L 8 R 125/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 3228/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 125/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 07.12.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte die Durchführung einer Reha-Maßnahme in einer bestimmten Klinik ablehnen durfte.

Die 1970 geborene Klägerin erhielt von der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis zum 31.12.2018. Im Rahmen des Weitergewährungsverfahrens kam die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch eine Rehabilitationsmaßnahme gebessert werden könne. Mit Bescheid vom 30.01.2019 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine stationäre Rehabilitation in der B1-Klinik in K1 im S3.

Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 28.02.2019 mit, bei einer Rehabilitationsmaßnahme müsse ihre 2012 geborene Tochter mit aufgenommen werden. Dazu sei die B1-Klinik nicht in der Lage, weshalb sie die O1klinik K2 vorschlage. Sie habe dort bereits vom 17.08.2016 bis 21.09.2016 Leistungen zu medizinischen Rehabilitation erhalten. Zudem bat sie darum, die Maßnahme in die Sommerferien zu verlegen. Mit Bescheid vom 11.03.2019 entsprach die Beklagte dem Wusch der Klägerin und bewilligte eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der O1klinik K2, wobei eine Aufnahme in den Sommerferien 2019 beabsichtigt war. Mit Bescheid vom 29.07.2019 bewilligte die Beklagte zudem die Übernahme der Kosten für die Mitnahme des Kindes im Rahmen der Haushaltshilfe.

Nachdem im Sommer aus Kapazitätsgründen die Rehamaßnahme nicht durchgeführt werden konnte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 22.11.2019 erneut eine stationäre Rehamaßnahme in der O1klinik K2 und bat die Klinik um Durchführung der Maßnahme in den nächsten Sommerferien. Mit Schreiben vom 18.12.2019 teilte die O1klinik K2 mit, dass eine Aufnahme der Klägerin in die Klinik nicht befürwortet werden könne. Bei einem Aufenthalt der Klägerin im Jahr 2016 habe die therapeutische Belastung zu schwierigen Situationen mit Mitrehabilitandinnen und mit dem therapeutischen Team geführt. Die Klägerin habe damals das Therapiekonzept in Frage gestellt. Für ein positives Rehabilitationsergebnis werde daher eine andere Klinik empfohlen.

Daraufhin hob die Beklagte den Bescheid vom 22.11.2019 mit Bescheid vom 28.01.2020 auf, da die zunächst vorgesehene Einrichtung für die Klägerin nicht geeignet sei, und bewilligte eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik am S1 in S2. Die Klinik sei gebeten worden, die Leistungen während der Sommerferien durchzuführen. Der Bescheid verliere seine Gültigkeit, sofern die Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten nach Bescheiddatum angetreten werde.

Die Klägerin hatte vertreten durch ihren Bevollmächtigten bereits am 18.03.2019 fristwahrend Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.03.2019 erhoben. Mit Schreiben vom 14.05.2020 führte der Bevollmächtigte der Klägerin aus, dass das Schreiben der Klägerin vom 28.02.2019 als Widerspruch gegen den Bescheid vom 30.01.2019 zu werten sei. Der Bescheid vom 22.11.2019 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Klinik durch ihren Direktor Patienten ablehnen könne. Mit Schreiben vom 28.05.2020 teilte die Beklagte mit, sie verstehe das Schreiben vom 14.05.2020 so, dass sich das Widerspruchsbegehren nicht (mehr) gegen die Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme als solche richte, sondern gegen die Auswahl bzw. die Nichtauswahl der O1klinik K2. Da eine Verpflichtung einer Rehabilitationseinrichtung zur Aufnahme eines bestimmten Versicherten durch die Beklagte nicht möglich sei, könne dem Wunsch der Klägerin nicht nachgekommen werden. Es stehe ihr jedoch frei, eine andere Klinik zu benennen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Rentenversicherungsträger bestimme im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistung sowie die Rehabilitationsleistungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und § 33 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) solle den Wünschen des Versicherten entsprochen werden, soweit diese angemessen und berechtigt seien. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.03.2019 sei dem Wunsch auf Umeinweisung in die O1klinik K2 zunächst entsprochen worden. Durch diesen Bescheid sei die Klägerin nicht beschwert. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an der Rehabilitationsleistung sei nicht verfügt worden. Der Bescheid räume ausschließlich das begünstigende Recht ein, die bewilligte Leistung in Anspruch zu nehmen. Da die Wunschklinik der Klägerin – die O1klinik K2 – die Klägerin jedoch nicht erneut aufnehmen mochte, könne die Beklagte dem Wunsch der Klägerin insoweit nicht mehr entsprechen. Es sei rechtlich nicht möglich, Rehabilitationskliniken zu einer Aufnahme zu verpflichten. Von der Möglichkeit, eine andere geeignete Klinik zu benennen, habe die Klägerin keinen Gebrauch gemacht.

