L 4 P 7/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 P 144/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 P 7/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur fehlenden Registrierung oder Anerkennung durch das Bayer. Landesamt für Pflege nach dem Bayer. AVSG.
2. Die Regelung der §§ 45 b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB XI, 80 ff Bayer. AVSG sind im Hinblick auf die Sicherung einer bestimmten Qualität der Pflege sachgerecht und verhältnismäßig.
3. Vorliegend zum Fehlen eines Anspruchs nach § 150 Abs. 5 SGB XI. Die Maßnahme muss zur Vermeidung von coronabedingten pflegerischen Versorgungsengpässen erforderlich sein.

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Januar 2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt die Gewährung des Entlastungsbetrags nach  § 45 b des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) ab Antragstellung.

Die 1997 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten und Berufungsbeklagten seit 2018 Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 3. Ihr Vater beantragte am 01.07.2021 für die Klägerin, den monatlichen Entlastungsbetrag in Höhe von 125,00 EUR an eine Privatperson, Herrn A, auszubezahlen. Hierzu legte er Nachweise über erbrachte Entlastungsleistungen für die Monate September 2020 bis Dezember 2020 sowie die Monate Februar 2021 bis Mai 2021 vor. Danach erbrachte Herr A an verschiedenen Tagen dieser Monate verschiedene haushaltsnahe Dienstleistungen (Reinigung der Wohnung, Bügeln, Kochen). Je Einzeltätigkeit wurde hierfür ein Betrag von 40,00 EUR geltend gemacht, sodass sich monatliche Gesamtbeträge zwischen 400,00 EUR und 600,00 EUR ergaben. Die Nachweise waren jeweils von Herrn A und dem Vater (=Bevollmächtigten) der Klägerin unterschrieben.

Nach Hinweisschreiben vom 05.07. und 26.07.2021 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10.08.2021 den Antrag ab, da der Nachweis für den Pflegenden A über die Anerkennung von Privatpersonen zur Erbringung von hauswirtschaftlichen und betreuerischen Pflegeleistungen durch das Bayer. Landesamt für Pflege oder der Fachstelle für Demenz bis heute nicht vorgelegt worden sei.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2021 zurück. Es lägen für Herrn A weder eine Anerkennung durch das Bayer. Landesamt für Pflege vor noch sei dieser bei der Fachstelle für Demenz und Pflege Bayern registriert. Die Erstattung des Entlastungsbetrages für eine Privatperson könne deshalb nicht erfolgen.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Aufgrund der Coronapandemie seien die Formalitäten und Voraussetzungen für die Gewährung von Entlastungsleistungen geändert worden. Diese Leistungen seien nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ab Antragstellung ohne Qualifikationsnachweis nutzbar, d.h. der Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung sei für Nachbarschaftshelfer, die zur Unterstützung Pflegebedürftiger in der häuslichen Verordnung tätig seien, auch ohne Qualifikationsnachweis nutzbar. Demgemäß habe Herr A Leistungen erbracht. Die Beklagte verkenne, dass aufgrund der Neuregelung für die Versorgung der Pflegebedürftigen auch eine Person ohne Qualifikation aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, z.B. ein Nachbar, in Betracht komme, soweit die Versorgung eines Pflegebedürftigen wegen der Corona-Pandemie nicht mehr möglich sei.

Zu den Aufwendungen, die zur Aufrechterhaltung der häuslichen Versorgung pflegebedürftiger Menschen dienen, zähle auch der Einkauf von Lebensmitteln. Jeder Person mit Pflegegrad stehe im Rahmen der Pflegeversicherung ein Entlastungsbetrag zur Verfügung. Dieser betrage monatlich 125.- EUR und solle Angebote finanzieren, die Pflegebedürftige im Alltag unterstützen und pflegende Angehörige entlasten.

Bislang seien die Aufwendungen, die zur Aufrechterhaltung der häuslichen Versorgung pflegebedürftiger Menschen dienen, im Rahmen der Nachbarschaftshilfe von der zuständigen Pflegekasse nur erstattet worden, wenn die helfende Person eine geeignete Qualifizierung - mindestens im Umfang eines Pflegekurses entsprechend § 45 SGB XI - nachweisen konnte. Diese Regelung sei aufgrund der Pandemie ausgesetzt worden. Die Beklagte übersehe, dass wegen des seit der Pandemie bestehenden pflegerischen Versorgungsengpasses der Entlastungsbetrag der Pflegeversicherung für Nachbarschaftshelfer, die zur Unterstützung Pflegebedürftiger in der häuslichen Versorgung tätig sind, auch ohne Qualifikationsnachweis verfügbar sei. Der "Pflegenotstand während Corona" solle durch die Neuregelung des § 45 b Abs. 1 und 3 SGB XI beseitigt bzw. gemildert werden, d.h. ein Nachbar brauche coronabedingt keine Anerkennung vom Landesamt für Pflege.

