L 2 SO 2864/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 1854/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 2864/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Sind vom Beklagten keinerlei Daten zur Verfügbarkeit und dem Preis von barrierefreiem Wohnraum erhoben worden, kann dies dazu führen, dass für einen Hilfebedürftigen, der auf einen solchen Wohnraum angewiesen ist, weiterhin die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen sind.
2. Zur Frage, wann jeweils die sechs-Monats-Frist nach § 141 SGB XII zu berücksichtigen ist.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. Juli 2021 teilweise aufgehoben und der Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 20. Dezember 2019, 27. Mai 2020 sowie 19. Juni 2020, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2020, verurteilt, dem Kläger im Zeitraum vom 1. September 2020 bis 31. Mai 2021 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter Berücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 858,26 Euro zu gewähren.

Die Anschlussberufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung höherer Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.05.2021.

Der 1957 geborene Kläger beantragte beim Beklagten am 08.10.2019 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Er ist seit 1998 erwerbslos, hat ab 2005 von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (im streitigen Zeitraum in Höhe von monatlich 460,18 Euro, vgl. Rentenanpassung vom 16.07.2019, Bl. 23 VA) bezogen und erhält seit 01.05.2021 eine Altersrente.

Beim Kläger besteht seit dem 15.08.2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und es wurden die Merkzeichen G und aG (vgl. Schwerbehindertenausweis Bl. 25 VA) sowie ein Pflegegrad 3 festgestellt (Bescheid der DAK Pflegekasse vom 24.11.2016, Bl. 21 VA). Der Kläger erhält Pflegegeld von der Pflegekasse.

Der Kläger wohnt seit Juli 2011 in einer 105 qm großen, 4- Zimmer-Mietwohnung in der L1 in R1 (vgl. Mietvertrag vom 12.11.2011, Bl. 27ff. VA). Für diese Wohnung sind im streitigen Zeitraum folgende Mietkosten entstanden: 720,00 Euro Kaltmiete zzgl. 260,00 Euro Nebenkosten (vgl. Mietbescheinigung vom 21.10.2019, Bl. 49 VA; Grundriss Bl. 148 SG-Akte). Die Wohnung befindet sich im ersten Stock, ist aber über einen Lift barrierefrei zu erreichen.

Diese Wohnung bewohnte der Kläger zunächst gemeinsam mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen (inzwischen) volljährigen Tochter. Nach Angaben des Klägers sind die Tochter und die Ehefrau im September 2019 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Deshalb müsse er nun auch Sozialhilfe beantragen. Der Kläger führte bei seinem Erstantrag weiter aus, dass er eine größere Wohnung benötige, da auch der Pflegedienst ab und an bei ihm schlafen müsse, da er nachts oft aufstehen müsse (wegen Schmerzen oder zur Toilette). Die Wohnung sei auf ihn abgestimmt und barrierefrei ausgerichtet. Bei einem Umzug in eine ähnliche Wohnung würden ihm Schwierigkeiten im Weg stehen und es würde etwa das Gleiche kosten.

Der Beklagte gewährte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 20.12.2019 ab dem 10.10.2019 bis auf weiteres Leistungen nach dem 3. Kapitel SGB XII. Bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigte der Beklagte neben dem maßgeblichen Regelsatz in Höhe von 424,00 Euro und eines Mehrbedarfes gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 72,08 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 813,00 Euro (690,00 Euro Grundmiete plus 56,00 Euro Nebenkosten sowie 67,00 Euro Heizkosten). Als Einkommen wurden 460,00 Euro Rente angerechnet. Zu den Kosten der Unterkunft und Heizung enthielt der Bescheid weitere folgende Ausführungen:
„Hinweis zur Miete:
Wir weisen Sie in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Rahmen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII gem. § 35 SGB XII grundsätzlich nicht die vollen Kosten der Unterkunft angerechnet werden können, sondern lediglich die angemessenen Kosten der Unterkunft berücksichtigt werden können. Hierbei ermittelt sich die Angemessenheit der Mietaufwendungen nach der angemessenen Grundmiete und den angemessenen kalten Betriebskosten, ohne die Heiz- und Warmwasserkosten (so genannte Bruttokaltmiete). Die Grundmiete bemisst sich vor allem nach der Person des Leistungsberechtigten, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen. Bei den örtlichen Verhältnissen wurde auf die am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt. Die angemessenen kalten Betriebskosten wurden aus den durchschnittlichen Verbrauchswert im Landkreis K1 zuzüglich eines Zuschlages ermittelt. In Ihrem Fall beträgt die angemessenen Höchstmiete für einen 1-Personenhaushalt in R1 519,00 €. Ihre tatsächliche Bruttowarmmiete beträgt mtl. 980,00 € und übersteigt damit die angemessenen Kosten. Außerdem ist Ihre Wohnung mit 105 qm aus sozialhilferechtlicher Sicht auch als zu groß anzusehen. Angemessen ist für einen 1-Personenhaushalt eine Wohnungsgröße bis max. 45 qm. Die Größe der Wohnung wirkt sich insbesondere auf die zu erbringenden – ggf. unangemessen hohen – Heizkosten aus.
Im Falle der Übersteigung der angemessen Bruttowarmmiete sind die Aufwendungen für die Unterkunft als Bedarf so lange anzuerkennen, als es nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die Auf-wendungen durch Rücksprache mit dem Vermieter, Wohnungswechsel, Untervermietung oder auf andere Weise zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.
Dementsprechend fordern wir Sie auf, sich intensiv um Kostenreduzierung, bzw. einen kostengünstigeren Wohnraum zu bemühen. Sollten Sie sich zur Senkung ihrer monatlichen Mietkosten dafür entscheiden, sich um eine kostengünstigere Wohnung zu bemühen, ist es Ihnen zuzumuten, kontinuierlich und konsequent alle Angebote an privaten, städtischen und insbesondere öffentlich geförderten Wohnungsangeboten nachzugehen und das Ergebnis Ihrer Bemühungen unter Benennung von Art, Ort, Zeit und Beteiligte Personen nachvollziehbar monatlich nachzuweisen. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass vor Abschluss eines Mietvertrages, unter Vorlage von Nachweisen über die entstehenden Kosten, die Zustimmung des Sozialamtes einzuholen ist. Ferner weisen wir darauf hin, dass wir die Kaltmiete in der derzeit geltend gemachten Höhe längstens bis 31.03.2020 in der Hilfeberechnung berücksichtigen werden. Sollten Sie unserer Aufforderung nicht nachkommen, werden wir ab dem 01.04.2020 lediglich noch die angemessenen Mietaufwendungen bei der Bedarfsberechnung anerkennen und der ungedeckte Teil der Miete und Nebenkosten ist ab diesem Zeitpunkt von Ihnen selbst zu übernehmen.“


Hiergegen erhob der Kläger am 30.12.2019 Widerspruch und trug vor, dass es sehr schwierig sei, sich mit einem Rollstuhl oder Gehstützen in einer Wohnung mit der angegebenen Wohnungsgröße von 45 qm zu bewegen. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung sei nirgends zu bekommen, schon gar nicht für 445 Euro. Die Umbauten wie Badewannenlift und Dusche, erhöhte Toilette sowie ein ebenerdiger Platz auf der Terrasse wolle er aus gesundheitlichen Gründen nicht missen. Zudem benötige er für seine Hilfen ein zusätzliches Zimmer als Schlafplatz, da er aufgrund seiner Schmerzen auch nachts Hilfe benötige. Ein Zusammenwohnen mit fremden Menschen in einer Wohnung sei für ihn aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Es sei zwar schon seit Längerem auf der Suche nach einer behindertengerechten Wohnung, leider bislang ohne Erfolg. Zudem seien diese Wohnungen nicht günstiger als die bisherige Wohnung. Zudem sei im Bescheid kein Mehrbedarf wegen Behinderung berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 21.01.2020 wies der Beklagte darauf hin, dass der Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung bei der Berechnung berücksichtigt worden sei.

Mit einer Email vom 29.01.2020 führte der Kläger aus, dass sein Widerspruch dennoch aufrecht erhalten bleiben solle.

Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See mitgeteilt hatte, dass der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer beziehe (Bl. 137 VA), bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 27.05.2020 nun bereits ab dem 01.10.2019 Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Für die Zeit vom 01.10.2019 bis 09.10.2019 erhalte der Kläger eine Nachzahlung. Weitergehend führte der Beklagte aus, dass Aufwendungen für die Unterkunft nur solange als Bedarf anerkannt würden, wie es nicht möglich oder zumutbar sei, die Aufwendungen zu senken. Bereits mit Bescheid vom 20.12.2019 sei der Kläger aufgefordert worden, sich intensiv um eine Kostenreduzierung zu bemühen. Da bislang diesbezüglich keine Nachweise vorgelegt worden seien, würden ab dem 01.07.2020 nur noch die angemessenen Mietaufwendungen bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt werden. Der ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gedeckte Teil der Miete sei fortan dann durch den Kläger selbst zu übernehmen.

