei dem Kläger bestehenden Hilfebedarf bewertete sie mit insgesamt 36,25 gewichteten Punkten und dem Pflegegrad 2. Mit Schreiben vom 9. Januar 2020 sagte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Oktober 2019 Leistungen entsprechend dem Pflegegrad 2 zu.
Mit Schreiben vom 10. September 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld nach der Pflegestufe 1 für den Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 und nach dem Pflegegrad 2 für den Zeitraum 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 sowie die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen für die nichterwerbsmäßige Pflege seiner Ehefrau für den Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Juli 2016. Seit dem 6. April 2013 liege bei ihm wegen einer Optikusatrophie auf dem rechten Auge, welches sein gutes Auge gewesen sei, eine hochgradige Sehbehinderung vor. Ab diesem Zeitpunkt sei er pflegebedürftig gewesen und von seiner Ehefrau mindestens in einem Umfang von 20 Stunden pro Woche gepflegt worden. Bei einer Person mit einer neu erworbenen hochgradigen Sehbehinderung müsse von einer Pflegebedürftigkeit ausgegangen werden. Erst nach Abschluss einer blindentechnischen Grundausbildung im Rahmen von Orientierungs- und Mobilitätstraining sowie der Erlernung von lebenspraktischen Fähigkeiten müsse sich die Pflegeversicherung eine Beratungspflicht zur Antragstellung nicht mehr anrechnen lassen. Sein Gesundheitszustand und Pflegebedarf im April 2013 sei identisch zu dem heutigen. § 33 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) schließe nicht aus, Leistungen auch für die Zeit vor Antragstellung zu gewähren, wenn ein Härtefall vorliege. Nicht nur der Sozialdienst der Uniklinik T1 habe es pflichtwidrig versäumt, auf die Möglichkeit einer Antragstellung hinzuweisen. Auch der Beklagten hätten mit Blick auf die Feststellung der Berufsunfähigkeit durch B1 am 28. Juni 2013 hinreichende Informationen vorgelegen, aus der sich eine Pflegebedürftigkeit hätte aufdrängen müssen. Es liege daher eine Verletzung der Fürsorge- und Beratungspflichten vor, die zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bzw. im privaten Versicherungsverhältnis zu einem Anspruch nach Treu und Glauben führten.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 10. September 2020 zurück. Der Eintritt der Berufsunfähigkeit wegen einer erheblichen Leseschwäche führe für sich genommen nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles in der Pflegeversicherung. Die Verhältnisse könnten rückwirkend nicht mehr aufgeklärt werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch könne dann gegeben sein, wenn ihr die wesentlichen Umstände einer Pflegebedürftigkeit und einer Pflegetätigkeit bekannt gewesen seien und sie einen Antrag auf Pflegeleistungen zu Unrecht abgelehnt hätte. Ein solcher Ausnahmefall sei nicht gegeben.
Mit seiner am 12. Oktober 2020 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage machte der Kläger neben dem rückwirkenden Anspruch auf Pflegegeld ab dem 6. April 2013 bis zum 31. Dezember 2016 nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs und dessen Verzinsung die rückwirkende Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen für seine Pflegepersonen (Ehefrau und Sohn) geltend. Zur Begründung trug er vor, ursächlich für die Pflegebedürftigkeit sei die Sinusitis-Operation am 3. April 2013. Andere gesundheitsrelevante und pflegebegründende Veränderungen seien zwischen 2013 und 2019 nicht eingetreten. Die Berufsunfähigkeit sei Ende 2013 festgestellt worden, die Pflegebedürftigkeit auf Antrag jedoch erst Ende 2019. Bei einer Person mit einer neu erworbenen hochgradigen Sehbehinderung müsse von einer Pflegebedürftigkeit ausgegangen werden. Die Beklagte habe Feststellungen zur Berufsunfähigkeit eingeholt und getroffen, die sich kausal auf die erworbene hochgradige Sehbehinderung ab dem 6. April 2013 datieren ließen. Es sei daher naheliegend, dass die Pflegebedürftigkeit sich ebenso wie die Berufsunfähigkeit auf diesen Zeitpunkt zurückführen lasse und die Pflegebedürftigkeit somit ab dem 6. April 2013 und nicht erst zum 1. Oktober 2019 entstanden sei. Sein Sohn habe im Umfang von zwölf Wochenstunden an mindestens zwei verschiedenen Tagen pro Woche in der Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 30. September 2018 ebenfalls Pflegeleistungen erbracht. Die Beklagte habe von dem Sachverhalt der Optikusatrophie telefonisch im April 2013 erfahren und rechtzeitig Kenntnis erlangt. Grundsätzlich sei unter Berücksichtigung des objektiven Erklärungswertes und der recht verstandenen Interessenlage des Leistungsberechtigten davon auszugehen, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehre, was ihm aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zustehe. Es sei realitätsfern anzunehmen, dass ein Versicherter seine Kranken- und Pflegeversicherung nach einem solchen Anlass anrufe, nur um mitzuteilen, dass ein vermutlicher Behandlungsfehler vorliege und der Versicherte damit die möglichen Schadensersatzansprüche der Versicherung gegen Dritte wahren möchte. Der Versicherte möchte selber Leistungen, u.a. Krankentagegeld, erhalten und die Versicherung habe ihm prinzipiell alles anzubieten, was versichert sei und was sie anbieten könne, in diesem Fall eben auch Pflegeleistungen. Der Telefonanruf sei mit dem Zweck der Mitteilung der hochgradigen Visusminderung/Erblindung und der Beratung über seine daraus folgenden Leistungsansprüche erfolgt. Aufgrund des geschilderten Sachverhalts hätte die Beklagte auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hinweisen müssen. Es bestehe daher ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Verjährung sei nicht eingetreten. Auch das ihm vergebene Merkzeichen H spreche für Hilflosigkeit und damit Pflegebedürftigkeit.