- Krankenbeobachtung, Blutzuckermessung und Insulingabe während des Besuchs eines Kindergartens sind ihrem Wesen nach Leistungen der medizinischen Rehabilitation im Sinne des § 42 SGB IX.
- Leitet der erstangegangene Träger der Eingliederungshilfe einen Antrag auf diese Leistungen nicht innerhalb von zwei Wochen weiter, so kann er dennoch gegenüber der Krankenkasse einen Erstattungsanspruch haben.
- Der erstattungspflichtige Träger kann nicht einwenden, er hätte die Sachleistung preiswerter als der erstattungsberechtigte Träger erbringen können, weil er mit den Leistungserbringern niedrigere Vergütungssätze vereinbart habe.
Tenor: |
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- Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 16.771 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozent seit dem 1.1.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Kostenerstattung für Leistungen, die er von Januar bis Mai 2019 zugunsten eines Versicherten der Beklagten erbracht hat.
Der bei der Beklagten krankenversicherte T.R. wurde am xx.xx.2013 geboren. Seit dem 1.2.2018 besuchte er den Kindergarten S. in G..
Am 20.2.2018 wandte sich die Mutter des Versicherten an den Kläger. Laut Vermerk gab sie an, ihr Sohn sei sehr aktiv. Daher bestehe nach Ansicht der Kindergartenmitarbeiter „Bedarf an einer zusätzlichen Kraft im Rahmen der integrativen Hilfe“. Außerdem leide ihr Sohn an Diabetes mellitus Typ I.
Mit Schreiben vom 22.2.2018 forderte der Kläger daraufhin von den Eltern des Versicherten Unterlagen an. Diese gingen am 26.4.2018 ein.
Am 16. und 31.10.2018 verordnete die Ärztin für Allgemeinmedizin W. dem Versicherten für die Zeit vom 16.10.2018 – 9.8.2019 häusliche Krankenpflege in Form von „Auftragspflege im Kindergarten S.“, und zwar von Montag bis Freitag jeweils von 8:30 – 14:30 Uhr. Der Versicherte leide an Diabetes mellitus Typ I, so die Ärztin. Die Pflegekraft solle einerseits überwachen, ob zu hohe oder niedrige Blutzuckerwerte aufträten, andererseits bei Bedarf die Insulinpumpe betätigen.
Mit Bescheid vom 27.11.2018 bewilligte der Kläger dem Versicherten häusliche Krankenpflege im verordneten Umfang, mit einem Stundensatz von 35,74 €. Zur Begründung gab er an, beim Versicherten schwanke der Blutzuckerspiegel stark. Aufgrund dessen müsse der Spiegel regelmäßig kontrolliert werden. Je nach Messwert müsse der Versicherte dann etwas essen oder Insulin erhalten. Wegen seines kindlichen Alters sei der Versicherte weder in der Lage, Symptome der Über- oder Unterzuckerung zu erkennen, noch dazu, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere Kohlehydrateinheiten und Insulinmenge zu berechnen. Vor diesem Hintergrund benötige er zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V. Die bewilligte Leistung umfasse die Kontrolle des korrekten Sitzes von Insulinsensor und Insulinpumpe nach jeder körperlichen Aktivität und jedem Toilettengang, Blutzuckermessung, Berechnung der erforderlichen Insulinmenge und Verabreichung über die Insulinpumpe sowie Überwachung und ggf. Vorbereitung der Nahrung. Der Bedarf des Versicherten bestehe rund um die Uhr, also unabhängig vom Besuch des Kindergartens. Angesichts dessen handele es sich eigentlich um eine Leistung der Krankenversicherung. Dennoch bewillige er, der Kläger, als erstangegangener Träger nach § 14 Abs. 2 SGB IX die Leistung.
In der Folgezeit erbrachte die Fa. P. die bewilligte häusliche Krankenpflege. Für die Monate Januar bis Mai 2019 stellte sie dem Kläger hierfür insgesamt 16.806,74 € in Rechnung (Rechnungen vom 15.2.2019 über 3502,52 €, vom 13.3.2019 über 2466,06 €, vom 2.5.2019 über 3716,96 € sowie vom 10.7.2019 über 3940,34 € und 3180,86 €). Dabei setzte die Fa. P. jeweils einen Stundensatz von 35,74 € an. Nach Kürzung der ersten Rechnung (auf 3466,78 €) zahlte der Kläger dem Pflegedienst insgesamt 16.771 €.
