S 223 KR 868/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 223 KR 868/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zum Vorlageverlangen der Krankenkasse nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V
2. Die Dreijahresfrist nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V ist keine Ausschlussfrist i.S.d. § 27 Abs. 5 SGB X.

Bemerkung

ENTWURF

Sozialgericht Berlin

 

 

S 223 KR 868/22

Bild entfernt.

verkündet am
12. Juli 2023

 

 

 

 

---, Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

         ,
 

 

- Klägerin -

gegen

1.      Techniker Krankenkasse,
- Hauptverwaltung - 

Bramfelder Str. 140, 22305 Hamburg,
 

2.      Techniker Krankenkasse Pflegekasse,  

Bramfelder Str. 140, 22305 Hamburg,
 

- Beklagte -

 

 

hat die 223. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 12. Juli 2023 durch die Richterin am Sozialgericht Frau… sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn …und die ehrenamtliche Richterin Frau … für Recht erkannt:

 

Der Bescheid vom 29.01.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2022 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte zu 1) die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 20.03.2018 bis zum 08.10.2018 unter Zugrundelegung eines die Mindestbemessungsgrundlage für das Jahr 2018 übersteigenden Einkommens festgesetzt und für diesen Zeitraum Beiträge i.H.v. 3.446,53 Euro nachgefordert hat.

 

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Höhe der endgültigen Festsetzung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 20.03.2018 bis zum 08.10.2018 und um eine Nachforderung von Beiträgen für diesen Zeitraum i.H.v. 3.446,53 Euro.

Die Klägerin machte sich zum 20.03.2023 selbstständig. Nachdem sie Unterlagen und Erklärungen zu ihren Einkünften vorgelegt hatte, setzte die Beklagte zu 1) mit Bescheid vom 02.05.2023 die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung – auch im Namen der Beklagten zu 2) – vorläufig wie folgt fest: 03/2018 bis 05/2018 insgesamt 702,72 Euro, ab 6/2018 292,80 Euro monatlich. Der Berechnung der Beiträge legte die Beklagte zu 1) ein Einkommen i.H.v. 1.600 Euro zugrunde. Der Bescheid enthielt zudem folgende Passage: Wichtig: Die Beiträge haben wir vorläufig festgesetzt. Sobald wir Ihren Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Jahr erhalten, berechnen wir Ihre Beiträge anhand Ihres tatsächlichen Einkommens neu – rückwirkend für das entsprechende Jahr. Waren die vorläufigen Beiträge zu hoch, erstatten wir Ihnen die Differenz; waren sie zu niedrig, müssen wir die Differenz nachfordern. Bitte senden Sie uns daher eine Kopie Ihres vollständigen Bescheides zu, sobald Sie ihn erhalten haben. Sollten Sie bereits vorher feststellen, dass sich Ihr Einkommen oder das Einkommen Ihres Partners oder Ihrer Partnerin ändert, informieren Sie uns bitte – wir klären dann gern, ob wir Ihre Beiträge anpassen können“.

Zum 09.10.2018 nahm die Klägerin eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf. Mit Bescheid vom 29.10.2018 teilte die Beklagte zu 1) der Klägerin mit, dass sie die Beiträge bis zum 08.10.2018 direkt an die Beklagte zu 1) zu zahlen habe und berechnete den anteiligen Beitrag für den Monat Oktober 2018.

Mit Schreiben vom 11.11.2021 wies die Beklagte zu 1) die Klägerin darauf hin, dass die Beiträge für das Jahr 2018 bislang nur vorläufig berechnet worden seien. Weiter hieß es in dem Schreiben wörtlich: „Damit wir Ihre endgültigen Beiträge berechnen können, brauchen wir noch eine Kopie aller Seiten Ihres Einkommensteuer-Bescheids für 2018. Bitte geben Sie darauf das Geschäftszeichen … an. Vielen Dank. Sie können übrigens alle Daten schwärzen, die nicht Ihr Einkommen betreffen. Antworten Sie uns bitte so schnell wie möglich, damit Ihnen keine finanziellen Nachteile entstehen. Haben Sie uns den Bescheid bereits geschickt? Dann brauchen Sie nichts weiter zu tun“.

Nachdem die Klägerin auf das Schreiben nicht reagierte, wandte sich die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 13.12.2021 erneut an die Klägerin und führte wörtlich aus: „[…] damit wir Ihre endgültigen Beiträge für das Jahr 2018 berechnen können, brauchen wir Ihre Angaben zum Einkommen. Leider fehlt uns noch Ihre Antwort. Bitte schicken Sie uns eine Kopie aller Seiten Ihres Einkommensteuer-Bescheids für 2018. Wir brauchen Ihre vollständigen Unterlagen bis zum 31. Dezember 2021. Ansonsten müssen wir Ihre monatlichen Beiträge anhand der geltenden Beitrags-Bemessungsgrenze 2018 in Höhe von 4.425 EUR endgültig festsetzen. Ist Ihr Einkommen tatsächlich geringer, können wir das nicht rückwirkend berücksichtigen. Haben Sie schon geantwortet? Dann brauchen Sie natürlich nichts weiter zu tun“.

