1. Der Bescheid vom 28.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2014 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen des Arbeitsunfalls vom 26.11.2012 Verletztenrente nach einer MdE von 30 vom Hundert zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfang zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls v. 26.11.2012.
Der im Jahr 1978 geborene Kläger war im Jahr 2012 als Paketzusteller bei C. in C-Stadt tätig. Am 26.11.2012 wollte er von der Ladefläche seines Zustellfahrzeugs heruntersteigen, rutschte mit beiden Beinen weg und fiel von der Ladefläche nach unten. Hierbei verfing sich sein rechtes Bein im Wagen unter einem dort befindlichen Regal, so dass es oben hängenblieb, während der Kläger hinter dem Wagen auf dem Boden mit dem Kopf anstieß. Es schloss sich eine kurze Phase der Bewusstlosigkeit an. Als der Kläger wieder zu sich kam, bemerkte er, dass sich die Haut an seinem Unterschenkel gewölbt hatte und sich dort ein gebrochener und verschobener Knochen abzeichnete. Der Notarzt versorgte ihn aufgrund sehr starker Schmerzen mehrfach mit Schmerzmitteln. Mit dem Rettungswagen wurde er dann zur weiteren Behandlung in die BG-Unfallklinik nach Frankfurt/Main gebracht.
Der D-Arzt Prof. Dr. D. stellte dort eine mehrfragmentäre Tibiakopffraktur sowie eine Fibulakopftrümmerfraktur rechts fest. Es schloss sich ein stationärer Aufenthalt bis zum 25.12. an. Laut dem Entlassungsbericht von Prof. D. waren zwei Operationen zur Reposition und Fixierung der Brüche erforderlich. Postoperativ sei dann eine Minderinnervation im Bereich der Unterschenkelmuskulatur aufgetreten. Der Kläger habe hier Sensibilitätsstörungen angegeben, zudem sei eine Aktivierung der Muskulatur nicht möglich gewesen. Neurologisch habe sich der Nachweis einer neurogenen Läsion im Tibialis anterior ergeben; ansonsten sei die Minderinnervation psychogen einzuschätzen.
Während des Aufenthalts und danach fand daher auch eine psychologische Behandlung statt. Die Psychologin E. berichtete am 15.01.13, der Kläger habe unter anderem erzählt, dass er bereits zwei Monate zuvor einen Fahrradunfall gehabt habe, bei dem dasselbe Bein betroffen gewesen sei und bei dem er eine Außenknöchelfraktur erlitten habe. Nach dem jetzt erfolgten Arbeitsunfall habe er sofort seine Beine nicht strecken und die Zehen nicht bewegen können. Er habe im Rahmen seiner fünfjährigen Tätigkeit bei C. bereits drei bis vier Arbeitsunfälle gehabt. Generell habe er dort unter viel Stress gelitten. Die Unfälle seien seiner Ansicht nach stressbedingt. Er habe von Jahr zu Jahr immer mehr Pakete austragen müssen. Nach Einschätzung der Psychologin bestand die Möglichkeit einer dissoziativen Störung, bei der ein psychischer Konflikt - hier die erhebliche Stressbelastung am Arbeitsplatz - in körperlichen Beschwerden ausgedrückt werde.
In einem weiteren Bericht der BGU Frankfurt/Main v. 07.02.2013 heißt es, die Nervenleitgeschwindigkeit sei nunmehr normal. Es bestehe eine psychogene Lähmung des rechten Beines. Die Durchführung einer Psychotherapie werde empfohlen. Im Zeitraum 27.02. – 27.03.2013 fand eine weitere stationäre Behandlung in der BGU statt. Auch im diesbezüglichen Bericht wird die Einschätzung geäußert, der Schmerz und die muskuläre Dysfunktion seien einem Nervenschaden nicht zuzuordnen. Es liege eine psychogene Minderinnervation vor. Anzumerken sei allerdings, dass verschiedene Patienten und auch nicht-ärztliches Personal den Kläger „bei guter Funktion“ im Bereich des rechten Beines gesehen hätten.
