L 9 R 991/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1959/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 991/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein Bescheid über die Neufeststellung einer Altersrente für langjährig Versicherte ändert die vorangegangene Ablehnung einer Erwerbsminderungsrente nicht ab, weil beide Bescheide verschiedene Regelungsgegenstände, nämlich verschiedene Rentenarten, betreffen betreffen, und ist daher nicht nach § 96 SGG in dieses Verfahren einzubeziehen. Seine Einbeziehung ist auch nicht nach § 99 SGG sachdienlich.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 


Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1957 geborene Klägerin war zuletzt von 1994 bis zum 31.07.2021 als Zeitungsausträgerin (10 Stunden pro Woche) versicherungspflichtig beschäftigt. Ab dem 05.10.2020 wurde bei ihr Arbeitsunfähigkeit bescheinigt.

Am 07.01.2021 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die Folgen einer Gebärmutterkrebserkrankung. Dem Antrag fügte sie u.a. den Befundbericht des D1, H1 Klinikum P1 vom 20.10.2020 (Diagnose: Endometrum Cacinom) und den vorläufigen Arztbrief des S1, D2 und Assistenzärztin K1, Universitätsklinikum H2, Universitäts-Frauenklinik vom 10.12.2020 über den stationären Aufenthalt vom 17.11.2020 bis zum 20.11.2020 (Diagnose: gut differenziertes muzinöses Adenokarzinom des Corpus uteri, G1, pT1a, pNX, L0, V0, Pn0, R0) bei.

Nach Auswertung des beigezogenen endgültigen Arztbriefs des S1, D2 und K1, Universitätsklinikum H2, Universitäts-Frauenklinik vom 18.12.2020 über den stationären Aufenthalt vom 17.11.2020 bis zum 20.11.2020 (Diagnose: gut differenziertes muzinöses Adenokarzinom des Corpus uteri, G1, pT1a, pNX, L0, V0, Pn0, R0; Empfehlung der postoperativen Konferenz: operative Therapie abgeschlossen, Chemotherapie Nein, Strahlentherapie Nein, Radiochemotherapie Nein), des Operationsberichts der S1 und D2 vom 18.11.2020, des Befundberichts der Fachärztin K2 vom 03.02.2021 (Diagnose: Adeno-Ca) schätzte L1 in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 12.02.2021 das Leistungsvermögen auf arbeitstäglich sechs Stunden und mehr unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 12.02.2021 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, bei der Klägerin lägen folgende Krankheiten oder Behinderungen vor: Gebärmutterhalskrebs pT1a, pNX, L0, V0, Pn0, Z. n. vollständiger operativer Entfernung; Restless legs-Syndrom, medikamentös behandelt; allergisches Asthma, medikamentös behandelt. Die sich hieraus ergebenden Einschränkungen führten nicht zu einem Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, da die Klägerin nach der sozialmedizinischen Beurteilung dennoch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Zur Begründung ihres hiergegen am 25.02.2021 erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin im Wesentlichen aus, ihr Leistungsvermögen sei nicht nur durch die Folgen der Tumorerkrankung eingeschränkt. Vielmehr leide sie nach der langjährigen Pflege ihrer Eltern unter einem massiven Erschöpfungszustand. Spätestens seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 05.10.2020 sei ihr Leistungsvermögen zweifelsfrei aufgehoben.

Daraufhin holte die Beklagte einen Befundbericht der M1 ein (Befundbericht vom 23.04.2021), die einen chronischen Erschöpfungszustand, eine chronische reaktive Depression, eine chronische Schlafstörung und ein Uteruskarzinom diagnostizierte und angab, aufgrund von Energie- und Antriebslosigkeit sowie von ausgeprägter Schwäche sei eine berufliche Tätigkeit nicht mehr möglich. Zudem wurden der Befundbericht des M2 vom 30.10.2020 über MRT-Untersuchungen des Neurocraniums und der Halsweichteile (Diagnose: Aktivierte Arthrose im rechten Kiefergelenk) und des MVZ Radiologie K3 vom 03.11.2020 über eine CT-Untersuchung des Thorax vom 03.11.2020 (Beurteilung: Altersentsprechend unauffällige CT des Thorax ohne Hinweis auf Metastasierung) zur Akte gegeben.

