L 9 AS 716/23 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 233/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 716/23 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Die Schriftform der Beschwerde im Sinne von § 173 Abs. 1 Satz 1 SGG setzt grundsätzliche eine eigenhändige Unterschrift voraus. Ausnahmsweise ist sie auch dann gewahrt, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten hinreichend sicher eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für den Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, ergibt (vgl. nur BSG, Urteil vom 21.06.2006 - B 13 RJ 5/01 R -, juris Rn. 17). Daran fehlt es im Fall einer per Telefax eingelegten, nicht eigenhändig unterschriebenen, sondern lediglich mit einer gedruckten Namensangabe versehenen Beschwerde, wenn der angebliche Beschwerdeführer bei Vorliegen von Anhaltspunkten dafür, dass diese tatsächlich von einer anderen Person als der angegebenen eingelegt wurde, auch auf mehrmalige gerichtliche Aufforderung, seine Urheberschaft schriftlich klarzustellen, nicht antwortet.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 23. Februar 2023 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.


Gründe

I.

Streitig ist die Gewährung von Bürgergeld ab dem 01.01.2023 im Wege der einstweiligen Anordnung.

Der 2001 geborene Z1 war zuletzt bis 31.07.2022 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seine Wohnung in A1 wurde ihm nach seinen Angaben aufgrund von Mietrückständen zum 31.12.2022 gekündigt. Ab Januar 2023 wohnte er im Haus des Vaters eines Freundes (K1) in der H1  in A1. Er beantragte am 27.12.2022 beim Antragsgegner zum 01.01.2023 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Email vom 06.03.2023 teilte er dem Antragsgegner mit, dass er mit Herrn K1 nur noch Zoff und Ärger habe und er nun erstmal bei einem Bekannten unter der Adresse R1 2 in I1 untergekommen sei.

Das Sozialgericht Ulm (SG) hat den Antrag vom 05.02.2023 auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 23.02.2023 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe. Aufgrund zurückliegender Beschäftigungsverhältnisse könne ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I bestehen. Auch könnten bei dem 21-jährigen Antragsteller noch Ansprüche auf Kindergeld sowie Unterhalt von den Eltern in Betracht kommen. Es sei somit weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen, dass der Antragsteller nicht über ausreichende Mittel verfüge, um seinen existenziellen Lebensunterhalt zu sichern. Ferner fehle es am Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Entscheidung, weil der Antragsteller erforderliche Unterlagen nicht umfassend beim Antragsgegner eingereicht habe, um eine Entscheidung über den geltend gemachten Leistungsanspruch zu erreichen. Die Anrufung des Gerichts sei daher jedenfalls aktuell (noch) nicht erforderlich.

Am 05.03.2023 ist beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg per Fax ein auf den 25.02.2023 datierter Schriftsatz eingegangen, wonach Beschwerde gegen den Beschluss des SG Ulm vom 23.02.2023 eingelegt werde. Als Absender ist in diesem Schriftsatz Z1, H1 46, A1 angegeben. Am Ende wird der Name Z1 erneut (gedruckt) angegeben. Eine handschriftliche Unterschrift fehlt. In der Kopfzeile des Faxes findet sich neben Sendedatum, Sendezeit und Faxnummer des Absenders die Angabe „K1“, ferner der optisch umrahmte Zusatz „Anlage zur Mitteilung vom 05.03.3023 ans Landessozialgericht in Az. L 3 AS 366/23 ER-B“. Ausweislich des Beschwerdeschriftsatzes wird die „sofortige Aufhebung bzw. Richtigstellung des Beschlusses des Sozialgerichts Ulm beantragt mit Anweisung der sofortigen Auszahlung nach Leistungen des SGB II für die Monate Januar, Februar und März 2023 für den Antragsteller“. Dieser benötige dringend jetzt und nicht erst in ein paar Monaten Gelder zum Überleben. Es bestehe der unmittelbare Zusammenhang mit dem Verfahren L 3 AS 366/23 ER-B vor dem Landessozialgericht Stuttgart, weshalb beantragt werde, dass das Beschwerdeverfahren vor dem 3. Senat des Landessozialgerichts Stuttgart geführt werde.