Die Psychologin E. berichtete über die weitere Behandlung, der Kläger habe bereits vor dem Unfallereignis mehrere Unfälle erlitten. Er sei an seinem Arbeitsplatz einer hohen Stressbelastung ausgesetzt gewesen. Er sei häufiger krank gewesen. Dies habe zu Problemen mit seiner Chefin geführt, die ihn nach seiner Einschätzung sogar habe entlassen wollen. Er habe sich als Paketzusteller schikaniert gefühlt, weil man ihn als Springer 60 km weit entfernt eingesetzt habe. Dies habe man getan, um seine Kündigung zu provozieren. Er sei dann zeitweise zur Briefpost versetzt worden, wo er jedoch vom Rad gefallen sei und sich die oben genannte Außenknöchelfraktur zugezogen habe. Nach der Genesung sei er dann wieder als Paketfahrer eingesetzt worden. In seiner Familie lege er einen hohen Anspruch an sich sowie die anderen Familienmitglieder. Er habe ab und zu „Stress“ mit seinen Kindern. Er sei derjenige, der in der Familie die Regeln aufstelle, wenn man nicht auf ihn höre, bereite ihm dies nach eigener Aussage Stress. Zudem, so die Psychologin, sei er in der Vergangenheit bereits durch Ereignisse während seines Militärdienstes im Grenzgebiet zu Syrien traumatisiert worden. Infolge des Unfallereignisses habe er dann auf seine Kompensationsstrategien verzichten müssen. Dies könne zu der jetzigen Symptomatik führen. Auch eine Rücksprache mit der behandelnden Psychologin F. habe ergeben, dass beide die dissoziative Störung als unfallunabhängig einstuften.
In einem weiteren Bericht v. 24.04.2013 wurde seitens der BGU Frankfurt/Main daher empfohlen, das Heilverfahren zulasten der BG zum 29.04. abzuschließen. Eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Arbeitsunfalls v. 26.11.2012 bestehe ab diesem Zeitpunkt nicht mehr.
Die behandelnde Psychotherapeutin des Klägers Frau F. berichtete am 10.05.2013, beim Kläger bestehe eine dissoziative Bewegungsstörung sowie eine leichte depressive Episode. Er habe sich beklagt, auf die „Psychoschiene“ geschoben zu werden. Am Arbeitsplatz habe seit mehreren Jahren ein Mobbinggeschehen bestanden, was die Ursache der dissoziativen Störung sein könne.
Die Beklagte holte ein erstes Rentengutachten des Orthopäden PD Dr. G. v. 29.07.13 ein, der nur noch eine geringgradig eingeschränkte Beweglichkeit im rechten Knie bei konsolidierter Tibiakopffraktur feststellte. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf orthopädischem Gebiet sei kleiner als 10.
Weiter wurde ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. H. v. 20.12.2013 eingeholt. Dieser stellte eine dissoziative Störung mit funktioneller Beinlähmung fest. Der Unfall sei aber keine wesentliche Ursache für Störung, sondern nur eine Gelegenheitsursache gewesen, an der sich die Störung kristallisiert habe. Die Verletzung des rechten Kniegelenks bilde die nach außen sichtbare Möglichkeit, die inneren unfallunabhängigen psychischen Konflikte zu symbolisieren und auszudrücken. Am Unfalltag und zeitnah zum Unfallereignis habe sich keine Minderinnervation des rechten Beines gezeigt. Das Ereignis selbst stelle keine wesentliche dramatische bzw. wesentlich traumatisierende Erfahrung dar. Demgegenüber lägen erhebliche konkurrierende Faktoren vor, nämlich die Traumatisierung während des Wehrdienstes, eine sich zuspitzende Mobbingsituation am Arbeitsplatz mit drohendem Verlust sowie zusätzlich familiäre Belastungen. Diese seien viel eher geeignet, die dissoziative Störung zu verursachen.
Durch Bescheid v. 25.02.2014 wurde daraufhin die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt. Es lägen keine Unfallfolgen mehr vor, die eine rentenberechtigende MdE zur Folge hätten.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben v. 25.03.2014 Widerspruch ein. Das Gutachten des Dr. H. sei unzulänglich. Dieser habe den Schweregrad des Unfallerlebnisses ebenso wenig wie vorbestehende psychische Erkrankungen angegeben. Es sei zudem keine Abwägung der Faktoren für die Entstehung der dissoziativen Störung erfolgt.
