L 9 R 2899/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 1471/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2899/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. August 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1992 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Bis April 2015 war er im Ausbildungsbetrieb als Maschinenbediener sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Seither ging er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Im Versicherungskonto des Klägers (Stand: 29.09.2021) sind folgende Zeiten vermerkt: 05.09.2008 bis 10.01.2012 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen für berufliche Ausbildung, 11.01.2012 bis 10.08.2014 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen, 11.08.2014 bis 15.08.2014 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen - Bezug von Leistungen eines Sozialleistungsträgers, 16.08.2014 bis 23.03.2015 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen, 24.03.2015 bis 27.03.2015 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen - Bezug von Leistungen eines Sozialleistungsträgers, 28.03.2015 bis 31.03.2015 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen, 02.04.2015 bis 23.06.2015 Überbrückungszeit, 24.06.2015 bis 23.03.2016 Beitragszeit mit Pflichtbeiträgen - Bezug von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Ab dem 01.08.2018 bis zum 31.12.2019 bezog der Kläger Arbeitslosengeld II, seit dem 01.01.2020 bezieht er Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Das Jobcenter Enzkreis veranlasste eine Begutachtung des Klägers durch T, der in seinem Gutachten vom 12.02.2019 nach Untersuchung am selben Tag eine mittelgradige depressive Episode diagnostizierte und den Verdacht auf eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung, auf eine Lese- und Rechtschreibschwäche und auf eine Autismus-Spektrum-Störung äußerte. Zusammenfassend gelangte der Gutachter zu der Einschätzung, die Leistungsfähigkeit des Klägers sei aufgrund der psychischen Erkrankungen deutlich reduziert auf weniger als drei Stunden täglich. Die Einschränkung bestehe prognostisch länger als sechs Monate, aber nicht notwendigerweise auf Dauer.

Aufgrund seines Antrags auf Leistungen nach dem SGB XII vom 09.05.2019 ersuchte der Sozialhilfeträger die Beklagte am 22.09.2020, zu prüfen, ob die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII erfüllt seien. Der Kläger hatte dem Sozialhilfeträger am 18.07.2020 mitgeteilt, innerhalb der letzten fünf Jahre hätten keine Klinikaufenthalte und Arztbesuche nur bei S, V und T stattgefunden.

Bei der Beklagten wurden Befundberichte der Hautarztpraxis S1 vom 02.08.2013 (Diagnosen: Atopie, Hausstaubmilbenallergie, Allergentestung, Rhinitis allergica saisonalis) sowie das Gutachten von T aktenkundig. Sie veranlasste darüber hinaus eine Begutachtung durch E. In ihrem Gutachten vom 22.10.2020 gelangte die Gutachterin aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom selben Tag zu dem Ergebnis, dass der Kläger zum Untersuchungszeitpunkt unter einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide. Die Symptomatik habe sich seit dem Jahr 2015 entwickelt. Die Leistungsfähigkeit liege unter drei Stunden täglich. Diese Einschränkung bestehe seit Antragstellung; mit einer Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit in einem Zeitraum von weniger als drei Jahren sei nicht zu rechnen.

Mit Schreiben vom 03.11.2020 teilte die Beklagte dem Sozialhilfeträger mit, der Kläger erfülle die in § 41 Abs. 3 SGB XII genannten Voraussetzungen nicht, da es nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.

Am 03.12.2020 stellte der Kläger bei der Beklagten förmlich einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, den er ausführlich schriftlich begründete. Er gab insbesondere an, bereits im April 2015 aufgrund von Depressionen, Boreout und Burnout aus dem Berufsleben ausgeschieden zu sein.

Mit Bescheid vom 29.01.2021 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung mit der Begründung ab, die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Zwar sei der Kläger seit dem 12.02.2019 voll erwerbsgemindert. Im maßgeblichen Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 11.02.2019 seien aber keine 36 Monate Pflichtbeiträge vorhanden.