Sodann ließ die Beklagte die Klägerin durch E1 begutachten, die unter Berücksichtigung der durch K4 erhobenen Befunde in dem Gutachten vom 05.05.2021 folgende Diagnosen stellte: Reaktive depressive Verstimmung auf stattgehabte außergewöhnliche Belastungen (Anpassungsstörung); geringgradiger Tumor der Gebärmutter, Erstdiagnose 10/2020, durch operative Entfernung der Gebärmutter und Eierstöcke vollständig therapiert, ohne Funktionseinschränkungen im Alltag, leichte Schlussunfähigkeit zweier Herzklappen bei guter Pumpfunktion des Herzens ohne Funktionseinschränkungen im Alltag (Mitralinsuffizienz I°,  Trikuspidalinsuffizienz I°), allergisches Asthma bronchiale ohne Funktionseinschränkung, Bluthochdruck, Restless-Legs-Syndrom, Kieferarthrose rechts, Hämorrhoidalleiden, anamnestisch V.a. Dranginkontinenz, angegebene Kopfschmerzen/Migräne. Dennoch verfüge die Klägerin über ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien nach Auffassung des Sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten.
Daher seien der Klägerin noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, überwiegend im Gehen, ständig im Sitzen, in Tagesschicht, in Frühschicht/Spätschicht sowie ohne erhöhte Anforderungen an die psycho-mentale Belastbarkeit sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Dieser Einschätzung schließe sich der Widerspruchsausschuss an.

Mit ihrer deswegen am 12.07.2021 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren, die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls vom 05.10.2020, dem Tag der Diagnose des Gebärmutterkarzinoms, weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die im Rentenverfahren erstellte sozialmedizinische Gesamtbewertung ihres beruflichen Leistungsvermögens sei nicht zutreffend. Die Beklagte habe die Einschätzungen der behandelnden Allgemeinmedizinerin und der behandelnden Gynäkologin ignoriert. Da ihre gesundheitlichen Einschränkungen einer Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit entgegenstünden, habe sie ihr Arbeitsverhältnis zum 31.07.2021 beendet.

Während des Klageverfahrens hat die Klägerin bei der Beklagten am 23.07.2021 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte beantragt und „angeregt“, die Altersrente bis zum Abschluss des Rechtsstreits als Vorschussleistung zu zahlen. Mit Bescheid vom 02.11.2021 hat die Beklagte der Klägerin die beantragte Altersrente ab dem 01.05.2021 bewilligt. Eine Auszahlung erfolgt seit dem 01.11.2021 – einschließlich des Nachzahlungsbetrags für die Zeit vom 01.05.2021 bis 30.10.2021. Gegen den Bescheid hat die Klägerin am 08.11.2021 mit der Begründung Widerspruch erhoben, im Versicherungsverlauf fehle die rentenrechtliche Zeit des Krankengeldbezugs vom 16.11.2020 bis zum 30.04.2021, zudem fehlten verschiedene Berechnungsanlagen. Nach Übersendung der Berechnungsanlagen mit Schreiben vom 09.11.2021 hat die Beklagte die Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit Teilabhilfebescheid vom 17.12.2021 ab dem 01.05.2021 unter Berücksichtigung der Zeit vom 16.11.2020 bis zum 30.04.2021 neu festgestellt.