Mit Bescheid vom 29.01.2023 setzte die Beklagte zu 1) die Beiträge – auch im Namen der Beklagten zu 2) – für das Jahr 2018 endgültig fest und forderte von der Klägerin für den Zeitraum 3/2018 bis 10/2018 einen Betrag i.H.v. 3.446,53 Euro. Um die Beiträge der Klägerin vom 20.03.2018 bis zum 08.10.2018 korrekt berechnen zu können, sei die Klägerin zuletzt mehrfach angeschrieben und gebeten worden, ihren Einkommensteuerbescheid einzureichen. Leider lägen der Beklagten zu 1) bis heute keine Unterlagen vor. Deshalb sei sie gesetzlich dazu verpflichtet, die Beiträge auf Basis der geltenden Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen. Der Berechnung erläuterte die Beklagte zu 1) wie folgt:

 

berücksichtigtes Einkommen

Beitragssatz

Monatsbeitrag

Krankenversicherung

4.425,00 Euro

14,6 %

646,05 Euro

Zusatzbeitrag

4.425,00 Euro

0,9 %

39,38 Euro

Pflegeversicherung

4.425 Euro

2,8 %

123,90 Euro

Monatlicher Gesamtbetrag:      809,78 Euro

 

Auf dieser Grundlage berechnete die Beklagte zu 1) den Beitrag für den Teilmonat März i.H.v.  323,91 Euro (o.g. Monatsbeitrag /30 x 12) und für den Teilmonat Oktober i.H.v. 215,94 Euro (o.g. Monatsbeitrag /30 x 8). Daraus errechnen sich Beiträge für den streitgegenständlichen Zeitraum i.H.v. insgesamt 5.398,53 Euro. Abzüglich der bereits bezahlten vorläufig festgesetzten Beiträge ergibt sich damit ein Nachzahlungsbetrag i.H.v. 3.446,53 Euro.

Die Klägerin rief daraufhin bei der Beklagten zu 1) an und teilte mit, dass sie den Einkommenssteuerbescheid noch vor Weihnachten in den Briefkasten geworfen habe. Es wurde ihr daraufhin geraten, den Bescheid nochmals per Mail zu übersenden. Am 14.02.2022 übersandt die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2018 vom 02.01.2020. Daraus ergaben sich Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. insgesamt 7.000 Euro.

Mit Schreiben vom 16.02.2022 wies die Beklagte zu 1) die Klägerin darauf hin, dass sie mit Schreiben vom 11.11.2022 gebeten worden sei, den Einkommenssteuerbescheid für 2018 einzureichen. Die vollständigen Unterlagen könnten nur berücksichtigt werden, wenn sie bis zum 31.12.2021 eingereicht worden seien. Darüber habe die Beklagte zu 1) die Klägerin mit Schreiben vom 13.12.2021 informiert. Die Unterlagen seien nicht innerhalb der Frist eingegangen. Die Beklagte zu 1) sei deshalb verpflichtet, die Beiträge auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze zu berechnen. Der Einkommenssteuerbescheid für 2018 könne deshalb nicht mehr berücksichtigt werden.

Mit Schreiben vom 20.02.2022 teilte die Klägerin mit, dass sie nach dem Schreiben vom 13.12.2020 die Kopie ihres Einkommenssteuerbescheids aus dem Jahr 2018 am 19.12.2020 vor Zeugen in Berlin an die Zentrale in Hamburg per Post abgeschickt habe. Nach Erhalt des Bescheides zur Festsetzung des geschätzten Einkommens aufgrund fehlender Dokumente, habe sie sich umgehend an die telefonische Kundenbetreuung gewandt, wo ihr versichert worden sei, dass sie unter diesen Umständen ihre Einkommenssteuerbescheinigung per E-Mail erneut einreichen könne, was sie unmittelbar nach dem Telefonat getan habe. Durch ihr geringes Einkommen im Jahr 2018 und ihren derzeitigen Lohn sei die Forderung unverhältnismäßig hoch. Sie bitte die Beklagte zu 1) darum, den Beitrag nach dem tatsächlichen Einkommen zu berechnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2022 wies die Beklagte zu 1) – auch im Namen der Beklagten zu 2) – den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei auf die Erforderlichkeit der Einreichung des Einkommensteuerbescheids 2018 innerhalb der im Gesetz vorgesehen Drei-Jahres-Frist für die endgültige Beitragsbemessung hingewiesen worden. Für das Jahr 2018 seien die Beiträge endgültig anhand der Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen, da die Klägerin auf Anforderung den Einkommensteuerbescheid für 2018 nicht bis zum 31.12.2021 vorgelegt habe. Auch soweit die Klägerin vortrage, den Steuerbescheid für 2018 im Dezember 2021 eingereicht zu haben, könne dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Für den Posteingang trage die Klägerin die Beweislast.