Zur Begründung seines hiergegen am 22.02.2021 eingelegten Widerspruchs trug der Kläger vor, die Erwerbsminderung bestehe schon seit seiner Kündigung im Jahre 2015. Die zur Kündigung führenden Gründe machten es ihm auch weiterhin unmöglich, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen. Er stehe so dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Die Erwerbsminderung sei auch innerhalb von sechs Jahren nach seiner Ausbildung eingetreten. Er habe sich 2015 nach schwerer Depression sowie Burnout und Boreout gezwungen gesehen, zu kündigen. Damals habe er keinen „Geistesdoktor“ gefunden, um ihm beizustehen. Deren Terminkalender seien voll gewesen und er habe Schwierigkeiten mit Ärzten, von denen er sich häufig im Stich gelassen gefühlt habe, da sie seine Anliegen herunterspielten. Dies sei dem Jobcenter, dem Sozialamt und der Bundesagentur für Arbeit auch bekannt. Er habe nach der Kündigung eine Sperrzeit erhalten, weil seine – gesundheitliche – Begründung für die Kündigung nicht anerkannt, sondern ihm zur Last gelegt worden sei. Ihm sei damals schon alles zu viel gewesen, er sei überfordert und fertig mit der Welt gewesen. Darüber hinaus wies er darauf hin, durch den Bürgermeister der Gemeinde K und einen Gemeinderatsbeschluss der Gemeinde K vom 22.10.2019 verfolgt und verunglimpft worden zu sein. Die Gemeinde habe in ihrem Leitbild ausgeführt, „klare Kante gegen Demokratiefeindlichkeit“ zeigen zu wollen, wozu „keine Akzeptanz für Reichsbürger, Neonazis, Anastasia Bewegung“ gehöre. Er habe die Anastasia Bücher gelesen und halte sie für nicht gefährlich, habe sich aber in der großen Gruppe dennoch damit zurückgehalten und lediglich sein Wissen als Teilnehmer in den Gemeindeleitbildprozess einfließen lassen. Er werde nun diffamiert und fühle sich bedroht.

Die Beklagte holte die sozialmedizinische Stellungnahme der S2 vom 08.03.2021 ein, die ausführte, soweit E in ihrem Gutachten die Vermutung angestellt habe, es sei im Zeitraum der Aufgabe der letzten Tätigkeit im Jahr 2015 zu der derzeit vorliegenden psychischen Erkrankung gekommen, handle es sich um eine reine Vermutung. Als Leistungsfall könne sicher weiterhin nur der 12.02.2019 (Zeitpunkt der Begutachtung durch T) festgestellt werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers im Widerspruchsverfahren ergäben sich nach Auffassung ihres sozialmedizinischen Dienstes keine Anhaltspunkte dafür, dass bei ihm der Leistungsfall bereits früher eingetreten sei. Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bestehe daher nicht, obwohl der Kläger seit dem 12.02.2019 voll erwerbsgemindert sei.

Hiergegen hat der Kläger am 26.05.2021 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren verwiesen und ergänzend vorgetragen, aufgrund seiner Lebensumstände als „Wildwuchs“ und der Tatsache, dass er als Kind/Jugendlicher unter den massiven und tätlichen Auseinandersetzungen der Eltern massiv zerrieben worden sei, berufe er sich auf Art. 1 des Grundgesetzes. Ihm könne nicht zur Last gelegt werden, dass er keinem Menschen – auch keinem Arzt – habe vertrauen können; deswegen habe er nun Nachteile in seiner Versorgung. Der Kläger hat außerdem nochmals auf den ihn diskriminierenden Passus im Leitbild der Gemeinde K hingewiesen.

Die Beklagte hat mitgeteilt, die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien letztmalig am 28.02.2018 erfüllt gewesen.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.08.2021 abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung seien nicht erfüllt. Ausgehend von einem Leistungsfall am 12.02.2019 seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Beim Kläger lägen im maßgeblichen Zeitraum keine drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor. Auch sei die Erwerbsminderung nicht aufgrund eines Tatbestandes eingetreten, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt sei. Ein früherer Leistungsfall als der 12.02.2019 habe mangels ärztlicher Behandlung des Klägers seit dem Jahr 2015 nicht nachgewiesen werden können. Der Kläger selbst habe hierzu mitgeteilt, dass er nicht in ärztlicher Behandlung gewesen sei, weil er zu keinem Menschen Vertrauen fassen könne. Mangels anderweitiger Erkenntnisse verbleibe es mithin bei einem Leistungsfall zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung durch T für das Jobcenter am 12.02.2019.

Gegen den ihm am 24.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.09.2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Das SG habe seine Begründung nicht im Geringsten berücksichtigt und gewürdigt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. August 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 2021 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bezogen auf eine Antragstellung am 3. Dezember 2020 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. S hat angegeben, den Kläger zwei Mal, am 16.05.2019 und am 22.07.2020 behandelt zu haben. V  hat unter dem 02.11.2021 mitgeteilt, der Kläger habe sich nur einmalig, am 22.10.2019 in seiner Praxis vorgestellt. In dem psychischen Zustand, in dem sich der Kläger bei dem einmaligen Kontakt in seiner Praxis präsentiert habe, seien keine Leistungen von wirtschaftlichem Wert möglich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
 
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG vom 19.08.2021 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.05.2021 sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht erwerbsgemindert ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Für den Senat steht fest, dass der Kläger jedenfalls seit dem 12.02.2019 voll erwerbsgemindert ist; die allgemeine Wartezeit, die gemäß §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI fünf Jahre mit Beitragszeiten voraussetzt, ist durch die Pflichtbeitragszeiten im Zeitraum September 2008 bis März 2015 unproblematisch erfüllt.