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Gemäß § 9 Abs. 1 MB/PPV sei ein Versicherungsfall der Pflegebedürftigkeit dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. Eine verspätete Anzeige könne gemäß § 10 Abs. 1 MB/PPV zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Der Eintritt der Berufsunfähigkeit sei nicht gleichzusetzen mit dem Eintritt einer Pflegebedürftigkeit. Der Kläger trage keine Umstände dafür vor, dass die Beklagte ihn von einer Geltendmachung von Versicherungsleistungen beginnend mit April 2013 abgehalten habe. Eine Überprüfung des Versicherungsfalles sei nunmehr, nach Ablauf vieler Jahre, nicht mehr sinnvoll möglich. Es sei darüber hinaus Verjährung eingetreten; der Kläger habe nach seinem eigenen Vorbringen bereits im Jahr 2013 Kenntnis von allen anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt. Dem damaligen Geschehen in der Krankenversicherung sei nicht zu entnehmen, dass der Kläger im Hinblick auf mögliche Leistungen aus dem Vertragsverhältnis der Pflegeversicherung aufklärungsbedürftig gewesen wäre. Vorsorglich werde die Darstellung der durch Ehefrau und Sohn geleisteten Dienste mit Nichtwissen bestritten.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 27. April 2021 wies das SG die Klage ab. Im Hinblick auf die beantragte Nachzahlung von Rentenversicherungsbeiträgen für die von ihm angegebenen Pflegepersonen (Ehefrau und Sohn) sei die Klage mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers bereits unzulässig. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Pflegegeld im Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 nach der Pflegestufe 1 und vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nach dem Pflegegrad 2. Dementsprechend bestehe auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen. Ein Antrag auf Leistungen sei erstmals am 25. Oktober 2019 gestellt worden. Ein früherer Antrag sei nicht ersichtlich und werde vom Kläger auch nicht behauptet. Der Kläger könne auch nicht auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beanspruchen, so behandelt zu werden, als ob er den Antrag auf Pflegegeld bereits im April 2013 gestellt habe. Der Beklagten oblägen auch im Rahmen des privatrechtlichen Vertragsverhältnisses Fürsorge- und Beratungspflichten, deren Verletzung und die hieraus resultierenden Nachteile entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch Herstellung des Zustandes, der bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung des Versicherungsträgers bestünde, zu kompensieren seien. Ein verspäteter Antrag sei zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Dies sei der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung treffe, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen sei. Unabhängig davon, ob überhaupt die Voraussetzungen der Pflegestufe 1 (bis zum 31. Dezember 2016) bzw. des Pflegegrades 2 (ab dem 1. Januar 2017) vorgelegen hätten, was sich entgegen der Behauptung des Klägers gerade nicht zweifelsfrei aus den medizinischen Befunden bzw. der vorliegenden Berufsunfähigkeit ergebe, da es für die Pflegebedürftigkeit allein auf den tatsächlichen Pflegebedarf ankomme, sei vorliegend schon keine Pflichtverletzung in Form einer fehlenden Beratung seitens der Beklagten festzustellen. Ein konkreter Beratungsanlass habe bei der Pflegekasse im April 2013 nicht vorgelegen. Vor dem im Oktober 2019 eingegangenen Antrag des Klägers auf Pflegeleistungen habe die Beklagte keine tatsächliche Kenntnis von der Möglichkeit des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit bei diesem gehabt. Ein Beratungsersuchen habe ebenfalls nicht vorgelegen. Allein aus der Tatsache, dass der Beklagten bekannt gewesen sei, dass der Kläger im April 2013 eine Optikusatrophie am rechten Auge mit der Folge einer erheblichen Visusminderung erlitten habe, sei kein Anlass gewesen, das Vorliegen erheblicher Pflegebedürftigkeit im Sinne der vertraglichen Bestimmungen beim Kläger zu vermuten. Selbst das Vorliegen schwerster Erkrankungen sei nicht gleichbedeutend mit auch nur erheblicher Pflegebedürftigkeit im Sinne des Rechts der Pflegeversicherung (erreicht mit Pflegestufe 1 nach altem Recht bzw. Pflegegrad 2 nach neuem Recht). Der Kläger habe bei dem Telefonat im April 2013 kein Beratungsinteresse im Hinblick auf Pflegeleistungen zu erkennen gegeben. So habe er selbst mitgeteilt, der Beklagten bei dem Telefonat lediglich seine Erkrankung und einen möglichen Behandlungsfehler mitgeteilt zu haben. Ungeachtet dessen bestehe wohl auch keine Kausalität zwischen einem möglichen Beratungsdefizit und dem eingetretenen Schaden. Dem Kläger dürfte bekannt gewesen sein, dass die Möglichkeit bestehe, Pflegegeld zu beziehen; er hätte ohne Weiteres durch Antragstellung oder zumindest konkrete Anfrage bei der Pflegekasse ein entsprechendes Verfahren jederzeit einleiten können.
Das Urteil war mit einem vollständigen Rubrum und einer qualifizierten elektronischen Signatur der Kammervorsitzenden versehen. Der Name der Kammervorsitzenden war am Ende des Urteils nicht aufgeführt. Nach entsprechendem Hinweis des Senats holte die Kammervorsitzende am 18. Juni 2021 die einfache Signatur nach, wiederholte die qualifizierte Signatur und stellte das Urteil den Beteiligten erneut zu.
