Zur Berücksichtigung des Wertes eines Nießbrauchs (Wohnrechts) bei Veräußerung der Immobilie, an der der Nießbrauch bestand (zur Frage des wirtschaftlichen Wertes vergleiche auch Senatsurteil vom 13. April 2022 - L 2 SO 3659/20 -)
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 14. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung von Hilfe zur Pflege im Zusammenhang mit ungedeckten Heimkosten im Streit.
Der 1928 geborene Kläger ist verwitwet und hat eine Tochter aus erster Ehe und einen Sohn (L1) aus zweiter Ehe. Er leidet an Demenz und ihm ist von der BKK 24-Pflegekasse mit Bescheid vom 13. Juli 2020 seit 1. Juni 2020 Pflegegrad 4 zuerkannt; davor war dem Kläger Pflegegrad 3 zuerkannt. Seit 31. August 2019 (Heimvertrag vom 28. August 2019) ist der Kläger vollstationär im Pflegeheim Haus E1 der Stiftung Haus L2 in A1 untergebracht. Im Mai 2020 fiel dafür ein Kostenaufwand von 2.775,95 € (4.037,95 € abzüglich der Leistungen der Pflegekasse in Höhe von 1.662,00 €), im Juni 2020 ein Kostenaufwand in Höhe von 2.790,45 € (4.052,45 € abzüglich der Leistung der Pflegekasse in Höhe von 1.262,00 €) und im Juli 2020 wiederum 2.775,95 € (4.037,95 € abzüglich der Leistung der Pflegekasse in Höhe von 1.262,00 €) an. Der Kläger erhielt 2020 Alters- und Witwenrenten in Höhe von 1.222,19 € und 464,79 € netto monatlich sowie eine Betriebsrente in Höhe von 909,26 €. Die Alters- und Witwenrenten bezog er bis einschließlich 30. Juni 2020 in gleicher Höhe. Die Betriebsrente erhöhte sich ab Januar 2020 auf 921,48 €. Ab 1. Juli 2020 bezog der Kläger Alters- und Witwenrenten in Höhe von 1.264,33 € und 480,84 € netto monatlich sowie eine Betriebsrente in Höhe von 950,33 € netto monatlich.
Am 8. November 1995 schloss der Kläger mit seiner zweiten Ehefrau einen Erbvertrag, mit dem die Ehefrau den Sohn als Alleinerben einsetzte (§ 2) und dem Kläger den Niesbrauch an ihrem gesamten Nachlass vermachte (§ 3 Abs. 1). Der Kläger wurde zum Testamentsvollstrecker ernannt mit der Aufgabe, sich den Niesbrauch am Nachlass zu verschaffen (§ 5). Am 10. November 2015 verstarb die zweite Ehefrau des Klägers. Im Nachlass war das Grundstück W1 in O1, in dem der Kläger bis zu seinem Wechsel in das Haus E1 lebte. Der Kläger nahm das Amt des Testamentsvollstreckers an (Erklärung vom 23. Januar 2016) und legte dies am 7. Oktober 2019 nieder. Eine Grundbucheintragung des Niesbrauchs erfolgte nicht. Die laufenden Kosten des Grundstücks trug der Kläger bis zum Verkauf.
Am 27. Februar 2020 verkaufte der Sohn des Klägers das Grundstück in O1 für 269.000,00 €; dieser Betrag ist beim Sohn des Klägers noch vorhanden.
Am 21. Juni 2020 beantragte der Kläger Hilfe zur Pflege. Der Sohn des Klägers gab mit Schreiben vom 2. August 2020 an, seinem Vater sei der Niesbrauch auf Lebenszeit am gesamten Nachlass zugewendet worden. Er habe daher bis zu seinem Umzug ins Pflegeheim am 31. August 2019 mietfrei im Haus gewohnt. Der Nachlass bestehe nun nur noch aus dem Verkaufserlös des Hauses, sodass sich der Niesbrauch nach dem Verkauf des Hauses nur auf die Zinsen des Verkaufserlöses beziehe und aufgrund der derzeitigen Zinspolitik wertlos sei.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2021 (in der Akte des Beklagten datiert auf den 14. März 2022 - den Zeitpunkt des Ausdrucks der digitalen Akte auf gerichtliche Anforderung -) lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der Kläger habe Anspruch auf den Niesbrauch, der nicht auf die Zinsen des Verkaufserlöses beschränkt sei. Er bestimme sich nach dem Wert der Wohnung/Mietzins und der Lebenserwartung. Damit könne der Kläger den fehlenden Betrag von 308,44 € mtl. decken.