Die Klägerin habe mehrere Bekannte und Verwandte, die im Zuständigkeitsbereich der "AOK N" wohnten und die ebenfalls von Nachbarn während der Pandemie betreut würden. Hier seien sofort von der AOK N die Entlastungsleistungen bewilligt worden. Vorab sei ein Vorschuss ausbezahlt worden; im Juli 2021 seien die Leistungen abgerechnet und ausbezahlt worden. Aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes müsse diese Regelung auch in Bayern gelten.

Die Beklagte hat nochmals dargelegt, dass zwar auch Einzelpersonen für die Erbringung von Entlastungsangeboten nach § 45 a SGB XI anerkannt werden könnten. Voraussetzung sei jedoch, dass sich diese Einzelpersonen bei der zuständigen Fachstelle für Demenz und Pflege registrieren lassen müssten. Ein Nachweis über die Anerkennung sei aber nicht eingereicht worden, sodass die Voraussetzungen für die Abrechnung des Entlastungsbetrages nicht erfüllt seien. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vortrage, dass die AOK N in gleich gelagerten Fällen Entlastungsleistungen gewähre, gehe der Vergleich fehl, da es sich hierbei um eine eigenständige Krankenkasse handele.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 11.01.2022 abgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Entlastungsleistungen für die Hilfsperson A weder nach §§ 45 a Abs. 1, 45 b Abs. 1 SGB XI noch nach § 150 SGB XI zu.

Ein Anspruch nach §§ 45 a Abs. 1, 45 b Abs. 1 SGB XI scheitere daran, dass für den Hilfeleistenden keine erforderliche Anerkennung beim Bayerischen Landesamt für Pflege bestehe. Eine solche Anerkennung sei von der Klägerin auch nicht behauptet worden. Es bestehe jedoch auch kein Anspruch aufgrund der besonderen Coronapandemiesituation nach dem mit Wirkung vom 28.03.2020 neu eingefügten § 150 SGB XI. Durch das Corona-Virus verursachte pflegerische Versorgungsengpässe für den vorliegend geltend gemachten Hilfebedarf seien derzeit nicht ersichtlich und würden von der Klägerin weder behauptet noch substantiiert dargelegt. Es ergäben sich aus den vorgelegten Unterlagen auch keine Hinweise auf das tatsächliche Bestehen eines pflegerischen Versorgungsengpasses. Die für den Zeitraum ab September 2020 vorgelegten Rechnungen/ Nachweise enthielten eine solche Bezeichnung bereits nicht.

Soweit die Klägerin ferner beantragt habe, ihr die im Vorverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten, sei auch insoweit die Klage unbegründet. Es bedürfe mangels Ersichtlichkeit eines pflegerischen Versorgungsengpasses auch keiner Prüfung, ob und gegebenenfalls inwieweit der den Pflegekassen durch § 150 Abs. 5 SGB XI eingeräumte weite Gestaltungsspielraum (amtl. Begr. zum Entwurf des COVKHEntlG, BT-Drucks. 19/18112, S. 42 zu Absatz 5: "Den Pflegekassen wird ein weiter Gestaltungsspielraum [...] eingeräumt...Sodann ist auf andere Leistungserbringer, wie Betreuungsdienste, andere medizinische Leistungserbringer und zuletzt auf Nachbarinnen und Nachbarn zurück zu greifen."; s. auch Klein, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand November 2020, § 150 SGB XI, Rn. 33) im vorliegenden Fall auf eine konkrete Leistung reduziert sein könnte.