Bereits am 10. Mai 2021 hatte der Kläger gegen das ihm am 4. Mai 2021 zugestellte Urteil Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm rückwirkend Pflegegeld für den Zeitraum vom 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 nach der Pflegestufe 1 und vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nach dem Pflegegrad 2 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Voraussetzungen für die Feststellung der Pflegestufe 1 (bis 31. Dezember 2016) und des Pflegegrades 2 (ab 1. Januar 2017) seien bei ihm ausweislich der im Gutachten vom 23. Dezember 2019 getroffenen Feststellungen erfüllt. Die pflegebegründenden Diagnosen und damit der aus ihnen resultierende Hilfebedarf lägen bei ihm seit April 2013 unverändert vor. Er habe das Merkzeichen B in seinem Schwerbehindertenausweis und sei auf die Begleitung durch eine Begleitperson angewiesen. Sein Anruf im April 2013 stelle nach dem Meistbegünstigungsprinzip einen Antrag auf Pflegeleistungen dar, denn er habe unter Schilderung des Sachverhalts alles begehrt, was ihm zustehe. Er habe im Rahmen dieses Telefonats die schwerwiegende gesundheitliche Einschränkung durch die Erblindung des funktionalen Auges und einen möglichen Behandlungsfehler mitgeteilt. Die Krankenversicherung habe danach ohne besonderen Antrag Krankentagegeldleistungen und ohne expliziten Antrag eine beratungsärztliche Überprüfung des Sachverhalts wegen ihrer eigenen möglichen Schadenersatzforderungen gegen den behandelnden Arzt eingeleitet. Eine Spontanberatung über Pflegeleistungen sei unterlassen worden. Ob ihm selbst die Leistungen der Pflegeversicherung, insbesondere das Pflegegeld bekannt gewesen seien, könne dahinstehen. Das SG gehe im angefochtenen Urteil von einem realitätsfernen Standard aus. Aus seiner Sicht habe es mehrere Anlässe für die Spontanberatung zu Pflegeleistungen gegeben: bei der erstmaligen Mitteilung des Sachverhalts durch ihn, den Kläger, im April 2013, bei den beantragten Fahrtkosten für ein Taxi zu notwendigen Therapien und bei einem Telefonat über die Kostentragung der Taxifahrten zu notwendigen Behandlungen, bei der Beantragung der Psychotherapie, bei Feststellung der hohen Anzahl von Versicherungsleistungen und Anzahl an Arztterminen in einem Kalenderjahr, bei der Überprüfung von Schadensersatz seitens der Beklagten durch einen Beratungsarzt, im Rahmen der vertrauensärztlichen Überprüfung des Krankentagegelds und der Feststellung der Berufsunfähigkeit durch S1 sowie im Rahmen der laufenden Überprüfung der Ansprüche der Beklagten ihm gegenüber bezüglich des Arzthaftungsprozesses vor dem Landgericht Stuttgart. Darüber hinaus kämen auch Pflichtverletzungen des Sozialdienstes der Uniklinik T1, die lediglich 20 Minuten gedauert habe und nur hinsichtlich der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises beraten, Pflegeversicherung, Pflege oder Pflegegeld aber nicht erwähnt habe, oder der hausärztlichen Benachrichtigungspflichten in Betracht, die der Beklagten ggf. zuzurechnen seien. Bei der Sozialberatung hätte sich die Frage aufgedrängt, wer sich um ihn kümmere und wie die Pflege organisiert sei. Nach dem Zweck des Versorgungs- und Entlassungsmanagements müsse die Beratung vielmehr auch solche nicht fernliegenden Komplikationen einbeziehen, die mit der jeweiligen Behandlung typischerweise einhergehen können und auf die Versicherte und Angehörige (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB XI) deshalb vorbereitet sein sollten (Hinweis auf BSG, 17. Juni 2021 - B 3 P 5/19 R -). Bei Augenerkrankungen sei häufig auch eine Gabe von Augentropfen nötig. Besonders Menschen, die nur noch auf einem Auge mit sehr geringer Sehkraft sehen, könnten sich selbst keine Augentropfen verabreichen. Diese mögliche Komplikation habe der Sozialdienst in seine Beratung nicht einfließen lassen. Die Sozialberatung habe es versäumt, ihn darauf hinzuweisen, welche Versicherungsleistungen, Sozialleistungen oder Hilfsangebote er in Anspruch nehmen könne. Der Sozialdienst hätte auch alleine schon deshalb den Pflegeantrag für ihn stellen müssen, damit seine Ehefrau in der Lage gewesen wäre, eine Pflegezeit bzw. Pflegeunterstützungsgeld in Anspruch zu nehmen. Dies habe sich aufgedrängt, da ein Weg zurück in einen einigermaßen regelmäßigen Alltag für ihn lange dauern würde und für die nächsten Wochen sehr viel Kontrolltermine bezüglich der Gabe des Cortisons für ihn angestanden hätten. Er sei auch durch die behandelnde Ärztin für fahruntüchtig erklärt worden, die daraus folgenden Komplikationen seien naheliegend und auch für eine Person, die in kürzester Zeit hochgradig sehbehindert geworden sei, als typisch einhergehend anzusehen. Es hätte sich auch hier die Frage gestellt, wie die häufigen Arztbesuche ohne Pflegeperson bewältigt werden könnten. Es habe sich weiter die Frage aufgedrängt, welche Versicherung beim Eintreten von häuslichen Pflegeproblemen wegen der Berufstätigkeit der Ehefrau oder Alltagshilfen für ihn Leistungen erbringen könne. Im Gegensatz zu der Trennung der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegekassen müsse sich die private Pflegepflichtversicherung auch das Wissen der privaten Krankenversicherung zurechnen lassen, da diese ein einheitliches Unternehmen darstellten. Eine private Krankenversicherung müsse daher, auch wenn nur Ansatzpunkte bestünden, auf die Leistungen der Pflegeversicherung hinweisen. Die Pflegedokumentation über den stationären Aufenthalt in der Universitätsklinik T1 bestätige, dass seine Ehefrau bereits dort pflegerisch tätig geworden sei, indem sie ihm Augengel verabreicht habe. Der Kläger hat u.a. eine Übersicht seines Hausarztes über Behandlungstermine von Januar 2012 bis März 2021, eine selbst erstellte Übersicht über Arzt- und Behördentermine, Leistungsabrechnungen der Beklagten vom 5. Mai 2020 und 26. Mai 2020, das Formular über die Sozialberatung des Universitätsklinikums T1 durch G1 vom 17. April 2013, den Pflegeanamnesebogen des Krankenhauses B2 und die Behandlungsunterlagen des Universitätsklinikums T1 vorgelegt
