1. Ein von einer Behörde übersandtes Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 65d SGG und wahrt die Formvorschriften für die Berufung nicht.
2. Das SGG trifft in §§ 65 ff. SGG Regelungen zu den elektronischen Dokumenten. Ergänzende Regelungen ergeben sich aus der aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 65a Abs. 2 Satz 2 SGG erlassenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach - Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV).
3. Die Übermittlung per Telefax erfolgt auf keinem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 65a Abs. 4 SGG.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Bewegungseinschränkung der rechten Schulter nach Schädigung der Rotatorenmanschette infolge eines Arbeitsunfalls des Klägers vom 29. Januar 2021 umstritten, bei dem er an einer Maschine hängenblieb und stürzte.
Er ist 1961 geboren, hat nach der Hauptschule eine Lehre zum Schreiner absolviert und sich – nach Tätigkeit in diesem Beruf – 1991 zum Meister qualifiziert. Danach erwarb er noch die Qualifikation eines Betriebswirts im Handwerk und ist seit Februar 2017 vollschichtig als Maschinenbediener in einer Möbelfabrik tätig. Der Kläger ist verheiratet, hat zwei Kinder und bewohnt mit seiner Familie ein 120 m2 großes Eigenheim. Haus und Garten werden von den Eheleuten gemeinsam versorgt (vgl. Anamnese H1).
In der Unfallanzeige der Arbeitgeberin wurde angegeben, dass der Kläger am 29. Januar 2021 auf dem Weg von der Keilzinkanlage zur Breitenverleimung gewesen sei. Dabei sei er mit der Hosentasche an einer Ecke hängengeblieben. Der Kläger habe versucht, sich mit einem Schritt nach vorne abzufangen, sei über die am Boden befestigte Kabelbrücke gestolpert und auf seine Schulter geflogen.
F1 gab im Durchgangsarztbericht vom 29. Januar 2021 an, dass der Kläger an einer Maschine hängengeblieben sei und sich mit dem rechten Arm habe abfangen wollen. Dabei habe er Schmerzen in der rechten Schulter gespürt. Bei Aufnahme sei der rechte Arm in Schonhaltung hängen gelassen worden. Die periphere Durchblutung, die Motorik und die Sensibilität seien intakt gewesen. Schmerzen würden am rechten oberen Schulterrand und flächig am vorderen Schulterbereich angegeben. Der Arm habe nicht aktiv zur Seite oder nach vorne angehoben werden können, mit der rechten Hand sei gerade so das Kreuzbein zu erreichen gewesen. Der Nackengriff sei nicht möglich, bei passiver Anhebung des rechten Armes nach vorne oder zur Seite würden Schmerzen angegeben. Die Sonografie habe keinen relevanten Gelenkerguss gezeigt, soweit einsehbar sei der hintere Anteil des Labrums intakt, es bestehe der Verdacht auf eine Ruptur der Supraspinatussehne. Ein Hinweis auf eine frische knöcherne Verletzungsfolge ergebe sich nicht.
Im Verlaufsbericht vom 3. Februar 2021 wurden unveränderte Schmerzen an der rechten Schulter mit der Unfähigkeit den Arm anzuheben beschrieben. Die Kernspintomographie (MRT) der rechten Schulter vom 1. Februar 2021 (S1, Z1 -Klinikum) zeigte eine vollständige Ruptur der Supraspinatussehne, eine intraartikuläre nahezu vollständige Ruptur der langen Bizepssehne, eine ausgeprägte SLAP-Läsion sowie eine Partialruptur der Infraspinatussehne.
S2 legte im Verlaufsbericht vom 9. Februar 2021 dar, dass der Kläger berichtet habe, zwischen zwei Maschinen gestolpert zu sein und sich hierbei mit dem ausgestreckten Arm versucht zu haben, sich an einem ca. 60 cm hohen Gegenstand abzufangen. Hierbei sei es zu einem forcierten ARO-Trauma mit massiv einschießendem Schmerz im Bereich des rechten Schultergelenks gekommen. Es bestehe die Indikation zur operativen Versorgung. Die MRT vom 9. Februar 2021 (Radiologische Gemeinschaftspraxis L1) zeige eine ausgedehnte Supraspinatussehnen-Ruptur sowie eine Ruptur der Infraspinatussehne mit deutlicher Retraktion sowie fortgeschrittener Atrophie und bereits beginnender intramuskulärer Verfettung.
