S 38 KA 108/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 108/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Nach gefestigter Rechtsprechung (vgl BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az B 6 KA 13/15 R; BSG, Urteil vom 02.04.2003, B 6 KA 30/02 R; BSG, Urteil vom 08.09.2004, Az B 6 KA 32/03 R) haben die Ärzte ihre Tätigkeit auf das Fachgebiet zu beschränken, wie dies in der Weiterbildungsordnung (WBO) normiert ist. Die Fachgebietsgrenzen werden weder durch persönliche Qualifikationen des Arztes, noch durch Sondergenehmigungen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Erbringung und Abrechnung weiterer Leistungen oder durch eine berufsrechtliche Berechtigung zum Führen von Zusatzbezeichnungen erweitert (vgl. BSG, Urteil vom 15.07.2020, Az B 6 KA 19/19 R).

II. Männerbehandlungen im Rahmen der sog. Kinderwunschbehandlung (z.B. Chromosomenanalyse nach mehrfacher fehlgeschlagener Schwangerschaft), durchgeführt von einer Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe stellen fachfremde Leistungen dar.

III. Bei solchen Männerhandlungen handelt sich auch nicht um Adnexleistungen, weil das Nichterbringen die gebotene Leistung des eigenen Fachgebietes nicht entwertet und auch deren Erfolg nicht gefährdet.

IV. Ausnahmsweise ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung wegen Vertrauensschutzes ausgeschlossen. Eine solche ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass nunmehr gestrichene Leistungen über einen längeren Zeitraum ohne Beanstandung abgerechnet wurden und auch nicht aus der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch.

V. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung steht im Zusammenhang mit der Honorarverteilung in einem bestimmten Quartal. Der Verbrauch der Prüfkompetenz in diesem Quartal durch vorbehaltlose Bestätigung (zum Beispiel: nachfolgende Korrektur der erfolgten sachlich-rechnerischen Richtigstellung) führt nicht zu einem Verbrauch der Prüfkompetenz in nachfolgenden Quartalen.


I. Die Klage/n wird/werden abgewiesen.


II. Die Klägerin trägt die Kosten des /der Verfahren.


T a t b e s t a n d :

Nach Verbindung der Verfahren unter dem führenden Aktenzeichen S 38 KA 108/21 bezieht sich die Klage auf insgesamt vier Quartale, nämlich die Quartale 2/20, 3/20, 4/20 und 1/21, in denen jeweils sachlich-rechnerische Richtigstellungen (Gebührenordnungspositionen 01842, 11301, 11302, 11502, 11502U, 11503, 11503U, 40100, 40120 und 40144) vorgenommen wurden und insgesamt ein Betrag in Höhe von 34.622,57€ zurückgefordert wurde. Strittig zwischen den Beteiligten ist, ob die in der Praxis der Klägerin tätige Gynäkologin mit der Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik" sogenannte Männerbehandlungen durchführen darf. In der Praxis der Klägerin, in der auch in-vitro Diagnostik im Rahmen der Kinderwunschbehandlung, nicht aber im Rahmen der Reproduktionsmedizin durchgeführt wird, sind auch Humangenetiker tätig. Die Beklagte weist auf das Bayerische Kammergesetz und die Weiterbildungsordnung für Ärzte Bayerns (WBO) hin. Danach beziehe sich die Zulassung nur auf die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Rahmen des Gebietes. Schwerpunktbezeichnungen, Genehmigungen (die Genehmigung erfolge qualifikationsgebunden auf der Grundlage der Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik) und Zusatzbezeichnungen erweiterten nicht die Fachgebietsgrenzen. In diesem Sinne habe das Bundessozialgericht mehrfach entschieden (vgl. BSG, Beschluss vom 28.10.2015, Az B 6 KA 12/15B). Insofern seien Behandlungen von Männern durch Gynäkologen ausgeschlossen. Nur ausnahmsweise, zum Beispiel bei Notfällen, bei der künstlichen Befruchtung, wenn die fachfremden Leistungen im Verhältnis zu der vorgenommenen Fachbehandlung von gänzlich untergeordneter Bedeutung sind und Behandlungen von Männern mit diagnostiziertem Mamma-Karzinom seien diese Leistungen auch für Gynäkologen abrechenbar. Soweit die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 15.07.2020 (B 6 KA 19/19 R) zitiert werde, habe dieses in dem dort streitgegenständlichen Verfahren letztendlich offen gelassen, ob sonografische Leistungen für einen Facharzt für Rehabilitative Medizin als fachfremd anzusehen seien.
Dagegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Klagen zum Sozialgericht München ein. Sie führte aus, die Leistungen seien nicht fachfremd. Das Bundessozialgericht habe die Frage der Fachfremdheit explizit offengelassen. Falls dies doch der Fall sein sollte, dann gebe es keinen generellen Ausschluss unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 15.07.2020 (Az B 6 KA 19/19 R). Die Genehmigung für Medizinische Genetik sei auch nicht auf die frauenärztliche Behandlung beschränkt. Zudem sei auf den Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 432. Sitzung zur Abänderung des EBM, Teil B zum 01.04.2019, Unterpunkt 9 hinzuweisen. Dieser Beschluss sei in das Regelwerk des EBM übernommen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine Abrechnung von Gebührenordnungspositionen durch den Frauenarzt auf dem Behandlungsschein eines Mannes zulässig, wenn der EBM ausnahmsweise eine Abrechnungsmöglichkeit vorsehe.
Nach Auffassung der Beklagten zur Änderung des EBM aufgrund des Beschlusses des Bewertungsausschusses in seiner 432. Sitzung handle es sich hierbei um eine Ausnahmeregelung und gewissermaßen um einen gebührenordnungsmäßig geregelten Fall einer Adnexleistung. Es müsse aber ein unmittelbarer Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung bestehen. Nach Kapitel 8.5 Nummer 9 Satz 1 des EBM seien die in Satz 1 aufgeführten Leistungen auf dem Behandlungsausweis des Ehemannes neben der GOP 08540 durch Gynäkologen ohne Zusatzbezeichnung abrechenbar. Kapitel 8.5 Nummer 9 Satz 2 des EBM erlaube den Ansatz zusätzlicher Leistungen, was jedoch auch die Erbringung der Leistung nach der GOP 08540 voraussetze. Diese Leistung werde jedoch von der klägerischen Praxis nicht abgerechnet.
In der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht München am 28.04.2022 wurde die Sach-und Rechtslage mit den anwesenden Beteiligten besprochen. Insbesondere tauschten sich die Beteiligten - wenn auch mit unterschiedlicher Auffassung - über die Bedeutung des Beschlusses des Bewertungsausschusses für das streitgegenständliche Verfahren aus. Zudem übergab die Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Gericht das Schreiben der Beklagten vom 16.11.2016, das Quartal 4/2015 betreffend. Darin habe die Beklagte eingeräumt, die Leistungen der Gebührenordnungspositionen 11310, 11312, 40144, 40120, 32010 und 11230 mit dem Streichungsgrund MS 0043 (die Leistung gehört nicht zum Umfang des Fachgebietes) bei diversen Patienten zu Unrecht abgesetzt zu haben. Die gestrichenen Ziffern hätten auch den Buchstaben "U" enthalten. Die jetzt gestrichenen Leistungen seien vom Inhalt her mit den Leistungen identisch, die damals der Klägerin mit Schreiben vom 16.11.2016 zugestanden worden seien. Auch dies deute darauf hin, dass die Leistungen nicht im Bereich der Reproduktionsmedizin, sondern im Bereich der Kinderwunschbehandlung erfolgt seien und von der Beklagten nicht beanstandet wurden. Ferner gebe es in dem Zusammenhang eine entsprechende Information in KVB Infos 3/19. Schließlich sei darauf aufmerksam zu machen, dass die Leistungen zwischen den Quartalen 2/19 bis 1/20 ohne Beanstandung durch die Beklagte abgerechnet wurden. Insgesamt handle es sich zumindest um eine Adnexleistung vor der Entscheidung der Eltern, reproduktionsmedizinische Behandlungen vornehmen zu lassen. Geschuldet werde an sich der Behandlungserfolg insgesamt. Denn sowohl die Frau, als auch der Mann kämen als Träger des genetischen Risikos in Betracht. Die mündliche Verhandlung wurde vertagt, um der Beklagten insbesondere Gelegenheit zu geben, zum von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Schreiben vom 16.11.2016 Stellung zu nehmen.
