1. Ein Beigeladener kann in der Berufungsinstanz auf Grund einer sogenannten unechten notwendigen Beiladung (§ 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG) auch dann zur Leistung an den Leistungsberechtigten verurteilt werden, wenn nur der Beklagte gegen seine erstinstanzliche Verurteilung Berufung eingelegt hat.
2. Zur Aufrechterhaltung des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU während Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem SGB III.
3. Zum Anspruch auf Arbeitslosengeld II beim Vorliegen eines anderen materiellen Aufenthaltsrechts als dem zur Arbeitsuche (im konkreten Fall abgelehnt für die sorgeberechtigte Mutter eines Kindes mit Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Mitgliedstaats).
4. Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII setzt einen Ausreisewillen des Leistungsberechtigten nicht voraus.
rechtskräftig
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. Oktober 2020 abgeändert, soweit das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung von dessen Bescheid vom 30. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2019 zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende an die Klägerin zu 2. verurteilt hat. Insoweit wird die Klage gegen den Beklagten abgewiesen; die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin zu 2. für die Zeit vom 1. Januar bis zum 12. Mai 2018 Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe, dass dem Kläger zu 4. ein Anspruch auf Leistungen erst ab dem 4. Februar 2018 zusteht, zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat den Klägern zu 1., 3. und 4., die Beigeladene der Klägerin zu 2. die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um existenzsichernde Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Januar bis zum 12. Mai 2018.
Der Kläger zu 1., geboren 1983, und die Klägerin zu 2., geboren 1986, sind die Eltern des 2016 geborenen Klägers zu 3. und des 2018, also im Laufe des Streitzeitraums, geborenen Klägers zu 4. Alle Kläger sind – oder waren jedenfalls im Streitzeitraum – rumänische Staatsangehörige. Sie wohnten gemeinsam in einer Wohnung im C-Straße, B-Stadt.
Der Kläger zu 1. war vom 23. April 2012 bis zum 9. Juni 2012, vom 23. August 2013 bis zum 7. Oktober 2013, vom 2. Juni 2014 bis zum 16. Juli 2014 und vom 12. Juni 2015 bis zum 31. Juli 2015 bei der Fa. F. GmbH in C-Stadt (vgl. Bl. 153-156 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER) und vom 1. September 2015 bis zum 8. September 2015 bei der Fa. G. GmbH in B-Stadt (vgl. Bl. 247 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER) beschäftigt. Am 10. Mai 2016 nahm er eine Beschäftigung auf geringfügiger Basis bei der Fa. H. GmbH, B-Stadt, als Hilfskraft zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro auf. Nach Kündigung dieses Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zum 12. Oktober 2016 war er (schon) ab dem 4. Oktober 2016 bei der Fa. I. GmbH, B-Stadt, befristet bis 30. September 2017, als Be- und Entladehelfer mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro beschäftigt. Ab dem 16. Januar 2017 war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Fa. I. GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24. Januar 2017 zum 9. Februar 2017, wobei die Bundesagentur für Arbeit mit einem an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 13. September 2017 bestätigte, dass die Arbeitslosigkeit unfreiwillig eingetreten sei (vgl. Bl. 109 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER).
Der Kläger zu 1. nahm anschließend – bis zum Ende des streitigen Zeitraums – keine Beschäftigung mehr auf. Dabei liegen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Jahre 2017 sowie für folgende Zeiträume vor: vom 11. Januar 2018 bis 19. Januar 2018, 19. Januar 2018 bis 2. Februar 2018, 2. Februar 2018 bis 16. Februar 2018, 19. Februar 2018 bis 16. März 2018 und 16. März 2018 bis 13. April 2018 (vgl. u.a. Bl. 54 ff. der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER sowie Dokumente Nr. 12, 17, 20, 22 und 26 der elektronisch übermittelten Akten der Agentur für Arbeit Kassel – im Folgenden: eLA AA Dok.-Nr. –); die AOK Hessen hat Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 1. (unter anderem) durchgängig vom 11. Januar bis zum 13. April 2018 bestätigt (Gerichtsakte zum hiesigen Verfahren – im Folgenden: GA – Bl. 152; auf die Bestätigung wird, ebenso wie auf die übrigen mit Aktenfundstelle aufgeführten Dokumente, wegen der Einzelheiten Bezug genommen).
Während der Zeiten ohne (versicherungspflichtige) Beschäftigung bezog der Kläger zu 1. wiederholt Krankengeld, Übergangsgeld beziehungsweise Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III), und zwar, soweit der Streitzeitraum des hiesigen Verfahrens betroffen ist, vom 18. September 2017 bis zum 22. Februar 2018 Arbeitslosengeld (eLA AA Dok.-Nr. 24), für die Zeit (spätestens) vom 1. März bis zum 13. April 2018 Krankengeld von der AOK (eLA AA Dok.-Nr. 32) und für die Zeit vom 17. April 2018, einem Dienstag, bis zum 12. Mai 2018 erneut Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (eLA AA Dok.-Nr. 34).
Die Kläger zu 1. bis 3. erhielten seit August 2016 in Bedarfsgemeinschaft (aufstockend) laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von dem Beklagten. Mit Bezug auf den hier streitigen Zeitraum gewährte ihnen dieser durch Bescheid vom 15. Mai 2017, geändert durch Bescheid vom 31. Mai 2017, Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Mai 2018 (elektronische Verwaltungsakte des Beklagten, Band II, Dokumentennummer – im Folgenden: Dok.-Nr. – 153 und 158). Bereits kurz darauf hob der Beklagte mit einem ausschließlich an den Kläger zu 1. adressierten Bescheid vom 2. Juni 2017 (Dok.-Nr. 160) die Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 10. August 2017 wieder auf, da er von einem Wegfall des Arbeitnehmerstatus des Klägers zu 1. im Sinne des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU – (FreizügG/EU) ab diesem Zeitpunkt ausging. Ein Widerspruch gegen diesen Bescheid ist nicht aktenkundig.
Im August 2017 wandten sich die Kläger zu 1. bis 3. an die Beigeladene und suchten bei dieser um Hilfe zum Lebensunterhalt nach. Mit Bescheid vom 11. August 2017 bewilligte diese ihnen ab 10. August 2017 Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII), wobei sie die Gewährung später bis zum 9. September 2017 verlängerte, darüberhinausgehende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch jedoch ablehnte.
Nachfolgend beantragten die nunmehr anwaltlich vertretenen Kläger zu 1. bis 3. bei dem Beklagten förmlich die Überprüfung des Aufhebungsbescheides vom 2. Juni 2017 auf der Grundlage von § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit einem an den Kläger zu 1. gerichteten Bescheid vom 20. Oktober 2017 (Dok.-Nr. 199) ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch (Dok.-Nr. 200) wies er mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2017 (Dok.-Nr. 202) zurück. Eine Klageerhebung hiergegen ist nicht ersichtlich.
Zudem hatte der Beklagte mit einem weiteren, an die Klägerin zu 2. gerichteten Bescheid, ebenfalls vom 20. Oktober 2017 (Dok.-Nr. 198), nunmehr auch die Leistungsbewilligung zu ihren und zu Gunsten des Klägers zu 3. (allerdings erst) ab 10. August 2017 zurückgenommen, da sie kein Aufenthaltsrecht im Inland hätten und daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen seien. Gegen diesen Bescheid legten die Klägerin zu 2. und der Kläger zu 3. mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 6. November 2017 (Dok.-Nr. 201) Widerspruch ein.
Nachdem die Bundesagentur für Arbeit, wie bereits erwähnt, dem Kläger zu 1. durch Bescheid vom 7. Dezember 2017 Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch rückwirkend ab 18. September 2017 bewilligt hatte, beantragten die Kläger zu 1. bis 3. im Dezember 2017 erneut aufstockende Grundsicherungsleistungen bei dem Beklagten (vgl. Dok.-Nr. 206 ff.). Mit den im hiesigen Verfahren streitigen Bescheiden vom 30. Januar 2018 (Dok.-Nr. 218 f.), einer gerichtet an den Kläger zu 1., der andere gerichtet an die Klägerin zu 2. auch für den Kläger zu 3., lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Der Kläger zu 1. beziehungsweise die Klägerin zu 2. hätten ein Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche und daher nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch.
Daraufhin legten die Kläger durch ihre Prozessbevollmächtigte Widerspruch gegen den jeweiligen Ablehnungsbescheid vom 30. Januar 2018 ein (Dok.-Nr. 222 bzw. 223). Dabei machte die Klägerin zu 2. beziehungsweise ihre Prozessbevollmächtigte deutlich, dass nach ihrer Auffassung ein Anspruch sowohl für die Klägerin zu 2. selbst als auch für die Kläger zu 3. und 4. bestehe.
Der Beklagte wies nachfolgend zunächst durch Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2018 (Dok.-Nr. 235) den gegen den Aufhebungsbescheid vom 20. Oktober 2017 eingelegten Widerspruch der Klägerin zu 2. und des Klägers zu 3. zurück. In dem deswegen – im Berufungsrechtszug vor dem Senat unter dem Aktenzeichen L 6 AS 595/20 – geführten Rechtsstreits haben sich die Beteiligen im Rahmen eines Erörterungstermins am 12. September 2022 vergleichsweise geeinigt, dass der Klägerin zu 2. und dem Kläger zu 3. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (unter Berücksichtigung der durch die Beigeladene bereits erbrachten Leistungen, hinsichtlich derer dieser ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zustehen könne) auch für die Zeit bis 31. Oktober 2017 zuständen. Im Gegenzug verzichteten die Klägerin zu 2. und der Kläger zu 3. auf mögliche Ansprüche auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für November und Dezember 2017. Die Beteiligten waren sich einig, dass der Rechtsstreit damit in vollem Umfang erledigt sei.
Unterdessen hatte der Beklagte – nach Aufnahme einer Beschäftigung durch die Klägerin zu 2. am 12. Juni 2018 (vgl. den Arbeitsvertrag Dok.-Nr. 291 und die Auskunft der Fa. H. GmbH vom 21. September 2022, GA Bl. 219 ff.) und erneuter Antragstellung im Juni 2018 – den Klägern durch Bescheid vom 11. September 2018 (Dok.-Nr. 279) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem Tag der Beschäftigungsaufnahme bewilligt. Sodann wies er die gegen die Bescheide vom 30. Januar 2018 gerichteten Widersprüche mit einem – für alle vier Kläger gemeinsam erteilten – Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2019 (Dok.-Nr. 358) zurück. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. seien als rumänische Staatsangehörige Unionsbürger, lebten jedoch noch keine fünf Jahre im Bundesgebiet. Der Kläger zu 1. habe seit seiner Einreise in Deutschland mehrfach eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt, jedoch – mit zeitlichen Unterbrechungen – jeweils nur wenige Tage oder wenige Monate. Die letzte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit habe am 9. Februar 2017 geendet. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU habe der Arbeitnehmerstatus für sechs Monate ab Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses, mithin bis 9. August 2017, fortgewirkt. Somit komme als Aufenthaltsgrund nur die Arbeitsuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in Betracht, wodurch ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. b SGB II gegeben sei. Die Klägerin zu 2. habe ebenso wie die beiden minderjährigen Kinder kein eigenes Aufenthaltsrecht. Seit dem Zuzug nach Deutschland sei sie nicht erwerbstätig gewesen. Auch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht sei nicht gegeben.