Mit mehreren Schreiben (erstmals vom 27.11.2018) forderte der Kläger die Beklagte zur Erstattung seiner Aufwendungen auf.
Das lehnte die Beklagte mit mehreren Schreiben (erstmals vom 11.12.2018) ab. Zur Begründung gab sie im Wesentlichen an, würden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stelle gemäß § 14 Abs. 1 SGB IX der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig sei. Im vorliegenden Fall habe die Mutter des Versicherten bereits bei Antragstellung am 20.2.2018 auf die Diabetes-Erkrankung ihres Sohnes hingewiesen. Schon zu diesem Zeitpunkt sei dem Kläger also die mögliche Beteiligung eines weiteren Trägers bekannt gewesen. Dennoch habe er den Antrag nicht weitergeleitet. Angesichts dessen scheide nun ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X aus.
Mit der am 21.12.2022 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, der Versicherte habe einen Anspruch auf die erbrachten Leistungen gehabt, und zwar vorrangig gegenüber der Beklagten. Es habe sich um häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V gehandelt, die auch im Kindergarten möglich sei. Angesichts dessen habe er, der Kläger, gemäß § 104 SGB X einen Erstattungsanspruch. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Anspruch nicht dadurch ausgeschlossen, dass er, der Kläger, den Antrag des Versicherten nicht weitergeleitet habe: Die Regelungen des § 14 SGB IX dienten dazu, im Außenverhältnis zum Antragsteller schnell die Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers zu begründen. Hingegen schlössen sie einen etwaigen Erstattungsanspruch des leistenden Trägers nicht aus – auch dann nicht, wenn er den Antrag nicht weiterleite. Andernfalls bestünde für den erstangegangenen Träger ein starker Anreiz, schon bei geringsten Zweifeln an der eigenen Zuständigkeit und ggf. unter fadenscheinigen Vorwänden den Antrag weiterzuleiten. Das wiederum würde zu einer Verzögerung der Bearbeitung führen, also den Gesetzeszweck konterkarieren. Im vorliegenden Fall habe er, der Kläger, erst am 28.4.2018 nach Vorlage eines ärztlichen Gutachtens des Städtischen Klinikums F. erkannt, dass es dem Versicherten in der Sache um häusliche Krankenpflege gehe. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Weiterleitung des Antrags nicht mehr möglich gewesen. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich gemäß § 104 Abs. 3 SGB X nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Der Beklagten wären für die Leistungen die gleichen Kosten entstanden wie ihm; sie hätte den Versicherten nicht preiswerter versorgen können. Der Zinsanspruch ergebe sich für die Zeit ab dem 1.12.2018 aus § 108 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 3 S. 1 SGB I und für die Zeit ab Rechtshängigkeit aus den §§ 288, 291 BGB.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm 16.771 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von vier Prozent seit dem 1.12.2018 sowie neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt nun vor, der Kläger habe wohl innerhalb der 2-Wochen-Frist nicht erkennen können, ob er zuständig sei. Daher sei § 104 SGB X grundsätzlich anwendbar. Gleichwohl habe der Kläger ihr gegenüber keinen Erstattungsanspruch: Unstreitig sei es erforderlich gewesen, den Versicherten engmaschig zu beobachten, um Schwankungen seines Blutzuckerwertes zu erkennen; außerdem habe der Wert bei jeder Mahlzeit gemessen, die erforderliche Insulinmenge berechnet und das Insulin über die Pumpe zugeführt werden müssen. All diese Maßnahmen erforderten aber keine medizinische Ausbildung. Statt durch eine examinierte Fachkraft hätten sie auch durch eine Integrationshilfe erbracht werden können. Im Übrigen hätten die Leistungen dazu gedient, dem Versicherten den Besuch eines Kindergartens zu ermöglichen, also die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Es habe sich demnach um keine häusliche Krankenpflege gehandelt, sondern um eine Leistung der Eingliederungshilfe.
Am 19.5.2023 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass es durch Gerichtsbescheid zu entscheiden beabsichtige. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1) Die Klage ist zulässig und ganz überwiegend begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung von 16.771 € (dazu a) zuzüglich Zinsen; allerdings stehen dem Kläger weniger Zinsen zu als von ihm beantragt (dazu b).
a) Der Erstattungsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 104 SGB X. Diese Vorschrift ist hier anwendbar (dazu aa). Ihre Voraussetzungen sind erfüllt (dazu bb). Daraus folgt die Pflicht der Beklagten, dem Kläger 16.771 € zu erstatten (dazu cc).
aa) Entgegen der (anfänglichen) Auffassung der Beklagten findet § 104 SGB X im vorliegenden Fall grundsätzlich Anwendung – trotz unterbliebener Weiterleitung des Antrags durch den Kläger.