Der Antragsgegner ist der Beschwerde unter Vorlage von Akten- und Telefonvermerken entgegengetreten. Da er Zweifel gehabt habe, dass der Beschwerdeschriftsatz von Z1 stamme, habe er mit diesem telefonisch Kontakt aufgenommen. Herr Z1 habe mitgeteilt, dass der Beschwerdeschriftsatz nicht von ihm stamme und ohne seine Zustimmung erstellt worden sei.

Die Berichterstatterin des Senats hat Z1 mit Schreiben vom 14.03.2023 aufgefordert, bis zum 21.03.2023 schriftlich klarzustellen, ob die Beschwerdeschrift von ihm stammt. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 16.03.2023 mitgeteilt, dass sich Z1 am 16.03.2023 telefonisch an ihn gewandt und mitgeteilt habe, dass er ein Schreiben des LSG erhalten habe, ausweislich dessen er eine Rückmeldung geben solle, ob die Beschwerde von ihm wäre oder nicht. Ihm sei erklärt worden, dass er die Rückmeldung nicht dem Antragsgegner, sondern dem LSG geben müsse. Die Berichterstatterin hat den Antragsteller daraufhin mit weiterem Schreiben vom 17.03.2023 aufgefordert, die Anfrage vom 14.03.2023 schriftlich und mit seiner Unterschrift versehen gegenüber dem LSG Baden-Württemberg zu beantworten.

Eine klarstellende schriftliche Äußerung durch den als Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift genannten Z1 ist bis zum heutigen Tag nicht beim LSG Baden-Württemberg eingegangen.

II.

Die nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist unzulässig, weswegen sie zu verwerfen war. Sie ist nicht in der gesetzlich vorgesehenen Schriftform oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten eingelegt worden.

Nach § 173 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (Satz 1). Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (Satz 2). Dem Schriftformerfordernis ist typischerweise durch eigenhändige Unterschrift Rechnung zu tragen. Das gilt auch bei Übersendung per Telefax. Entscheidend ist, dass mit dem Schriftformerfordernis gewährleistet werden soll, dass die abzugebende Erklärung dem Schriftstück hinreichend zuverlässig entnommen und außerdem festgestellt werden kann, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass das Schriftstück mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Daher kann das Schriftformerfordernis unter Umständen auch dann erfüllt sein, wenn es an einer Unterschrift fehlt, wenn sich jedoch aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 21.06.2006 - B 13 RJ 5/01 R -, juris Rn. 17; LSG für das Saarland, Urteil vom 25.03.2015 - L 2 U 30/14 -, juris Rn. 16; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auf., § 173 Rn. 3, § 151 Rn 3a, 3d).

Derartige Umstände ergeben sich zunächst nicht aus dem Beschwerdeschriftsatz selbst. Die per Telefax am 05.03.2023 beim LSG Baden-Württemberg eingegangene Beschwerde ist zwar oben mit der Absenderanschrift des erstinstanzlichen Antragstellers Z1 versehen, jedoch nicht eigenhändig unterschrieben. Die wiederholte und gedruckte Namensangabe „Z1“ am Ende des Schriftsatzes kann diese eigenhändige Unterschrift nicht ersetzen. Der Beschwerdeschriftsatz lässt auch nicht anderweitig eindeutig seinen Urheber und dessen Willen, ihn in den Verkehr zu bringen, erkennen. Zunächst ist in der Kopfzeile des Schriftsatzes neben Absenderfaxnummer und Sendezeit der Name K1, somit des Wohnungsgebers des Antragstellers aufgeführt. Es ist damit gerade nicht klar, dass es sich um das Absendegerät bzw. die Faxnummer des im Rubrum genannten Beschwerdeführers Z1 handelt. Weiter wird der Schriftsatz ausdrücklich als „Anlage zur Mitteilung vom 05.03.2023 ans Landessozialgericht in Az. L 3 AS 366/23 ER-B“ bezeichnet und es wird auf den Zusammenhang mit diesem Verfahren hingewiesen. Tatsächlich wird bzw. wurde unter dem wohl gemeinten Az. L 13 AS 366/23 ein Beschwerdeverfahren des K1 geführt. Während der Antragsschriftsatz im Ausgangsverfahren S 7 AS 233/23 ER noch in der Ich-Form verfasst und handschriftlich mit Z1 unterschrieben ist, ist im Beschwerdeschriftsatz durchgehend vom „Antragsteller“ in der dritten Person die Rede, ohne dass eine Vertretung offengelegt wird. Dem Beschwerdeschriftsatz kann somit unter keinem Gesichtspunkt klar und zuverlässig entnommen werden, von welcher Person die Beschwerde eingelegt worden ist.