Daraufhin haben die Kläger am 23. Juli 2019 im hiesigen Verfahren Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben. Zur Begründung hat ihre Prozessbevollmächtigte insbesondere darauf verwiesen, der Kläger zu 1. habe seine frühere Beschäftigung mit anschließendem Bezug von Arbeitslosengeld krankheitsbedingt aufgeben müssen, daher bleibe sein Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU erhalten. Die Entgeltersatzleistungen, die er erhalten habe, seien bei den für die Aufrechterhaltung des Arbeitnehmerstatus maßgeblichen Vorzeiten einer Beschäftigung gleichzustellen. Jedenfalls sei aber für die Zeit des Bezuges von Krankengeld und Arbeitslosengeld ein ergänzender Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch gegeben, da es andernfalls zu Wertungswidersprüchen komme. Ein EU-Bürger dürfe hier erworbene Sozialversicherungsleistungen in Anspruch nehmen, was aber nicht möglich sei, wenn diese unterhalb des Existenzminimums lägen und er daher zur Ausreise gezwungen wäre. Die Familienangehörigen, also die Kläger zu 2. bis 4., unterlägen dem Schutzbereich des Art. 6 Grundgesetz (GG), so dass ihnen ebenfalls Leistungen gewährt werden müssten. Unklar sei, ob der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. rechtlich miteinander verheiratet seien. Die Klägerin zu 2. sei aber jedenfalls als Sorgeberechtigte ihrer Kinder und auch als Lebensgefährtin des Klägers zu 1. vom Schutzbereich der Familie erfasst.
Der Beklagte ist dem unter Wiederholung und Vertiefung seiner bisherigen Argumentation namentlich aus dem Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2019 entgegengetreten.
Durch das angegriffene Urteil vom 22. Oktober 2020 hat das Sozialgericht die Bescheide des Beklagten vom 30. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2019 aufgehoben und diesen verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis 12. Mai 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, entgegen der Auffassung des Beklagten unterfielen die Kläger nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Das Aufenthaltsrecht des Klägers zu 1. habe sich während des Bezuges von Arbeitslosengeld I in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 22. Februar 2018 und vom 14. April 2018 [richtig: 17. April 2018] bis 12. Mai 2018 aus dem Fortwirken des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU und während der Zeit vom 23. Februar 2018 bis 13. April 2018 wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus dem Fortwirken des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ergeben.
Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bleibe das Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer bei unfreiwilliger, durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Der Sechs-Monats-Zeitraum des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU habe vorliegend nicht bereits mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 9. Februar 2020 [gemeint offenbar: 2017] zu laufen begonnen, sondern mit Beginn des Bezuges von „Arbeitslosengeld I“ am 18. September 2017. Nach Auffassung der erkennenden Kammer dürfe der Sechs-Monats-Zeitraum nicht durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, in denen der Betroffene an der Arbeitsuche gehindert sei, verkürzt werden. Für die Zeit ab Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 9. Februar 2017 sei die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 1. nachgewiesen bis einschließlich 18. August 2017 (Bl. 54-56, 67, 223 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER). Die Kammer gehe davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit auch in der Zeit vom 19. August 2017 bis 17. September 2017 fortbestanden habe, da der Anspruch auf „Arbeitslosengeld I“ erst ab dem 18. September 2017 eingesetzt habe. Nach Auffassung der Kammer ende die Fortwirkung der Arbeitnehmereigenschaft nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU nicht, solange „Arbeitslosengeld I“ bezogen werde (vgl. dazu auch Dienelt, in: Bergmann/ders., 13. Aufl. 2020, FreizügG/EU, § 2 Rn. 125, 136 ff.). Dafür spreche auch, dass vorliegend der Anspruch auf „Arbeitslosengeld I“ (zusammengerechnet) konkret für die in § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU niedergelegten sechs Monate, nämlich vom 18. September 2017 bis 22. Februar 2018 und vom 14. April 2018 [richtig: 17. April 2018] bis 12. Mai 2018, bestanden habe. Insofern bedürfe es nicht der Entscheidung, ob während des Bezuges von „Arbeitslosengeld I“ sogar von einer Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und damit von einem Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer auszugehen sei (bejahend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – L 20 AS 2197/15 B ER, juris).
Für die Zeit vom 23. Februar 2018 bis 13. April 2018 habe sich das Aufenthaltsrecht des Klägers zu 1. nach § 3 [gemeint offenbar: § 2] Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU gerichtet, da er in dieser Zeit wieder arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Die erkennende Kammer schließe sich der Auffassung des Sozialgerichts Berlin (SG Berlin, Beschluss vom 2. März 2016 – S 96 AS 646/16 ER, juris) an, wonach § 3 [§ 2] Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU auch dann eingreife, wenn die Erwerbsminderung nicht bereits während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, sondern innerhalb des Anwendungsbereiches des § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU eintrete. Es sei nicht erforderlich, dass sich der Leistungsberechtigte zum Zeitpunkt des festgestellten Eintritts der Arbeitsunfähigkeit noch in einem Arbeitsverhältnis befinde. Da der Kläger zu 1. ab dem 22. Februar 2018 Krankengeld bezogen habe (Bl. 325-326 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER), habe sich die Arbeitsunfähigkeit vorliegend nahtlos an den Bezug von „Arbeitslosengeld I“ und somit an den Zeitraum nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB angeschlossen. Vom 22. Februar 2017 bis 16. März 2017 [gemeint offenbar: 2018] habe der Kläger zu 1. Krankengeld bezogen und für die Zeit vom 16. März 2018 bis 13. April 2018 liege eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor (Bl. 342 Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER). Die Arbeitsunfähigkeit sei insofern nahtlos für die zwischen dem Bezug von „Arbeitslosengeld I“ liegende Zeit vom 22. Februar 2017 [gemeint offenbar: 2018] bis 13. April 2018 belegt. Hingegen folge die Kammer, wie im Urteil näher ausgeführt ist, nicht der Auffassung der Kläger, der Kläger zu 1. könne eine Beschäftigung von mindestens zwölfmonatiger Dauer nachweisen und verfüge daher über ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Auch ein Daueraufenthaltsrecht des Klägers zu 1. nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sei nicht ersichtlich. Letztlich habe der Kläger zu 1. im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 12. Mai 2018 aber über ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU beziehungsweise aus § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU verfügt.
Das Aufenthaltsrecht der Kläger zu 3. und zu 4. habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum von ihrem Vater nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 [heute: Abs. 4 Nr. 2] FreizügG/EU abgeleitet. Da die Klägerin zu 2. später als der Kläger zu 1. nach Deutschland eingereist sei, komme auch für sie für den streitgegenständlichen Zeitraum kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU und, da unklar sei, ob sie mit dem Kläger zu 1. verheiratet sei, auch kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU in Betracht. Allerdings könne sich auch die Klägerin zu 2. nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum von 1. Januar 2018 bis 12. Mai 2018 aufgrund ihrer Elternschaft zu den Klägern zu 3. und zu 4. beziehungsweise wegen der zu erwartenden Geburt des Klägers zu 4. auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II berufen. Insofern handele es sich um ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folge (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R, juris, Rn. 35 f.). Diese Personengruppen bildeten jeweils eine Familie im Sinne des Art. 6 GG und der § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1, § 29 und § 32 AufenthG (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet) und könnten sich auf den Schutz auch aus Art. 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) berufen. Diese aufenthaltsrechtlichen Wirkungen einer Familiengründung hätten auch im Falle der Klägerin zu 2. bestanden. Es sei ihr im Januar 2018 wenige Wochen vor der Geburt des zweiten Kindes (Anfang Februar 2018) und im Hinblick darauf, dass der Kläger zu 3. im August 2017 gerade das erste Lebensjahr vollendet gehabt habe, nicht zumutbar gewesen, sich von dem Vater der Kinder unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung solle verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art. 6 Abs. 1 GG von den Erziehungsleistungen eines seiner Elternteile ausgeschlossen werde. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen sei nicht vorrangig auf formalrechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege der Einzelfallbetrachtung abzustellen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R, juris, Rn. 35 f.).
Der Beklagte hat – nach Zustellung des Urteils am 1. Dezember 2020 – am 22. Dezember 2020 Berufung eingelegt. Er macht insbesondere geltend, Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 1. begründeten kein Fortwirken des Arbeitnehmerstatus über den 10. August 2017 hinaus nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU. Eine Erwerbsminderung des Klägers zu 1. sei nicht nachgewiesen und auch nicht vorgetragen. Soweit diskutiert werde, der Begriff „Erwerbsminderung“ sei richtlinienkonform im Sinne einer „Arbeitsunfähigkeit“ zu verstehen, gehe die überwiegende Auffassung davon aus, dass eine solche auf einen konkreten Arbeitsplatz bezogen sein müsse. Die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU verwende den Begriff der vorübergehenden Erwerbsminderung und weiche damit von den Vorgaben des Art. 7 Abs. 3a UnionsbürgerRL (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mietgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG – Unionsbürgerrichtlinie –) ab, der in Übereinstimmung mit dem englischen Text („temporarily unable to work“) von vorübergehender Arbeitsunfähigkeit spreche. Der Unterschied zwischen beiden Formulierungen bestehe darin, dass der Begriff der Arbeitsunfähigkeit anders als der im Rentenversicherungsrecht verwendete Begriff der Erwerbsminderung arbeitsplatzbezogen sei (Verweis auf Dienelt, in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, FreizügG/EU § 2, Rn. 114). Das letzte Beschäftigungsverhältnis des Klägers zu 1. sei indes zum 9. Februar 2017 gekündigt worden. Danach habe die Freizügigkeitsberechtigung bis zum 9. August 2017 fortgewirkt. Auch aus dem Bezug von Arbeitslosengeld und Kranken- beziehungsweise Übergangsgeld ergebe sich kein anderer Aufenthaltsstatus des Klägers zu 1. als derjenige zur Arbeitsuche. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld gehe vorliegend auf Beschäftigungszeiten beziehungsweise den Bezug von Krankengeld innerhalb der Rahmenfrist aus §§ 136 ff. SGB III zurück. Das Freizügigkeitsgesetz/EU kenne solche Rahmenfristen nicht, knüpfe vielmehr an bestehende Arbeitsverhältnisse an, die allenfalls durch kurze Nichtbeschäftigungszeiten unterbrochen sein dürften. Dem Kläger zu 1. stehe für die streitgegenständliche Zeit mithin nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU zu, so dass er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. b SGB II von den Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen sei. Daher könnten auch die Kläger zu 3. und 4. kein Aufenthaltsrecht von ihm nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ableiten, das einen Zugang zu den Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch eröffnete. Da ferner nicht abschließend nachgewiesen sei, dass die Klägerin zu 2. mit dem Kläger zu 1. verheiratet sei, komme für sie ein von ihm abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU nicht in Betracht. Da für die Kläger zu 3. und 4. selbst kein von dem Kläger zu 1. abgeleitetes Aufenthaltsrecht bestehe, komme auch für die Klägerin zu 2. als deren Mutter kein von diesen ableitbares Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen beziehungsweise zum Zweck ihrer Betreuung in Frage.