Die Klägerin hat gegen das am 25.01.2022 zugestellte Urteil am 27.01.2022 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und im Wesentlichen das im Klageverfahren Vorgebrachte wiederholt. Das Sozialgericht hätte den benannten Zeugen A zu den Fragen vernehmen müssen, ob und welche Schulungen und Qualifikationen dieser besitze bzw. ob dieser von der Registrierungspflicht schon deswegen befreit sei, weil er eine Schulung von acht Unterrichtseinheiten absolviert habe oder als Fachkraft gelte oder bereits an einer Schulung nach § 45 a SGB XI im Umfang von 40 Unterrichtseinheiten teilgenommen habe. Das Sozialgericht habe ferner übersehen, dass die Neuregelung für die Versorgung Pflegebedürftiger durch Personen ohne Qualifikation aus dem Gesundheits- und Sozialbereich schon dann greife, wenn die Versorgung eines Pflegebedürftigen wegen der Corona-Pandemie nicht mehr möglich sei. Schließlich habe sie sich im Hinblick auf die Vorgehensweise der AOK N bei mehreren ihrer Bekannten und Verwandten auf den Gleichheitsgrundsatz berufen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hat auf die zwingende Registrierung der Einzelpersonen verwiesen, die vorliegend fehle. Die Klägerin verkenne die Regelung des § 45 a Abs. 3 SGB XI in Verbindung mit § 82 AVSG. Der Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz in Bezug auf die behauptete Vorgehensweise der AOK N greife ebenfalls nicht. Sie hat auf ihr bisheriges Vorbringen und auf die Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen.

Auf den richterlichen Hinweis zur Rechtsprechung des Senats ist für die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.03.2022 noch vorgetragen worden, dass die Beklagte zum relevanten Zeitpunkt - zur Förderung der Nachbarschaftshilfe - ausdrücklich auf eine Registrierungspflicht in der Fachstelle für Demenz und Pflege verzichtet habe. Auf einen Hinweis im Internet wurde verwiesen - der von der AOK N stammte.

Der Senat hat darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage Herr A keine Registrierung oder Anerkennung durch das Bayer. Landesamt für Pflege oder durch die Fachstelle für Demenz und Pflege Bayern besitzt, wie dies in Bayern nach §§ 80, 82 AVSG erforderlich sei. Ferner sei ein durch Corona verursachter pflegerischer Versorgungsengpass für den Hilfebedarf der Klägerin nicht glaubhaft gemacht bzw. substantiiert dargelegt (hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.11.2020, L 4 P 3250/20 ER-B - juris).

Die Klägerin hat ergänzend vorgebracht, zuvor bei verschiedenen Haushaltsdiensten angerufen zu haben (C, Ambulanter Pflegedienst H, ambulanter Pflegedienst B); diese hätten erklärt, es seien keine Pflegekräfte vorhanden (Angst vor Ansteckungsgefahr, Erkrankung, Quarantäne etc.). Erst daraufhin sei Herr A als Vertrauensperson beauftragt worden. Beigefügt war eine Auflistung der durchgeführten Tätigkeiten mit Datum und Dauer im September 2020 bis Dezember 2020 und Februar 2021 bis Mai 2021. Gesamt seien hierfür 3.880.- EUR aufgewendet worden. Entsprechende Nachweise wurden ebenfalls vorgelegt. Der Berufungsantrag ist entsprechend beziffert worden.
 
Die Beklagte hat demgegenüber vertreten, dass ein Anspruch nach § 150 Abs. 5 b SGB XI bereits daran scheitere, dass diese Regelung nach dem gesetzlichen Wortlaut nicht für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2 und höher gelte. Sie scheide damit als Anspruchsgrundlage aus. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt habe, scheide auch ein Anspruch nach § 150 Abs. 5 SGB XI aus, da sich aus den vorgelegten Unterlagen keine Hinweise auf das tatsächliche Bestehen eines pflegerischen Versorgungsengpasses ergäben. Insbesondere sei in den für den Zeitraum ab September 2020 vorgelegten Rechnungen und Nachweisen nicht auf einen pflegerischen Versorgungsengpass hingewiesen worden. Vielmehr sei ein regulärer Antrag auf Kostenerstattung nach § 45 b SGB XI gestellt worden.
Im Übrigen werde ein coronabedingter Versorgungsengpass auch nicht durch den neuen Vortrag belegt. Dieser Vortrag sei nun erstmalig ein Jahr nach Antragstellung erfolgt. Es könne trotz Benennung der drei Pflegedienste nicht nachvollzogen werden, dass sich hieraus ein Versorgungsengpass über den kompletten Antragszeitraum von September 2020 bis Mai 2021 ergeben haben soll. Das Vorliegen eines derart langen Versorgungsengpasses sei auch nicht mit der gesetzlichen Regelung des § 150 Abs. 5 S. 2 SGB XI in Einklang zu bringen, wonach Kostenerstattungszusagen nach § 150 Abs. 5 SGB XI jeweils auf bis zu drei Monaten zu begrenzen seien. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass spätestens nach drei Monaten eine Änderung der Versorgungssituation herbeigeführt werden könne.
Schließlich scheitere ein Anspruch auch daran, dass der Antrag auf Erstattung der Entlastungsleistungen nach § 45 b SGB XI im Nachgang gestellt worden sei. § 150 Abs. 5 S. 1 SGB XI verlange ausdrücklich eine vorherige Antragstellung.