Die Regelung wird nicht durch § 16 SGB IX verdrängt oder ausgeschlossen: Zwar begründet § 16 Abs. 1 SGB IX einen speziellen und vorrangigen Erstattungsanspruch, allerdings nur für einen zweitangegangenen Träger, an den ein Antrag weitergeleitet wurde; ein erstangegangener Träger – so wie hier der Kläger – kann sich hingegen auf § 104 SGB X berufen (BSG, Urteil vom 11.9.2018, B 1 KR 6/18 R, Rdnr. 10 – nach Juris). Einen Ausschluss regelt § 16 Abs. 4 SGB IX lediglich für § 105 SGB X, nicht aber für § 104 SGB X (BSG, a.a.O., Rdnr. 9 – nach Juris).
Hat der erstangegangene Träger seine Zuständigkeit zunächst bejaht und deshalb den Antrag innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht weitergeleitet, muss er später die Möglichkeit haben, vom eigentlich zuständigen Träger Erstattung seiner Aufwendungen zu verlangen. Denn sonst wäre der erstangegangene Träger gehalten, schon beim geringsten Verdacht seiner Unzuständigkeit den Antrag weiterzuleiten. Das widerspräche dem gesetzlichen Zweck des § 14 SGB IX, im Außenverhältnis zum Antragsteller schnell eine Zuständigkeit zu begründen (BSG, a.a.O., Rdnr. 13 – nach Juris). Anders verhält es sich nur, wenn der erstangegangene Träger seine Zuständigkeit verneint und den Antrag trotzdem nicht weiterleitet, also zielgerichtet in die Zuständigkeit eines anderen Trägers eingreift; dann ist ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen (BSG, a.a.O., Rdnr. 15 – nach Juris).
Im vorliegenden Fall hat der Versicherte (durch seine Mutter) am 20.8.2018 beim Kläger einen Antrag gestellt. In der Sache ging es ihm um häusliche Krankenpflege. Allerdings war dies zunächst nicht ohne weiteres zu erkennen; vielmehr war der Antrag mehrdeutig: Die Mutter des Versicherten gab darin an, ihr Sohn sei sehr aktiv. Nach Ansicht der Kindergartenmitarbeiter bestehe daher „Bedarf an einer zusätzlichen Kraft im Rahmen der integrativen Hilfe“. Den medizinischen Sachverhalt, nämlich den Diabetes mellitus Typ I, erwähnte sie eher beiläufig. Erst am 16.3.2018 erhielt der Kläger weitere Informationen. Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Annahme, der Kläger habe schon vor Ablauf der 2-Wochen-Frist gewusst, dass er für die Leistung nicht zuständig sei. Das sieht mittlerweile auch die Beklagte so.
bb) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X sind erfüllt.
Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (§ 104 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X).
(1) Ein Anspruch auf Erstattung nach dieser Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn die erbrachte Leistung rechtmäßig war (BSG, a.a.O., Rdnr. 24 – nach Juris).
Das war hier der Fall: Der Versicherte hatte einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege (dazu (a)). Obwohl hierfür materiell nicht zuständig, musste der erstangegangene Kläger diesen Anspruch erfüllen (dazu (b)).
(a) Versicherte erhalten u.a. in Kindergärten als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn dies zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB V). Zur Behandlungspflege gehören Maßnahmen, wenn sie wegen einer bestimmten Krankheit notwendig und auf deren Behandlung ausgerichtet sind, also dazu beitragen sollen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Maßnahmen werden typischerweise nicht von Ärzten erbracht, sondern von medizinischen Hilfskräften oder von Laien (BSG, Urteil vom 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R, Rdnr. 14 – nach Juris). Krankenbeobachtung, Blutzuckermessung und Insulingabe gehören zu den möglichen Maßnahmen der Behandlungspflege (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.7.2022, L 5 KR 2686/21, Rdnr. 40 – nach Juris).