Der Beklagte und Berufungskläger hat schriftsätzlich beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. Oktober 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger und Berufungsbeklagten haben schriftsätzlich beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens die erstinstanzliche Entscheidung. Im Rahmen des Erörterungstermins im Parallelverfahren hat die Klägerin zu 2. mitgeteilt, sie sei niemals mit dem Kläger zu 1 verheiratet gewesen. Dieser habe sie gezwungen, entsprechende Angaben zu machen.
Der durch Beschluss des Senats vom 19. Januar 2022 beigeladene Sozialhilfeträger hat darauf verwiesen, er habe Überbrückungsleistungen im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII durch Bescheide vom 11. und 25. August 2017 für die Zeit vom 10. August 2017 bis zum 9. September 2017 bereits erbracht. Anhaltspunkte für einen Härtefall habe es nicht gegeben und gebe es nicht. Vielmehr habe er die Gewährung von weitergehenden Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch durch Bescheid vom 1. September 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2018 bestandskräftig abgelehnt.
Der Senat hat Ermittlungen insbesondere wegen der Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 1. angestellt. Hierzu wird auf Bl. 150 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Zudem hat der Senat am 22. September 2022 einen Erörterungstermin sowohl im hiesigen wie im Parallelverfahren L 6 AS 595/20 durchgeführt; auf die Sitzungsniederschriften wird verwiesen.
Die Beteiligten haben sich im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Berichterstatter mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Nach Hinweis des Berichterstatters auf eine mögliche Ungenauigkeit im Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung haben sie dieses Einverständnis erneut erklärt, der Beklagte mit Schriftsatz vom 12. April 2023, die Kläger mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 13. April 2023 und die Beigeladene mit Schriftsatz ebenfalls vom 13. April 2023.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten auch zum Parallelverfahren L 6 AS 595/20 und der zu diesen beigezogenen Gerichtsakten des Sozialgerichts Kassel zu den Verfahren S 7 AS 148/17 ER, S 10 AS 410/19 und S 10 AS 522/19 sowie der Verwaltungsakten des Beklagten und der Agentur für Arbeit Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet auf der Grundlage von § 124 Abs. 2 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung; das hierfür notwendige Einverständnis haben die Beteiligten übereinstimmend im Rahmen des Erörterungstermins am 12. September 2022 erklärt und nach Hinweis des Berichterstatters auf eine mögliche Ungenauigkeit im Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung mit Schriftsätzen vom 12. beziehungsweise 13. April 2023 erneuert.
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber nur begründet, soweit das Sozialgericht ihn unter Aufhebung seines Bescheides vom 30. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2019 zur Leistungsgewährung auch zu Gunsten der Klägerin zu 2. verurteilt hat; insoweit ist – statt des Beklagten – der beigeladene Sozialhilfeträger zur Erbringung existenzsichernder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, und zwar zur Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII, zu verurteilen. Im Übrigen ist das Urteil des Sozialgerichts zutreffend und rechtsfehlerfrei ergangen; hinsichtlich des Klägers zu 4. ist allerdings eine klarstellende Maßgabe vorzusehen, dass ihm ein Anspruch auf Leistungen erst ab dem Tag seiner Geburt zusteht.
I. Gegenstand des Verfahrens sind existenzsichernde Leistungen zum Lebensunterhalt (nur) für die Zeit vom 1. Januar 2018 bis zum 12. Mai 2018. Die Kläger haben ihren ursprünglichen, auf die Gewährung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar bis zum 12. Juni 2018 gerichteten Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht auf die Zeit bis 12. Mai 2018 beschränkt, offenbar weil der Kläger zu 1. nur bis zu diesem Tage Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch bezogen hat; das Sozialgericht hat dementsprechend (nur) über diesen Zeitraum entschieden. Auch der Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist entsprechend begrenzt, so dass der Senat nicht zu prüfen hat, ob den Klägern (auch) für die Zeit vom 13. Mai 2018 bis 12. Juni 2018 (oder angesichts der das Verfahren auslösenden Antragstellung möglicherweise auch für Dezember 2017) Leistungen zustehen könnten.
Der Senat ist durch die sozialgerichtliche Entscheidung und die allein durch den Beklagten eingelegte Berufung nicht gehindert, die Beigeladene – anstelle des Beklagten – zur Leistungserbringung an die Klägerin zu 2. zu verurteilen. Laufende existenzsichernde Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch und nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch stehen in dem spezifischen Alternativitätsverhältnis, das für die sogenannte unechte notwendige Beiladung und die Verurteilung nach § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG Voraussetzung ist (vgl. zu diesem Verhältnis allg. BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 14/09 R, BSGE 106, 268, Rn. 12; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 75 Rn. 18; zum Verhältnis von Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld und Sozialhilfe – auch für die Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3 ff. SGB XII – vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 25/20 R, SozR 4-4200 § 7 Nr. 59, Rn. 34 ff.).
Auch der Umstand, dass nur der Beklagte Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegt hat, steht einer Verurteilung der Beigeladenen durch den Senat nicht entgegen (vgl. zum umgekehrten, in der Sache aber vergleichbaren Fall einer Verurteilung des Beklagten nach Revision der durch die Instanzgerichte zur Leistungserbringung verurteilten Beigeladenen BSG, Urteil vom 28. März 2017 – B 1 KR 15/16 R, BSGE 123, 10, Rn. 11). Es ist unschädlich, dass die Kläger einen entsprechenden Antrag (im Wege einer hilfsweisen Anschlussberufung) nicht ausdrücklich gestellt haben. Ein Beigeladener kann zwar nicht gegen den Willen der jeweiligen Kläger verurteilt werden; regelmäßig ist aber davon auszugehen, dass der beziehungsweise die Kläger nach einer sogenannten unechten notwendigen Beiladung hilfsweise auch die Verurteilung des Beigeladenen, hier also des Sozialhilfeträgers, begehren; die durch § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG bewirkte gesetzliche Klageerweiterung ist daher von Amts wegen zu berücksichtigen, sofern der Kläger die Verurteilung des Beigeladenen nicht ausdrücklich ablehnt (vgl. nur BSG, Urteil vom 2. November 2000 – B 11 AL 25/00 R, juris, Rn. 25).
Dem Zweck der sogenannten unechten notwendigen Beiladung entsprechend muss zudem das Rechtsmittelgericht (wie das Ausgangsgericht) über alle in Frage kommenden prozessualen Ansprüche entscheiden können; das gilt auch dann, wenn der Kläger, weil er sein primäres Rechtsschutzziel, nämlich die Verurteilung des Beklagten, erreicht hat, seinerseits keinen Anlass dafür gesehen hat, (ausdrücklich) ein (Anschluss )Rechtsmittel einzulegen (vgl. zu entspr. Überlegungen nach einer Verurteilung des – dortigen – Beigeladenen und der Frage, ob nach einem nur von diesem eingelegten Rechtsmittel auch der Beklagte verurteilt werden kann, BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 14/09 R, BSGE 106, 268, Rn. 19). Das erkennbare Rechtsschutzziel der Kläger ist auch im Rechtsmittelrechtszug auf die Verurteilung von einem der beiden in Betracht kommenden Sozialleistungsträger zur Erbringung einer der im Alternativitätsverhältnis stehenden, ihrem Zweck nach äquivalenten Leistungen gerichtet, hier also laufender Leistungen zur Existenzsicherung entweder nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch oder nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 14/09 R, BSGE 106, 268, Rn. 19).
Da die Kläger bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg hatten, hat das Sozialgericht über den (nachrangigen) Anspruch gegen die Beigeladene nicht befunden, so dass deren Verurteilung auch kein rechtskräftiger Ausspruch des Sozialgerichts entgegensteht. Ohnehin soll das zuvor ausgeführte Verständnis der Beiladungsvorschriften gerade verhindern, dass die erstinstanzliche Entscheidung gegen einen der alternativ in Betracht kommenden Sozialleistungsträger in Rechtskraft erwächst und das sachliche Begehren des Betroffenen in der Rechtsmittelinstanz nur deswegen ohne Erfolg bleiben muss, weil das Rechtsmittelgericht gerade den anderen Leistungsträger für leistungszuständig hält (vgl. hierzu Straßfeld, in: Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 75 – Stand: 1. November 2022 – Rn. 333).
Die Kläger machen schließlich ihr Begehren, wobei – zutreffend – alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für die ihnen individuell zustehenden Leistungsansprüche am Verfahren beteiligt sind, statthaft im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, Abs. 4, § 56 SGG) geltend: Für den streitigen Zeitraum lag zwar ursprünglich mit dem (nachfolgend noch geänderten) Bescheid vom 15. Mai 2017 bereits eine Bewilligung laufender Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende jedenfalls zu Gunsten der Kläger zu 1. bis 3. auch für den im hiesigen Verfahren streitigen Zeitraum vor; der Beklagte hat diese Leistungsbewilligung jedoch durch den Bescheid vom 2. Juni 2017 gegenüber dem Kläger zu 1. und durch den Bescheid vom 20. Oktober 2017 gegenüber der Klägerin zu 2. und dem Kläger zu 3. (unter anderem) für den hier streitigen Zeitraum wieder aufgehoben; die Aufhebung ist für den Streitzeitraum inzwischen bindend geworden; das gilt nach der vergleichsweisen Verständigung im Verfahren L 6 AS 595/20 auch für den gegenüber der Klägerin zu 2. und dem Kläger zu 3. ergangenen Bescheid, der durch den Vergleich nur für die Zeit bis 31. Oktober 2017 korrigiert wurde. Die Kläger können daher ihr Rechtsschutzziel nicht (mehr) durch die Anfechtung des jeweiligen Aufhebungsbescheides erreichen. Sie sind nach der Aufhebung vielmehr darauf verwiesen, den mit ihren Anträgen aus dem Dezember 2017 (beziehungsweise, für den Kläger zu 4., mit dem durch das Widerspruchsschreiben vom 14. Februar 2018 konkludent gestellten Antrag) geltend gemachten Leistungsanspruch im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen. Dabei ist ein Grundurteil im Höhenstreit ohne Weiteres statthaft.
II. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Namentlich hat der Senat trotz des bei den Klägern vorhandenen Einkommens, namentlich aus den dem Kläger zu 1. im Streitzeitraum zugeflossenen Sozialversicherungsleistungen, keine Zweifel, dass die streitigen, den Klägern durch die angegriffene Entscheidung insgesamt zugesprochenen Leistungen und damit der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750,- Euro übersteigen, so dass die Berufung von Gesetzes wegen statthaft ist (vgl. § 143, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Sie ist überdies form- und fristgerecht erhoben (vgl. § 151 Abs. 1 SGG).
III. Die Berufung des Beklagten ist nur begründet, soweit das Sozialgericht dessen Verurteilung zur Leistungsgewährung auch zu Gunsten der Klägerin zu 2. ausgesprochen hat. Im Übrigen ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden, allerdings klarstellend mit der Maßgabe zu versehen, dass dem Kläger zu 4. Leistungen erst ab dem Tag seiner Geburt zustehen.
1. Das Sozialgericht ist zunächst zu Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen.
Das gilt auch, soweit der Kläger zu 4. betroffen ist; auch er ist durch die streitigen Bescheide beschwert. Die beiden Ausgangsbescheide vom 30. Januar 2018 betrafen ihn zwar nicht: Weder ist er in den Bescheiden genannt noch ist, da er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren war, insoweit eine ausdehnende Auslegung veranlasst. Eine zur Zulässigkeit der Klage führende Regelung kann sich allerdings auch erstmals aus dem Widerspruchsbescheid ergeben, wenn der spätere Kläger durch ihn beschwert wird. Das ist hier hinsichtlich des Klägers zu 4. der Fall, nachdem der Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2019 sich auf alle vier Kläger bezieht; mit diesem hat der Beklagte das Begehren aus dem Widerspruchsschreiben vom 14. Februar 2018, in dem der zwischenzeitlich geborene Kläger zu 4. ausdrücklich genannt ist und (spätestens) mit dem auch Leistungen zu seinen Gunsten geltend gemacht worden sind, umfassend abschlägig beschieden.
Der Senat hat weiter keinen Anlass, die aktuelle Prozessfähigkeit des Klägers zu 1. näher zu klären. Für ihn ist zwar im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens eine gesetzliche Betreuung eingerichtet worden. Er war (und ist) jedoch von Anfang des Verfahrens an anwaltlich vertreten gewesen. Für die Zeit der Klageeinreichung in erster Instanz und der Mandatierung der Prozessbevollmächtigten ergeben sich aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen keinerlei Hinweise auf Erkrankungen, die seine Prozessfähigkeit schon im damaligen Zeitraum in Frage stellen könnten. Selbst wenn daher die Betreuerbestellung Ausdruck einer zwischenzeitlich eingetretenen Prozessunfähigkeit sein sollte, trat aufgrund der anwaltlichen Vertretung die andernfalls sich aus § 241 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 202 Satz 1 SGG ergebende Unterbrechung des Verfahrens nicht ein (§ 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO i.V.m. § 202 Satz 1 SGG). Eine Beschränkung oder ein Wegfall der Vollmacht der (auch) für den Kläger zu 1. auftretenden Rechtsanwältin ist nicht ersichtlich, der in § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO (i.V.m. § 202 Satz 1 SGG) vorgesehene Aussetzungsantrag ist nicht gestellt, so dass das Verfahren fortgeführt werden konnte und kann.
Die Kläger zu 3. und 4. waren und sind ordnungsgemäß durch ihre Eltern gesetzlich vertreten. Da beide Eltern am Verfahren beteiligt sind, war es entbehrlich, aufzuklären, ob weiterhin beide gemeinsam oder nur (noch) die Klägerin zu 2. sorgeberechtigt ist.
2. In der Sache hat die Berufung des Beklagten nur im oben dargestellten Umfang Erfolg. Im Übrigen hat das Sozialgericht der Klage zu Recht stattgegeben. Die Kläger zu 1., 3. und 4. können für den im Berufungsverfahren allein streitigen Zeitraum die Gewährung von Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld verlangen; die (jeweiligen) Ablehnungsbescheide vom 30. Januar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2019 können insoweit keinen Bestand haben; sie sind hinsichtlich der Kläger zu 1., 3. und 4. rechtswidrig und verletzen diese in ihren jeweiligen Rechten.
a) Dem Kläger zu 1. stand dem Grunde nach ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus §§ 7 ff. in Verbindung mit §§ 19 ff. SGB II in der im streitigen Zeitraum maßgeblichen und daher auf Grund des sogenannten Geltungszeitraumprinzips im hiesigen Rechtsstreit weiter anzuwendenden Fassung zu. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit zunächst auf der Grundlage von § 153 Abs. 2 SGB II auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Bezug, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt.
aa) Der Kläger zu 1. erfüllte im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II: Er hielt (und hält) sich in den Altersgrenzen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 7a SGB II und hatte seinen Wohnsitz (und seinen gewöhnlichen Aufenthalt) im Inland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit § 30 Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I)).
Er war zudem im streitigen Zeitraum hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit §§ 9 ff. SGB II. Nachdem dies auch von Seiten des Beklagten zu Recht nicht in Frage gestellt wird, ist hierzu nur darauf hinzuweisen, dass der Bedarf des Klägers zu 1. trotz der Einkommensersatzleistungen, die er erhalten hat, die aber auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft zu verteilen waren (vgl. § 9 Abs. 2 SGB II), und der sonstigen Einnahmen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft mit einer für den Erlass eines Grundurteils im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG hinreichenden Wahrscheinlichkeit (vgl. nur BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 4 AS 46/17 R, SozR 4-4200 § 5 Nr. 5, Rn. 11) nicht vollständig gedeckt war. Ein Anspruch auf „aufstockende“ Grundsicherungsleistungen steht daher unter diesem Gesichtspunkt nicht in Frage.
Auch besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger zu 1. im Streitzeitraum nicht erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 SGB II gewesen wäre: Bei ihm als Bürger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union bestanden aus ausländerrechtlichen Gründen keine Hindernisse, die der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hätten entgegenstehen können (vgl. hierzu § 8 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Aus den beigezogenen Unterlagen ergeben sich zudem keine Hinweise darauf, dass er aus medizinischen Gründen dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II gewesen sein könnte. Das gilt jedenfalls für die gesundheitliche Situation im Streitzeitraum, die für die hier zu treffende Entscheidung allein maßgeblich ist. Überdies ließen auch objektiv vorhandene Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II nicht entfallen: § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II ist im Sinne einer sogenannten Nahtlosigkeitsregelung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R, BSGE 97, 231, Rn. 19 f.; BSG, Urteil vom 26. November 2020 – B 14 AS 13/19 R, BSGE 131, 116, Rn. 12); der Anspruch auf Arbeitslosengeld II blieb daher in jedem Fall erhalten, weil der Beklagte als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Beigeladene, die im Falle einer Erwerbsminderung auf Dauer für die Erbringung existenzsichernder Leistungen zuständig gewesen wäre, nicht zu einer Übernahme des Leistungsfalls veranlasst hatte.
bb) Auch war der Kläger zu 1. während des Streitzeitraums nicht auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.
Allerdings konnte er sich hierzu jedenfalls im streitigen Zeitraum nicht auf § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II und also nicht darauf berufen, dass auf Grund seines langjährigen Inlandsaufenthalts die Ausschlusstatbestände aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gar nicht erst zu prüfen seien. Es spricht zwar einiges dafür, dass er, auch ausgehend vom Streitzeitraum als zeitlichem Bezugspunkt, bereits seit mindestens fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Allerdings beginnt die Fünf-Jahres-Frist aus § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II erst mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde (§ 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II). Dies ist vorliegend erst für den 31. August 2015 belegt. Ansatzpunkte, die dem Senat erlaubten, sich die sichere Überzeugung von einer früheren Anmeldung zu bilden oder auch nur weitere diesbezügliche Ermittlungen durchzuführen, werden von den Klägern nicht behauptet und sind auch sonst nicht erkennbar.
Die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II scheidet daher nicht von vornherein aus; tatsächlich greift jedoch keiner der dort normierten Ausschlusstatbestände zu Lasten des Klägers zu 1. ein, auch wenn der Senat – ebenso wie bereits das Sozialgericht – nicht zu erkennen vermag, dass sich eine im Wesentlichen ununterbrochene und zumindest einjährige Beschäftigung, die zum Erhalt des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU führen könnte, feststellen ließe. Die Zeiten tatsächlich ausgeübter Beschäftigung waren im Falle des Klägers zu 1. zu lange unterbrochen beziehungsweise lagen zu lange zurück, um von einer zumindest einjährigen Beschäftigung im Sinne der genannten Vorschrift auszugehen. Die Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen sind, auch wenn sie auf Versicherungstatbeständen beruhen, ihrerseits nicht als einer tatsächlichen Beschäftigung entsprechende Vorzeit zu qualifizieren.
Das Sozialgericht ist jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmerstatus des Klägers zu 1. im streitigen Zeitraum auf der Grundlage von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 wegen der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch aufrecht erhalten blieb. Die hiergegen gerichteten Einwände des Beklagten greifen nicht durch.