Auch hiergegen erhob der Kläger am 05.06.2020 Widerspruch und trug vor, aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie sei es ihm nicht möglich gewesen, nach einer geeigneten Wohnung weiter zu suchen (Bl. 145 VA). Er habe bereits schon seit längerem nach einer günstigeren Wohnung Ausschau gehalten. Diese seien aber entweder im Dachgeschoss oder nicht barrierefrei gewesen. Der Beklagte könne sich sicher sein, dass er zusammen mit Freunden und Bekannten nach einer bezahlbaren Zwei-Zimmer-Wohnung Ausschau halte.

Am 01.06.2020 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Der Beklagte gewährte daraufhin die Leistungen mit Bescheid vom 19.06.2020 vom 01.06.2020 bis 31.05.2021 weiter (Bl. 183f. VA). Bei der Berechnung der Leistungen wurden wieder der maßgebliche Regelsatz (432,00 Euro), ein Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 73,44 Euro sowie zunächst Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 813,00 Euro (690,00 Euro Grundmiete plus 56,00 Euro Nebenkosten sowie 67,00 Euro Heizkosten) berücksichtigt. Als Einkommen wurden 460,18 Euro Rente angerechnet. Bis einschließlich August 2020 wurden dem Kläger damit insgesamt monatliche Leistungen in Höhe von 858,26 Euro gewährt.
Weiter führte der Beklagte aus, dass die bislang übernommenen Kosten der Unterkunft und Heizung allerdings nur bis zum 31.08.2020 übernommen werden könnten. Dies sei möglich aufgrund der Übergangsregelung im § 141 SGB XII. Danach würden ab dem 01.09.2020 aber nur noch die angemessenen Mietaufwendungen übernommen werden, da bislang keine Nachweise über Bemühungen zur Kostensenkung vorgelegt worden seien. Dies seien Mietkosten in Höhe von monatlich 456,00 Euro sowie monatliche Heizkosten von 67,00 Euro.

Auch hiergegen erhob der Kläger am 10.07.2020 Widerspruch (Bl. 195 VA) und wiederholte seinen Vortrag, dass er gesundheitlich auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen sei und eine solche Wohnung nicht zum vom Beklagten genannten Preis gefunden werden könne.

Der Beklagte erließ daraufhin am 11.09.2020 (Bl. 251 ff. VA) einen Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid. Hinsichtlich der ersten beiden Widersprüche gegen die Bescheide vom 20.12.2019 sowie vom 27.05.2020 sei dem Kläger zuzugeben, dass dieser erst im benannten Bescheid vom 20.12.2019 über die - aus Sicht des Beklagten - unangemessenen Mietkosten in Höhe von 980,00 Euro sowie die aus Sicht des Beklagten angemessenen Mietkosten (519,00 Euro) in Kenntnis gesetzt worden sei sowie darüber, dass die unangemessenen Unterkunftskosten längstens für sechs Monate (bis 30.06.2020) weitergewährt würden. Im Wege der Analogiebildung an die Fristenregelung des § 141 Abs. 5 SGB XII sei diese Frist bis zum 31.08.2020 erweitert worden. Soweit im angegriffenen Bescheid die Kosten der Unterkunft und die Aufwendungen für Heizung und zentrale Wasserversorgung nicht in tatsächlicher Höhe übernommen worden seien, sei dieser Bescheid rechtswidrig und auf den Widerspruch des Klägers insoweit abzuhelfen. Darüber hinaus sei der angegriffene Bescheid nicht zu beanstanden. Entsprechend sei auch dem zweiten Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19.06.2020 teilweise dahingehend abzuhelfen, dass bis zum 31.08.2020 die Aufwendungen der Unterkunft sowie für Heizung und Warmwasser in tatsächlicher Höhe zu übernehmen seien. Weder aus dem Pflegegrad 3 noch aus den Festsetzungen der Merkzeichen „G“ und „aG“ sowie der Notwendigkeit einer ständigen Begleitung lasse sich jedoch ableiten, dass der Kläger nicht in eine andere Wohnung umziehen oder seine Unterkunftskosten auf andere Weise senken könne. Der bloße Vortrag, dass Pflegepersonen beim Kläger nächtigen würden, spreche nicht gegen die Unangemessenheit der Unterkunftskosten. Der Vortrag sei nicht konkret und substantiiert genug, sodass von weiteren Nachfragen abgesehen worden sei. Für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.05.2021 könne der Kläger daher keine höheren Sozialhilfeleistungen beanspruchen. Für die angefochtenen Zeiträume ergäben sich daher folgende Leistungsbeiträge:

01.10.2019 bis 31.12.2019 monatlich 876,08 Euro

Regelsatz § 27 a SGB XII

424,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

72,08 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

690,00 Euro

Heizkosten

75,00 Euro

Nebenkosten

75,00 Euro

Gesamtbedarf

1336,80 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

460,00 Euro

Sozialleistung

876,08 Euro


01.01.2020 bis 31.01.2020 monatlich 885,44 Euro

Regelsatz § 27 a SGB XII

432,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

73,44 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

690,00 Euro

Heizkosten

75,00 Euro

Nebenkosten

75,00 Euro

Gesamtbedarf

1.345,44 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

460,00 Euro

Sozialleistung

885,44 Euro


01.02.2020 bis 31.05.2020 monatlich 885,26 Euro

Regelsatz § 27 a SGB XII

432,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

73,44 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

690,00 Euro

Heizkosten

75,00 Euro

Nebenkosten

75,00 Euro

Gesamtbedarf

1.345,44 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

460,18 Euro

Sozialleistung

885,26 Euro


01.06.2020 bis 30.06.2020 monatlich 885,26 Euro

Regelsatz § 27 a SGB XII

432,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

73,44 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

690,00 Euro

Heizkosten

75,00 Euro

Nebenkosten

75,00 Euro

Gesamtbedarf

1.345,44 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

460,18 Euro

Sozialleistung

885,26 Euro


01.07.2020 bis 31.08.2020 monatlich 869,38 Euro

Regelsatz § 27 a SGB XII

432,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

73,44 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

690,00 Euro

Heizkosten

75,00 Euro

Nebenkosten

75,00 Euro

Gesamtbedarf

1.345,44 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

476,06 Euro

Sozialleistung

869,38 Euro


01.09.2020 bis 31.05.2021 monatlich 552,38 Euro

Regelsatz § 27 a SGB XII

432,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

73,44 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

400,00 Euro

Heizkosten

67,00 Euro

Nebenkosten

56,00 Euro

Gesamtbedarf

1.028,44 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

476,06 Euro

Sozialleistung

552,38 Euro


Dieser Widerspruchsbescheid ging dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 291 VA) am 15.09.2020 zu.

Mit Email vom 25.09.2020 (Bl.297 ff. VA) ließ der Kläger dem Beklagten unter anderem ein ärztliches Attest des D1 vom 24.09.2020 zukommen. Darin führte D1 aus, dass sich der Kläger wegen seiner Herzerkrankung in seiner regelmäßigen hausärztlichen Betreuung befinde. Aus gesundheitlichen Gründen sei ihm ein Umzug aus seiner Wohnung nicht zumutbar und würde eine außergewöhnliche Belastung bedeuten. Die jetzige Wohnung des Klägers sei angemessen behindertengerecht ausgebaut, was er in einer anderen Wohnung nicht vorfinden würde. Der Auszug aus seiner jetzigen Wohnung würde ein erhebliches Risiko für seine Restgesundheit bedeuten und könne zu einer Verschlimmerung führen.

Am 14.10.2020 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhoben und vorgetragen, dass er auf Weiterzahlung der Miete in der Höhe von 858,26 Euro klage.

Bereits am 07.10.2020 hat der Kläger beim SG Konstanz einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Übernahme der Mietkosten gestellt (Az.: S 4 SO 1810/20 ER).

Das SG hat sodann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und sowie im vorliegenden Verfahren am 03.11.2020 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger hier u.a. folgendes erklärt: Er habe seine Freunde und Bekannte gebeten, nach einer entsprechenden, geeigneten Wohnung Ausschau zu halten. Darüber hinaus studiere er das Wochenblatt/Südkurier nach geeigneten Wohnungen. Er schaue sich dann auch entsprechende Wohnungen an, was ihm aufgrund seines Gesundheitszustandes aber sehr schwer falle. Diese Wohnungen lägen jedoch meistens im Dachgeschoss oder seien ansonsten nicht barrierefrei zu begehen. Die Wohnungen, die er bisher gesehen habe, seien auch nicht viel billiger als die jetzige Wohnung. Darüber hinaus sei zu beachten, dass bei diesen Wohnungsbesichtigungen meistens schon jüngere Leute dort seien und diese Wohnungen dann relativ schnell vergeben seien. Überdies schaue er auch im Internet nach geeigneten Wohnungen.
Zur Pflegesituation befragt hat der Kläger u.a. erklärt, dass er Probleme beim Aufstehen habe, da ihm insoweit zwei Schrauben eingesetzt worden seien, die auch auf seine Nerven einwirkten. Überdies habe er Probleme mit dem linken Kniegelenk sowie Herzrhythmusstörungen. Daher könne es dazu kommen, dass er zum Toilettengang eine Begleitung brauche. Darüber hinaus sei eine Pflegeperson auch für die erforderliche Medikamentengabe nötig, wenn er starke Schmerzen habe. Insoweit brauche er dann auch Hilfe in der Nacht. Befragt zu den Anwesenheitszeiten der Pflegeperson in der Wohnung hat der Kläger erklärt, dass die Pflegeperson abends so gegen 22:00 Uhr komme, dann bei ihm übernachte und bis morgens ca. 6:00 Uhr bis 8:00 Uhr bleibe. Die diesbezügliche Frequenz im Monat betrage ca. 10 bis 15 Tage. Die Pflegeperson übernachte dann im früheren Kinderzimmer. Die Pflegeleistungen würden hauptsächlich durch vom Kläger selbst privat ausgewählte, ihm bekannte Personen ausgeübt werden. Sollte ein entsprechender Bedarf nicht durch diese privaten Personen abgedeckt werden können, könne er beim Johanniter-Pflegedienst nachfragen, die dann zur Bedarfsüberbrückung entsprechende Pflegeleute zuwiesen. Dies sei letztmals 2007/2008 so gewesen. Er habe auch einen Hausnotrufknopf, den er in entsprechenden Notfällen benutzen könne, sodass bei den Johannitern ein entsprechender Notruf dann eingehe. Einen häuslichen Pflegedienst habe er insoweit nicht. Es sei so, dass neben der bereits beschriebenen Pflegeperson, die nachts bei ihm sei, tagsüber ebenfalls eine Pflegeperson anwesend sei. Dies sei allerdings eine andere Person.
Weiter hat der Kläger angegeben, dass er neben den Einnahmen von Pflegegeld, Rente und Sozialhilfeleistungen kein weiteres Einkommen habe und auch kein Vermögen besitze.