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. April 2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld nach Pflegestufe 1 für den Zeitraum vom 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 und nach Pflegegrad 2 für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. Oktober 2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat ausgeführt, weitergehende, in die Vergangenheit reichende Ansprüche auf Versicherungsleistungen bestünden nach den zutreffenden Erwägungen des SG nicht. Bereits aus Gründen des Datenschutzes habe die Beklagte nicht „auf eigene Faust" Ermittlungen aufgrund des in der Krankenversicherung im Jahr 2013 bekannt gewordenen Sachverhalts (Behandlungsfehler) zur Pflegebedürftigkeit anstellen dürfen. Der Kläger selbst mache nicht geltend, er habe infolge seiner Sehbehinderung nicht realisiert, dass er bereits im Jahr 2013 einen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung hätte stellen können. Auch sei ihm nach eigenem Sachvortrag seit seiner eingetretenen Sehbehinderung bekannt, dass er Hilfestellungen benötigte, um den Alltag zu bewältigen. Es trete kein Sachverhalt zu Tage, der die Berufungsbeklagte nach Treu und Glauben hätte veranlassen können, dem Kläger einen Leistungsantrag in der Pflegeversicherung nahezulegen. Die Beklagte habe in der Krankenversicherung tagtäglich mit schweren und schwersten Erkrankungen zu tun, die auch „aus heiterem Himmel", beispielsweise durch ein Unfallereignis, eintreten können. Es würde den Rahmen der Schadensbearbeitung in der Krankenversicherung sprengen, ohne entsprechenden Antrag des Berechtigten in jedem Fall einer mutmaßlichen Pflegebedürftigkeit eine dahingehende Korrespondenz zu beginnen. Solange ein Beratungsbedarf des Berechtigten nicht offensichtlich auf der Hand liege, sei es Sache des Berechtigten, seine Ansprüche aus den verschiedenen Versicherungsverhältnissen wahrzunehmen. Die Beklagte hat einen Auszug aus dem Leistungskonto des Klägers über das vom 15. Mai 2013 bis 30. März 2014 bezogene Krankentagegeld, eine Bescheinigung der Bundesagentur für Arbeit vom 29. April 2014 und Gesprächsnotizen über ein Telefonat vom 14. April 2015 sowie über Telefonate im Zeitraum vom 18. April 2013 bis 24. November 2017 vorgelegt.
Die früheren Berichterstatter des Senats haben am 20. August 2021 und am 12. Januar 2022 Termine zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt, im Rahmen derer der Kläger weitere Angaben zur Sache gemacht hat. Im Termin vom 12. Januar 2022 ist die Ehefrau des Klägers R1 als Zeugin gehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Protokolle (Bl. 95 ff und Bl. 194 ff. der Senatsakte) Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG, da der Kläger die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe 1 für den Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 sowie nach dem Pflegegrad 2 für den Zeitraum 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 und damit für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass das erstinstanzliche Urteil entgegen § 65a Abs. 7 Satz 1 SGG zwar mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, zunächst aber nicht am Ende mit dem Namen der verantwortenden Person, dem Namen der Kammervorsitzenden, versehen war. Denn die Kammervorsitzende holte am 18. Juni 2021 die einfache Signatur nach, wiederholte die qualifizierte Signatur und stellte das Urteil den Beteiligten erneut zu. Eine fehlende Unterschrift kann - wie vorliegend geschehen - innerhalb von fünf Monaten jederzeit formlos nachgeholt werden, auch wenn das Urteil bereits zugestellt und ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die nachgeholte Unterschrift durch Namensnennung am Ende des Dokuments und qualifizierte Signatur wirkt dann ex nunc (Stäbler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, Stand: Mai 2023, § 65a SGG, Rn. 81).
2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, nachdem der Kläger bereits bei Berufungseinlegung sein Begehren, Rentenversicherungsbeiträgen für die von ihm angegebenen Pflegepersonen (Ehefrau und Sohn) nachzuentrichten, nicht mehr geltend gemacht hat, noch ein Anspruch auf Pflegegeld für den Zeitraum vom 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 nach Pflegestufe 1 und vom 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nach dem Pflegegrad 2 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. Oktober 2020. Schadensersatz wegen einer Pflichtverletzung bei Durchführung des privaten Pflegeversicherungsvertrags (bis 2002: positive Vertragsverletzung; seither § 280 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) macht der Kläger hingegen nicht geltend.
3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
a) Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Einer zusätzlichen Anfechtungsklage bedurfte es nicht. Die Beklagte ist als privates Versicherungsunternehmen nicht befugt, zur Regelung der zwischen ihr und ihren Versicherten bestehenden Rechtsverhältnisse Verwaltungsakte zu erlassen. Demgemäß hat die Beklagte die Ablehnung der Leistung in der begehrten Höhe auch nur durch eine schriftliche Mitteilung, nicht aber durch einen förmlichen Bescheid (Verwaltungsakt) ausgesprochen. Mangels Verwaltungsakts bedurfte es auch keines Vorverfahrens (§ 78 SGG) als Klagevoraussetzung. Es reicht vielmehr aus, dass die von der Klägerin beanspruchte Leistung zunächst bei der Beklagten geltend gemacht und von dieser endgültig abgelehnt worden ist, sodass Rechtsschutz nur noch durch Beschreitung des Klageweges gewährt werden kann (BSG, Urteil vom 10. September 2020 – B 3 P 2/19 R – juris, Rn. 15; Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 14).
b) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegegeld im Zeitraum 6. April 2013 bis 31. Dezember 2016 nach der Pflegestufe 1 und im Zeitraum 1. Januar 2017 bis 30. September 2019 nach dem Pflegegrad 2. Es fehlt bereits an der notwendigen Antragstellung. Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ist nicht gegeben.