Die Beklagte holte daraufhin eine beratende Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. J. v. 06.11.2014 ein. Dieser konnte keinen Hinweis auf einen unfallbedingten psychischen Erstschaden finden. Dagegen sei ein Vorschaden in Form von Stressbelastung, familiärer Belastung und Traumatisierung in der Militärzeit nachgewiesen. Demnach sei hier auf psychiatrischem Gebiet keine mittelbare oder unmittelbare Unfallfolge nachweisbar. Der Widerspruch wurde daraufhin durch Bescheid v. 10.12.2014 zurückgewiesen.
Am 12.01.2015 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Das Gericht hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. K. v. 24.11.2018 eingeholt. Dieser diagnostizierte eine dissoziative Störung, eine dissoziative Bewegungsstörung, eine mittelgradige depressive Episode sowie den Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Diese Störungen seien wesentlich durch den Unfall bedingt. Seine Einschätzung fuße auf der Verdachtsdiagnose PTBS: Der Kläger habe sich durch den vorherigen Fahrradsturz wenige Wochen vor dem hier gegenständlichen Arbeitsunfall bereits eine Wadenbein- und Knöchelfraktur rechts zugezogen. Durch den weiteren Unfall sei dann nachvollziehbar eine nachhaltige psychische Traumatisierung entstanden, die durch die Gefahr des Verlusts der Gehfähigkeit ausgelöst wurde. Einschlägige Aussagen habe der Kläger bei seiner Untersuchung in einem Traumafragebogen gemacht, die auch glaubhaft seien. Die anderen vermuteten Ursachen seien viel unwahrscheinlicher. Der Kläger habe einer Traumatisierung in der Wehrdienstzeit widersprochen, eine Arbeitsplatzbedrohung sei nicht belegt, familiäre Belastungen vor dem Unfall habe der Kläger ebenfalls verneint. Insbesondere eine Mobbingsituation am Arbeitsplatz sei vom Kläger nicht wahrgenommen worden. Es gebe auch keine Belege für frühere psychische Auffälligkeiten. Zudem hätte die dissoziative Störung schon durch den vorherigen Fahrradunfall ausgelöst werden können, wenn man von ihrer Bedingtheit durch unfallfremde Belastungen ausgehe. Der Kläger sei aufgrund der Unfallfolgen bis heute arbeitsunfähig und behandlungsbedürftig. Er schätze die MdE mit 40 ein.
Der Kläger trägt vor, eine Verletztenrente stehe ihm aufgrund der psychischen Folgen des Unfalls zu.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2014 zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vom Hundert zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf die in den Bescheiden gegeben Begründung und trägt zum gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten vor, eine PTBS könne schon deshalb nicht vorliegen, weil es an einem extrem traumatischen Ereignis fehle. Zudem weiche der Sachverständige bei der Frage der Kausalität des Unfalls für die dissoziative Störung erheblich von den Begutachtungsleitlinien ab: danach sei eine anhaltende schwere körperlich Schädigungsfolge oder aber der Nachweis einer PTBS nötig, um davon auszugehen, dass ein Unfall wesentliche Ursache für eine dissoziative Störung sei.
Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. K. v. 11.06.2019 eingeholt. Dieser führt aus, es spreche mehr für eine PTBS als für einen bloßen Verdacht. Der zweite Unfall sei vor dem Hintergrund des ersten Unfalls traumatisch gewesen. Der Kläger könne auch heute noch wegen des Geruchs kein Krankenhaus aufsuchen. Das syndromale Störungsbild für eine PTBS sei erfüllt.
Die Beklagte entgegnet, weder liege ein ausreichend schweres Ereignis vor, noch leide der Kläger unter einem Wiedererleben des Erlebten (z.B. in Form von Flashbacks).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid vom 25.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer MdE von 30 aufgrund des Arbeitsunfalls v. 26.11.2012.
Versicherte haben Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert (v. H.) gemindert ist, § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII.
Vorliegend ist ein Versicherungsfall in Form eines Arbeitsunfalls v. 26.11.2012 gegeben. Dessen Folgen führen hier auch zu einer MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert.