Im Anschluss an diesen Termin hat das SG in diesem Verfahren mit Beschluss vom 12.11.2020 (Bl. 315ff VA) den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Kläger im Zeitraum vom 07.10.2020 bis 31.05.2021 zusätzliche Leistungen nach dem SGB XII unter Berücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 663,00 Euro zu gewähren. Hierbei sei von einer Angemessenheit im vorliegenden Fall von Kosten für eine 60 qm große Wohnung zumindest im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in Höhe von 578,00 Euro auszugehen, denn bislang habe der Beklagte nicht berücksichtigt, dass beim Kläger sowohl ein GdB von 80 als auch die Merkzeichen G und aG sowie B festgestellt worden seien und ein Pflegegrad 3 bestehe. Die Kosten für eine noch größere Wohnung seien nicht zu übernehmen, da nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass hierauf ein Anspruch bestehe. Es sei für das Gericht auch nicht nachvollziehbar, warum ein Umzug für den Kläger völlig unmöglich sein solle, zumal auch nicht nachvollzogen werden könne, inwieweit nicht auch eine andere Wohnung barrierefrei anzumieten wäre. Auch, dass eine Untervermietung gänzlich ausscheide, könne nicht nachvollzogen werden. Die Heizkosten seien anhand des aktuellen Heizkostenspiegels zu errechnen und beliefen sich für eine 60 qm große Wohnung dann auf 85,00 Euro.

In Ausführung dieses Beschlusses hat der Beklagte mit Schreiben vom 20.11.2020 an den Kläger ausgeführt, dass sich ab Dezember 2020 nun vorläufig ein monatlicher Bedarf von insgesamt 692,38 Euro (anstatt bisher 552,38 Euro) ergebe. Für die Monate Oktober und November 2020 erhalte der Kläger eine Nachzahlung von insgesamt 252,00 Euro.

Mit Bescheid vom 13.01.2021 sind die Leistungen ab 01.01.2021 neu berechnet worden. Der Kläger erhielt nun bis zum 31.05.2021 monatlich 708,76 Euro ausbezahlt. Bei der Berechnung berücksichtigte der Beklagte folgendes:


 

Regelsatz § 27 a SGB XII

446,00 Euro

Mehrbedarf gem. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

75,82 Euro

Kosten für Unterkunft und Heizung

 

Grundmiete

500,00 Euro

Heizkosten

85,00 Euro

Nebenkosten

78,00 Euro

Gesamtbedarf

1.184,82 Euro

Anrechenbares Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente)

476,06 Euro

Sozialleistung

708,76 Euro


Das SG hat sodann den behandelnden D1 als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat am 28.01.2021 erklärt (Bl. 27 SG-Akte), dass der Kläger seit 1993 in seiner Behandlung sei. Der Kläger sei dauerhaft auf die Verwendung von Unterarmgehstützen angewiesen. In der Wohnung und bei längeren Strecken werde ein Rollstuhl benutzt. Auf Grund der gesundheitlichen Einschränkungen sei die Bewohnung einer ebenerdigen und barrierefreien Wohnung erforderlich.
In Hinblick auf seinen Gesundheitszustand sei es dem Kläger nicht zuzumuten mit fremden Personen in einer gemeinsamen Wohnung zusammen zu wohnen. Aus gesundheitlichen Gründen sei es dem Kläger auch nicht zuzumuten in eine andere Wohnung umzuziehen. Auf Grund seiner Behinderungen sei das Heben und Tragen von Lasten nicht möglich. Außerdem bestehe dabei eine Rupturierungsgefahr des Aortenaneurysmas. Das maßgebliche Leiden liege auf neurologisch, orthopädischem Gebiet, jedoch auch auf kardiologischem Fachgebiet.

Mit Schreiben vom 24.02.2021 hat der Beklagte mitgeteilt, dass für die Gemeinde R1 kein (qualifizierter) Mietspiegel vorliege. Für die Gemeinden im Landkreis K1, die keinen Mietspiegel hätten, habe das Jobcenter ein Konzept zur Ermittlung der Mietkosten erstellt. Als Datengrundlage würden von Seiten des Job-Center jeweils täglich die aktuell vorhandenen Wohnungsangebote aus Printmedien und Onlineportalen erfasst und hieraus die durchschnittlichen Kaltmieten je Quadratmeter in den einzelnen Größensegmenten ermittelt. Diese Werte würden mit der jeweils maximal angemessenen Wohnungsgröße in qm multipliziert um eine Gesamtmiete zu erhalten. Die Überprüfung der durchschnittlichen Festlegungen erfolge in der Regel 1 x jährlich auf Datenbasis des vergangenen Jahres um auf Veränderungen am Wohnungsmarkt möglichst zeitnah reagieren zu können. Durch diese Datenerhebung in Form der auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich angebotenen Wohnungen würden einerseits die Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsnah abgebildet und andererseits werde vermieden, dass zu Vergleichszwecken evtl. bereits langjährig vermietete Wohnungen mit einem Mietzins herangezogen würden, der bei einer Neuvermietung erheblich höher wäre. Da der Mietmarkt im Landkreis K1 deutlich zu differenzieren sei, habe man Vergleichsräume gebildet. R1 sei in die Gruppe „Seenahe Gemeinden/S1/R1“ zu fassen. Diese Orte seien aufgrund ihrer Lage direkt am See, bzw. der höheren Einstufung im Wohngeldrecht, als vergleichbar anzusehen. Als Nettokaltmiete seien danach ab 01.04.2021 für eine 1-Zimmer-Wohnung 400,00 Euro und für eine 2-Zimmer-Wohnung 580,00 Euro anzusetzen. Bei den kalten Nebenkosten seien für 1- und 2-Personenhaushalte 1,30 EUR/qm zu berücksichtigen, so dass sich für R1 eine Bruttokaltmiete von monatlich 459 Euro (Ein-Personen-Haushalt) bzw. 658 Euro (Zwei-Personenhaushalt) ergebe (vgl. hierzu ausführlich Bl. 102 ff. SG-Akte).

