L 1 U 381/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Meiningen (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 9 U 104/19
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 381/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 9 SGB VII, § 9 Abs. 4 SGB VII a.F , Nummer 5101 BKV, § 12 BKV

Voraussetzungen der Anerkennung einer Hauterkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 5101 BKV, Wegfall des Unterlassungszwangs zum 1.01.2021, Auslegung eines Bescheides, Eintritts des Versicherungsfalls

1. Sinn und Zweck eines Bescheides nach § 9 Abs. 4 SGB VII a. F. war es, Versicherten die Sicherheit zu geben, dass bis auf die tatsächliche Aufgabe der schädigenden Tätigkeit alle Voraussetzungen für eine Anerkennung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit gegeben waren. Ergibt die Auslegung das Vorliegen eines Bescheides nach § 9 Abs.4 SGB VII a.F. ist nach Wegfall des Unterlassungszwangs zum 1.01.2021 eine erneute Prüfung der medizinischen Voraussetzungen der BK 5101 ausgeschlossen.

2. Auch bei Anwendung des § 12 BKV sind die im Bescheid nach § 9 Abs. 4 SGB VII (alt) getroffenen Entscheidungen zu respektieren, eine erneute Überprüfung der seinerzeit getroffenen Feststellungen ist daher nicht zulässig.

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Meiningen vom 31. März 2021 und Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 23. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2016 wird die Beklagte verurteilt, eine Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit der Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, im Folgenden als BK 5101 bezeichnet).

Die 1987 geborene Klägerin war ab dem 1. Juli 2011 als Praktikantin bzw. Auszubildende im Bereich der Fahrzeuglackiererei tätig. Am 18. September 2014 erstattete ihre behandelnde Hautärztin P eine Verdachtsanzeige hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der BK 5101 und begründete dies mit dem Verdacht auf das Vorliegen einer berufsbedingten Dermatose, insbesondere eines Handekzems. Der Betriebsarzt und Facharzt für Arbeitsmedizin T äußerte in einem Bericht vom 5. Dezember 2014 ebenfalls den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufsdermatose. Zum 30. November 2014 beendete die Klägerin ihre Tätigkeit als Lackiererin. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten (TAD) führte in seiner Stellungnahme vom 26. Februar 2015 aus, dass die Klägerin vom 1. Juli 2011 bis 31. Juli 2014 zunächst als Praktikantin und später im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses als Fahrzeuglackiererin tätig gewesen sei. Vom 16. August 2014 bis 30. November 2014 habe sich eine reguläre Tätigkeit als Lackiererin angeschlossen. Ausweislich des Berichts beklagte die Klägerin bereits Mitte 2013 Hautreaktionen insbesondere an den Fingergrundgelenken.

Die Beklagte veranlasste ein dermatologisches Gutachten durch C vom 20. April 2015. Dieser stellte auf seinem Fachgebiet die Diagnose einer berufsbedingten Irritationsdermatose und eines berufsbedingten Asthma bronchiale. Der tägliche Kontakt zu den Farben und Lackkomponenten sei als ursächlich für die Hauterscheinungen anzusehen. Von einem haftungsbegründenden Kausalzusammenhang sei zweifelsfrei auszugehen. Die Erkrankung habe für 18 Monate in klinisch leichter bis mittelschwerer Form mit mehrfacher Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Anforderungen zur Anerkennung als BK 5101 seien erfüllt. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im rentenberechtigenden Ausmaß sei nicht festzustellen. Mit Schreiben vom 2. Mai 2015 teilte die Klägerin schriftlich mit, dass sie ihre berufliche Tätigkeit als Fahrzeuglackiererin am 1. Dezember 2014 endgültig und nicht nur vorübergehend aufgegeben habe. Vorgelegt wurde insoweit auch eine schriftliche Kündigung durch ihren Arbeitgeber vom 20. Oktober 2014 mit Wirkung zum 30. November 2014. Die Gewerbeärztin W empfahl in ihrer Stellungnahme vom 8. Juli 2015, die BK 5101 nicht anzuerkennen. Durch die kurzfristige Aufhebung des Arbeitsverhältnisses hätten keine Maßnahmen nach § 3 BKV am Arbeitsplatz mehr ergriffen werden können. Daher sei davon auszugehen, dass die Hauterscheinungen die Tätigkeitsaufgabe noch nicht begründet hätten.