Der Kläger leidet unter einer dissoziativen Bewegungsstörung, die zu einer weitgehenden Lähmung des rechten Beines führt. Dass diese Störung tatsächlich vorliegt, ist hier aus Sicht der Kammer im erforderlichen Beweismaß des Vollbeweises nachgewiesen. Sowohl der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. K., als auch der im Verwaltungsverfahren begutachtende Dr. H. haben übereinstimmend diese Diagnose gestellt. Auch die den Kläger behandelnden Psychologinnen E. und F. haben sie bestätigt. Belastbare Hinweise, die auf eine Aggravation oder gar Simulation hindeuten, gibt es letztlich nicht. Zwar wurde in einem Bericht der BGU Frankfurt/Main über den dortigen stationären Aufenthalt des Klägers im Zeitraum 27.02. – 27.03.2013 erwähnt, dass andere Patienten und nicht-ärztliches Personal ihn dort „bei guter Funktion“ des rechten Beines gesehen hätten. Dies wird jedoch hinsichtlich der Zeugen und deren genauer Beobachtung nicht weiter spezifiziert, so dass dieser Hinweis nicht nachgeprüft werden kann. Zudem erscheint es der Kammer als unwahrscheinlich, dass der Kläger derart viele fachkundige Behandler und Begutachter über einen mittlerweile doch erheblichen Zeitraum getäuscht haben kann. Schließlich hat auch die erkennende Kammer in der mündlichen Verhandlung v. 20.11.2019, in welcher der Kläger seine verbliebenen Funktionseinschränkungen auf Bitte des Gerichts demonstrierte, nicht den Eindruck einer Simulation gewonnen.
Desweiteren war der Kläger nach den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. K. zumindest zum Zeitpunkt der dortigen Begutachtung an einer mittelgradigen depressiven Störung erkrankt. Der Sachverständige hat diese Einschätzung nachvollziehbar aus dem Begutachtungsgespräch sowie testpsychologischen Untersuchungen abgeleitet. Auch die behandelnden Psychologin F. hatte zudem bereits früher eine damals noch als leicht einzustufende depressive Störung diagnostiziert.
Nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist hier allerdings die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese wurde erstmals durch Prof. Dr. K. gestellt – in seinem Gutachten allerdings nur als Verdachtsdiagnose. Erst in seiner ergänzenden Stellungnahme hat er dann ausgeführt, es spreche hier mehr für eine gesicherte Diagnose als für einen bloßen Verdacht. Dies überzeugt die Kammer nicht. Der Sachverständige Dr. H. und auch die behandelnden Psychologinnen haben eine solche Störung nicht diagnostiziert. Insbesondere letztere hatten wesentlich intensiveren und länger andauernden Kontakt zum Kläger als der Sachständige Prof. Dr. K.. Ihre Berichte enthalten jedoch keinerlei Hinweise auf Symptome, welche die Diagnose PTBS tragen könnten. Wenn man auch das sog. A-Kriterium einer hinreichend belastenden, traumatischen Erlebnisses noch als gegeben sehen mag, so fehlt es doch bereits an ausreichenden Anhaltspunkten für wiederkehrende belastende Erinnerungen, wiederkehrende belastende Träume oder ein Handeln und Fühlen wie bei Wiedererleben des Ereignisses (Intrusionen, sog. B-Kriterium). Auch das C-Kriterium, das ein resultierendes Vermeidungsverhalten fordert, ist nur unzulänglich belegt. Insbesondere die von Prof. Dr. K. geschilderte Vermeidung, Krankenhäuser aufzusuchen, ließ sich bei der persönlichen Befragung des Klägers durch die Kammer nicht hinreichend belegen. Offenbar hat der Kläger seit dem Ereignis bei etlichen Gelegenheiten Krankenhäuser besucht – auch außerhalb der hier gegenständlichen Erkrankungen. Eine ausgeprägtes Vermeidungsverhalten ist daher nicht erkennbar.
Die festgestellten Gesundheitsschäden einer dissoziativen Bewegungsstörung und einer mittelgradigen depressiven Störung sind auch nach den geltenden rechtlichen Maßstäben durch den Unfall v. 26.11.2012 verursacht worden.
Für die Kausalitätsfeststellung zwischen den durch ein Ereignis unmittelbar hervorgerufenen Gesundheitserstschäden (haftungsbegründende Kausalität) und den als Unfallfolgen geltend gemachten länger andauernden Gesundheitsstörungen (haftungsausfüllende Kausalität) gilt wie für alle Kausalitätsfeststellungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der gegenüber dem Vollbeweis geringere Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit bzw. hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - juris). Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Versicherungsfalles basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer ersten Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftliche Sinne vorliegt, d. h.- so die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der möglicherweise aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 -). In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann durch Wertung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die wesentlich sind, weil sie rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris).
