L 28 SF 38/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
28.
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 SF 38/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Der Antrag des Antragstellers auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird abgelehnt.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

 

 

 

 

 

 

  G r ü n d e

I.

Der Kläger hat bei dem Sozialgericht Berlin am 2. November 2015 mit verschiedenen Anträgen Klage (S 54 AL 3958/15) erhoben, die auf diverse Leistungen während bzw. zwischen verschiedenen Rehabilitationsmaßnahmen gerichtet sind. Am 11. Dezember 2015 hat er seine Klage zunächst um eine auf Bescheidung eines Widerspruchs gerichtete Untätigkeitsklage, am 4. April 2016 um weitere sechs Anträge erweitert und in die Klage u. a. einen in der Zwischenzeit ergangenen Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 2016 einbezogen.

 

Mit unanfechtbaren Beschluss vom 1. Juni 2017 hat das Sozialgericht Berlin sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht Frankfurt (Oder) verwiesen; eine Gegenvorstellung des Klägers hat das Gericht mit Beschluss vom 23. November 2017 zurückgewiesen. Der (inzwischen in Berlin wohnende) Kläger habe seinerzeit, als er bei im November 2015 Klage erhoben habe, in der Gemeinde Neuenhagen bei Berlin gewohnt, er sei in Berlin auch nicht beschäftigt. Der frühere Wohnort liege jedoch im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Frankfurt (Oder).

 

In der Folge hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) mit Urteil vom 24. Februar 2021 (S 12 AL 99/17) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Klageerweiterung sei unzulässig, weil eine Klage mit demselben Streitgegenstand (S 54 AL 450/16) an dem Sozialgericht Berlin rechtshängig sei bzw. gewesen sei.

 

Mit Urteil vom 23. März 2022 hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 18 AL 38/21) daraufhin dieses Urteil aufgehoben und die Klage an das Sozialgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen. Fehlerhaft habe das Sozialgericht über die Klageerweiterung nicht entschieden. Denn diese sei nicht wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig. Der Kläger habe nämlich keine weitere Klage erhoben, das Sozialgericht Berlin habe die (vermeintlich) weitere Klage lediglich fehlerhaft eingetragen. Eine Rückverweisung an das Sozialgericht Berlin komme nicht in Betracht.

 

Nachdem die Sache bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) unter S 12 AL 64/22 neu eingetragen worden ist, hat der Kläger am 8. Februar 2023 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beantragt, die örtliche Zuständigkeit zu bestimmen. Teilweise sei das Sozialgericht Frankfurt (Oder), teilweise das Sozialgericht Berlin zuständig. Als er die Klage erweitert habe, habe er bereits in Berlin gewohnt.

 

II.

Der Antrag des Antragstellers auf Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichtes gemäß § 58 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bleibt ohne Erfolg. Ein zuständiges Gericht ist nicht zu bestimmen. Das örtlich zuständige Gericht ergibt sich bereits aus den gesetzlichen Vorschriften.

 

Nach dem allein Betracht kommenden § 58 Abs. 1 Nr. 2 SGG wird das innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit zuständige Gericht durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist.

 

Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind nicht erfüllt. Es ist nicht ungewiss, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist. Denn aus dem Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juli 2017 ergibt sich, dass das Sozialgericht Frankfurt (Oder) für die Klage örtlich zuständig ist, § 98 Satz 2 i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Nach der Bestimmung ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher Unzuständigkeit bindend für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist. Nach einer Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit ist deshalb für eine Entscheidung nach § 58 Abs. 1 Nr. 2 SGG grundsätzlich kein Raum.

 

Die Bindungswirkung tritt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch dann ein, wenn die Verweisung unrichtig gewesen sein sollte (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. März 1988 - 1 A 23.85 -, Juris Rn. 15; Beschlüsse vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 -, Juris Rn. 9 und vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Juris Rn. 4; Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 15.06.2022, § 98 SGG Rn. 24 ff). Diese Bindungswirkung wirkt sich auch in einem Verfahren nach § 58 SGG aus. Im Interesse des verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 Grundgesetz) und einer möglichst zügigen Entscheidung bindet die Verweisung unabhängig von einer möglichen Verletzung prozessualer Vorschriften. Den Streit über die Anwendung von Regelungen über die örtliche Zuständigkeit zu entscheiden oder in jedem Einzelfall die Richtigkeit des dem Verweisungsbeschluss zugrundeliegenden Subsumtionsvorgangs zu überprüfen, ist nicht Aufgabe des gemeinsam übergeordneten Gerichts bei der Zuständigkeitsbestimmung (so Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 3. Dezember 2010 - B 12 SF 7/10 S -, Juris Rn. 4).