Die Beklagte erließ daraufhin einen Bescheid vom 23. Oktober 2015, wonach die Hauterkrankung der Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit verursacht worden sei und ein folgenlos abgeheiltes irritatives Ekzem der Hände verursacht habe. Eine atopische Hautdiathese sei nicht beruflich bedingt. Die Anerkennung als BK 5101 wurde abgelehnt, da nicht alle präventiven Maßnahmen ausgeschöpft worden seien. Entschädigungsleistungen wurden ebenfalls abgelehnt. Es fehle an der Erfüllung des Unterlassungszwanges. Ein hiergegen erhobener Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2016 zurückgewiesen. Mit dem angefochtenen Bescheid sei dem Grunde nach anerkannt worden, dass das folgenlos abgeheilte irritative Ekzem der Hände durch die berufliche Tätigkeit als Lackiererin verursacht worden sei. Unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufes habe wegen der Hauterkrankung kein objektiver Zwang zur Unterlassung der bisherigen Tätigkeit bestanden. Zum Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit als Lackiererin seien noch nicht alle therapeutischen und präventiven Maßnahmen ausgeschöpft gewesen.

Hiergegen hat die Klägerin am 2. August 2016 beim Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Nach Beiziehung umfangreicher Befund- und Behandlungsberichte hat das Sozialgericht den Dermatologen K mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens beauftragt. Dieser führt in seinem Gutachten vom 5. April 2017 aus, dass im Fall der Klägerin ein subtoxisch kumulatives irritatives Handekzem, welches abgeheilt sei, vorliege. Ab 2013 habe die Klägerin mit zunächst über Monate schleichendem Verlauf eine zunehmende Trockenheit und Sprödigkeit im Bereich der Fingergrundgelenke und der angrenzenden Handrücken entwickelt. Bis Herbst 2014 sei das Vollbild einer entzündlichen Ekzemkrankheit entstanden. Nach Aufgabe der Tätigkeit als Lackiererin habe sich die Ekzemkrankheit beider Hände soweit zurückgebildet, dass nachfolgend bis heute keine weiteren spezifischen Therapiemaßnahmen mehr erforderlich gewesen seien. Die Ekzemkrankheit der Hände und angrenzenden Unterarme sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beruflich bedingt. Eine schicksalhaft erworbene atopische Ekzemkrankheit könne mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, ebenso wie außerberuflich bedingte Erkrankungsursachen nicht hätten objektiviert werden können. Ob die erforderliche Schwere der Erkrankung für eine Anerkennung der BK 5101 erreicht sei, sei nach Art und Intensität wie auch Dauer der krankhaften Hautveränderungen zu bewerten. Die Dermatose habe mit anfänglich über Monate schleichendem Verlauf seit Frühjahr 2013 bestanden. Eine spezifische Behandlung sei erst seit September 2014 erfolgt. Die Therapie mit Cortisonsalben der Wirkstoffklasse 2 bestätige zweifelsfrei, dass die zu diesem Zeitpunkt festgestellten Hautveränderungen in deutlicher Form vorgelegen hätten. Allein die Tatsache, dass der betroffene Patient über einige Monate keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen habe, könne nicht als alleiniges typisches Indiz für die Einschätzung als nicht therapiebedürftige Hautveränderung angeführt werden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme der dermatologischen Behandlung im Spätsommer 2014 seien bereits typische Symptome einer chronifizierten Hauterkrankung beschrieben worden. Die Einschätzung als schwere Hauterkrankung sei aufgrund der mindestens fünf bis sechs Monate bestehenden Dermatose daher vertretbar. Eine wiederholte Rückfälligkeit sei ebenso gegeben. Zutreffend sei, dass zum Zeitpunkt der Aufgabe der versicherten Tätigkeit noch nicht alle möglichen und sinnvollen Therapie- und Präventionsmaßnahmen erschöpfend genutzt worden seien. Eine zuverlässige Aussage darüber, ob bei Ausnutzung der therapeutischen Möglichkeiten eine Fortsetzung der Tätigkeit möglich gewesen wäre, sei nicht möglich. Eine BK-bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nicht anzunehmen, weil die  Hauterkrankung vollständig abgeheilt sei.