Für die Klägerin ist auf das anfängliche "allgemeine Chaos" zu Beginn der Pandemie hingewiesen worden. Der Vortrag im letzten Schriftsatz wurde wiederholt. Im Übrigen dürfte der Pflegenotstand bzw. der pflegerische Versorgungsengpass gerichtsbekannt sein.

Die Abgabe eines Vergleichsangebots (Leistungen für drei Monate) hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 02.08.2022 abgelehnt; sie hat nochmals auf die Unbegründetheit der Berufung hingewiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 18.03.2022 bzw. 23.03.2022 einverstanden erklärt. Auf eine Entscheidung voraussichtlich am 19.08.2022 ist hingewiesen worden.  
 
Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Januar 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. August 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die beantragten Entlastungsleistungen ab Antragstellung in Höhe von 3.880,00 EUR zu gewähren.

Ferner beantragt sie,

dass die Beklagte die der Klägerin im Vorverfahren entstandenen notwendigen Auslagen erstattet.

Die Beklagte beantragt,

      die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten vom 18. und 23.03.2022 kann der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch unbegründet.

Der Klageantrag bezieht sich auf die Erstattungsleistungen ab Antragstellung (01.07.2021). Bei sachgerechter Auslegung des Klageantrags werden Erstattungsleistungen für die mit Nachweisen belegten Monate September bis Dezember 2020 und Februar bis Mai 2021 in Höhe von 3.880.- EUR begehrt.

Der Klägerin steht der beantragte monatliche Entlastungsbetrag gemäß § 45 b Abs. 1 S. 3 oder § 150 SGB XI nicht zu. Zu Recht hat das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte abgelehnt. Auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Ergänzt führt der Senat im Hinblick auf das klägerische Vorbringen im Berufungsverfahren Folgendes aus:

Die Klägerin ist zwar pflegebedürftig im Sinne des § 45 b Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit §§ 14, 15 SGB XI (Pflegegrad 3 seit 2018). Nach § 45 b Abs. 1 S. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125 EUR monatlich. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbar Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags (§ 45 b Abs. 1 S. 2 SGB XI). Er ist als Erstattungsleistung ausgestaltet (vgl. § 45 b Abs. 1 S. 3 SGB XI).

Unterlagen zu der in Anspruch genommenen Hilfskraft Herrn A, für die ein Qualifizierungsnachweis (abgeschlossene Ausbildung) vorgelegt werden kann, sind auch im Berufungsverfahren nicht eingegangen. Die in Anspruch genommenen Leistungen, für die ein Entlastungsbetrag geltend gemacht wird, müssen solche eines Leistungserbringers nach § 45 b Abs. 1 S. 3 Nrn. 1 - 4 SGB XI sein. Dabei ist nicht die Art der erbrachten Leistung ausschlaggebend, sondern dass der Leistungserbringer die Gewähr für die Qualität des Angebots bietet.

Der Hilfeleistende hat nach klägerischen Angaben in der vorgelegten Aufstellung als Leistungen erbracht: "Kochen", "Reinigung der Wohnung der Klägerin" und "Bügeln". Damit kommen allenfalls Leistungen nach § 45 b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB XI in Betracht, d.h. Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45 a SGB XI.

Nach § 45 a Abs. 3 SGB XI werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung das Nähere über die Anerkennung der Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne der Absätze 1 und 2 einschließlich der Vorgaben zur regelmäßigen Qualitätssicherung der Angebote und zur regelmäßigen Übermittlung einer Übersicht über die aktuell angebotenen Leistungen und die Höhe der hierfür erhobenen Kosten zu bestimmen. Auch § 45 b Abs. 4 S. 2 SGB XI verweist auf diese Verordnungsermächtigung. Für Bayern gilt insoweit die Verordnung zur Ausführung der Sozialgesetze (AVSG) vom 02.12.2008 (GVBl. S. 912, 982, BayRS 86-8-A/G), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27.11.2018 (GVBl. S. 830; dort Teil 8, Abschnitt 5 Angebote zur Unterstützung im Alltag). Dabei ist keine Einzelfallbetreuung im Rahmen der Nachbarschaftshilfe, welche durch die Pflegekassen im Einzelfall anzuerkennen ist, vorgesehen. Die Rechtslage ist somit eine andere als in einigen anderen Bundesländern.