Wie sich aus dem ärztlichen Gutachten des Städtischen Klinikums F. vom 2.3.2018 sowie dessen Arztbrief vom 26.9.2018 ergibt, bestand beim Versicherten ein Diabetes mellitus Typ I mit schwankenden Blutzuckerwerten, der eine kontinuierliche Versorgung mit Insulin erforderte. Bei jeder Mahlzeit musste der Blutzuckerwert gemessen, die Insulinmenge berechnet und sodann über eine Insulinpumpe abgegeben werden. Wichtig war zudem, dass der Versicherte eine genau vorgegebene Menge aß, und das wiederum nur zu bestimmten Zeitpunkten – also nicht zwischendurch naschte. Darüber hinaus bestand bei körperlicher Aktivität die Gefahr einer Unterzuckerung, auf die durch schnelle Gabe von Kohlehydraten (z.B. Traubenzucker) reagiert werden musste.
Aufgrund seines geringen Alters war der Versicherte weder in der Lage, eine etwaige Unterzuckerung zu erkennen, noch dazu, die anderen Maßnahmen selbst durchzuführen. Er benötigte also Hilfe, inklusive einer engmaschigen Beobachtung. Nach Einschätzung des Städtischen Klinikums im Gutachten vom 6.3.2018, der das Gericht folgt, war die gebotene intensive Betreuung und Beobachtung des Versicherten nicht durch die allgemeine „Mitbetreuung“ im Rahmen der Kindergartengruppe gewährleistet; vielmehr bedurfte es einer zusätzlichen Hilfskraft, die sich ausschließlich um den Versicherten kümmerte (so das Klinikum). Der Kindergartenträger war nicht verpflichtet, eine solche Hilfskraft zu stellen. Vor diesem Hintergrund handelte es sich bei der bewilligten und erbrachten Leistung um erforderliche Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V, unabhängig davon, ob die Leistung durch eine examinierte Pflegekraft durchgeführt werden musste.
(b) Im Außenverhältnis zum Versicherten war der Kläger für die Leistung zuständig.
Leitet der erstangegangene Träger – so wie hier – einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX weiter, wird er gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX umfassend für alle Rehabilitationsleistungen zuständig, also auch für solche, für die er eigentlich keine originäre Zuständigkeit hat (BSG, Urteil vom 28.11.2019, B 8 SO 8/18 R, Rdnr. 13 – nach Juris). Allerdings löst nicht jeder bei einem Rehabilitationsträger gestellte Antrag die Rechtsfolgen des § 14 SGB IX aus, sondern nur ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe (Sächsisches LSG, Urteil vom 21.4.2021, L 1 KR 539/17, Rdnr. 43 – nach Juris). Zu den Leistungen zur Teilhabe gehören gemäß § 42 SGB IX u.a. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation – nicht hingegen Leistungen zur Krankenbehandlung nach dem SGB V. Die Aufzählung der medizinischen Reha-Leistungen in § 42 Abs. 2 SGB IX ist nicht abschließend (Oppermann in: Hauck/Noftz, SGB IX, § 42 Rdnr. 24). Ob eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation oder der Krankenbehandlung zuzuordnen ist, bemisst sich vor allem nach ihrem Ziel: Während die Krankenbehandlung primär auf die Behebung der Krankheit ausgerichtet ist, zielt die Rehabilitation eher auf die Behinderung, also Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen als Folge der Krankheit (Oppermann, a.a.O., Rdnr. 21; Nellissen in: jurisPK-SGB IX § 42 Rdnr. 24; Luik in: LPK-SGB IX, 6. Aufl., § 42 Rdnr. 9).
Im vorliegenden Fall dienten die streitigen Leistungen in keiner Weise dazu, den Diabetes mellitus Typ I des Versicherten zu heilen. Vielmehr sollte dem Versicherten ermöglicht werden, trotz seiner Erkrankung und den damit verbundenen Gefahren und Einschränkungen den Kindergarten zu besuchen. Der Schwerpunkt lag also darin, die (sozialen) Folgen der Krankheit so gering wie möglich zu halten. Dies ist ihrem Wesen nach eine Leistung der medizinischen Rehabilitation – und keine Krankenbehandlung.
Die abweichende Auffassung des Sächsisches LSG (a.a.O., Rdnr. 44 – nach Juris) vermag nicht zu überzeugen: Das LSG argumentiert, Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V setze voraus, dass sie „zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung“ erforderlich sei – woraus sich ohne weiteres ihr kurativer Charakter ergebe. Dabei übersieht das LSG indes, dass nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX auch die Behandlung durch Ärzte eine Leistung der medizinischen Rehabilitation sein kann. Gleiches muss dann für Leistungen gelten, die der Sicherung der ärztlichen Behandlung dienen – so wie hier die Behandlungspflege.