Mit Beschluss vom 1. November 2017 hat das Sozialgericht das Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluss des Überprüfungsverfahrens bei der Beklagten hinsichtlich der Atemwegserkrankung der Klägerin angeordnet. Ab dem 15. Januar 2019 wurde das Verfahren fortgesetzt. Das Sozialgericht hat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen K vom 28. Februar 2020 eingeholt. Darin führt dieser aus, dass der bei der Klägerin festgestellten Typ-I-Sensibilisierung auf Katzenhaare keine Relevanz hinsichtlich der Zusammenhangsfrage zwischen Ekzemkrankheit und beruflicher Tätigkeit zuzubilligen sei. Der Hautarztbericht vom 18. September 2014 berichte darüber, dass seit etwa 2013 ekzematöse Hautveränderungen an den beiden Handrücken der Klägerin festgestellt worden seien. Festzuhalten sei, dass zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung in der Hautarztpraxis ein licheninfiziertes Ekzem der Hände bestanden habe. Solche Hautveränderungen bedürften zum Erreichen des klinischen Bildes einer zumindest mehrmonatigen Dauer seit Beginn der Erkrankung, weil es sich um ausgesprochen chronische Symptome handele. Hinsichtlich des Aufgabezwangs sei zu berücksichtigen, dass einige Zeit nach Beginn der Ekzemkrankheit beider Hände auch eine entsprechende bronchiale Symptomatik hinzugekommen sei. Damit liege eine Systemkrankheit vor. Dieser Umstand habe ihn veranlasst, den Aufgabezwang trotz nicht ganz typischen Krankheitsverlaufs zu bejahen. Dieser Einschätzung widersprach der Beratungsarzt der Beklagten B in einer Stellungnahme vom 29. Juli 2020. Die Frage der Atemwegserkrankung sei unabhängig von der Hauterkrankung zu beurteilen. Es lägen getrennte Verfahren vor. Ein Aufgabezwang sei nicht zu begründen, weil bereits kurze Zeit nach Meldung der Erkrankung die Tätigkeit beendet worden sei. Natürlich könne man in der Nachschau nicht mehr feststellen, ob eine bessere Handhabung der Erkrankung die Fortsetzung der Tätigkeit als solche erlaubt hätte. Eine wiederholte Rückfälligkeit der Erkrankung basierend auf medizinischen Untersuchungsdaten sei nicht nachvollziehbar. Eine voreilige Tätigkeitsaufgabe gereiche dem Betroffenen häufig zum Nachteil.