Dies gilt zunächst für die Zeiten, während derer der Kläger zu 1. Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch erhalten hat. Hierzu verweist der Senat auf die Ausführungen des Sozialgerichts und seine eigene Entscheidung vom 1. Oktober 2021 – L 6 AS 403/21 B ER, juris, Rn. 98 ff. (vgl. in diesem Sinne z.B. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – L 20 AS 2197/15 B ER, juris; außerdem Dienelt, in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 2 FreizügG/EU Rn. 136 ff.). Dort hat der Senat zu der – auch hier einschlägigen – Konstellation, bei der ein nicht bedarfsdeckender Leistungsanspruch nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) länger besteht als der unmittelbar an die letzte Beschäftigung anknüpfende Sechsmonatszeitraum nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU, ausgeführt, insofern sei beachtlich, dass die Regelung über die Fortgeltung der Arbeitnehmerstellung sowie der Eigenschaft als Selbständiger nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU nicht abschließend ist (vgl. in diesem Sinne auch Dienelt, in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 2 FreizügG/EU, Rn. 112 unter Verweis auf: EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014, C-507/12 – Saint Prix, Celex-Nr. 62012CJ0507). Daher spreche bei europarechtskonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU vieles dafür, dass das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers unter Zugrundelegung einer angemessenen Frist fortbesteht. Diese angemessene Fortdauer sei unter Heranziehung des Zeitraums des Bezugs von Arbeitslosengeld sowie der Entstehungsgeschichte des Art. 7 Abs. 3 UnionsbürgerRL zu bestimmen (Verweis auf Dienelt, in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 2 FreizügG/EU, Rn. 130). Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass ansonsten der Arbeitnehmer Gefahr laufe, seine versicherungsrechtlichen Ansprüche zu verlieren. Denn sollten sich die Betroffenen ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, könnte durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung festgestellt werden (§ 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU). Mit der förmlichen Verlustfeststellung werde die Ausreisepflicht begründet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU), so dass der Versicherungsanspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit mangels Verfügbarkeit verloren zu gehen drohe. Dieses Ergebnis sei nicht mit der ständigen Rechtsprechung in Einklang zu bringen, wonach der Zweck der Art. 45 bis 48 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) darin bestehe, dass Arbeitnehmer der Gemeinschaft, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, Vergünstigungen der sozialen Sicherheit nicht verlieren sollten, die ihnen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats sicherten (BSG, Urteil vom 9. Oktober 2012 – B 5 R 54/11 R, SozR 4-2600 § 210 Nr. 4, Rn. 35). Mit Art. 45 AEUV solle insofern nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs insbesondere verhindert werden, dass ein Arbeitnehmer, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, ohne objektiven Grund schlechter gestellt werde als ein Arbeitnehmer, der seine gesamte berufliche Laufbahn in einem einzigen Mitgliedstaat zurückgelegt habe (vgl. EuGH, Urteil vom 7. März 1991 – C-10/90 – Masgio, EU:C:1991:107, Rn. 17, EuGH, Urteil vom 21. Januar 2016 – C-515/14 – Kommission/Zypern, EU:C:2016:30, Rn. 42, EuGH, Urteil vom 7. März 2018 – C-651/16 – DW, EU:C:2018:162, Rn. 23; EuGH, Urteil vom 12. Mai 2021 – C-27/20, juris, Rn. 32). Nachdem der Beklagte seine dem entgegenstehende Rechtsauffassung nur unter Verweis auf die für den Erwerb eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld maßgebliche Rahmenfrist begründet hat, die im Freizügigkeitsrecht anders als im Arbeitsförderungsrecht in der Tat nicht vorgesehen, aber für die mit dem Statuserhalt verbundenen Fragen auch letztlich nicht maßgeblich ist, sieht der Senat keinen Grund von dieser Rechtsprechung abzurücken.
Hinsichtlich des Statuserhalts während der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit weist der Beklagte – im Ausgangspunkt zweifellos zu Recht – darauf hin, dass der Begriff der Erwerbsminderung in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU sich vom Begriff der Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) und von § 8 Abs. 1 SGB II unterscheidet und der Begriff im Freizügigkeitsgesetz/EU, da dieses der Umsetzung der Unionsbürgerrichtlinie dient, richtlinienkonform auszulegen ist. Gerade dies führt aber – entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten – vorliegend dazu, dass das Recht des Klägers zu 1. auf Einreise und Aufenthalt erhalten blieb: Der Begriff der Erwerbsminderung aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU ist nämlich im Konktext des europarechtlich geprägten Freizügigkeitsrechts gerade nicht als Erwerbsminderung auf Dauer (wie in § 8 Abs. 1 SGB II und § 43 SGB VI), sondern, soweit man ihn auf die innerdeutsche sozialrechtliche Begrifflichkeit beziehen möchte, eher als Arbeitsunfähigkeit zu verstehen (vgl. Art. 7 Abs. 3 lit. a UnionsbürgerRL: „temporarly unable to work“ bzw. „incapacité de travail temporaire“; hierzu und zum Folgenden auch Dienelt, in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 2 FreizügG/EU Rn. 111 ff.). Dies ist im Regelfall arbeitsplatzbezogen zu verstehen oder, wenn der Betroffene arbeitslos ist, im Sinne einer (vorübergehenden) gesundheitsbedingten Unfähigkeit, für ihn in Betracht kommende, also vermittlungsrelevante Arbeitsplätze auszufüllen (zum Maßstab der Arbeitsunfähigkeit bei einem Arbeitslosen vgl. § 2 Abs. 3 der AU-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses; BSG, Urteil vom 19. September 2002 – B 1 KR 11/02 R, BSGE 90, 72; Bender, in: Knickrehm/Deinert, BeckOGK-SGB III [Gagel], § 146 – Stand: 1. Mai 2020 – Rn. 7). Hiervon ausgehend hält der Senat mit dem Sozialgericht § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU für anwendbar, da der Kläger zu 1., wie sich schon an der zwischenzeitlichen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und dem erneuten Bezug von Arbeitslosengeld ab dem 17. April 2018 zeigt, (jedenfalls) im Streitzeitraum gerade nicht dauerhaft erwerbsgemindert im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II oder § 43 SGB VI, sondern nur vorübergehend nicht arbeitsfähig war.
§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU greift auch im Falle einer Erwerbsminderung im Sinne dieser Vorschrift (lies: einer Arbeitsunfähigkeit) ein, die eintritt, während der Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU aufrecht erhalten geblieben ist: Der Wortlaut bezieht sich ohne Einschränkung auf Arbeitnehmer und damit auf Grund des systematischen Zusammenhangs auch auf aktuell nicht mehr Beschäftigte, bei denen aber der Arbeitnehmerstatus fortwirkt. Zudem erfüllt die Vorschrift auch in diesem Fall ihren Zweck, nämlich den Arbeitnehmerstatus vorübergehend aufrecht zu erhalten, solange der Betroffene zu einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats innerhalb eines angemessen Zeitraums fähig ist und hierfür grundsätzlich zur Verfügung steht (vgl. EuGH, Urteil vom 13. September 2018 – C 618/16 – Prefeta, juris, Rn. 37; vgl. in diesem Sinne auch VGH München, Urteil vom 18. Juli 2017 – 10 B 17.339, BeckRS 2017, 122965; Tewocht, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, § 2 FreizügG/EU – Stand: 1. Oktober 2021 – Rn. 46a).
Da der Kläger, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, während des gesamten Streitzeitraums – mit Ausnahme der Übergangszeit vom 14. bis zum 16. April 2018 – entweder Arbeitslosengeld erhielt oder vorübergehend erwerbsgemindert (lies: arbeitsunfähig) im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU war, war er nicht durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Konkret erhielt er zu Beginn des Streitzeitraums auf Grund des Bescheides der Bundesagentur für Arbeit vom 7. Dezember 2017 Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch. Ab dem 11. Januar 2018 war er arbeitsunfähig (und damit erwerbsgemindert im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU), wobei er – offenbar bis zum Ablauf des Leistungsfortzahlungszeitraums nach § 146 SGB III – zunächst weiter Arbeitslosengeld und anschließend bis 13. April 2018 Krankengeld erhielt. Nach Ende der Arbeitsunfähigkeit und erneuter Arbeitslosmeldung gewährte ihm die Bundesagentur für Arbeit ab 17. April 2018 erneut Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch.
Nach Auffassung des Senats führt auch die sehr kurze Übergangszeit von drei Kalender- beziehungsweise einem Werktag vom 14. bis zum 16. April 2018 zwischen dem Ende der attestierten Arbeitsunfähigkeit bis zur Wiederbewilligung von Arbeitslosengeld nicht zu einem Wegfall des Arbeitnehmerstatus. Zwar wirken die Arbeitslosmeldung und der Antrag auf Arbeitslosengeld nach § 141 Abs. 2 SGB III beziehungsweise § 325 Abs. 2 Satz 2 SGB III auf Tage fehlender Dienstbereitschaft der zuständigen Agentur für Arbeit nur zurück, wenn sie sogleich am nächsten Tag mit Dienstbereitschaft erfolgen. Eine gleichermaßen strenge Betrachtungsweise ist nach Auffassung des Senats im hiesigen Zusammenhang jedoch nicht zwingend geboten; der Senat geht vielmehr davon aus, dass der Aufenthaltsstatus als Arbeitnehmer durchgängig erhalten bleibt, wenn dessen Fortwirkung an wechselnde Anknüpfungspunkte anschließt, der Betroffene für den Übergang bestimmte (Verfahrens )Handlungen wie hier die erneute Arbeitslosmeldung und den damit verknüpften Antrag auf Arbeitslosengeld vornehmen muss und er dies unverzüglich erledigt. Die nur um einen Werktag verzögerte Arbeitslosmeldung führt vor diesem Hintergrund nicht zu einer zwischenzeitlichen Unterbrechung des (fortwirkenden) Arbeitnehmerstatus.
Das Vorliegen anderer Ausschlusstatbestände für den Anspruch auf Arbeitslosengeld II als dem aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. b SGB II ist nicht ersichtlich und wird vom Beklagten auch nicht geltend gemacht.
cc) Schließlich hatte der Kläger zu 1. den notwendigen Antrag (§ 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II) (wirksam) gestellt. Er war wie die übrigen Kläger durch den Antrag aus dem Mai 2017, der zu der später wieder aufgehobenen Bewilligung (auch) für den streitigen Zeitraum geführt hatte, – selbstverständlich – nicht gehindert, im Dezember 2017 erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen zu stellen und damit dem Antragserfordernis (erneut) zu genügen.
b) Der Kläger zu 3. hatte im Streitzeitraum einen Anspruch auf Sozialgeld auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Er lebte mit seinem Vater, dem Kläger zu 1., in Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II) und war, ebenso wie dieser, hilfebedürftig. Sein Recht auf Einreise und Aufenthalt folgte, abgeleitet aus dessen Rechtsstellung, aus § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, so dass auch sein Recht auf Grundsicherungsleistungen keinem Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterlag. Auch die übrigen Leistungsvoraussetzungen waren im Streitzeitraum, ebenso wie bei dem Kläger zu 1., gegeben.
c) Selbiges gilt auch für den Kläger zu 4. ab dem Tag seiner Geburt.
Ergänzend ist für diesen festzuhalten, dass für ihn der für die ersten drei Monate des Aufenthalts im Inland geltende Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht eingriff, da Familienangehörige von Personen, die – wie der Kläger zu 1. – auf Grund von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, von dessen Anwendungsbereich ausdrücklich ausgenommen sind.