Am 23.05.2022 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen im Widerspruch.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 29.01.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2022 insoweit aufzuheben, als die Beklagte zu 1) die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 20.03.2018 bis zum 08.10.2018 unter Zugrundelegung eines die Mindestbemessungsgrundlage für das Jahr 2018 übersteigenden Einkommens festgesetzt und für diesen Zeitraum Beiträge i.H.v. 3.446,53 Euro nachgefordert hat.

Die Beklagten beantragen,

            die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus: Im Schreiben vom 13.12.2021 sei die Klägerin hinreichend klar auf die Rechtsfolge der nicht rechtzeitigen Übersendung des Steuerbescheides hingewiesen worden. Die Beklagte zu 1) habe hier zum einen über die zwingend einzuhaltende Frist informiert und zum anderen auch zum Ausdruck gebracht, dass es nach Ablauf der Frist auf das tatsächliche Einkommen nicht mehr ankomme. Das Schreiben erfülle damit unzweifelhaft die in § 240 Abs. 4a Satz 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geforderte Warnfunktion, wonach der Versicherte erkennen können solle, dass jetzt die Festsetzung des Höchstbeitrags drohe. Zudem habe die Klägerin vor der endgültigen Festsetzung die Obliegenheit, der Beklagten durch Vorlage des Steuerbescheides, der der Klägerin seit Januar 2020 vorgelegen habe, ihr Einkommen nachzuweisen. Auf dieses Verfahren sei die Klägerin in den vorläufigen Bescheiden vom 02.05.2018 und 29.10.2018 für den Zeitraum vom 20.03.2018 bis zum 08.10.2018 ausdrücklich hingewiesen worden.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsniederschrift, die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige (Teil-)Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) ist begründet. Der Bescheid vom 29.01.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.04.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Beklagte zu 1) hat bei der endgültigen Festsetzung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung im streitgegenständlichen Zeitraum vom 20.03.2018 bis zum 08.10.2018 – auch im Namen der Beklagten zu 2) – zu Unrecht als Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze i.H.v. 4.425,00 Euro zugrunde gelegt. Zwar sind die Voraussetzungen des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V vorliegend erfüllt (vgl. hierzu unter 1.). Jedoch war der Klägerin hinsichtlich der Dreijahresfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu gewähren (vgl. hierzu unter 2.). Unter Berücksichtigung des Einkommenssteuerbescheids für 2018 waren die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung unter Zugrundelegung der Mindestbemessungsgrundlage endgültig festzusetzen (vgl. hierzu unter 3.).

1.) Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder einheitlich durch den Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen geregelt. § 57 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) bestimmt, dass bei freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung und Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, die Regelung des § 240 SGB V für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung entsprechend anzuwenden ist. Dabei gilt für freiwillige Mitglieder nach § 240 Abs. 4a Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) (vom 04.04.2017 (BGBl. I S. 778) ab 01.01.2018, dass „die nach dem Arbeitseinkommen zu bemessenden Beiträge auf der Grundlage des zuletzt erlassenen Einkommenssteuerbescheides vorläufig festgesetzt werden“. Die danach vorläufig festgesetzten Beiträge werden gemäß § 240 Abs. 4a Satz 3 SGB V auf Grundlage der tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen für das jeweilige Kalenderjahr nach Vorlage des jeweiligen Einkommenssteuerbescheides endgültig festgesetzt. Weiter wird in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V für den Fall, dass „das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nachweist“, bestimmt, dass „für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze gilt“, dass dann also die Höchstbeiträge festzusetzen sind.