(2) Der Versicherte war Mitglied der Beklagten. Angesichts dessen hatte er ihr gegenüber ebenfalls einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V in Gestalt der erbrachten Leistungen. Der Anspruch gegenüber der Beklagten und der vom Kläger erfüllte Anspruch waren sachlich, zeitlich und persönlich kongruent (wie dies § 104 SGB X voraussetzt, BSG, Urteil vom 11.9.2018, B 1 KR 6/18 R, Rdnr. 28 – nach Juris). Vorrang hatte der Anspruch gegenüber der Beklagten (vgl. § 91 Abs. 1 SGB IX).
(3) Ein Fall nach § 103 Abs. 1 SGB X besteht hier nicht. Denn der Anspruch des Versicherten gegen den Kläger ist nicht nachträglich entfallen.
(4) Die Beklagte hat auch nicht geleistet, bevor sie von der Leistung des Klägers Kenntnis erlangt hat. Vielmehr hat die Beklagte gar keine Leistung erbracht.
cc) Sind – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X erfüllt, richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs. 3 SGB X). Der vorrangig verpflichtete Leistungsträger muss also nicht mehr erstatten, als er bei Leistung an den Berechtigten hätte zahlen müssen (Pattar in: jurisPK-SGB X, § 104 Rdnr. 47). Geht es nicht um eine Geld-, sondern eine Sachleistung, kann der erstattungspflichtige Träger allerdings nicht einwenden, er hätte die Sachleistung preiswerter als der erstattungsberechtigte Träger erbringen können, weil er mit den Leistungserbringern niedrigere Vergütungssätze vereinbart habe (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.4.2015, L 8 AL 2430/12, Rdnr. 75 – nach Juris; Böttiger in: LPK-SGB X, 6. Aufl., § 104 Rdnr. 34).
Ebenso wie der Kläger hätte die Beklagte nach den für sie geltenden Rechtsvorschriften Behandlungspflege als Sachleistung erbringen (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V) und hierfür Verträge mit Leistungserbringern schließen müssen (§ 2 Abs. 2 S. 3 SGB V). Ihr wären also prinzipiell die gleichen Kosten entstanden wie dem Kläger. Der Kläger hat dem Leistungserbringer, der Fa. P., für die Behandlungspflege von Januar bis Mai 2019 insgesamt 16.771 € gezahlt. Diesen Betrag muss die Beklagte daher erstatten.
b) Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch auf Zinsen, allerdings in geringerem Umfang als von ihm beantragt: Zinsen nach § 108 Abs. 2 SGB X kann er erst ab dem 1.1.2022 beanspruchen (dazu aa); Prozesszinsen stehen ihm gar nicht zu (dazu bb).
aa) Ein Erstattungsanspruch des Trägers der Eingliederungshilfe ist vom anderen Leistungsträger für den Zeitraum nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen, den gesamten Erstattungszeitraum umfassenden Erstattungsanspruchs beim zuständigen Erstattungsverpflichteten bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung auf Antrag mit vier Prozent zu verzinsen (§ 16 Abs. 6 SGB IX i.V.m. § 108 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB X). Der Erstattungsanspruch ist erst dann „vollständig“, wenn der Träger der Eingliederungshilfe den Erstattungsbetrag beziffert (Burkiczak in: jurisPK-SGB X, § 108 Rdnr. 35.
Im vorliegenden Fall hatte der Kläger zwar bereits mit Schreiben vom 27.11.2018 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch geltend gemacht und diesen in der Folgezeit mit mehreren Schreiben begründet. Beziffert hat der Kläger seine Forderung aber erstmals mit Schreiben vom 3.11.2021. Angesichts dessen beginnt die Verzinsung erst mit dem 1.1.2022.
bb) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Prozesszinsen. Im Sozialrecht gibt es hierfür keine Rechtsgrundlage. Mangels einer planwidrigen Regelungslücke scheidet eine analoge Anwendung des § 291 BGB aus (BSG, Urteil vom 2.2.2010, B 8 SO 22/08 R, Rdnr. 9 – nach Juris; Burkiczak, a.a.O., Rdnr. 48).
2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Der Kläger ist nur zu einem geringen Teil unterlegen. Angesichts dessen macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, der Beklagten die Kosten ganz aufzuerlegen.