Der D1 führte beratungsärztlich aus, dass die MRT eine knöcherne hypertrophe Arthrose des AC-Gelenks mit fortgeschrittener Läsion der Rotatorenmanschette, insbesondere vollständiger Ruptur der Supraspinatussehne zeige. Verletzungsspezifische Begleitverletzungen seien trotz des relativ kurzen Zeitraums zwischen dem Unfallereignis und der MRT-Untersuchung nicht festzustellen. Aus diesem Grunde und aufgrund der Befundkonstellation, insbesondere der bereits ausgeprägten muskulären Artrophie des Supraspinatus, seien die Schäden dem Unfallereignis vom 29. Januar 2021 zeitlich vorzuordnen. Mit Schreiben vom 10. März 2021 brach die Beklagte die Behandlung gegenüber der Orthopädischen Klinik M1 (OKM) und der Sportklinik R1 ab.
Mit Bescheid vom 11. März 2021 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 29. Januar 2021 als Arbeitsunfall und eine folgenlos ausgeheilte Zerrung der rechten Schulter als Unfallfolge an.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2021 zurück. Der vorliegende Befund im Bereich der rechten Schulter beschreibe – abgesehen von der erlittenen Zerrung – lediglich degenerative, schicksalsmäßige Veränderungen und lasse sich nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den beschriebenen Hergang zurückführen.
Am 21. Juni 2021 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung die radiologischen Aufnahmen und das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse (AOK B1) beigezogen hat.
Weiterhin hat das SG von Amts wegen das orthopädische Sachverständigengutachten des D2 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 12. November 2021 erhoben. Dieser hat ausgeführt, dass der Kläger auf die Frage, was beim Versuch des Festhaltens mit der rechten Hand mit dem rechten Arm passiert sei, geantwortet habe, dies nicht zu wissen. Es sei alles so schnell gegangen. Er habe sich noch mit der rechten Hand auf Hüfthöhe festgehalten und sei dann nach vorne auf die linke Körperseite, auf das Schultergelenk und auf das Hüftgelenk gestürzt. Ob er mit der rechten Hand losgelassen habe, wisse er nicht mehr. Diese Angaben entsprächen nicht denen in der Verwaltungsakte, wo von einem leicht abduzierten Arm berichtet werde. Es sei deshalb festzustellen, dass der genaue Unfallmechanismus mit den daraus resultierenden Krafteinwirkungen auf das rechte Schultergelenk unbekannt sei.
Bei der vergleichenden Inspektion der Schultergürtel von bauchseits bestehe kein erkennbarer Seitenunterschied in der Ausprägung der Schulterkappenmuskulatur, bei vergleichender Inspektion der Schultergürtel von rückenseitig sei die Schultergürtelmuskulatur rechts diskret vermindert. Die Muskulatur im Bereich der Ober- und Unterarme sowie im Bereich der Hände erscheine seitengleich ausgeprägt, die Umfangsmessung ergebe eine um 1 cm vermehrte Muskelmehrbemantelung des rechten Unterarms und einen um 0,5 cm vermehrten Umfang der rechten Mittelhand. Die Durchblutung beider Arme und Hände, Haut-Behaarung, Haut-Fältelung und Haut-Farbe seien seitengleich regelrecht. Über der rechten Schulterkappenmuskulatur befänden sich an typischer Stelle drei kleine abheilte Operationsnarben. Die aktive Vorwärtshebung des rechten Armes sei bis 60° durchgeführt worden. Bei Aufforderung, die Vorwärtsanhebung des rechten Armes im Schultergelenk durch Unterstützung der linken Hand zu vergrößern, werde diese bis 90° möglich. Beim Versuch die passive Vorwärtshebung zu überprüfen, habe der Kläger ab 70° aktiv dagegen gedrückt.