Die Vorschrift des § 240 Abs. 1 Satz 3, Satz 4 SGB V in der Fassung des GKV-Versichertenentlastungsgesetz vom 11.12.2018 (BGBl. I 2018, S. 2387), die für bestimmte freiwillig Versicherte eine rückwirkende Korrektur der Beitragsfestsetzung nach dem Höchstbeitrag ermöglicht, ist auf den Personenkreis der hauptberuflich Selbständigen nicht anwendbar; für diese trifft § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V eine eigene Regelung (vgl. u.a. Hessisches LSG, Urteil vom 28. Juli 2022 – L 8 KR 522/21 –, juris).

a.) Vorliegend wurden im Fall der Klägerin die Beträge mit Bescheid vom 02.05.2018 vorläufig festgesetzt. Zumindest das Schreiben der Beklagten zu 1) vom 13.12.2018 erfüllt nach Auffassung der Kammer die Anforderungen, die an ein „Verlangen“ von Seiten der Krankenkasse zu stellen sind. Welche Anforderungen das Vorlageverlangen der Krankenkasse erfüllen muss, definiert das Gesetz nicht näher. Die Gesetzesbegründung misst dem Verlangen der Krankenkasse keine eigenständige Bedeutung bei (BT-Drucks. 18/11205, S. 73). Semantisch wird der Begriff Verlangen mit einem ausdrücklichen Wunsch, einer nachdrücklich geäußerten Bitte oder einer Forderung umschrieben; er weist damit auf Handlungspflichten beim Adressaten des Verlangens und nicht auf Sorgfaltspflichten beim Verlangenden hin. Anders als z.B. in § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 3 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) sieht § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V nicht ausdrücklich vor, dass die Versicherten in dem Vorlageverlangen auch auf die Rechtsfolgen hinzuweisen sind. Dabei verkennt die Kammer jedoch nicht, dass das Vorlageverlangen auch dahingehend verstanden werden kann, dass ihm eine Warnfunktion zukommt (so Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 240 SGB V (Stand: 18.04.2023), Rn. 72). Angesichts der weitreichenden Folgen, die die nicht rechtzeitige Übersendung des Einkommenssteuerbescheides für die Beteiligten hat, ist es nach Auffassung der Kammer unabdingbar, dass die Versicherten zumindest auf die ablaufende Dreijahresfrist hingewiesen werden (vgl. insoweit auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 4. April 2023 – L 5 KR 76/22 B ER –, Rn. 28 ff. juris). Die bloße formelhafte Aufforderung, den Einkommenssteuerbescheid für die endgültige Beitragsfestsetzung zu übersenden, genügt nicht.

Vor diesem Hintergrund entspricht das Schreiben der Beklagten zu 1) vom 11.11.2021 nicht den Anforderungen an das Vorlageverlangen des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V. Dort weist die Beklagte zu 1) nur darauf hin, dass für die endgültige Berechnung der Beiträge eine Kopie aller Seiten des Einkommensteuerbescheids für 2018 erforderlich ist und bittet darum, die Klägerin möge so schnell wie möglich antworten, damit ihr „keine finanziellen Nachteile“ entstünden. Es erschließt sich der Kammer nicht, aus welchem Grund dieses Schreiben derart vage gehalten wurde. Im darauffolgenden Schreiben vom 13.12.2021 wird die Beklagte zu 1) hingegen deutlich: „Wir brauchen Ihre vollständigen Unterlagen bis zum 31. Dezember 2021. Ansonsten müssen wir Ihre monatlichen Beiträge anhand der geltenden Beitrags-Bemessungsgrenze 2018 in Höhe von 4.425 EUR endgültig festsetzen. Ist Ihr Einkommen tatsächlich geringer, können wir das nicht rückwirkend berücksichtigen“. Mit diesem Schreiben erfolgte eine insoweit umfassende Information der Klägerin, welche Konsequenzen eine spätere Einreichung des Einkommenssteuerbescheides nach sich ziehen kann. Zwar wäre es wünschenswert, wenn die Beklagte zu 1) weiter erläutert hätte, dass die Festsetzung anhand der Beitragsbemessungsgrenze bedeutet, dass also Höchstbeiträge festgesetzt werden. Jedoch war es nach Auffassung der Kammer aus dem bezeichneten Wert der Beitragsbemessungsgrenze für die Klägerin angesichts ihres äußerst geringfügigen Jahreseinkommens im Jahr 2018 aus selbstständiger Tätigkeit ohne Weiteres erkennbar, dass es im Falle der fiktiv endgültigen Festsetzung von Beiträgen zu erheblichen Nachforderungen kommen würde (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 4. April 2023 – L 5 KR 76/22 B ER –, Rn. 28 ff. juris). Dies bestätigt sich letztlich auch im vorliegenden Fall, denn die Klägerin fühlte sich aufgrund des Schreibens vom 13.12.2021 nach ihren Auffassungen bemüßigt, den Einkommenssteuerbescheid umgehend zur Post zu geben.