Durch Urteil vom 31. März 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Anerkennung der BK 5101 scheitere daran, dass der Unterlassungszwang nicht zu bejahen sei. Der objektive Zwang zur Tätigkeitsaufgabe sei bei der BK 5101 erst dann zu bejahen, wenn erfolgversprechende Möglichkeiten der Abhilfe ausgeschöpft seien. Im Falle der Klägerin seien Abhilfemaßnahmen weder geprüft noch erprobt worden, da diese bereits zweieinhalb Monate nach Meldung des Verdachts auf das Vorliegen einer BK ihre Tätigkeit als Fahrzeuglackiererin aufgegeben habe. Die beruflich erworbene Erkrankung der Klägerin sei auch nicht deshalb zu entschädigen, weil sie ihren alten Arbeitsplatz aus sonstigen Gründen verloren habe. Das setze bei Vorliegen der Voraussetzungen wie „schwer“ oder „wiederholt rückfällig“ voraus, ob eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Ausmaß vorgelegen habe. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Die beruflich bedingte Hauterkrankung der Klägerin sei weder schwer noch wiederholt rückfällig gewesen. Die klinische Schwere der Erkrankung sei eher als geringgradig einzuschätzen. Eine Behandlung sei erstmals am 18. September 2014 dokumentiert worden.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Zwischenzeitlich sei der früher geforderte Unterlassungszwang seit dem 1. Januar 2021 weggefallen. Darüber hinaus liege bei der Klägerin eine schwere Hauterkrankung vor. Es könne ihr nicht angelastet werden, dass im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit nicht alle Schutzmaßnahmen ergriffen worden seien. Aus den Ausführungen des Sachverständigen K ergebe sich das Vorliegen einer schweren bzw. wiederholt rückfälligen Hauterkrankung hinreichend.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 31. März 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 23. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2016 zu verurteilen, ihre Hauterkrankung als Berufskrankheit (Eintritt des Versicherungsfalls am 1. Januar 2021) festzustellen. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil.

Sie ist der Auffassung, dass auch nach Wegfall des Unterlassungszwangs eine Anerkennung als BK deshalb ausscheide, weil nach § 12 BKV die Klage nur dann Erfolg haben könne, wenn nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2021 die Voraussetzungen der BK 5101 vollumfänglich erfüllt seien, d. h. eine schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung vorliege. Der Bescheid vom 23. Oktober 2015 verhalte sich nicht dazu, ob die Hauterkrankung der Klägerin als schwer oder wiederholt rückfällig einzustufen sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt und gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts vom 31. März 2021 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als sie einen Anspruch auf Feststellung der bei ihr vorliegenden Erkrankung der Hände als BK 5101 hat. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2016 rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die Feststellung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung (vgl. Art. 7 Nr. 3 und Art. 28 Abs. 6 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze [7. SGB-IV-ÄndG] vom 12. Juni 2020 [BGBl I, S. 1248]) (n. F.). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII n. F. sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII n. F. wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. Die weitere in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung (a. F.) normierte Einschränkung, dass auch bestimmt werden kann, dass Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, ist ab dem 1. Januar 2021 entfallen. Zugleich hat der Verordnungsgeber zum 1. Januar 2021 den Unterlassungszwang aus allen Berufskrankheiten-Tatbeständen gestrichen.

Für die Feststellung einer Listen-BK ist erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwir-kungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufs-bedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsaus-füllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbe-weises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R, nach juris). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, so stark überwiegen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, nach juris). Sofern die notwendigen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht von demjenigen, der sie geltend macht, mit dem von der Rechtsprechung geforderten Grad nachgewiesen werden, hat er die Folgen der Beweislast dergestalt zu tragen, dass dann der entsprechende Anspruch entfällt.

Vorliegend hat die Berufung der Klägerin bereits aufgrund des Wegfalls des Unterlassungszwanges Erfolg. Denn mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs ab dem 1. Januar 2021 erfüllt die Klägerin ab diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 5101. Der Eintritt des Versicherungsfalls zu einem früheren Zeitpunkt scheitert daran, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 9. Dezember 2003 - B 2 U 5/03 R) während der beruflichen Tätigkeit der Klägerin nicht alle zumutbaren bzw. möglichen Präventionsmaßnahmen ausgeschöpft worden sind. Da die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit als Lackiererin bereits zum 30. November 2014 und damit nur wenige Wochen nach Erstattung einer Verdachtsanzeige bzgl. einer BK 5101 beendete, ist es nicht möglich, für die Vergangenheit zu überprüfen, ob solche Präventionsmaßnahmen erfolgversprechend gewesen wären.

