Die Bescheide vom 30.01.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2019 werden aufgehoben und der Beklagte verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen einen Ablehnungsbescheid und begehren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweiten Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018.
Der Kläger zu 1) (geb. 1983) und die Klägerin zu 2) (geb. 1986) sind die Eltern der Kläger zu 3) (geb. 2016) und zu 4) (geb. 2018). Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Der Kläger zu 1) hält sich laut Einwohnermeldeauskunft der Stadt A-Stadt seit dem 31.08.2015 und die Klägerin zu 2) seit dem 25.04.2016 in Deutschland auf. Die Kläger zu 3) und zu 4) sind in Deutschland geboren. Unklar ist, ob die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) miteinander verheiratet sind. Die Kläger bewohnten im streitgegenständlichen Zeitraum die Wohnung A-Straße, A-Stadt, in die sie zur Abwendung von Obdachlosigkeit durch die Stadt Kassel eingewiesen wurden.
Die Kläger standen in Bedarfsgemeinschaft seit August 2016 im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten.
Der Kläger zu 1) war vom 24.04.2012 bis 09.06.2012, vom 23.08.2013 bis 07.10.2013, vom 02.06.2014 bis 16.07.2014 und vom 12.06.2015 bis 31.07.2015 bei der Firma F. GmbH in F-Stadt (Bl. 153-156 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER) und vom 01.09.2015 bis 08.09.2015 bei der G. GmbH in A-Stadt (Bl. 247 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER) beschäftigt. Seit dem 10.05.2016 war der Kläger zu 1) bei der H. GmbH, A-Stadt, als Hilfskraft zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro auf geringfügiger Basis beschäftigt. Auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zum 12.10.2016 folgte ab dem 04.10.2016 eine Beschäftigung bei der J. GmbH, A-Stadt, befristet bis 30.09.2017, als Be- und Entladehelfer mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro. Nach einem Schreiben der AOK vom 03.02.2017 an die J. GmbH war der Kläger zu 1) ab dem 16.01.2017 arbeitsunfähig erkrankt. Die J. GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.01.2017 zum 09.02.2017. Mit Schreiben vom 13.09.2017 an den Beklagten bestätigte die Bundesagentur für Arbeit, dass die Arbeitslosigkeit aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung unfreiwillig eingetreten sei (Bl. 109 Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER). Seitdem hat der Kläger zu 1) keine Beschäftigung mehr aufgenommen.
Die AOK teilte mit Schreiben vom 09.06.2017 an den Beklagten mit, der Kläger zu 1) habe in der Zeit vom 10.02.2017 bis 05.03.2017 Krankengeld erhalten. In der Zeit vom 06.03.2017 bis 23.03.2017 habe er unter Bezug von Übergangsgeld eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung Bund absolviert, aus der er arbeitsunfähig entlassen worden sei. Anschließend sei von Seiten der AOK vom 24.03.2017 bis einschließlich 26.05.2017 wieder Krankengeld gezahlt worden. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegen für folgende Zeiträume vor: 10.04.2017 bis 22.04.2017, 24.04.2017 bis 12.05.2017, 10.07.2017 bis 28.07.2017, 01.08.2017 bis 10.08.2017, 10.08.2017 bis 18.08.2017, 21.10.2017 bis 15.12.2017, 11.01.2018 bis 19.01.2018, 19.01.2018 bis 02.02.2018, 02.02.2018 bis 16.02.2018 und 16.03.2018 bis 13.04.2018 (Bl. 54-56, 223-225, 342-346 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER). Vom 18.09.2017 bis 22.02.2018 bezog der Kläger zu 1) Arbeitslosengeld I (Bl. 257, 290 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER), für die Zeit vom 22.02.2018 bis 16.03.2018 wieder Krankengeld von der AOK (Bl. 325-326 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER) und für die Zeit vom 14.04.2018 bis 12.05.2018 wieder Arbeitslosengeld I (Bl. 44 der Gerichtsakte S 10 AS 410/19).
Zuletzt mit Bescheid vom 15.05.2017 bewilligte der Beklagte für die Kläger zu 1) bis 3) in Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II für den einjährigen Zeitraum vom 01.06.2017 bis 31.05.2018.
Mit an den Kläger zu 1) gerichteten Bescheid vom 02.06.2017 hob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab dem 10.08.2017 ganz auf und gab als Grund für die Aufhebung der Entscheidung an: „Wegfall des Arbeitnehmerstatus. Sie waren bis zum 09.02.2017 bei der Fa. J. GmbH beschäftigt. Der Arbeitnehmerstatus kann längstens bis zu 6 Monaten anerkannt werden. In ihrem Fall ist das der 09.08.2017.“ Ein Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.05.2017 ist nicht aktenkundig.