b.) Nach Auffassung der Kammer ist die verbleibende Frist von ca. zwei Wochen zwischen dem Schreiben der Beklagten zu 1) vom 13.12.2021 und dem Ablauf der Frist am 31.12.2021 auch nicht zu knapp bemessen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass von der Klägerin keine sehr aufwändige Handlung abverlangt wurde. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2018 datiert vom 01.01.2020, lag der Klägerin also schon eine Weil vor. Sie musste den Bescheid nur noch kopieren und an die Beklagte zu 1) übersenden. Zum anderen wurde die Klägerin bereits im Bescheid der vorläufigen Beitragsfestsetzung und im November 2021 zur Vorlage des Einkommenssteuerbescheids aufgefordert. Es wäre der Klägerin ohne Weiteres möglich gewesen, den Einkommenssteuerbescheid schon früher zu übersenden. Von dem Verlangen im Schreiben vom 13.12.2021 wurde sie deshalb nicht überrascht. Wie mit der Fallkonstellation umzugehen ist, in der den Versicherten der Einkommenssteuerbescheid noch nicht vorliegt, ist hier nicht zu entscheiden.

c.) Zutreffend weisen die Beklagten darauf hin, dass es im Verantwortungsbereich der Klägerin lag, dass der Einkommenssteuerbescheid rechtzeitig bei der Beklagten zu 1) einging. Vorliegend erhielt die Beklagte zu 1) den Einkommenssteuerbescheid erst am 14.02.2022, also nach Ablauf der Dreijahresfrist nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V. Nach Maßgabe des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V waren die Beiträge entsprechend anhand der Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2018 endgültig festzusetzen.

2.) Der Klägerin war hier jedoch hinsichtlich der Dreijahresfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert eine, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

a.) Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der Dreijahresfrist nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V nicht um eine Ausschlussfrist, bezüglich der eine Wiedereinsetzung nicht möglich ist (§ 27 Abs. 5 SGB X).

Zwar wird vertreten, dass es sich bei § 420 Abs. 4a Satz 4 SGB V um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt, bei deren Verstreichen die Krankenkasse daran gehindert ist, eine einkommensgerechte Beitragsbemessung vorzunehmen (vgl. z.B. SG Halle (Saale), Beschluss vom 7. November 2022 – S 25 KR 241/22 ER –, Rn. 17, juris). Dies lässt sich auch der einschlägigen Kommentarliteratur vielfach entnehmen (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 240 SGB V (Stand: 18.04.2023), Rn. 72: „Dabei bilden die drei Jahre die absolute Grenze, eine Regelung zum nachträglichen Nachweis wie in Absatz 1 Satz 3 und auch eine Änderung der endgültigen Beitragsfestsetzung wegen Kenntnis der Krankenkasse vom Unterschreiten der Mindestbeitragsbemessungsgrenze sieht Absatz 4a nicht vor.“; ebenso die „absolute Grenze“ betonend: Schmidt in: Orlowski/Remmert, GKV-Kommentar SGB V, § 240 Beitragspflichtige Einnahmen freiwilliger Mitglieder, Rn. 79; vgl. auch BeckOK SozR/Ulmer, 68. Ed. 1.3.2023, SGB V § 240 Rn. 33: „Soweit aber keine Verfahrensfehler der Krankenkasse feststellbar sind und der Versicherte die verspätete Vorlage des Steuerbescheides zu vertreten hat, ist er mit allen Nachweisen präkludiert“ und schließlich vgl. auch Becker/Kingreen/Mecke, 8. Aufl. 2022, SGB V § 240 Rn. 26: „Weist ein Mitglied trotz Verlangens der KK das tatsächliche Einkommen nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahrs nach, so sind – ohne Möglichkeit der nachträglichen Änderung entsprechend Abs. 1 S. 5 – endgültige (Höchst-)Beiträge nach der BBG festzusetzen“).

Die Kammer folgt dieser Auffassung – die dafür, dass es sich bei § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V um eine Ausschlussfrist handelt, auch keine Begründung anführt – jedoch nicht (vgl. auch SG Stralsund, Urteil vom 21. April 2023 – S 3 KR 79/22 –, Rn. 45, juris). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Fristenregelung ausdrücklich den Ausschluss der Wiedereinsetzung mit Wortlaut nennt. Auch dann, wenn sich durch Auslegung einer Vorschrift zeigt, dass es sich um eine materiell-rechtliche absolute Ausschlussfrist handelt, greift § 27 Abs. 5 SGB X. Dies ist dann der Fall, wenn sich aus dem Wesen der Frist ergibt, dass Ziel und Zweck der jeweiligen Fristbestimmung und der ihr zugrunde liegenden Interessenabwägung der Ausschluss der Wiedereinsetzung ist. Hierbei sind das öffentlich-rechtliche Interesse an der Einhaltung der Frist einerseits sowie das Interesse des Einzelnen, bei Fristversäumung keinen Rechtsnachteil zu erleiden, andererseits miteinander abzuwägen. Eine absolute Ausschlussfrist ist dann zu bejahen, wenn nach Sinn und Zweck der die Frist enthaltenden Norm die gesetzliche Regelung mit der Frist steht oder fällt (Franz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 27 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 49, m.w.N.).