Hiergegen erhob der Kläger am 8. März 2021 Widerspruch mit der Begründung, die Geltendmachung des Niesbrauchs sei verjährt. Die Wohnung sei nicht vermietbar gewesen.
Auf den Hinweis des Beklagten, dass das Nießbrauchsrecht tatsächlich ausgeübt worden sei, da der Kläger das Haus bewohnt habe, trug der Kläger weiter vor, er habe in dem Haus schon seit 1973 gewohnt, also vor dem Erbfall. Allein die Tatsache, dass er nicht ausgezogen sei, spräche nicht dafür, dass das Vermächtnis ausgeübt worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei nicht bedürftig, da er vorrangig geltend zu machende Ansprüche aus einem Nießbrauchsrecht bzw. einer Schenkung habe. Durch das Vermächtnis werde nach § 274 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für den Bedachten das Recht begründet, von dem Beschwerten die Leistung des vermachten Gegenstandes zu fordern. Der Sohn des Klägers sei deshalb nach dem Erbvertrag verpflichtet gewesen, dem Kläger den Niesbrauch entsprechend einzuräumen. Tatsächlich habe der Sohn den Niesbrauch auch eingeräumt. Mit Schreiben vom 2. August 2020 habe er erklärt, aufgrund des Erbvertrages habe dem Vater ein Niesbrauch auf Lebenszeit zugestanden. Er habe deshalb bis zum Umzug im Heim mietfrei im Haus gewohnt. Als Nießbraucher, so die Aussage des Sohnes, stehe dem Vater die Nutzung, also die Zinserträge, aus dem Verkaufserlös zu. Denn er habe das Recht an der Nutzung des Hauses wahrgenommen und auch, wie bei einem Niesbrauch üblich, die Nebenkosten für Wasser/Abwasser und Strom nicht nur bis zum Einzug ins Heim, sondern darüber hinaus bis zum Verkauf bzw. Übergabe des Hauses bezahlt. Für die Annahme eines Vermächtnisses gelte § 2180 BGB. Der Kläger habe das Niesbrauchvermächtnis durch konkludentes Verhalten gegenüber dem Sohn und Erben durch Entgegennahme des zugewendeten Rechts angenommen und damit eine Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten bewirkt. Die Annahme bedürfe auch keiner bestimmten Form oder Frist. Deshalb habe der Kläger einen geldwerten Anspruch aus dem Nießbrauchsrecht. Die Auswertung habe eine vergleichbare ortsübliche Miete von 569,86 € ergeben. Alternativ komme auch eine Berechnung des Kapitalwerts anhand der Sterbetafel zum Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung ab 1. Januar 2020 in Betracht. Daraus errechne sich ein Nießbrauchsrecht in Höhe von 23.387,04 €. In beiden Alternativen könne der monatliche Fehlbetrag von 308,44 € gedeckt werden bzw. bestünde wegen Vermögens kein Anspruch.
Am 26. August 2021 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben, welches diese mit Beschluss vom 13. Oktober 2021 an das Sozialgericht Ulm (SG) verwiesen hat.