Der nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II notwendige Leistungsantrag ist (spätestens) dem Widerspruchsschreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 14. Februar 2018 zu entnehmen, da mit diesem auch Grundsicherungsleistungen für den Kläger zu 4. geltend gemacht wurden. Dies genügt, auch wenn das Wort „Antrag“ nicht ausdrücklich erwähnt ist, dem Antragserfordernis für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf Grund der Antragsrückwirkung auf den Monatsersten (§ 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II) eröffnet der damit im Verlauf des Februars 2018 konkludent gestellte Antrag einen Leistungsanspruch bereits ab dem Tag seiner Geburt.
Allerdings ist der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung überschießend formuliert: Er erweckt den Eindruck, als stehe auch dem Kläger zu 4. ein Recht auf Grundsicherungsleistungen ab dem 1. Januar 2018 zu, während dies tatsächlich erst ab dem Tag seiner Geburt der Fall ist. Der Senat geht davon aus, dass der Ausspruch des Sozialgerichts in der Sache auch so gemeint war und nur missverständlich formuliert ist. Eine Teilaufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung aus diesem Grunde ist daher nicht veranlasst; vielmehr genügt eine klarstellende Maßgabe.
d) Dagegen stand der Klägerin zu 2. im fraglichen Zeitraum ein Leistungsanspruch gegen den Beklagten nicht zu.
aa) Auch sie erfüllte allerdings – wie der Kläger zu 1., mit dem sie ungeachtet der inzwischen nicht mehr behaupteten Eheschließung im streitigen Zeitraum in Bedarfsgemeinschaft lebte – die Leistungsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, den notwendigen Antrag hatte auch sie gestellt. Anders als die drei anderen Kläger war sie jedoch auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.
(1.) Zwar sprechen im Ausgangspunkt, ohne dass dies vorliegend abschließend zu entscheiden wäre, nach Auffassung des Senats jedenfalls für die aktuelle Rechtslage gewichtige Argumente dafür, dass, unabhängig von der Erteilung eines Aufenthaltstitels und damit abweichend von der ausländerrechtlichen Systematik, bereits ein materielles Aufenthaltsrecht ausreicht, um den Zugang zu Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu eröffnen.
Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 30. Januar 2013 (B 4 AS 54/12 R, BSGE 113, 60, Rn. 23 ff.) ausgeführt, die Ausschlussregelung aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfordere regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes beziehungsweise der Gründe der Aufenthaltsberechtigung der Betroffenen. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindere die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts „allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“ im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Vorschrift sei als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU oder gegebenenfalls dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorlägen, würden von ihr nicht erfasst. Vor dem Hintergrund einer – bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung – bestehenden Freizügigkeitsvermutung von Unionsbürgern und der bereits damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts könne bei dieser Personengruppe nicht darauf abgestellt werden, ob das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert sei. Entscheidend sei das Vorliegen der Voraussetzungen für ein weiteres Aufenthaltsrecht. Auch soweit der Aufenthalt aus einem anderen materiell bestehenden Aufenthaltsrecht als dem Zweck der Arbeitsuche nicht beendet werden könnte, hindere dies sozialrechtlich die positive Feststellung eines „Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche“ im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Diese Entscheidung und die daran anknüpfende Rechtsprechung der Sozialgerichte sahen sich allerdings erheblichen aufenthaltsrechtlichen Einwänden ausgesetzt, namentlich weil ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz konstitutiv die Erteilung eines entsprechenden Titels voraussetzt (§ 4 Abs. 1 AufenthG). Die Berechtigung dieser Kritik dürfte jedoch zumindest zwischenzeitlich auf sich beruhen können; der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung nämlich inzwischen in ihren Grundlinien ratifiziert. Das ergibt sich namentlich aus der Gesetzgebungsgeschichte zur Neugestaltung der Ausschlusstatbestände aus § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155): Das Bundessozialgericht hatte bis dahin trotz der angesprochenen Einwände an seiner Rechtsprechung ausdrücklich festgehalten und in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R –, BSGE 120, 139, Rn. 27) den Grundsatz bekräftigt, dass „[b]ereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche“ das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes hindere. Es konnte damit 2016 als gefestigte Rechtsprechung gelten, dass sozialrechtlich der Ausschlussgrund aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. (beziehungsweise nach der Neugestaltung: aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. a und Bst. b SGB II n.F.) bereits dann nicht eingreift, wenn dem Betroffenen ein anderes materielles Aufenthaltsrecht zur Seite steht, unabhängig von der aufenthaltsrechtlich ohne Zweifel maßgeblichen Frage, ob auch ein entsprechender Titel erteilt ist.
Vor diesem Hintergrund ist bereits der (insoweit) unveränderte Wortlaut des Ausschlusstatbestandes ein erhebliches Argument dafür, dass der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht die Grundlage entziehen wollte, und zwar letztlich unabhängig davon, wie stark die Argumente für die Entwicklung dieser Rechtsprechung ursprünglich gewesen sein mögen. Ein Ansatzpunkt dafür, dass der Gesetzgeber hier korrigierend hätte eingreifen wollen, ist nicht ersichtlich; vielmehr führt der Wortlaut von § 7 Abs. 1 Satz 2 Bst. a und Bst. b SGB II insoweit im Wesentlichen unverändert die frühere Fassung des Gesetzes fort, während der Gesetzgeber hinsichtlich anderer Fragenkreise deutliche Änderungen vorgenommen hat. Zusätzliches interpretatorisches Gewicht bekommt die unterbliebene Änderung der Vorschrift durch die Gesetzesmaterialien: So bezieht sich die Begründung des Gesetzentwurfs bei der Charakterisierung des vom Ausschluss betroffenen Personenkreises nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II n.F. ebenso wie nach der darauf abgestimmten Regelung aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII n.F. verschiedentlich auf „Personen ohne materielles Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht“ (BT-Drucks. 18/10211 S. 13 ff.) und nimmt damit die Konzeption des Bundessozialgerichts auf. Die rechtliche Regelung erfolgte dabei ohne Zweifel in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die Entscheidung(en) vom 3. Dezember 2015 sind in der Begründung zum Gesetzentwurf sogar ausdrücklich erwähnt (BT-Drucks. 18/10211 S. 11). Die (insoweit) unveränderte Fortführung der gesetzlichen Regelung, die zum Zeitpunkt der Entstehung der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung im Jahr 2013 maßgeblich war, ist vor diesem Hintergrund als beredtes Schweigen des Gesetzgebers zu deuten.
Das gilt umso mehr, als in der Zwischenzeit die Bundesregierung mit einem Versuch, dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – durch eine entsprechende Änderung von § 11 FreizügG/EU – die Grundlage zu entziehen, im parlamentarischen Verfahren erfolglos geblieben ist. In dem von der damaligen Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht (BR-Drucks. 263/20) wurde – nunmehr als § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügigG/EU – die zuvor in § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU verortete Regelung fortgeschrieben, wonach das Aufenthaltsgesetz auch dann Anwendung findet, wenn dieses einem Unionsbürger eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das Freizügigkeitsgesetz/EU. Ausdrücklich mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wollte die Bundesregierung diese Gleichstellungsklausel allerdings – in § 11 Abs. 14 Satz 2 FreizügigG/EU – dahin ergänzen, dass, sofern die dem Betroffenen günstigen Folgen des Satzes 1 davon abhängen, dass der Ausländer einen Aufenthaltstitel besitzt, diese nur eintreten, wenn der Aufenthaltstitel erteilt worden und nicht im Sinne des § 51 Abs. 1 AufenthG erloschen ist. Zur Begründung des Gesetzentwurfs hieß es: „Im neuen § 11 Absatz 14 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU wird vor dem Hintergrund teilweise anderslautender Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit klargestellt, dass Rechtsfolgen, die insbesondere im Sozialrecht an das Bestehen eines Aufenthaltstitels anknüpfen, auch in den von Satz 1 erfassten Fällen nur dann eintreten, wenn der entsprechende Aufenthaltstitel auch erteilt wurde und noch besteht und insbesondere nicht nur dann, wenn er erteilt werden könnte.“ (BR-Drucks. 263/20 S. 50 f.)
Bereits der Bundesrat war diesem Ansinnen der Bundesregierung allerdings entgegengetreten und hatte darum gebeten, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die vorgesehene Neuregelung der Anknüpfung der Leistungsberechtigung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern an das Bestehen eines Aufenthaltstitels zu überprüfen. Dabei solle insbesondere die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und vieler Sozialgerichte (wobei in der Begründung ausdrücklich auf die zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – verwiesen wurde) berücksichtigt werden, die über die Konstruktion der „fiktiven Prüfung“ des Aufenthaltsrechts Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern Leistungen zugesprochen habe, wenn sie einen „objektiven Aufenthaltsgrund“ gehabt hätten. Es erscheine sinnvoll, diese Möglichkeit zu erhalten (BR-Drucks. 263/20 (Beschluss) S. 2). Der federführende Bundestagsausschuss für Inneres und Heimat machte sich diese Position – nachdem die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung bei ihrem Vorschlag geblieben war (BT-Drucks. 19/21750 S. 62) – zu eigen, wenn er auch zur Begründung auf den sozialrechtlichen Charakter einer derartigen Regelung und damit auf systematische Einwände gegen deren Verortung im Freizügigkeitsgesetz/EU abstellte. In der Plenardebatte haben sich die Abgeordneten der damaligen Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD dann sowohl auf die inhaltlichen als auch auf die systematischen Argumente gestützt (vgl. BT-Prot. 19/184). Im Ergebnis enthielt die verabschiedete Fassung des Gesetzes die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung nicht.
Der Gesetzgeber hat damit letztlich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ratifiziert, so dass ein Unionsbürger, bei dem die sachlichen Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz vorliegen, nicht als von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgeschlossen angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne z.B. auch Sächs. LSG, Beschluss vom 10. Mai 2021 – L 7 AS 342/21 B ER, juris, Rn. 44; Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 7 – Stand: 29. November 2021 – Rn. 122.2; Janda, ZESAR 2021, 3, 9). Aus einem derartigen Verständnis ergeben sich zwar systematische Differenzen zwischen den ausländerrechtlichen Regelungen in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich, die, wie ausgeführt, nicht zuletzt durch die konstitutive Bedeutung des Aufenthaltstitels gekennzeichnet sind, und ihrem Gehalt, soweit es im Grundsicherungsrechts auf sie ankommt: Dem Gesetzgeber stehen solche Differenzierungen aber – selbstverständlich – frei; zudem kann es auch inhaltlich mit Blick auf das Grundrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums gute Gründe für entsprechende Unterschiede zwischen dem – polizeirechtlich strukturierten – Aufenthaltsrecht, das sich im Wesentlichen als Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt darstellt, und dem auf die je aktuelle Existenzsicherung zielenden Grundsicherungsrecht geben.