Das SG hat weiter von Amts wegen ein unfallchirurgisches Gutachten bei dem  am H1 Spital Ü1 O1 eingeholt. Dieser hat den Kläger am 18.05.2021 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 17.06.2021 (Bl. 153 ff. SG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
Kardiovaskuläre Erkrankungen:
Arterielle Hypertonie
Leicht eingeschränkte LV systolische Funktion
Hypertensive Herzerkrankung diastolische Relaxationsstörung
Zn. Myokarditis 1988
Größenprogrediente aneurysmatische Erweiterung der Aorta ascendens (07/201644 mm, 12/2017 47mm)
Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose 2006
Bronchopulmonale Erkrankungen:
Stattgehabte Covid 19 Pneumonie 04/2021 mit verbliebem fibrotischem Umbau der Lunge
Gastrointestinale Erkrankungen:
Axiale Hiatusgleithernie
Refluxkrankheit mit ösophagitis (Grad 0-1)
Zustand nach Appendektomie 1987
Zustand nach Tonsillektomie 1988
Zustand nach Cholezystektomie 1993
Orthopädische Erkrankungen:
Z.n. Spondylodese L4/5 09/2013 mit Schraubenfehllage LVVK 5 links
Z.n. Knie TEP Implantation links 02/2004, Wechsel auf nickelfreies Implantat 07/2015
Z.n. Knie TEP Implantation rechts 02/2017
Lumbale Spinalkanalstenose
Neurologische Erkrankungen:
Beginnende Polyneuropathie der Beine mit konsekutiver Gangunsicherheit
Zustand nach Apoplex 2003 ohne Residuen
Weiter Erkrankungen:
Schallempfindungshörminderung rechts 41%
Schallempfindungshörminderung links 33%
Chronischer Schwindel und Tinnitus rechts
Chronisches Schmerzsyndrom
Nykturie
Adipositas
Nickelallergie
Im Rahmen der klinischen Untersuchung habe sich eine deutlich eingeschränkte Mobilität mit Gangunsicherheit und reduzierter Kraft in beiden Beinen gezeigt. Aufgrund dieser Einschränkungen müsse die Wohnung ebenerdig und barrierefrei sein. Treppensteigen sei dem Kläger nicht möglich. Im Zuge der Untersuchung habe der Kläger angegeben, nachts häufig schmerzbedingt wach zu sein und zur Ablenkung im Haus herumzulaufen. Zudem leide er an nächtlichem Harndrang und müsse häufig nachts raus. Dies sei sowohl für eine fremde Person wie auch für den Kläger selbst ein nicht zumutbarer Zustand, sodass eine Untervermietung nicht möglich erscheine. Grundsätzlich sei dem Kläger ein Umzug in eine andere Wohnung zuzumuten. Diese sollte jedoch ebenfalls barrierefrei und rollstuhlgerecht sein sowie über die bislang in der jetzigen Wohnung des Klägers vorhandenen behindertengerechten Umbauten verfügen. Der Kläger habe hier angegeben, dass sein Vormieter ebenfalls körperliche Gebrechen gehabt habe, somit sei die Wohnung zum Teil schon behindertengerecht umgebaut. Er selbst habe aber ebenfalls einige Umbaumaßnahmen durchführen lassen. So seien zum Beispiel die Schränke in der Küche oder im Bad auch vom Rollstuhl aus erreichbar da höhenverstellbar, die Dusche ebenerdig, die Türen in der gesamten Wohnung rollstuhlgerecht verbreitert und es gebe einen Treppenlift um in den ersten Stock zur Wohnung zu gelangen. Im Alltag bewege sich der Kläger auf kurze Strecken mit Gehstützen und für längere Strecken mit einem Rollstuhl fort. Für einen Umzug benötige der Kläger jedoch die volle Unterstützung beim Umzugsvorgang und könne diesen nicht selber durchführen. Das Heben und Tragen von Lasten wie auch das Packen von Umzugskartons könne nur mit Unterstützung erfolgen. Die Einholung eines weiteren Gutachtens halte er für nicht erforderlich.

Das SG hat nach mündlicher Verhandlung in seinem Urteil vom 16.07.2021 der Klage teilweise stattgegeben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 20.12.2019, 27.05.2020 sowie 19.06.2020, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2020 verurteilt, dem Kläger höhere Leistungen nach dem SGB XII unter zusätzlicher Berücksichtigung monatlicher Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 705,40 Euro für den Zeitraum 01.09.2020 bis 31.12.2020 sowie in Höhe von 726,30 Euro für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.05.2021 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei bei der Frage der Angemessenheit der Wohnung nicht der Wert von 45 qm zugrunde zu legen. Vielmehr ergebe sich bei Betrachtung der abstrakten und konkreten Angemessenheit vorliegend ein anzusetzender Ausgangswert von 60 qm. Der Beklagte habe es nämlich unterlassen, den im Einzelfall etwaig bestehenden erhöhten Wohnraumbedarf im Wege der sogenannten „konkreten Angemessenheit“ zu ermitteln und seiner Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen, obwohl der Kläger mehrfach bereits im Verwaltungsverfahren auf einen erhöhten Wohnraumbedarf aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen hingewiesen habe. Beim Kläger bestehe aufgrund von Krankheit und Behinderung ein erhöhter Wohnraumbedarf von 15 qm. Aufgrund der eingeholten sachverständigen Zeugenauskunft des D1 sowie insbesondere der gutachterlichen Ausführungen des O1 stehe für das Gericht fest, dass die beim Kläger vorliegenden Diagnosen und Befunde, die ihren Niederschlag bereits in der Feststellung eines GdB von 80 sowie insbesondere der Anerkennung des Merkzeichens „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) gefunden hätten, einen erhöhten Wohnraumbedarf bedingten. Aus dem eingeholten Gutachten des O1 ergebe sich, die tägliche Notwendigkeit des Klägers zur Verwendung eines Rollstuhls auf längeren Strecken und Gehhilfen in der häuslichen Umgebung und kürzeren Strecken. Ein Wohnflächenmehrbedarf (oder besonderer unterkunftsbezogener Bedarf) hinsichtlich der Wohnungsausstattung sei bei Gehbehinderungen mit Rollstuhlgebrauch naheliegend, jedoch nicht zwingend. Sei ein Leistungsberechtigter - wie vorliegend - auf einen Rollstuhl angewiesen, so ist ein erhöhter Wohnraumbedarf von 15 qm vertretbar anzusetzen. Hierdurch könne auch der klägerseitig geltend gemachte pflegerische Mehrbedarf im Hinblick auf die Pflegepersonen abgedeckt werden, die nach - auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2021 wiederholten - Einlassung des Klägers bei ihm in der Zeit zwischen 22 Uhr abends und 6 bis 8 Uhr morgens übernachteten. Eine weitergehende Berücksichtigung eines Wohnraummehrbedarfes sei im Hinblick auf die Vermeidung einer unzulässigen Doppelberücksichtigung von Bedarfen nicht angezeigt.

Gegen das ihm am 10.08.2021 gegen Postzustellungsurkunde zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.09.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Er verfolgt sein Begehren weiter und begehrt die Übernahme der kompletten Miete. Er verweist erneut darauf, dass es in seinem Umfeld keine günstigere geeignete Wohnung gebe. Bei der letzten Wohnungssuche habe er sich zudem mit Corona infiziert und leide hierunter noch heute. Es seien inzwischen erhebliche Mietrückstände entstanden (vgl. Bl. 5 ff. und 75ff.  LSG-Akte).

Der Beklagte hat hierauf mit Schreiben vom 24.09.2021 erwidert, dass man nach wie vor davon ausgehe, dass nur die angemessenen Kosten für die Unterkunft zu übernehmen seien. Hierzu verweise man auf die bisherigen Ausführungen. Zudem habe man Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers, dieser habe z.B. nach wie vor nicht nachgewiesen, dass auf dem (Spar)Konto xxx60 kein nennenswertes Vermögen vorhanden sei. Hilfsweise beantrage man, den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger niedrigere Leistungen zu gewähren, nämlich für den Zeitraum 01.09.2020 bis 31.12.2020 in Höhe von monatlich 734,78 Euro und für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.05.2021 in Höhe von monatlich 751,16 Euro unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 01.09.2020 bis 31.05.2021 in Höhe von monatlich 705,40 Euro zu gewähren und die Klage im Übrigen zurückzuweisen. Für einen Zweipersonenhaushalt und die Mietstufe IV lasse sich aus der Anlage 1 zu § 12 Absatz 1 WoGG der Höchstbetrag in Höhe von 579,00 Euro für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.12.2021 entnehmen. Ab 01.01.2022 betrage der Wert 595,00 Euro. Der vom Sozialgericht Konstanz in seiner Entscheidung zugrunde gelegte Wert für den Zeitraum ab 01.01.2021 in Höhe von monatlich 598,00 Euro entspreche nicht den Vorgaben des WoGG in Verbindung mit der Wohngeldverordnung. Für den Zeitraum 01.01.2021 bis 31.05.2021 ergebe sich unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlags in Höhe von 10 % ein Höchstwert in Höhe von monatlich 636,90 Euro und nicht wie vom SG angenommen von insgesamt monatlich 657,80 Euro. Im Übrigen entspreche die Tenorierung des Urteils vom 16.07.2021 nicht der Begründung des Urteils. Im Tenor verwende das SG die Formulierung „unter zusätzlicher Berücksichtigung monatlicher Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe …“. Nach allgemeinem Sprachverständnis bedeutet „zusätzlich“, dass zu etwas bereits Vorhandenem nämlich den bereits mit den angegriffenen Bescheiden bedarfsmäßig berücksichtigten Kosten der Unterkunft und Heizung eine zusätzliche Berücksichtigung von monatlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 705,40 Euro bzw. in Höhe von monatlich 726,30 Euro erfolgen solle. Dies entspreche in keiner Weise der Begründung des Urteils, sodass der Tenor unrichtig und damit zu berichtigen sei.

Auf Frage des Gerichts zur Wohnungssuche hat der Kläger mit Schreiben vom 25.11.2021 angegeben, dass er jetzt schon 13 Jahre in der Wohnung wohne und diese behindertengerecht sei. Es gebe keine geeignete günstigere Wohnung für ihn. Oft seien die Wohnungen im Dachgeschoss oder ohne Lift und geeignete Wohnungen seien mindestens so teuer wie seine.

Auf Nachfrage des Senats hat der Beklagte am 17.12.2021 weiter mitgeteilt, dass beim Beklagten keine beleg- und nachweisbare Kenntnis über Mietmarktangebote von verfügbaren ebenerdigen/per Aufzug erreichbaren und barrierefreien Wohnungen im streitigen Zeitraum bestehe. Nach der allgemeinen Erfahrung und der medialen Berichterstattung über den Mietmarkt erscheine es dem Beklagten jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass oben genannte Wohnungen nicht im streitigen Zeitraum angeboten bzw. annonciert worden seien. Es könne aber auch angenommen werden, dass die Mietnachfrage nach solchen Wohnungen höher sei als das Mietangebot („angespannter Mietmarkt“).