Der Kläger hat aber nicht in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung zurückgelegt.

Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
Berücksichtigungszeiten,
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nr. 1 oder 2 liegt,
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren ist für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gemäß § 43 Abs. 5 SGB VI nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

Anrechnungszeiten sind u. a. Zeiten, in denen Versicherte wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sind oder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten haben (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) oder wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a des Zweiten Buches als Arbeitsuchende gemeldet waren und eine öffentliche-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen haben (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI liegen Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 bis 3a SGB VI grundsätzlich nur dann vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit unterbrochen ist.
 
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vor Eintritt der Erwerbsminderung sind gemäß § 241 Abs. 2 Satz 1 SGB VI für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit
Beitragszeiten,
beitragsfreien Zeiten,
Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nr. 4, 5 oder 6 liegt, Berücksichtigungszeiten,
Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 01.01.1992
(Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder wenn die Erwerbsminderung vor dem 01.01.1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 241 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
 
Nach dem in den Akten vorliegenden Versicherungsverlauf vom 29.09.2021 (Bl. 18 f. der Senatsakte) sind bis einschließlich 23.03.2016 Pflichtbeitragszeiten im Versicherungskonto des Klägers vermerkt, wobei Teilmonate nach dem Monatsprinzip (§ 122 Abs. 1 SGB VI) als volle Monate zählen. Darüber hinaus geht aus dem Versicherungsverlauf für die Zeit vom 24.03.2016 bis 31.07.2018 eine Lücke hervor, die nicht mit Versicherungszeiten belegt ist. Da für die Zeit nach dem 23.03.2016 keine Pflichtbeitragszeiten mehr im Versicherungskonto aufgeführt sind, reicht der spätest denkbare Fünfjahreszeitraum, der der Drei-Fünftel-Belegung noch genügen würde, von Februar 2013 bis Februar 2018. Nur dann wären 36 Monate Pflichtbeitragszeiten vorhanden, nämlich die Monate Februar 2013 bis Dezember 2013, das Jahr 2014, die Monate Januar bis März und Juni bis Dezember 2015 sowie die Monate Januar bis März 2016. Die Erwerbsminderung hätte daher spätestens im Februar 2018 eintreten müssen.

Eine Verlängerung dieses Fünfjahreszeitraumes gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI kommt vorliegend nicht in Betracht. Insbesondere liegen keine Anrechnungszeiten vor.

Nach dem 23.03.2016 war der Kläger bis zum Beginn des Bezugs von Arbeitslosengeld II am 01.08.2018 nicht mehr arbeitslos gemeldet, so dass eine Anrechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI für die Zeit vom 24.03.2016 bis 31.07.2018 ausscheidet. Weder wurde der Beklagten eine Zeit der Arbeitslosigkeit (ohne Leistungsbezug) durch die Bundesagentur für Arbeit gemeldet, noch hat der Kläger vorgetragen, in dem nicht mit Pflichtbeitrags- oder sonstigen Zeiten belegten Zeitraum April 2016 bis Juli 2018 arbeitslos gemeldet gewesen zu sein. Zwingende Voraussetzung dafür, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden, ist aber die Meldung als Arbeitssuchender bei deutschen örtlichen Agenturen für Arbeit oder einem zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Arbeitslose müssen sich für den Erwerb einer Anrechnungszeit regelmäßig, d.h. jedenfalls alle drei Monate, bei einer Agentur für Arbeit als (weiterhin) arbeitssuchend melden. Das Fehlen einer Meldung kann ungeachtet der Frage, ob die Arbeitsvermittlung den Arbeitslosen auf dieses Erfordernis zum Erwerb einer Anrechnungszeit hinweisen musste, nicht im Wege des Herstellungsanspruchs ersetzt werden, weil der Arbeitslose durch den fehlenden Hinweis nicht gehindert ist, die Arbeitsvermittlung aufzusuchen und seinem Vermittlungsversuch Nachdruck zu verleihen (BSG, Urteil vom 11.03.2004 - B 13 RJ 16/03 R -, Juris; Gürtner in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 116. EL September 2021, § 58 SGB VI Rdnr. 28 m.w.N.)