Der Kläger hat vorgebracht, er habe das Nießbrauchsrecht nie geltend gemacht, auch nicht durch konkludentes Verhalten und es sei ihm auch nie eingeräumt worden. Allein das weitere Bewohnen einer vermächtnisweise zugewandten Wohnung stelle keine Annahme eines Vermächtnisses dar. Zum jetzigen Zeitpunkt könne er das Vermächtnis nicht mehr geltend machen, da der Anspruch verjährt sei. Sein Sohn habe ihn nur in den Räumen geduldet. Schon von jeher habe er die laufenden Kosten getragen. Aufgrund des Zustandes sei die Immobilie auch nicht vermietbar gewesen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der Kläger habe bereite Mittel zur Begleichung der Pflegeheimkosten zur Verfügung. Den Niesbrauch habe er mit sich selbst vereinbaren können, indem er in dem Haus wohnen geblieben sei. Mit dem Verkauf des Grundstücks sei der Kläger seiner Ansprüche verlustig gegangen, sodass der Sohn zum Ausgleich verpflichtet sei. Der Erlös sei noch vorhanden. Rein vorsorglich sei auch eine Schenkungsrückforderung möglich.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 2021 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf Hilfe zur Pflege. Der Anspruch bestimme sich nach § 19 Abs. 3 i.V.m. §§ 61 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab der seit 1. Januar 2017 geltenden Fassung. Hilfe zur Pflege würde geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet seien, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten sei. Gemäß § 61 Satz 1 SGB XII hätten Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII seien, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten sei, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels aufbrächten. Der Kläger, der in Pflegegrad 4 eingestuft und dement sei, sei pflegebedürftig. Er habe auch Anspruch auf Pflege in stationären Einrichtungen nach § 65 SGB XII, da häusliche oder teilstationäre Pflege nicht mehr möglich sei. Dies sei zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Vom eigenen Einkommen könne der Kläger seinen Bedarf nicht vollständig ausreichend decken. Der Kläger habe aber verwertbares Vermögen, sodass ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege nicht bestehe. Gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII sei das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Vermögen seien alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst würden auch Forderungen bzw. Anspruche gegen Dritte. Ob Vermögensgegenstände im Sinne der gesetzlichen Regelung verwertbar seien, beurteile sich unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten; der Vermögensinhaber müsse über das Vermögen verfügen dürfen, aber auch verfügen können. Beide Aspekte verlangten darüber hinaus eine Berücksichtigung des zeitlichen Moments: Der Vermögensinhaber verfüge nicht über bereite Mittel, wenn er diese nicht in angemessener Zeit realisieren könne. Vermögen im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII könnten auch Forderungen bzw. Ansprüche jeglicher Art sein. Allerdings müssten diese ebenfalls verwertbar im Sinne von § 90 SGB XII sein. Verwertbar sei Vermögen grundsätzlich dann, wenn es in angemessener Zeit zur Bedarfsdeckung als bereite Mittel zur Verfügung stehe. Die Verwertung von Vermögen sei generell unmöglich, wenn eine Verwertungsmöglichkeit nicht absehbar, d.h. wenn völlig ungewiss sei, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung einträte. Verwertbarkeit von Vermögen könne nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur dann angenommen werden, wenn der Berechtigte in der Lage sei, die Verwertung innerhalb einer bei Antragstellung feststehenden Zeitspanne durch eigenes Handeln - autonom - herbeizuführen. Auf die Frage bereite Mittel komme es nur dann nicht an, wenn der Einsatz von Vermögen aufgrund einer Willensentscheidung des zur Verwertung Verpflichteten unterbleibe.