Dies ist z.B. nach der Rechtsprechung des BSG bei der Regelung in § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V (Ruhen des Krankengeldanspruches bei verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit) der Fall (BSG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – B 3 KR 5/19 R –, Rn. 24, juris, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 28. Oktober 1981 – 3 RK 59/80 –, juris). Dies ist auch nachvollziehbar. Mit der Ruhensregelung wird der Zweck verfolgt, es der Krankenkasse zu ermöglichen, die Arbeitsunfähigkeit der Versicherten rechtzeitig prüfen zu lassen, um einerseits begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen, andererseits den Heilerfolg durch Einleitung von Maßnahmen für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu sichern (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 28. Oktober 1981 – 3 RK 59/80 –, Rn. 5, juris). Je später die Krankenkasse Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit erhält, desto schwieriger wird es, diese – dann ggf. lange zurückliegend – zu überprüfen. Dagegen wird in der Rechtsprechung z.B. davon ausgegangen, dass die Anzeigefrist hinsichtlich des Beitritts zur freiwilligen Krankenversicherung nach § 9 Abs. 2 SGB V keine Ausschlussfrist i.S.d. § 27 Abs. 5 SGB X ist (BSG, Urteil vom 14. Mai 2002 – B 12 KR 14/01 R –, Rn. 19). Auch dies ist wiederum nachvollziehbar, da die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der freiwilligen Mitgliedschaft ohne nennenswerte Einschränkungen auch noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann.

Ebenso ist hinsichtlich der Frist in § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V kein Sinn und Zweck ersichtlich, wonach die gesetzliche Regelung mit der Frist „steht oder fällt“. Zwar bestimmt die Regelung des § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V dem Grunde nach sowohl den Beginn der Frist („nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres“, d.h. des Jahres, für das die Beiträge bemessen werden sollen) als auch Dauer und Ende der Dreijahresfrist („drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres“). Zutreffend hat das SG Stralsund in diesem Zusammenhang aber ausgeführt: „Der zeitliche Ablauf der Dreijahresfrist führt jedoch für sich genommen noch nicht zu den vorgenannten Rechtsnachteilen für das Mitglied in Form der fiktiven (arg.: „gilt“) Zugrundelegung der BBG, sondern ist nach dem Gesetzeswortlaut im Sinne eines kumulativen Tatbestandsmerkmals zusätzlich von einem auf die Vorlage des Einkommenssteuerbescheides gerichteten „Verlangen der Krankenkasse“ abhängig. Dieses Erfordernis konkretisiert in Ergänzung der ansonsten bestehenden Amtsermittlungspflicht der Krankenkassen zur Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahmen die allgemein nach § 206 SGB V bestehende Auskunfts- und Mitteilungspflichten des Mitglieds zur Vorlage des für die endgültige Beitragsfestsetzung erforderlichen Einkommenssteuerbescheides“ (SG Stralsund, Urteil vom 21. April 2023 – S 3 KR 79/22 –, Rn. 46, juris).

Mit Blick auf die gebotene Abwägung des öffentlich-rechtlichen Interesses an der Einhaltung der Frist einerseits sowie des Interesses des Einzelnen, bei Fristversäumung keinen Rechtsnachteil zu erleiden, ergibt sich nichts anderes. Nach der Gesetzesbegründung zu der Neuregelung in § 240 Abs. 4 und Abs. 4a SGB V soll durch diese sichergestellt werden, „dass das bei freiwillig versicherten Mitgliedern in der gesetzlichen Krankenversicherung der Beitragsbemessung zugrunde zu legende Arbeitseinkommen sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung den tatsächlich im jeweiligen Kalenderjahr erzielten beitragspflichtigen Einnahmen entsprechen und Einnahmeschwankungen vollständig berücksichtigt werden. Zukünftig soll die Beitragsbemessung weder durch die Bearbeitungszeiten bei der zuständigen Finanzbehörde noch durch eine verzögerte Abgabe von Einkommensteuererklärungen beeinflussbar“ sein (BT-Drucks. 18/11205, S. 73). Die Kammer schließt sich auch hier den Ausführungen des SG Stralsund an, wonach die „verwaltungseffizient ausgestalteten Regelungen“ einen praktikablen Versuch darstellen, einerseits die tatsächlichen Einnahmen zur Beitragsbemessung heranzuziehen und andererseits Verzögerungen der Beitragsfestsetzung durch verspätete Einreichung von Steuererklärungen sowie durch verlängerte Bearbeitungszeiten bei den Finanzbehörden zu minimieren. Mit der Regelung wird sichergestellt, dass die Krankenkassen trotz einer Säumnis des Mitglieds in die Lage versetzt werden, nach Ablauf der Dreijahresfrist und einer hierauf bezogenen vorherigen Aufforderung zeitnah einen endgültigen Beitragsbescheid zu erlassen (SG Stralsund, Urteil vom 21. April 2023 – S 3 KR 79/22 –, Rn. 49, juris). Dem steht eine Wiedereinsetzung jedoch nicht entgegen, zumal auch diese zeitlichen Begrenzungen unterliegt. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Neuregelung von einem „Sanktionierungsinstrument“ spricht, welches der Krankenkasse zur Verfügung gestellt wird „sofern das Mitglied seinen Mitwirkungspflichten nach § 206 SGB V nicht nachkommt“ (BT-Drucks. 18/11205, S. 72). Denn die Wiedereinsetzung wird nur dann gewährt, wenn die Fristversäumung „ohne Verschulden“ erfolgt ist. Liegt kein Verschulden vor, ergibt sich insoweit auch kein Sanktionierungsbedürfnis.