Anspruchsgrundlage für das geltend gemachte Pflegegeld ist § 192 Abs. 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit dem geschlossenen Pflegeversicherungsvertrag und den darin einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung, insbesondere dem Bedingungsteil Musterbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung in der ab dem 1. Januar 2013 geltenden Fassung (MB/PPV). Danach leistet der Versicherer im Versicherungsfall im vertraglichem Umfang Ersatz von Aufwendungen für Pflege oder ein Pflegegeld (§ 1 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV). Versicherungsfall ist die Pflegebedürftigkeit der versicherten Person (§ 1 Abs. 2 MB/PPV). Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV erhält der Versicherungsnehmer die Leistungen auf Antrag. Die Leistungen werden ab Antragstellung erbracht, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen (Satz 2). Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV sind Eintritt, Wegfall und jede Minderung der Pflegebedürftigkeit dem Versicherer unverzüglich schriftlich anzuzeigen.
aa) Der gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MB/PPV erforderliche Antrag auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung wurde durch den Kläger erstmalig im Oktober 2019 gestellt.
Der Kläger hat zu einem früheren Zeitpunkt weder einen ausdrücklichen Antrag auf Leistungen gestellt, noch war sein Vorbringen unter Berücksichtigung des sog. Meistbegünstigungsgrundsatzes als Antrag auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung auszulegen.
Der Kläger macht selbst nicht geltend, vor Oktober 2019 einen ausdrücklichen Antrag gestellt zu haben. Er gab zuletzt im Erörterungstermin vom 12. Januar 2021 an, „seinerzeit“ einige Male mit Mitarbeitern der Beklagten telefoniert zu haben, dabei sei es aber nicht um die Pflegeversicherung, sondern um die Krankenversicherung gegangen.
Soweit der Kläger vorträgt, seine Ausführungen im Rahmen der mit der Beklagten im April 2013 geführten Telefonate seien meistbegünstigend dahingehend auszulegen, dass er Leistungen der Pflegeversicherung beantrage, trifft dies nicht zu. Grundsätzlich ist unter Berücksichtigung des objektiven Erklärungswertes und der recht verstandenen Interessenlage des Leistungsberechtigten davon auszugehen, dass dieser unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt, was ihm aufgrund des von ihm geschilderten Sachverhalts rechtlich zusteht (vgl. zum Meistbegünstigungsprinzip BSG, Beschluss vom 18. Januar 2023 – B 5 R 153/22 B – juris, Rn. 6 m.w.N.; Urteil vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 10/06 R – juris, Rn. 16). Das für den Bereich gesetzlicher Sozialleistungen entwickelte Meistbegünstigungsprinzip findet zur Vermeidung der Ungleichbehandlung Privatversicherter unter Berücksichtigung der vertraglichen Fürsorgepflichten auch im Bereich der privaten Pflegeversicherung Anwendung (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Mai 2015 – L 10 P 134/14 – juris, Rn 23).
Ausweislich der dem Senat vorliegenden Gesprächsnotizen aus April 2013 war Gegenstand der Gespräche allein die Gewährung von Krankentagegeld und das Prozedere bei der Geltendmachung eines Behandlungsfehlers. Pflegerelevante Umstände oder konkrete Einschränkungen der Alltagskompetenz waren nicht Gegenstand dieser Gespräche, so dass auch unter Heranziehung des Meistbegünstigungsprinzips das Vorbringen des Klägers nicht als Antrag auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung auszulegen ist. Bei den späteren Gesprächen, die die Übernahme von Fahrt- und Taxikosten zum Inhalt hatten, wurden diese konkreten Leistungen beantragt, die aufgrund ihrer Konkretheit – auch nicht meistbegünstigend – als Antrag auf andere Leistungen und Leistungen der privaten Pflegeversicherung auszulegen sind.
bb) Der Beklagten ist es auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben sowie des auch im Rahmen des vorliegenden privatrechtlichen Vertragsverhältnisses zumindest entsprechend anwendbaren sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht verwehrt, sich auf die fehlende Antragstellung im April 2013 und vor Oktober 2019 zu berufen.
(1) Voraussetzung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft, verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R – juris, Rn. 12 m.w.N.). Das Institut des Herstellungsanspruchs stellt ganz wesentlich auf die (gesetzlichen) Nebenpflichten im Sozialrechtsverhältnis ab und kann insofern keine unmittelbare Anwendung auf das vorliegende private Versicherungsverhältnis finden. Gleichwohl obliegen der Beklagten auch im Rahmen des privatrechtlichen Vertragsverhältnisses Fürsorge- und Beratungspflichten, deren Verletzung und die hieraus resultierenden Nachteile entsprechend der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs durch Herstellung des Zustandes, der bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung des Versicherungsträgers bestünde, zu kompensieren sind. Dies ergibt sich für den Bereich des Zivilrechts auch aus dem in § 242 BGB verankerten Prinzip von Treu und Glauben. Dieses Prinzip bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine erworbene Rechtsposition rechtmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 16. Februar 2005 – IV ZR 18/04 – juris, Rn. 25 m.w.N.). Grundsätzlich kann sich das Berufen des Versicherers auf den Ablauf einer Frist bzw. auf die Verspätung einer Antragstellung im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich erweisen. Das ist etwa dann anzunehmen, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen der Fristversäumnis deutlich wird, er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2005 – IV ZR 154/04 – juris, Rn. 8). Demnach ist ein verspäteter Antrag zuzulassen, wenn sich die Berufung auf die verspätete Antragstellung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen würde. Dies ist der Fall, wenn den Begünstigten kein Verschulden an der verspäteten Antragstellung trifft, die Versäumung der Antragsfrist aber ursächlich auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Mai 2015 – L 10 P 134/14 – juris, Rn. 25).
(2) Die fehlende Beantragung von Leistungen der privaten Pflegeversicherung vor Oktober 2019 ist nicht kausal auf eine Verletzung der Beratungspflicht der Beklagten zurückzuführen.
Zur Überzeugung des Senats bestand für die Beklagte vor Oktober 2019 kein Anlass, den Kläger auf die Möglichkeit eines Antrags auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung hinzuweisen und damit keine Verletzung ihrer Beratungspflichten.
(aa) Im Rahmen der zwischen den Beteiligten geführten Telefonate bestand für die Mitarbeiter der Beklagten kein konkreter Anlass, auf die Möglichkeit einer Antragstellung hinzuweisen.