Der Leistungserbringer, der entsprechende Unterstützungsleistungen anbietet, benötigt hierfür somit eine Anerkennung durch die zuständige Behörde nach Maßgabe des nach § 45 a Abs. 3 SGB XI erlassenen Landesrechts (§ 45 a Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Zuständige Behörde für die Anerkennung von Angeboten zur Unterstützung im Alltag nach § 45 a Abs. 1 Satz 2 SGB XI ist in Bayern das Landesamt für Pflege (§ 80 AVSG). Anerkennungsfähige Angebote sind nach § 81 Nr. 2 AVSG auch ehrenamtliche Helferkreise, insbesondere auch zur Entlastung der pflegenden Angehörigen und vergleichbar nahestehender Pflegepersonen in Gruppen oder in Einzelbetreuung. Erforderlich ist vor allem im Hinblick auf eine Qualitätssicherung eine Anerkennung, § 82 AVSG. Für ehrenamtlich tätige Einzelpersonen gilt nach § 82 Abs. 4 Satz 2 AVSG in der aktuellen Fassung:

"Ehrenamtlich tätige Einzelpersonen im Rahmen der stundenweisen Entlastung und Unterstützung von Personen mit Pflegebedarf und ihrer Angehörigen, wenn sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
a. Die Einzelperson ist eine natürliche Person ab dem 16. Lebensjahr.
b. Sie ist mit den Personen mit Pflegebedarf weder bis zum zweiten Grad verwandt oder verschwägert noch lebt sie mit diesen in häuslicher Gemeinschaft.
c. Die Einzelperson ist nachweislich zielgruppen- und tätigkeitsgerecht qualifiziert oder hat mindestens die erforderliche Basisschulung absolviert.
d. Sie verfügt über einen ausreichenden Versicherungsschutz.
e. Die Aufwandsentschädigung liegt deutlich unter dem für die jeweilige Tätigkeit maßgeblichen Mindestlohn und übersteigt nicht offenbar die Aufwendungen der Einzelperson für ihr ehrenamtliches Engagement.
f. Es werden nicht mehr als drei Personen mit Pflegebedarf pro Monat unterstützt.
g. Die Einzelperson ist in dem Regierungsbezirk, in dem die Unterstützung geleistet wird, registriert; mit dieser Registrierung gilt das Angebot zur Unterstützung im Alltag als anerkannt; die Registrierungslisten werden regelmäßig den Pflegekassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. übermittelt."

Erforderlich ist also auch hier eine Anerkennung, die durch die Registrierung fingiert wird.

Im Übrigen gilt diese Regelung erst in der Fassung vom 26.11.2020 ab 31.12.2020 (FNA: 86-8-A/G). In der früheren Fassung hieß es noch in § 82 Abs. 3 Satz 2 AVSG: "Einzelpersonen können nur in besonders gelagerten Fällen anerkannt werden."

Unstreitig ist, dass Herr A keine Registrierung oder Anerkennung durch das Bayer. Landesamt für Pflege nach §§ 80, 82 AVSG besitzt. Dies ergibt sich auch aus mehreren klägerischen Schriftsätzen, z.B. vom 18.03.2022, wonach unter dem Vorzeichen, dass die Beklagte zum relevanten Zeitpunkte ausdrücklich auf eine Registrierungspflicht verzichtet habe, Herr A von der Klägerin beauftragt worden sei. Von der Möglichkeit gemäß § 45 b Abs. 1 Nr. 4 SGB XI, Einzelpersonen als Nachbarschaftshelfer anzuerkennen, hat der Freistaat Bayern keinen Gebrauch gemacht.

Eine Einvernahme des Herrn A als Zeugen zu seinen Schulungen und Qualifikationen war nicht angezeigt, da die weitere Voraussetzung, nämlich das Vorliegen eines Anerkennungsbescheides, für ihn nicht gegeben ist.