Die dissoziative Bewegungsstörung mit Lähmung des rechten Beines wurde hier objektiv durch den Unfall verursacht. Dahinstehen kann, ob die Störung unmittelbar durch das Ereignis ausgelöst wurde oder sich erst im Rahmen der nachfolgenden Krankenhausbehandlung entwickelt hat. Es erscheint der Kammer als wahrscheinlich, dass der Unfall und die nachfolgende Behandlung jedenfalls nicht hinweggedacht werden können, ohne dass die Bewegungsstörung im Bereich des rechten Beines aufgetreten wäre. Da Unfallfolgen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung die unfallverursachten Funktionsbeeinträchtigungen sind, ist hinsichtlich der Frage der objektiven Verursachung nicht auf die dissoziative Störung an sich sondern auf deren konkrete Auswirkungen – hier eine Bewegungsstörung des rechten Beines – abzustellen. Ohne die Verletzung des rechten Beines wäre es hier nicht zu einer psychogenen Lähmung ausgerechnet dieser Gliedmaße gekommen.
Auch die mittelgradige depressive Störung wurde hier objektiv durch den Unfall verursacht. Das Gericht folgt auch insoweit den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. K.. Insbesondere liegen hier keine Anzeichen dafür vor, dass der Kläger bereits vor dem Unfall unter entsprechenden Symptomen gelitten hat. Es erscheint der Kammer daher wahrscheinlich, dass durch die schwerwiegende Beeinträchtigung der beruflichen und privaten Lebensführung infolge der dissoziativen Bewegungsstörung eine depressive Störung als Folgeerkrankung entstanden ist. Dieser Eindruck wird zudem durch die Schilderungen des Klägers gegenüber den Behandlern und dem Sachverständigen bestärkt. Konkurrierende Faktoren, wie die geltend gemachten Probleme am Arbeitsplatz, innerhalb der Familie und Folgewirkungen des Militärdienstes, erscheinen der Kammer nicht greifbar genug, als dass sie die depressive Störung auch ohne den Unfall ausgelöst haben könnten. Die Streitigkeiten mit der Vorgesetzten bei C. mögen den Kläger belastet haben. Allerdings enthielten weder die Darstellung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch die Wiedergabe seiner Erlebnisse in den Berichten der Sachverständigen und behandelnden Ärzte Anhaltspunkte für Geschehnisse, die im Arbeitsprozess außergewöhnlich wären oder den Kläger zumindest sehr stark belastet hätten. So berichtete er der Kammer glaubhaft, dass die Chefin ihn zwar gern abgemahnt hätte, dies aber von höherer Stelle abgelehnt worden sei. Mit den übrigen Kollegen habe er sich im Grunde gut verstanden, man sei „wie eine Familie“ gewesen. Es lassen sich daher weder eine ernsthafte Bedrohung des Arbeitsplatzes noch eine ausgeprägte Mobbingsituation belegen, zumal die Ausführungen der behandelnden Ärzte in ihren Berichten hierzu eher abstrakt geblieben sind. Letzteres gilt im Übrigen auch für die anderen beiden angeführten Belastungen: die Erlebnisse während des Wehrdienstes und die familiären Probleme. Konkrete traumatisierende Ereignisse während der Wehrdienstzeit an der syrischen Grenze sind nicht beschrieben. Der Kläger selbst erklärte dem Gericht hierzu, er sei nur einige Wochen an Kampfhandlungen beteiligt gewesen, wobei er beim Artilleriebeschuss aus größerer Entfernung – ohne direkten Feindkontakt – tätig geworden sie. Dass er gelegentlich auch Leichen gesehen habe, hat er nicht bestritten. Dies führt jedoch nicht zwangsläufig zu einer Traumatisierung, aus der sich später eine depressive Störung entwickeln könnte. Schließlich bleibt unklar, welche genauen familiären Probleme es beim Kläger gegeben haben soll. Offenbar handelte es sich hierbei um Streitigkeiten mit der Ehefrau. Eine Trennung der Ehegatten liegt jedoch weder aktuell vor noch ist sie für die Vergangenheit dokumentiert. Zudem erläuterte der Kläger hierzu nachvollziehbar, durch seine langwährende Arbeitsunfähigkeit infolge des Unfalls sei es gerade erst zu Streitigkeiten mit der Ehefrau und finanziellen Schwierigkeiten der Familie gekommen.