Der Kläger trägt selbst nicht vor, in einem Telefonat konkret Pflegeleistungen angesprochen zu haben. Für den Senat ergeben sich aus keinem der aktenkundig gewordenen Gespräche Hinweise darauf, dass der Kläger ein Beratungsinteresse im Hinblick auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung zu erkennen gegeben hätte. Der Kläger trägt nicht vor, dass über die Telefonate, für die Gesprächsnotizen vorliegen, hinaus Gespräche mit der Beklagten geführt worden wären. Hinzu kommt, dass sich der Kläger stets mit ganz konkreten Anliegen an die Beklagte wandte.
Erste Telefonate zwischen dem Kläger und der Beklagten sind am 18. April 2013 (Bl. 203, 205 der Senatsakte) dokumentiert. Der Kläger teilte im Rahmen dieser Gespräche zunächst mit, weiter arbeitsunfähig zu sein und „auch sicher über die Karenz“ zu kommen. Darüber hinaus gab er an, einen Behandlungsfehler zu vermuten. Er schilderte in dem Telefonat vom 18. April 2013 (Bl. 203 der Senatsakte) den konkreten Ablauf der Behandlung und wies auf den Verlust der Sehfähigkeit hin. Ferner äußerte er seine Angst, berufsunfähig zu werden, wenn sein Augenlicht nicht zurückkomme. Aus dem in der Gesprächsnotiz vom 18. April 2013 festgehaltenen Inhalt des Gesprächs ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen konkreten pflegerischen Hilfebedarf des Klägers. Zwar weist der Kläger in dem Gespräch auch auf den Verlust der Sehfähigkeit hin und äußert seine Befürchtungen hinsichtlich einer drohenden Berufsunfähigkeit. Ein konkreter Hilfebedarf wird aber nicht mitgeteilt und drängt sich nicht auf. Eine drohende Berufsunfähigkeit begründet für sich genommen keinen Hilfebedarf. Zwar wird der Verlust der Sehfähigkeit thematisiert, aber nicht im Zusammenhang mit einem pflegerischen Hilfebedarf, sondern mit der drohenden Berufsunfähigkeit und dem Verdacht auf einen Behandlungsfehler. Die im weiteren Gespräch angesprochene weiterbestehende Arbeitsunfähigkeit lässt ebenfalls keinen Rückschluss auf einen relevanten Hilfebedarf zu. Soweit der Kläger vorträgt, dass seine Schilderung die Mitteilung über schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen durch die Erblindung des linken Auges und einen möglichen Behandlungsfehler beinhaltete, macht er damit gerade nicht die für die Pflegebedürftigkeit konstitutive Notwendigkeit von Hilfe durch andere geltend. Ein solcher Hilfebedarf wurde gegenüber der Beklagten gerade nicht erwähnt.
In einem weiteren Telefonat am 18. April 2013 (Bl. 204 der Senatsakte) wurde der Ehefrau des Klägers das Prozedere bei einem vermuteten Behandlungsfehler erläutert. Inhalt dieses Gesprächs war ausweislich der unbestrittenen Gesprächsnotiz allein das Prozedere bei einem vermuteten Behandlungsfehler. Von ihr zu erbringende Hilfeleistungen wurden durch die Ehefrau des Klägers offenbar bei diesem Gespräch nicht angesprochen, so dass für die Beklagte auch kein Anlass bestand, hierüber aufzuklären.
Der nächste telefonische Kontakt zwischen dem Kläger und der Beklagten fand am 8. Mai 2013 (Bl. 206 der Senatsakte) wegen der Anforderung von Unterlagen durch den Kläger statt. Dass in diesem Gespräch ein pflegerischer Hilfebedarf seitens des Klägers thematisiert wurde, wird weder vorgetragen noch ist es der Gesprächsnotiz zu entnehmen.
Gegenstand der Telefonate vom 10. Juni 2013 (Bl. 207 der Senatsakte), 7. August 2013 (Bl. 208 der Senatsakte) und 25. September 2013 (Bl. 209, 210 der Senatsakte) war die zwischen den Beteiligten zunächst streitige Übernahme von Fahrt- und Taxikosten zu ambulanten Behandlungen. Der Kläger wies dabei in den Gesprächen vom 10. Juni 2013 und 25. September 2013 auf die fehlende Fahrtüchtigkeit hin. Zwar musste der Beklagten aufgrund der durch den Kläger geltend gemachten und ihm zuletzt auch gewährten Fahrtkosten bewusst sein, dass der Kläger nicht in der Lage war, selbst zu Behandlungsterminen zu fahren, was allein einen Hilfebedarf bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung im Bereich der Mobilität nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 SGB XI (in der damals, bis 31. Dezember 2016 geltenden Fassung vom 26. Mai 1994) hätte begründen können. Dass der Kläger aber nicht in der Lage wäre, die Behandlungstermine selbst allein wahrzunehmen und über das Fahren zu dem Termin hinaus ein Hilfebedarf bestehen würde, war für die Beklagte nicht ersichtlich und wird durch den Kläger auch nicht vorgetragen.
Weitere Telefonate wegen des durch den Kläger geltend gemachten Behandlungsfehlers fanden am 3. Januar 2014 (Bl. 214 der Senatsakte) und am 25. April 2014 (Bl. 217 der Senatsakte), wegen rückständigen Krankentagegeldes am 28. Januar 2014 (Bl. 215, 216 der Senatsakte) und wegen einer Bescheinigung für das Finanzamt am 24. November 2017 (Bl. 222 der Senatsakte) statt. Am 14. April 2015 (Bl. 219 der Senatsakte) wurde dem Kläger telefonisch bestätigt, dass die Anwartschaft erhalten bleiben könne und innerhalb von zwei Monaten nach Aufnahme einer Tätigkeit wirksam werde. In keinem dieser Telefonate wird ein Hilfebedarf angesprochen oder hätte sich der Beklagten aufdrängen müssen.