Mit dem Änderungsbescheid vom 20.01.2022 hat der Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 01.01.2022 bis 31.05.2022 neu berechnet (vgl. Bl. 63 LSG-Akte).

Auf Frage des Gerichts hat der Kläger mit Schreiben vom 22.04.2022 mitgeteilt, dass hinsichtlich der Häufigkeit des Übernachtens einer Pflegeperson anzugeben sei, dass es mehr oder auch etwas weniger wie 15 Tage im Monat sein mögen. Zur der Zeit seien verschiedene Pflegepersonen für ihn tätig gewesen. Tagebuch führe er nicht. Zur Wohnungssuche hat er weiter erklärt, dass er das Wochenblatt, das Internet mit jeweiligen Maklern (z.B. immowelt.de oder Mc Makler), den Südkurier und Tafeln bei Kaufhäusern wie Penny und jetzt Kaufland nutze. Durch die Besichtigungen der Wohnungen habe er Corona bekommen, der Verlauf sei schwer gewesen. Noch heute leide er an den Folgen dieser Krankheit. Sofern er aber sogar eine Wohnung besichtigen dürfe, liege diese im Dachgeschoss oder im Dunklen oder einer schwer zugänglichen Lage. Dazu gebe es nur kleine Toiletten ohne Zugang mit einem Rollstuhl und auch mit Gehstützen seien sie kaum begehbar, zumal die Miete auch i.d.R. nur 100,00 Euro unter der alten liegen würde.

Mit Bescheid vom 13.05.2022 (Bl. 87 LSG-Akte) hat der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung vom 01.06.2022 bis vorerst längstens zum 31.12.2022 weitergewährt.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 19.10.2022 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Hier hat der Kläger u.a. erklärt, dass er nicht Buch geführt habe über die Wohnungssuche. Er suche die Wohnungen gemeinsam mit Kollegen/Freunden. Man schaue in Zeitungen, wie das Wochenblatt, im Internet, schaue was frei sei. Weiter hat der Kläger angegeben, dass er derzeit keinen Wohnberechtigungsschein habe. Er wolle auch an keinem anderen Ort wohnen. Der Kläger hat weiter angegeben, dass häufig seine Tochter bei ihm sei, wenn er Betreuung über Nacht benötige. Diese wohne in einer eigenen Wohnung, sei berufstätig und 24 Jahre alt. Ob er Betreuung über Nacht brauche, hänge von seinem aktuellen Gesundheitszustand ab. Dieser sei schwankend. Wenn seine Tochter nicht könne, habe er weitere Bekannte und Freunde, die er fragen könne, ob sie ihm helfen würden. Außerdem finanziere er gelegentlich polnische Frauen über das ihm gewährte Pflegegeld zur Unterstützung. Er habe zudem einen Notrufknopf über die Johanniter.

Im Nachgang hat der Kläger dann mit Schreiben vom 20.11.2022 ausgeführt, dass er von seiner Tochter, von Freunden und Bekannten, wovon leider zwei im Jahr 2021 verstorben seien, gepflegt werde. Seine Tochter komme morgens um beim Anziehen und waschen zu helfen, mache das Frühstück und richte die Medikamente, gleich auch für die Ablösung einer Bekannten oder Freund(in). Es werde frisch gekocht, da er nicht alles essen könne und dürfe.
Abends komme seine Tochter noch einmal und helfe ihm für die Nacht, Ausziehen, Abendbrot, waschen und Post durchschauen. Nicht jeder Tag sei für ihn gleich, seit Corona 4/2021 schon gar nicht mehr. Da er sehr oft starke Schmerzen habe, bekomme er Medikamente, damit er mal eine Nacht ruhiger schlafen könne, was seiner Inkontinenz nicht entgegenkomme. Oft, d.h. ca alle 2 bis 3 Tage brauche er Hilfe in der Nacht zum Toilettengang oder das Bett neu zu beziehen. Das Bett müsse, weil ich an COPD leide, richtig in seiner Höhe eingestellt sein. Dann schlafe seine Tochter bei ihm in einem separaten Zimmer und fahre dann zur Arbeit. Die Wohnung werde jetzt alle zwei Tage von einem Bekannten desinfiziert und gereinigt. Im Sommer könne er auf der großen Terrasse sitzen und den Sommertag unter dem Wetterschutz genießen. Die Wohnung sei ebenerdig gleich und er könne alles mit dem Rollstuhl befahren. Er wohne seit 2008 in der Wohnung und es sei schon damals schwer gewesen, eine geeignete Wohnung zu finden. In eine andere Stadt/ Dorf wolle er nicht mehr, hier sei die Infrastuktur am besten gegeben, ob Arzt, Einkaufsmöglichkeiten Penny, Edeka, Netto, Aldi, DM Markt. 
Da er oft starke Schmerzen habe, nehme er Schmerzmittel (Tilidin), wegen des Körperödems Wassertabletten. Nachts mache sich dann oft die Inkontinenz bemerkbar und das Bett werde nass. So werde das Bett neu gemacht. Er habe auch Schwierigkeiten aufzustehen. Deshalb schlafe die Tochter oder sein bester Kollege dann bei ihm im separaten Zimmer. Es komme ca. 14 Tage im Monat vor und sei je nach Tagesform schon vorgezeichnet.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 09.11.2022 mitgeteilt, dass keine Datensätze zu barrierefreien Wohnungen im Landkreis K1 existent seien.

Nachdem der Beklagte vom Kläger weitere Unterlagen zu einem Konto bei der P1bank angefordert hatte, hat der Kläger einige Unterlagen selbst vorgelegt sowie eine Vollmacht, die dem Beklagten weitere Ermittlungen ermöglichte. Hieraus hat sich dann ergeben, dass der Kläger Inhaber des P1bank Sparkontos Nr. xxx60 gewesen ist. Dieses Konto ist dann unter der neuen Kontonummer xxx60 geführt worden. Auf diesem Konto sind dann allerdings seit mehr als 10 Jahren keine Kontobewegungen mehr erfolgt, es sind auch keine Einträge im Sparbuch vorgenommen worden. Schließlich hat der Kläger das Konto am 19.12.2022 gekündigt. Nennenswerte Vermögensbeträge sind hierbei nicht vorhanden gewesen. Der Beklagte hat daraufhin erklärt, dass der Kläger seiner Nachweispflicht nachgekommen sei (vgl. Bl. 196 LSG-Akte).

Nachdem der Beklagte darauf hingewiesen hatte, dass der Mietvertrag ursprünglich durch den Kläger und seine Ehefrau geschlossen worden sei und diese also gesamtschuldnerisch für die Miete hafteten, hat der Kläger am 22.11.2022 eine Kündigung der Ehefrau an den Vermieter vom 30.06.2019 (vgl. Bl. 132 LSG Akte) vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

            den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 20. Dezember 2019, 27. Mai 2020             sowie 19. Juni 2020, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Septem-            ber 2020, zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 1. September 2020 bis 31. Mai 2021 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung unter             Berücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich             858,26 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt (Bl. 40),

die Berufung zurückzuweisen und das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. Juli 2021 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen,
hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 16. Juli 2021 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum 1. September 2020 bis 31. Dezember 2020 in Höhe von monatlich 734,78 Euro und für den Zeitraum 1. Januar 2021 bis 31. Mai 2021 in Höhe von monatlich 751,16 Euro unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 1. September 2020 bis 31. Mai 2021 in Höhe von monatlich 705,40 Euro zu gewähren und die Klage im Übrigen abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.

Der Beklagte hat vorliegend auch zulässig eine Anschlussberufung erhoben. Dies hat er im Schreiben vom 24.09.2021 zwar nicht ausdrücklich so bezeichnet, die Anschlussberufung ergibt sich aber konkludent aus der Antragstellung, denn es kommt hier zum Ausdruck, dass über die Zurückweisung der Berufung hinaus das angefochtene Urteil zugunsten des Berufungsbeklagten geändert werden soll (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, SGG, 3. Aufl. 2020, § 143 Rn. 5e). Es liegt auch eine von der Hauptberufung abhängige Anschlussberufung vor, denn sie betrifft denselben Streitgegenstand, nämlich die Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.05.2021. Eine solche abhängige Anschlussberufung ist an keine Frist gebunden (vgl. Keller a.a.O. Rn. 5d).

Gegenstand des Verfahrens sind die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbminderung für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.05.2021. Dies ergibt sich aus dem angegriffenen Bescheiden vom 20.12.2019, 27.05.2020 sowie 19.06.2020, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2020 in Zusammenhang mit dem Antrag des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren, hier hat der Kläger ausdrücklich (nur) für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.05.2021 höhere Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt. Möglicherweise zunächst weiter geltend gemachte Zeiträume sind damit zurückgenommen worden. Soweit der Kläger die Übernahme höherer Unterkunftskosten für davor und zunächst im Berufungsverfahren insbesondere auch für danach liegenden Zeiträume begehrt hat, sind diese nicht Gegenstand des hier vorliegenden Verfahrens geworden. Diese waren nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen und sind damit auch im Berufungsverfahren nicht zu überprüfen. Eine Berufung, die einen neuen, bisher noch nicht geltend gemachten Anspruch zum Gegenstand hat, ist (mangels Beschwer) nämlich grundsätzlich unzulässig (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 143 SGG, Rn. 15; Littmann in Lüdtke/Berchtold, Sozialgerichtsgesetz, SGG § 143 Rn. 17), zumal durch die jeweils gestellten Weiterbewilligungsanträge des Klägers und die vom Beklagten daraufhin erlassenen Bewilligungsbescheide (z.B. Bescheid vom 27.05.2021; Bl. 436 VA), die nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG (vgl. hierzu z.B. u. a. BSG, Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 62/08 R - juris, Rn. 17) geworden sind, eine zeitliche Zäsur eingetreten ist. 