Die radiologisch sichtbar gewordene Verfettung der Supraspinatusmuskulatur beweise eine gravierende degenerative Vorschädigung der Supraspinatussehne. Auch der Abriss der Supraspinatussehne an ihrem knöchernen Ansatz spreche gegen eine unfallbedingte (traumatische) Zerreißung der Supraspinatussehne, da eine solche zum einen mit einer sogenannten „Sehnenwelle“ und zum anderen mit dem Verbleiben eines Sehnenstumpfes am Tuberculum maius korreliere. Die wesentliche Teilursächlichkeit für die Supraspinatussehnenzerreißung stellten die unfallunabhängigen degenerativen Vorschäden der Supraspinatussehne dar. Deshalb seien biomechanische Überlegungen einer Supraspintussehnenzerreißung überflüssig, dies aber auch deshalb, weilt der Unfallmechanismus nicht rekonstruiert werden könne.
Die bei der jetzigen Untersuchung vorgeführten Bewegungseinschränkungen im rechten Schultergelenk sowie die Kraftminderungen könnten nicht dem streitgegenständlichen Unfallereignis zugeordnet werden. Zu betonten sei, dass die vorgeführte massiv ausgeprägte Kraftminderung der rechten Hand dem objektiven Befund einer rechts stärker als links ausgeprägten Unterarmmuskulatur widerspreche. Da keine unfallbedingten Gesundheitsstörungen vorlägen, entfalle eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgerichtsgesetz (SGG) hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des H1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 25. April 2022 erhoben.
Der operative Eingriff sei am 31. März 2021 in der OKM durchgeführt worden. Nach dem vorliegenden Operationsbericht habe sich nach einer partiellen Synovektomie der Befund einer intakten Subskapularissehne, einer fortgeschrittenen transmuralen Ruptur der Supraspinatussehne und einer in den oberen Anteilen transmural rupturierten und fortgeschrittenen retrahierten Infraspinatussehne gezeigt. Der Zügelapparat der langen Bizepssehne sei laut OP-Bericht doch beschädigt. Die lange Bizepssehne sei nahe des Bizepssehnenankers hochgradig partiell rupturiert. Das Schultergelenk selbst habe keine relevanten Knorpelschäden gezeigt. Das Labrum sei unauffällig. Eine histologische Untersuchung des Sehnengewebes sei offensichtlich nicht erfolgt. Am 3. Januar 2022 sei in M2 ein Revisionseingriff aufgrund einer Re-Ruptur erfolgt. Der erneute Defekt sei wieder verschlossen worden, allerdings nicht ausschließlich mittels einer Naht, sondern mithilfe eines Transplantates.
Die Beweglichkeit des rechten Schultergelenks sei noch deutlich eingeschränkt. Der Kläger demonstriere eine aktive Beugung nach vorne und eine seitliche Abspreizung um jeweils etwa 60° bis 70°. Auch die aktive Einwärtsdrehung sei eingeschränkt, der rechte Handrücken erreiche noch die rechte Gesäßhälfte. Zu anhaltenden Sensibilitätsstörungen in der rechten oberen Gliedmaße sei es zu keinem Zeitpunkt gekommen. Die grobe Kraft in der rechten Hand sei nur geringfügig beeinträchtigt, problematisch seien aktive Bewegungen in der rechten Schulter gegen Widerstände.
Der Kläger habe keine Vorbeschwerden in der rechten Schulter angegeben, das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse weise keine entsprechenden Behandlungen der Schulter auf.
Der Kläger selbst schildere einen Sturz nach vorne, den er mit der rechten Hand abgefangen habe. Im D-Arztbericht sei lediglich von einem Abfangen mit dem rechten Arm die Rede. Wie üblich fänden sich keine sehr detaillierten Informationen über den Ereignisablauf. Aufgrund der vorliegenden Informationen sei aber davon auszugehen, dass der Kläger tatsächlich gestürzt sei. Aus gutachterlicher Sicht ließen sich aus den Informationen keine Betrachtungen über die biomechanische Belastung der Rotatorenmanschette anstellen. Es könne aber zumindest gefolgert werden, dass das geschilderte Ereignis prinzipiell keiner Alltagsbelastung entsprochen habe und es generell geeignet erscheine, alle möglichen Schäden an der rechten Schulter zu verursachen (Kapselbandverletzung, Muskelsehnenverletzung, Knorpel- Knochenschäden etc.).
Die akut aufgetretene ausgeprägte Schmerzsymptomatik in Verbindung mit einer Funktionsstörung seien Hinweise, aber keine sicheren Beweise für die relevante Unfallschädigung. Der D-Arztbericht sei relativ sparsam formuliert. Es sei von einer deutlichen Bewegungseinschränkung in der rechten Schulter die Rede, Details ließen sich keine entnehmen. Eine akute deutliche Bewegungseinschränkung in der rechten Schulter sei ebenfalls ein typischer, aber nicht beweisender Hinweis auf einen Unfallschaden.