Am 6. November 2013 wandte sich der Kläger wegen des Gutachtens von S1 telefonisch an die Beklagte (Bl. 212 der Senatsakte) und teilte u.a. mit, er wolle auf jeden Fall im nächsten Jahr wieder arbeiten. Es gebe Hilfsmittel, die ihm vorlesen könnten. Auch der Gesprächsnotiz über dieses Telefonat ist ein konkreter Hilfebedarf nicht zu entnehmen. Der Kläger macht vielmehr geltend, wieder arbeiten zu wollen und zu können, was eher gegen einen pflegerischen Hilfebedarf sprechen würde.
Der Kläger hat – über die Notwendigkeit eines Taxis zu Untersuchungs- und Behandlungsterminen hinaus – in keinem Gespräch über einen Pflege- oder Hilfebedarf berichtet. Für die Beklagte drängte sich daher aufgrund der geführten Telefonate nicht auf, dass ein relevanter Pflegebedarf, der die Feststellung einer Pflegestufe oder eines Pflegegrades und einen daraus resultierenden Leistungsanspruch rechtfertigen würde, besteht. Eine dementsprechende Beratungspflicht bestand daher nicht.
(bb) Hinsichtlich der durch den Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten Pflegeprotokolle des Universitätsklinikums T1 (Bl. 182 ff. der Senatsakte) kommt es nicht darauf an, ob ihnen, wie der Kläger vorträgt, ein konkreter Hilfebedarf entnommen werden kann, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Protokolle der Beklagten vor Oktober 2019 vorlagen.
(cc) Aufgrund des vorgetragenen Behandlungsfehlers lagen der Beklagten allerdings die konkreten Behandlungsunterlagen vor und wurden beratungsärztlich ausgewertet. Dies entnimmt der Senat dem Schreiben der Beklagten vom 10. Juli 2013 (Bl. 25 der Senatsakte), in dem dem Kläger unter Hinweis auf die eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme empfohlen wurde, den Fall dem Gutachterausschuss der zuständigen Bezirksärztekammer vorzulegen. Allein aus den vorliegenden Befunden und Diagnosen lässt sich ein Rückschluss auf einen Pflegebedarf nicht ableiten. Selbst das Vorliegen schwerster Erkrankungen ist nicht gleichbedeutend mit auch nur erheblicher Pflegebedürftigkeit im Sinne des Rechts der Pflegeversicherung (erreicht mit Pflegestufe 1 nach altem Recht bzw. Pflegegrad 2 nach neuem Recht) und allein aus der Tatsache, dass der Beklagten bekannt war, dass der Kläger im April 2013 eine Optikusatrophie am rechten Auge mit der Folge einer erheblichen Visusminderung erlitten hatte, konnte kein Anlass sein, das Vorliegen erheblicher Pflegebedürftigkeit im Sinne der vertraglichen Bestimmungen beim Kläger zu vermuten (vgl. hierzu nach erlittenem Schlaganfall LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Mai 2002 – L 16 P 146/00 – juris, Rn. 24; vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 24. Oktober 2007 – L 2 P 45/06 – juris, Rn. 18, wonach aus der Abrechnung von Krankenversicherungsleistungen kein konkreter Anlass zur Beratung über die Möglichkeit der Antragstellung bei der Pflegeversicherung hergeleitet werden kann). Ein Anlass für eine Beratung hinsichtlich eines Anspruchs auf Leistungen der privaten Pflegeversicherung bestand daher für die Beklagte auch nach Kenntnis der konkreten Befunde nicht.
Ein zwingender Rückschluss auf einen Hilfebedarf, der die Beklagte zu einem Hinweis auf die Möglichkeit der Beantragung von Pflegeleistungen hätte veranlassen müssen, ist auch weder der im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Krankentagegeld bei B1 vom 13. September 2013 (Bl. 18 der SG-Akte) eingeholten Auskunft noch dem Gutachten der V1 GmbH durch S1 vom 30: September 2013 (Bl. 22 der SG-Akte) zu entnehmen. Zwar wird sowohl in der Auskunft als auch in dem Gutachten die beidseits erhebliche Sehminderung angegeben, die aber für sich genommen keinen konkreten Hilfebedarf belegt. Allein aus der Feststellung der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsminderung folgt ebenfalls kein relevanter Pflegebedarf, da Maßstab die Fähigkeit ist, die letzte Berufstätigkeit oder eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist. Einschränkungen der Alltagskompetenzen sind damit nicht zwangsläufig verbunden.
(dd) Schließlich ist entgegen der Auffassung des Klägers eine Beratungspflicht hinsichtlich der Beantragung von Leistungen der privaten Pflegeversicherung auch nicht bei der Beantragung der Psychotherapie, aufgrund der Feststellung der hohen Anzahl von Versicherungsleistungen und der Anzahl an Arztterminen in einem Kalenderjahr entstanden. Unabhängig davon, dass allein die Geltendmachung von Krankenversicherungsleistungen nicht zwangsläufig einen Pflegebedarf begründen, werden sie gestaffelt gestellt. Es würde die Anforderungen an die Beratungspflicht der Beklagten überspannen, würde man ihr auferlegen, über das Jahr zu beobachten, welche Leistungen geltend gemacht werden und ob sich hieraus möglicherweise ein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung ergeben könnte, ohne dass ein konkreter Hilfebedarf seitens des Versicherten herangetragen würde.
(ee) Darüber hinaus trifft den Kläger selbst ein Verschulden an der verspäteten Antragstellung. Dem Kläger dürfte nach dem Gesamtzusammenhang bekannt gewesen sein, dass die grundsätzliche Möglichkeit bestand, Leistungen der privaten Pflegeversicherung zu beziehen. Er hätte jederzeit ohne Weiteres durch Antragstellung oder zumindest konkrete Anfrage bei der Pflegekasse ein entsprechendes Verfahren einleiten können. Im Rahmen des Erörterungstermins am 20. August 2021 hat er dezidierte Angaben zum Vertragsabschluss hinsichtlich der privaten Pflegeversicherung gemacht und angegeben, sich bewusst für den Tarif im Umfang gesetzlicher Leistungen und nicht einen Tarif mit übergesetzlichen Leistungen gewählt zu haben (vgl. Protokoll, Bl. 96 der Senatsakte). Er hat nach seinen eigenen Angaben nur nicht daran gedacht, Leistungen der privaten Pflegeversicherung in Anspruch zu nehmen (a.a.O.). Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger, der zuletzt als Diplom-Ingenieur tätig war, in der Lage gewesen wäre, seine Ansprüche zu erkennen und durchzusetzen.