In der Sache ist der Streitgegenstand wirksam auf die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt. Eine solche Abtrennbarkeit der Leistungen ist prozessual zulässig (vgl. nur BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18; für die Zeit ab 01.01.2011 BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr 78, Rn. 9 - 11 m.w.N.). Der Kläger hat bereits mit Klageerhebung und später mit seinem im Termin der mündlichen Verhandlung bei SG gestellten Antrag sein Begehren eindeutig hierauf begrenzt. Der im Widerspruchsverfahren noch begehrte Mehrbedarf für gehbehinderte Menschen bei voller Erwerbsminderung (vgl. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) wird nicht mehr vom Kläger genannt, zumal ihm dieser ausweislich der vorliegenden Bescheide auch gewährt worden ist.

Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Die Anschlussberufung ist zurückzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht teilweise abgewiesen. Die Bescheide vom 20. Dezember 2019, 27.05.2020 sowie 19.06.2020, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2020 sind rechtswidrig, denn der Kläger hat einen über den vom SG tenorierten Umfang hinausgehenden Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung. Er hat sowohl im Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.12.2020 (vgl. unter a)) als auch im Zeitraum ab dem 01.01.2021 bis 31.05.2021 (siehe unter b)) einen Anspruch auf die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung.

a)
Soweit der Kläger höhere Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.12.2020 begehrt, kann dahinstehen, ob die geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung angemessen im Sinne des § 42a SGB XII i.m.V. § 35 Abs. 2 SGB XII sind.

Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werden Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, allerdings nach Maßgabe des § 35 Abs. 2 SGB XII regelmäßig nur soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Dieser Sechs-Monats-Zeitraum verlängert sich im vorliegenden Fall nach § 141 SGB II (Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie). Danach werden die Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel für die Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 01.03.2020 bis bzw. 30.06.2020 (in der Fassung vom 27.03.2020, gültig ab 28.03.2020) bis inzwischen bis 31.03.2022 (in der Fassung vom 22.11.2021, gültig ab 24.11.2021) beginnen, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht. Nach Absatz 3 der Vorschrift sind die § 35 und § 42a Absatz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 35 Absatz 2 Satz 2 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 35 Absatz 2 Satz 2 genannte Frist anzurechnen ist. Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden.

Für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.12.2020 sind nach diesen Vorschriften demnach die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen.

Der Kläger beantragte vorliegend am 01.06.2020 die Fortzahlung der Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab Juni 2020, weshalb der Anwendungsbereich des § 141 SGB XII nach dessen Absatz 1 eröffnet ist, denn § 141 Abs. 3 SGBX II findet auch Anwendung, wenn die Hilfebedürftigkeit unabhängig von der Corona-Pandemie eingetreten ist. Weiter gilt § 141 Abs. 3 SGB II nicht nur für Erstbewilligungen, sondern umfasst auch in der in § 141 Abs. 1 SGB II genannten Zeit beginnende Weiterbewilligungszeiträume (vgl. Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 141 SGB XII (Stand: 30.05.2022), Rn. 30; BeckOK SozR/Adams, 66. Ed. 1.9.2022, SGB XII § 141 Rn. 23, 24; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2020, L 11 AS 508/20 B ER, Rn. 28, 29 zur Parallelvorschrift im SGB II). Dies gilt ohne jegliche Begrenzung und erfasst auch sehr hohe Unterkunftskosten einschließlich Luxusimmobilien (Bittner NZS 2020, 332, 333).

Nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 3 S. 1 SGB XII gelten daher die Kosten der Unterkunft und Heizung  für einen Zeitraum von sechs Monaten als angemessen. Dies bedeutet, dass bei Bewilligungszeiträumen, die im oben genannten Zeitraum beginnen, für sechs Monate eine Angemessenheitsprüfung nicht vorzunehmen ist. Sie betrifft insbesondere die Fälle wie den vorliegenden, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum bereits zur Kostensenkung aufgefordert worden war mit der Folge, dass die sechsmonatige Kostensenkungsfrist (§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII) in Gang gesetzt worden ist. In diesen Fällen verbleibt es nach § 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII bei Weiterbewilligung im in § 141 Abs. 1 SGB XII genannten Zeitraum zunächst bei der Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen, was verfahrensrechtlich durch § 141 Abs. 5 Satz 2 SGB XII zusätzlich abgesichert wird. § 141 Abs. 3 Satz 2 SGB XII sorgt allerdings dafür, dass die Kostensenkungsfrist nur gehemmt und nicht unterbrochen wird. Sie läuft nach Ablauf der Sechs-Monats-Fiktion gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nach dem bisherigen Stand weiter ab (vgl. Groth a.a.O. Rn 31).

Ausgehend von dem am 01.06.2020 beginnenden Bewilligungsabschnitt, auf den § 141 SGB XII erstmals Anwendung fand, begann im Juni 2020 der Sechsmonatszeitraum des § 141 Abs. 3 S. 1 SGB XII, welcher bis einschließlich November 2020 reichte. Nach Ablauf dieses Zeitraums ist § 35 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach § 141 Abs. 3 Satz 1 auf die in  § 35 Absatz 2 Satz 2 genannte Frist anzurechnen ist. Hier ist nach Auffassung des Senats auf die Kostensenkungsaufforderung vom 11.09.2020 abzustellen, wonach die Kosten bis 30.06.2020 übernommen würden. Deshalb sind im Anschluss an die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 141 Abs. 3 SGB XII bis November 2020 diese für einen weiteren Monat (nämlich den Dezember 2020) zu übernehmen, weil diese Kostensenkungsaufforderung sich nun bis zum 31.12.2020 erstreckt.

Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung betragen vorliegend insgesamt monatlich 980,00 Euro und setzen sich aus einer Kaltmiete von 720,00 Euro (hierin enthalten 30,00 Euro für einen Stellplatz) sowie Nebenkosten in Höhe von 260,00 Euro zusammen (vgl. Mietbescheinigung vom 21.10.2019, Bl. 49).

Entgegen der Ansicht des Beklagten sind im Rahmen der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung vorliegend die Stellplatzkosten zu berücksichtigen. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Senats schon bereits daraus, dass beim Kläger neben einem Grad der Behinderung von 80 insbesondere auch die Merkzeichen „G“ und „aG“ anerkannt worden sind, da der Kläger aufgrund seiner Erkrankungen auf die Benutzung von Unterarmgehstützen und zeitweise sogar auf die Benutzung eines Rollstuhles angewiesen ist. Der Senat kann daher vorliegend offen lassen, ob die Wohnung und Stellplatz hier Bestandteile eines einheitlichen Mietverhältnisses gewesen bzw. ob eine Teilkündigung bezogen auf den Stellplatz nicht möglich ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19.05.2021, B 14 AS 39/20 R, juris).

Hinzu kommen im vorliegenden Zeitraum zudem die tatsächlichen Neben- und Heizkosten in Höhe von monatlich 260,00 Euro. Soweit der Beklagte im Zeitraum vor dem 01.09.2020 Heiz- und Nebenkosten jeweils nur in Höhe von 75,00 Euro, insgesamt also von 150,00 Euro als tatsächliche Kosten übernommen hat, kann diese Summe nicht nachvollzogen werden. Insbesondere ergibt sie sich nicht aus den vorgelegten Unterlagen, wie z.B. der Mietbescheinigung bzw. den Angaben zu den noch offenen Mietzahlungen des Klägers an seinen Vermieter. Auch wurden vom Beklagten weder ein Grund für eine Absenkung dieser Kosten vorgetragen noch ist ein solcher sonst ersichtlich.

Somit besteht im Zeitraum vom 01.09.2020 bis 31.12.2020 grundsätzlich ein Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 980,00 Euro pro Monat. Allerdings kann der Senat den Beklagten nur zur Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 858,26 Euro verurteilen. Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Klageschrift des Klägers vom 14.10.2020, in dem dieser die „Weiterzahlung der Miete in der Höhe von 858,26 Euro“ beantragt hat. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger dann ebenfalls nur beantragt, ihm „Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 858,26 Euro zu gewähren“. Damit hat der Kläger, auch wenn er anwaltlich nicht vertreten war, seinen Anspruch auf Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich auf diese Summe begrenzt und ggf. weitergehende Ansprüche zurückgenommen. Leistungen über diesen Antrag hinaus zuzusprechen ist dem Senat demnach verwehrt. Es ist diesbezüglich an den Antrag des Klägers gebunden (vgl. dazu auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14.06.2018 - L 15 AS 258/16 -, juris, Rn. 27).


b) Auch für den weiter streitigen Zeitraum vom 01.01.2021 bis 31.05.2021 sind nach Überzeugung des Senats ebenfalls im vorliegenden Fall die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu übernehmen, da der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkung auf die Benutzung von Unterarmgehstützen bzw. eines Rollstuhls angewiesen ist und daher eine entsprechend ausgestattete barrierefreie Wohnung benötigt.