Ab dem 1. Januar 2021 sind die für eine Anerkennung einer Erkrankung als BK nach Nr. 5101 der Anlage zur BKV zu fordernden Voraussetzungen erfüllt. Dass bei der Klägerin eine Haut-erkrankung vorliegt, die entweder schwer oder wiederholt rückfällig ist und die durch Einwirkungen entstanden ist, denen die Klägerin infolge ihrer versicherten Tätigkeit ausgesetzt war, ist bereits bindend durch den Bescheid vom 23. Oktober 2015 durch die Beklagte festgestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt der Bescheid vom 23. Oktober 2015 mit Ausnahme des fehlenden Unterlassungszwangs das Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen der BK 5101 fest. Der Bescheid vom 23. Oktober 2015 beschränkte sich nicht auf die Ablehnung der BK 5101, sondern enthielt für die Klägerin alle erforderlichen positiven Feststellungen in dem Sinne, dass ihre Hauterkrankung mit Ausnahme des nach damaliger Rechtslage noch erforderlichen Unterlassungszwanges als Berufskrankheit anerkennungsfähig ist. Dies ergibt die Auslegung des Bescheides vom 23. Oktober 2015 unter Berücksichtigung der für Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 BGB). Dabei ist Maßstab der Auslegung der „Empfängerhorizont“ eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung nach dem objektivierten Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 2/14 R). Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen keine Zweifel, dass die Klägerin den Bescheid in dem Sinne verstehen durfte, dass mit Ausnahme des Unterlassungszwanges alle Voraussetzungen der BK 5101 erfüllt sind.  Der Bescheid stellt ausdrücklich fest, dass die Hauterkrankung der Klägerin durch ihre berufliche Tätigkeit verursacht wurde und erkennt als Folge dieser Hauterkrankung ein folgenlos abgeheiltes irritatives Ekzem der Hände an. Dass die beruflich verursachte Hauterkrankung noch keine Berufskrankheit nach BK Nr. 5101 darstellt, wird ausschließlich damit begründet, dass der erforderliche Unterlassungszwang mangels Ausschöpfung präventiver Maßnahmen, nicht erfüllt ist. Insbesondere die Formulierung „stellt aber noch keine Berufskrankheit nach Nr. 5101 dar“ kann in Verbindung mit den weiteren Ausführungen zum Fehlen des erforderlichen Unterlassungszwanges vom Adressaten nur so verstanden werden, dass mit Ausnahme des Unterlassungszwanges alle Tatbestandvoraussetzungen der BK 5101 und damit insbesondere auch die schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung bejaht worden sind. Nur so ergibt auch die Feststellung, dass ein folgenlos abgeheiltes irritatives Ekzem der Hände Folge der BK 5101 ist, Sinn.  Eine solche Regelung ermöglichte § 9 Abs. 4 SGB VII a.F. § 9 Abs. 4 SGB VII in seiner bis zum 31. Dezember 2020 gültigen Fassung war mit der Einführung des SGB VII zum 1. Januar 1997 in Kraft getreten und hatte bis zu diesem Zeitpunkt die folgende Fassung: „(4) Setzt die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit die Unterlassung aller Tätigkeiten voraus, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, haben die Unfallversicherungsträger vor Unterlassung einer noch verrichteten gefährdenden Tätigkeit darüber zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit erfüllt sind.“ Unerheblich ist, ob es am 23. Oktober 2015 geboten war, einen solchen Bescheid zu erlassen. Jedenfalls hat die Beklagte eine entsprechende Regelung getroffen.

Sinn und Zweck eines Bescheides nach § 9 Abs. 4 SGB VII a. F. war es, Versicherten die Sicherheit zu geben, dass bis auf die tatsächliche Aufgabe der schädigenden Tätigkeit alle Voraussetzungen für eine Anerkennung ihrer Erkrankung als Berufskrankheit gegeben waren. Insoweit hat die Beklagte eine beruflich verursachte Hauterkrankung bindend anerkannt. Damit ist eine erneute Prüfung der medizinischen Voraussetzungen ausgeschlossen. Medizinischer Ermittlungen durch das Sozialgericht hätte es daher nicht bedurft. Diese Bindungswirkung besteht auch jetzt fort. Daher hat der Senat nur darüber zu entscheiden, ob nach dem Wegfall des Unterlassungszwangs die Anerkennung der BK 5101 zu erfolgen hat. Dies ist, da weiter zu prüfende Voraussetzungen nicht gegeben sind, zu bejahen. Hiergegen kann die Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, dass aufgrund der Übergangsregelung des § 12 BKV nach dem 1. Januar 2021 die Voraussetzungen der BK 5101 auch in zeitlicher Hinsicht vollumfänglich erfüllt sein müssen, d.h. nach dem 1. Januar 2021 eine schwere oder wiederholt rückfällige Haut-erkrankung bei der Klägerin vorliegen müsste, was ersichtlich nicht der Fall ist. § 12 BKV ordnet an, dass Bescheide, in denen eine Krankheit nach Nummer 1315, 2101, 2104, 2108 bis 2110, 4301, 4302 oder 5101 der Anlage 1 von einem Unfallversicherungsträger vor dem 1. Januar 2021 nur deshalb nicht als Berufskrankheit anerkannt worden ist, weil die Versicherten die verrichtete gefährdende Tätigkeit nicht unterlassen haben, von den Unfallversicherungsträgern von Amts wegen überprüft werden, wenn die Bescheide nach dem 1. Januar 1997 erlassen worden sind. Es sind allerdings die im Bescheid nach § 9 Abs. 4 SGB VII (alt) getroffenen Entscheidungen zu respektieren, eine erneute Überprüfung der seinerzeit getroffenen Feststellungen ist daher nicht zulässig (Mehrtens/Brandenburg, BKV G § 12 RdNr. 2; Becker in Krasney u. a., § 9 RdNr. 565; KassKomm-Ricke, SGB VII § 9 RdNr. 88a; K § 9 Rz 218). Damit erübrigt sich bei den BK-Nrn. 1315, 4301, 4302 und 5101 eine weitere Prüfung, da bei diesen BK-Tatbeständen lediglich der Unterlassungszwang aus dem Tatbestand gestrichen wurde (Prof. Dr. Wolfgang Römer in: Hauck/Noftz SGB VII, § 12 Überprüfung früherer Bescheide Rn. 6). Darüber hinaus ist § 12 BKV insofern bereits nicht einschlägig, da die Vorschrift nur bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Fälle erfasst (vgl. Wortlaut „nicht als Berufskrankheit anerkannt worden ist“). Dasselbe folgt auch aus der Gesetzesbegründung, wonach die Vorschrift sicherstellen soll, dass ab dem 1. Januar 2021 für diese Fälle Leistungen ohne Antrag geprüft werden sollen (Bundestagsdrucksache 19/17586 Seite 133). Für laufende Verfahren bedarf es dieses Schutzes nicht. Dass der Versicherungsfall erst im Laufe des Gerichtsverfahrens eingetreten ist (nämlich mit Wegfall des Unterlassungszwangs zum 1. Januar 2021), ist unerheblich.

Der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls ist auf den 1. Januar 2021 festzulegen. Der Zeitpunkt des Versicherungsfalles wird definiert durch den Beginn der Berufskrankheit. Dies ist der Tag, an dem erstmals alle Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit vorliegen. Dies war hier erst mit Wegfall des Unterlassungszwangs der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Da die sich stellenden Rechtsfragen zu § 12 BKV durch Auslegung der Vorschrift eindeutig zu beantworten sind, fehlt es an der grundsätzlichen Bedeutung für die Zulassung der Revision.

Rechtskraft
Aus
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