Die Beklagte äußerte sich zu dem von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zitierten Schreiben dahingehend, dieses betreffe nur das Quartal 4/15 und nur die im Betreff genannten Leistungen. Das Schreiben enthalte aber keine allgemeine Aussage über die zukünftige Abrechenbarkeit anderer (fachfremder) Leistungen. Die Leistungen der GOP 11301, 11302, 11501, 11502, 11503 seien erst zum 01.07.2016, die Leistungen nach der GOP 01852 erst zum 01.04.2019 in den EBM übernommen worden. Selbst wenn das Schreiben vom 06.11.2016 Vertrauensschutz entfalten sollte, könne sich dieser nur auf die genannten Ziffern beziehen und wäre spätestens mit der Streichung der Ziffern entfallen. Auch aus dem Kürzel MS 0043 sei nicht zu schließen, die Beklagte werde künftig keine Leistungen mit diesem Streichungsgrund vornehmen. Auch gebe es keinen Vertrauensschutz, wenn vor dem Quartal 2/20 Leistungen beanstandungsfrei abgerechnet wurden (vgl BSG, Urteil vom 20.03.1996, Az 6 RKa 34/95; SG A-Stadt, Urteil vom 24.09.2019, Az S 43 KA 210/17).
Dem entgegnete die Prozessbevollmächtigte der Klägerin dahingehend, es sei nach wie vor nicht von einer Fachfremdheit auszugehen. Selbst wenn man dies annehme, so handle es sich um eine Adnexleistung. Unzutreffend sei der Hinweis der Beklagten, die gestrichenen Gebührenordnungspositionen in Bezug auf Männer seien nur zusammen mit den Leistungen aus der Reproduktionsmedizin abzurechnen. Denn auch die "Richtlinie zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch" vom 10.12.1985, zuletzt geändert am 20.07.2019 unterscheide nicht zwischen Männern und Frauen. Die Vorschrift basiere auf § 24a SGB V, der eine Behandlung auch von Männern vorsehe. Als Fachärztin für Frauenheilkunde mit der Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik" dürfe M1. Leistungen sowohl Frauen als auch Männern gegenüber erbringen. In den KVB Infos 3/2019 werde unter der Überschrift "neu" 01842 ausgeführt, der Zuschlag stehe im Zusammenhang mit einer in vitro-Diagnostik zur Untersuchung eines möglichen genetischen Risikos gemäß der Richtlinie "Empfängnisregelung und Schwangerschaftsabbruch". Damit bringe auch die Beklagte zum Ausdruck, dass die Gebührenordnungspositionen 01842, 11502, 11503 nicht nur bei der Reproduktionsmedizin Anwendung fänden, sondern auch bei der Empfängnisregelung.
Zudem könne sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen. In der verwendeten Prüfregel MS 0043 im Bescheid vom 16.11.2016 komme zum Ausdruck, dass Leistungen der Genetik an Männern nicht fachfremd seien. Die Behauptung der Beklagten, der Vertrauensschutz beziehe sich nur auf die im Betreff genannten Leistungen werde bestritten und sei unzutreffend. Denn es gebe rein medizinisch zwischen den im Bescheid vom 16.11.2016 genannten Gebührenordnungspositionen und den hier strittigen Gebührenordnungspositionen keine Unterschiede, sodass der Vertrauensschutz nicht entfallen sei. Im Übrigen sei die Betreffzeile nicht maßgeblich, sondern die Wertungen und Bewertungen seien identisch geblieben. Schließlich habe auch die Beklagte eine Informationspflicht. Die Leistungen hätten nämlich auf jeden Fall in der eigenen Praxis erbracht werden können.
Hierzu führte die Beklagte aus, in der Richtlinie "Empfängnisregelung und Schwangerschaftsabbruch" werde in Abschnitt A (Allgemeines) Ziff. 2 ausdrücklich auf die berufsrechtlichen Vorschriften Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung am 05.07.2023 wurde nochmals die Sach-und Rechtslage mit den Beteiligten besprochen. Für die Klägerin schilderte G. den Standardfall in der Praxis. Danach kämen vor allem Paare in die Praxis nach fehlgeschlagener Schwangerschaft (Schwangerschaftsverlust). Ursache sei eine besondere Chromosomenkonstellation. Deshalb finde eine Chromosomenanalyse statt. Beurteilt werde dann die sogenannte Wiederholungswahrscheinlichkeit. Träger des Risikos seien sowohl die Frau, als auch der Mann. Soweit die Beklagte darauf hinweise, die Gebührenordnungspositionen seien unterschiedlich, komme es maßgeblich auf den Leistungsinhalt an, der identisch sei. So entspreche die Leistung nach der GOP 01838 der Leistung der GOP 11502.