Nach Anhörung der Beteiligten zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.02.2022 abgewiesen. Für die Zeit ab dem 01.05.2021 stehe dem Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bereits der bindende Bescheid vom 02.11.2021 entgegen, mit welchem die Beklagte der Klägerin am dem 01.05.2021 eine Altersrente für langjährig Versicherte gewährt habe, da nach § 34 Abs. 4 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ein Wechsel in eine Erwerbsminderungsrente nach Beginn des Bezuges der Altersrente nicht mehr möglich sei. Auch für die Zeit vor dem 01.05.2021 komme ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht in Betracht. Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI lägen nicht vor. Nach dem Beweisergebnis stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten könne.
Dieses Leistungsvermögen ergebe sich aus dem überzeugenden, ausführlichen und wohl begründeten Gutachten von E1. Danach leide die Klägerin infolge der kräfteraubenden Pflege ihrer beiden Eltern und der Diagnose und operativen Therapie des im Oktober 2020 festgestellten Uteruskarzinoms an einer reaktiven depressiven Verstimmung auf stattgehabte außergewöhnliche Belastungen (Anpassungsstörung) mit Schlafstörung und subjektivem Gefühl der erhöhten Erschöpfbarkeit. Daneben lägen eine leichte Schlussunfähigkeit zweier Herzklappen (Mitralinsuffizienz I°, Trikuspidalinsuffizienz I°), ein allergisches Asthma bronchiale, ein Bluthochdruck, ein Restless-legs-Syndrom, eine Kieferarthrose rechts, ein Hämorrhoidalleiden sowie (anamnestisch) eine Dranginkontinenz sowie ein Kopfschmerzleiden vom Migränetyp vor. Diese Gesundheitsstörungen begründeten keine rentenrelevante Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens. Eine von Seiten der behandelnden Hausärztin und der behandelnden Gynäkologin postulierte Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens durch eine herabgesetzte psychische und physische Belastbarkeit lasse sich anhand der gutachterlichen Feststellungen nicht begründen. Es hätten sich weder Hinweise auf eine wesentliche Konzentrations- oder Merkfähigkeitsstörung gefunden, noch hätten Anhaltspunkte für eine leistungsmindernde Antriebsstörung oder eine schwere leistungsmindernde Depression bestanden. Dies gelte insbesondere auch vor dem Hintergrund der nur geringen bzw. fehlende Behandlungsdichte auf psychiatrischem/psychologischem Fachgebiet. Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens komme auch nicht im Hinblick auf die Erkrankungen auf internistischem bzw. neurologischem Fachgebiet in Betracht, da diese nur geringgradig ausgeprägt seien. Die Krebserkrankung der Gebärmutter habe rein operativ behandelt werden können, einer körperlich belastenden Chemo- und/oder Bestrahlungstherapie habe sich die Klägerin nicht unterziehen müssen. Postoperativ habe ein unauffälliger körperlicher Befund vorgelegen.

Gegen den ihr am 03.03.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am Montag, den 04.04.2022 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, sie habe mit ihrem Antrag auf Altersrente beantragt, die Rentenleistungen ausschließlich als Vorschussleistungen zu bewilligen, ungeachtet des Ausgangs des Klageverfahrens, und die endgültige Entscheidung über die Altersrente zurückzustellen, bis eine verbindliche Entscheidung zur beantragten Rente wegen Erwerbsminderung vorliege. Das gegen den Bescheid angestrengte Widerspruchsverfahren sei noch anhängig. Vor diesem Hintergrund laufe die Begründung des SG zum Ausschluss eines möglichen Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.05.2021 ins Leere.
Im Übrigen trage das Beweisergebnis des SG nicht, weil die Klägerin entgegen der angenommenen Leistungsfähigkeit von sechs Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche über solche Leistungsreserven gerade nicht mehr verfüge. Dass sie unter einer Vielzahl erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen leide, belege auch der Umstand, dass das Landratsamts K3 — Amt für Versorgung und Rehabilitation — bei ihr mir Bescheid vom 21.02.2022 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit 05.10.2020 (Diagnose eines bösartigen Gebärmutterkarzinoms) festgestellt habe. Der Berufungsbegründung hat die Klägerin zudem ihr an die Beklagte gerichtetes Schreiben vom 01.03.2023 beigelegt, in welchem sie dieser mitgeteilt hat, aktuell kein Interesse an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zu haben.