Anders als das SG Stralsund in der o.g. Entscheidung zieht die Kammer aus den obigen Ausführungen aber nicht den Schluss, dass das Nachreichen des Einkommenssteuerbescheids ohne weitere Voraussetzungen bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids möglich ist. Auch wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 5 SGB X nicht erfüllt sind, handelt es sich bei § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V um eine materiell-rechtliche Frist, an die sowohl die Versicherten als auch die Krankenkassen gebunden sind. Für Fristversäumnisse steht das Instrument der Wiedereinsetzung zur Verfügung, das auch vorliegend zu einem angemessenen Ausgleich des Interesses der Krankenkasse an einer zeitnahen endgültigen Beitragsfestsetzung und dem Interesse der Versicherten, an einer „gerechten“ – ihrem Einkommen entsprechenden – Beitragsfestsetzung führt.

b.) Die Voraussetzungen der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 27 Abs. 1 SGB X sind vorliegend erfüllt. Zwar hat die Klägerin keinen expliziten Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Es genügt jedoch, wenn aus dem zum Ausdruck gebrachten Begehr deutlich wird, dass die Frist unverschuldet versäumt wurde und sinngemäß Wiedereinsetzung gewollt ist. Dies lässt sich ohne Weiteres dem Schreiben der Klägerin an die Beklagte zu 1) vom 14.02.2022 entnehmen, mit welchem sie den Einkommenssteuerbescheid übersendet, der „wohl auf dem Postweg vor Weihnachten nicht bei Ihnen eingetroffen ist“. Nach Auffassung der Kammer kann sowohl dem vorherigen Anruf der Klägerin bei der Beklagten zu 21) als auch diesem Schreiben entnommen werden, dass es der Klägerin darum ging, trotz der Versäumung der Frist noch ihren Einkommenssteuerbescheid bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigen.