(2.) Der Klägerin zu 2. stand jedoch im Streitzeitraum ein anderes materielles Aufenthaltsrecht als das der Arbeitsuche, welches das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hindern könnte, nicht zur Seite. Insbesondere war sie weder freizügigkeitsberechtigt noch konnte sie sich auf § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in der damals maßgeblichen Fassung (a.F.; inhaltsgleich inzwischen, wie ausgeführt, § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU) in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV berufen.
(a) Die Klägerin zu 2. war selbst nicht freizügigkeitsberechtigt.
Namentlich war sie im Streitzeitraum weder beschäftigt noch wirkte in ihrer Person ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) fort; das macht sie für den streitigen Zeitraum auch selbst gar nicht geltend.
Weiter zählte sie nicht zu den Familienangehörigen des Klägers zu 1. nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 in Verbindung mit § 3 und § 4 FreizügG/EU. Zu den Familienangehörigen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU gehören nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU unter anderem der Ehegatte beziehungsweise der Lebenspartner. Die Klägerin zu 2. war (und ist) mit dem Kläger zu 1. jedoch nicht verheiratet. Im Erörterungstermin am 12. September 2022 (im Parallelverfahren L 6 AS 595/20) hat sie vielmehr ausdrücklich erklärt, dass entsprechende Angaben nicht zutreffend gewesen seien; sie sei hierzu vom Kläger zu 1. gezwungen worden.
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist jedoch, auch wenn die Betroffenen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Bst. c, Abs. 3a SGB II bilden, nicht geeignet, ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht zu begründen. Insoweit ergibt sich ein Aufenthaltsrecht für die Klägerin zu 2. auch nicht aus § 3a FreizügG/EU als nahestehender Person im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Bst. c FreizügG/EU. Sie gehört zwar im Grundsatz zu dem von der Vorschrift erfassten Personenkreis. Ein Recht zu Einreise und Aufenthalt könnte ihr aber in diesem Fall aufgrund der Bezugnahme aus § 11 Abs. 5 FreizügG/EU auf die entsprechenden Regelungen des Aufenthaltsrechts nur zustehen, wenn ihr Lebensunterhalt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert wäre. Das setzt voraus, dass die Betroffene ihren Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann (§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), kommt hier also angesichts der Hilfsbedürftigkeit, auf Grund derer die Kläger die streitigen Leistungen gerade geltend machen, nicht in Betracht.
Auch die Kläger zu 3. und 4. können der Klägerin zu 2. kein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU vermitteln. Da sie sich noch nicht im schulpflichtigen Alter befinden, gilt dies namentlich für das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2020 – C-181/19, juris).
Schließlich besteht kein Daueraufenthaltsrecht der Klägerin zu 2. nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, weil sie sich nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (oder dies sich jedenfalls nicht hinreichend sicher feststellen lässt).
(b) Die Klägerin zu 2. kann zudem zu ihren Gunsten kein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz – auch nicht mit Blick allein auf deren materielle Voraussetzungen – herleiten.
Allerdings findet im Ausgangspunkt auf Grund der sogenannten Meistbegünstigungsklausel aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU a.F./§ 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU n.F. das Aufenthaltsgesetz vorrangig vor beziehungsweise ergänzend zum Freizügigkeitsgesetz/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als dieses (vgl. hierzu für viele Hess. VGH, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 9 A 242/15, juris; Dienelt in: Bergmann/ders., Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 FreizügG/EU, Rn. 86); eine Schlechterstellung von Unionsbürgern gegenüber Drittstaatsangehörigen wird damit verhindert (vgl. BT-Drucks. 15/420 S. 106). Daher kann sich im Ausgangspunkt (auch) eine Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats wie die Klägerin zu 2. auf die Aufenthaltstatbestände aus dem Aufenthaltsgesetz berufen. Die Klägerin zu 2. erfüllte aber im konkreten Fall keinen der dort geregelten Aufenthaltstatbestände.
§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis – ohne Ermessen der Ausländerbehörde – zu erteilen ist, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in diesem Fall unabhängig von den regelmäßigen Erteilungsvoraussetzungen aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen, also ohne dass es auf die Lebensunterhaltssicherung ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) ankäme.
Das Recht zum Zuzug aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG gilt jedoch nur für Sorgeberechtigte von Kindern deutscher Staatsangehörigkeit. Auch das in Art. 18 AEUV statuierte Diskriminierungsverbot kann hierüber nach Auffassung des Senats nicht hinweghelfen und führt daher nicht dazu, dass die Vorschrift auch auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern Anwendung finden könnte (vgl. – wie hier – z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17, juris; Hess. LSG – erkennender Senat –, Beschluss vom 29. Juli 2021 – L 6 AS 209/21 B ER, juris, Rn. 140; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 11 FreizügG/EU Rn. 107; anders dagg.: LSG NRW, Beschluss vom 1. August 2017 – L 19 AS 1131/17 B ER, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Juni 2016 – L 25 AS 1331/16 B ER, juris; LSG für das Saarland, Urteil vom 7. September 2021 – L 4 AS 23/20 WA, juris, Rn. 30 ff.; Dienelt in: Bergmann/ders, Ausländerrecht, 14. Aufl., § 11 FreizügG/EU, Rn. 102; Oberhäuser, in: Hofmann, NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 11 FreizügG/EU Rn. 58; nicht eindeutig: Gerstner-Heck, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK MigrR, § 11 FreizügG/EU – Stand: 15. Oktober 2022 – Rn. 23.2). Nach Auffassung des Senats untersagt Art. 18 AEUV nicht jede (ausländer )rechtliche Differenzierung zwischen Inländern und Unionsbürgern: Vielmehr gestaltet das Unionsrecht – primärrechtlich durch Art. 21 AEUV, sekundärrechtlich namentlich durch die Unionsbürgerrichtlinie – die unionsrechtliche Freizügigkeit und das daran anknüpfende Recht zur Einreise und Aufenthalt von Unionsbürgern in anderen Mitgliedstaaten aus. Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat dies mit dem Freizügigkeitsgesetz/EU nachvollzogen, ohne (jedenfalls soweit im hiesigen Zusammenhang von Bedeutung) hinter den unionsrechtlichen Vorgaben zurückzubleiben. Das europäische und das zu seiner Umsetzung erlassene innerdeutsche Recht schafft damit ein ausdifferenziertes Regelungssystem zur Umsetzung und Begrenzung der unionsrechtlichen Freizügigkeit, das durch die allgemeinen Vorgaben aus Art. 18 AEUV nicht überspielt werden sollte, umso mehr als dieser unter dem Vorbehalt sonstiger Bestimmungen der Verträge steht (vgl. in diesem Sinne z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. April 2022 – L 18 AS 312/22 B ER –, BeckRS 2022, 10954, Rn. 8; allg. auch Rossi, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, 36. Ed. 1.1.2023, AEUV Art. 18 Rn. 22).
Zwar sind, wie gesehen, Unionsbürger zudem durch § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU a.F./§ 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU n.F. vor Nachteilen im Verhältnis zu Drittstaatsangehörigen geschützt. Dieser Verweis des Freizügigkeitsgesetzes/EU auf das Aufenthaltsgesetz führt aber nach Auffassung des Senats auch im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV nicht dazu, dass ein (mögliches) Aufenthaltsrecht, das der deutsche Gesetzgeber außerhalb des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts vorsieht, um einem Personensorgeberechtigten eines Kindes mit deutscher Staatsbürgerschaft den Aufenthalt im Inland zu ermöglichen, zwingend auch für Personensorgeberechtigte von Kindern aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union vorzusehen wäre.
Die Erstreckung von § 28 AufenthG auf einen Sorgeberechtigten für ein Kind aus einem EU-Mitgliedstaat, konkret auf die Klägerin, ist nach Auffassung des Senats auch unter Einbeziehung der Wertungen aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 9 sowie Art. 24 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht geboten (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2019 – 1 BvR 1710/18, juris, Rn. 12 f.; BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020 – 1 BvR 932/20, juris, Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020 – 1 BvR 1094/20, BeckRS 2020, 20008; hierauf verweisend etwa Kurzidem, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, § 11 FreizügG/EU – Stand: 1. Januar 2021 – Rn. 5). Diese grundrechtliche Einbettung spricht in Fällen wie dem hiesigen zwar gegen einen (faktischen) Zwang zur Ausreise und damit für die Gewährung existenzsichernder Leistungen: Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK müssen nach den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bei der Prüfung, ob ein sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers über ein Aufenthaltsrecht verfügt, berücksichtigt werden. Der Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 GG ist insbesondere berührt, wenn den Betroffenen durch das behördliche Verhalten ein familiäres Zusammenleben nur im Heimatland, nicht aber im Bundesgebiet ermöglicht würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83, juris Rn. 88 ff.). Das innerdeutsche Recht ermöglicht aber, wie nachfolgend näher auszuführen ist, jedenfalls im Falle der Klägerin zu 2. die Gewährung existenzsichernder Leistungen, wenn auch nicht durch einen Anspruch gegenüber dem Beklagten, sondern im Verhältnis zu der Beigeladenen. Auch die grundrechtliche Einbettung führt daher weder dazu, § 28 AufenthG entgegen dem Wortlaut auf Eltern von (freizügigkeitsberechtigten) Kindern aus einem anderen Mitgliedstaat der Union zu erstrecken, noch gibt sie Anlass, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Auch kann der Senat vor diesem Hintergrund offenlassen, ob zudem die Beschränkung der Meistbegünstigungsklausel aus § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU a.F./§ 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU n.F. auf Fälle, bei denen ein Gesamtvergleich ergibt, dass die Rechtsstellung nach dem Aufenthaltsgesetz günstiger ist als die nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU, einer Lösung über § 28 AufenthG entgegensteht (vgl. hierzu Hess. VGH, Urteil vom 16. November 2016 – 9 A 242/15, BeckRS 2016, 110643 Rn. 31 f.; dem folgend Hess. LSG – erkennender Senat –, Beschluss vom 29. Juli 2021 – L 6 AS 209/21 B ER, juris, Rn. 146).