Die Klägerin beantragt wörtlich,

das Leistungsvermögen der Berufungsklägerin für Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für einen zeitlichen Umfang von täglich höchstens drei bis unter sechs Stunden anzuerkennen und den Eintritt dieser Leistungsvoraussetzung auf das Datum des Beginns ihrer Arbeitsunfähigkeit am 05.10.2020 (Diagnose eines bösartigen Gebärmutterkarzinoms) zu bestimmen,

der Berufungsklägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt befristet bis zum Erreichen ihrer Regelaltersgrenze (Mai 2023) zu zahlen und

den Bescheid vom 17.12.2021 über die hilfsweise als Vorschussleistung bewilligte Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit Rentenbeginn ab 01.05.2021 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. In Bezug auf den Antrag der Klägerin, den Bescheid vom 17.12.2021 über die hilfsweise als Vorschussleistung bewilligte Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit Rentenbeginn ab 01.05.2021 zurückzunehmen, führt die Beklagte aus, der Altersrentenbescheid sei nicht Gegenstand des Klageverfahrens gewesen und könne damit auch nicht im laufenden Berufungsverfahren zum Gegenstand des Verfahrens werden. Eine Entscheidung über den gegen den Bewilligungsbescheid vom 02.11.2021 erhobenen Widerspruch sei noch nicht erfolgt.
Nachdem über den Altersrentenantrag bisher nicht bestandskräftig entschieden worden sei, habe die Klägerin nach wie vor die Möglichkeit, den Antrag auf Altersrente zurück zu nehmen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der behandelnden M1 als sachverständige Zeugin. Diese hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussache vom 07.07.2022 angegeben, seit Ende 2020 hätten sich der schwere Erschöpfungszustand und die depressiven Beschwerden nicht geändert. Es bestehe weiterhin eine ausgeprägte Energielosigkeit und nur sehr eingeschränkte Leistungsfähigkeit, sowohl im psychischen als auch im physischen Sinne.
Sie habe eine psychologische bzw. psychiatrische Mitbetreuung und Behandlung empfohlen.

Die Beklagte hat die sozialmedizinische Stellungnahme des F1 vom 28.09.2022 vorgelegt, demzufolge sich aus der sachverständigen Zeugenaussage der Allgemeinmedizinerin keine neuen relevanten medizinischen Sachverhalte ergäben.

Mit Schreiben vom 15.03.2023 hat die Klägerin vorgetragen, ihr Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Eine fachärztliche Behandlung ihrer psychischen Beschwerden habe sie deshalb zurückstellen müssen. Sie habe eine Corona-Infektion mit nicht schwerem Verlauf und eine Grippeinfektion erlitten.
Zugleich hat sie sich, wie bereits mit Schriftsatz vom 04.04.2022, weiterhin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Mit der Terminsbestimmung zur mündlichen Verhandlung vom 29.03.2023 hat der Senat darauf hingewiesen, dass der Termin aufgehoben werden könne, wenn sich auch die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erkläre. Zugleich hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI unter dem Gesichtspunkt des Bezugs der Altersrente seit Mai 2021 zu prüfen sein werde.

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.04.2023 ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt hatte, hat der Vorsitzende des erkennenden Senats am 11.04.2023 den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und den Bevollmächtigten der Klägerin am selben Tag darüber telefonisch informiert. In diesem Telefonat hat der Bevollmächtigte mitgeteilt, sich zu dem gerichtlichen Hinweis noch schriftlich äußern zu wollen, aber weiterhin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein.

