L 2 KR 434/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 5 KR 1294/18
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 2 KR 434/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur Frage der Befugnis des Arztes, die Dauer der prognostizierten  Arbeitsunfähigkeit in der AU-Bescheinigung nachträglich zu ändern (hier: zu verlängern).

2. Einzelfallentscheidung einer verspätet erfolgten AU-Feststellung, die keinen Ausnahmefall i. S. d. Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – und 26. März 2020 – B 3 KR 10/19 R -) darstellt

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. April 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 3. Februar 2018 bis 16. März 2018.

Die Klägerin ist im November 1966 geboren und war bei Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit (AU) ab 27. November 2017 aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses, welches mit Ablauf des 6. Dezember 2017 endete, versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Ihr Hausarzt, ein Facharzt für Allgemeinmedizin in G, bescheinigte ihr fortlaufend Arbeitsunfähigkeit wegen einer akuten Belastungsreaktion (F43.0 nach dem ICD 10-GM-2018). Die Beklagte teilte ihr daraufhin mit Schreiben vom 9. Januar 2018 mit, das kalendertägliche Krankengeld betrage 33,49 € brutto bzw. 29,43 € netto. Sie fügte diesem Schreiben ein „Merkblatt zum Krankengeld“ bei, aus welchem sich unter anderem Hinweise zur lückenlosen und fristgerechten Abgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) ergaben. Am 19. Januar 2018 ging bei der Beklagten erneut eine Folge-AUB vom 18. Januar 2018 für die Zeit bis einschließlich 2. Februar 2018 (einem Freitag) ein, am 7. Februar 2018 folgte eine AUB vom 6. Februar 2018 für die Zeit bis einschließlich 16. Februar 2018. Am 8. Februar 2018 rief die Klägerin ausweislich eines Vermerkes der Beklagten bei dieser an und erkundigte sich nach dem Eingang der Folge-AUB vom 6. Februar 2018. Sie teilte dem Mitarbeiter der Beklagten mit, sie wisse, dass AU lückenlos festgestellt werden müsse, und habe deshalb vorher extra beim Arzt nachgefragt, ob sie hier Probleme bekomme. Der Arzt habe gemeint, dass er die AU für drei Tage nachträglich ausstellen könne und hier alles in Ordnung gehe. Der Mitarbeiter der Beklagten informierte die Klägerin darüber, die durchgehende AU könne anerkannt werden, aber der Krankengeldanspruch falle trotzdem zum 2. Februar 2018 aufgrund der fehlenden lückenlosen Feststellung der AU weg. Am selben Tag ging sodann in der Geschäftsstelle der Beklagten in G eine korrigierte Folge-AUB des Hausarztes der Klägerin vom 18. Januar 2018 für die Zeit bis einschließlich 6. Februar 2018 ein.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. Februar 2018 die weitere Zahlung von Krankengeld über den 2. Februar 2018 hinaus mit der Begründung ab, die AU sei nicht lückenlos festgestellt worden. Es bestehe auch kein nachgehender Anspruch auf Gewährung von Krankengeld, weil die Klägerin aufgrund der bekannten Diagnosen voraussichtlich noch länger als einen Monat nach Ende des Krankengeldanspruches arbeitsunfähig sein werde. Die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin legte dagegen mit am 21. Februar 2018 eingegangenem Schreiben Widerspruch ein und machte zur Begründung zum einen geltend, sie sei ausweislich der beigefügten beglaubigten Kopien der AUB - einschließlich der korrigierten Bescheinigung vom 18. Januar 2018 - nachweislich lückenlos arbeitsunfähig gewesen. Dies würde ihr Hausarzt auch an Eides statt bestätigen und versichern. Sie habe diesen zum anderen am 2. Februar 2018 infolge einer abermaligen Untersuchung kontaktieren wollen, wobei sich herausgestellt habe, dass er sich im Urlaub befand. Telefonisch habe sie dann abklären können und die Information erhalten, dass ein Besuch bei dem Arzt zu Beginn der nächsten Kalenderwoche für den lückenlosen Nachweis der AU ausreichen würde. Der Arzt habe ihr gegenüber ausdrücklich bekundet, dass die AUB im Zweifel auch drei Tage rückdatiert werden könne. Schließlich stehe ihre Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess in nächster Zeit bevor, die entgegenstehenden Spekulationen der Beklagten entbehrten jeglicher Grundlage. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2018 zurück. Sie führte zur Begründung ihrer Entscheidung aus, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hätte die Feststellung der weiteren AU spätestens am 5. Februar 2018 (einem Montag) aufgrund einer persönlichen Untersuchung der Klägerin durch ihren Arzt erfolgen müssen. Es bestehe auch kein nachgehender Anspruch auf Gewährung von Krankengeld, weil die Klägerin aufgrund der bekannten Diagnosen voraussichtlich noch länger als einen Monat nach Ende des Krankengeldanspruches arbeitsunfähig sein werde.

Die Klägerin hat dagegen am 25. Juni 2018 Klage vor dem Sozialgericht Altenburg erhoben und diese insbesondere damit begründet, sich aufgrund ihrer Erkrankung den Weisungen ihres behandelnden Arztes gefügt und am 2. Februar 2018 auch keinen Vertreter mehr aufgesucht zu haben.

Sie stellte jedoch erstmals in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich klar, an diesem Tag nicht mit dem Arzt persönlich gesprochen zu haben, sondern mit einer Mitarbeiterin seiner Praxis. Das Sozialgericht hatte zuvor ihren Hausarzt schriftlich befragt. Dieser gab am 3. September 2020 an, die Praxis sei am 2. Februar 2018 nicht wegen Urlaubes geschlossen gewesen, die Tagesliste habe 44 Patienten aufgewiesen. Am 28. September 2020 führte er ergänzend aus, die Klägerin habe am 2. Februar 2018 in der Praxis angerufen, um für den 5. Februar 2018 einen Termin zur Verlängerung der AU zu bekommen. Da für diesen Tag schon mehrere Patienten bestellt waren und es erfahrungsgemäß nach dem Wochenende zu erheblichen Wartezeiten kommen könne, sei die Klägerin gebeten worden, sich am 7. Februar 2018 zur Verlängerung der AU vorzustellen. Auf erneutes Befragen des Gerichts teilte er am 10. November 2020 mit, es sei nicht sicher, mit welchem Mitarbeiter der Praxis die Klägerin am 2. Februar 2018 gesprochen habe. Solch eine Auskunft sei nach über zwei Jahren nicht mehr nachzuvollziehen. Der Inhalt des Telefonats sei wohl eine Terminverschiebung vom 5. auf den 6. Februar 2018 gewesen. Das zuvor in seinem Schreiben vom 28. September 2020 genannte Datum 7. Februar 2018 sei ein Versehen gewesen; gemeint habe er den 6. Februar 2018, wie dem beigefügten Karteiauszug entnommen werden könne.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. April 2021 abgewiesen. Die Klägerin habe nicht im erforderlichen Vollbeweis belegen können, alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan zu haben, um die rechtzeitige ärztliche Feststellung des Fortbestehens ihrer AU zu bewirken. Ihre eigenen Einlassungen sowie die Angaben ihres Arztes seien nicht frei von Widersprüchen und die von der Klägerin behauptete Auskunft des Arztes zur Zulässigkeit einer Rückdatierung der Feststellung einer AU sei trotz wiederholter Nachfrage des Gerichts von diesem nicht bestätigt worden. Die fortbestehende AU sei damit nicht rechtzeitig im Sinne von § 46 Satz 1 und Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG festgestellt worden bzw. die Klägerin habe nicht alles in ihrer Macht Stehende und Zumutbare getan, um eine rechtzeitige Feststellung des Fortbestehens ihrer AU bis spätestens 5. Februar 2018 zu erhalten. Mit Ablauf des 2. Februar 2018 hätten somit die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft der Klägerin wegen des Bezuges von Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht mehr vorgelegen. Ein nachgehender Krankengeldanspruch bestehe ebenfalls nicht, weil die Klägerin ab dem 3. Februar 2018 zunächst nach § 188 Abs. 4 i.V.m. § 9 SGB V ohne Krankengeldanspruch freiwillig versichert gewesen sei. Dieser Status sei gegenüber der Auffangregelung des § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorrangig und schließe in Bezug auf das Krankengeld weitere Ansprüche aus.

Gegen das ihr am 3. Mai 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin über das besondere elektronische Anwaltspostfach am 26. Mai 2021 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt, und zusätzlich als Zeugin eine Mitarbeiterin der Praxis ihres Hausarztes benannt. Das Sozialgericht habe verfahrensfehlerhaft den Arzt lediglich informatorisch befragt, statt ihn ebenfalls als Zeugen zu vernehmen. Ihr Rechtsanspruch werde zudem durch die Grundsatzurteile des BSG vom 26. März 2020 sowie vom 29. Oktober 2020 bestätigt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 19. April 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 3. Februar 2018 bis 16. März 2018 Krankengeld in Höhe von 29,43 € netto kalendertäglich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich zur Begründung auf die Richtigkeit der angefochtenen Bescheide sowie der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Hausarzt der Klägerin habe entgegen seiner behaupteten Auskunft zur zulässigen Rückdatierung des Beginns der AU bzw. ihres Fortbestehens eine solche nicht vorgenommen, sondern die zuvor am 18. Januar 2018 ausgestellte Folge-AUB nachträglich für die Zeit bis einschließlich 6. Februar 2018 verlängert. Selbst die Klägerin habe nicht behauptet, dass die Praxismitarbeiterin ihr gegenüber in irgendeiner Form zum Ausdruck gebracht habe, eine ärztliche Feststellung am 6. Februar 2018 sei unschädlich für den Krankengeldanspruch. Die Beklagte ist zudem nicht von der Maßgeblichkeit der Urteile des BSG vom 26. März 2020 bzw. 29. Oktober 2020 überzeugt und verweist stattdessen auf ein Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. November 2020 zum Az. L 4 KR 14/20, des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31. August 2020 zum Az. L 5 KR 130/18 sowie des Thüringer Landessozialgerichts vom 10. November 2020 zum Az. L 6 KR 1479/18.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes die Praxismitarbeiterin als Zeugin vernommen. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 151 Abs. 1, 153 Abs. 1, 65a Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 2 SGG eingelegte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 19. April 2021 im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2018 ist ebenfalls im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Fortzahlung des Krankengeldes für die Zeit vom 3. Februar 2018 bis 16. März 2018.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Krankengeld ist § 44 Abs. 1 i.V.m. § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juli 2015 bis 10. Mai 2019). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld unter anderem dann, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht (§ 44 Abs. 1 SGB V). Dieser Anspruch entsteht von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch für an die ärztliche Erstfeststellung von AU anschließende Folgefeststellungen (vgl. Urteil vom 16. Dezember 2014, Az. B 1 KR 37/14 R sowie Urteil vom 11. Mai 2017, Az. B 3 KR 22/15 R). Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für das Krankengeld vorliegt (vgl. Urteil des BSG vom 26. März 2020, Az. B 3 KR 9/19 R, Rn. 14, zitiert nach juris).

Daher haben aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses Versicherungspflichtige nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V Anspruch auf Krankengeld nur für die Dauer lückenlos festgestellter AU (vgl. Urteil des BSG vom 26. März 2020, Az.
B 3 KR 9/19 R, Rn. 17, zitiert nach juris).

Nach dem Ende der Beschäftigung der Klägerin mit Ablauf des 6. Dezember 2017 blieb ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nur erhalten, solange die Klägerin Anspruch auf Krankengeld hatte. Dies war nur bis 2. Februar 2018 der Fall.

Gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an. Nach Satz 2 dieser gesetzlichen Regelung bleibt der Anspruch auf Krankengeld bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolgt, wobei Samstage nicht als Werktage gelten.

Der Hausarzt der Klägerin hatte am 18. Januar 2018 zunächst eine Folge-AUB für die Zeit bis einschließlich 2. Februar 2018 (Freitag) ausgestellt. Damit hätte sich die Klägerin spätestens am Montag, den 5. Februar 2018, eine Folgebescheinigung ausstellen lassen müssen, um den Anspruch auf Krankengeld zu erhalten. Dies geschah hingegen unstreitig erst am Dienstag, den 6. Februar 2018.

Die vom Hausarzt am 8. Februar 2018 bei der Beklagten eingegangene Folge-AUB, wonach mit dem Datum der ursprünglichen Feststellung am 18. Januar 2018 nunmehr nachträglich eine AU bis 6. Februar 2018 festgestellt wurde, führt hier zu keiner abweichenden rechtlichen Beurteilung. Dieser (vom Arzt nicht begründete) Vorgang stellt inhaltlich eine Korrektur der ursprünglichen Folge-AUB dar. Diese nachträgliche Änderung der ursprünglichen Prognose zur voraussichtlichen AU-Dauer ist jedoch krankengeldrechtlich unwirksam. Zwar hält es der Senat nicht für grundsätzlich ausgeschlossen, dass der Arzt seine in der AUB dokumentierte prognostische Einschätzung zur voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit ändert (z. B. bei einem offensichtlichen Irrtum in der Datumsangabe) und dies dadurch zum Ausdruck bringt, dass er die ursprüngliche AUB ändert. Ein derartiger Sachverhalt liegt hier jedoch nicht vor. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für eine aus anderen Gründen zu rechtfertigende Änderung. Vielmehr sprechen alle Umstände des Falles dafür, dass der Arzt die nachträgliche Änderung als Reaktion auf die Problematik der sonst nicht rechtzeitigen Vorstellung der Klägerin zur weiteren AU-Feststellung vorgenommen hat. Eine deswegen erfolgte Modifikation der Prognose zur voraussichtlichen AU in einer früher ausgestellten AUB ist jedoch krankengeldrechtlich unzulässig, denn andernfalls könnten die gesetzlichen Regelungen zur lückenlosen und fristgerechten Abgabe der AUBen umgangen werden. In diese Richtung versteht der Senat auch die Ausführungen des Sozialgerichts zur Unzulässigkeit einer rückwirkenden Feststellung einer (fortbestehenden) AU, die hier in dieser Form nicht vorliegt.

Ist damit von der ursprünglichen Einschätzung des Hausarztes der Klägerin auszugehen, der AU bis 2. Februar 2018 bescheinigt hatte, fehlt es an einer lückenlosen AU-Feststellung nach § 46 Satz 1 Nr. 2 und Satz 1 SGB V zur Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld über eine entsprechende Wirkung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V.

Es bestehen hier auch keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, der eine andere Beurteilung rechtfertigt.

Grundsätzlich hat der Versicherte nach ständiger Rechtsprechung des BSG im Sinne einer Obliegenheit dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche AU-Feststellung erfolgt. Hiervon hat das BSG mit Urteil vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 22/15 R) enge Ausnahmen anerkannt. Nach dieser Rechtsprechung steht dem Krankengeldanspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche AU-Feststellung nicht entgegen, wenn

  1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um
  1. die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen und
  2. dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeldanspruch erfolgt ist,
  1. er an der Wahrung der Krankengeldansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (z.B. eine irrtümlich nicht ausgestellte AU-Bescheinigung) und
  2. er - zusätzlich - seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend gemacht hat.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Versicherte so zu behandeln, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der AU erhalten.

Im Urteil vom 26. März 2020 (Az. B 3 KR 10/19 R, Rn. 22ff., zitiert nach juris) hat das BSG diese Rechtsprechung fortentwickelt und konkretisiert, dass es einem „rechtzeitig“ erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gleichsteht, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen eine ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, es dazu aber aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist. Dies ist insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen Folge-AU-Feststellung in der Sphäre des Vertragsarztes und nicht in derjenigen des Versicherten liegen. Dies ist typischerweise zu bejahen bei einer auf Wunsch des Vertragsarztes bzw. seines von ihm angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen Arzttermins in der (naheliegenden) Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach den AU-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) auch die begrenzte rückwirkende ärztliche AU-Feststellung statthaft sei.

Ein derartiger Sachverhalt steht hier nicht zur Überzeugung des Senats fest, obwohl er alle zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Ein Fehlverhalten der Arztpraxis, das der Beklagten zuzurechnen wäre, ließ sich nicht im Vollbeweis belegen.

Die Angaben der Klägerin, deren Interesse an einem für sie positiven Ausgang des Rechtsstreits unterstellt werden kann und die deshalb auch im Lichte dessen zu würdigen sind, reichen nicht aus, um den Senat von einem Ausnahmefall im Sinne der dargestellten BSG-Rechtsprechung zu überzeugen. Die Angaben sind unzureichend und teilweise widersprüchlich, ohne dass dies plausibel allein mit einem Missverständnis zwischen der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten erklärt werden könnte. So hat die Klägerin nach dem Vermerk der Beklagten vom 8. Februar 2018 zunächst telefonisch angegeben, auf gezielte Nachfrage habe „ihr Arzt“ ihr ausdrücklich mitgeteilt, dass die AUB für drei Tage nachträglich ausgestellt werden könne. Dem entspricht die Angabe im Widerspruchsschreiben, sie habe „mit ihrem Arzt“ abklären können, dass ein Besuch zu Beginn der nächsten Kalenderwoche für den lückenlosen AU-Nachweis ausreiche (was so auch zutreffend wäre, die hier erfolgte Vorstellung erst am Dienstag aber nicht erklärt). Später hat sie dann davon abweichend – nach entsprechenden Auskünften des Arztes an das Sozialgericht – diesen folgend angegeben, das Telefonat habe nicht mit dem Arzt, sondern einer Praxismitarbeiterin stattgefunden. Mit einem bloßen Missverständnis ist dieses Verhalten für den Senat nicht plausibel erklärt. Im Berufungsverfahren hat sie schließlich konkretisierend vorgetragen, die Praxismitarbeiterin Nicole habe sie im Telefonat gebeten, nicht am ersten Tag nach dem Urlaub des Arztes zu erscheinen, da dann erfahrungsgemäß immer sehr viele Patienten anwesend seien, sondern am 6. Februar 2018. Dass in diesem Gespräch die AUB überhaupt Thema war, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen. Der Senat wollte die sich auf dieser Grundlage ergebenden Unklarheiten durch Befragung der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung klären; zu diesem Zweck wurde ihr persönliches Erscheinen angeordnet. Die Klägerin hat jedoch mitteilen lassen, nicht zum Termin zu erscheinen, weil sie – neben einer Verhinderung wegen Urlaub – keine weiteren Angaben in der Sache machen werde; in ihrer Person sei alles ausgeschrieben und in dem Rechtsstreit bekannt. Daraufhin wurde die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin aufgehoben; auf die Folgen ihres Verhaltens wurde sie nochmals hingewiesen. Auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin konnte über das bereits schriftsätzlich Vorgetragene hinaus keine weiteren Angaben machen, wie er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt hat.

Auch die Angaben der als Zeugin vernommenen Praxismitarbeiterin sind nicht geeignet, den Senat davon zu überzeugen, dass ein Ausnahmefall im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des BSG vorliegt. Die Zeugin hat sich an ein Telefonat mit der Klägerin nicht mehr erinnern können, was angesichts des Zeitablaufs nicht verwundert und für ihre Glaubwürdigkeit spricht. Sie hat zudem ausgesagt, die schriftlichen Auskünfte gegenüber dem Sozialgericht habe der Arzt diktiert und unterschrieben. Sie hat schließlich auf ausdrückliche Nachfrage erklärt, bei der Vergabe eines Termins sei es für sie nicht wichtig, ob es dem Patienten dabei um die Ausstellung oder Verlängerung einer AU gehe.

Weitere zielführende Erkenntnisquellen standen dem Senat nicht zur Verfügung. In der Praxis-Karteikarte zur Klägerin findet sich kein Eintrag zu einem Telefonat am 2. Februar 2018. Eine Befragung des Hausarztes der Klägerin hat der Senat nicht als erforderlich angesehen, weil er zum hier streitentscheidenden Inhalt des Telefonats am 2. Februar 2018 aus eigener Erkenntnis keine verwertbaren Angaben machen kann, denn die Klägerin hat es nicht mit ihm geführt – abgesehen davon, dass sein Zeugnis auch nur dafür zum Beweis angeboten wurde, dass er der Klägerin mitgeteilt habe, dass man die AUB bis auf drei Tage zurückdatieren könne (was hier nicht ausreicht). Insofern geht auch der Vortrag der Klägerin, der Arzt habe ihrem Prozessbevollmächtigten eine eidesstattliche Versicherung in Aussicht gestellt, dass das Telefonat stattgefunden habe, ins Leere – unabhängig davon, dass damit auch der Inhalt des Gesprächs unklar bliebe. Vor diesem Hintergrund gebieten auch die erstinstanzlich eingeholten Auskünfte des Hausarztes keine andere Beurteilung, wobei deren Verwertbarkeit ohnehin unter dem Vorbehalt steht, dass sie vom Sozialgericht nicht im Wege an sich notwendiger förmlicher schriftlicher Zeugenvernehmung eingeholt wurden, sondern „informell“.

Auf dieser Grundlage ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin alles in ihrer Macht Stehende und ihr Zumutbare getan hat, um rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen eine ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, es dazu aber aus dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist.

Die Nichtaufklärbarkeit (das non-liquet) geht zu Lasten der Klägerin. Sie kann nicht den Nachweis führen, dass die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen Folge-AU-Feststellung in der Sphäre des Vertragsarztes und nicht in ihrer lagen. Dafür trägt sie jedoch die Beweislast. Auch wenn dem sozialgerichtlichen Verfahren wegen der Amtsermittlungspflicht nach den §§ 103, 128 SGG eine subjektive Beweislast fremd ist, treffen die Klägerin nach den Grundsätzen über die objektive Beweislast die nachteiligen Folgen, dass sich diese Feststellungen nicht treffen lassen. Denn jeder Beteiligte trägt die materielle Beweisführungslast für diejenigen Tatsachen, welche die von ihm geltend gemachte Rechtslage begründen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 103 SGG, Rn. 19a m.w.N.; Urteil des BSG vom 8. November 2005, Az. B 1 KR 18/04 R, Rn. 19, zitiert nach juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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