Der Kläger habe gegen seinen Sohn einen Schadensersatzanspruch, nachdem der Anspruch auf Vermächtniserfüllung nach §§ 2147, 2174 BGB untergegangen sei. Durch das Vermächtnis werde für den Bedachten gemäß § 2174 BGB das Recht begründet, von dem Beschwerten die Leistung des vermachten Gegenstandes zu fordern. Nach dem vorliegenden Erbvertrag sei der Sohn des Klägers als Alleinerbe eingesetzt und dem Kläger ausdrücklich als Vermächtnis der Niesbrauch an dem gesamten Nachlass eingeräumt worden. Zudem sei der Kläger als Testamentsvollstrecker genannt worden. Dieses Vermächtnis habe der Kläger konkludent angenommen. Die Annahme eines Vermächtnisses sei eine formfreie, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie müsse dem Beschwerten als Erklärungsempfänger zugehen. Wer Beschwerter sei, ergebe sich aus den §§ 2147, 2161, 2191 BGB. Die Erklärung könne auch gegenüber einem Bevollmächtigten, dem Nachlasspfleger oder einem Testamentsvollstrecker (§ 2213 Abs. 1 BGB) abgegeben werden, sofern das Vermächtnis diesen Personen gegenüber geltend gemacht werden könne. Die Annahmeerklärung müsse nicht ausdrücklich abgegeben werden, sondern könne sich aus den Umständen - insbesondere aus der Annahme des Vermächtnisgegenstandes - ergeben. Zwar verweise der Kläger zu Recht darauf, dass Voraussetzung für die Annahme einer konkludenten Erklärung sei, dass aus dem damaligen Verhalten des Klägers mit der erforderlichen Sicherheit auf einen rechtsverbindlich geäußerten Willen zu schließen sei. So könne in der Inanspruchnahme eines Vermächtnisses ein Indiz für eine stillschweigend erfolgte Annahme liegen. Allein das Weiterbewohnen einer vermächtnisweise zugewandten Wohnung genüge aber noch nicht. Denn es müsse der sichere Schluss auf eine bewusste Annahme bzw. Inanspruchnahme der Wohnung als Vermächtnisgegenstand möglich sein. Vorliegend habe der Kläger nicht nur eine unwesentliche Zeit, nämlich mehrere Jahre bis zu seiner Heimunterbringung, das Haus weiter bewohnt, sondern darüber hinaus sich die Position des Testamentsvollstreckers tatsächlich verschafft (Erklärung vom 23. Januar 2016) und damit, da er von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit gewesen sei, sich selbst gegenüber und auch dem Sohn gegenüber konkludent die Annahme des Vermächtnisses erklärt. Ein wesentlicher weiterer Umstand sei, dass der Kläger – weiter – alle laufenden Kosten des Grundstücks getragen habe. Mit diesem konkludenten Verhalten habe er ebenfalls seinen Annahmewillen geäußert. Hinzu komme, dass der Sohn des Klägers selbst davon ausgegangen sei, dass der Kläger das Vermächtnis angenommen habe. Denn im Schreiben vom 2. August 2020 gegenüber dem Beklagten habe dieser erklärt, dass dem Vater der Niesbrauch auf Lebenszeit zugewendet worden sei und gerade nicht, dass das zugewendete Vermächtnis nicht angenommen worden wäre, sondern er sich nach wie vor in der Pflicht sehe, den Niesbrauch zu erfüllen, der allerdings als Niesbrauch an einem Geldbetrag wertlos sei. Im vorliegenden Fall seien daher nicht nur das lange Wohnenbleiben in der Wohnung, sondern auch weitere Umstände vorhanden, die auf den konkludenten Annahmewillen schließen ließen. Eine Ausschlagung zu einem späteren Zeitpunkt komme damit nicht mehr in Betracht, da der Kläger das Vermächtnis angenommen habe. Daran ändere auch die Niederlegung des Amtes des Testamentsvollstreckers (Erklärung vom 7. Oktober 2019) nichts mehr, unabhängig davon, ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch geschäftsfähig gewesen sei, woran aufgrund der Demenzdiagnose Zweifel bestünden. Deshalb sei auch der Anspruch auf Vermächtniserfüllung noch nicht verjährt unabhängig davon, dass Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung erst nach § 196 BGB in zehn Jahren verjährten.