Mit auf den 11.04.2023 datierten Schreiben, das beim LSG per Fax am 13.04.2023 eingegangen ist, und das mit „Termin zur mündlichen Verhandlung an 18.04.2023, 12:45 Uhr (inzwischen aufgehoben)“ überschrieben war, hat die Klägerin vorgetragen, wenn Altersrente und Erwerbsminderungsrente zeitgleich begännen, liege kein von § 34 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI ausgeschlossener Wechsel von der Altersrente in die Erwerbsminderungsrente vor. Dies sei hier der Fall, weil sie eine sog. Arbeitsmarktrente begehre, die zu befristen sei und deshalb erst ab dem siebten Monat nach dem Leistungsfall beginne. Dieser Zeitpunkt liege ausgehend von einem Leistungsfall am 05.10.2020 auf dem 01.05.2021 und damit auf demselben Datum wie der Beginn der Altersrente. Sie bitte vor dem Hintergrund des § 89 Abs. 1 SGB VI um eine Proberechnung der Erwerbsminderungsrente ausgehend von einem Leistungsfall am 05.10.2020 und Beginn am 01.05.2021.


Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.



Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gem. § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich beide Beteiligte hiermit einverstanden erklärt haben. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 11.04.2023 ihr Einverständnis erteilt. Die Klägerin hat ihr bereits mit Schriftsatz vom 04.04.2020 und vom 15.03.2023 erteiltes Einverständnis auch nach dem Hinweis des Senats vom 29.03.2023 im Rahmen des Telefonats mit dem Vorsitzenden am 11.04.2023 ausdrücklich aufrechterhalten. Zudem hat sie auch mit dem auf den 11.04.2023 datierten Schreiben zu erkennen gegeben, dass sie – entsprechend ihres telefonisch aufrecht erhaltenen Einverständnisses – davon ausgegangen ist, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben worden ist und nunmehr entsprechend der Ankündigung eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen wird. Dem entspricht es, dass sie in der Betreffzeile des Schreibens vom 11.04.2023 angegeben hat „Termin zur mündlichen Verhandlung an 18.04.2023, 12:45 Uhr (inzwischen aufgehoben)“. In der Sache folgt sie mit dem Schreiben ihrer telefonischen Ankündigung vom 11.04.2023, sich nochmals zur Sache äußern zu wollen, aber weiterhin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass sie in diesem Schriftsatz vor dem Hintergrund des § 89 SGB VI die Vorlage einer Proberechnung einer Erwerbsminderungsrente mit Leistungsfall am 05.10.2020 begehrt hat. Hierdurch hat sich keine wesentliche Änderung der Prozesssituation eingestellt, die z.B. bei erheblichem neuen Vorbringen oder Anträgen eintritt (vgl. BSG, Beschluss vom 31.08.2021 - B 5 R 151/21 B -, juris Rn. 16). Auf eine Proberechnung vor dem Hintergrund der Regelung des § 89 Abs. 1 SGB VI kommt es vorliegend nämlich nicht an, weil die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat (siehe hierzu im Folgenden) und deshalb die Regelung des § 89 SGB VI – jedenfalls in Bezug auf eine Rente wegen Erwerbsminderung – vorliegend keine Anwendung findet.

Die gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist neben der erstinstanzlichen Entscheidung des SG der Bescheid der Beklagten vom 12.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2021. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht Verfahrensgegenstand der Bescheid vom 17.12.2022, mit welchem die Beklagte auf den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 02.11.2021 die Altersrente für langjährig Versicherte unter Berücksichtigung weiterer rentenrechtlicher Zeiten ab dem 01.05.2021 neu festgestellt hat. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass dieser Bescheid nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist, weshalb insoweit keine erstinstanzliche Entscheidung vorliegt, die mit der Berufung angefochten werden könnte. Die Klägerin hat sich, unabhängig von der Frage, ob sie dies zulässigerweise hätte tun können, mit ihrer Klage weder ausdrücklich gegen den Bescheid vom 17.12.2021 gewendet, noch wäre dieser Bescheid über § 96 SGG in das erstinstanzliche Verfahren einzubeziehen gewesen. Nach dieser Vorschrift wird nach Klageerhebung ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. „Abändern“ oder „Ersetzen“ in diesem Sinn setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch einen Vergleich der in beiden VA getroffenen Verfügungssätze festgestellt werden (vgl. ua BSG, Urteil vom 23.02.2005 - B 6 KA 45/03 R -, juris; BSG, Urteil vom 05.10.2005 - B 5 RJ 6/05 R -, juris; BSG, Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 40/11 R -, juris). Keine Abänderung oder Ersetzung liegt deshalb vor, wenn der ursprüngliche und der neue Verwaltungsakt einen anderen Streitstoff oder veränderte Tatsachen betreffen (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 4a). Hiernach ändert vorliegend der Rentenbescheid über die Altersrente für langjährig Versicherte den Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht ab, weil beide Bescheide verschiedene Regelungsgegenstände, nämlich verschiedene Rentenarten, betreffen. Eine Einbeziehung des Bescheides im Wege einer Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG wäre nicht sachdienlich und kommt deshalb nicht in Betracht.