Dagegen betonte die Beklagte, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eindeutig. Maßgeblich sei allein der Inhalt der Weiterbildungsordnung. Der EBM sei für die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen nicht zuständig. Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin seien die Ziffern vom Wortlaut her nicht inhaltsgleich, auch wenn sie medizinisch identisch sein mögen. So könne sich die Klägerin nicht auf Vertrauensschutz berufen. Hinsichtlich des Kürzels MS 0043 handle es sich diesbezüglich um ein rein KVB-internes Instrument, auf das ein Vertrauensschutz nicht gestützt werden könne.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte deutlich, es gehe hier um eine klare genetische Disposition. Die Behandlung könne nicht zu Ende geführt werden, wenn nicht gleichzeitig eine Männerbehandlung stattfinde. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin wies auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart vom 18.12.2014 zur Adnexleistung hin. (§ 24a SGB V). Auch nach den KVB-Infos folge aus der speziellen Kennzeichnungsmöglichkeit durch "U", dass die Leistungen nicht nur im Rahmen der Reproduktionsmedizin, sondern auch im Rahmen der Kinderwunschbehandlung abrechenbar seien.
In der mündlichen Verhandlung am 05.07.2023 stellte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Anträge aus den Schriftsätzen vom 11.06.2021, 08.11.2021 und 09.12.2021 sowie 08.03.2020. Es wurde klargestellt, dass sich die Klage unter dem Aktenzeichen S 38 KA 287/21, betreffend das Quartal 3/2020 nicht auf die Absetzung der Gebührenordnungspositionen 11501V und 11502V im Behandlungsfall S.in Höhe von 161,84 € beziehen soll.
Der Vertreter der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlungen waren die Beklagtenakten. Auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschriften vom 28.04.2022 und 05.07.2023 wird verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vorgenommenen sachlich rechnerischen Richtigstellungen ist § 106d Abs. 1, 2 SGB V in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 1 BMV-Ä bzw. 34 Abs. 4 EKV-Ä. Danach prüft die Kassenärztliche Vereinigung die Rechtmäßigkeit der Abrechnung und stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnung fest. Es sind nicht nur Leistungen, die nicht oder nicht vollständig erbracht sind, zu berichtigen, sondern auch solche, die für den abrechnenden Vertragsarzt fachfremd sind. Die Klägerin ist eine MVZ-GbR, bestehend aus Frauenärzten und Humangenetikern. Die hier strittigen Leistungen wurden von M1., einer Gynäkologin mit der Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik" erbracht. Nach gefestigter Rechtsprechung (vgl BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az B 6 KA 13/15 R; BSG, Urteil vom 02.04.2003, B 6 KA 30/02 R; BSG, Urteil vom 08.09.2004, Az B 6 KA 32/03 R) haben die Ärzte ihre Tätigkeit auf das Fachgebiet zu beschränken, wie dies in der Weiterbildungsordnung (WBO) normiert ist. Maßgeblich ist hier die Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 18.10.1992 in der Fassung vom 28.10.2018 (Änderungen durch die Beschlüsse des 77. Bayerischen Ärztetages am 28.10.2018). Nach § 2 Abs. 1 WBO führt der erfolgreiche Abschluss der Weiterbildung unter anderem zu einer Facharztbezeichnung in einem Gebiet. Aus § 2 Abs. 2 Satz 2 WBO ergibt sich, dass die Gebietsdefinition die Grenzen für die Ausübung der fachärztlichen Tätigkeit bestimmt (WBO, Abschnitt B Gebiete, Facharzt und Schwerpunktkompetenzen). Für die Beurteilung der Fachfremdheit/Fachkonformität ist darauf abzustellen, welche Inhalte und Ziele der Weiterbildung in der Weiterbildungsordnung für das jeweilige Gebiet genannt werden. Nach Abschnitt B Ziffer 8 WBO ist das Gebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe wie folgt definiert:
"Das Gebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe umfasst die Erkennung, Vorbeugung, konservative und operative Behandlung sowie Nachsorge von geschlechtsspezifischen Gesundheitsstörungen der Frau einschließlich plastisch-rekonstruktiver Eingriffe, der gynäkologischen Onkologie, Endokrinologie, Fortpflanzungsmedizin, der Betreuung und Überwachung normaler und gestörter Schwangerschaften, Geburten und Wochenbettverläufe sowie der Prä-und Perinatalmedizin und die Proktologie, soweit für Erkrankungen des Gebietes erforderlich."