Die Funktionsstörung der rechten Schulter sei teilursächlich auf das geschilderte Ereignis zurückzuführen. Die Wirbelsäulen- und die Hüftveränderungen hätten mit dem Unfall nichts zu tun. Aufgrund des radiologischen Bildes sei davon auszugehen, dass der Kläger bereits zum Unfallzeitpunkt degenerative Schäden in der Rotatorenmanschette gehabt habe, die die biomechanische Festigkeit der Rotatorenmanschette beeinträchtigt habe. Die Verfettung der Muskulatur sei vereinbar mit einer Teilrissbildung der Rotatorenmanschette schon vor dem Unfall. Diese Gesundheitsstörungen seien von annähernd gleichwertiger, keinesfalls nur von untergeordneter Bedeutung, ebenso das geschilderte Ereignis. Die Funktionsstörungen im Bereich der rechten Schulter seien mit einer MdE von 25 v. H. zu bewerten.
Zu dem Sachverständigengutachten des D2 bestünden erhebliche Meinungsunterschiede. Er stimme mit diesem überein, dass es unsinnig sei, allein aufgrund von vagen Unfallschilderungen den Versuch zu unternehmen, eine detaillierte biomechanische Analyse zu versuchen, die dann abschließend darüber entscheiden solle, ob der nach dem Ereignis nachgewiesene Körperschaden dem Ereignis anzulasten sei. Er –H1 – gehe aber nicht davon aus, dass die Unfallanalyse völlig außer Acht gelassen werden sollte. Er stimme mit D2 weiterhin überein, dass beim Kläger zum Unfallzeitpunkt degenerative relevante Vorschäden in der Rotatorenmanschette bestanden hätten, die dann zu einer Verfettung der dazugehörigen Muskulatur geführt hätten. Im Gegensatz zu D2 gehe er aber nicht davon aus, dass es nur eine wesentliche Teilursächlichkeit gebe. D2 lasse die Frage unbeantwortet, weshalb der Kläger bis zum Unfallzeitpunkt offensichtlich ohne Fehlzeiten seine körperlich belastende Arbeit habe verrichten können. Es werde aus dem Sachverständigengutachten nicht völlig klar, ob D2 in Frage stelle, dass der kernspintomographisch nachgewiesene Strukturschaden der Rotatorenmanschette bereits vor dem Ereignis bestanden habe. Selbst wenn aber von einem Vorschaden der Rotatorenmanschette ausgegangen werde, sei es erst nach dem Ereignis zu einer Funktionseinbuße gekommen.
Die Erwerbsfähigkeit des Klägers habe sich also offenbar zum Zeitpunkt des Ereignisses schlagartig verändert. Wenn er als Nichtjurist den Sachverhalt richtig bewerte, stehe aber die Erwerbsfähigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Sozialpolitisch und damit auch sozialrechtlich gehe es also nicht primär um die strukturelle Integrität der Rotatorenmanschette. Selbst wenn also davon ausgegangen würde, dass bereits zum Unfallzeitpunkt der später beschriebene Rotatorenmanschettendefekt bestanden habe, sei trotzdem der Frage nachzugehen, ob das Ereignis nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Funktions-/Erwerbsfähigkeit unabhängig von strukturellen Schäden geführt haben könne. Vor diesem Hintergrund sei wiederum nicht unbedeutend, das geschilderte Ereignis selbst zu berücksichtigen. D3 beschreibe degenerative Veränderungen des Sehnengewebes und eine Verfettung der Muskulatur, die aus radiologischer Sicht auf einen Vorschaden hinwiesen. Dieser Auffassung sei zu folgen, daraus könne aber nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, wonach dies einen Zusatzschaden durch das Unfallereignis, der für die Funktion der rechten Schulter von überragender Bedeutung gewesen sei, ausschließe.
Die Beklagte ist den Ausführungen des Sachverständigen entgegengetreten.
Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. November 2022 hat das SG die Beklagte verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 11. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2021 als weitere Unfallfolge eine Bewegungseinschränkung der rechten Schulter nach Schädigung der Rotatorenmanschette und der langen Bizepssehne anzuerkennen.