Wie bereits oben ausgeführt, werden gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, allerdings nach Maßgabe des § 35 Abs. 2 SGB XII regelmäßig nur soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Diese (um § 141 SGB XII verlängerte Frist) ist mit dem 31.12.2020 abgelaufen.

Ob danach die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung weiterhin in voller Höhe als Bedarf zu berücksichtigen sind, richtet sich nach deren Angemessenheit. Dafür ist im ersten von zwei größeren Schritten zunächst die abstrakte Angemessenheit und dann in einem zweiten Schritt die konkrete Angemessenheit der Aufwendungen zu prüfen (ständige Rechtsprechung des BSG seit 2006; z.B. zusammenfassend zur Parallelvorschrift im SGB II: Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 19).
Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen: Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en), Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept, Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten. Dabei muss das Produkt aus Wohnfläche und -standard eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete ("Referenzmiete") ergeben (vgl. zur Produkttheorie zuletzt: BSG, a.a.O., Rn. 20). Dies entspricht der vom BVerfG geforderten zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Existenzminimums, welches vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnet wird. Kann kein abstrakt angemessener Bedarf für die Unterkunft ermittelt werden, sind die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, gedeckelt durch die Tabellenwerte der rechten Spalte zu § 12 WoGG inklusive eines Zuschlages von 10 v. H. In einem letzten Schritt ist die konkrete (= subjektive) Angemessenheit im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit notwendiger Einsparungen einschließlich eines Umzugs, zu prüfen. Hier können u. a. konkrete Umstände des Einzelfalls (z. B. Behinderung / Ausübung des Umgangsrechts) einen individuell nach oben abweichenden Bedarf rechtfertigen (vgl. zum Ganzen: Wrackmeyer-Schoene in Grube/Wahrendorf/Flint, Kommentar zum SGB XII, 7. Auflage 2020, § 35 Rn. 25ff. und zur Parallevorschrift im SGB II Luik in Eicher/Luik/ Harich, Kommentar zum SGB II, 5. Auflage 2021 § 22 Rn. 106 m. w. N.). Abschließend ist zu klären, ob die Leistungsberechtigten eine abstrakt angemessene Wohnung hätten anmieten können (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 17.09. 2020, B 4 AS 22/20 R, juris Rn. 23; Wrackmeyer-Schoene a.a.O. Rn. 48ff.).

Der Senat kann hier letztlich offen lassen, ob die vom Beklagten zugrunde gelegten Werte abstrakt angemessen sind, denn der Anspruch des Klägers auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung ergibt sich vorliegend daraus, dass diese Werte zumindest im Einzelfall des Klägers konkret nicht angemessen sind. Hierbei sind individuelle Bedarfe zu berücksichtigen (etwa größerer Raumbedarf aufgrund einer Behinderung) und Zumutbarkeit und Möglichkeit der Kostensenkung zu prüfen (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII (Stand: 25.05.2021), Rn. 84).

Zur Bestimmung der angemessenen Wohnungsgröße ist in Baden-Württemberg auf die Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministeriums zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung vom 12.2.2002 zurückzugreifen. Danach beträgt die Wohnflächengrenze für einen Einpersonenhaushalt 45 qm (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R -, juris), womit die Wohnung des Klägers somit grundsätzlich unangemessen groß wäre. Ggf. zu berücksichtigende persönliche Lebensumstände sind nach der Rechtsprechung des BSG zur Ermittlung der Wohnflächen für die abstrakt angemessene Referenzmiete nicht zu berücksichtigen. Dies erfolgt erst im Rahmen der Prüfung der konkreten Angemessenheit (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII (Stand: 25.05.2021), Rn. 91)

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Kosten der Unterkunft nach dem SGB II - Entsprechendes gilt für die Festlegung von Unterkunftskosten nach dem SGB XII - soll die Angemessenheitsgrenze für die Aufwendungen der Kosten der Unterkunft für eine solche Wohnung dann durch ein so genanntes schlüssiges Konzept ermittelt werden (vgl. beispielhaft BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 -, juris, Rn. 19 ff. m.w.N.).

Der Senat hat vorliegend - wie bereits das SG - erhebliche Zweifel daran, ob die vom Beklagten vorgelegten Angemessenheitsgrenzen anhand eines schlüssigen Konzepts, das den vom BSG hierfür aufgestellten Kriterien entspricht, ermittelt wurden.

Fraglich dürfte bereits sein - wie das SG im angefochtenen Urteil ausführlich begründet hat -, ob vorliegend ein zulässiger Vergleichsraum, wonach ein bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet, aufgestellt werden muss (vgl. hierzu Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII [Stand: 25.05.2021], Rn. 97), vom Beklagten gebildet wurde.

Darüber hinaus hat der Senat weiter erhebliche Zweifel, ob der Beklagte für den von ihm gebildeten Vergleichsraum die hierfür angenommene Referenzmiete anhand eines ausreichenden schlüssigen Konzeptes ermittelt hat. Auch wenn zur Ermittlung des Konzepts keine bestimmte Methode vorgeschrieben ist, so muss den Feststellungen des Leistungsträgers ein Konzept zu Grunde liegen, das im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig und die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein „angemessenes Maß“ hinreichend nachvollziehbar ist (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII [Stand: 25.05.2021], Rn. 96). Den vom Beklagten vorgelegten Unterlagen kann insbesondere nicht abschließend entnommen werden, ob die Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten ausreichend belegt ist, die Validität der Datenerhebung ist nicht ausreichend dargelegt und es kann nicht überprüft werden, ob die Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze gegeben ist.

Somit wäre eigentlich bei einem Ausfall von weiteren lokalen Erkenntnismöglichkeiten für die Entwicklung eines schlüssigen Konzepts im räumlichen Vergleichsgebiet ein Rückgriff auf die Werte der Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlag zulässig (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R, Rn. 16).

Dies alles kann der Senat vorliegend aber letztlich offen lassen, denn es ist dem Kläger nach Überzeugung des Senats konkret nicht möglich eine solche Wohnung innerhalb der vom Beklagten veranschlagten Angemessenheitsgrenzen liegende Wohnung anzumieten.

Wie bereits oben aufgeführt müssen im Rahmen der konkreten Angemessenheit die personenbezogenen Umstände bei den jeweiligen mietpreisbildenden Faktoren berücksichtigt werden. Dies betrifft den Wohnflächenbedarf, den Vergleichsraum und den Wohnungsstandard sowie die Referenzgruppe. Zu berücksichtigen sind besondere Umstände wie Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder und soweit diese Faktoren nach den Umständen des Einzelfalls Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf haben. Ein Wohnflächenmehrbedarf oder besonderer unterkunftsbezogener Bedarf hinsichtlich der Wohnungsausstattung ist bei Gehbehinderungen mit Rollstuhlgebrauch naheliegend, trifft jedoch nicht auf jede Behinderung zu. Besondere persönliche Lebensumstände des Leistungsberechtigten können auch zu einem verstärkten Schutz des sozialen Umfelds im Vergleich zu Leistungsberechtigten ohne persönliche Besonderheiten führen. Solche Umstände für individuelle, „konkret“ von den Bedarfen anderer Leistungsberechtigter abweichende Bedarfe sind etwa die Situation gesundheitliche Aspekte. Das BSG begründet das Stufenverhältnis von abstrakter und konkreter Angemessenheit damit, dass auf der Ebene der konkreten Angemessenheit den erheblichen Unterschieden im persönlichen Bedarf im Hinblick auf eine zeitliche Veränderung des Bedarfs besser Rechnung tragen werden kann (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII [Stand: 25.05.2021], Rn. 118)

Eine tatsächliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn es dem Leistungsberechtigten weder durch Wohnungswechsel, durch Untervermietung noch anderweitig möglich ist, die Kosten zu senken. Für die Kostensenkung durch einen Umzug muss der Leistungsberechtigte in der Lage sein, auf dem für ihn maßgeblichen Wohnungsmarkt zu dem vom Leistungsträger als angemessen angesehenen Quadratmeterpreis tatsächlich eine Wohnung konkret anzumieten. Der Leistungsberechtigte muss Zugang zu der anzumietenden angemessenen Wohnung haben, d.h. es muss eine realistische Chance bestehen. Hat der Leistungsberechtigte erfolglos entsprechende Wohnungssuchaktivitäten entwickelt und dies auch nachgewiesen, muss ggf. der Sozialhilfeträger konkrete Unterkunftsalternativen benennen (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII [Stand: 25.05.2021], Rn. 124)

Bezogen auf den vorliegenden Fall ist dem Beklagten hierbei zunächst zuzugeben, dass ein Umzug vorliegend nicht gänzlich ausgeschlossen ist und dem Kläger - bei entsprechender Unterstützung beim Umzug und dem Vorliegen einer geeigneten Wohnung - auch grundsätzlich zumutbar ist, was auch der vom SG beauftragte  O1 in seinem Gutachten vom 17.06.2021 bestätigt hat.
Nach dessen schlüssigen, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Feststellungen ist aber aufgrund der deutlich eingeschränkten Mobilität mit Gangunsicherheit und reduzierter Kraft in beiden Beinen ein Umzug nur in eine ebenerdige und barrierefreie Wohnung möglich. Treppensteigen ist nicht möglich, so dass ggf. ein Fahrstuhl vorhanden sein müsste. Aufgrund der teilweise gegebenen Angewiesenheit auf den Rollstuhl/ Unterarmgehstützen benötigt der Kläger weitere spezielle Umbauten sowie verbreiterte Türen in einer Wohnung. Dies ist in der derzeitigen Wohnung alles gegeben, da diese nach Angaben des Klägers bereits von einem Vormieter mit Einschränkungen bewohnt worden war sowie einige Umbauten vom Kläger selbst vorgenommen worden waren.