Indem der Sohn des Klägers das Grundstück verkauft habe, habe er die nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung des Vermächtnisses in der zugewandten Form herbeigeführt. Damit hafte er nach §§ 280, 283,285 BGB. Verletze der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so könne der Gläubiger gemäß § 280 Abs. 1 BGB Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Schadensersatz statt der Leistung könne der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, § 282 oder 283 verlangen (§ 280 Abs. 3 BGB). Hier sei wegen der Unmöglichkeit durch Verkauf des zugewandten Vermächtnisses im Sinne des § 275 Satz 1 BGB Schadensersatz zu leisten. Dieser Anspruch sei damit auf Wertausgleich gerichtet und nicht auf die Zinsen am Geldbetrag beschränkt. Der Wert des Anspruchs sei vom Beklagten zutreffend berechnet worden. Allein die Behauptung, die ortsübliche Vergleichsmitte habe nicht erzielt werden können, verfange nicht. Denn aus den dem Beklagten eingereichten Fotos der Wohnung könne auf eine Unvermietbarkeit nicht geschlossen werden. Selbst wenn eine Weitervermietung nur unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete (569,86 €) in Betracht gekommen wäre, sei kein Grund ersichtlich, weshalb nicht wenigstens der vom Kläger monatlich erforderliche Betrag von ursprünglich 308,44 € samt eventueller geringer Erhöhungen hätte erzielt werden können. Vorliegend sei die Realisierbarkeit des Anspruches in angemessener Zeit zu bejahen. Denn der Verkaufserlös sei noch ungeschmälert beim Sohn des Klägers vorhanden, der den Nießbrauchsanspruch des Klägers schon mit Schreiben vom 2. August 2020 eingeräumt habe.
Gegen den den Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 15. Dezember 2022 zugestellten Gerichtsbescheid haben diese am 13. Januar 2023 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung erhoben. Zur Begründung führt der Kläger aus, während der Beklagte im Bescheid vom 8. Februar 2021 noch davon ausgegangen sei, dass der Kläger den Niesbrauch noch nicht geltend gemacht habe, habe er im Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2021 (erstmals) die Auffassung vertreten, der Kläger habe die Nutzung des Hauses wahrgenommen und auch die Nebenkosten gezahlt; er habe also durch konkludentes Verhalten gegenüber dem Sohn und Erbe das Vermächtnis angenommen. Bereits in der Klagebegründung sei darauf hingewiesen worden, dass es Aufgabe des Klägers sei, den Niesbrauch geltend zu machen, was er nicht - auch nicht konkludent - getan habe. Allein das Weiterbewohnen einer vermächtnisweisen zugewandten Wohnung stelle keine Annahme eines Vermächtnisses dar. Der Sohn habe den Kläger in den Räumlichkeiten geduldet. Der Beklagte sei darüber informiert worden, dass die laufenden Kosten das Anwesen betreffend durch Einzugsermächtigung vom Konto des Klägers abgebucht worden seien, was bereits viele Jahre vor dem Tode der Erblasserin so gewesen sei. Es sei darauf hinzuweisen, dass zwischen dem Kläger und seinem Sohn nie das Nießbrauchsrecht in irgendeiner Art und Weise angesprochen worden sei und weder ausdrücklich noch konkludent von ihr geltend gemacht worden sei. Darauf bezogen, dass das Sozialgericht davon ausgehe, dass der Kläger sich die Position des Testamentsvollstreckers verschafft habe und damit sich selbst gegenüber und auch dem Sohn gegenüber konkludent die Annahme des Vermächtnisses erklärt habe, sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach dem Tod der Erblasserin vom Nachlassgericht ein Schreiben erhalten habe mit der Frage, ob er das Amt des Testamentsvollstreckers annehmen werde. Der Kläger habe ein beigefügtes Formular ausgefüllt und zurückgesendet; ein Testamentsvollstreckerzeugnis sei jedoch nie beantragt worden. Weitere Tätigkeiten von Seiten des Klägers seien nicht erfolgt. Das Konstrukt, wonach nach § 181 BGB in Form eines In-Sich-Geschäfts der Kläger sich selbst gegenüber die Annahme erklärt habe, sei weit hergeholt und gehe am gegebenen Sachverhalt vorbei. Gleiches gelte für die Annahme, der Sohn und Erbe vertrete selbst die Auffassung, es existiere ein Vermächtnis. Er habe beim Kopieren des geforderten Vertrages lediglich dessen Inhalt wiedergegeben. Daraus die Annahme eines Vermächtnisses herzuleiten, gehe an der Sache vorbei. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Sohn des Klägers nicht davon ausgehe, dass sein Vater ausdrücklich oder in irgendeiner Art und Weise konkludent das Vermächtnis angenommen habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 14. Dezember 2022 und den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juli 2021 aufzuheben, und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Juli 2020 ergänzend Hilfe zur Pflege in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2022 für zutreffend. Der Kläger gebe an, das Vermächtnis aus dem Testament seiner Ehefrau vom 8. November 1995 nicht angenommen zu haben, da ein nach außen tretendes Verhalten, aus dem die Annahme folge, nicht erkennbar sei. Ausweislich der Kontoauszüge habe der Kläger sämtliche Verpflichtungen bezüglich des Grundstücks übernommen. Aus den vorgelegten Kontoauszügen seien Überweisungen ersichtlich, die ein Mieter einer Wohnung nicht gezahlt hätte.
Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 2. Mai 2023 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten für die Zeit ab dem 1. Juli 2020 abgelehnt.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage ist § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 61 SGB XII. Danach haben Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a SGB XII sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels aufbringen.
Pflegebedürftig sind gemäß § 61a Abs. 1 Satz 1 SGB XII Personen, die gesundheitsbedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Pflegebedürftige Personen im Sinne des Satzes 1 können körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen (Satz 2).
Der Kläger war und ist im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum (ab 1. Juli 2020) aufgrund seiner Demenzerkrankung nach dem Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes der BKK 24-Pflegekasse vom 10. Juli 2020 mit dem Pflegegrad 4 seit 1. Juni 2020 unter Berücksichtigung der Kriterien in § 61a Abs. 1 SGB XII pflegebedürftig im Sinne von § 61 SGB XII.
Gemäß § 65 Satz 1 SGB XII haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 Anspruch auf Pflege in stationären Einrichtungen, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des Einzelfalles nicht in Betracht kommt. Beim Kläger bestand und besteht eine fortgeschrittene demenzielle Erkrankung, die maßgebliche Pflege in der stationären Einrichtung notwendig machte und macht.
Hilfe zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfe in anderen Lebenslagen werden gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist. Im Rahmen der Bedarfsprüfung des Klägers sind gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen. Hiervon ausgehend hat der Beklagte unter Berücksichtigung des dem Kläger zur Verfügung stehenden Einkommens von seiner Alters- und Witwenrente in Höhe von (ab 1. Juli 2020) 1.264,33 € und 480,84 € sowie unter Berücksichtigung der Betriebsrente ab 1. Juli 2020 in Höhe von 950,33 € monatlich netto nachvollziehbar einen monatlich ungedeckten Bedarf die Pflegeheimkosten betreffend von 308,44 € (Stand August 2020) berechnet.
Dieser monatliche ungedeckte Bedarf steht dem Kläger jedoch nicht als Hilfe zur Pflege zu, da der Kläger über verwertbares Vermögen verfügt.
Diesbezüglich macht sich der Senat die zutreffende Begründung des SG in seinem Gerichtsbescheid vom 14. Dezember 2022 nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen, verweist auf diese und sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Begründung ab. Allerdings steht für den Senat (ebenfalls) fest, dass auch der Sohn des Klägers von einer Annahme des Vermächtnisses in § 3 Abs. 1 des Erbvertrages vom 8. November 1995 und einer Ausübung des Niesbrauchs des Grundstücks/Wohnung in O1 in der W1 seitens des Klägers ausgegangen ist. Das steht fest aufgrund der eigenen Ausführungen des Sohnes in seinem Schreiben vom 2. August 2020 an den Beklagten. In diesem Schreiben hat der Sohn des Klägers ausgeführt: „Meinem Vater wurde in dem vorgenannten Erbvertrag der Niesbrauch auf Lebenszeit am gesamten Niesbrauch zugewendet. Er hat daher bis zu seinem Umzug ins Pflegeheim am 31. August 2019 mietfrei im Haus gewohnt. Der Nachlass meiner verstorbenen Mutter besteht nur noch aus dem Verkaufserlös des Hauses. Als Nießbraucher stehen meinem Vater die Nutzungen (als Mietzinserträge) aus diesem Verkaufserlös zu. Aufgrund des aktuellen „Null-Zins-Niveaus“ gibt es keine Zinserträge und somit läuft der Niesbrauch ins Leere“. Diese Ausführungen des Sohnes des Klägers sind so zu verstehen, dass er selbst von der Ausübung des Niesbrauchs durch seinen Vater ausgegangen ist dadurch, dass er das dem Sohn vererbte Anwesen tatsächlich bewohnt hat. Er bringt zum Ausdruck, dass dem Kläger das Recht am Niesbrauch zugestanden hat und er es auch ausgeübt hat. Ein anderes Verständnis der Ausführungen des Sohnes des Klägers, dass dem Kläger nach Verkauf des Hauses aus dem vorhandenen Verkaufserlös die „Nutzungen des Niesbrauchs“ in Form von Zinsen (weiter) zustünden, liegt nicht nahe. Denn wenn, wie der Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, der Sohn des Klägers in seinem Schreiben vom 2. August 2020 „nur“ den Inhalt des Vertrages vom 8. November 1995 wiedergeben hätte wollen, wären die Ausführungen zu „den Nutzungen des Niesbrauchs in Form von Zinsen“ dadurch nicht erklärbar.