Die weiteren Umstände sind ebenfalls nicht geeignet, hinreichend sicher auf die Urheberschaft des Z1 und dessen Willen, Beschwerde beim LSG Baden-Württemberg einzulegen, zu schließen, im Gegenteil: Sie wecken in vielerlei Hinsicht weitere Zweifel.

Am 07.03.2023 ist - erneut von der Faxnummer des K1 - die Mehrfertigung einer Email eben dieses K1 an mehrere Mitarbeiterinnen des Antragsgegners beim LSG eingegangen, in dem dieser auf die Notwendigkeit hinwies, nach dem Auszug von Z1 eine Neuberechnung der jeweiligen Leistungsansprüche durchzuführen und im Rahmen der Gesamtabrechnung die Wohnkosten des Z1 direkt an ihn selbst zu überweisen. Es erscheint fernliegend, dass ein Beschwerdeführer Z1 diese Korrespondenz zwischen seinem „Vermieter“ und dem Jobcenter kennen und für sein eigenes Beschwerdeverfahren verwerten wollte. Naheliegender ist vielmehr, dass K1 vorliegend seine eigenen Interessen (Erhalt von Kosten der Unterkunft für die Beherbergung von Z1) unter dessen Namen geltend macht.

Ferner hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass er nach Eingang des Beschwerdeschriftsatzes telefonisch Kontakt mit Herrn Z1 aufgenommen habe. Dieser habe mitgeteilt, dass der Beschwerdeschriftsatz nicht von ihm stamme und ohne seine Zustimmung von seinem (ehemaligen) Wohnungsgeber K1 erstellt worden sei. Er habe sich auch erkundigt, ob man gegen Herrn K1 rechtlich vorgehen könne. Der Senat hat keinerlei Anhaltspunkte, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

Auf zweimalige Nachfragen und Aufforderungen der Berichterstatterin des Senats, schriftlich klarzustellen, ob die Beschwerdeschrift vom 23.02.2023 von ihm stammt (zu dieser Notwendigkeit vgl. BSG, Beschluss vom 17.03.2016 - B 11 AL 6/16 B -, juris Rn. 8 ff.: Wahrung rechtlichen Gehörs), hat er nicht geantwortet, sondern sich - nach deren Erhalt - lediglich erneut telefonisch mit der Bitte um Rat an einen Mitarbeiter des Antragsgegners gewandt. Auch auf dessen nochmalige telefonische Erläuterung, dass er sich gegenüber dem LSG Baden-Württemberg äußern solle, nicht gegenüber dem Jobcenter (vgl. Aktenvermerk des Antragsgegners vom 16.03.2023), ist kein bestätigendes Schreiben beim LSG Baden-Württemberg eingegangen.

Nach alledem ist eine Beschwerde vom 25.02.2023 nicht wirksam mit Telefax vom 05.03.2023 eingelegt worden, weil nicht zweifelsfrei erkennbar ist, dass der darin genannte Antragsteller Z1 deren Urheber ist. Die Beschwerde entspricht damit nicht der gesetzlich vorgesehenen Form und ist unzulässig.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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