Am 17.09.2020 erhob die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG). Ihre Klage richte sich gegen den Bescheid vom 11.03.2019 in Gestalt des Bescheides vom 28.01.2019. Die Bescheide über die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen seien Ermessensbescheide. Da keine Ermessensreduktion auf Null gegeben sei, sei nur ein Antrag auf Neuverbescheidung zulässig. Es dürfe bezweifelt werden, dass die Beklagte keine Möglichkeit habe, die Reha-Klinik zur Aufnahme zu verpflichten. Zu diesem Zwecke müsse die Beklagte die Vertragsunterlagen vorlegen und die rechtliche Gestaltung des Verhältnisses zwischen der O1klinik K2 und dem Hause der Beklagten offenlegen. Es stelle sich auch die Frage, inwieweit die O1klinik selbst überhaupt berechtigt sei die Patientenaufnahme, insbesondere vor dem Hintergrund der angegebenen Gründe, zu verweigern.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07.12.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass sich der Bescheid, obwohl die Bewilligung auf sechs Monate begrenzt sei, aufgrund der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nicht erledigt habe und die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig sei. Der angegriffene Bescheid sei nicht ermessensfehlerhaft. Aufgrund des Antrags der Klägerin, die Durchführung der Rehabilitation in der O1klinik K2 zu gewähren, sei das Ermessen der Behörde letztlich auf die Entscheidungsalternativen beschränkt gewesen, die Rehamaßnahme in der gewünschten Klinik zu gewähren oder abzulehnen. Die Ablehnung, eine Reha in der O1klinik K2 zu gewähren, sei nicht ermessenfehlerhaft. Denn die Leistung in der O1klinik K2 sei der Beklagten nach § 275 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unmöglich. Sie unterhalte Vertragsverhältnisse mit dem Träger der O1klinik. Einer durch die Beklagte ausgesprochener Verpflichtung des Trägers der Klinik die Klägerin aufzunehmen stehe bereits die Privatautonomie und damit die Vertragsfreiheit des Trägers entgegen.

Der Bevollmächtigte hat gegen das ihm am 23.12.2022 zugestellte Urteil am 12.01.2023 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, es stelle sich die Frage, inwieweit Unmöglichkeit i.S.d. § 275 BGB vorläge. Ein Vertrag zwischen der Beklagten und der O1klinik K2 liege ihm nicht vor. Es sei nicht bekannt, ob die Beklagte Träger der O1klinik sei. Eventuell erfolge eine Belegung durch die Beklagte durch Einzelverträge, so dass ein entsprechender Einfluss genommen werden könne. Zudem sei die Aussage der O1klinik, die Klägerin habe das Therapiekonzept in Frage gestellt, nicht zutreffend. Stünde es im Ermessen der Klinikärzte, welche Versicherten sie aufnähmen und welche nicht, falle dies in den Bereich der Willkür.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Freiburg vom 07.12.2022 den Bescheid vom 11.03.2019 in der Gestalt des Abänderungsbescheides vom 28.01.2020, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.2020 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verurteilen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine Neuverbescheidung vorzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen aller weiteren Einzelheiten und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.


II.

Die nach § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Bescheide vom 11.03.2019 und 21.08.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.08.2020 sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.

Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das SG hat nicht mit Gerichtsbescheid, sondern aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlichen Verfügungen vom 12.04.2023, 09.05.2023 und 24.05.2023 auf die Absicht des Senats, nach § 153 Abs. 4 SGG zu entscheiden, hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigen Verfahren Stellung zu nehmen. Die Beklagte hat der beabsichtigten Verfahrensweise zugestimmt. Der Klägerbevollmächtigte hat sich diesbezüglich nicht mehr geäußert. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erachtet der Senat eine mündliche Verhandlung vor dem Senat für nicht erforderlich.


Der Bescheid vom 11.03.2019 mit dem die Beklagte eine Rehabilitationsmaßnahme in der O1klinik K2 bewilligt hat, ist durch den Bescheid vom 28.01.2019 während des Widerspruchsverfahrens, welches sich ursprünglich gegen den Bescheid vom 11.03.2019 richtete, abgeändert worden, so dass der Bescheid vom 21.08.2019 nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens wurde. Da mit Bescheid vom 21.08.2019 eine Rehamaßnahme in einer anderen als der von der Klägerin gewünschten Klinik bewilligt worden ist, ist die Klägerin jedenfalls durch diesen Bescheid beschwert.

Die Beklagte hat jedoch zu Recht die Bewilligung der Maßnahme in der O1klinik K2 aufgehoben.

Die Beklagte bestimmt als Rentenversicherungsträger nach § 13 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistung sowie die Rehabilitationsleistungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Nach § 33 Satz 2 SGB I soll den Wünschen des Versicherten entsprochen werden, soweit diese angemessen und berechtigt sind. Dabei unterliegt die Entscheidung über die Voraussetzungen einer medizinischen Rehabilitation, das „Ob“ der Leistung, der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle, während das „Wie“ der Leistung im pflichtgemäßen Ermessen des Rentenversicherungsträgers steht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.03.2023, L 10 R 2502/22, juris). Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie nach § 39 Abs. 1 SGB I ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch. Eine ablehnende Ermessensentscheidung muss erkennen lassen, dass der Leistungsträger alle Umstände des Einzelfalles (d. h. des Lebenssachverhalts und die in Betracht kommenden Ermessenserwägungen) in seine Prüfung einbezogen und weshalb er die für den Antragsteller günstigen Umstände nicht als ausschlaggebend angesehen hat. Nach § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

Die gerichtliche Kontrolle ist somit darauf beschränkt, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch), mit seiner Ermessensentscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch), vgl. BSG, Urteil vom 14.12.1994, 4 RA 42/94, juris.

Nach diesen Maßstäben ist eine Ermessensfehlerhaftigkeit der angefochtenen Bescheide nicht erkennbar. Der Senat schließt sich den Gründen des angefochtenen Urteils vollumfänglich an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 bzw. § 153 Abs. 2 in Verbindung mit § 153 Abs. 4 SGG ab.

Ergänzend ist auszuführen, dass sich aus der Homepage der O1klinik K2 (jetzt M1 Klinik K2) ergibt, dass ein allgemeiner Belegungsvertrag zwischen der Klinik und der Beklagten besteht. Durch solch einen allgemeinen Belegungsvertrag ergibt sich zwar ein Anspruch der Klinik auf Kostenübernahme einer Rehabilitationsmaßnahme durch die Beklagte. Die Frage, ob die Klinik im Einzelfall geeignet ist, einen bestimmten Patienten aufzunehmen, unterliegt jedoch der Einschätzung der Klinik. Dabei darf auch die für eine erfolgreiche Behandlung notwendige vertrauensvolle Arzt-Patientenbeziehung berücksichtigt werden. Da die O1klinik K2 davon ausging, aufgrund einer nicht bestehenden Vertrauensbeziehung die Klägerin nicht erfolgreich behandeln zu können, durfte die Beklagte diesen Punkt zu Recht bei ihrer Ermessensausübung berücksichtigen. Ein Zwang zur Aufnahme eines Patienten, den die Klinik im Rahmen ihres Behandlungskonzepts für ungeeignet hält, ergibt sich aus einem Belegungsvertrag nicht.


Die Berufung der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.




 

Rechtskraft
Aus
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