Das Nießbrauchsrecht (unentgeltliche Nutzung des Anwesens/der Wohnung) ist auch nicht durch den Einzug des Klägers am 31. August 2019 in das Pflegeheim Haus E1 in A1 untergegangen. Dies hat kein Erlöschen des Nießbrauchsrechts (Wohnungsrechts) bewirkt. Bei einem Wohnungsrecht handelt es sich um eine besondere Art der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit (§ 1390 Abs. 1 Satz 1 BGB). Für das Erlöschen dieses Wohnungsrechts gelten daher dieselben Grundsätze wie das Erlöschen einer solchen Dienstbarkeit. Danach erlischt das Recht, wenn seine Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauerhaft unmöglich ist (mit Hinweis auf Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 7. Dezember 1984 - VZR 185/83 - , juris). Dies ist u.a. der Fall, wenn das Recht niemandem mehr einen Vorteil bietet (BGH, Urteil vom 19. Januar 2007 - VZR 163/06 - und vom 13. Juli 2012 - VZR 206/11 -). An diesen Voraussetzungen fehlt es, wenn das Wohnungsrecht aufgrund der Aufnahme des Berechtigten in ein Pflegeheim nicht ausgeübt werden kann. Denn ihm bleibt nach der zitierten Rechtsprechung des BGH nach § 1019 Abs. 1 Satz 2 BGB die Möglichkeit, mit Gestattung des Grundstückseigentümers die Ausübung seines Rechts anderen zu überlassen und dadurch z.B. für sich einen Mietanspruch gegen den Besitzer der dem Recht unterliegenden Räume zu begründen (mit Hinweis auf das Urteil des BGH vom 2. Juni 1972 – VZR 154/70 -, juris). Dies wäre vorliegend auch rechtlich zulässig gewesen, denn im Erbvertrag vom 8. November 1995 war zu Lasten des Klägers nicht vereinbart, dass eine Überlassung des Wohnrechts an Dritte und die Umwandlung des Wohnrechts in einen Zahlungsanspruch ausgeschlossen waren (so im Urteil des Senates vom 13. April 2022 - L 2 SO 3659/20 – juris). Ein in der Person des Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führt somit nicht generell zum Erlöschen des Wohnungsrechts, selbst wenn das Hindernis auf Dauer besteht.
Zutreffend hat der Beklagte den Kapitalwert des Vermächtnisses des Klägers in Höhe von 23.387,04 € berechnet. Hieraus folgt auch unter Berücksichtigung des dem Kläger zustehenden Vermögensfreibetrages gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Nr. 1 der Verordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Höhe von 5.000,00 € in den Jahren 2020 bis 2022 bzw. 10.000,00 € ab 1. Januar 2023, dass der monatliche ungedeckte Bedarf des Klägers seit 1. Juli 2020 bis aktuell mit dem verwertbaren Vermögen des Klägers gedeckt werden kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn.1 und 2 SGG) liegen nicht vor.