Weiter ergab sich ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 2. im streitigen Zeitraum nicht aus § 36 AufenthG und des dort geregelten Familiennachzugs zu einem im Inland lebenden Minderjährigen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Nach dessen Abs. 2 Satz 1 kann zwar, auch wenn sich – wie hier der Kläger zu 1. – ein weiterer personensorgeberechtigter Elternteil eines ausländischen Kindes im Bundesgebiet aufhält, einem sonstigen Familienangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Auch kann von einer außergewöhnlichen Härte angesichts der individuellen Situation der Familie der Kläger im konkreten Fall durchaus ausgegangen werden. Allerdings gelten im Rahmen von § 36 AufenthG die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln, insbesondere das Erfordernis eines gesicherten Lebensunterhalts, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. Hailbronner, in: ders., Ausländerrecht, Update Mai 2021, AufenthG § 36 Rn. 9). Dessen Sicherung aber kann vorliegend gerade nicht angenommen werden, nachdem im hiesigen Rechtsstreit existenzsichernde Leistungen im Streit stehen. Ein anderes Ergebnis ergibt sich im hiesigen Zusammenhang auch nicht aus der Regelung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus § 30 Abs. 3 AufenthG, die auch für § 36 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt, und zwar selbst dann, wenn man diese analog anwenden und dem dort ausdrücklich geregelten Verlängerungsfall den Fall gleichstellen wollte, dass zuvor ein Freizügigkeitsrecht auf unionsrechtlicher Grundlage bestand. Auch in diesem Falle stände das Aufenthaltsrecht im Ermessen der zuständigen Ausländerbehörde, das der Senat nicht, auch nicht im sozialrechtlichen Zusammenhang ersetzen kann.
Schließlich vermag auch ein Rückgriff unmittelbar auf § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG beziehungsweise die Annahme aufenthaltsrechtlicher Vorwirkungen nach Auffassung des Senats ein materielles Aufenthaltsrecht zu Gunsten der Klägerin zu 2. nicht zu begründen, da die allgemeinen materiellen Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus § 5 AufenthG, namentlich die Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. Nr. 1 AufenthG, im konkreten Fall nicht vorliegen.
IV. Die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen an die Klägerin zu 2. kann daher keinen Bestand haben; allerdings ist – an dessen Stelle – die Beigeladene zur Erbringung existenzsichernder Leistungen zu verurteilen.
1. Beim Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind die Betroffenen dem Leistungssystem der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch zugewiesen (vgl. BT-Drucks. 18/10211). Dies gilt im Grundsatz sowohl für die Zeit vor wie für die Zeit nach der durch das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zum 1. August 2016 bewirkten Rechtsänderung; der mit diesem verbundene und in der Sache selbstverständlich ganz erhebliche Unterschied beschränkt sich systematisch darauf, dass die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch fortan auf die Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII beschränkt sind (vgl. nochmals BT-Drucks. 18/10211).
Hinsichtlich der regulären Hilfen zum Lebensunterhalt nach § 17, § 19, § 27 ff. SGB XII ist die Klägerin zu 2. vor diesem Hintergrund aus denselben Gründen ausgeschlossen wie von den Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch; der Ausschlusstatbestand aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII stimmt mit § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II überein.
Hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII n.F. unterfallen, werden jedoch gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII n.F. bis zur Ausreise, längstens für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII umfassen die Überbrückungsleistungen (1.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, (2.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Abs. 4 und § 30 Abs. 7 SGB XII, (3.) die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und (4.) Leistungen nach § 50 Nr. 1 bis 3 SGB XII (Hilfen bei Schwangerschaft und Mutterschaft). Nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII werden, soweit besondere Umstände im Einzelfall dies erfordern, Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte weitere Leistungen gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.
2. Der Klägerin zu 2. steht auf Grund der spezifischen Umstände des Einzelfalles ein Anspruch auf Übergangsleistungen über die Regelfrist von einem Monat hinaus für den gesamten hier streitigen Zeitraum zu.
a) Mit einem entsprechenden Anspruch ist die Klägerin zu 2. nicht ausgeschlossen. Zwar weist die Beigeladene darauf hin, dass sie entsprechende Leistungen im Sommer 2017 bereits gewährt und über den 10. September 2017 hinausgehende Leistungen durch Bescheid vom 1. September 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2018 abgelehnt habe. Beides steht aber einer Verurteilung der Beigeladenen vorliegend nicht entgegen.
So ist es zwar im Ausgangspunkt zutreffend, dass Überbrückungsleistungen nur einmalig innerhalb von zwei Jahren gewährt werden können (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII). Das kann aber jedenfalls dann nicht zum Ausschluss von entsprechenden Leistungen führen, wenn die erstmalige Gewährung von Überbrückungsleistungen – wie hier im Sommer 2017 – darauf beruhte, dass der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Arbeitslosengeld II zu Unrecht nicht erbracht hat, dies im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren, konkret im Verfahren vor dem Senat zum Aktenzeichen L 6 AS 595/20, für den entsprechenden Zeitraum korrigiert worden ist und der Sozialhilfeträger daher mit einer Erstattung der von ihm erbrachten Leistungen rechnen kann, wie sich dies im konkreten Fall aus dem im genannten Verfahren geschlossenen Vergleich ergibt. Die Gewährung von Übergangsleistungen hat danach als (teilweise) Erfüllung des Anspruchs auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu gelten (vgl. § 107 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X)).
Weiter steht auch der Ablehnungsbescheid der Beigeladenen vom 1. September 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2018 der Erbringung von Leistungen für den hier streitigen Zeitraum nicht entgegen. Mit dem genannten Bescheid hat die Beigeladene (nur) das Leistungsbegehren (unter anderem) der Klägerin zu 2. aus dem Sommer 2017 beschieden. Ebenso wenig wie dies einem direkt bei der Beigeladenen gestellten Neuantrag entgegenstehen würde, hindert dies an der Verurteilung im Rahmen von § 75 Abs. 5 SGG aufgrund der Zurechnung eines beim Beklagten (später) gestellten Antrags auf existenzsichernde Leistungen, wie dies hier im Dezember 2017 geschehen ist. Ein entsprechender Neuantrag (und ein daraufhin ergehender Bescheid) hat Zäsurwirkung, die auch im Zusammenhang von § 75 Abs. 2, Abs. 5 SGG zu beachten ist; die Reichweite einer ablehnenden Entscheidung, wie hier durch den Bescheid vom 1. September 2017, ist in ihrer zeitlichen Reichweite regelmäßig entsprechend beschränkt, sofern der Leistungsträger nicht mit dem auf den ersten Antrag hin ergehenden Bescheid sogleich auch den zweiten Antrag ablehnt, wofür hier schon auf Grund der zeitlichen Abfolge nichts ersichtlich ist.
b) Der Tatbestand des danach grundsätzlich eröffneten Leistungsanspruchs aus § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII setzt nur voraus, dass die Person vom Ausschluss regulärer Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfasst und hilfebedürftig ist (vgl. Hess. LSG Beschluss vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER, juris, Rn. 15). An beidem besteht kein Zweifel.
Über die Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII hinaus ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Ausreisewillens oder der Bekundung eines solchen Ausreisewillens zu fordern (vgl. Hess. LSG – erkennender Senat – Urteil vom 1. Dezember 2021 – L 6 AS 1/29, juris, Rn. 97; Hess. LSG, Beschluss vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER, juris; außerdem LSG Hamburg, Beschluss vom 21. Februar 2018 – L 4 SO 10/18 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18, juris, Rn. 61 f.; Siefert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rn. 100 und 100.1; a.A.: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19, juris, Rn. 49; Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 77/17 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017 – L 23 SO 30/17 B ER). Allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber mit den Leistungsausschlüssen auf eine Ausreise hinwirken und mit den Überbrückungsleistungen den Lebensunterhalt „bis zur Ausreise“ sichern will (vgl. BT-Drucks. 18/10211, S. 16), kann ein derartiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nicht abgeleitet werden. Angesichts des Wortlauts, der ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal gerade nicht vorsieht, müssten sich hierfür sehr gewichtige Gründe anhand der anderen etablierten Auslegungskriterien aufweisen lassen. Eher das Gegenteil ist aber der Fall: Namentlich besteht unter systematischen Gesichtspunkten kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber den Personenkreis, auf den die Regelung zielt, schlechter stellen wollte als den nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz, auf den die Begründung des Gesetzentwurfs – hinsichtlich der Leistungshöhe – ausdrücklich Bezug nimmt (BT-Drucks. 18/10211, S. 16) und in dessen Rahmen ein Ausreisewille ebenfalls nicht zur Tatbestandsvoraussetzung erhoben ist.
c) Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Überbrückungsleistungen sind im vorliegenden Fall – ausnahmsweise – für den gesamten streitigen Zeitraum gegeben. Zwar weist die Beigeladene im Ausgangspunkt zweifellos zu Recht darauf hin, dass das Gesetz regelmäßig die Erbringung von Überbrückungsleistungen nur für einen Monat vorsieht (§ 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII). Allerdings enthält die Vorschrift, wie gesehen, in § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbs. 2 SGB XII eine auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums gebotene Öffnungsklausel, wonach Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen sind, soweit dies im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Auf Grund dieses Zusammenhangs ist bei der Auslegung der Härtefallklausel und der Rechtsfolgen aus § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die je aktuelle Sicherstellung des Existenzminimums und gegebenenfalls weiteren im Einzelfall bedeutsamen Grundrechten wie hier dem auf Schutz der Familie Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund können und müssen die Gerichte die unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII („besondere Umstände“, „besondere Härte“) unter Berücksichtigung der Wertungen aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und – im hiesigen Fall – zudem aus Art. 6 GG je nach Lage des Einzelfalls im Sinne einer über einen Monat hinausgehenden Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums auslegen (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 1. Juli 2020 – L 4 SO 120/18, juris, Rn. 73; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. November 2018 – L 8 SO 134/18 B ER, juris, Rn. 26; im Erg. teilweise auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18, juris; krit. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. November 2019 – L 7 SO 3873/19 ER-B, juris, Rn. 27).
Daher ist im konkreten Fall angesichts der besonderen Lebensumstände der Klägerin zu 2. für den gesamten hier streitigen Zeitraum von einem Anspruch auf Überbrückungsleistungen auszugehen. Auf Grund – zu Beginn des Streitzeitraums – der Sorge für den Kläger zu 3. und der unmittelbar bevorstehenden Geburt des Klägers zu 4. und – später – der Sorge für zwei Kleinstkinder gemeinsam mit dem Kläger zu 1., der sich freizügigkeitsberechtigt im Inland aufhielt, liegen ganz besondere Umstände vor, die eine fortdauernde Gewährung von Überbrückungsgeld über den gesamten Zeitraum hinweg notwendig machten. Hierzu bedarf es nach Auffassung des Senats nicht einmal einer verfassungskonformen ausdehnenden Auslegung der Vorschrift; vielmehr ist die unmittelbar bevorstehende Geburt und die Betreuung zunächst eines, später zweier berechtigt im Inland lebender Kleinstkinder ohne Weiteres dem unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift zuzuordnen.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
VI. Die Revision ist wegen der besonderen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) für die Klägerin zu 2., den Beklagten und die Beigeladene zuzulassen.