(2) Der Kläger kann einen Anspruch auf Leistungen vor dem 1. Oktober 2019 auch nicht darauf stützen, dass das behandelnde Krankenhaus im Jahr 2013 seine Benachrichtigungspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB XI verletzt habe und er deswegen erst sechs Jahre später einen Leistungsantrag gestellt hat.
Eine der Beklagten im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bzw. nach Treu und Glauben zuzurechnende Verletzung sozialrechtlicher Informations- und Beratungspflichten (zur Zurechnung vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2021 – B 3 P 5/19 R – juris, Rn. 19 ff.) liegt hier nicht vor.
Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB XI (§ 7 SGB XI i.d.F. des Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung – Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG vom 23. Oktober 2012, BGBl I 2246) haben mit Einwilligung des Versicherten der behandelnde Arzt, das Krankenhaus, die Rehabilitations- und Vorsorgeeinrichtungen sowie die Sozialleistungsträger unverzüglich die zuständige Pflegekasse zu benachrichtigen, wenn sich der Eintritt von Pflegebedürftigkeit abzeichnet oder wenn Pflegebedürftigkeit festgestellt wird.
Diese Benachrichtigungspflicht mit Einwilligung des Versicherten erfordert zunächst dessen Aufklärung und Beratung durch den Verpflichteten über die Möglichkeit einer Benachrichtigung der Pflegekasse und die hierfür erforderliche Einwilligung. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht setzt kein entsprechendes Beratungsbegehren des Versicherten voraus, sondern entsteht als Pflicht zur Spontanberatung u.a. dann, wenn sich der Eintritt von Pflegebedürftigkeit abzeichnet (zur mit der Benachrichtigungspflicht vorausgesetzten Aufklärungs- und Beratungspflicht gegenüber dem Versicherten LSG Berlin-Brandenburg vom 23. September 2010 - L 27 P 5/09 - juris Rn. 30; Luik in: Hauck/Noftz, SGB XI, 117. EL Dezember 2022, § 7 Rn. 6 ff.). Die Beratungsleistungen eines Krankenhauses haben sich im Zusammenhang mit dessen Informations- und Beratungspflichten im Rahmen des Versorgungs- und Entlassmanagements auf alle Folgen zu erstrecken, die - hier bezogen auf einen etwaigen Pflegebedarf - nach Entlassung des Versicherten bei Behandlungsabschluss als möglich erscheinen können. Die Beratung muss auch solche nicht fernliegenden Komplikationen einbeziehen, die mit der jeweiligen Behandlung typischerweise einhergehen können und auf die Versicherte und Angehörige (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB XI) deshalb vorbereitet sein sollten (BSG, Urteil vom 17. Juni 2021 – B 3 P 5/19 R – juris, Rn. 15).
Für die Verpflichtung zur Aufklärung und Beratung hierüber kommt es nach dem Schutzzweck der Norm nur darauf an, ob ein sich abzeichnender Eintritt von Pflegebedürftigkeit des Klägers als eine objektiv nicht untypische Folge (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 16) der Operation am Auge des Klägers für das Krankenhaus als Adressat der Benachrichtigungspflicht des § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB XI aufgrund der konkreten Behandlungssituation im April 2013 objektiv erkennbar war.
Zur Überzeugung des Senats zeichnete sich eine entsprechende Pflegebedürftigkeit des Klägers nicht ab. Dies entnimmt der Senat zunächst dem Anamnesebogen des Universitätsklinikums T1 vom 6. April 2013 (Bl. 182 der Senatsakte), in dem Selbstversorgung/Ernährung, Aktivität und Bewegung I (Lagewechsel, Positionswechsel und Fortbewegen), Aktivität und Bewegung II (Selbstversorgung Körperpflege) und Selbstversorgung Ausscheidung jeweils als selbstständig angegeben werden. Ein relevanter Pflegebedarf geht auch aus dem Pflegebogen des Universitätsklinikums T1 (Bl. 183 ff. der Senatsakte) nicht hervor. Über die Verabreichung von Augengel durch die Pflege oder die Ehefrau und die einmalige Vorbereitung des Essens durch die Ehefrau ist kein konkreter Hilfebedarf dokumentiert. Der Kläger wird als mobil beschrieben, ging auf dem Flur umher und war in Begleitung der Ehefrau in der Stadt. Eine konkrete Einschränkung der Alltagskompetenzen und ein sich abzeichnender Eintritt von Pflegebedürftigkeit ist der Pflegedokumentation nicht zu entnehmen. Zwar wurde, wie der entsprechenden Dokumentation vom 16. April 2013 (Bl. 135 der Senatsakte) zu entnehmen ist, auch durch die Sozialberatung nicht auf einen möglichen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung hingewiesen, ein konkreter Anlass bestand hierfür aber, wie dargelegt, nicht.
(3) Entgegen der Auffassung des Klägers ist ein Leistungsantrag für Zeiträume ab dem 1. Januar 2017 auch nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. Februar 2022 – B 3 P 6/20 R – juris) nicht entbehrlich; Pflegeleistungen können auf eine beim Übergang zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff noch anhängige Klagen ohne erneuten Leistungsanatrag zuzuerkennen sein, wenn die dazu berechtigende Pflegebedürftigkeit erst nach Inkrafttreten des neuen Rechts eingetreten ist. Ein einmaliger Antrag auf Pflegeleistungen ist aber auch nach dieser Entscheidung erforderlich.
c) Mangels Anspruch in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.