Die Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II ab dem 01.08.2018 sind als Anrechnungszeiten gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 6 SGB VI grundsätzlich Verlängerungstatbestände im Sinne des § 43 Abs. 4 Ziff. 1 SGB VI. Da zwischen der letzten Pflichtbeitragszeit im März 2016 und dem Bezug von Arbeitslosengeld II im August 2018 aber bereits eine Lücke von 28 Monaten besteht, würde auch eine Verlängerung durch Anrechnungszeiten durch den Bezug von Arbeitslosengeld II nicht dazu führen, dass innerhalb des um die Anrechnungszeiten verlängerten Fünf-Jahres-Zeitraums 36 Kalendermonate mit Pflichtbeitragszeiten belegt wären.

Weitere rentenrechtlich relevanten Zeiten liegen nicht vor. Die Überbrückungszeit vom 02.04.2015 bis 23.06.2015 ist kein Verlängerungstatbestand im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI. Nach dem Vortrag des Klägers im Verwaltungsverfahrens war in diesem Zeitraum durch die Bundesagentur für Arbeit aufgrund der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses eine Sperrzeit festgestellt worden. Selbst wenn der Kläger in diesem Zeitraum bei der Bundesagentur für Arbeit als Arbeitsuchender gemeldet gewesen wäre, würde eine Anrechnungszeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 3 SGB VI jedenfalls daran scheitern, dass der Kläger kein Arbeitslosengeld bezogen hat und dies nicht wegen zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens, sondern weil der Arbeitslosengeldanspruch für die Dauer der Sperrzeit gemäß § 159 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Ziff. 1 SGB III geruht hat (vgl. Fichte in Hauck/Noftz, SGB, 02/21, § 58 SGB VI Rdnr. 82). Der Senat konnte sich mangels Vorliegen ärztlicher Unterlagen – aufgrund nicht erfolgter ärztlicher Behandlung – auch nicht davon überzeugen, dass der Kläger in diesem Zeitraum arbeitsunfähig gewesen wäre, was ggf. als Anrechnungszeit im Sinne des § 43 Abs. 4 Ziff. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 SGB VI zu berücksichtigen gewesen wäre.
 
Sonstige Verlängerungstatbestände im Sinne des § 43 Abs. 4 SGB VI sind weder im Zeitraum 02.04.2015 bis 23.06.2015 noch im Zeitraum 24.03.2016 bis 31.07.2018 ersichtlich. Auch kann nicht unter Heranziehung des § 241 Abs. 2 SGB VI von der Mindestanzahl von Pflichtbeiträgen abgesehen werden, da die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 SGB VI) nicht bereits vor dem 01.01.1984 erfüllt war. Das Versicherungskonto des Klägers weist vielmehr erst Einträge ab dem 05.09.2008 auf.

Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung wären daher nur erfüllt, wenn spätestens im Februar 2018 Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI eingetreten wäre. Hiervon konnte sich der Senat allerdings nicht überzeugen.

Der Nachweis für die den Anspruch begründenden Tatsachen muss im Wege des sog. Vollbeweises erfolgen. Dies erfordert, dass bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden kann. Dies bedeutet, das Gericht muss von der zu beweisenden Tatsache mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgehen können; es darf kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen. Von dem Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen muss insoweit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R-; Bayerisches LSG, Urteil vom 26.07.2006 - L 16 R 100/02 -, Juris). Können die Tatsachen trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht im erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleiten möchte. Für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erwerbsminderung trägt insoweit der Versicherte die Darlegungs- und objektive Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 23.10.1996 - 4 RA 1/96 -, Juris).

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass das Leistungsvermögen des Klägers bereits vor dem 12.02.2019, dem Tag der Begutachtung durch T, zu einem Zeitpunkt, zu dem die sog. besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt waren, in rentenrechtlich relevantem Umfang eingeschränkt war.