Es liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 GG vor. Gegen den allgemeinen Gleichheitssatz wird verstoßen, wenn der Gesetzgeber eine Gruppe anders behandelt als eine andere, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 109, 96, 123; ständige Rspr.). Zwar ist die Regelung hinsichtlich des Erstattungsbetrags aufgrund des Erfordernisses einer Anerkennung bzw. Registrierung und bezüglich der Nachbarschaftshilfe nicht bundeseinheitlich, doch ist diese Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

Die Regelung der §§ 45 b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB XI, 80 ff Bayer. AVSG ist im Hinblick auf die Sicherung einer bestimmten Qualität der Pflege sachgerecht und verhältnismäßig. Der Gesetzgeber bekräftigte mit der Neufassung des § 45 a Abs. 2 SGB XI eine Stärkung des Grundsatzes, dass sich jedes Angebot zur Unterstützung im Alltag Gedanken zur zielgruppen- und tätigkeitsgerechten Qualifikation der eingesetzten Helfenden machen muss. Beispielsweise muss jemand, der ein Angebot für haushaltsnahe Dienstleistungen vorhält, seine Qualifikation im Bereich der Hauswirtschaft sowie der weiteren haushaltsnahen Tätigkeiten, die erbracht werden sollen, nachweisen. Jemand, der Pflegeverantwortung tragende Angehörige und vergleichbar Nahestehende unterstützen will, wird eine sachgerechte Schulung durchlaufen, die ihn dazu befähigt, diese verantwortungsvolle Tätigkeit verlässlich durchführen zu können (s. a. BT-Drs. 18/1798 S. 36.). Grundsätzlich vorauszusetzen ist zudem das Vorhandensein eines gewissen, angemessenen Grund- und Notfallwissens im Umgang mit Pflegebedürftigen, dies gilt auch bei einem Einsatz im rein hauswirtschaftlichen Bereich (s. a. BT-Drs. 18/1798 S. 36). Gesetzliche Bestimmungen sind vollumfänglich einzuhalten (s. a. BT-Drs. 18/1798 S. 37). (BT-Drs. 18/5926 S. 131 f.; zum Ganzen: KassKomm/Koch, SGB XI, § 45 a Rn. 4). Sämtliche sog. niederschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote nach § 45 b Abs. 1 S. 3 Nr. 4 SGB XI werden in Bayern durch das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) anerkannt und dienen damit in angemessenem Umfang der Sicherung der Qualität der Pflege im häuslichen Bereich.

Der Senat teilt auch die Auffassung des Sozialgerichts, dass auch kein Anspruch nach § 150 Abs. 5 SGB XI besteht, eingefügt mit Wirkung vom 28.03.2020 durch Art. 4 Nr. 6 des Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz - COVKHEntlG) vom 27.03.2020, BGBl. I S. 580) und durch Art. 5 Nr. 4 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19.05.2020 (BGBl. I S. 1018), ergänzt um die Absätze 5 a bis 5 d. Die Regelungen war zunächst bis 30.09.2020 befristet, wurde jedoch zunächst bis zum 31.12.2020 verlängert (Art. 5 Nr. 3 des Gesetzes für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser - Krankenhauszukunftsgesetz - KHZG) und im weiteren Verlauf wiederholt verlängert. Die Regelungen sind daher vorliegend grundsätzlich anwendbar.

Nach § 150 Abs. 5 SGB XI können die Pflegekassen nach ihrem Ermessen zur Vermeidung von durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 im Einzelfall im häuslichen Bereich verursachten pflegerischen Versorgungsengpässen Kostenerstattung in Höhe der ambulanten Sachleistungsbeträge (§ 36 SGB XI) nach vorheriger Antragstellung gewähren, wenn die Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 3 nicht ausreichend sind; dabei haben sie vorrangig Leistungserbringer zu berücksichtigen, die von Pflegefachkräften geleitet werden. Entsprechende Kostenerstattungszusagen sind jeweils auf bis zu drei Monate zu begrenzen. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen legt Einzelheiten dazu in Empfehlungen fest. Die Pflegekassen können bei Bedarf bereits vor dem Vorliegen der Empfehlungen Kostenerstattungen zusagen. Eine coronabedingter Versorgungsengpass muss glaubhaft gemacht werden (hierzu: LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.11.2020 - L 4 P 3250/20 ER-B - juris Rn. 16).