Am 20. Dezember 2022 hat die Beklagte per Telefax und mit am 23. Dezember 2022 eingegangenem Schriftsatz postalisch Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. November 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht formwirksam erhoben worden sein dürfte, nachdem diese nicht durch elektronisches Dokument erfolgt sei. Hierzu hat die Beklagte geltend gemacht, dass es bei einem Telefax auch um ein elektronisches Dokument handele, sodass die Berufung formgerecht erhoben sei. Das Papierdokument werde in ein Telefaxgerät eingeführt und dort zunächst einmal elektronisch eingelesen, schlussendlich auf elektronischem Wege übermittelt. Ausweislich des reinen Wortlauts des § 65s SGG sei eine anderweitige und insbesondere einschränkende Auslegung dagegen abwegig. Allein der Begriff des „elektronischen Dokuments“ eröffne eine solche Eingrenzung jedenfalls nicht.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist unzulässig und deshalb zu verwerfen (§ 158 Satz 1 SGG).
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 16. November 2022, mit dem die Beklagte auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) verpflichtet worden ist, unter Abänderung des Bescheides vom 11. März in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95) vom 26. Mai 2021 eine Bewegungseinschränkung der rechten Schulter nach Schädigung der Rotatorenmanschette und der langen Bizepssehne anzuerkennen.
Die Berufung der Beklagten wahrt die Formvorschriften des § 65d Abs. 1 SGG in seiner ab 1. Januar 2022 geltenden Fassung nicht, sodass sie nicht formwirksam erhoben worden ist. Dieser bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Ab dem 1. Januar 2022 sind damit insbesondere Rechtsanwälte und Behörden zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments verpflichtet, die Einreichung als Schriftstück oder Telefax ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wirksam (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Februar 2022 – B 5 R 198/21 B –, juris, Rz. 5). Dies wird aus der Gesetzesbegründung, zum inhaltlich gleichlautenden § 130d Zivilprozessordnung [ZPO], deutlich. Danach führt die Regelung eine Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte und Behörden ein. Nachdem durch § 2 Abs. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften Bundesbehörden verpflichtet wurden, bis Ende 2014 einen elektronischen Zugang zu eröffnen und bis 1. Januar 2020 die Akten elektronisch zu führen, sah es der Gesetzgeber als gerechtfertigt an, Behörden ab dem 1. Januar 2022 zur Nutzung sicherer Übermittlungswege für die Kommunikation mit der Justiz zu verpflichten. Um den elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren, wird eine Pflicht vorgesehen, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Ausdrücklich hingewiesen wird darauf, dass die Einreichung eine Frage der Zulässigkeit und von Amts wegen zu beachten ist. Bei Nichteinhaltung ist die Prozesserklärung nicht wirksam (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 27).
Den Anforderungen des § 65d SGG genügt daher weder das Telefax der Beklagten vom 20. Dezember 2022 noch der im Original postalisch am 23. Dezember 2022 eingegangene Schriftsatz. Anders als die Beklagte meint, trifft das SGG Regelungen zu den elektronischen Dokumenten. § 65 Abs. 1 SGG bestimmt allgemein, dass elektronische Dokumente nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 bei Gericht eingereicht werden können. Nach § 65a Abs. 2 SGG muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein und bestimmt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen. Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden, § 65a Abs. 3 SGG. Als sichere Übermittlungswege bestimmt § 65a Abs. 4 SGG den Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt (Nr. 1), den Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichtetem elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts (Nr. 2), den Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung seines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfachs eine Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts (Nr. 3) und sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet ist (Nr. 4).
Die Beklagte hat mithin weder ein elektronisches Dokument im Sinne der Vorschriften eingereicht, noch sich eines zulässigen Übermittlungsweges bedient. Die Übermittlung als elektronisches Dokument ist eine unverzichtbare und von Amts wegen zu prüfende Wirksamkeitsvoraussetzung, ein nicht als elektronisches Dokument übermittelter Schriftsatz ist nicht formgerecht. Der Formverstoß führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Beschlüsse vom 25. Januar 2023 – IV ZB 7/22 –, juris, Rz. 16 und vom 20. September 2022 – IX ZR 118/22 –, juris, Rz. 14). Abgesehen davon, dass § 65a SGG somit dezidierte Regelungen zu den elektronischen Dokumenten im Sinne des Gesetzes enthält, hat die Bundesregierung die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach – Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung [ERVV] – erlassen, die in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV klar regelt, dass das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln ist. Die Erwägungen der Beklagten dazu, dass das Papierdokument in das Telefaxgerät eingelesen und dann elektronisch übermittelt werde, gehen schon aus diesem Grunde fehl, abgesehen davon, dass es sich um keinen zulässigen Übermittlungsweg handelt.