Nach dem Wortlaut ist das Fachgebiet eindeutig auf die Behandlung der Frau beschränkt, was bedeutet, dass Männerbehandlungen ausgeschlossen sind. M1. verfügt außerdem über die Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik". Dies ändert aber an der Fachfremdheit nichts. Denn die Rechtsprechung hat wiederholt klargestellt, dass die Fachgebietsgrenzen weder durch persönliche Qualifikationen des Arztes, noch durch Sondergenehmigungen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Erbringung und Abrechnung weiterer Leistungen oder durch eine berufsrechtliche Berechtigung zum Führen von Zusatzbezeichnungen erweitert werden können (BSG, Urteil vom 15.07.2020, Az B 6 KA 19/19 R).
Anerkannt sind allerdings Ausnahmen, so bei Notfällen, bei der künstlichen Befruchtung, wenn die fachfremden Leistungen im Verhältnis zu der vorgenommenen Fachbehandlung von gänzlich untergeordneter Bedeutung sind und bei Behandlungen von Männern mit diagnostiziertem Mamma-Karzinom. Eine solche Ausnahmekonstellation liegt hier nicht vor.
Männerbehandlungen durch M1. sind auch nicht als Adnexleistungen anzusehen. Darunter "versteht man gebietsfremde Leistungen, die im konkreten Fall in einem engen medizinisch-persönlichen Zusammenhang mit einer gebietskonformen Leistung stehen und deren Nichterbringung die gebotene Leistung des eigenen Fachgebiets entwerten oder deren Erfolg gefährden würde (vgl BayLSG, Urteil vom 21.01.2004, Az L 12 KA 115/01). Ohne Frage ist M1. auch aufgrund ihres Fachgebietes verbunden mit ihrer Zusatzbezeichnung befugt, in vitro-Diagnostik bei Frauen zu erbringen. Entsprechende Leistungen bei Männern stehen mit der gebietskonformen Leistung, erbracht an Frauen, im Zusammenhang. In den von G. geschilderten Fällen geht es unter anderem um eine Chromosomenanalyse nach Fehlgeburten. In diesem Fall kommen sowohl die Frau, als auch der Mann oder beide als Risikoträger in Betracht. Deshalb erscheint es auch für das Gericht sinnvoll, wenn alle mit einer Kinderwunschbehandlung in Zusammenhang stehenden Untersuchungsleistungen von einer Ärztin/einem Arzt erbracht werden, nicht zuletzt, weil dies die Ursachensuche für die bisher fehlgeschlagenen Schwangerschaften erleichtert. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass ein Nichterbringen der Männerbehandlung die gebotene Leistung des eigenen Fachgebietes entwerten oder deren Erfolg gefährden würde. Denn es besteht die Möglichkeit, alio loco entsprechende Chromosomenanalysen bei Männern von Humangenetikern durchführen zu lassen. Im Speziellen besteht sogar die Möglichkeit, in der eigenen Praxis der MVZ-GbR die Leistungen durch die dort tätigen Humangenetiker erbringen zu lassen.
Der Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner 432. Sitzung sieht unter Teil B zum 01.04.2019, Unterpunkt 9 Adnexleistungen vor, die schließlich in den EBM übernommen wurden. Nach Unterpunkt 9 Satz 1 sind die dort genannten Leistungen (Gebührenordnungspositionen 011002, 08211, 08520 und mehrere Kostenpauschalen) auf dem Behandlungsausweis des Ehemanns abrechenbar, wobei sich die Frage stellt, ob die Einschränkung auf den Ehemann mit dem Grundgesetz, insbesondere Art. 3 Grundgesetz, aber auch mit einfach gesetzlichen Regelungen, so dem Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft zu vereinbaren ist. Darauf kommt es aber letztendlich nicht an, abgesehen davon, dass dies von den Beteiligten nicht thematisiert wurde. Denn Voraussetzung ist die Erbringung der Leistung nach der GOP 08540 (Gewinnung und Untersuchung(en) des Spermas).