Die wörtlich von der Klägerin gestellten Anträge „Das Leistungsvermögen der Berufungsklägerin für Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für einen zeitlichen Umfang von täglich höchstens drei bis unter sechs Stunden anzuerkennen und den Eintritt dieser Leistungsvoraussetzung auf das Datum des Beginns ihrer Arbeitsunfähigkeit am 05.10.2020 (Diagnose eines bösartigen Gebärmutterkarzinoms) zu bestimmen“ und „Der Berufungsklägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt befristet bis zum Erreichen ihrer Regelaltersgrenze (Mai 2023) zu zahlen.“, bedürfen der Auslegung. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 25.06.2002 - B 11 AL 23/02 R - juris Rn. 21; BSG, Beschluss vom 08.11.2005 - B 1 KR 76/05 B -, juris). Vorliegend geht es der Klägerin in der Sache ersichtlich um die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente ausgehend vom einem Leistungsfall am 05.10.2020 und nicht um eine – unzulässige – Elementenfeststellung des Eintritts des Leistungsfalls (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 55 Rn. 9). Vor diesem Hintergrund misst der Senat dem Feststellungantrag keine eigenständige Bedeutung bei und versteht beide Anträge als einheitlichen Antrag, gerichtet auf die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer befristeten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes unter Zugrundelegung eines Leistungsfalls vom 05.10.2020 und auf Aufhebung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung.

Das so verstandene Klagebegehren, das prozessual statthafter Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG zu verfolgen ist, hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 12.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
 
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI.

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in KassKomm, Stand 114. EL Mai 2021, SGB VI, § 43 Rn. 58 und 30 ff.).

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Klägerin ab dem 05.10.2020 die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt. Eine Erwerbsminderung der Klägerin, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies folgt für den Senat insbesondere aus dem überzeugenden, von der Beklagten eingeholten, im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten der E1 vom 05.05.2021. Der Einschätzung der M1, wie sie sie in ihrer Stellungnahme vom 23.04.2021 gegenüber der Beklagten mitgeteilt hat, die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet und wie sie sie in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 23.04.2021 bekräftigt hat, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Nach dem überzeugenden Gutachten der E1 leidet die Klägerin unter folgenden Gesundheitsstörungen: reaktive depressive Verstimmung auf stattgehabte außergewöhnliche Belastungen im Sinne einer Anpassungsstörung mit Schlafstörung und subjektivem Gefühl der erhöhten Erschöpfbarkeit, geringgradiger Tumor der Gebärmutter, Erstdiagnose 10/2020, durch operative Entfernung der Gebärmutter und Eierstöcke vollständig therapiert, ohne Funktionseinschränkungen im Alltag, leichte Schlussunfähigkeit zweier Herzklappen (Mitralinsuffizienz I°, Trikuspidalinsuffizienz I°), allergisches Asthma bronchiale, Bluthochdruck, Restless-legs-Syndrom, Kieferarthrose rechts, Hämorrhoidalleiden, (anamnestisch) Dranginkontinenz sowie Kopfschmerzleiden vom Migränetyp.