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Nutzungspflicht zur Vermeidung eines erheblichen Druck- und Scanaufwandes bei den Gerichten führen sollte (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 27), der durch die Übermittlung per Telefax und postalisch im Original vorliegend gerade entstanden ist. Sowohl das vom Faxgerät empfangene und ausgedruckte Telefax wie auch das postalisch nachgesandte Original mussten nämlich zunächst eingescannt und der elektronischen Akte zugeführt werden, sodass genau die Belastung entstanden ist, den das Gesetz vermeiden will.
Ein Telefax stellt auch deshalb kein elektronisches Dokument im Sinne der §§ 65a ff. SGG dar, da auch bei der rein digitalen Übermittlung eines Telefaxes unter Verwendung von Codierungen und Protokollen gerade nicht die beim Absender erstellte unveränderte Datei übertragen wird (vgl.: Müller in: jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl. 2022, § 130a Rz. 77). Im Übrigen hat die Rechtsprechung zum „Computerfax“ darauf abgestellt, dass es zur Erfüllung der gesetzlich erforderlichen Schriftform (vgl. für die Berufung § 151 Abs. 1 SGG) nicht maßgeblich auf die vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im Textverarbeitungs-PC befindliche Datei ankommt, sondern allein auf die durch den Absender veranlasste – am Empfangsort (Gericht) – erstellte körperliche Urkunde (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98 –, juris, Rz. 16). Der durch die erstellte körperliche Urkunde, also den Ausdruck durch das Faxgerät, erzeugte Bearbeitungsaufwand (vgl. oben), soll durch die Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs gerade vermieden werden. Würde die Rechtsauffassung der Beklagten mithin zutreffen, enthielten die Vorschriften über die elektronischen Dokumente keine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage.
Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 65d Satz 2 SGG liegen nicht vor. Danach bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen, auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen, § 65d Satz 3 SGG. Anhaltspunkte dafür, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend nicht möglich gewesen ist, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten glaubhaft gemacht worden. Vielmehr geht diese davon aus, ein elektronisches Dokument im Sinne der Vorschriften übermittelt zu haben. Weiter ergibt sich aus der Akte, dass die Beklagte am 12. Januar 2023 über das elektronische Behördenpostfach sowohl die Verwaltungsakten als auch die Berufungsbegründung übersandt hat. Selbst wenn eine vorübergehende technische Unmöglichkeit bestanden hätte, wäre diese spätestens mit dem Schriftsatz vom 12. Januar 2023 glaubhaft zu machen gewesen, weil jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der Versand elektronischer Dokumente der Beklagten möglich war, wie der Posteingang belegt. Darauf, ob eine Übermittlung von Dokumenten nach allgemeinen Vorschriften ermöglicht werden muss, wenn der elektronische Übermittlungsweg aus Gründen nicht zur Verfügung steht, die der jeweilige Absender bzw. Empfänger der Nachricht nicht beeinflussen bzw. beheben kann (so BSG, Beschluss vom 27. September 2022 – B 7 AS 60/22 B –, juris, Rz. 12), kommt es somit nicht entscheidungserheblich an.
Das elektronische Dokument vom 12. Januar 2023 hat die Berufungsfrist nicht gewahrt, da das Urteil – mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung – der Beklagten bereits am 29. November 2022 zugestellt worden ist und die Berufungsfrist mit Ablauf des 29. Dezember 2022, einem Donnerstag, geendet hat. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 67 SGG) sind weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere ist die Beklagte mit der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung auf die seit 1. Januar 2022 geltenden Formvorschriften ausdrücklich hingewiesen worden, sodass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Berufungsfrist einzuhalten. Dass technische Gründe hierfür nicht entscheidend waren, ist bereits oben dargelegt worden.
Die Berufung ist daher unzulässig und zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.