T hat in seinem Gutachten für das Jobcenter Enzkreis nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 12.02.2019 eine mittelgradige depressive Episode sowie den Verdacht auf eine narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung, eine Lese- und Rechtschreibschwäche und eine Autismus-Spektrum-Störung mitgeteilt. Die von ihm angenommene Leistungseinschränkung auf unter drei Stunden ist für den Senat anhand der von ihm geschilderten Befunde und der daraus abgeleiteten Diagnosen überzeugend und nachvollziehbar. Nach seiner Einschätzung ist ein positives Leistungsbild derzeit nicht beschreibbar. Mehrere psychische Erkrankungen ergeben ein komplexes Störungsbild; es sind eine Antriebslosigkeit, gedrückte Stimmung, erhöhte Kränkbarkeit, massive Konzentrationsmängel, eine Rechtschreibschwäche und ein verschobener Tag-/Nachtrhythmus feststellbar. Frühere Befunde, die eine Gesundheitsstörung auf psychiatrischem (oder anderem) Fachgebiet bestätigen würden, liegen nicht vor. Für die Zeit vor der Begutachtung durch T liegen außer einem Bericht der Hautarztpraxis S1 vom 02.08.2013, in dem über eine Atopie, eine Hausstaubmilbenallergie, eine Allergietestung, eine Rhinitis allergica saisonalis und eine auffällige Nasenatmungsbehinderung berichtet wird, ohne dass sich hieraus Anhaltspunkte für eine rentenrechtlich relevante Einschränkung des Leistungsvermögens ergäben, keinerlei Befundberichte vor. S hat den Kläger erstmals am 16.05.2019, V erstmals am 22.10.2019 behandelt. Soweit E in ihrem Gutachten vom 22.10.2020 ausführt, die Symptomatik habe sich seit dem Jahr 2015 ohne eruierbaren Anlass entwickelt, stützt sie sich auf die anamnestischen Angaben des Klägers, der vorträgt, die letzte Beschäftigung 2015 aufgrund psychischer Probleme („Depressionen, Boreout und Burnout“) aufgegeben zu haben. Aufgrund der Schilderungen des Klägers über die Umstände seiner Beschäftigungsaufgabe im Jahr 2015 und seinen seit damals bestehenden Gesundheitszustand bestehen zwar Anhaltspunkte dafür, dass er bereits zum damaligen Zeitpunkt (und durchgehend) in seinem Leistungsvermögen eingeschränkt war. Ein entsprechender Nachweis durch ärztliche Befundberichte liegt aber nicht vor und ist, da der Kläger nach eigenen Angaben nicht in ärztlicher Behandlung war, auch nicht mehr zu beschaffen. Der Senat verkennt nicht, dass es schwierig sein kann, einen geeigneten Psychiater zu finden und der Kläger – wie er vorträgt – aufgrund seiner Lebensumstände als „Wildwuchs“ und „unterversorgtes Kind“ ggf. auch krankheitsbedingt Schwierigkeiten hat, sich einem Arzt anzuvertrauen. Wird aber keinerlei ärztliche Behandlung in Anspruch genommen und wurde – wie vorliegend – auch kein ärztliches Gutachten eingeholt, ist der Nachweis eines eingeschränkten Leistungsvermögens nicht zu führen.

Damit ist eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens spätestens zum 28.02.2018 weder durch die Folgen der einzelnen Gesundheitsstörungen noch in deren Gesamtschau nachgewiesen.

Auch von qualitativen Einschränkungen, die ggf. zu einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes führen könnten (vgl. BSG, Urteile vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 -, vom 20.08.1997 - 13 RJ 39/96 -, vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 -; vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 - vom 09.09.1998 - B 13 RJ 35/97 R -, und zuletzt vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, Juris m.w.N.), konnte sich der Senat mangels ärztlicher Unterlagen nicht überzeugen.

Die Erwerbsminderung ist jedenfalls auch nicht bereits vor dem 01.01.1984 eingetreten (§ 241 Abs. 2 SGB VI) und auch nicht schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren (§ 43 Abs. 6 SGB VI). Ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung im Sinne des § 43 Abs. 5 SGB VI liegt gleichfalls nicht vor, insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die verminderte Erwerbsfähigkeit durch einen Arbeitsunfall (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) eingetreten ist. Soweit der Kläger gegenüber der Beklagten vorgetragen hat, er sei auch aufgrund eines Unfalls erwerbsgemindert und in diesem Zusammenhang schildert, er sei durch den Gemeinderat und den Bürgermeister der Gemeinde K in ihrem Leitbild diffamiert worden, da dort im Zusammenhang mit der Ziel, „klare Kante gegen Demokratiefeindlichkeit“ zeigen zu wollen, auch auf die sog. Anastasia Bewegung hingewiesen worden sei, die man – ebenso wie Reichsbürger und Neonazis – nicht akzeptieren wolle, handelt es sich dabei offenkundig um keinen Arbeitsunfall.

Der Senat konnte sich daher nicht davon überzeugen, dass das Leistungsvermögen des Klägers vor Februar 2019 in rentenrechtlich relevantem Umfang eingeschränkt war. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. Im maßgeblichen (um sieben Monate Anrechnungszeiten wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II verlängerten) Fünf-Jahres-Zeitraum vom 01.07.2013 bis 12.02.2019 sind lediglich 31 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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