Durch die genannten Erkrankungen ist das Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht eingeschränkt. Nicht geeignet sind
körperlich schwere Tätigkeiten und Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die psycho-mentale Belastbarkeit wie besondere Anforderungen an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, Tätigkeiten mit besonderem Zeitdruck, taktgebundene Arbeit oder Tätigkeiten mit besonderer nervlicher oder seelischer Belastung und Anspannung. Ebensowenig geeignet sind Tätigkeiten mit besonderen inhalativen oder allergenen Belastungen.

Soweit M1 die Klägerin darüber hinaus unter Beachtung der genannten qualitativen Einschränkungen auch nicht zu leichten bis mittelschweren Tätigkeiten in der Lage sieht, hält der Senat dies nicht für überzeugend. Sie begründet dies mit einem ihrer Meinung nach bestehenden „kompletten physischen und psychischen Zusammenbruch“ seit Oktober 2020. Im Hinblick auf die von E1 und von dem internistischen Zusatzgutachter K4 im Rahmen der Begutachtung vom 05.05.2021 erhobenen Befunde lässt sich weder in physischer Hinsicht noch in psychischer Hinsicht ein derart schwerwiegend eingeschränkter Gesundheitszustand der Klägerin feststellen. Hierzu hat das SG überzeugend ausgeführt:

„Es fanden sich weder Hinweise auf eine wesentliche Konzentrations- oder Merkfähigkeitsstörung, noch bestanden Anhaltspunkte für eine leistungsmindernde Antriebsstörung oder eine schwere leistungsmindernde Depression. Der psychische Befund war bis auf eine zeitweise ausgeprägte themengebundene Weinerlichkeit und Affektlabilität unauffällig. Die Klägerin war schwingungsfähig und wirkte – insbesondere im Gespräch bezüglich ihrer Beschäftigung mit ihrem Enkelkind – zufrieden und glücklich. Eine vorzeitige Erschöpfbarkeit im Rahmen der mind. 2,5 Stunden dauernden Exploration war nicht festzustellen. Eine wesentliche Einschränkung der Alltagskompetenzen lässt sich auch anhand des geschilderten strukturierten Tagesablaufs nicht eruieren. Vielmehr übernimmt die Klägerin viele Hausarbeiten nach eigenen Angaben selbst (zB Wäsche,
Aufräumen, Badreinigung, etc.) und kümmert sich um ihr Enkelkind. Dies offenbart ausreichende Ressourcen, die auch im Hinblick auf eine leidensgerechte Tätigkeit eingesetzt werden können. Soweit die behandelnden Ärztinnen der Klägerin davon ausgehen, dass das Leistungsvermögen der Klägerin völlig aufgehoben sei, hält das Gericht dies angesichts dieser gutachterlichen Feststellungen für widerlegt.

Nicht nachvollziehbar im Vergleich mit dem angegebenen hohen Leidensdruck ist auch die nur geringe bzw. fehlende Behandlungsdichte auf psychiatrischen/psychologischem Fachgebiet (bislang nur zwei Gesprächstermine mit einer Psychologin im April 2020), die Ablehnung von Maßnahmen der stationären medizinischen Rehabilitation sowie von der Einnahme von Antidepressiva. Das Gericht stimmt der Ansicht von E1 zu, dass vor allem die Ablehnung von Leistungen der stationären psychosomatischen Rehabilitation oder gar deren Einstufung als „destruktiv“ bei einem behaupteten deutlich reduzierten Leistungsvermögen nicht ansatzweise nachvollzogen werden kann.