Am 09.08.2017 wandten sich die Kläger an die Stadt Kassel und suchten um Hilfe zum Lebensunterhalt nach. Mit Bescheid vom 10.08.2017 bewilligte die Stadt Kassel der Bedarfsgemeinschaft Überbrückungsleistungen nach § 23 Sozialgesetzbuch Zwölftes Bich (SGB XII), welche bis zum 10.09.2017 verlängert wurden.
Mit Schreiben vom 04.09.2017 beantragte die Prozessbevollmächtigte der Kläger die Prüfung des Aufhebungsbescheides vom 02.06.2017 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Ein am 08.09.2017 bei dem Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 7 AS 148/17 ER gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten der Bedarfsgemeinschaft blieb ohne Erfolg.
Mit an den Kläger zu 1) gerichteten Bescheid vom 20.10.2017 lehnte der Beklagte die Überprüfung des Bescheides vom 02.06.2017 ab. Den hiergegen mit Schreiben vom 06.11.2017 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2017 zurück. Eine Klageerhebung hiergegen ist nicht aktenkundig.
Ebenfalls mit Bescheid vom 20.10.2017 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Klägerin zu 2) und den Kläger zu 3) ab 10.08.2017 zurück. Den hiergegen mit Schreiben vom 06.11.2017 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2018 zurück. Hiergegen haben die Kläger zu 2) und zu 3) am 05.07.2018 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 10 AS 355/18 geführt wird.
Mit Schreiben vom 11.01.2018 stellte der Kläger zu 1) bei dem Beklagten erneut einen Antrag auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 30.01.2018 an den Kläger zu 1) und an einem weiteren Bescheid vom gleichen Tag an die Kläger zu 2) und zu 3) lehnte der Beklagte den Antrag ab. Die hiergegen mit Schreiben vom 14.02.2018 eingelegten Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2019 zurück.
Mit ihrer am 23.07.2019 zum Sozialgericht Kassel erhobenen Klage begehrten die Kläger zunächst die Gewährungen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.01.2018 bis 30.06.2018. In der mündlichen Verhandlung am 22.10.2020 haben die Kläger ihr Begehren auf die Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 beschränkt.
Zur Begründung trägt die Prozessbevollmächtigte der Kläger vor, dass der Kläger zu 1) über ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer verfüge, da er Beschäftigungszeiten von mehr als zwölf Monaten in Deutschland nachweisen könne. Hier seien auch die Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld I und von Krankengeld zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei der Kläger zu 1) seit Januar 2017 durchgehend Arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Zum einen könne die 6-Monatsfrist könne noch nicht abgelaufen sein, da diese erst nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeit beginne. Zum anderen bleibe der Aufenthaltsstatus als Arbeitnehmer auch während des Bezugs von Krankengeld und Arbeitslosengeld I erhalten. Das Aufenthaltsrecht der Kläger zu 2) bis 4) leite sich aus familiären Gründen vom Kläger zu 1) ab. Unklar sei, ob die Kläger zu 1) und zu 2) miteinander verheiratet seien. Sie würden angeben, verheiratet zu sein und hätten eine entsprechende Heiratsurkunde in rumänischer Sprache vorgelegt (Bl. 50 der Gerichtsakte S 10 AS 355/18). Eine beglaubigte Abschrift aus dem Heiratsregister habe nicht beschafft werden können. Allerdings sei die Klägerin zu 2) als Sorgeberechtigte der Kinder und auch als Lebensgefährtin des Klägers zu 1) vom Schutzbereich der Familie erfasst.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide vom 30.01.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf sein Vorbringen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren sowie auf die Beschlüsse des Sozialgerichts Kassel im einstweiligen Rechtsschutz unter den Aktenzeichen S 7 AS 148/17 ER und S 2 AS 95/19 ER. Die Kläger seien nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen. Insbesondere hinsichtlich des Klägers zu 1) sei der Bezug von Arbeitslosengeld I nicht in die Berechnung der Jahresfrist nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) einzubeziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Gerichtsakten der Rechtsstreite S 7 AS 148/17 ER, S 10 AS 355/18 und S 10 AS 522/19 sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die nach § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 (Sozialgerichtsgesetz) SGG statthafte und zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist begründet. Die Bescheide vom 30.01.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2018 sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben für die Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, da sich der Kläger zu 1) auf einen fortwirkenden Arbeitnehmerstatus berufen kann.
Die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II liegen vor. Insbesondere haben die Kläger zu 1) und zu 2) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, sie sind erwerbsfähig, hilfebedürftig und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kläger zu 3) und zu 4) sind nach § 7 Abs. 2 SGB II i. H. v. § 19 Abs. 1 SGB II leistungsberechtigt.