 

Hiervon ist eine Ausnahme zu machen, wenn es sich um einen offensichtlich unhaltbaren, objektiv unverständlichen oder sonst nicht mehr zu rechtfertigenden Verweisungsbeschluss handelt (vgl. in diesem Zusammenhang: BSG, Beschlüsse vom 10. März 2010 - B 12 SF 2/10 S -, vom 16. September 2009 - B 12 SF 7/09 S - und vom 8. Mai 2007 - B 12 SF 3/07 S -, jeweils Juris; siehe auch Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, a. a. O. Rn. 27 zu der Möglichkeit, dass das angegangene Gericht im Fall einer willkürlichen Verweisung sich für unzuständig erklärt und eine Entscheidung des nächsthöheren Gerichts nach § 58 Abs. 2 SGG einholt).

 

Ein solcher Fall des Wegfalls der Bindungswirkung wegen einer willkürlicher Verweisung liegt hier indes nicht vor.

 

Zwar wohnte der Kläger ausweislich des Rubrums des Verweisungsbeschlusses zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses am 1. Juni 2017 gar nicht mehr in Neuenhagen bei Berlin, sondern bereits in Berlin und damit im Bereich des Sozialgerichts Berlin. Es ist aber noch vertretbar anzunehmen, dass ein zunächst örtlich unzuständiges Gericht nach einem Umzug in seinen Zuständigkeitsbereich nicht zuständig wird, sondern desungeachtet weiter unzuständig bleibt (vgl. Groth, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 15.06.2022, § 57 SGG Rn. 51), obwohl nach ganz herrschender, rechtsschutzfreundlicher und zutreffender Meinung der Grundsatz des § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG für rechtshängige Sachen lediglich zuständigkeitserhaltend gilt, umgekehrt aber gerade nicht zu der Zuständigkeit eines zum Zeitpunkt der Klageerhebung einmal örtlich zuständig gewesenen Gerichts führt, bei dem die Klage zu keinem Zeitpunkt rechtshängig war. Ein zunächst (örtlich) unzuständiges Gericht kann deshalb durch veränderte Umstände - etwa einen Umzug in seinen Gerichtsbezirk - ohne weiteres zuständig werden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 57 Rn. 2; B. Schmidt, a. a. O., § 94 Rn. 9a; Böttiger, in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 57 Rn. 2 a. E. „Heilung“; Hauck, in: Hennig, SGG, Stand 52. Ergänzungslieferung Oktober 2022, § 57 Rn. 6; Jung, in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 57 Rn. 3; Schoch/Schneider/Ehlers, Verwaltungsrecht, VwGO, Stand 43. Ergänzungslieferung August 2022, § 17 GVG Rn. 5 f; Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 17 GVG Rn. 20 f).

 

Die Bindungswirkung greift auch für die vor der Verweisung erfolgte Erweiterung der Klage, als der Kläger bereits in Berlin wohnte. Das Sozialgericht Berlin hat unmittelbar vor der Verweisung eine Stellungnahme des Beklagten zu der Klageerweiterung eingeholt, in der dieser in seiner Stellungnahme vom 20. Mai 2017 die Klageerweiterung ausdrücklich für unzulässig gehalten hat. Deshalb ist davon auszugehen, dass das Sozialgericht aus der örtlichen Unzuständigkeit der ursprünglichen Klage im Zeitpunkt der Klageerhebung auch folgert, diese Unzuständigkeit bewirke auch auf die örtliche Unzuständigkeit der Erweiterung, wenn es kurz darauf den gesamten Rechtsstreit verweist, zumal sowohl die ursprüngliche Klage als auch die verschiedenen Klageerweiterungen ungeordnet und unübersichtlich erscheinen und nicht ohne weiteres klar ist, ob der Kläger überhaupt verschiedene Klagebegehren geltend macht bzw. welche diese genau sind. Angesichts dessen hält sich die Würdigung des Sozialgerichts bei seiner Verweisung, der gesamte Rechtsstreit sei einheitlich zu werten, in dem durch das Willkürverbot gezogenen Auslegungsrahmen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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