Eine Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens kommt auch nicht im Hinblick auf die Erkrankungen auf internistischem bzw. neurologischem Fachgebiet in Betracht, da diese nur geringgradig ausgeprägt sind und die Klägerin bzw. ihre Hausärztin sich offenbar nicht veranlasst gesehen haben, diese fachärztlich behandeln zu lassen. Dies gilt insbesondere für die von der Klägerin angegebenen intermittierend auftretende Atemnot bei vermehrter körperlicher Anstrengung bzw. dem Herzrasen und thorakalem Stechen bei Aufregung, was auf das Asthma, den Bluthochdruck sowie die Herzerkrankung zurückzuführen ist. Zwar wurde von E1 die kardiologische Abklärung hinsichtlich der leichten Einschränkung der Schließfunktion zweier Herzklappen angeraten. Dem zugrunde lagen indes nur grenzwertige Befunde im durchgeführten EKG und Herzultraschall. Die Lungenfunktionsprüfung ergab einen guten Lungenbefund. Die Krebserkrankung der Gebärmutter konnte rein operativ behandelt werden, einer körperlich belastenden Chemo- und/oder Bestrahlungstherapie musste sich die Klägerin nicht unterziehen. Postoperativ lag ein unauffälliger körperlicher Befund vor. Vor diesem Hintergrund ist auch hinsichtlich der Erkrankungen auf internistischem Gebiet lediglich ein Ausschluss von schweren körperlichen Tätigkeiten und Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung / Stressbelastung angezeigt.

Auch die übrigen Erkrankungen vermögen das Leistungsvermögen nicht weiter einzuschränken. Das Restless-Legs-Syndrom und die Kopfschmerzen vom Migränetyp werden bedarfsweise medikamentös behandelt, eine fachneurologische Vorstellung ist nicht erfolgt. Weitere erhebliche Leistungseinschränkungen sind nicht erkennbar.“


Diese überzeugende Einschätzung macht sich der Senat nach eigener Prüfung zu eigen und legt sie seiner eigenen Urteilsbildung zugrunde. Quantitative Leistungseinschränkungen lassen sich auf dieser Grundlage nicht begründen. Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren auf die am 21.02.2022 rückwirkend ab dem 05.10.2020 erfolgte Feststellung eines GdB von 50 verweist, die wegen der Diagnose des Uteruskarzioms erfolgt ist, rechtfertigt sich hieraus keine andere Beurteilung. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht hat für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des GdB unterscheiden sich maßgeblich von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. BSG, Beschluss vom 10.07.2018 - B 13 R 64/18 B -, juris). Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.03.2023 zuletzt vorgetragen hat, ihr Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, da sie eine Coronainfektion mit nicht schwerem Verlauf und eine Grippeinfektion durchgemacht habe, belegt sie hiermit weder den Eintritt einer Erwerbsminderung, weil sowohl eine Coronainfektion mit nicht schwerem Verlauf als auch eine Grippeinfektion Akuterkrankungen darstellen, die grundsätzlich keine dauerhafte Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens begründen. Nachdem die Klägerin keine konkreten Folgen der Akuterkrankungen vorgetragen hat, die langfristig bei ihr bestehen bleiben, musste sich der Senat aufgrund dieses pauschalen und unsubstantiierten Vorbringens nicht zu weiteren Sachverhaltsermittlungen „ins Blaue hinein“ veranlasst sehen (vgl. BSG, Beschluss vom 28.10.2020 - B 5 R 162/20 B -, juris Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen hat sich nach der sachverständigen Zeugenaussage der behandelnden M1 vom 07.07.2022 der Gesundheitszustand der Klägerin seit Ende 2020 nicht wesentlich verändert. Vor diesem Hintergrund beschreibt das Gutachten von E1 zur Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Gesundheitszustand der Klägerin.

Nachdem bei der Klägerin die medizinischen Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung weder vor dem 01.05.2021 noch nach dem 01.05.2021 vorgelegen haben, kommt es vorliegend auf die Frage, ob § 34 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI einem Wechsel von einer Altersrente in eine Rente wegen Erwerbsminderung entgegensteht, nicht an. Ebenso wenig bedurfte es einer Prüfung des § 89 Abs. 1 SGB VI, der die Anspruchskonkurrenz mehrerer verschiedener Stammrechte auf Rente betrifft, nachdem die Klägerin nur einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte hat, nicht aber auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).



 

Rechtskraft
Aus
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