Die Hilfebedürftigkeit ergibt sich daraus, dass den Klägern in der Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 zwar Einkommen aus Kindergeld, Arbeitslosengeld I und Krankengeld zur Verfügung stand, dieses Einkommen aber nicht bedarfsdeckend war.
Entgegen der Auffassung des Beklagten unterfallen die Kläger nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift haben Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des SGB II. Die Kläger haben sich im streitgegenständlichen Zeitraum jedoch nicht lediglich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufgehalten.
Das Aufenthaltsrecht des Klägers zu 1) ergab sich während des Bezuges von Arbeitslosengeld I in der Zeit vom 01.01.2018 bis 22.02.2018 und vom 14.04.2018 bis 12.05.2018 aus der Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU und während der Zeit vom 23.02.2018 bis 13.04.2018 wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit aus der Fortwirkung des Arbeitnehmerstatus nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU.
Nach § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU bleibt das Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer bei unfreiwilliger, durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter, Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Der 6-Monatszeitraum des § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU begann im vorliegend zu entscheidenden Fall nicht bereits mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 09.02.2020 zu laufen, sondern mit Beginn des Bezuges von Arbeitslosengeld I am 18.09.2017. Nach Auffassung der erkennenden Kammer darf der 6-Monatszeitraum nicht durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, in denen der Betroffene an der Arbeitssuche gehindert ist, verkürzt werden. Für die Zeit ab Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 09.02.2017 ist die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu 1) nachgewiesen bis einschließlich 18.08.2017 (Bl. 54-56, 67, 223 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER). Die Kammer geht davon aus, dass die Arbeitsunfähigkeit auch in der Zeit vom 19.08.2017 bis 17.09.2017 fortbestand, da der Anspruch auf Arbeitslosengeld I erst ab dem 18.09.2017 einsetzte. Nach Auffassung der Kammer endet die Fortwirkung der Arbeitnehmereigenschaft nach § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/ EU nicht, solange Arbeitslosengeld I bezogen wird (vgl. dazu auch Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, FreizügG/EU, § 2 Rn. 125, 136 ff.). Dafür spricht auch, dass vorliegend der Anspruch auf Arbeitslosengeld I (zusammengerechnet) konkret für die in § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU niedergelegten sechs Monate, nämlich vom 18.09.2017 bis 22.02.2018 und vom 14.04.2018 bis 12.05.2018, bestand. Insofern bedarf es nicht der Entscheidung, ob während des Bezuges von Arbeitslosengeld I ggf. sogar von einer Arbeitnehmereigenschaft i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU und damit von einem Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer auszugehen ist (bejahend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.10.2015 – L 20 AS 2197/15 B ER, juris).
Für die Zeit vom 23.02.2018 bis 13.04.2018 richtete sich das Aufenthaltsrecht des Klägers zu 1) nach § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG, da der Kläger zu 1) in dieser Zeit wieder arbeitsunfähig erkrankt war. Die erkennende Kammer schließt sich der Auffassung des Sozialgerichts Berlin (SG Berlin, Beschluss vom 02.03.2016 – S 96 AS 646/16 ER, juris) an, wonach § 3 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU auch dann eingreift, wenn die Erwerbsminderung nicht bereits während des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, sondern innerhalb des Anwendungsbereiches des § 2 Abs. 3 S 2 FreizügG/EU eintritt. Es ist nicht erforderlich, dass sich der Leistungsberechtigte zum Zeitpunkt des festgestellten Eintritts der Arbeitsunfähigkeit noch in einem Arbeitsverhältnis befindet. Da der Kläger zu 1) ab dem 22.02.2018 Krankengeld bezog (Bl. 325-326 der Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER), schloss die Arbeitsunfähigkeit vorliegend nahtlos an den Bezug von Arbeitslosengeld I an und somit an den Zeitraum nach § 2 Abs. 3 S. 2 SGB an. Vom 22.02.2017 bis 16.03.2017 bezog der Kläger zu 1) Krankengeld und für die Zeit vom 16.03.2018 bis 13.04.2018 liegt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor (Bl. 342 Gerichtsakte S 7 AS 148/17 ER). Die Arbeitsunfähigkeit ist insofern nahtlos für die zwischen dem Bezug von Arbeitslosengeld I liegende Zeit vom 22.02.2017 bis 13.04.2018 belegt.