Darüber hinaus können Vertragsärzte, die die Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik" führen, nach dem EBM zusätzliche Leistungen, nämlich Leistungen nach den Gebührenordnungspositionen 08575, 08576, 11351, 11352, 11501-11503, 11506, 11508 auf dem Behandlungsausweis des Ehemanns berechnen. Unterpunkt 9 Satz 2 des Beschlusses des Gemeinsamen Bewertungsausschusses steht aber nicht isoliert. Vielmehr ist ein Zusammenhang mit Unterpunkt 9 Satz 1 gegeben, wie sich aus der Formulierung "können zusätzlich" ergibt. Dies bedeutet, dass auch diese Leistungen, erbracht von einer Gynäkologin mit der Zusatzbezeichnung "Medizinische Genetik", nur neben der Leistung der GOP 08540 auf den Behandlungsschein des Ehemanns abrechenbar sind. Wie die Klägerseite wiederholt sowohl schriftsätzlich als auch mündlich ausführte, erbringt sie keine Leistungen auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin, sondern führt sogenannte Kinderwunschbehandlungen durch. Insofern spricht der Wortlaut des Beschlusses dagegen, die von der Klägerin abgerechneten Männerbehandlungen als Adnexleistungen anzusehen. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Beschlusses des Gemeinsamen Bewertungsausschusses erübrigt sich, andere Auslegungsregeln heranzuziehen.
Trotz Fachfremdheit der Leistungen und Nichtvorliegens von Adnexleistungen können diese aber auch aus Gründen des Vertrauensschutzes erbracht und abgerechnet werden.
Die Klägerseite weist darauf hin, dass zwischen den Quartalen 2/19 und 1/20, also vor den hier strittigen Quartalen die nunmehr gestrichenen Leistungen ohne Beanstandung abgerechnet wurden. Daraus erwächst jedoch kein Vertrauensschutz. Denn dieser Umstand ist nicht vergleichbar mit einer vorausgegangenen vorbehaltlosen Prüfung im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung (vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2017, Az B 6 KA 33/16 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.03.2016, Az L 5 KA 3799/13; SG München, Urteil vom 25.11.2020, Az S 38 KA 351/19). Wollte man bei dieser Konstellation Vertrauensschutz gewähren, würde dies letztendlich darauf hinauslaufen, dass in vielen Fällen eine Korrektur der Honorarabrechnung ausgeschlossen wäre und die Vorschriften über die sachlich-rechnerischen Richtigstellung obsolet wären.
Auch aus der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses "zur Empfängnisregelung und zum Schwangerschaftsabbruch" in der Fassung vom 10.12.1985, zuletzt geändert am 20.06.2019 lässt sich kein Vertrauensschutz begründen. Rechtsgrundlagen dieser Richtlinie sind § 92 Abs. 1 S. 2 SGB V in Verbindung mit §§ 24a, 24b SGB V. Nach A. Allgemeines Ziff. 1 der Richtlinie umfassen die nach dieser Richtlinie durch die Ärztin/den Arzt auszuführenden Maßnahmen auch die Beratung über Fragen der Empfängnisregelung/Empfängnisverhütung (§ 24a SGB V). Diese ärztliche Beratung schließt auch Hilfen, eine Schwangerschaft zu ermöglichen mit ein (B. Empfängnisregelung Ziff. 1., 3. und 4.). Dies könnte darauf hinweisen, dass auch Männerbehandlungen zum Bereich der Empfängnisregelung dazugehören. Allerdings dürfen nach A. Allgemeines Ziff. 2 der Richtlinie, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, Maßnahmen nach dieser Richtlinie nur von Ärztinnen/Ärzten ausgeführt werden, welche die vorgesehenen Leistungen aufgrund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen erbringen können, nach dem ärztlichen Berufsrecht dazu befugt sind und über die erforderlichen Einrichtungen verfügen. Insofern wird hier auch auf die Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns Bezug genommen, nach der Männerbehandlungen ausgeschlossen sind. Somit ergibt sich allgemein keine Befugnis zu Männerbehandlungen durch die Vertragsärztin aus dieser Richtlinie, auch wenn diese ihre Rechtsgrundlage in §§ 24a, 24b SGB V hat.