Die Klägerin hat die Frist nach § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V ohne Verschulden nicht eingehalten. Verschulden liegt nicht vor, wenn die Beteiligten nach ihren Umständen und Kenntnissen (subjektiver Maßstab) die Sorgfalt beachtet habe, die gewissenhaft Handelnden nach den Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. Es dürfen insoweit keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden (vgl. u.a. Mutschler in: BeckOGK, 1.3.2020, SGB X § 27 Rn. 7 m.w.N.). Vorliegend erfolgte die Versäumung der Frist, weil der per Post übersandte Einkommenssteuerbescheid nicht bei der Beklagten zu 1) eintraf. Zwar liegt es – dies betont die Kammer an dieser Stelle nochmals ausdrücklich – grundsätzlich im Verantwortungsbereich der Versicherten, dass der Einkommenssteuerbescheid nicht nur zur Post aufgegeben wird, sondern, dass er auch bei der Krankenkasse ankommt. Vorliegend hat die Klägerin nach ihrem glaubhaften Vortrag nach Erhalt des Schreibens der Beklagten zu 1) vom 13.12.2021, in dem sie erstmalig auf die ablaufende Dreijahresfrist am 31.12.2021 hingewiesen wurde, in Anwesenheit ihres Freundes den Einkommenssteuerbescheid am 19.12.2021 in den Briefkasten geworfen. Insbesondere nach dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Kopie des Einkommenssteuerbescheides auf diese Weise abgesandt wurde. Trotz der Weihnachtszeit und der Corona-Pandemie durfte die Klägerin davon ausgehen, dass der Brief innerhalb von 10 Tagen bei der Beklagten zu 1) ankommt. Die regelmäßigen Postlaufzeiten verlängern die Frist nicht, Schriftstücke müssen zur Fristwahrung vielmehr innerhalb der Frist zugehen. Beteiligte dürfen allerdings auf die regelmäßige Postlaufzeit vertrauen (BVerfG/Kammer v. 29.12.1994 – 2 BvR 106/93 – NJW1995, 1210; BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 – IX ZB 73/10 –, Rn. 15, juris). Zwar konnte die Klägerin nach Auffassung der Kammer aufgrund der hohen Krankenstände bei der Post – bedingt durch die Corona-Pandemie – und aufgrund der Vorweihnachtszeit nicht davon ausgehen, dass ihr Schreiben schon am nächsten Tag bei der Beklagten zu 1) eingehen würde. Zum einen darf aber nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Wiedereinsetzung nicht differenziert werden, ob Verzögerungen bei der Post auf eine zeitweise besonders starke Beanspruchung der Leistungsfähigkeit der Post – etwa vor Feiertagen – zurückzuführen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Dezember 1994 – 2 BvR 106/93 –, Rn. 15, juris; nach der Entscheidung darf jedoch bei einem angekündigten und durch die Medien öffentlich gemachten Poststreik nicht auf die Einhaltung der üblichen Postlaufzeiten vertraut werden). Zum anderen konnte die Klägerin innerhalb der 12. Tage, die ihr bis zum Fristablauf verblieben, nach Auffassung der Kammer davon ausgehen, dass der Brief in dieser Zeit auch auf dem Postweg die Beklagte zu 1) erreicht. Sie hat – wohl auch aufgrund der durch die Corona-Pandemie bedingten Sondersituation – nicht bis kurz vor Ablauf der Frist gewartet. Mit einem Verlust der Sendung auf dem Postweg musste die Klägerin zudem nicht rechnen. Zwar kann an dieser Stelle eingewendet werden, dass die Klägerin den Einkommensteuererbescheid auch schon wesentlich früher hätte übersenden können. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass das entscheidende Schreiben, welches als Vorlageverlangen i.S.d. § 240 Abs. 4a Satz 4 SGB V gewertet werden kann und in dem die Klägerin erstmalig auf die Dreijahresfrist hingewiesen wurde, erst auf den 13.12.2021 datiert.

Die Klägerin hat zudem die Fristen nach § 27 Abs. 2 SGB X eingehalten. Danach ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (Satz 1). Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (Satz 2). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (Satz 4). Die Klägerin hat vorliegend den konkludenten Antrag spätestens in der E-Mail vom 14.02.2022 gestellt und zeitglich die versäumte Handlung nachgeholt, also den Einkommenssteuerbescheid übersandt. Das Hindernis ist an dem Tag weggefallen, an dem sie mit dem Bescheid vom 29.01.2022 Kenntnis davon erlangt hat, dass der Einkommenssteuerbescheid nicht bei der Beklagten zu 1) eingetroffen war. Selbst ohne Berücksichtigung der Postlaufzeit des Bescheides war am 14.02.2023 die Zweiwochenfrist nach § 27 Abs. 2 SGB X noch nicht abgelaufen.

3.) Die Beklagte zu 1) war nach alledem bei der erforderlichen endgültigen Beitragsbemessung verpflichtet, eine einkommensgerechte Beitragsfestsetzung unter Zugrundelegung der Feststellungen des Finanzamtes in dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2018 vornehmen. Ausweislich des Einkommenssteuerbescheids hat die Kläger aus ihrer selbstständigen Tätigkeit insgesamt 7.000 Euro erzielt. Sie war knapp sieben Monate selbstständig tätig. Damit ergeben sich Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit i.H.v. nicht mehr als 1.000 Euro monatlich. Damit war die im Jahr 2018 maßgeblichen monatlichen Mindestbemessungsgrundlagen des 240 Abs. 4 Satz 2 ff. SGB V in der Fassung vom 04.04.2017 (d.h. für hauptberuflich selbstständig Tätige: 2.283,75 Euro, unter Berücksichtigung weiterer Voraussetzungen, deren Erfüllung durch die Kammer nicht geprüft worden sind, aber mindestens jedoch 1.522,50 Euro) unterschritten. Die streitgegenständlichen Beitragsbescheide waren deshalb insoweit abzuändern, als die Beklagte zu 1) dort ein Arbeitseinkommen oberhalb der für die Klägerin im Jahr 2018 geltenden Mindestbemessungsgrenze des § 240 Abs. 4 Satz 2 ff. SGB V in der Fassung vom 04.04.2017 zugrunde gelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved