1. Hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid festgestellt, dass das erstinstanzliche Verfahren durch einen Vergleich beendet worden ist, kann das Begehren des Klägers im Berufungsverfahren nur darauf abzielen, die Verfahren - entgegen dem angefochtenen Gerichtsbescheid - fortzuführen, um vor dem Sozialgericht eine Entscheidung in der Sache zu erhalten.
2. Nach einer Entscheidung des Sozialgerichts durch Gerichtsbescheid kann mündliche Verhandlung nur beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist.
3. Über einen unzulässigen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet das Sozialgericht durch Urteil bzw. durch Gerichtsbescheid.
I. Die Berufungen gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 30. März 2022 und vom 13. April 2022 werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist die Beendigung zweier Klageverfahren beim Sozialgericht München (SG) durch einen Vergleich.
Der 1940 geborene Kläger beantragte am 30.12.2005 bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Zuletzt für die Zeit vom 01.07.2007 bis zum 29.02.2008 erhielt er von der Beklagten aufgrund eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 146,21 €. Mit Bescheid vom 18.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.08.2018 versagte die Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Zeit von 01.12.2008 bis 29.11.2017 wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers. Die dagegen vom Kläger am 05.09.2018 erhobene Klage erfasste das SG unter dem Aktenzeichen S 46 SO 453/18. Eine weitere Klage des Klägers unter dem Aktenzeichen S 46 SO 405/19 richtete sich gegen einen Versagungsbescheid vom 23.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.07.2019 und betraf die Versagung von Leistungen ab dem 01.01.2019.
Nachdem der VdK die Vertretung des Klägers in den Klageverfahren am 03.03.2021 mit sofortiger Wirkung beendet hatte, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 07.03.2021 beim SG die Beiordnung eines Rechtsanwalts und die Benennung eines solchen durch das Gericht. Das SG bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 06.04.2021 Prozesskostenhilfe ab Antragstellung dem Grunde nach und ordnete mit Beschluss vom 12.10.2021 den vom Kläger selbst benannten Rechtsanwalt S bei.
Am 10.11.2021 fand im Verfahren S 46 SO 453/18 eine mündliche Verhandlung beim SG statt, an welcher der Kläger persönlich gemeinsam mit seinem Prozessbevollmächtigten teilnahm. In der mündlichen Verhandlung schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach die Beklagte die offenen Schulden des Klägers bei seiner Krankenkasse in Höhe von 7.835,97 € direkt an diese bezahlt (Ziffer I.) und dem Kläger für die Zeit von 01.11.2021 bis 31.10.2022 Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 300 € gewährt (Ziffer II.). Von diesem Betrag gehen die Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherung ab, welche die Beklagte direkt an die Krankenversicherung überweist. Nach Ziffer IV. des Vergleichs sind sich die Beteiligten darüber einig, dass damit die Klageverfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 und damit alle Leistungsansprüche für die Zeit ab Juli 2007 bis aktuell endgültig und abschließend erledigt sind; damit würden auch Überprüfungsverfahren für die Zeit bis aktuell ausgeschlossen. Falls es noch offene Widerspruchsverfahren gebe, seien diese damit erledigt. Nach dem Protokoll der mündlichen Verhandlung wurde der Vergleich vorgelesen und von allen Beteiligten - ausdrücklich auch vom Kläger und seinem Anwalt - genehmigt.
Bereits am 02.12.2021 beschwerte sich der Kläger, dass ihm von der Beklagten nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags nur 92,43 € ausgezahlt würden und nicht wie vom Richter in der mündlichen Verhandlung berechnet 110 €. Mit Schreiben vom 21.02.2022 widerrief der Kläger den Vergleich vom 10.11.2021 und beantragte eine Neufassung von Ziffer II. Er habe bei Abschluss des Vergleichs keine Kenntnis über die Höhe der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gehabt. Der Berechnung seien vom Richter 190 € zugrunde gelegt worden. Weil Ziffer II. keine konkrete Berechnungsgrundlage/Kalkulation des von der Beklagten zu leistenden Zahlbetrags enthalte und dem Vergleich deshalb die Grundlage fehle, sei es von Nöten, selbige klar und eindeutig neu zu fassen. Erst nach der ersten Auszahlung durch die Beklagte sei es ihm möglich gewesen, die Beitragshöhe der Kranken- und Pflegeversicherung zu erkennen und die Zahlung der Beklagten an ihn als unrichtig zu reklamieren. Am 26.02.2022 ergänzte der Kläger seinen Antrag dahin, dass auch noch ein Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 17% zu berücksichtigen sei. Von der Beklagten sei er zu keinem Zeitpunkt ausreichend beraten worden, dass ihm ein solcher Zuschlag zustehe. Das Gericht sei über seine Schwerbehinderung nicht informiert gewesen und hätte sie deshalb beim Vergleich vom 10.11.2021 nicht berücksichtigen können. Deshalb fechte er den Vergleich wegen Irrtums an. Er beantrage daher, den Vergleich vom 10.11.2021 aufzuheben und das Verfahren fortzuführen. Mit Schreiben vom 28.03.2022 focht er den Vergleich außerdem wegen arglistiger Täuschung an.
Mit Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 stellte das SG fest, dass die Klageverfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 am 10.11.2021 durch Vergleich beendet worden seien. Bei Streit über die Wirksamkeit eines Vergleichs werde der Rechtsstreit fortgesetzt. Es sei durch Urteil bzw. Gerichtsbescheid zu entscheiden, ob der Rechtsstreit durch Vergleich beendet sei, oder wenn die Beendigung verneint werde, in der Sache zu entscheiden. Vorliegend sei der Vergleich wirksam und ordnungsgemäß zu Protokoll des Gerichts abgeschlossen worden. Dieser habe die beiden Klagen beendet (Ziffer IV. des Vergleichs). Es gebe keinen Grund für die Unwirksamkeit des Vergleichs. Der Kläger sei beim Vergleichsabschluss anwaltlich beraten gewesen. Einen Widerrufsvorbehalt enthalte der Vergleich nicht. Soweit der Kläger auf Mehrkosten der Kranken- und Pflegeversicherung abstelle, fehle es schon an einem Irrtum (Anfechtungsgrund). Der Vergleich enthalte keine Erklärung zur Höhe der Versicherungsbeiträge. Im Gegenteil ergebe sich aus dem Vergleichsinhalt, dass die konkreten Beiträge zu den Versicherungen am 10.11.2021 weder den Beteiligten noch dem Vorsitzenden Richter bekannt gewesen seien. Wenn ein Punkt - hier die konkrete Höhe der Versicherungsbeiträge - niemandem bekannt gewesen sei, wohl aber die Größenordnung, könne der Kläger nicht anschließend einen Erklärungsirrtum geltend machen. Außerdem sei die Anfechtung nicht fristgerecht erfolgt. Diese hätte ohne schuldhaftes Zögern und damit unverzüglich erfolgen müssen. Der Kläger habe erstmals am 19.02.2022 sinngemäß die Anfechtung des Vergleichs erklärt, obwohl er spätestens mit Schreiben der Beklagten vom 25.11.2021 vom angeblichen Anfechtungsgrund informiert worden sei. Soweit sich der Kläger auf einen Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung mit Merkzeichen G berufe, bestehe ebenfalls kein Anfechtungsgrund. Der Vergleich enthalte weder eine Berechnung des existentiellen Bedarfs, wobei der Mehrbedarf nur ein Berechnungsposten wäre, noch eine konkrete Einkommensanrechnung. Gegenstand des Vergleichs sei vielmehr ein angenommener Leistungsbetrag von 300 €, von dem noch die nicht konkret bekannten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung abzuziehen seien. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung liege schon nach dem Vortrag des Klägers nicht vor. Wenn er selbst keine entsprechenden Informationen zum Mehrbedarf an die Beklagte liefere, dann führe kein Weg zu einer Täuschungshandlung der Beklagten. Es liege auch kein Irrtum über die Vergleichsgrundlage nach § 779 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) vor, weil der Mehrbedarf schon kein streitausschließender Umstand gewesen sei. Strittig sei gewesen, ob der Kläger überhaupt irgendeinen Leistungsanspruch gehabt habe. Seine Hilfebedürftigkeit sei bis aktuell nicht nachgewiesen und bei den beiden Versagungsbescheiden sei eine Leistungsklage ohnehin ausgeschlossen. Der Kläger hätte ohne den Vergleich wohl keinen Euro bekommen, auch nicht die 7.835,97 € für die Krankenkasse. Dem Gerichtsbescheid war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, wonach er mit der Berufung angefochten werden kann.
Mit einem beim SG am 04.04.2022 eingegangenen Schreiben hat der Kläger gegen den Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und gleichzeitig mündliche Verhandlung beim SG beantragt. Die Berufung ist beim Senat unter dem Aktenzeichen L 8 SO 114/22 erfasst worden. Auf Hinweis des SG, dass eine mündliche Verhandlung nicht möglich sei, weil gegen den Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 die Berufung gegeben sei, hat der Kläger betont, dass er von beiden Rechtsmitteln Gebrauch machen wolle.
Das SG hat mit einem weiteren Gerichtsbescheid vom 13.04.2022 festgestellt, dass das Verfahren S 46 SO 453/18 durch den Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 beendet worden sei und eine mündliche Verhandlung hierzu nicht durchgeführt werde. Der Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 könne nicht durch Antrag auf mündliche Verhandlung beseitigt werden. Ein solcher Antrag sei nicht statthaft, weil die Berufung gegeben sei. Die Berufung sei statthaft, weil es um wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr gehe (Mehrbedarf ab 2005 oder 2007) bzw. um Geldleistungen von mehr als 750 €. Über die Berufung sei vom Landessozialgericht zu entscheiden. Auch dieser Gerichtsbescheid enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach er mit der Berufung angefochten werden kann.
Auch gegen den Gerichtsbescheid vom 13.04.2022 hat der Kläger Berufung beim LSG eingelegt. Diese ist unter dem Aktenzeichen L 8 SO 88/22 erfasst worden. Wegen seinem Antrag auf mündliche Verhandlung gelte der Gerichtsbescheid des SG als nicht ergangen. Die beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei ihm nicht gewährt worden.
Für beide Berufungsverfahren hat der Senat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. In seinen Gegenvorstellungen zu den Beschlüssen des Senats vom 19.04.2023 und 24.04.2023 hat der Kläger nochmals betont, dass er den Vergleich vom 10.11.2021 unverzüglich angefochten habe. Am Tag des Vergleichsschlusses sei er im Übrigen aus zahnmedizinischen Gründen nicht in der Lage gewesen, sich anders zu verhalten. Eine dringend notwendige Zahnbehandlung sei wegen der Schulden bei der Krankenkasse abgebrochen worden. In dieser Notlage sei er gezwungen gewesen, dem Vergleich zuzustimmen. Der Richter am SG sei ihm gegenüber befangen gewesen und habe ihn in Kenntnis der medizinischen Zwangslage zum Vergleichsschluss gedrängt.
In der mündlichen Verhandlung am 31.05.2023 hat der Senat die beiden Verfahren durch Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Der Kläger beantragt,
die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 30.03.2022 und 13.04.2022 aufzuheben und die Verfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 vor dem Sozialgericht München fortzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzlichen Entscheidungen für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen, über die nach der Verbindung in der mündlichen Verhandlung gemeinsam zu entscheiden ist, sind auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG), jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht festgestellt, dass die Verfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 durch Vergleich erledigt worden sind, und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgelehnt.
Streitgegenstand ist nach der Verbindung das Begehren des Klägers, die Gerichtsbescheide vom 30.03.2022 und 13.04.2022, soweit diese die Beendigung seiner Klageverfahren feststellen, zu beseitigen und die Klageverfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 in einer mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht fortzuführen. Zulässiger Gegenstand der Überprüfung durch das LSG ist damit zum einen, ob das SG mit den angegriffenen Gerichtsbescheiden zu Recht die Erledigung der genannten Klageverfahren festgestellt hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 23.02.2017 - L 25 AS 9317/16 - juris Rn. 19; LSG Baden-Württemberg vom 17.04.2013 - L 5 KR 605/12 - juris Rn. 23) oder ob diese vor dem SG fortzuführen sind (dazu unter 1.) und zum anderen das Begehren des Klägers auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (dazu unter 2.).
Die Begehren des Klägers haben in der Sache keinen Erfolg. Die Verfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 sind durch den in der mündlichen Verhandlung am 10.11.2021 geschlossenen Vergleich beendet worden. Da gegen den Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 die Berufung gegeben ist, findet auch keine mündliche Verhandlung beim SG mehr statt.
1.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 zu Recht festgestellt, dass die Klageverfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 am 10.11.2021 durch Vergleich beendet worden sind. Da eine Sachentscheidung des SG im erstinstanzlichen Verfahren wegen des Vergleichsschusses nicht erfolgt ist, ist dem erkennenden Senat eine eigene Entscheidung in der Sache verwehrt, so dass das Begehren des Klägers nur darauf abzielen kann, im Berufungsverfahren festzustellen, dass die Verfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 vor dem SG - entgegen der angefochtenen Entscheidung - fortzuführen sind, um vor dem SG eine Entscheidung in der Sache zu erhalten. Statthafte Klageart zur Erreichung dieses Ziels ist eine Feststellungsklage gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, gerichtet auf die Feststellung, dass die Verfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19 nicht durch den Vergleich erledigt wurden.
Der Kläger hat, wie sich aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 10.11.2021 im Verfahren S 46 SO 453/18 ergibt, einen prozessual wirksamen Vergleich mit der Beklagten abgeschlossen, der mit der darin enthaltenen Erledigungserklärung das Klageverfahren in der Sache beendet hat (vgl. § 101 Abs. 1 SGG). Prozesshandlungen - zu denen auch die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich und die Erledigungserklärung zählen - sind grundsätzlich unwiderruflich und nicht wegen Irrtums anfechtbar (vgl. etwa BSG vom 09.04.2021 - B 13 R 276/20 B - juris Rn. 7 m.w.N.).
Eine wirksame Anfechtung mit der Folge des rückwirkenden Wegfalls der materiellrechtlichen Wirksamkeit des Vergleichs gemäß den §§ 119 ff. BGB scheidet vorliegend ebenfalls aus. Derjenige, der bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum), kann diese entsprechend den zivilrechtlichen Vorschriften zur Anfechtung von Willenserklärungen nach § 119 Abs. 1 i.V.m. § 121 Abs. 1 BGB anfechten. Voraussetzung ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben hätte. Die Anfechtung muss ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Unverzüglich ist die Erklärung der Anfechtung dann, wenn sie innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist erklärt wird (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerwG vom 10.03.2010 - 6 C 15/09 - juris Rn. 20 f.), wobei eine zeitliche Obergrenze von zwei Wochen angenommen wird (vgl. Arnold in Erman, BGB, 16. Aufl., § 121 Rn. 4). Das SG weist zu Recht darauf hin, dass es vorliegend bereits an einer solchen unverzüglichen Anfechtungserklärung fehlt. Der Kläger, der einen Irrtum über die Höhe der ihm zustehenden Sozialhilfeleistungen geltend macht, hat die Anfechtung des Vergleichs sinngemäß erstmals knapp drei Monate nach Kenntnis von der Höhe der ihm von der Beklagten auszuzahlenden Leistungen erklärt.
Darüber hinaus unterlag der in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretene Kläger weder einem Inhalts- noch einem Erklärungsirrtum. Dem Vergleich wurden gerade nicht der centgenaue Bedarf des Klägers zugrunde gelegt und das - für die Beklagte bis jetzt wegen fehlender Mitwirkung des Klägers nicht abschließend ermittelbare - tatsächliche Einkommen und Vermögen gegenübergestellt. Wie der Kläger selbst schreibt, enthielt Ziffer II. keine konkrete Berechnungsgrundlage des von der Beklagten zu leistenden Zahlbetrags. Dies war den Beteiligten bei Abschluss des Vergleichs bekannt. Auch ist in der mündlichen Verhandlung offengelegt worden, dass die genaue Höhe der Versicherungsbeiträge keinem der Beteiligten bekannt war. Der Kläger hat dem Vergleich auch ersichtlich nicht infolge einer arglistigen Täuschung oder widerrechtliche Drohung zugestimmt (vgl. § 123 Abs. 1 BGB). Die vom Kläger nunmehr angeführte "zahnmedizinische Notlage", die der Vorsitzende ausgenützt habe, erfüllt nicht den Tatbestand einer widerrechtlichen Drohung.
Auch den vom Kläger geltend gemachten Irrtum über die Vergleichsgrundlage (§ 779 Abs. 1 BGB) hat das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend verneint. Gegenstand beider Rechtsstreite waren Versagungsbescheide der Beklagten, mithin allein die Frage, ob die Beklagte das Verwaltungsverfahren bis zur Nachholung der geforderten Mitwirkungshandlungen durch den Kläger hatte einstellen dürfen. Das Bestehen und ggf. die Höhe eines möglichen Leistungsanspruchs des Klägers waren noch völlig ungewiss und Gegenstand des gegenseitigen Nachgebens. Damit bleibt es bei der nach Ziffer IV. des Vergleichs erklärten Erledigung der Klageverfahren S 46 SO 453/18 und S 46 SO 405/19.
2.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach dem Gerichtsbescheid vom 30.03.2022 hat das SG ebenfalls zu Recht abgelehnt. Gemäß § 105 Abs. 2 SGG können die Beteiligten gegen einen Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach Zustellung das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt. Gemäß § 105 Abs. 3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
Weil er gleichzeitig mit der Berufung eine mündliche Verhandlung beim SG beantragt hat, geht der Kläger davon aus, dass der Gerichtsbescheid des SG vom 30.03.2022 gegenstandslos geworden und das SG deshalb verpflichtet ist, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Vorliegend ist der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung jedoch nicht zulässig. Gemäß § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG kann nach einer Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung (nur) beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist. Vorliegend war jedoch die Berufung auch ohne Zulassung durch das SG gegeben, da der Kläger mit seinen Klagen nach wie vor die Gewährung von (höheren) Leistungen für die Zeit ab 2008 und damit laufende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr geltend macht (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Wie bei der Untätigkeitsklage (vgl. dazu BSG vom 06.10.2011 - B 9 SB 45/11 B - juris) richtet sich der Wert des Beschwerdegegenstandes nach dem zugrundeliegenden Leistungsbegehren.
Das SG hat über den unzulässigen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch zu Recht durch Gerichtsbescheid entschieden. § 105 SGG gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie das Sozialgericht zu verfahren hat, wenn nach seiner Auffassung der Antrag auf mündliche Verhandlung nicht rechtzeitig gestellt wurde oder unstatthaft ist. Letztlich geht es darum, ob das Klageverfahren durch den Gerichtsbescheid - hier vom 30.03.2022 - beendet worden oder ob das erstinstanzliche Verfahren fortzuführen ist. Der Ablehnung des Antrags auf mündliche Verhandlung durch das SG liegt allein die Annahme zugrunde, dass die Berufung statthaft sei. Insoweit ist das erstinstanzliche Schicksal des Verfahrens insgesamt betroffen. Dementsprechend liegt es nahe, dass das Sozialgericht in der Form zu entscheiden hat, die in etwa vergleichbaren Fällen, wie z.B. bei Streit über die Wirksamkeit einer prozessbeendenden Erklärung, anzuwenden ist (LSG Baden-Württemberg vom 28.08.2014 - L 13 AS 3162/14 Rn. 20; LSG Niedersachsen vom 07.09.2016 - L 15 BK 6/13 B; Burkiczak in jurisPK-SGG, Stand 30.03.2023, § 105 Rn. 140; Loytved, jurisPR-SozR 3/2022 Anm. 6). Dies ist vorliegend, der Grundregel des § 125 SGG entsprechend, durch Urteil bzw. bei fehlenden rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten und vorheriger Anhörung der Beteiligten - wie hier - durch Gerichtsbescheid.
Die Berufungen haben nach alledem keinen Erfolg und sind daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.