Außerdem ist aus der gesetzlichen Regelung in § 24a SGB V eine solche Befugnis nicht herzuleiten. Die genannte Vorschrift regelt den Anspruch der Versicherten, also auch von Männern, auf ärztliche Beratung über die Fragen der Empfängnisregelung. Von welcher Arztgruppe diese Leistungen zu erbringen und abrechenbar sind, ergibt sich daraus nicht.
Ebenfalls folgt aus dem Schreiben der Beklagten vom 16.11.2016, das einen Verwaltungsakt darstellt, kein Vertrauensschutz. Der Bescheid betrifft die Abrechnung im Quartal 4/15 und die dort genannten Leistungen. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte hat verschiedene Fallkonstellationen entwickelt, bei denen aus Vertrauensschutzgründen eine Berichtigung von Honorarbescheiden ausgeschlossen ist. Anerkannt ist ein Vertrauensschutz u.a. dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung die Honoraranforderung des Vertragsarztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit überprüft und vorbehaltlos bestätigt hat (vgl BSG, Urteil vom 13.08.2014, Az B 6 KA 38/13 R; SG Marburg, Urteil vom 21.05.2021, Az S 12 KA 314/19). In diesem Fall ist die Befugnis zu einer nachträglichen sachlich-und rechnerischen Richtigstellung der ursprünglichen Honorarverteilung verbraucht.
Die hier vorliegende Konstellation ist jedoch eine andere. Denn das Schreiben/der Bescheid vom 16.11.2016 bezieht sich auf die Honorarverteilung des Quartals 4/15 (vgl. auch Betreffzeile), nicht aber auf die Honorarverteilung der hier strittigen Quartale 2/20 bis 1/21. Nachdem die sachlich-rechnerische Richtigstellung im Zusammenhang mit der Honorarverteilung in einem bestimmten Quartal steht, ist der Verbrauch der Befugnis zur Richtigstellung auch auf dieses bestimmte Quartal eingeschränkt. Voraussetzung für einen Verbrauch der Befugnis zur Richtigstellung ist daher, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit der ursprünglichen Honorarverteilung besteht. Dieses ist aber dann nicht der Fall, wenn sich der Bescheid, hier der Bescheid vom 16.11.2016 mit seiner vorbehaltlosen Anerkennung von Leistungen auf ein bestimmtes Quartal bezieht. Der Verbrauch der Prüfkompetenz im Quartal 4/15 führt nicht zu einem Verbrauch der Prüfkompetenz in nachfolgenden Quartalen. Daran ändert auch nichts, dass die in Bezug genommene Prüfregel (Streichungsgrund) MS 0043 im Bescheid vom 16.11.2016 die gleiche ist wie in den sachlich-rechnerischen Richtigstellungen der streitgegenständlichen Quartale. Denn es handelt sich um ein Kürzel, das dem in Klammern gesetzten Text entspricht, nämlich, dass die Leistung nicht zum Umfang des Fachgebietes gehört. Woraus sich hier ein Vertrauensschutz ergeben soll, ist auch im Hinblick auf den konkreten Quartalsbezug nicht ersichtlich.
Darauf, ob es sich um unterschiedliche Gebührenordnungspositionen handelt und, ob auf einen - wie von der Klägerseite behauptet - deckungsgleichen Leistungsinhalt abzustellen ist und die Wertungen und Bewertungen identisch sind, kommt es nicht an.
Letztendlich wird auch durch KVB Infos 3/19 kein Vertrauensschutz begründet. Zwar deuten die Formulierung wie auch die spezielle Kennzeichnungsmöglichkeit durch den Buchstaben "U" darauf hin, dass die Leistungen der Gebührenordnungspositionen 11502, 11503 und 11508 auch im Zusammenhang mit einer in-vitro Diagnostik zur Untersuchung eines möglichen genetischen Risikos stehen, also nicht nur im Rahmen der Reproduktionsmedizin, sondern auch im Rahmen der Kinderwunschbehandlung abrechenbar sind.
Die KVB Infos 3/19 enthalten jedoch keine Aussage zur Frage, wer befugt ist, die Leistungen zu erbringen. Im Übrigen sind die Ausführungen in den KVB Infos 3/19 nicht vergleichbar mit den von der Rechtsprechung aufgezeigten Fallkonstellationen, in denen Vertrauensschutz angenommen wird.
Aus den genannten Gründen war die Klage/Klagen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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