Hingegen folgt die Kammer nicht der Auffassung der Kläger, der Kläger zu 1) könne eine Beschäftigung von mindestens 12-monatiger Dauer nachweisen und verfüge daher über ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU. Entgegen der Auffassung der Kläger geht die erkennende Kammer davon aus, dass § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU auf bestehende Arbeitsverhältnisse Bezug nimmt. Die Beschäftigungszeiten vom 10.05.2016 bis 12.10.2016 bei der H. GmbH und vom 04.10.2016 bis 09.02.2017 ergeben zusammen eine Beschäftigungsdauer von nur neun Monaten. Die Beschäftigungszeiten bei der Firma F. GmbH in F-Stadt in den Jahren 2012 bis 2015 sind nach Auffassung der erkennenden Kammer nicht anzurechnen. Zwar setzt § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 13.07.2017 – B 4 AS 17/16 R, juris) keine ununterbrochene Beschäftigung von mehr als einem Jahr voraus. Aallerdings liegen zwischen den einzelnen Beschäftigungsmonaten bei der F. GmbH jeweils mehrmonatige Unterbrechungen, so dass mit einer Addition dieser von langen Unterbrechungen geprägten kurzen Beschäftigungsverhältnissen der am Integrationsgedanken orientierten Zielsetzung des § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU nicht entsprochen wird (vgl. BSG, Urteil vom 13.07.2017 – B 4 AS 17/16 R, juris, Rn. 31). Gleiches gilt für die Beschäftigung vom 01.09.2015 bis 08.09.2015 bei der G. GmbH in A-Stadt. Auch der Bezug von Arbeitslosengeld I und Krankengeld fällt nicht unter den zu berücksichtigenden zeitlichen Anteil. Die Kammer geht davon aus, dass § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU auf bestehende Arbeitsverhältnisse Bezug nimmt. Die aufgeführten Beschäftigungen des Klägers zu 1) ergeben daher insgesamt keine einjährige Beschäftigungsdauer. Auch ein Daueraufenthaltsrecht des Klägers zu 1) nach § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU ist nicht ersichtlich. Aus der Verwaltungsakte, den Meldebescheinigungen und den Beschäftigungszeiten ergibt sich ein rechtmäßiger Daueraufenthalt frühestens ab Ende 2015. Die Fünf-Jahres-Frist wird damit nicht überschritten.
Letztlich verfügte der Kläger zu 1) im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 aber über ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FreizügG/EU bzw. aus § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU, so dass sich das Aufenthaltsrecht der Kläger zu 3) und zu 4) im streitgegenständlichen Zeitraum von ihrem Vater nach § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU ableitete.
Da die Klägerin zu 2) später als der Kläger zu 1) nach Deutschland einreiste, kommt auch für sie für den streitgegenständlichen Zeitraum kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU in Betracht. Da unklar ist, ob die Klägerin zu 1) mit dem Vater des Klägers zu 2) verheiratete ist, kommt auch ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige nach § 3 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU nicht in Betracht. Allerdings kann sich auch die Klägerin zu 2) nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum von 01.01.2018 bis 12.05.2018 aufgrund ihrer Elternschaft zu den Klägern zu 3) und zu 4) bzw. wegen der zu erwartenden Geburt des Klägers zu 4) auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB I, berufen. Insofern handelt es sich um ein Aufenthaltsrechts aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris, Rn. 35, 36). Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie im Sinne des Art. 6 GG und der §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art. 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten berufen. Diese aufenthaltsrechtlichen Wirkungen einer Familiengründung bestanden auch im Falle der Klägerin. Es war ihr im Januar 2018 wenige Wochen vor der Geburt des zweiten Kindes (Anfang Februar 2018) und im Hinblick darauf, dass der Kläger zu 2) im August 2017 gerade das erste Lebensjahr vollendet hatte, nicht zumutbar gewesen, sich von dem Vater der Kinder unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung soll verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art. 6 Abs. 1 GG von den Erziehungsleistungen eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen ist dabei nicht vorrangig auf formalrechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege der Einzelfallbetrachtung abzustellen (BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R, juris, Rn. 35, 36).
Die von dem Beschluss in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 7 As 148/17 ER ergibt sich aus einer zum Zeitpunkt der nun ergehenden Entscheidung anderen Sachlage. Der Bezug von Arbeitslosengeld I wurde im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes noch nicht vorgetragen.
Das Gericht weist darauf hin, dass der Beklagte an die Kläger für die Zeit vom 01.01.2018 bis 12.05.2018 die Leistungen zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe auszukehren hat. Bei der Ausführung ist allerdings berücksichtigen ist, dass den Klägern im streitgegenständlichen Zeitraum Kindergeld, Elterngeld, Krankengeld und Arbeitslosengeld I zugeflossen sind, die ggf. als Einkommen zu berücksichtigen sind.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.