Der Unfall war hier schließlich auch eine wesentliche Ursache für die o.g. psychiatrischen Erkrankungen.
Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw. das Ereignis als solches einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach einem Arbeitsunfall, Befunde und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie die gesamte Krankengeschichte.
Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, BSGE 96, 196-209, SozR 4-2700 § 8 Nr 17, Rn. 15).
Die Kammer kommt vorliegend zu dem Schluss, dass die dissoziative Bewegungsstörung mit Lähmung des rechten Beines wesentlich durch den Unfall verursacht wurde. Auch wenn der Kläger sicherlich bereits vorher über eine Anlage zu einer dissoziativen Störung verfügt hat, so war der Unfall v. 26.11.2012 doch eine seiner Art nach unersetzliche äußere Einwirkung. Nicht jedes andere alltägliche Ereignis hätte hier zu derselben Zeit eine dissoziative Bewegungsstörung ausgelöst. Auch diesbezüglich folgt die Kammer den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. K.. Es lag zum einen ein durchaus schweres Unfallereignis vor. Der Kläger hat dies insbesondere in der mündlichen Verhandlung sehr plastisch dargestellt. So wurde er zunächst infolge des Sturzes bewusstlos, stellte nach dem Aufwachen erhebliche innere Verletzungen des rechten Beines fest und litt nachvollziehbar unter extremen Schmerzen, die eine mehrmalige Gabe von Schmerzmitteln zur Folge hatten. Er wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus transportiert. Danach kam es zu einer mehrmonatigen Krankenhausbehandlung mit zwei Operationen. Erschwerend kam hinzu, dass er sich wenige Wochen zuvor schon einmal am rechten Bein verletzt hatte. Im Ergebnis lag hier kein Bagatellereignis vor, das beliebig durch andere alltägliche Kausalfaktoren ersetzbar gewesen wäre. Hinsichtlich der konkurrierenden Ursachen kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden. Diese sind letztlich nicht so greifbar, dass sie eine so leicht ansprechbare Schadensanlage, die jedes andere alltägliche Ereignis genügen ließe, begründen könnten. Der Kläger verfügte schließlich auch nicht über eine psychiatrische Krankenvorgeschichte.
Das Gericht übersieht hierbei auch nicht, dass nach der AWMF-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen dissoziative Störungen „üblicherweise“ nur dann als Unfallfolge anzuerkennen sind, wenn eine anhaltende schwere körperliche Schädigung wesentlich zur Entwicklung beigetragen hat. Dieser Grundsatz kann vor dem Hintergrund der oben genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Wesentlichkeit, die auf eine Vielzahl von Kriterien abstellt, jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen. Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass auch die Formulierung in der genannten Leitlinie durchaus Spielraum für andere Bewertung von Einzelfällen bietet.
Auch die depressive Störung wurde nach den o.g. Grundsätzen durch den Unfall wesentlich verursacht. Es bestehen aus Sicht der Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auch ohne die gravierende Einschränkung durch die dissoziative Störung durch jedes andere alltägliches Ereignis zu annähernd derselben Zeit eine depressive Störung entwickelt hätte.
Die Höhe der Verletztenrente ist hier nach einer MdE von 30 zu bemessen.
Die Bemessung des Grades der MdE wird vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr. 8 m. w. N.). Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 s. o.). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 5. September 2006 s. o.; Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).
Vorliegend erachtet die Kammer die vom Sachverständigen Prof. Dr. K. vorgenommene Bewertung mit einer MdE von 40 als etwas zu hoch. Nach der o.g. AWMF-Leitlinie ist bei einer dissoziativen Störung mit stärkergradiger körperlicher und erheblicher psychisch-emotionaler Beeinträchtigung von einer MdE von 30 auszugehen. Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Klägers sicherlich vor. Die depressive Störung überschneidet sich allerdings in ihren Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit mit denen der dissoziativen Bewegungsstörung, so dass sie hier aus Sicht der Kammer nicht zu einer weiteren Erhöhung der Gesamt-MdE führen kann.
Im Ergebnis hat der Kläger Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 30.
Der Rentenanspruch beginnt gem. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII mit dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Das zulässige Rechtsmittel der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.