Vieles spricht zudem dafür, dass der Kläger einen erhöhten Wohnflächenbedarf aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen hat. Wie das SG bereits ausgeführt hat, dürfte dies schon allein aufgrund der (teilweisen) Rollstuhlpflichtigkeit des Klägers gegeben sein. In einem solchen Fall wird ein erhöhter Wohnflächenbedarf von 15 qm als vertretbar angesehen (vgl. Dauber in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 35 SGB XII Rn. 32 m.w.N., Stand August 2018). Darüber hinaus ergibt sich nach den Feststellungen im Gutachten und dem Vortrag des Klägers die Notwendigkeit eines zweiten Zimmers auch aus dem Gesundheitszustand des Klägers. Auch wenn der Kläger bis zuletzt keine genauen Aufstellungen über die Pflegpersonen und den zeitlichen Umfang der nächtlichen Pflege vorgelegt hat, so ergibt sich doch aus dem durchgehenden Vortrag des Klägers im Verfahren und auch beim Gutachter, dass er zumindest in einigen Nächten pro Monat darauf angewiesen ist, dass andere Personen bei ihm übernachten. Diese Pflegetätigkeit übernehmen weit überwiegend die volljährige Tochter, die in einer eigenen Wohnung lebt sowie hin und wieder Bekannte des Klägers. Es wäre diesen nicht zumutbar in einem Raum mit dem Kläger zu übernachten.

Nach Überzeugung des Senats ist aber - entgegen der Ausführungen des SG - im vorliegenden Fall auch nicht ausreichend allein einen erhöhten Wohnflächenbedarf im Rahmen der konkreten Angemessenheitsprüfung zugrunde zu legen.

Der Kläger ist auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen. Ob und zu welchen Preisen eine solche Wohnung im Landkreis K1 angemietet werden kann, ist vorliegend vom Beklagten nicht ausreichend dargelegt worden.

Der Beklagte selbst hat hierzu mit Schreiben vom 17.12.2021 und 09.11.2022 ausgeführt, dass beim Beklagten keine beleg- und nachweisbare Kenntnis über Mietmarktangebote von verfügbaren ebenerdigen/per Aufzug erreichbaren und barrierefreien Wohnungen im streitigen Zeitraum bestünden. Nach der allgemeinen Erfahrung und der medialen Berichterstattung über den Mietmarkt erscheine es dem Beklagten jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass oben genannte Wohnungen nicht im streitigen Zeitraum angeboten bzw. annonciert worden seien. Es könne aber auch angenommen werden, dass die Mietnachfrage nach solchen Wohnungen höher sei als das Mietangebot („angespannter Mietmarkt“).

Der Beklagte geht daher selbst davon aus, dass solche Wohnungen nicht im selben Umfang und auch (wohl) nicht zu den von ihm zugrunde gelegten angemessenen Mietkosten angemietet werden können. Ermittlungen hierzu sind weder vom Beklagten noch von dem im Landkreis für die Ermittlung eines schlüssigen Konzepts beauftragten Jobcenters gemacht worden. Da vorliegend also keinerlei Angaben über den Markt für solche Wohnungen vorhanden sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass solche Wohnungen in ausreichendem Umfang auch vorhanden sind.

Von einem solchen abstrakten Nachweis des Vorhandenseins solcher Wohnungen kann der Beklagte hier auch nicht deshalb entbunden werden, weil der Kläger vorliegend keine schriftliche Dokumentation über seine Wohnungsbemühungen vorgelegt hat und seine Bemühungen nur abstrakt vorgetragen hat. Es ist zwar richtig, dass bei (unzureichenden) Suchbemühungen des Antragstellers von SGB XII-Leistungen, der Leistungsträger nicht verpflichtet ist, eine konkrete Unterkunftsalternative zu benennen (so auch das SG). Dies kann nach Überzeugung des Senats allerdings erst gelten, wenn überhaupt Angaben zum Preis und zur abstrakten Verfügbarkeit solchen Wohnraums gegeben sind. Wenn wie hier keinerlei Ermittlungen seitens des Leistungsträgers gemacht wurden, so kann dies nicht gelten, zumal allgemein bekannt ist, dass Wohnungen in Gebäuden mit Aufzügen und sonstigen barrierefreien Umbauten in der Regel deutlich teurer als sonstiger einfacher Wohnraum sein dürften. Dies bestreitet auch der Beklagte letztlich nicht. 

Eine Kostensenkung des Klägers durch Untervermietung scheidet hier aus. Auch dies ergibt sich aus dem in erster Instanz eingeholten Gutachten, wonach der Kläger (neben der Betreuung durch Pflegepersonen in manchen Nächten) aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nachts häufig die Toilette aufsuchen muss und aufgrund der Schmerzen auch nachts häufig wach in der Wohnung herumläuft. Ein Zusammenleben mit (fremden) Personen erscheint deshalb nicht zumutbar.

Nicht zuletzt kommt vorliegend hinzu, dass der Kläger nicht nur auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen sein dürfte, sondern auch über ein soziales Netzwerk am Ort, dass zumindest an manchen Tagen eine (nächtliche) Pflegeunterstützung gewährleistet und sich somit möglicherweise auch der Vergleichsraum, auf den der Kläger verwiesen werden kann, weiter beschränkt.

Somit war für den Kläger eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret im streitigen Zeitraum nicht verfügbar und nicht zugängig, so dass grundsätzlich eine Kostensenkung unmöglich war.

Nicht einhellig beantwortet wird die Frage, ob eine Unmöglichkeit der Kostensenkung dazu führt, dass die tatsächlichen Aufwendungen als konkret angemessen zu betrachten sind. Besteht keine konkrete Unterkunftsalternative, wird einerseits vertreten, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft dann als konkret angemessen i.S.v. § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII gelten und in voller Höhe zu übernehmen sind (so der 14. Senat des BSG zum SGB II, Urteil vom 13.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - juris Rn. 25); andererseits wird bei festgestellter Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Kostensenkung von weiterhin unangemessenen Unterkunftskosten und von einer lediglich eingeschränkten oder ausgesetzten Kostensenkungsobliegenheit ausgegangen (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 35 SGB XII [Stand: 25.05.2021], Rn. 124 mit Verweis auf den 4. Senat zum SGB II, der die konkrete Angemessenheit und die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls allein in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II verortet [§ 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII]; BSG, Urteil v. 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - juris Rn. 29 ff.). Für das SGB XII hat der 8. Senat des BSG die Einordnung bisher offenlassen können (vgl. BSG v. 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - juris Rn. 18).

Der Senat kann dies für den vorliegenden Zeitraum ebenfalls offen lassen, denn in diesem Zeitraum war eine Kostensenkung unmöglich, so dass ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten bestanden hat. Ob der Kläger, sollte der Beklagte in der Zukunft Daten zu für den Kläger bedarfsgerechten Wohnungen vorlegen können, dann verpflichtet wäre, umzuziehen, braucht im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden.

Neben der tatsächlichen Kaltmiete in Höhe von 690,00 Euro sind auch im Zeitraum ab dem 01.01.2021 die Kosten für den Stellplatz zu übernehmen (s.o.)

Hinsichtlich der Neben- und Heizkosten kann nach Überzeugung des Senats ebenfalls nicht auf die vom Beklagten angesetzten angemessenen Heizkosten in Höhe von 67,00 Euro bzw. 56,00 Euro Nebenkosten zurückgegriffen werden, da diese Werte für Wohnraum in der Größe von 45 qm errechnet wurden.

Da auch im vorliegenden Zeitraum wegen des Antrages des Klägers nur eine Verurteilung zur Übernahme von Kosten bis zu einer Höhe von 858,26 Euro möglich ist (s.o.), kann der Senat bei Berücksichtigung einer Kaltmiete von 690,00 Euro zzgl. der Kosten für den Stellplatz in Höhe von 30,00 Euro offen lassen, ob die tatsächlichen oder die vom SG angenommenen Nebenkosten in Höhe von 78,00 Euro sowie die anhand des Heizkostenspiegels (hochgerechnet auf eine 105qm große Wohnung) errechneten angemessenen Heizkosten von 13,70 Euro pro Quadratmeter und Jahr (13,70 Euro x 105= 1.438,50 Euro geteilt durch 12= 119,88 Euro) anzusetzen sind, da bereits bei Annahme dieser Kosten die vom Antrag des Klägers umfassten Kosten erreicht sind.

Nach alledem war der Berufung in vollem Umfang stattzugeben. Die vom Beklagten erhobene Anschlussberufung war zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung liegen nicht vor, § 160 SGG.


 

Rechtskraft
Aus
Saved