Bei der Regelung des § 150 Abs. 5 SGB XI handelt es sich nicht um einen eigenen zusätzlichen Leistungsanspruch, sondern um eine Ergänzung der bisherigen Regelversorgung. § 150 Abs. 1 SGB XI sieht dabei ein Stufenkonzept vor, wobei der Einsatz von Privatpersonen als letzte Stufe der Versorgung vorgesehen ist. Letztlich kann nach einem abgestuften Konzept auch ein Nachbar als Leistungserbringer in Betracht kommen - allerdings nur nachrangig (KassKomm-Opolony- § 150 SGB XI Rn. 22).

Erforderlich ist zum einen ein entsprechender Antrag (§ 150 Abs. 5 Satz 1 SGB XI. Bereits hieran fehlt es vorliegend. Das Verwaltungsverfahren beginnt nach Aktenlage mit einem Antrag auf Erstattung der Betreuungsleistungen bzw. der diesbezüglichen Erklärung zur Abrechnung des zusätzlichen Entlastungsbetrages, bei der Beklagten nachträglich am 01.07.2021 eingegangen. Eine derartige vorherige Befassung der Pflegekasse dient einer gewissen Qualitätssicherung bei der Pflege. So kann die Pflegekasse eine Prüfung gem. o.g. Stufenkonzept vornehmen bzw. die Genehmigung z.B. mit einer Bedingung zur Durchführung der Qualitätssicherung oder mit einer Auflage nach § 32 SGB X, z.B. im Hinblick auf Mitteilungspflichten, verbinden (zum Ganzen: KassKomm-Opolony, SGB XI, § 150 Rn. 21 ff, 27 f; Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, Stand November 2020, § 150 SGB XI, Rn. 33).

Zum anderen deckt § 150 Abs. 5 SGB XI nicht einfachere hauswirtschaftliche Arbeiten in Form von Haushaltshilfen wie hier bügeln, waschen und Wohnung reinigen ab. Die Maßnahme muss vielmehr zur Vermeidung von coronabedingten pflegerischen Versorgungsengpässen erforderlich sein (§ 150 Abs. 5 S. 1, Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB XI). Gemeint sind damit pflegerische Leistungen und hierbei Leistungen, die üblicherweise durch Betreuungsdienste oder medizinische Leistungserbringer erbracht werden (hierzu: Krauskopf/Baier, SGB XI, § 150 Rn. 12). Haushaltshilfen sind von der Inanspruchnahme von Pflegegeld erfasst; dies sollte durch die Regelung des § 150 Abs. 5 Satz 1 SGB XI nicht geändert werden (vgl. BT-Drs. 19/18112 S. 41, 42 - siehe hierzu auch die Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes "Empfehlungen zur Kostenerstattung zur Vermeidung von durch das Coronavirus SARS-Cov-2 verursachten pflegerischen Versorgungsengpässen in der häuslichen Pflege nach § 150 Abs. 5 Satz 2 SGB XI" vom 27.03.2020, abrufbar auf der Homepage des GKV-Spitzenverbandes, nach denen bei der Versorgung durch nahe Angehörige oder eine vergleichbar nahestehende Person ein Kostenerstattungsanspruch nach § 150 Abs. 5 SGB XI aufgrund des Bezugs von Pflegegeld stets ausgeschlossen ist. Kritisch dazu: BeckOK-Udsching, SGB XI, Rn. 9, 10).

Der Senat kann deshalb offen lassen, ob ein pandemiebedingter pflegerischer Versorgungsengpass tatsächlich vorlag bzw. glaubhaft gemacht wurde. Der Vortrag der Klägerin, vor der Inanspruchnahme von Herrn A bei verschiedenen Haushaltsdiensten (C, Ambulanter Pflegedienst H, ambulanter Pflegedienst B) angerufen zu haben und erst nach deren Absagen Herrn A als Vertrauensperson beauftragt zu haben, kann als wahr unterstellt werden. Eine Beweiserhebung war damit nicht erforderlich.

Ein Anspruch nach § 150 Abs. 5 b SGB V als Abweichung zu § 45 b Abs. 1 Satz 3 SGB XI scheidet vorliegend bereits deshalb aus, da dies bei der Klägerin das Vorliegen des Pflegegrades 1 voraussetzen würde. Anerkannt ist jedoch der Pflegegrad 3.

Zum klägerischen Antrag, die der Klägerin im Vorverfahren entstandenen notwendigen Auflagen zu erstatten, verweist der Senat ebenfalls auf die Begründung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).
 
Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved